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Coffee On TV

Falls Sie dachten, eine Anzeige, die wie redaktioneller Inhalt aussieht (oder andersrum), sei der endgültige Ausverkauf des Journalismus: Die Amerikaner sind da wie immer sehr viel weiter.

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
Corporate SynerJoe
thedailyshow.com

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Mit dem Zweiten sieht man alles

Es ist ja nicht so, dass ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender irgendwelche Gewaltverbrechen bräuchte, um die eigenen, niedrigen Qualitätsstandards unter Beweis zu stellen. Im Zweifelsfall tut’s auch ein Fußballspiel.

Der Kapitän des 1. FC Köln Ümit Özat, der im August 2008 während eines Bundesligaspiels einen Herzstillstand erlitten hatte, hat gestern sein Karriereende bekanntgegeben.

In der Redaktion des “Aktuellen Sportstudios” dachte man sich wohl, dass viele Zuschauer das im letzten Sommer nicht richtig mitbekommen hätten oder sich nicht vorstellen könnten, wie das so aussieht, wenn ein Fußballer auf dem Spielfeld einen Herzstillstand hat. Deswegen hielt man es für eine gute Idee und im Zweifelsfall für seine journalistische Pflicht, vor dem Bericht über das Rhein-Derby rheinische Derby zwischen Köln und Mönchengladbach (4:2 für die Borussia, aber man muss sich für die eigenen Mit-Fans schämen) noch einmal kurz zu zeigen, wie das damals war: Özat mit verdrehten Augen zuckend auf dem Boden; Özat, der auf einer Trage vom Spielfeld getragen wird; Kölner Spieler und Funktionäre, die fassungslos zu weinen anfangen.

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Der “Spiegel” muss in Zweifelhaft

Natürlich sieht das immer ein bisschen komisch aus, wenn man den eigenen Arbeitgeber lobt, aber dieses Titelbild hätte ich auch dann gut gefunden, wenn ich nicht studentische Hilfskraft beim “Freitag” wäre:

Merkels neues Gesicht

Früher hätte man solche Titelgrafiken auf dem “Spiegel” gefunden — und da wäre die Umsetzung zugegebenermaßen auch noch ein bisschen besser gewesen.

Aber der “Spiegel” ist schon lange das, was offenbar jede Medienlegende hierzulande (“Tagesschau”, das “Mittagsmagazin” auf WDR 2, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt) werden muss: ein Schatten seiner selbst. Und deshalb sieht sein Cover heute so aus:

Fremde Freunde - Vom zweifelhaften Wert digitaler Beziehungen

Ob und inwiefern social networks unser Leben und unseren Umgang miteinander beeinflussen, ist ja ein Thema, an dem ich mich das ein oder andere Mal abzuarbeiten versucht habe.

Mein grundsätzliches Interesse war aber bei der Überschrift (ein Wunder, dass sie nicht “Falsche Freunde” lautete) recht schnell verraucht. Ich musste den Artikel aber gar nicht erst lesen und mich darüber aufregen, denn beides hat Thomas Knüwer dankenswerterweise schon übernommen.

PS: Markus Beckedahl von netzpolitik.org hatte schon gestern auf den Artikel verwiesen und ihn für nicht ganz so scheiße befunden. Er verweist zusätzlich auf ein Interview mit dem Leiter des “Spiegel”-Hauptstadtbüros, in dem dieser sich mit der Aussage zitieren lässt, er sei “so gut wie gar nicht im Netz unterwegs” und könne deshalb keine gute Website empfehlen.

PPS: Ich habe gestern mit einer Über-Siebzigjährigen Verwandten telefoniert, die meines Wissens noch nie vor einem Computer gesessen hat, und die trotzdem eine sehr viel differenziertere und positivere Meinung zu Blogs (sie benutzte wirklich das Wort “Blog”) und Internet hatte, als ich sie beim “Spiegel” je erlebt habe.

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Print Digital

Blame it on the Internet

Dass die “Süddeutsche Zeitung” ein eher gespaltenes Verhältnis zum Internet hat, ist ja schon länger bekannt. Insofern überrascht es wenig, dass vorgestern ein Artikel erschien, der diesen ganzen Internetkram und vor allem Google mal wieder als den Untergang von Abendland, Weltwirtschaft und Qualitätsjournalismus beschrieb.

Schon die Dachzeile (die Überschrift über der Überschrift) macht klar, wer hier der Böse ist:

Google-News: Automatischer Absturz. Der Computer als Journalist: Google News meldete vergangene Woche den Konkurs einer amerikanischen Airline - obwohl die Nachricht sechs Jahre alt war. Die Folgen waren verheerend. Von Thomas Schuler

Durch eine Verkettung von mehreren unglücklichen Umständen hatte ein Suchskript in der vergangenen Woche einen sechs Jahre alten, aber undatierten Artikel des “Chicago Tribune” über den Konkurs von United Airlines im Archiv des “South Florida Sun-Sentinel” entdeckt, für neu gehalten und ins Archiv von “Google News” einsortiert.

Das ist schon aus rein journalistischen Aspekten doof — Artikel ohne Datum sollten einfach nicht sein. Wenn es sich auch noch um eine Meldung aus dem Wirtschaftsbereich handelt, wo traditionell unvorstellbare Geldbeträge verschoben werden aufgrund von Zuckungen im kleinen Zeh irgendwelcher Vorstandsvorsitzender und von den Schatten, die abgenagte Hühnerknochen in einer Vollmondnacht werfen, können die Folgen verheerend sein: Der Börsenkurs von United Airlines brach zwischenzeitlich um 75% ein. Wir können uns also darauf einigen: Sowas sollte nicht passieren.

Erstaunlich ist aber – neben der Tatsache, dass unsere Weltwirtschaft offenbar von leichtgläubigen Idioten abhängig ist – wie die “Süddeutsche Zeitung” über den Vorgang berichtet:

Denn je öfter die Beteiligten – ein Finanzdienstleister aus Miami und die Medienunternehmen Tribune, Bloomberg und Google – in den Tagen danach Untersuchungen ankündigten, sich in Details widersprachen, gegenseitig Schuld zuwiesen und Antworten auf die Frage suchten, wie es zu der Falschmeldung kommen konnte, desto deutlicher wurde, dass dies keine der üblichen Diskussionen um gefälschte Meldungen oder menschliches Versagen ist. Es gibt ein neues Problem: Journalismus ohne Journalisten. Kann das gut gehen?

Ja, Journalismus ohne Journalisten. Ob das gut geht?

Bei der “Süddeutschen Zeitung” offenbar bestens, denn nur wenige Absätze später erklärt Autor Thomas Schuler, wie es genau zu den Folgen dieses technischen Fehlers kam:

Den ganzen Sonntag über sei die Geschichte so oft abgerufen worden, dass sie weiter unter “most viewed” gelistet blieb. Dort entdeckte sie ein Mitarbeiter einer Investmentdienstleisters, der am Montag für den Finanzdienst Bloomberg einen Newsletter über in Konkurs gegangene Firmen verfasste. Dass United seit 2006 wieder zahlungsfähig ist, stand natürlich nicht in dem Bericht. Bloomberg verbreitete den Newsletter. So kam es zum Absturz der Aktie.

Da hat also irgendein Mensch, der für einen Finanzdienst (laut “New York Times” handelt es sich um Income Security Advisors) Newsletter verfassen soll, bei “Google News” ein bisschen rumgeklickt, eine undatierte Meldung gefunden und sie ohne eine weitere Sekunde der Recherche (ich meine: wir reden hier über United Airlines — wenn die pleite wären, stünde das sicher noch irgendwo anders) in seinen Newsletter aufgenommen. Das klingt für mich irgendwie schwer nach menschlichem Versagen.

Und wenn stimmt, was die “Los Angeles Times” schreibt, hat der Mitarbeiter an jenem Tag zum ersten Mal den Internetauftritt einer Zeitung besucht:

The reporter […] thought it was fresh because of the date and because the Google search found the story on a current Sun-Sentinel page, which included an item on Hurricane Ike.

Das Problem des Journalismus liegt also eine Etage höher: Wo kommen wir hin, wenn wir den ganzen Agenturen und “Google News” nicht mehr blind vertrauen können? Wenn wir jede bunte Meldung, mit der wir unsere Zeitungen und Webseiten füllen, noch mal überprüfen oder wenigstens auf Plausibilität überprüfen müssen? Oder völlig überraschende Meldungen über den Konkurs einer der weltgrößten Fluglinien?

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Rundfunk Politik

Florida Lady

3.595 Stimmen beträgt im vorläufigen amtlichen Endergebnis die Differenz zwischen der CDU und der SPD in Hessen. Das ist weniger als die 6.027 Stimmen, die die SPD bei der Bundestagswahl 2002 vor der CDU/CSU lag, aber bedeutend mehr als die 537 Stimmen Unterschied zwischen George W. Bush und Al Gore in Florida (bei mehr als doppelt so vielen abgegebenen Stimmen).

Ähnlich spannend wie damals in Florida war es auch heute Abend. In der ARD bewies Infratest dimap mal wieder, dass man teure Wahlumfragen auch wunderbar durch würfelnde Affen ersetzen könnte, denn am Ende waren alle wichtigen Details anders als prognostiziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Linke wäre draußen geblieben. Roland Koch wird sich also morgen trotz herber Verluste rühmen können, man habe ihn zu früh abgeschrieben.

Ähnlich wie damals in Florida gab es offenbar erhebliche Probleme und Unregelmäßigkeiten mit Wahlcomputern, die der Chaos Computer Club in einer Pressemitteilung zusammengefasst hat. Und in den Qualitätsmedien findet sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nachtrag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zeitung hat einen Artikel zum Thema online.

Nachtrag 20:14 Uhr: Eine Meldung zum Thema hat’s sogar auf “Bild.de” geschafft.

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Print

Gewalt im Spiegel

Ohne Nachzugucken: Welches dieser Titelbilder liegt ab morgen am Kiosk aus?

U-Bahnen: Das gefährlichste Verkehrsmittel der Welt

Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt

Prügeln: Das gefährlichste Hobby der Welt

Zum Kopfschütteln bitter hier entlang

[via Die Sargnagelschmiede]

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Digital

Suchmaschinenoptimierung mit jetzt.de

Das Internet, das ist für die “Süddeutsche Zeitung” das, wo Kinderschänder mit illegalen MP3s das Ende des Qualitätsjournalismus hinaufbeschwören. Für die Macher von “sueddeutsche.de” hingegen ist das Internet das, wo man ein bisschen Text und ein paar Dutzend Bilder zu sogenannten Inhalten zusammengruppieren kann.

Für jetzt.de, das tragische Überbleibsel des einst außerordentlich guten, ja: mindestens eine Generation prägenden “jetzt!”-Magazins, ist das Internet das mit den nervigen Blogs und den arroganten Bloggern. Oder das, wo “alle” “scheinbar von nichts anderem” reden als von:

jetzt.de beim SEO

Stefan Winter schreibt in einem launigen Artikel:

“Natalie Portman nackt!” lautet eine beliebte Google-Suchanfrage, die in der Tat nicht auf schmierige Porno-Seiten, sondern auf Film-Blogs, Vanity Fair oder Bunte.

Auf die Idee, die “Beliebtheit” einer Suchanfrage mit einem Link auf die Google-Suche belegen zu wollen, muss man erst mal kommen. 9.630 Ergebnisse sind auch nicht so spektakulär wie … sagen wir: jetzt doof (613.000), aber egal. Natalie Portman ist nackt in einem Film zu sehen, das muss man zum Aufhänger machen, das muss man mit Screenshots aus dem Film belegen.

Sicher: Auch ich habe, als ich vor drei Monaten über “Hotel Chevalier” schrieb (“Alle anderen reden spätestens seit Beginn des Jahres scheinbar von nichts anderem mehr”), nicht unerwähnt gelassen, dass viele nicht unerwähnt lassen konnten, dass Natalie Portman in dem Film nackt zu sehen sei.

Bei jetzt.de sieht die Meta-Ebene so aus:

In jedem Fall wird über den kurzen Film berichtet.

[…]

Und ja, auch wir berichten über den Vorfilm, der sich neben der Nacktheit durch die Musik (Peter Sarstedt “Where Do You Go To (My Lovely)”) und durch die Tatsache auszeichnet, dass Schwartzman alias Jack hier einen Einblick in die Vorgeschichte seiner Reise gibt, die im Hauptfilm erzählt wird.

jetzt.de “berichtet” in fünf Absätzen, von denen sich fünf mit einer nackten Schauspielerin beschäftigen (soll vorkommen), bebildert das ganze mit vier Screenshots, von denen zwei Natalie Portman beim Entkleiden und Nacktsein zeigen (noch mal: man sieht nichts im Film, was über nackte Haut hinausginge), packt die Kernaussage auch noch in die Überschrift (Suchmaschinenoptimierung für Anfänger) und mokiert sich über den “Aufmerksamkeits-Fokus für eine bestimmte Zuschauerschaft”.

Was, bitte, soll denn das sein, wenn nicht billiges Aufmerksamkeitsheischen für eine bestimmte Leserschaft?

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Digital

Klickbefehl (5)

Aber dass Kassetten einmal nicht nur, wie das Theater vom Film oder das Pferd vom Auto, als Opfer eines optimierten Folgeprodukts in eine Liebhaberecke zurückgedrängt würden, sondern derart gründlich verschwinden könnten, dass man zum Beispiel in Frankfurt oder Berlin nach Kassetten so intensiv suchen muss wie nach Schreibmaschinen-Farbbändern oder nach Austauschbirnen für Diaprojektoren: Das hätte man noch vor ein paar Jahren nicht gedacht.

Niklas Maak schreibt in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” von morgen einen Nachruf auf die Audiokassette.

* * *

Manchmal scheint es, als sei den Journalisten, die gegen dieses Mitmachnetz anschreiben, schon die Motivation all dieser neuen Konkurrenten um Aufmerksamkeit suspekt: einfach zu glauben, etwas zu sagen zu haben, und es nicht für Geld, Auflage, Karriere oder den Verkauf von Werbeplätzen zu tun.

Stefan Niggemeier schreibt in der “taz” über den alten Konflikt zwischen Mitmachmedien und dem “etablierten” Journalismus.

* * *

Im Ratgeber “Diäten-Test” wird ausführlich über die “Diäterfolge” des Unternehmens berichtet, “zuletzt aktualisiert: 09. Mai 2007 | 15:21″. Bereits am 21. Februar 2005 hatte die Redaktion “Populäre Abnehmkonzepte unter der Lupe”, allen voran Weight Watchers. Und schon in der Sendung vom 6. September 1999 mit dem Thema “Wege zur Wunschfigur” war die WW-Methode für den MDR empfehlenswert.

Bei den Medienpiraten wundert sich Peer darüber, dass man Andrea Kiewel beim MDR für ihre Weight-Watchers-Schleichwerbung gefeuert hat, während der Sender die Abnehmgruppe seit Jahren ungwöhnlich oft empfiehlt.

* * *

More are expected to shop online than attend Church of England services.

bbc.co.uk erzählt, wie Millionen Briten die Heilige Nacht verbringen werden: Vor dem Computer auf Schnäppchen hoffend.

Nachtrag 23. Dezember: Zugabe bei Telepolis: Die GEZ fordert Rundfunkgebühren von einer fiktiven Person. [via Lawblog-Kommentare]

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Rundfunk Digital

Neues aus der Anstalt

Es gibt Themen, mit denen will ich mich aus Rücksicht auf meine eigene Gesundheit gar nicht mehr beschäftigen.

Lesen Sie also selbst zwei Meldungen über den öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus und dessen Geldeintreiber:

Zum einen einen Artikel aus der “Bild”-Zeitung. Dieser ist natürlich mit besonderer Vorsicht zu genießen, aber der geschilderte Fall hätte auch überall sonst stehen können und lässt – auch wenn er natürlich aufgebauscht wird – tief blicken.

Der andere Text steht bei Finblog.de und ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie weit man gehen kann, um unabhängige Berichterstattung und freie Meinungsäußerung zu … äh: verteidigen?

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Bartschattenboxen

Im ZDF-Nachtstudio ging es gestern ums Thema “Die Macht dahinter – Wer bestimmt die Medien?” und man mag es symptomatisch finden oder nicht, aber die klügsten Sachen sagten Prof. Miriam Meckel, die einzige Frau in der Runde, und der achtzigjährige Klaus Harpprecht. Auch Kluges sagte Lutz Hachmeister, der unter anderem bemängelte, dass der Journalismus in Deutschland immer weniger von großen Journalisten mit klaren Standpunkten geprägt wurde.

Für die unklugen Sachen brauchte man nur einen Gast, aber der redete auch ungefähr so viel wie die drei anderen zusammen: Matthias Matussek, Kulturchef des “Spiegel”.

Matussek hat neokonservative Bücher geschrieben, die “Die vaterlose Gesellschaft – Eine Polemik gegen die Abschaffung der Familie” heißen oder “Wir Deutschen – Warum die anderen uns gern haben können”, er verbreitet seine sehr persönliche, mitunter auch sehr eigenwillige Weltsicht via “Spiegel” und per Video-Blog auf “Spiegel Online”. Und wem Matussek wegen seiner Inhalte noch nicht unsympathisch war, dem wurde er es bestimmt gestern Abend im ZDF.

Matussek nuschelt ausdruckslos vor sich hin, spricht über Anwesende in der dritten Person und guckt dann auch noch grundsätzlich an ihnen vorbei auf den Boden. Egal, worüber grad diskutiert wird: Matussek schafft es stets, auf seine bisherigen Einsatzorte, seine Titelgeschichten, im Wesentlichen: sich zu sprechen zu kommen. Eines seiner Bücher wurde mit Heine verglichen, aber damit wolle er sich nicht schmücken; als er über seine Zeit in London spricht (natürlich, ohne dass es dafür einen Anknüpfungspunkt gegeben hätte), droppt er mal eben so viele Namen, dass kaum jemand überprüfen kann, ob es sich dabei wirklich um angesehene Journalisten oder Charaktere aus “Harry Potter” handelt, und seine Romantik-Geschichte im aktuellen “Spiegel” erwähnt er gleich ein Halbdutzend Mal.

Egal was die Gesprächspartner sagen: Matussek fällt ihnen ins Wort oder tut ihre Ausführungen als Blödsinn ab, meistens macht er einfach beides. Selbst wenn er nickt, wirkt das wie ein weiterer Posten aus seinem Katalog der herablassenden Mienen und Gesten. Für seinen Bartschatten, der ihn immer ein bisschen ungepflegt erscheinen lässt, kann er vielleicht nichts, für seinen Hemdkragen, den er trägt wie andere Leute eine offene Hose, aber sehr wohl. Über sein Video-Blog “Matusseks Kulturtipp” sagt er, dort könne er “Freestyle” machen. Kurzum: Er benimmt sich, wie sich ein 53jähriger Mann auf keinen Fall benehmen sollte, wenn er nicht als total anbiedernd und betont lässig gelten will.

Dabei bringt diese Ranschmeiße an eine vermeintliche Jugendsprache sowieso nichts, denn schon im nächsten Atemzug verteidigt Matussek die geplanten Onlinedurchsuchungen und den Papst und dessen Islam-Kritik. Kurz darauf versagen seine Medikamente und Matussek nennt das, was der “Spiegel” da allwöchentlich noch unters Volk haut, “Weltklassejournalismus”, der den Engländern und Amerikanern mindestens ebenbürtig sei. Die Behauptung, in seinem Hause werde “gründlich” recherchiert, lässt sich freilich nicht sofort widerlegen, die fertigen Artikel legen aber den Schluss nahe, dass von dieser gründlichen Recherche dann zumindest nicht viel im Heft landet.

In dieser Situation verkündet Herr Harpprecht, Matussek zähle zu den besten Schreibern Deutschlands und Stefan Aust sei ein kluger Mann. Ich rechne es diesem alten Mann hoch an, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, ob das jetzt sein Ernst oder ganz weise Ironie war.

Wer gerne unsympathischen “Spiegel”-Redakteuren zuhört, kann sich heute Abend ab 19 Uhr den Podcast von Bastian Sick im WDR2-“Montalk” geben. Das komplette Video des gestrigen “Nachtstudios” kann man sich hier anschauen.

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Hilfe! (Ambulant oder stationär)

Es ist beunruhigend, ja geradezu skandalös, was da seit gestern durch die deutsche Medienlandschaft geistert: Der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) veröffentlichte gestern seinen Prüfbericht zur Qualität in der ambulanten und stationären Pflege. Noch bevor das Papier offiziell vorgestellt wurde, hatte die “Bild”-Zeitung eine große Titelgeschichte zu dem Thema gebracht, die jetzt nicht so hunderprozentig exakt war, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Was folgte, zeigte mal wieder, dass Journalisten einer dpa-getickerten “Bild”-Schlagzeile mehr vertrauen als ihrer eigenen Lesekompetenz, denn statt auch nur mal nachzugucken, ob die Behauptungen von “Bild” richtig sind, schrieben sie diese munter ab.

Oft kreisen die Berichte um die Behauptung von “Bild”, jeder dritte Patient bekomme nicht genug zu essen oder zu trinken.

“Spiegel Online” schreibt ab:

Der aktuelle Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) offenbart einem Bericht der “Bild”-Zeitung zufolge skandalöse Zustände bei ambulanten Pflegediensten und in deutschen Pflegeheimen. Demnach bekommt nach diesem Bericht jeder dritte Pflegefall (Heime: 34,4 Prozent; ambulante Pflege: 29,6 Prozent) nicht genug zu essen und zu trinken.

Auch die “Süddeutsche Zeitung” beruft sich lieber auf “Bild” statt auf den Bericht selbst:

Jeder dritte Pflegefall bekomme nicht genug zu Essen und zu Trinken, schreibt die Bild-Zeitung unter Berufung auf den Bericht. In Heimen seien es 34,4 Prozent der Fälle, bei der ambulanten Pflege 29,6 Prozent.

Dieses Spiel über Bande ist immerhin ein bisschen weniger irreführend als das, was tagesschau.de behauptet:

Demnach bekommt offenbar jede dritte zu pflegende Person nicht genug Essen und Trinken.

Und der Vollständigkeit halber auch noch n-tv.de:

Etwa jeder dritte Pflegebedürftige bekomme nicht genug zu essen und zu trinken.

Nun mag es einigermaßen verständlich erscheinen, dass kein Journalist mal eben 212 Seiten voll Daten und Fakten durcharbeiten will. Muss er aber gar nicht, denn eine schlichte Suche nach dem Wort “Ernährung” im PDF-Dokument hätte zum Beispiel auf Seite 48 verwiesen, wo es heißt:

Die festgestellten Mängeln bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung sind nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer bereits eingetretenen Unterernährung oder einer Dehydratation.

Auf Seite 66 steht:

Bei 65,6 % der im 1. HJ 2006 in die Prüfung eingezogenen Bewohner lagen bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung keine Qualitätsprobleme vor. Bei 34,4 % der Personen wurden Mängel festgestellt. Auch hier sind diese Mängel nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer eingetretenen Unterernährung oder einer Dehydratation.

Immerhin heute.de hat es irgendwie geschafft, die Tatsachen richtig aus dem Bericht abzupinnen:

Der Bericht weist nach wie vor Mängel bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung der Pflegebedürftigen aus. Bei etwa jedem dritten Fall (Heime: 34,4 Prozent; ambulante Pflege: 29,6 Prozent) stellten die Prüfer Defizite fest. Sie kritisierten etwa unzureichende Gewichtskontrollen oder eine fehlende Ermittlung des Energiebedarfs der Bewohner. Dies bedeute aber nicht unbedingt, dass die Betroffenen jeweils unterversorgt oder mangelhaft ernährt seien, hieß es.

Im Vergleich zum letzten Bericht, der das 2. Halbjahr 2003 erfasste, hat sich die Qualität der Pflege auf beinahe jedem Gebiet verbessert, wenn auch mitunter nur ganz leicht.
“Bild” würdigte diesen Sachverhalt mit vier Worten:

Geändert hat sich wenig.

Das mag bei einer entsprechenden Auslegung des Wortes “wenig” ja sogar noch richtig sein, bei Heribert Prantls Kommentar in der heutigen “Süddeutschen Zeitung” wurde daraus aber schon ein:

Seit Jahren hat sich nichts verbessert – doch niemand reagiert.

(Dass Prantl 34,4 bzw. 29,6 % für “Fast die Hälfte der Menschen in den untersuchten Pflegeheimen” hält, die auch noch “Hunger und Durst” “leidet”, schlägt dann dem Fass die Krone ins Gesicht.)

Dabei hätte man nur das Vorwort lesen müssen, um von der Verbesserung der Situation zu erfahren:

Die Pflegeeinrichtungen haben in den zurückliegenden drei Jahren erkennbare Anstrengungen unternommen, um die Pflegequalität in den Pflegeeinrichtungen weiterzuentwickeln. Bei vielen Qualitätskriterien lassen sich Verbesserungen nachweisen. Ein Teil dieser Entwicklungen ist auch auf die Wirkung der Arbeit des MDK zurückzuführen. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Pflege nach wie vor ein Qualitätsproblem hat, aus dem sich ein erheblicher Optimierungsbedarf in den ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen ergibt.

“Spiegel Online” schaffte es immerhin, einen zweiten Artikel hinterherzuschieben, wo man unter der Überschrift “Pflege verbessert – Probleme bleiben” folgendes lesen kann:

“Die Pflege-Schande”, titelt die “Bild”-Zeitung heute und prangert die skandalösen Missstände in deutschen Altenheimen an. Die Prüfer der Krankenkassen sind überrascht: Denn seit ihrem letzten Bericht hat sich die Lage fast überall verbessert – auch wenn die Probleme bleiben.

Leider ist diese partielle Richtigstellung im ersten Artikel, wo “Spiegel Online” noch munter den “Bild”-Blödsinn zitiert, nicht verlinkt.

Regelrecht reflektiert wirkt da schon der Artikel bei “RP Online”:

Der jüngste Prüfbericht des Medizinischen Dienstes zeige, dass es in den vergangenen Jahren bei allen wichtigen Versorgungskriterien Verbesserungen gegeben habe, wenn auch auf niedrigem Niveau. “Die Pflege hat nach wie vor ein Qualitätsproblem”, räumte Gerdelmann ein. […] Dies bedeute aber nicht, dass es einen “Pflegeskandal” gebe.

Und so haben wir seit gestern zwei Skandale in Deutschland: Die von der “Bild”-Zeitung ausgerufene “Pflegeschande”, bei der genau genommen natürlich jeder Fall von unzureichender Behandlung schrecklich und skandalös ist, und die kaum wahrgenommene, leider auch kaum noch überraschende Tatsache, dass die Verfechter des Qualitätsjournalismus lieber schnell irgendwas weiterplappern, als nur mal für zehn Minuten selbst zu recherchieren.

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Vor-“Bild”

Vor zwei Monaten hatte ich mal in einem Nebensatz fallen lassen, dass sich “Bild” und “Rheinische Post” nicht mehr groß inhaltlich unterscheiden, seit die “RP” einen Chefredakteur (Sven Gösmann) und einen Online-Chef (Oliver Eckert) hat, die beide zuvor bei “Bild” aktiv waren. Ich hatte mich längst damit abgefunden, dass die “RP” die etwas kleinformatigere, dickere (und teurere) Rheinland-Ausgabe von “Bild” ist. Jetzt musste ich aber feststellen: Vergiss die “Rheinische Post”, sie sind überall!

Heute steht in “Bild” und bei “Bild.de”:

Brötchen-Millionär Heiner Kamps spricht in BILD: Darum ging ich nicht zu Gülcans Hochzeit

Der Artikel ist übrigens einigermaßen amüsant. Welcher Sohn möchte von seinem Vater drei Tage nach der (ersten) Hochzeit nicht einen Satz wie diesen hören lesen?

„Aber ich denke, dass Sebastian durch diese Erfahrungen schlauer geworden ist. Das wird er bestimmt nicht wieder machen.“

Darum soll es aber gar nicht gehen. Auch nicht um den grundsätzlichen Nachrichtenwert dieser Meldung (Stichwort “Sommerloch”). Aber vielleicht darum:

Gülcan-Hochzeit: Jetzt spricht Heiner Kamps

Der Artikel bei “RP Online” ist eigentlich nur eine leicht gekürzte Version des “Bild”-Artikels mit ein bisschen mehr indirekter Rede. Damit ist man aber nicht alleine: Die Zitate von Heiner Kamps gingen über die Agenturen und tauchten anschließend bei “die-news.de”, “Focus Online”, “europolitan.de” und (natürlich) “Spiegel Online” auf. Und auch die nächste “Bild”-Meldung tickert gerade munter durchs Land:

Ex-Terroristin Mohnhaupt will Namen ändern

Es ist ja schon mal eine Weiterentwicklung, dass “Bild” inzwischen “Ex-Terroristin” schreibt. Die Meldung dazu ist übrigens denkbar unspektakulär und geht so (ungekürzt):

Karlsruhe – Die im März nach 24 Jahren Haft auf Bewährung entlassene Ex-RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt (58, Foto) will eine neue Identität:

Nach BILD-Informationen aus Justizkreisen hat sie eine Namensänderung beantragt.

Mohnhaupt, die von der Bewährungshilfeorganisation „Neustart“ betreut wird, lebt im Süden Deutschlands.

Und soll dort eine Anstellung in einer Autoteilefabrik erhalten haben. (koc)

Und was macht “RP Online”?

Nach Entlassung aus der Haft: Neue Identität für Ex-Terroristin Mohnhaupt?

Immerhin: Hier wird das vermeintliche “Bild”-Fakt in der Überschrift hinterfragt. Was sagt der Text?

Hamburg (RPO). Im März wurde die ehemalige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt nach 24 Jahren aus der Haft entlassen. Einem Medienbericht zufolge hat sie nun eine Namensänderung beantragt, um ein neues Leben beginnen zu können.

Mohnhaupt, die von der Bewährungshilfeorganisation “Neustart” betreut werde, lebe im süddeutschen Raum und habe dort eine Anstellung in einer Autoteilefabrik erhalten, berichtet die “Bild”-Zeitung.

“Schreibe wörtliche in indirekte Rede um”, hieß die Aufgabenstellung in Deutsch-Klassenarbeiten der achten Klasse. Heute nennt man das wohl “Qualitätsjournalismus”