Hier klicken, um den Inhalt von www.coveritlive.com anzuzeigen
Vielleicht ist es ein grundsätzlicher Fehler, sich mit “TV Total” überhaupt auseinandersetzen zu wollen. Dieser allenfalls noch lauwarmen Mischung aus Resteverwertung und Crosspromotion, die inzwischen in etwa so schlimm ist wie das Unterschichtenfernsehen, das beim Start der Sendung vor neuneinhalb Jahren noch in den Einspielern zu sehen war. Dieser Show, die zuletzt Aufmerksamkeit erregte, weil sich ein Kandidat ins Studio erbrach. Aber weil ich die Sendung gestern Abend versehentlich gesehen habe, will ich mich doch mal kurz aufregen:
Vorgestern wurden die Spielorte für die Frauenfußball-WM 2011 in Deutschland bekannt gegeben — und Mönchengladbach und Bochum sind dabei!
Das Thema Frauenfußball finden die Gag-Autoren (und ich habe lange überlegt, ob ich das Wort in Gänsefüßchen packen soll, fand das dann aber zu Leserbrief-mäßig) von “TV Total” sowieso total lustig, weil sie da immer ihre Lesben-Witze, die Hans-Werner Olm und Jürgen von der Lippe seit Mitte der Achtziger unbesehen zurückgehen lassen, unterbringen können. Für gestern hatte man sich aber folgendes ausgedacht: Raab, der seine Witzchen wie immer mit einer “Scheißegal”-Haltung, bei der Harald Schmidt neidisch würde, von Pappen abzulesen versuchte, sollte immer wieder auf die Meldung zu sprechen kommen, aber bevor er die Spielorte vorstellen konnte, sollte immer irgendeine “total wichtige Eilmeldung” von der Sorte “Sack Reis in China umgefallen” eingeschoben werden. So unwichtig ist Frauenfußball nämlich, ha ha. Zusätzlich wurden zwei hässliche Männer als Mannsweiber kostümiert, “Birgit Prinz” und “Kerstin Garefrekes” genannt und immer wieder für später als Gäste angekündigt, wobei für ihren Auftritt am Ende – ha ha – natürlich keine Zeit mehr blieb.
Dass die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen seit 1997 fünf internationale Titel gewonnen hat (zum Vergleich: die der Männer im gleichen Zeitraum null) — geschenkt. Es geht mir auch noch nicht mal um den unverholenen Sexismus, der solche Aktionen durchweht (der disqualifiziert die Macher der Sendung selbst laut genug). Es ist nur einfach so, dass solche Einlagen nicht mal lustig wären, wenn Raab sie in einem Clownkostüm und einem auf die Stirn getackerten Schild mit der Aufschrift “Lustig! Lachen” vortragen würde.
Allein zur Meldung, dass in den Stadien von Borussia Mönchengladbach und dem VfL Bochum Fußballländerspiele stattfinden sollen, fielen mir als Gladbach-Fan und Bochum-Sympathisant ein Halbdutzend Witze über die derzeitige Situation bei den beiden Mannschaften ein. Auch die Spielorte Augsburg, Dresden, Leverkusen, Sinsheim und Wolfsburg böten genug Möglichkeit, sich wenigstens über die Städte lustig zu machen, wenn man schon doof irgendwas bashen will. Sich irgendwas Witziges zu dem Thema auszudenken, ist erstens nicht schwer und zweitens Aufgabe von einem Haufen von Gag-Autoren.
Und dann die Nummer mit den “vergessenen Gästen”, die jegliches Timing vermissen ließ: Natürlich ist die auch noch schlecht geklaut, denn der Gag bei Jimmy Kimmel besteht ja darin, einen Weltstar zu “vergessen” und nicht nachgebaute Vertreterinnen einer Sportart, die medial sowieso nicht gerade überrepräsentiert ist. Wenn die Nummer überhaupt zu irgendwas taugte, dann als abschreckendes Beispiel.
Aber es sind ja nicht nur die Autoren. Die können sich viel erlauben, weil es in Deutschland sowieso keine guten Comedy-Shows als Konkurrenz gibt und der Humor der Deutschen nicht umsonst weltweiten Spott genießt. Es ist auch der Moderator, dem seine eigene Sendung so völlig egal ist, dass die besten Lacher in dem Moment entstehen, wenn es ihm selbst auffällt. Stefan Raab ist sicher ein verdienstvoller TV-Schaffender (vermutlich der Wichtigste in diesem Jahrzehnt), aber “TV Total” ist ein völliges Desaster.
Alles, wirklich alles an der Sendung ist schlimm: der Standup; die Ausschnitte, die inzwischen weitgehend unkommentiert und reflektiert abgenudelt werden; die Einspieler mit lustigen Straßeninterviews, die erstens soooo 1998 sind und bei denen zweitens die Fragen in der Nachbearbeitung von diesem Mann mit der ach-so-lustigen Stimme vorgelesen werden; die Gäste, die Raab völlig egal sind, und über die er die Hintergrund-Infos allenfalls während der Show liest.
Alle paar Wochen, wenn Tiere zu Gast sind oder die Hersteller von Elektrorollern, ist Raab bei der Sache. Dann macht es ihm Spaß und mit ein wenig Glück kommen dabei wirklich lustige, bisweilen brillante Aktionen rum. Wenn irgendein Redakteur Wert darauf legen würde, unterhaltsames Fernsehen zu produzieren, würde er an genau der Stelle ansetzen. Aber so lange ProSieben die Verträge trotz sinkender Quoten verlängert, scheinen alle zufrieden zu sein. Und wenn die einzige “Konkurrenz” ungefähr drei Mal im Jahr unter dem Titel “Schmidt & Pocher” versendet wird, ist das sogar fast nachzuvollziehen. Zuschauer, die echte Late-Night-Unterhaltung wollen, sehen sich eh die US-Originale im Internet an.
Eigentlich sitze ich gerade an einem Text, in dem ich mal besonders gelungenen Journalismus vorstellen möchte. Dann allerdings bekam ich den Link zu einem YouTube-Video geschickt, das eine solch erschütternde Journalismusattrappe zeigt, dass ich (nachdem ich eine Viertelstunde zu den Klängen von Thursday mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe) mich erst einmal darüber auskotzen muss.
Das Video zeigt einen Beitrag aus der gestrigen Ausgabe von “Explosiv – Das Magazin” auf RTL, hat also genau genommen gar nichts mit Journalismus am Hut. Allerdings haben 1,79 Millionen Menschen diese Sendung gesehen und die Vorstellung, dass auch nur einer diese Infotainment-Parodie ernst genommen haben könnte, macht mir Angst.
Es ging um Emos und weil viele Zuschauer vielleicht nicht wissen was das ist (Chance zum schlechten Witz mit australischen Laufvögeln verpasst), erklärt die Moderatorinnendarstellerin das Ganze noch mal kurz:
“Emo” kommt von “emotional” und Teenager, die dieser Bewegung anhängen, kleiden sich merkwürdig.
Außerdem neigten die Jugendlichen zu Depressionen, ritzten sich teilweise die Haut auf und überhaupt habe der Reporter einen Fall gefunden, “wo ein junger Mann sich umgebracht haben soll”.
Dann geht’s los mit blutigen Bildern, entsetzten Eltern und jovialen depressiven Jugendlichen.
Von dem jungen Mann, der “sich umgebracht haben soll” (also er ist tot, nur ob das mit Emo zusammenhängt, ist nicht klar: er “war wahrscheinlich ein Emo”), wird ein (natürlich unverpixeltes) Bild gezeigt, das er vor seinem Tod “in ein Emo-Forum ins Internet gestellt” hat. Wir müssen also ganz am Rande auch noch annehmen, dass RTL mal wieder Witwenschütteln 2.0 betrieben hat.
Das Bild zeigt – und jetzt kommt’s – einen grimmig dreinschauenden jungen Mann mit Palästinensertuch vor einem Poster, das wenn ich mich nicht sehr irre, die Metalband Metallica zeigt. D’oh! Weniger Emo geht nun wirklich kaum.
Er trägt das typische Emo-Tuch, ‘Pali’ genannt.
Journalisten hätten sich vielleicht die Mühe gemacht, den Ursprung der Emo-Bewegung zu erklären. Man hätte sehr weit ausholen und bis zu Embrace (US), Rites Of Spring, Fugazi und The Promise Ring gehen können, wenn man sich mit der ursprünglichen Emo-Szene unter musikalischen Aspekten hätte beschäftigen wollen, man hätte aber wenigstens über Unsicherheit, Einfühlungsvermögen und Hoffnungslosigkeit sprechen können. Im Feuilleton hätte man Parallelen zum Sturm und Drang, der Jugendbewegung der 1770er Jahre, geschlagen, in jedem Fall hätte man aber sagen müssen, dass der Begriff “Emo” in etwa so schwammig sei wie der des “Jugendlichen” und dass man sich im folgenden auf einen kleinen Kreis beschränken und holzschnittartige Verallgemeinerungen auffahren müsse. Dafür aber war in einem Sechsminüter kein Platz.
Das Wort “Emo” war also im folgenden ein Platzhalter für “merkwürdig gekleidete Jugendliche, die sich alle immer die Arme aufschneiden, was wir aus dem Internet wissen, die das aber vor unserer Kamera nicht zugeben wollen”.
RTL machte aber nicht nur so grobe inhaltliche Fehler, der Beitrag war bis ins kleinste handwerkliche Detail schlecht. Immer wieder wurden in Großaufnahme die gleichen sensationslüsternen Bilder von aufgeschnittenen Gliedmaßen gezeigt, die wer-weiß-woher stammten. Ja, sie haben es noch nicht einmal geschafft, Texteinblendungen und Off-Sprecher auf eine Linie zu kriegen: zu den aus dem Kontext irgendeines “Emo-Forums” gerissenen (und offenbar in MS Paint gesetzten) Worten “es ist allen SCHEIß EGAL!!!!” sagt die um Bedeutungsschwere und Dramatik bemühte RTL-Standardstimme, es sei “alles” scheißegal.
Der aufgetane Psychologie Dr. Christian Lüdke wirft Emos und Satanisten munter in einen Topf, spricht von der “Faszination des Abscheulichen” und sagt, Emos wollten “provozieren”. Als nächstes erklärt der Sprecher, “sie” (es geht also in jedem Moment um ausnahmslos alle Emos) seien “beziehungsgestört, aber sie demonstrieren Nähe”. Ähnlich informativ wäre es zu behaupten, Menschen seien allesamt weiblich, hätten blaue Augen und ein Bein: alles trifft ja sicher in einigen bis etlichen Fällen zu, wer würde sich da noch mit Rasierklingenspalterei aufhalten wollen?
Sie sind lieb zueinander und geben sich harmlos vor der Kamera – doch im Internet zeigen sie ihre wahren Abgründe: ich lebe, doch eigentlich bin ich schon tot.
Eine Mutter ist der Meinung, dass es andere Dinge gäbe, die Jugendliche machen könnten, als zusammen zu ritzen, zu saufen und zu kiffen. Ich muss zugeben, das Bild, das in diesem Moment in meinem Kopf entstand, hatte was: zwanzig misanthropische Straight-Edger sitzen zusammen in einem elterlichen Wohnzimmer, trinken Hansa-Pils, rauchen Gras und sägen – alle zusammen und jeder für sich – an ihren Unterarmen rum.
Es gibt vielfältige Beweise dafür, dass Emos zur Selbstverstümmelung neigen.
Diese “Beweise” sind irgendwelche Bilder mit morbider Szenerie: von der Decke baumelnde Körper, verwahrloste Mädchen, die Herzen auf eine Wand malen, Rasierklingen in der Unterlippe. Oder mit anderen Worten: alles, was die Google-Bildersuche nach dem Begriff “Emo” so hergab.
Eine zugegebenermaßen gelungene Szene ist der Dialog zwischen drei Emo-Mädchen und einem Styler, bei dem die Ach-so-Einfühlsamen plötzlich gar nicht mehr so genau erklären können, was sie eigentlich sind und sich händchenhaltend in eine hilflose Diskussion stürzen, die sie anschließend als “typisch” bezeichnen.
Hier wäre die Gelegenheit gewesen, das, was heute “Emo” genannt wird, als die Pose zu entlarven, die sie oft genug nur noch ist. Als Bricolage aus Punk, Gothic, Visual Kei, Rockabilly und Hello Kitty. Stattdessen wird die anti-aufklärerische Panikmache noch auf die Spitze getrieben.
Emos: offenbar eine typische Erscheinung der Pubertät. Leichtfertig wird hier mit der Selbstverstümmelung kokettiert. Und es gibt viele Jugendliche, die das toll finden, die ziemlich naiv in diese Sackgasse tappen.
“Naiv” und “Sackgasse” sind freilich Begriffe, die für diesen unfassbaren Beitrag noch wohlwollend wären.
Liebe Eltern, die Sie jetzt denken “Hilfe, mein Kind ist Emo! Wie krieg ich die Beerdigung bezahlt?”: bitte glauben Sie nicht diesen enthirnten Schwachsinn, den RTL gestern Abend in Ihre Kacheltisch-Wohnzimmer gesendet hat. Wenn Sie ungefähr verstehen wollen, was Emo ist, Sie also Ihr Kind verstehen wollen, greifen Sie bitte zu “Everybody Hurts” von Leslie Simon und Trevor Kelley. Dafür müssen Sie etwas Englisch können, aber hinterher wissen Sie wenigstens, worum es geht.
Kaum weist der Kalender zwei fußballfreie Tage auf, haben RTL und ProSieben ihren ganzen Mut in die Waagschale geworfen ((Es handelt sich um eine sehr fein justierte Waage aus dem Betäubungsmittelzubehörfachgeschäft.)) und etliche Serien- und Staffelstarts auf diese zwei Abende gelegt.
“24” habe ich nie gesehen und wenn ich den Menschen, denen ich in solchen Belangen blind vertraue, vertrauen darf, sollte ich besser die erste Staffel sehen. “Moonlight” interessiert mich nicht die Bohne und “Dr. Psycho” habe ich zu Beginn ziemlich genau anderthalb Folgen ertragen, dann war für mich Schluss. Die Serie wurde hoch gelobt, mit Grimmepreisen ausgezeichnet und trotzdem fortgesetzt, aber sie ist nichts für mich – aus den gleichen Gründen, warum ich mir “Stromberg” und “Dittsche” nicht ansehen kann: dieses ganz offensichtliche Scheitern, das sich aus zweihundert Metern Entfernung mit Leuchtfeuern ankündigt, macht mich wahnsinnig. Ich habe es als Kind im Kindertheater gehasst ((Falls Sie sich fragen, ob ein Kind überhaupt hassen kann, hatten Sie offenbar das Glück, dass ich fern von Ihnen aufgewachsen bin.)), wenn ein Stück nur allzu deutlich auf eine Katastrophe zusteuerte und das alle außer den Akteuren bemerkten, und ich hasse es noch heute.
Demnach müsste ich auch “Doctor’s Diary” hassen, die neue Serie, mit der RTL gerade den letzten Versuch unternimmt, eine deutsche Serie im Abendprogramm zu platzieren. Und in der Tat gab es in den ersten beiden Folgen, die am Montag liefen, einige Szenen, in denen dieser Wegschau-Reflex aus dem Kindertheater wieder aufkam: “Gleich wird dieses und jenes passieren, das sieht jeder, der nicht gerade als Schiedsrichter bei der Fußball-EM arbeitet, Ihr braucht es nicht auch noch zu zeigen.” Manchmal passierte es dann, manchmal aber auch nicht. Und es passierte noch so viel mehr, dass das Vorhersehbare sehr schnell egal war angesichts der witzigen Einfälle. Es war, als hätte jemand “Scrubs” und “Mein Leben und ich” bei hoher Temperatur zu amalgamieren versucht – und der Versuch war gelungen. Ganz nebenbei schaffte es die Serie mit Verweisen auf die “Schwarzwaldklinik” und “Dr. Stefan Frank”, meiner festen Überzeugung, es gäbe in Deutschland keine Popkultur, leichte Kratzer beizubringen.
Gescheitert wird auch bei ProSieben am Dienstag, zum Beispiel in “Gülcan und Collien ziehen aufs Land”, der möglicherweise dämlichst betitelten Serie seit … “Doctor’s Diary”. Andererseits erklärt der Titel, worum es geht, so dass man nicht einschalten muss. Ich habe auch nur ein paar Minuten gesehen, die mir wiederum gereicht haben: zwei Viva-Starlets, die beide unheimlich nerven, tun so, als wären sie Paris Hilton und Nicole Richie, was sie aber nicht sind, weswegen jede (von mir gesehene) Szene der Serie künstlich und auf Konflikt gebürstet wirkte. Doku-Soaps sind eh ein Genre, das mich – so es sich nicht um “Toto und Harry”, “Das perfekte Promi-Dinner” oder irgendwas mit kleinen Eichhörnchen und Katzen handelt – nur äußerst peripher tangiert. Mir fehlt einfach das, was Hans Hoff die “Lust am Unfall” nennt. ((Es wäre für mich kein Problem, mich 24 Stunden am Tag mit dem Schlager-Grand-Prix zu beschäftigen, bei dem alles immer eine Nummer größer und oft genug zum Scheitern verdammt ist. Der Grand Prix ist camp, ist eine eigene Welt, in der allen Beteiligten klar ist, dass es sich um ein Paralleluniversum handelt. Aber “Schwiegertochter gesucht”, “Bauer sucht Frau” oder das Bügelbegleitprogramm am Vormittag erzeugen in mir eine Mischung aus Mitleid, Fremdschämen und Fluchtinstinkt, die ich außerhalb von Familienfeiern nicht erleben muss.))
Unfälle gab es hingegen bei “Elton vs. Simon – Die Show”, die ich auch ungefähr zehn Minuten ausgehalten habe. Das Amalgam besteht hier aus “Schlag den Raab” und “Jackass” und bringt mit Elton und Simon Gosejohann gleich zwei gute Abschaltargumente mit. Dass die Sendung auch noch von Johanna Klum “moderiert” wird, die laut einhelliger, von mir geteilter Medienjournalistenmeinung zwar “süüüüüß” ist, aber laut ebenso einhelliger, von mir nicht minder geteilter Medienjournalistenmeinung fast so schlecht moderiert wie Marco Schreyl, macht die Sache nicht besser. Ich mochte die pubertären “Wer kann länger/schneller/lauter $eklige_Sache machen”-Spiele nicht, als die Sendung noch keine “Show” war und ich mag sie auch nicht vor Publikum.
An den zwei Tagen fiel für mich außer “Doctor’s Diary” und der neuen Staffel von “Kalkofes Mattscheibe” also nicht all zuviel ab, aber allein der Umstand, dass mir mal wieder eine deutsche Fiction gefallen hat, ist einen kleinen Freudentanz und einen ausufernden Blog-Eintrag wert. Ich bin daher sehr gespannt, wie RTL trotz guter Quoten ein Argument für eine Absetzung finden will. Vielleicht diesmal ganz aufrichtig: “Uns ist zu Ohren gekommen, dass Herr Lukas Heinser diese Serie gut findet. Wir werden sie deshalb mit sofortiger Wirkung aus dem Programm verbannen.”
Heute wäre ich wirklich gerne mal Mäuschen in den Räumen von ProSieben. Denn egal, wie gut die Quoten des großen Finales der dritten Staffel “Germany’s Next Topmodel” ausfallen werden: es wird diskutiert werden.
Seit Mitte April kursierte eine Liste, welche Kandidatin wann ausscheiden wird, im Internet zirkulierte. ((Zwar sind Wanda und Carolin nicht in einer Folge gemeinsam rausgeflogen, wie es die Liste prophezeit hatte, aber ich würde nicht ausschließen, dass der Sender die Zeit genutzt hat, um die letzten Episoden noch ein bisschen so umzuschneiden, dass die Liste wenigstens in diesem einen Punkt nicht ganz stimmte.)) Die Folgen, die in aller Welt und zuletzt in Los Angeles spielten, waren da wohl längst im Kasten.
Am 22. Mai schrieb die Berliner “B.Z.” dann (online nicht auffindbar):
Jetzt erfuhr B.Z.: Jennifer soll bereits für eine große TV-Zeitschrift fotografiert worden sein – als Siegerin!
Gegen diese Theorie spricht freilich, dass die drei verbliebenen Kandidatinnen meiner Meinung nach allesamt nicht über genug Schauspieltalent verfügen, um in der gestrigen Aufzeichnung so überrascht tun zu können.
Gestern um 18:17 Uhr stand dann aber bei dernewsticker.de, dass Jennifer das soeben aufgezeichnete Finale gewonnen hatte – dabei hatte man sich bei ProSieben offenbar noch die Mühe gemacht, eine automatisierte Verbreitung der Gewinnerin wie im letzten Jahr zu vermeiden.
Aber dann war da noch die offizielle ProSieben-Website zur Sendung, die nach dem gestrigen Finale für mindestens eine Stunde so aussah:
(Lena Gercke ist die Gewinnerin der ersten “Topmodel”-Staffel.)
Ansonsten bot der Abend mittelgute Unterhaltung in schwacher Qualität. Während die einzelnen Episoden von “GNTM” sonst nicht ganz lieblos produziert waren und mit dem einen oder anderen Augenzwinkern aufwarteten, wirkte das aufwändige Finale wie die dritte Stellprobe einer durchschnittlichen Samstagabendshow: die Bildregie war anscheinend nicht besetzt (Heidi Klum: “Jennifer, Du bist weiter!”, Schnitt auf – Janina), manche Schnitte waren so hart und offensichtlich, dass sie jedem Laien auffallen mussten. Dafür hatte man die schlimmsten Verhedderungen in Heidi Klums “Moderation” drin gelassen – nachdrehen wäre wohl auch schwierig geworden, denn so wie die Sendung klang und aussah, gab es kein Skript.
Kurzum: Das Finale, bei den meisten Castingshows ja eh das egalste, wirkte wie irgendein beliebiger offener Kanal, kostete aber vermutlich dessen Jahresetat. Dafür gab es ständig Werbung und – wenn gerade keine Werbung lief oder eingeblendet war – Hinweise auf die Volkswagen, die alle drei Finalistinnen mit nach hause nehmen durften.
Gerade im Bezug auf die ominöse Liste sollte sich ProSieben eine Lösung einfallen lassen, wie man ähnliches in der kommenden Staffel umgehen kann. Andererseits: Auch wenn ein Großteil der Zuschauer bereits vorher wusste, wer rausfliegen und wer gewinnen würde – es war trotzdem die erfolgreichste “Topmodel”-Staffel bisher.
[teilweise via Thomas Knüwer und jovelstefan]
Eines Tages wird es Quizshow-Kulissen ohne spiegelnde Fußböden und blaue Beleuchtung geben. Heute jedoch nicht, denn bei “Power Of Ten”, dem Versuch von Vox, nach vielen Jahren mal wieder eine Quizshow im Programm zu etablieren, sieht das Studio aus wie immer. Würde da nicht Dirk Bach im Kommunionsanzug durch die Deko kugeln, könnte die Sendung auch eines der gefühlt einhundert Ratespiele in einem der dritten Programme sein.
Wissen müssen die Kandidaten nichts, wie beim guten, alten “Familienduell” müssen sie Ergebnisse von Umfragen schätzen. Allerdings geht es nicht um die Top-Antwort, welches Wort auf “-ball” endet, sondern beispielsweise um den Prozentsatz der Deutschen, die ihren aktuellen Ehepartner noch einmal heiraten würden. Würde Bach das Prozedere nicht umständlichst erklären und würde das On-Screen-Design die Auflösung nicht bis zum völligen Spannungsabfall verzögern, so wüsste der Zuschauer bald, dass die repräsentative Forsa-Umfrage “88%” ergeben hat.
Auch vermeintlich provokante Fragen wie die, ob Menschen mit einem HIV-Positiven das Schwimmbad teilen würden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei “Power Of Ten” vieles nicht zusammenpasst: das unaufgeregte Konzept und der hibbelige Dickie Bach nicht, der Aufwand und der Erkenntnisgewinn ebenso wenig. Die Sendung, deren Idee Vox aus den USA gekauft hat, dürfte für den Sender ähnlich erfolgreich werden, wie die erste Folge für die Kandidatin: sie geht mit 100 Euro nach Hause.
Power Of Ten
ab 21. April 2008
22:10 Uhr auf Vox
Uni-Seminare über Massenkultur haben den Vorteil, dass man sich “im Auftrag der Wissenschaft” Fernsehserien anschauen kann, deren Kenntnis man ansonsten vehement abstreiten würde. Ich habe also die erste Folge von “Das Model und der Freak” gesehen und geriet darüber in eine schwere Grübelei.
Das Konzept der Serie lautet: Zwei mir völlig unbekannte Models (Gottseidank, es ist ProSieben, da können es keine “Topmodels” sein, denn das sind die Sieger von Heidi Klums Casting Show) sollen zwei “Freaks” in “Topmänner” verwandeln. “Freaks”, das sind in der Welt von ProSieben Leute, die Tennissocken, alte Sweatshirts und unmodische Frisuren tragen, an Computern herumschrauben und vielleicht auch noch bei ihrer Mutti wohnen. Vor wenigen Jahren, vor dem Siegeszug der Metrosexualität, hätte man sie schlicht “Männer” genannt.
Diese Männer, die der Off-Sprecher mit ekelerregender Penetranz als “Freaks” bezeichnet, werden zunächst ein bisschen öffentlich vorgeführt, dann machen die Models mit ihnen ein “Selbstbewusstseinstraining”, das jeder Heizungsmonteur glaubwürdiger hinbekommen hätte, und schließlich werden sie “umgestylt”.
Zugegeben: Nach ihren Friseurbesuchen sahen die beiden Kandidaten wirklich deutlich ansprechender aus und wirkten auch gleich ganz anders – eine Szene, die mich doch darüber nachdenken ließ, mein Gestrubbel auch mal wieder von denen richten zu lassen, die das können, was nur Friseure können. Möglicherweise war das, was man bei Tobias (21) und Thomas (27) sah, sogar echte Selbstsicherheit, die da plötzlich aufkeimte. Ich würde es ihnen wünschen, denn die beiden wirkten sehr sympathisch (und auch am Ende noch recht natürlich).
Zuvor hatten die beiden aber mehrfach meinen Beschützerinstinkt geweckt und in mir das Bedürfnis aufkommen lassen, den Zynismus dieser bunten Fernsehwelt zu geißeln. Was für eine “Moral” soll das denn bitteschön sein, wenn junge Fernsehzuschauer, die gesellschaftlich aus was für Gründen auch immer außen stehen und die wir “Nerds”, “Geeks” oder “Informatiker” nennen wollen (ProSieben nennt sie bekanntlich “Freaks”), vermittelt bekommen, man müsse sich nur auf Kosten eines Fernsehsenders ein bisschen herausputzen lassen und schon lernt man die Frau fürs Leben kennen oder kann endlich von Mutti wegziehen?
Da mache ich gerne mal einen auf Evangelische Landeskirche, oder wie hauptberufliche Bedenkenträger sonst heißen, und stelle ein paar Vokabeln zur Selbstmontage einer lautstarken Empörung zur Verfügung: “zynisch”, “menschenverachtend”, “oberflächlich”, “innere Werte”, “materialistische Gesellschaft”, “geschmacklos”, “Gleichschaltung”, “öffentliche Zurschaustellung”, …
Im Ernst: Ich weiß nicht, was ich von dieser Sendung halten soll. Wenn sich die Kandidaten am Ende wirklich wohl in ihrer Haut und den fremden Klamotten fühlen, war es für sie vielleicht ein Erfolg. Andererseits besteht die Gefahr, dass man auch auf die optisch gerelaunchten Männer zeigen wird, wenn man sie in der Stadt erblickt, und sagen wird: “Mutti, sieh mal: Da ist der Freak aus dem Fernsehen!” Die Aufmachung der Sendung ist mit “grenzwertig” ganz gut charakterisiert und das (nicht mal neue) Konzept dahinter viel zu schwarz/weiß.
Ich bin jetzt Wir-Sind-Helden-Hören: “The geek shall inherit the earth”.
Ist ja schön und gut, ProSieben, dass Ihr auf einen neuen Sendeplatz wechselt und mir das mitteilt. Aber warum muss das mit einem Textbalken mitten im Bild sein, der die ganze Zeit über zu sehen ist? Außer bei Werbung und eigenen Trailern …
Ich bin (wie vermutlich sechs Milliarden andere Bundesbürger) seit einigen Jahren Besitzer der Wanduhr “Rusch” aus dem Hause IKEA. Stets hing sie über meiner Tür und zeigte mir die aktuelle Uhrzeit an. Zweimal im Jahr musste ich sie abnehmen um die Zeit umzustellen, in unregelmäßigen Abständen blieb sie stehen und bekam dann eine Batterie eingesetzt, die mein Discman nicht mehr haben wollte.
Letzte Woche blieb sie wieder einmal stehen, ich tauschte die Batterie aus, stellte die richtige Zeit ein und hängte die Uhr wieder an ihren Platz. Allein: Schon nach wenigen Sekunden blieb sie wieder stehen, der Sekundenzeiger zuckte gleichmäßig, bewegte sich aber kein Stück weiter. Nach längerer Beobachtung und mehrmaligem Ab- und Wiederaufhängen fand ich heraus: Dem Sekundenzeiger fehlt die Kraft, um zwischen der halben und der vollen Minute die Schwerkraft zu überwinden. Und weil das Vorankommen des Sekundenzeigers für die weiteren Zeiger von immenser Wichtigkeit ist, bewegte sich kein Zeiger mehr, obwohl das Uhrwerk weiter schlug.
Seit gestern liegt “Rusch” jetzt neben mir auf dem Schreibtisch – und zeigt die korrekte Uhrzeit an. Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind: “Ist eine Wanduhr, die nicht mehr an der Wand hängt, noch eine Wanduhr?”, “Was nützt mir eine Uhr, die mit dem Zifferblatt zur Decke auf meinem Schreibtisch liegt, zwischen meinem Computermonitor und dem Telefon, die jeweils die aktuelle Uhrzeit anzeigen?”, “Ist es moralisch in Ordnung, eine eigentlich noch voll funktionstüchtige, aber leider körperlich etwas beeinträchtigte Uhr einfach auszusortieren wie einen Briefträger, dem der Nachbarshund beide Beine abgenagt hat?”, “Wer oder was füllt das optische Loch oberhalb meiner Tür und zeigt mir im Idealfall auch noch die Uhrzeit an?” sowie “Was nützt mir diese Erfahrung, wo ich doch gar nicht Gagschreiber einer Comedyshow im Privatfernsehen bin, wo man jetzt was von wegen ‘keinen mehr hochkriegen’ und ‘auf dem Rücken liegen’ erzählen könnte?”