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Papier ist geduldig

Ges­tern gab es gleich zwei schlech­te Nach­rich­ten im Medi­en­sek­tor: Das Stadt­ma­ga­zin „Prinz“ wird im Dezem­ber zum letz­ten Mal als gedruck­te Aus­ga­be erschei­nen und die „Frank­fur­ter Rund­schau“ mel­de­te Insol­venz an.

Sofort ging das Gerau­ne wie­der los, Print sei tot. Wahr­schein­lich konn­te man auch wie­der das Idio­ten­wort „Tot­holz­me­di­en“ lesen. Ger­ne wür­de ich die­sen Leu­ten ins Gesicht schrei­en, dass sie Unrecht haben. Das Pro­blem ist: Ich wür­de mir selbst nicht glau­ben. Das Pro­blem bin ich selbst.

Das letz­te Mal, dass ich ein Prin­ter­zeug­nis gekauft habe, war die Sep­tem­ber/Ok­to­ber-Aus­ga­be der „Spex“. Davor hat­te ich in die­sem Jahr viel­leicht fünf, sechs ande­re Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten gekauft. Nicht, weil ich die Pro­duk­te schei­ße fän­de, im Gegen­teil, aber: Wann soll ich die denn lesen?

Viel­leicht liegt es dar­an, dass ich von zuhau­se aus arbei­te – mein Weg vom Früh­stücks- zum Schreib­tisch beträgt sie­ben Meter, der Gang zur Tages­zei­tung im Brief­kas­ten wäre ein Umweg. Als ich im ers­ten Semes­ter mei­nes Stu­di­ums noch täg­lich von Dins­la­ken nach Bochum gepen­delt bin, habe ich in die­ser Zeit jeden Monat „Musik­ex­press“, „Rol­ling Stone“, „Visi­ons“ und „Galo­re“ gele­sen, dazu zahl­rei­che Bücher und an man­chen Tagen gar Zei­tun­gen. Tat­säch­lich habe ich alle Zeit­schrif­ten, die ich 2012 gekauft habe, in Bahn­hofs­ki­os­ken erwor­ben. Aber auf Zug­fahr­ten kann ich auch end­lich mal in Ruhe Pod­casts hören oder ein Buch lesen – oder halt die gan­ze Zeit auf den Bild­schirm mei­nes iPho­nes star­ren.

Es ist bescheu­ert, Tex­te auf einer Flä­che lesen zu wol­len, die klei­ner ist als mein Hand­tel­ler, und wir wer­den ver­mut­lich eines Tages alle dafür bezah­len. Aber es ist auch so herr­lich prak­tisch, in der S‑Bahn, im Café oder mor­gens noch vor dem Auf­ste­hen im Bett zu lesen, was gera­de in der Welt pas­siert. Ein Buch wür­de ich so nie lesen wol­len, aber Nach­rich­ten? War­um nicht!

Gemes­sen dar­an ist die Tages­zei­tung, die ich auf dem Weg zum Bäcker kau­fen könn­te, natür­lich alt. Dass sie des­halb über­flüs­sig sei, ist natür­lich auch so ein Quatsch-Argu­ment der Inter­net-Apo­lo­ge­ten: Schon vor 30 Jah­ren konn­te es einem pas­sie­ren, dass die „Tages­schau“ um 20 Uhr berich­te­te, was man schon im „Mor­gen­ma­ga­zin“ auf WDR 2 gehört hat­te. Es geht ja nicht nur um die rei­ne Nach­richt, son­dern auch um deren Auf­be­rei­tung. Und selbst wer den gan­zen Tag am Inter­net hängt, wird nicht alles mit­be­kom­men haben, was sich an die­sem Tag ereig­net hat. Ande­rer­seits ist der Nutz­wert einer Zei­tung, die fast aus­schließ­lich die glei­chen Agen­tur­mel­dun­gen bringt, die am Vor­tag schon auf zwei­tau­send Inter­net­sei­ten zu lesen waren, tat­säch­lich gering. Das gilt lei­der auch für eine Lokal­zei­tung, die ihre schö­nen Ent­hül­lun­gen schon vor­ab im eige­nen Web­por­tal ver­öf­fent­licht hat.

Natür­lich liest man Zei­tun­gen ganz anders als Web­sei­ten: Das Auge streift Mel­dun­gen, Über­schrif­ten und Fotos, nach denen man nie gesucht hät­te, die einen aber den­noch anspre­chen kön­nen – nicht sel­ten zur eige­nen Über­ra­schung. Ich lie­be gut gemach­te Zei­tun­gen, trotz­dem lese ich sie nicht. Ich weiß auch, was gutes Essen ist, trotz­dem geht nichts in der Welt über Bur­ger, Cur­ry­wurst und Piz­za. Aber war­um bin ich, war­um sind wir Men­schen so?

Es kann mir nie­mand erzäh­len, dass die Lek­tü­re eines Tex­tes auf einem Bild­schirm (egal ob Smart­phone, Tablet oder Moni­tor) mit der eines Buchs ver­gleich­bar ist. Der Text ist der­sel­be, aber „Lek­tü­re“ ist dann offen­bar doch etwas ande­res als schlich­tes Lesen. Schon ein Taschen­buch fühlt sich nicht so wer­tig an wie eine gebun­de­ne Aus­ga­be mit Lese­bänd­chen, die digi­ta­le Text­an­zei­ge ist dage­gen ein Witz. ((Ander­seits kann eine Voll­text­su­che schon sehr, sehr prak­tisch sein.)) Aber offen­sicht­lich gibt es Men­schen, denen das an die­ser Stel­le dann viel­be­schwo­re­ne sinn­li­che Lese­er­leb­nis nicht so wich­tig ist. Ich wür­de ja auch kei­ne 20 Euro für eine Fla­sche Wein bezah­len.

Mein Ver­hält­nis zu Vinyl-Schall­plat­ten ist eher theo­re­ti­scher Natur: Ich habe nur ein paar, das meis­te sind Sin­gles, die ich aus einer Mischung von Schnäpp­chen­jagd, Witz und Sam­mel­lei­den­schaft erwor­ben habe. ((Eine spa­ni­sche Pres­sung von „Sep­tem­ber“ von Earth, Wind And Fire? Klar! Die Ori­gi­nal­auf­la­ge von San­die Shaws „Pup­pet On A String“? Brauch ich als ESC-Fan natür­lich drin­gend!)) Ich besit­ze nicht mal eine ordent­li­che Ste­reo­an­la­ge, auf der ich die Din­ger abspie­len könn­te, weiß aber natür­lich um den legen­dä­ren Ruf von Vinyl. Mei­ne Sozia­li­sa­ti­on fand mit CDs statt und ehr­lich gesagt fra­ge ich mich manch­mal schon, war­um anfäl­li­ge Schall­plat­ten bes­ser sein sol­len als die dann doch recht robus­ten Sil­ber­schei­ben. Und natür­lich sind CDs für mich viel wer­ti­ger als MP3s, auch wenn ich vie­le CDs nur ein­mal aus der Hül­le neh­me, um sie in MP3s zu ver­wan­deln. Aber MP3s sind für mich immer noch bes­ser als Strea­ming-Diens­te wie Spo­ti­fy: Da „habe“ ich ja wenigs­tens noch die Datei. Bei einem Strea­ming-Dienst habe ich Zugang zu fast allen Ton­trä­gern der letz­ten 50 Jah­re, wodurch jedes Album qua­si völ­lig wert­los wird, auch wenn ich im Monat zehn Euro dafür bezah­le, alles hören zu kön­nen. Den­noch nut­ze ich Spo­ti­fy, wenn auch eher für Klas­si­sche Musik und zum Vor­hö­ren von Alben, die ich mir dann spä­ter kau­fe. Ich gucke auch DVDs auf einem Lap­top, des­sen Bild­schirm unge­fähr Din-A-4-Grö­ße hat und des­sen Auf­lö­sung höher ist als die der DVD selbst.

Scha­det es also dem Pro­dukt, wenn das Medi­um als weni­ger wer­tig emp­fun­den wird? Ich fin­de ja. Ich habe im Inter­net gran­dio­se Tex­te gele­sen, die ich glaub ich noch bes­ser gefun­den hät­te, wenn ich sie auf Papier gele­sen hät­te. Nur, dass ich sie auf Papier nie gele­sen hät­te, weil ich sie dort nie gesucht und gefun­den hät­te. Und weil ich zu wenig Zeit habe, noch bedruck­tes Papier zu lesen, weil ich fast den gan­zen Tag vor dem Inter­net sit­ze. Es ist bekloppt!

Die meis­ten Men­schen, die ich ken­ne, haben kein beson­de­res Ver­hält­nis zu Pfer­den oder Autos, sie wol­len nur mög­lichst schnell an irgend­ei­nem Ziel ankom­men. Das Auto ist schnel­ler als das Pferd – bas­ta! Das war vor hun­dert Jah­ren schlecht für die Pfer­de­züch­ter und Huf­schmie­de, aber so ist das. Der Auto­mo­bil­in­dus­trie gin­ge es auch noch bedeu­tend schlech­ter, wenn wir end­lich alle Rake­ten­ruck­sä­cke hät­ten oder uns bea­men könn­ten.

Die meis­ten Men­schen wol­len auch ein­fach nur Musik hören. Von den Arsch­lö­chern mal ab, denen es egal ist, ob die Musi­ker dafür auch ent­spre­chend ent­lohnt wer­den, ist das völ­lig legi­tim, sie brau­chen kei­ne sie­ben CD-Rega­le in der Woh­nung und Delu­xe-Box­sets. Ihre Umzü­ge sind mut­maß­lich auch weni­ger anstren­gend.

Es gibt offen­sicht­lich Men­schen, die Bücher lesen, die kei­ne Bücher mehr sind. Auch das ist legi­tim und beim Umzug von Vor­teil. Ich kann das nicht ver­ste­hen, aber ich kann schon nicht ver­ste­hen, wie man sich Roma­ne aus der Büche­rei aus­lei­hen kann: Wenn mir ein Buch gefällt, will ich Stel­len unter­strei­chen und es anschlie­ßend, als Tro­phäe und zum Wie­der­her­vor­ho­len, im Regal ste­hen haben.

Die meis­ten Men­schen brau­chen aber offen­bar auch kei­ne gedruck­ten Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten mehr – außer, sie zie­hen gera­de um. Ich wür­de das gern eben­falls merk­wür­dig fin­den. Aber ich bin ja offen­bar genau­so.