So, jetzt hab ich mir doch mal (zum ersten Mal seit der Entdeckung Amerikas, vermutlich) den “Spiegel” gekauft. Noch nicht mal primär, weil da das sagenumwobene Schäuble-Interview drin ist, sondern wegen … Michael Wendler!
Den hatten wir hier schon mal kennengelernt, als ich Dinslaken zur zukünftigen Musikhauptstadt Deutschlands erklärte. Ganz so weit ist man beim “Spiegel” noch nicht, aber der Artikel von Thomas Schulz zählt zum Unterhaltsamsten, was ich in den letzten Monaten gelesen habe (und man sollte es beim “Spiegel” kaum für möglich halten: das scheint sogar beabsichtigt gewesen zu sein).
“Der Wendler wird eine Hysterie auslösen.” Sagt der Wendler. “Der Wendler ist einfach geil.” Sagt der Wendler. “Wenn ich nicht selbst der Wendler wäre, ich würd’ mir die ganze Zeit zu meinen Konzerten hinterherfahren.”
Der Wendler, das ist Michael Wendler, 35, gelernter Speditionskaufmann aus Dinslaken, Beruf: Schlagerstar. Obwohl der Wendler das so nie sagen würde, genau wie er nie “der Michael” sagt und selten “ich”, sondern immer nur “der Wendler”. Er würde sagen: König des Pop-Schlagers. So steht es auf seinen Plakaten, seinem Fan-Magazin, seinen Platten. Er hat sich den Begriff markenrechtlich schützen lassen.
Ich gebe zu, ich hätte den Artikel nicht an der U-Bahn-Station lesen sollen, man wird ja doch immer schief angeguckt, wenn man sich in der Öffentlichkeit kaputtlacht. Schon in der Einleitung steht “Ein Besuch in einer Parallelwelt”, und genau das ist es: Schulz macht sich nicht über sein Thema lustig, er beschreibt es nur mit dem dezent ungläubigen Blick, den man wohl draufhaben sollte, wenn man im Auftrag eines Hamburger Nachrichtenmagazins Festzelte, Dorfdiscos und den “Ballermann” auf Mallorca aufsuchen muss:
Es dauert nicht lange, dann schlappt ein Mann heran in knallroten Lederhosen und abgeschnittener Jeansjacke, er setzt sich an den Tisch, einfach so, und stellt sich vor: “Gestatten: Drews, Schlagerstar, alternd”.
Die Schlagerbranche, so der Tenor der Reportage, erlebt gerade mal wieder ein Revival – aber diesmal ohne die Helden von vorgestern und abseits der Öffentlichkeit:
Deswegen ist Andrea Berg wohl auch der unbekannteste Star im Land. Ihr “Best of”-Album hielt sich 290 Wochen in den Charts. Ihr aktuelles Album war die meistverkaufte Platte des Musikriesen Sony BMG in Deutschland im vergangenen Jahr. Sie kann inzwischen bis zu 30 000 Euro pro Auftritt nehmen. Aber das hat RTL nicht davon abgehalten, ihren Auftritt bei der Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo fast komplett herauszuschneiden.
Es lohnt sich, den Artikel zu lesen, und es lohnt sich anscheinend auch, sich mal so ein Michael-Wendler-Konzert aus der Nähe anzuschauen:
“Bei meinen Auftritten sind die Leute so rallig, die knallen sich auf den Toiletten.”
Nachtrag 20:25 Uhr: Wie mir meine Mutter soeben per E-Mail mitteilt, ist der Artikel auch online verfügbar. Das war er heute Nachmittag, als ich zum Kiosk ging, noch nicht …
Nachtrag, 20. Juli: Jetzt ist der Artikel natürlich wieder offline bzw. kostenpflichtig. Können die sich mal entscheiden?