Kategorien
Musik Rundfunk Leben

Wenn wir wirklich Freunde wären

Damit war nicht zu rech­nen gewe­sen: Heu­te ist der 20. Jah­res­tag der legen­dä­ren Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz und weder „Spie­gel Online“ (wahl­wei­se bei „Eines Tages“ oder „Ben­to“) noch Bild.de oder „Buzzfeed“ berich­ten dar­über. Ein­zig die „Gos­lar­sche Zei­tung“ erin­nert in ihrem „Kalen­der­blatt“ an den denk­wür­di­gen Ver­such, eine zer­strit­te­ne Girl­band auf offe­ner Büh­ne vor der ver­sam­mel­ten WeltPres­se zu ver­söh­nen – ein Ver­such, der gran­di­os schei­ter­te, weil sich die drei Mit­glie­der am Ende beschimpf­ten und teil­wei­se wei­nend das Podi­um ver­lie­ßen.

[Anschwel­len­de Musik, Gui­do-Knopp-Bedeu­tungs­brum­men]

Eine Pres­se­kon­fe­renz, die sich aber so ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Deut­schen ein­ge­brannt hat, dass sie auch 20 Jah­re spä­ter noch als Refe­renz taugt – sogar, wenn es um eine geschei­ter­te Regie­rungs­bil­dung geht.

[flot­tes 90er-Musik­bett]

An die­ser Stel­le ein kur­zes „Hal­lo!“ an unse­re fünf Leser unter 25: Tic Tac Toe waren eine drei­köp­fi­ge Girl­group aus dem öst­li­chen Ruhr­ge­biet, die mit Songs wie „Ich find‘ Dich schei­ße“, „Ver­piss Dich“ oder „War­um?“ nicht nur beacht­li­che Erfol­ge fei­er­te, son­dern auch die Gren­zen des­sen, was man im Radio und Fern­se­hen „sagen durf­te“, aus­lo­te­ten und ver­scho­ben. Bei ihrem Kome­ten­haf­ten Auf­stieg [hier Schnitt­bil­der Viva-Comet-Ver­lei­hung ein­fü­gen] wur­de das Trio aller­dings immer wie­der von der Bou­le­vard­pres­se und ent­spre­chen­den „Skan­da­len“ beglei­tet.

In der Wiki­pe­dia heißt es dazu:

Zunächst kam her­aus, dass die Alters­an­ga­ben der drei Sän­ge­rin­nen von Tic Tac Toe von der Plat­ten­fir­ma den Sän­ge­rin­nen ein jün­ge­res Alter beschei­nig­ten; bei­spiels­wei­se war Lee bereits 22 Jah­re alt, obwohl sie – laut Plat­ten­fir­ma – 18 Jah­re alt gewe­sen sein soll. Medi­al gro­ßes Auf­se­hen erlang­te die Band, als Lees dama­li­ger Ehe­mann nach Bezie­hungs­pro­ble­men Sui­zid beging. Eine Woche spä­ter wur­de bekannt, dass Lee kurz­zei­tig als Pro­sti­tu­ier­te gear­bei­tet hat­te, um mit dem Geld Dro­gen zu finan­zie­ren.

Und dann, am 21. Novem­ber 1997 lud die Plat­ten­fir­ma der Band, Ario­la, in Mün­chen zu einer Pres­se­kon­fe­renz, von der sie sich nach inter­nen Que­re­len Signal­wir­kung erhofft hat­te: Einig­keit, nach vor­ne schau­en, der Auf­bruch zu wei­te­ren Erfol­gen.

[Das Bild friert ein, wird schwarz/​weiß, her­an­zoo­men]

Doch dann kam alles ganz anders.

Die Pres­se­kon­fe­renz ist legen­där, aber bei You­Tube oder anders­wo nicht auf­zu­fin­den (dort stößt man aber auf kaum weni­ger bizar­re Medi­en­be­rich­te zur Band). Auch spä­te­re O‑Töne von Tho­mas M. Stein, als Chef der Ario­la gleich­sam Gast­ge­ber der ver­un­fall­ten PR-Akti­on und einer brei­ten Öffent­lich­keit spä­ter bekannt gewor­den als Juror der ers­ten bei­den Staf­feln von „Deutsch­land sucht den Super­star“, in denen er sich über den Her­gang der Ereig­nis­se äußert, haben es nicht ins kol­lek­ti­ve pop­kul­tu­rel­le Archiv geschafft. Die in der Wiki­pe­dia auf­ge­stell­te Behaup­tung, „Die­se Akti­on wur­de am Abend in der Tages­schau the­ma­ti­siert“, lässt sich zumin­dest für die 20-Uhr-Aus­ga­be nicht bele­gen.

Immer­hin gibt es aber ein Tran­skript, das sich auf die in die­sem Fall denk­bar seriö­ses­te Quel­le stützt, die „Bra­vo“

Aber auch wenn sich heu­te kein gro­ßer Jubi­lä­ums­be­richt auf­trei­ben lässt, wird die Pres­se­kon­fe­renz mit ihren zu geflü­gel­ten Wor­ten geron­ne­nen Zita­ten („Wenn wir wirk­lich Freun­de wären, dann wür­dest du so’n Scheiß über­haupt nicht machen!“, „Boah, ihr könnt echt gut lügen!“, „Jetzt kom­men wie­der die Trä­nen auf Knopf­druck.“) noch regel­mä­ßig her­vor­ge­kramt: Wenn die AfD eine Pres­se­kon­fe­renz abhält, wenn sich der Schla­ger­sän­ger Rober­to Blan­co und sei­ne Toch­ter Patri­cia auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se strei­ten (eine Mel­dung, die man sich jetzt auch eher nicht hät­te aus­den­ken kön­nen oder wol­len), wann auch immer sich ein „Was machen eigent­lich …?“ anbie­tet (außer natür­lich heu­te).

Als Fach­ma­ga­zin für Lis­ten, bevor jeder Depp Lis­ten ver­öf­fent­licht hat wol­len wir es uns bei Cof­fee And TV aber natür­lich nicht neh­men las­sen, die Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz in den Gesamt­kon­text des Kon­zepts „Pres­se­kon­fe­renz“ in Deutsch­land ein­zu­ord­nen.

Also, bit­te: Die sie­ben legen­därs­ten deut­schen Pres­se­kon­fe­ren­zen!

7. Gert­jan Ver­beek, 21.09.2015

6. Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, 18.02.2011

5. Chris­toph Daum, 09.10.2000/12.01.2001

4. Tic Tac Toe, 21.11.1997

3. Uwe Bar­schel, 18.09.1987

2. Gio­van­ni Trapp­a­to­ni, 10.03.1998

1. Gün­ter Schab­ow­ski, 09.11.1989

Kategorien
Gesellschaft

Der Untergang des Abendbrotlandes

Schon immer kam alles Schlech­te aus den USA: Die Mei­nungs­frei­heit, das Frau­en­wahl­recht, der Rock’n’Roll und das Fast Food. Der neu­es­te (na ja: „neu­es­te“) Angriff auf die deut­sche Kul­tur ist ein Fest, das von denen, die es bege­hen wol­len, heu­te began­gen wird: Hal­lo­ween.

Eines vor­ab: Ich has­se es, mich zu ver­klei­den. Ich habe das als Kind mit gro­ßer Begeis­te­rung getan und mei­nen Vor­rat dabei offen­bar auf­ge­braucht. Wer sicher­ge­hen will, dass ich nicht zu sei­ner Geburts­tags­fei­er kom­me, rich­tet ein­fach eine Bad-Tas­te- oder Mot­to­par­ty aus. Es kos­tet mich schon Über­win­dung, einen Anzug zu tra­gen oder Hosen, die kei­ne Jeans sind. Als ich vor sechs Jah­ren den Herbst in Nord­ka­li­for­ni­en ver­brach­te, fand ich mich aller­dings plötz­lich in einem eilig aus grü­nen Filz­bah­nen zusam­men­geta­cker­ten Ampel­männ­chen-Kos­tüm wie­der – und hat­te gro­ßen Spaß. Nie­mand kann­te mich, alle waren sehr auf­wen­dig kos­tü­miert und es herrsch­te die­se fei­er­li­che ame­ri­ka­ni­sche Ernst­haf­tig­keit vor.

Wenn ich mir aller­dings einen ame­ri­ka­ni­schen Fei­er­tag für den Import aus­su­chen dürf­te, wäre es – neben einem Natio­nal­fei­er­tag im Som­mer – Thanks­gi­ving: Die Fest­lich­keit und Gesel­lig­keit von Weih­nach­ten ohne die­sen gan­zen Geschen­kestress – die Ame­ri­ka­ner ver­ste­hen es zu fei­ern. Hal­lo­ween ist ja doch eher was für Men­schen, die sich vom Kalen­der vor­schrei­ben las­sen, wann sie mal aus­ge­las­sen fei­ern gehen kön­nen, und denen Kar­ne­val zu spie­ßig ist. ((Mein in Rhein­land­nä­he auf­ge­wach­se­nes Herz hät­te bei­na­he geschrie­ben: die für Kar­ne­val zu fei­ge sind.))

Aber gut, muss jeder selbst wis­sen, wie er sei­ne Frei­zeit ver­bringt. Fähn­chen­schwen­kend durch das Pres­se­zen­trum bei Euro­vi­si­on Song Con­test zu ren­nen, fällt bei den meis­ten Leu­ten sicher auch eher unter „Spe­cial Inte­rest“. Wir sind ein frei­es Land. Wenn ich mir aber so anschaue, wie heu­te in mei­ner Face­book-Time­line west­li­che Kul­tur auf west­li­che Kul­tur trifft, fin­de ich, dass die Kon­tak­te mit der isla­mi­schen Welt im Gro­ßen und Gan­zen doch bei­na­he har­mo­nisch zu nen­nen sind.

Auf der einen Sei­te ste­hen die Leu­te, die Hal­lo­ween mit qua­si reli­giö­sem Eifer bege­hen. Auf der ande­ren jene, die sagen, heu­te sei doch Refor­ma­ti­ons­tag und mor­gen Aller­hei­li­gen. ((Klei­ner Aus­fall­schritt zu Aller­hei­li­gen: Es kann mei­nes Erach­tens nicht sein, dass in einem Land, in dem die Tren­nung von Staat und Kir­che im Grund­ge­setz garan­tiert wird, soge­nann­te Tanz­ver­bo­te an kirch­li­chen Fei­er­ta­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Und auch nicht, dass ein Land an zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Tagen volks­wirt­schaft­lich gelähmt wird, weil am einen Tag in fünf Bun­des­län­dern, am nächs­ten in fünf ande­ren kirch­li­cher Fei­er­tag ist. Die Katho­li­ken haben schon Fron­leich­nam (wenn auch nicht über­all), also wären hier mal die Pro­tes­tan­ten dran!)) Ja, stimmt. Heu­te ist auch Welt­spar­tag (außer in Deutsch­land, das für einen Welt-Irgend­was-Tag natür­lich wie­der eine Aus­nah­me brauch­te – übri­gens wegen des Refor­ma­ti­ons­tags) und mor­gen – für die, denen die Katho­li­sche Kir­che nicht ideo­lo­gisch genug ist – Welt­ve­gan­tag. Die ver­rück­tes­ten Geis­ter könn­ten sich nicht aus­den­ken, wel­che Gedenk‑, Fei­er- und Akti­ons­ta­ge es im Lau­fe des Jah­res so gibt, aber sie wer­den offen­bar alle began­gen – man­che nur von denen, die sie aus­ge­ru­fen haben, man­che von wei­ten Tei­len der Mensch­heit, wobei durch­aus Schnitt­men­gen von Per­so­nen mög­lich sind, die am 15. Okto­ber sowohl den „Tag des wei­ßen Sto­ckes“ als auch den „Inter­na­tio­na­len Tag der Frau in länd­li­chen Gebie­ten“ bege­hen. Solan­ge nie­mand einen Refor­ma­ti­ons­tags­got­tes­dienst stürmt, um „Süßes oder Sau­res“ zu rufen, klappt das auch ganz gut.

Der durch­schnitt­li­che Deut­sche, die Volks­see­le, der Michel, Otto Nor­mal­ver­brau­cher oder – wie ich ihn heu­te aus rei­ner Bos­haf­tig­keit nen­nen möch­te – Jür­gen Six­pack hat eine pani­sche Angst davor, dass ihm sei­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät ver­lo­ren geht. Die Angst vor der „Über­frem­dung“ ist nicht auf den Islam oder Flücht­lin­ge aus Nord­afri­ka beschränkt, sie gilt auch – und ganz beson­ders – im Bezug auf die USA: Jung­ge­sel­len­ab­schie­de (bei denen ich mir tat­säch­lich staat­li­che Inter­ven­ti­on wünsch­te) statt Pol­ter­aben­de, „Han­dy“ statt „Mobil­te­le­fon“, der Weih­nachts­mann statt des Christ­kinds – Ame­ri­ka­ni­sie­rung lau­ert über­all. Oder genau­er: eine loka­le Inter­pre­ta­ti­on davon.

Mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät ist das so: Man braucht etwas, wor­an man sich hal­ten kann, wes­we­gen der Fuß­ball – eine Sport­art, die ich lie­be, die ame­ri­ka­ni­sche Sport­fans aber als stil­los und banal betrach­ten – hier so schön iden­ti­täts­stif­tend Raum grei­fen kann. Ansons­ten sieht’s näm­lich so aus: Unse­re Städ­te sehen fast alle gleich trü­be und grau aus, so wie Städ­te eben aus­se­hen, wenn sie sehr schnell und bil­lig wie­der auf­ge­baut wer­den müs­sen, weil sie in Schutt und Asche lagen, nach­dem es Deutsch­land mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät wirk­lich auf die Spit­ze getrie­ben hat­te. Unse­re Ein­kaufs­stra­ßen sehen gleich aus, weil sie mit den immer­glei­chen Filia­len deut­scher Groß­bä­cker, Dro­ge­rie- und Super­markt­ket­ten, bri­ti­scher Kör­per­pfle­ge­mit­tel­her­stel­ler, ame­ri­ka­ni­scher Fast­food­ver­füt­te­rer und schwe­di­scher Beklei­dungs­händ­ler voll­ge­stopft sind.

Woh­nun­gen welt­weit sind von der Schwe­den­ma­fia uni­for­miert wor­den und müss­ten theo­re­tisch alle gleich aus­se­hen, was sie dann aber über­ra­schen­der­wei­se doch nicht tun, weil da eben immer noch Per­sön­li­ches, Indi­vi­du­el­les mit rein­kommt. Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät des Ein­zel­nen, der gleich­zei­tig Stif­ter und Rezi­pi­ent der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät einer Grup­pe ist.

Wer die Eröff­nungs- und Abschluss­fei­er der Olym­pi­schen Spie­le in Lon­don gese­hen hat, erleb­te dort einen bun­ten Rei­gen bri­ti­scher Geschich­te und – vor allem – Pop­kul­tur. Schier unend­lich der Fun­dus an aus Eng­land stam­men­den Welt­hits, Ever­greens und Meis­ter­wer­ken. Bei uns, so wur­de dann schnell geunkt, stün­den da Pur, Nena und Xavier Naidoo. ((Na ja, oder halt Kraft­werk, die Erfin­der der moder­nen Pop­mu­sik, aber nun gut.)) Das deut­sche Fern­seh­pro­gramm besteht ja auch über­wie­gend aus Kri­mi­se­ri­en und Quiz­shows (bei­des kei­ne genu­in deut­schen Pro­duk­te)

Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät Deutsch­lands nach dem zwei­ten Welt­krieg hat gleich zwei ampu­tier­te Bei­ne: Das mit dem Traum vom gro­ßen deut­schen Volk war gründ­lich schief gegan­gen, fand sei­ne Fort­set­zung aber in einer Art Light-Ver­si­on in Hei­mat­fil­men und Volks­tü­meln­dem Schla­ger, und die Leu­te, die Ber­lin in den 1920er Jah­ren zum kul­tu­rel­len Hot­spot gemacht hat­ten, waren alle ver­trie­ben oder gleich getö­tet wor­den. Bil­ly Wil­der präg­te im Kino flei­ßig das Ame­ri­ka­bild der Nach­kriegs­zeit, in Deutsch­land fei­er­te „Grün ist die Hei­de“ unglaub­li­che Erfol­ge. Die Jugend­be­we­gun­gen schwapp­ten in der Fol­ge­zeit fast alle aus den USA oder Groß­bri­tan­ni­en nach Deutsch­land und mit ihnen der seit­her andau­ern­de Unter­gang des Abend­lan­des – oder prä­zi­ser viel­leicht: des Abend­brot­lan­des.

Zuvor waren die einst heid­ni­schen Gebie­te des heu­ti­gen Deutsch­lands chris­tia­ni­siert wor­den. Die Gotik war aus Frank­reich gekom­men, die Renais­sance und der Barock aus Ita­li­en. Ohne die­se äuße­ren Ein­flüs­se hät­ten die Bom­ben der Alli­ier­ten allen­falls spät­mit­tel­al­ter­li­che Fach­werk­häu­ser, ver­mut­lich eher irgend­wel­che Stein­zeit­höh­len tref­fen kön­nen. Eine Zeit­lang galt es im Bür­ger­tum als aus­ge­spro­chen chic, Mas­ken­bäl­le vene­zia­ni­scher Prä­gung abzu­hal­ten. Geh­we­ge nann­te man „Trot­toir“, ((Kein Mensch, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de in einem deut­schen Satz das Wort „side­walk“ benut­zen.)) Abor­te „Toi­let­te“.

Über­spitzt gesagt ist der Inbe­griff von Kul­tur in Deutsch­land immer noch Bay­reuth, dabei sind die Wag­ner-Fest­spie­le auch nur eine Art geho­be­ner Kar­ne­val: Men­schen, die allen­falls den Schluss­satz von Beet­ho­vens Neun­ter von Mozarts „Klei­ner Nacht­mu­sik“ aus­ein­an­der­hal­ten kön­nen, ver­klei­den sich einen Abend als kul­tur­in­ter­es­sier­te Bil­dungs­bür­ger.

85 Pro­zent mei­ner eige­nen kul­tu­rel­len Iden­ti­tät sind von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur geprägt, der Rest von von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur Gepräg­ten. Ja, ich mag kei­ne fran­zö­si­schen Fil­me und ein gut sor­tier­ter und gut gefüll­ter HMV löst in mir mehr Glücks­ge­füh­le aus als die Six­ti­ni­sche Kapel­le. Ich wür­de einen Urlaub im ver­reg­ne­ten Schott­land (und das dor­ti­ge Pub Food) jeder­zeit einem Aus­flug ans Mit­tel­meer vor­zie­hen.

Aber ich stei­ge nicht empört auf die Bar­ri­ka­den (fran­zö­si­sche Spe­zia­li­tät), wenn Men­schen Ita­lie­nisch­kur­se in der Volks­hoch­schu­le besu­chen, bei Aldi den etwas teu­re­ren Rot­wein kau­fen und ihren Urlaub in der Tos­ca­na ver­brin­gen wol­len.

Kategorien
Musik

The Second Great Depression

War­um eigent­lich Semiso­nic?

Ich habe kei­ne Ahnung, ob es tat­säch­lich irgend­wel­che wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen zu dem The­ma gibt, aber die Ver­weil­dau­er eines durch­schnitt­li­chen Pop­al­bums im Leben eines Musik­re­zi­pi­en­ten dürf­te eher in Mona­ten, als in Jah­ren zu mes­sen sein. Zwar ermög­li­chen es uns die immer grö­ßer wer­den­den Spei­cher der MP3-Play­er-Tele­fo­ne, qua­si unse­re gesam­te musi­ka­li­sche Bio­gra­phie in der Hosen­ta­sche her­um­zu­tra­gen, aber wie weit gehen wir da schon zurück?

Alben, die mir einst viel bedeu­tet haben und von denen die meis­ten eine Zeit lang bei mir als „Lieb­lings­al­bum“ oder gleich „Bes­tes Album aller Zei­ten“ fir­mier­ten, höre ich noch ein, zwei Mal im Jahr. Und dank iTu­nes weiß ich sogar, wann zuletzt: „The Unaut­ho­ri­zed Bio­gra­phy Of Rein­hold Mess­ner“ von Ben Folds Five im Dezem­ber, „Auto­ma­tic For The Peo­p­le“ von R.E.M. im Novem­ber und „The Man Who“ von Tra­vis im Sep­tem­ber – den Uhr­zei­ten nach zu urtei­len jeweils beim Ein­schla­fen. Und das sind die Alben, die mir immer noch irgend­wie wich­tig sind und die auch einen recht tadel­lo­sen Ruf in der Musik­ge­schich­te genie­ßen.

Doch was ist mit den okay­en Alben, die man mal inten­siv gehört hat, mit denen man womög­lich wich­ti­ge Ereig­nis­se der Ado­les­zenz ver­bin­det, die dann aber ein­fach in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind wie frü­he­re Mit­schü­ler, die eben immer so mit dabei waren, wenn man gemein­schaft­lich unter­wegs war? „Fee­ling Stran­ge­ly Fine“ von Semiso­nic, „Onka’s Big Moka“ von Toploa­der oder das „MTV Unplug­ged“ von den Fan­tas­ti­schen Vier. Wenn man zufäl­lig irgend­wo über die Hits stol­pert, wirft es einen um Jah­re zurück (wie mein Vater stets über musik­in­du­zier­te Flash­backs sagt), aber wel­cher Mensch, der halb­wegs bei Ver­stand ist, wür­de die CD aus dem Regal her­vor­kra­men, um „Clo­sing Time“ auf­zu­le­gen?

Der Teen­ager oder jun­ge Twen (Sagt man das noch? „Twen“?) an sich hört über­durch­schnitt­lich viel emo­tio­na­le Musik. Irgend­wann ist dann der Punkt erreicht, an dem man „So I look in your direc­tion /​ But you pay me no atten­ti­on, do you?“ oder „The kil­ler in me is the kil­ler in you“ nicht mal mehr für Sta­tus­up­dates bei Face­book ver­wen­den möch­te. Zahl­rei­che Lie­der und Alben sind durch zahl­rei­che Her­zens­brü­che ver­brannt. Die ganz gro­ßen Lied­zi­ta­te und ‑titel lässt man sich dann gleich täto­wie­ren. Die Sor­gen und Pro­ble­me sind eigent­lich noch die glei­chen wie zu Schul­zei­ten, aber alles ist viel kom­ple­xer gewor­den. Bei Berufs­tä­tig­keit, Fami­li­en­grün­dung und Bau­spar­ver­trag wird der Sound­track zum eige­nen Leben für vie­le zuneh­mend unwich­ti­ger. Es ist das Alter, in dem vie­le Men­schen ihren Musik­ge­schmack plötz­lich mit „was halt so im Radio läuft“ umrei­ßen und die Songs, die ihnen gefal­len, schnell bei iTu­nes kau­fen. Die­se Kapi­tu­la­ti­on ist womög­lich die rich­ti­ge Ent­schei­dung, denn auf der ande­ren Sei­te sieht es noch schlim­mer aus.

Wer aus ver­schie­dens­ten Grün­den wei­ter­hin auf dem Lau­fen­den blei­ben will, ver­liert viel Geld und lang­sam auch den Ver­stand: Jede Woche erschei­nen Dut­zen­de neue Alben, die sich in „Neu­er hei­ßer Scheiß“ und „Von denen kau­fe ich jede Plat­te“ glie­dern. Bei ers­te­rem ist man Dank Inter­net bes­tens infor­miert, so dass es das Ein­fachs­te der Welt ist, wöchent­lich 200 neue Hype-The­men zu ent­de­cken und womög­lich auch zu kau­fen. Hören kann das alles kein Mensch mehr, aber gro­ße CD-Samm­lun­gen beein­dru­cken poten­ti­el­le Sexu­al­part­ner immer noch mehr als eine MP3-Samm­lung von meh­re­ren hun­dert Giga­byte. Und die alten Hel­den? Natür­lich ist es schön, wenn R.E.M., die Foo Figh­ters oder Moby neue Alben ver­öf­fent­li­chen, die auch noch gut sind. Aber muss man die noch hören? Und wenn ja: Wie oft? Selbst wenn da tol­le Songs drauf sind (was zwei­fels­oh­ne der Fall ist), hat man ja immer noch die alten Alben mit den alten tol­len Songs im Regal, mit denen man eine gemein­sa­me Geschich­te hat. Der Unter­schied ist ein biss­chen wie der zwi­schen den Arbeits­kol­le­gen, mit denen man mal ein Fei­er­abend­bier trin­ken geht, und den alten Freun­den von frü­her.

Dann wol­len wie­der die neu­en bes­ten Freun­de (Jack’s Man­ne­quin, The Hold Ste­ady, The Low Anthem) Auf­merk­sam­keit. Und die hei­ßen Affä­ren aus den Jah­ren dazwi­schen. Die Arc­tic Mon­keys haben ein neu­es Album ver­öf­fent­licht? Ent­schul­di­gung, inter­es­siert mich nicht. Die gan­ze Indie-Chau­se der mitt­le­ren Nuller Jah­re ist mir inzwi­schen völ­lig egal, von Franz Fer­di­nand und Man­do Diao will ich weder alte noch neue Alben hören. An deren Musik wer­den wir noch jah­re­lang tra­gen, weil immer noch in jedem Dorf gelock­te 15-Jäh­ri­ge mit karier­ten Hem­den, die eine Band grün­den wol­len, ihre Songs aus Ach­tel­beats, Schram­mel­gi­tar­ren und Par­ty­ly­rik zusam­men­bau­en. Alles okay, vie­les gut, aber es kann doch nicht sein, dass Gitar­ren­mu­sik hier enden soll?!

Unge­fähr an jedem zwei­ten Tag der ver­gan­ge­nen Wochen habe ich mir die Fra­ge „Was hör ich denn jetzt mal?“ mit „Belong“ beant­wor­tet, dem phan­tas­ti­schen zwei­ten Album von The Pains Of Being Pure At Heart. Dane­ben höre ich das weg, was sich eben so ange­sam­melt hat im bis­he­ri­gen Kalen­der­jahr, oder grei­fe zu aus­ge­wähl­ten Lieb­lin­gen der ver­gan­ge­nen zwei Jah­re, derer ich noch nicht über­drüs­sig bin. Ich käme ehr­lich gesagt nie auf die Idee, „(What’s The Sto­ry?) Mor­ning Glo­ry?“ von Oasis auf­zu­le­gen – ich weiß ja, dass das ein gutes Album ist, auch wenn bei mir lang­sam die Zwei­fel ein­set­zen, ob Oasis tat­säch­lich so gut und wich­tig waren.

Jah­res­zeit­lich bedingt lau­fen gera­de wie­der zwei Alben bei mir rauf und run­ter, die schon neun bzw. 13 Jah­re alt sind: „Hi-Fi Serious“ von A, eines mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­al­ben, bei dem ich bei jedem Hören erwä­ge, mir auf mei­ne alten Tage doch noch ein Skate­board zu kau­fen, und „Moon Safa­ri“ von Air, das womög­lich bes­te Som­mer-Ent­span­nungs­al­ben aller Zei­ten. Bei­de Alben sind so gut und für ihre Funk­ti­on als Som­mer-Sound­track so per­fekt, dass ich mich kaum bemü­he, Nach­fol­ger zu fin­den.

Und das wird immer mehr. Wäh­rend ich noch damit beschäf­tigt bin, mich in das Früh­werk von Bruce Springsteen rein­zu­hö­ren, mir Led Zep­pe­lin zu erschlie­ßen und die wich­tigs­ten Grand-Prix-Songs der letz­ten 55 Jah­re drauf zu schaf­fen, wer­den Men­schen erwach­sen, die Nir­va­na nie als zeit­ge­nös­si­sche Musik ken­nen­ge­lernt haben, son­dern offi­zi­ell als Oldies. Men­schen, denen das Kon­zept „Album“ unbe­kannt ist, das die Pop­kul­tur von den 1960er Jah­ren bis hin­ein in die spä­ten Nuller so geprägt hat.

Und dann stellt man wie­der fest, dass Pop­kul­tur alt macht. Also: die inten­si­ve Beschäf­ti­gung damit. Eltern sehen ihre Kin­der auf­wach­sen, Gärt­ner bekom­men den Gang der Jah­res­zei­ten zu spü­ren, aber als Pop­kul­tur­fan ent­schei­det man sich bewusst dafür, Zeit anhand von Ver­öf­fent­li­chungs­da­ten von Musik, Fil­men und TV-Seri­en wahr­zu­neh­men. Die Sum­me des eige­nen Lebens sam­melt sich schön anschau­lich in Rega­len und sorgt bei jedem Umzug für grö­ße­re Ver­stim­mung. Und der Gedan­ke an eine Pop­band, die vor mehr als einer Deka­de mal einen Mini-Hit hat­te, löst Gedan­ken­gän­ge aus, denen man selbst nicht mehr fol­gen kann.

Des­we­gen Semiso­nic.

Kategorien
Musik Digital

About A Girl

Okay, das war schon blöd von Bild.de, auf den gefake­ten Twit­ter-Account von Emin­ems Toch­ter rein­zu­fal­len. Und hin­ter­her zu berich­ten, dass alle, inklu­si­ve man selbst, auf die Fäl­schung rein­ge­fal­len ist, den Ursprungs­ar­ti­kel aber unver­än­dert online zu las­sen, ist auch nicht so rich­tig cle­ver.

Was ich per­sön­lich aber haar­sträu­bend däm­lich fand, ist eine ganz ande­re Sache. Beim lus­ti­gen Rät­sel­spaß, um wes­sen Toch­ter es sich denn han­deln kön­ne, hat Bild.de auch Kurt Cobain im Ange­bot:

Handelt es sich bei dem gesuchten Papa um die verstorbene Rock-Legende Kurt Cobain († 28)?

28?!?

Jedes Kind (also: jedes Kind, das allei­ne auf dem Schul­hof steht, weil es unglaub­lich uncool und nerdig ist, aber in zehn Jah­ren sau­cool sein wird, wäh­rend die heu­te coo­len Kin­der dann mit Anzug und Kra­wat­te an ihrem Schreib­tisch in der Spar­kas­se hocken) weiß, dass Kurt Cobain zum „Club 27“ gehört und dem­nach – eben­so wie Jimi Hen­drix, Jim Mor­ri­son, Janis Jop­lin und Bri­an Jones – mit 27 gestor­ben ist.

Ich beto­ne das auch, weil ich seit Novem­ber älter bin, als Kurt Cobain je gewor­den ist.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Der Ölprinz

Am Ende sind sie alle geschockt. Auf den Fern­seh­schir­men ist Adolf Hit­ler zu sehen, der „Füh­rer“ ihrer Orga­ni­sa­ti­on. „Ja, ja, Ihr wärt alle gute Nazis gewe­sen“, sagt ihr Leh­rer Ben Ross ((Mor­ton Rhue: Die Wel­le. Ravens­burg, 2011 (11984), S. 176.)) und die Schü­ler in der voll­be­setz­ten Aula schwei­gen betre­ten. Steht „Die Wel­le“ von Mor­ton Rhue eigent­lich immer noch auf dem Lehr­plan von Eng­lisch­kur­sen?

Nazi-Ver­glei­che ver­bie­ten sich eigent­lich als Stil­mit­tel in der sach­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung. Und den­noch fällt es schwer, ange­sichts von Hun­dert­tau­sen­den, meist jun­gen Men­schen, die sich bei Face­book „Gegen die Jagd auf Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg“ aus­spre­chen oder „Wir wol­len Gut­ten­berg zurück“ for­dern, nicht von einer „Gut­ten­berg­ju­gend“ zu spre­chen.

Es ist schwer zu sagen, woher aus­ge­rech­net bei einer eher als unpo­li­tisch geschol­te­nen Jugend plötz­lich die­se Begeis­te­rung für einen ein­zel­nen Minis­ter her­kommt – noch dazu für einen von der CSU, die sonst nicht unbe­dingt einen über­mä­ßi­gen Zuspruch jun­ger Wäh­ler erfährt. Ist es wirk­lich „eine ganz natür­li­che Nei­gung der Men­schen, nach einem Füh­rer Aus­schau zu hal­ten, nach irgend­je­man­dem, der alle Ent­schei­dun­gen“ trifft, ((ebd, S. 174.)) oder fällt das Licht einer Mas­sen­hys­te­rie hier eher zufäl­lig auf einen Poli­ti­ker?

Chuck Klos­ter­man hat ein­mal geschrie­ben, ((Chuck Klos­ter­man: Sex, Drugs and Cocoa Puffs. New York, 2004, S. 202.)) dass man wahr­schein­lich alle Men­schen außer­halb sei­nes engs­ten Freun­des­krei­ses mit einem ein­zi­gen Satz beschrei­ben kön­ne. In Wahr­heit reicht ver­mut­lich ein ein­zi­ges Wort oder Gefühl aus: Der Typ, der auf dem Schul­hof immer allei­ne rum­stand? „Nerd“. Die Kell­ne­rin aus dem Café um die Ecke? „Nied­lich“. Ste­fan Effen­berg? „Trot­tel“.

Wer das poli­ti­sche Tages­ge­schäft nicht mal min­des­tens ver­folgt, aber an Titel­bil­dern wie „Der coo­le Baron“, „Die fabel­haf­ten Gut­ten­bergs“ oder „Wir fin­den die GUTT!“ vor­über­geht, spei­chert den cha­ris­ma­ti­schen Fran­ken natür­lich schnell unter „cool“ ab, so wie ich als Kind Hel­mut Kohl unter „dick und mit Sprach­feh­ler“ abge­spei­chert hat­te. Wenn Gut­ten­bergs Kar­rie­re nicht ein jähes vor­läu­fi­ges Endes gefun­den hät­te, wäre er bis zur Bun­des­tags­wahl 2013 sicher noch auf dem Cover des deut­schen „Rol­ling Stone“ (Her­aus­ge­ber: Ulf Pos­ch­ardt) und der „Bra­vo“ auf­ge­taucht.

Im Prin­zip ist Gut­ten­berg für die jun­gen Leu­te also nichts ande­res als Jus­tin Bie­ber, Miley Cyrus oder Katy Per­ry – und genau auf die­sem Level ver­tei­di­gen die Fans ihr Idol auch. Doch wäh­rend Dis­kus­sio­nen über musi­ka­li­sche Geschmä­cker müßig sind (ich fand „Baby“ von Jus­tin Bie­ber zum Bei­spiel gar nicht schlecht), fol­gen poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen für gewöhn­lich gewis­sen argu­men­ta­ti­ven Regeln. (Die­ser Satz ist eine Arbeits­hy­po­the­se, die bei jeder Bun­des­tags­de­bat­te und jeder Polit-Talk­show wider­legt wird, aber anders kom­men wir hier nie aus dem Quark.)

Wie soll man jetzt jeman­dem begeg­nen, der „DIE sind doch nur nei­disch!“ für ein zwin­gen­des Argu­ment hält, einen Betrü­ger im Amt zu hal­ten – noch dazu, wenn die­ses „Argu­ment“ auch von füh­ren­den Uni­ons­po­li­ti­kern vor­ge­bracht wird? Was soll man jeman­dem ent­geg­nen, der wahr­schein­lich nicht ein­mal die Hälf­te der Bun­des­mi­nis­ter nament­lich benen­nen könn­te, aber im Brust­ton der Über­zeu­gung ver­kün­det: „Er war ein­fach der bes­te minis­ter von allen!!“? Und wie erklärt man Men­schen, die noch nie eine Uni­ver­si­tät von innen gese­hen haben oder – viel schlim­mer! – ein hek­ti­sches Bache­lor/­Mas­ter-Stu­di­um zum Zwe­cke der schnel­len Berufs­qua­li­fi­ka­ti­on durch­lau­fen haben, wie erklärt man denen, was wis­sen­schaft­li­che Ehre und Bil­dungs­ge­dan­ken sind?

Inso­fern kann man der Anru­fe­rin, die sich in einer zehn­mi­nü­ti­gen Dis­kus­si­on mit dem Radio-Fritz-Mode­ra­tor Hol­ger Klein wie­der­fand (von der sie ver­mut­lich anschlie­ßend annahm, aus ihr als Sie­ge­rin her­vor­ge­gan­gen zu sein), sicher attes­tie­ren: „Du bist Deutsch­land!“

Der Fall Gut­ten­berg war außer­halb des poli­ti­schen Ber­lins auch eine Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen zwei Lagern: Auf der einen Sei­te die bür­ger­li­che Pres­se und die ent­setz­ten Aka­de­mi­ker, die den Ruf des Bil­dungs­stand­or­tes Deutsch­land in aku­ter Gefahr sahen, auf der ande­ren Sei­te „Bild“ und das ein­fa­che Volk. Oder, vom Volk abge­grenzt, wie Her­der sagen wür­de: „der Pöbel auf den Gas­sen, der singt und dich­tet nie­mals, son­dern schreyt und ver­stüm­melt.“ ((Johann Gott­fried Her­der: „Volks­lie­der. Nebst unter­misch­ten andern Stü­cken, Zwei­ter Teil“ [1779], in: Wer­ke, her­aus­ge­ge­ben von Ulrich Gai­er. Frank­furt am Main, 1990, S. 239.))

Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg hat viel falsch gemacht, aber Fans, die so etwas womög­lich ernst mei­nen könn­ten, hat auch er nicht ver­dient:

Gut­ten­berg ist der PERFEKTE Mensch! Sein selbst­kri­ti­sches Auf­tre­ten, sei­ne unein­ge­schränk­te Ehr­lich­keit sowie sei­ne reich­hal­ti­ge Kom­pe­tenz sind unüber­trof­fen. Gut­ten­berg ist der ERLÖSER!!! Er muss WELTHERRSCHER wer­den, dann wür­de es durch sei­ne MENSCHLICHKEIT end­lich WELTFRIEDEN geben!

Es sind halt Fans und Fans han­deln – das weiß jeder, der schon ein­mal im Fuß­ball­sta­di­on oder auf einem Rock­kon­zert war – nicht immer ratio­nal. Ent­we­der, sie blei­ben ihren Hel­den bis zur Selbst­ver­leug­nung treu, oder sie sind irgend­wann so ent­täuscht, dass sie sich gegen ihr Idol stel­len.

Ich bin mir sicher, vie­le der Gut­ten­berg-Fans fan­den vor zwei, drei Jah­ren auch Barack Oba­ma gut – ein­fach, weil er cool und anders war. Dabei wäre es doch irgend­wie beru­hi­gend zu wis­sen, dass die Men­schen den heu­ti­gen US-Prä­si­den­ten in ers­ter Linie ver­eh­ren, weil sie sei­ne Mei­nung tei­len und sei­ne Ver­su­che bewun­dern, sei­ner Linie trotz allem treu zu blei­ben. Dass er dabei unbe­streit­bar cool und ein­zig­ar­tig ist, kann ja dann ger­ne einer der wei­te­ren Grün­de für sei­ne Beliebt­heit sein.

Gut­ten­berg ist dabei gar nicht der ers­te deut­sche Nach­kriegs-Poli­ti­ker, der die Mas­sen zu mobi­li­sie­ren wuss­te: 1972 mach­ten jun­ge Leu­te, die noch lan­ge nicht selbst wäh­len durf­ten, unter dem Slo­gan „Wil­ly wäh­len!“ Wahl­kampf für Wil­ly Brandt. Nur: Die­se Leu­te unter­stütz­ten Brandt wegen sei­ner poli­ti­schen Ansich­ten, wegen sei­ner Ost­po­li­tik, ohne die Hel­mut Kohl nie zum „Kanz­ler der Ein­heit“ hät­te wer­den kön­nen. Bei Gut­ten­berg konn­ten nicht ein­mal auf­merk­sa­me Beob­ach­ter sagen, wofür er stand und was sei­ne Linie war. Es war ja auch fast jeden Tag eine ande­re: Bei einer staat­li­chen Ret­tung von Opel mit Rück­tritt dro­hen, dann doch im Amt blei­ben; den Luft­schlag von Kun­dus „ange­mes­sen“ nen­nen, dann „unan­ge­mes­sen“; in Sachen Gorch Fock kei­ne schnel­len Urtei­le fäl­len wol­len, dann spon­tan (und im Bei­sein der „Bild“-Zeitung) den Kom­man­dan­ten feu­ern. Und immer waren die Ande­ren schuld. Wer das ernst­haft als „gute Arbeit“ bezeich­net, den möch­te ich nicht mei­ne Hei­zung repa­rie­ren las­sen – er könn­te ja schon nächs­te Woche mit den mon­ta­ge­be­rei­ten Nacht­spei­cher­öfen vor der Tür ste­hen.

Wenn Kai Diek­mann jetzt vom „grau­en Mit­tel­maß“ der Poli­ti­ker schreibt, die nun wie­der das poli­ti­sche Ber­lin beherrsch­ten, und Niko­laus Blo­me die „poli­ti­sche Hygie­ne“ beklagt, möch­te ich ihnen ent­ge­gen rufen: Mei­net­we­gen kön­nen die Poli­ti­ker so grau sein, wie sie wol­len, sie sol­len ihre ver­damm­te Arbeit ordent­lich machen und sich anstän­dig ver­hal­ten! Poli­tik ist nicht Teil des Show­ge­schäfts, auch wenn das seit dem Umzug der Bun­des­re­gie­rung nach Ber­lin immer mal wie­der gern ver­ges­sen wird.

„Aber das Volk liebt ihn doch!“, wen­den Diek­mann und Blo­me dann uni­so­no ein. Der Vor­wurf, die Poli­tik höre nicht auf das, was die Bevöl­ke­rung wol­le, lenkt davon ab, dass selbst „Bild“ es nicht geschafft hat, Gut­ten­berg im Amt zu hal­ten, und damit wei­ter an Ein­fluss ver­lo­ren hat. Statt­des­sen bekla­gen ihre Redak­teu­re die wei­ter fort­schrei­ten­de „Poli­tik­ver­dros­sen­heit“, die Jour­na­lis­ten seit 20 Jah­ren zu erken­nen glau­ben. Dabei wäre es die ver­damm­te Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten, den Bür­gern die Zusam­men­hän­ge zwi­schen der graue Poli­tik und ihrem Leben auf­zu­zei­gen und kri­tisch, aber nicht pau­schal ver­ur­tei­lend, zu beglei­ten, was „die da oben“ eigent­lich den gan­zen Tag so machen. Die Auf­ga­be der Pres­se ist es jeden­falls nicht, Polit­g­la­mour-Paa­re hoch­zu­schrei­ben!

War­um sich das deut­sche Volk (oder genau­er: gro­ße Tei­le des­sen) offen­bar mehr als 90 Jah­re nach Abschaf­fung des Adels in Deutsch­land aus­ge­rech­net einen „Frei­herrn“ ins Kanz­ler­amt wünscht, lässt sich eigent­lich nur damit erklä­ren, dass die Deut­schen zu oft beim Arzt und/​oder Fri­seur sind und ob der Lek­tü­re der dort aus­lie­gen­den Maga­zi­ne eine gewis­se Sehn­sucht nach Blau­blü­tern ver­spü­ren. Das ist irri­tie­rend, denn bis­her haben wir im Geschichts- und Poli­tik­un­ter­richt gelernt, dass die Mas­sen gegen die Klas­sen kämp­fen wür­den.

Eigent­lich ist es den Leu­ten aber eh egal, zu wem sie auf­schau­en, so lan­ge sie zu jeman­dem auf­schau­en kön­nen: Zu Lady Di, zum Papst oder eben zu „KT“ und sei­ner Ste­pha­nie. Die Gut­ten­bergs boten die öli­ge Pro­jek­ti­ons­flä­che für alle, die nie­mals König oder Köni­gin von Deutsch­land wer­den wür­den: Aus­ge­stat­tet mit einem ordent­li­chen Stamm­baum, in einer Bil­der­bu­chehe ver­hei­ra­tet, mit einem Pri­vat­ver­mö­gen im Rücken, des­sent­we­gen man gar nicht arbei­ten müss­te. Die Idyl­le lock­te wie ein alter Hei­mat­film.

Gut­ten­berg war die per­so­ni­fi­zier­te Umkehr der Zei­ten, als die Popu­lär­kul­tur poli­tisch wur­de: im Polit­be­trieb war er „Pop“, was der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Hecken als „Kür­zel für mal glat­te und ober­fläch­li­che, mal durch­schla­gen­de und inten­si­ve Rei­ze“ beschreibt. ((Tho­mas Hecken: Popu­lä­re Kul­tur. Bochum, 2006, S. 32.))

Ab einem bestimm­ten Punkt wird jede Bewe­gung zum Selbst­läu­fer; die Mas­se fin­det gut, was beliebt und erfolg­reich ist. So lässt sich der plötz­li­che unfass­ba­re Chart­erfolg einer 17 Jah­re alten Cover­ver­si­on eines heu­te mehr als 70 Jah­re alten Songs erklä­ren, aber auch der schier unglaub­li­che Zulauf, den die Pro-Gut­ten­berg-Sei­ten bei Face­book erfah­ren. Ich wüss­te ger­ne, wie vie­le der Gut­ten­berg-Jün­ger gleich­zei­tig auch Fans von Unhei­lig sind.

Nach dem sel­ben Prin­zip funk­tio­niert dann auch die Argu­men­ta­ti­on: Die Leu­te plap­pern nach, was sie anders­wo (also: bei Gleich­ge­sinn­ten) schon gehört und nicht ver­stan­den haben. Aber halt­lo­se Behaup­tun­gen wer­den nicht wah­rer, wenn sie hun­dert­fach wie­der­holt wer­den – und das gilt für bei­de Sei­ten, wie die pein­li­che Geschich­te mit dem angeb­li­chen „Star Trek“-Zitat in Gut­ten­bergs Rück­tritts­re­de beweist.

Dass man Ver­feh­lun­gen nicht gegen­ein­an­der auf­wiegt, lernt man nor­ma­ler­wei­se im Kin­der­gar­ten. Offen­bar wächst sich das mit der Zeit aber wie­der raus:

Für mich ist des ne Lapa­lie!!! Ande­re sind immer­noch im Amt und trei­ben viel schlim­mer Sachen ich sage nur Ber­lus­co­ni!!!! Dass das nicht ok ist mit dem Dok­tor­ti­tel ist klar aber des hat­te nichts mit sei­ner Arbeit als Poli­ti­ker zu tun!!!

Wenn nun also ernst­haft jun­ge Men­schen, die durch­aus Abitur haben und stu­die­ren, fra­gen: „Was hat die gefälsch­te Dok­tor­ar­beit denn mit den poli­ti­schen Fähig­kei­ten der Per­son zu tun?“, muss man erst mal kurz durch­at­men und die Blut­druck­hem­mer ein­wer­fen, bevor man in leicht ver­ständ­li­chen Wor­ten zu erklä­ren ver­sucht, dass man per­sön­lich für sei­nen Teil Men­schen, die als Betrü­ger ent­larvt sei­en, jetzt eher ungern in poli­ti­schen Ämtern sähe. Das mit „Vor­bild­funk­ti­on“ und „Bil­dungs­re­pu­blik“ lässt man lie­ber direkt weg.

Dann heißt es: „Wer ohne Sün­de ist, wer­fe den ers­ten Stein“, ((Johan­nes, 8.7 in: Die Bibel.)) in dezen­ter Ver­ken­nung des Umstan­des, dass Jesus das damals ziem­lich kon­kret gemeint hat: Die Pha­ri­sä­er woll­ten die Ehe­bre­che­rin näm­lich stei­ni­gen. Näh­me man die Geschich­te aber als uni­ver­sel­len Rechts­grund­satz, wäre die Beset­zung von Rich­ter­bän­ken und Staats­an­walts­pos­ten eine unlös­ba­re Auf­ga­be.

Ohne Sün­de ist nie­mand (außer die Mut­ter Got­tes in der Katho­li­schen Kir­che), aber bestimm­te Sün­den sor­gen ein­fach dafür, dass man für bestimm­te – oder gar alle – Ämter unge­eig­net ist. (Die Aus­nah­me stellt auch hier wie­der die CDU/​CSU dar, wo man auch noch geschmei­dig Ver­kehrs­mi­nis­ter wer­den kann, nach­dem man unter Alko­hol­ein­fluss einen töd­li­chen Ver­kehrs­un­fall ver­schul­det hat, oder Finanz­mi­nis­ter, wenn man sich nicht dar­an erin­nern kann, ein­mal 100.000 DM in bar ent­ge­gen­ge­nom­men zu haben.) Und dass „alle ande­ren Poli­ti­ker auch Dreck am Ste­cken“ haben sol­len, ent­puppt sich spä­tes­tens dann als wind­schie­fe Ver­tei­di­gung, wenn der eige­ne Part­ner zu einem sagt: „Aber alle ande­ren gehen doch auch fremd, Schatz!“

Wenn irgend­wel­che Jung­spun­de bei Face­book jetzt also „Gut­ten­berg for Reichs­kai­ser“ for­dern, kön­nen wir nur von Glück spre­chen, dass Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg zwei­fels­oh­ne ein über­zeug­ter Demo­krat ist, und die Dem­ago­gen, die Deutsch­land in den letz­ten 65 Jah­ren her­vor­ge­bracht hat, alle­samt unan­sehn­lich oder rhe­to­risch über­for­dert waren – oder in den meis­ten Fäl­len gleich bei­des. Doch wehe, wenn jemand auf­tau­chen soll­te, der Pop-Appeal ver­strömt und neben­bei Volks­ver­het­zung betreibt!

Eines noch zum Schluss: Die Fra­ge „Gibt es denn nichts Wich­ti­ge­res auf der Welt?“ ist das dümms­te aller dum­men Null-Argu­men­te. Denn es gibt ja auch „Wich­ti­ge­res als Steu­er­hin­ter­zie­hung, Fah­ren im ange­trun­ke­nen Zustand, das Her­aus­te­le­fo­nie­ren von Lust­mäd­chen aus Unter­su­chungs­ge­fäng­nis­sen durch Minis­ter­prä­si­den­ten, Vul­ga­ri­tät und was nicht noch alles“, wie es Jür­gen Kau­be in der „F.A.Z.“ for­mu­liert hat. ((Jür­gen Kau­be: „Vgl. auch Gut­ten­berg 2009“, in: Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung vom 22. Febru­ar 2011, S. 27.)) Die Ant­wort lau­tet also in nahe­zu jedem Kon­text: „Doch, natür­lich gibt es Wich­ti­ge­res.“ Gin­ge es danach, müss­te uns alles egal sein, was nicht direkt zur Schaf­fung des Welt­frie­dens bei­trägt. Ich schla­ge vor, dass wir mit dem Igno­rie­ren der Anzahl von Face­book-Fans anfan­gen.

Kategorien
Kultur

Not looking for a new England

„Also, Shake­speare hat­te auf alle Fäl­le ’n paar kras­se Pro­ble­me. Der war bestimmt schwul!“, dia­gnos­ti­zier­te ein pick­li­ger 16-Jäh­ri­ger, der mit sei­ner gan­zen Klas­se zum Thea­ter­be­such genö­tigt wor­den war, beim Her­aus­ge­hen. Was war gesche­hen?

Als Leh­rer – gera­de als einer, der sich für sei­ne Schü­ler inter­es­siert – ist es nicht die schlech­tes­te Idee, mit ihnen eine Insze­nie­rung von David Bösch zu besu­chen. Der gera­de 30-jäh­ri­ge Regis­seur, des­sen „Romeo und Julia“ am Bochu­mer Schau­spiel­haus mir vor vier Jah­ren sehr gefal­len hat, hat die Pop­kul­tur mit so gro­ßen Löf­feln gefres­sen, dass auch die ange­staub­tes­ten Klas­si­ker bei ihm zu einem bun­ten, lau­ten Rei­gen wer­den, der gera­de die jün­ge­ren Besu­cher anspricht.

Die aller­dings wer­den bei sei­nem „Was Ihr wollt“ auch nicht mehr so ganz mit­ge­kom­men sein, denn heu­ti­ge Schü­ler erken­nen weder ein Roy-Black-Med­ley noch die größ­ten Hits des Jah­res 1993, wenn sie ihnen vor­ge­sun­gen wer­den. Für sie ist die Jugend ihrer älte­ren Geschwis­ter (wenn über­haupt) unge­fähr so weit weg wie Shake­speares Zeit selbst. Und somit ste­hen sie doch wie­der weit­ge­hend unge­bro­chen vor dem Werk des Schwans von Avon.

Und damit vor Vio­la und ihrem Zwil­lings­bru­der Sebas­ti­an, die bei einem Schiff­bruch getrennt wer­den. Vio­la wird in Illy­ri­en ange­spült, wo der Her­zog Orsi­no seit Jah­ren der Grä­fin Oli­via den Hof macht, die wie­der­um von ihrem Onkel Sir Toby mit des­sen Sauf­kum­pan Andrew ver­kup­pelt wer­den soll und dar­über hin­aus von ihrem Haus­hof­meis­ter Mal­vo­lio begehrt wird. Vio­la ver­klei­det sich mit Hil­fe eines Nar­ren als Mann und wird als Cesa­rio Die­ner bei Orsi­no, wor­auf­hin sich Oli­via in Cesa­rio (also Vio­la) ver­liebt.

Wenn man es so auf­schreibt, klingt die Geschich­te deut­lich mehr nach einer Vor­abend­se­rie im deut­schen Fern­se­hen als nach Shake­speare, und in der Tat wirkt es auf der Büh­ne des Esse­ner Gril­lo-Thea­ters auch so. Es ist ein unüber­sicht­li­ches Wirr­warr, bei dem die ein­zel­nen Cha­rak­te­re am aller­we­nigs­ten wis­sen, was um sie her­um pas­siert. Ob sie des­halb gleich wie Sir Toby und Andrew, die direkt der White-Trash-Höl­le eines Hoo­lig­an­blocks zu ent­stam­men schei­nen, betrun­ken her­um­kas­pern müs­sen, ist eine gute Fra­ge. Aber Kon­flik­te schei­nen im moder­nen Thea­ter eh dar­aus zu bestehen, dass Men­schen auf einer rie­si­gen Büh­ne anein­an­der vor­bei­ren­nen.

David Bösch hat vie­le Details in sei­ne Insze­nie­rung ein­ge­baut. Man­che wir­ken durch­dacht, ande­re nur auf­ge­pfropft. War­um zum Bei­spiel singt das Dienst­mäd­chen Maria an einer zen­tra­len Stel­le aus­ge­rech­net „New Eng­land“ (in dem es ja eben nicht um eine gesell­schaft­li­che Uto­pie wie Illy­ri­en, son­dern „just“ um das Fin­den einer neu­en Lie­be geht)? Wirk­lich nur, weil Kars­ten Rie­del, seit län­ge­rem Böschs treu­er Musi­kant am Büh­nen­rand, so ein gro­ßer Bil­ly-Bragg-Fan ist? Auch der Umstand, dass Nico­la Mastro­berar­di­no als Sir Andrew eins zu eins aus­sieht wie Matt Dil­lon in Came­ron Cro­wes Kult­ko­mö­die „Sin­gles“, kann eine Bedeu­tung haben. Aber wel­che?

„Was Ihr wollt“ wirkt wie eine lose Ansamm­lung von Zita­ten, bei der sich der Regis­seur nicht so recht ent­schei­den konn­te, was er damit eigent­lich bezwe­cken woll­te. Mal­vo­lio (Roland Rie­be­l­ing) ist die gro­tes­ke Kari­ka­tur einer tra­gi­schen Figur, die irgend­wann nur noch nervt. Inmit­ten die­ser gan­zen Über­zeich­nun­gen sticht aus­ge­rech­net die Haupt­fi­gur Vio­la mit einer Unauf­fäl­lig­keit her­vor, die man Sarah Vik­to­ria Frick ange­sichts der Über-Per­for­mance ihrer Kol­le­gen hoch anrech­nen muss.

Und so schlin­gert die Insze­nie­rung an der Ziel­grup­pe vor­bei. Dass die Schü­ler den Kuss zwei­er Män­ner mit lau­tem Ekel kom­men­tie­ren, wäh­rend kurz zuvor der Kuss zwei­er Frau­en geräusch­los über die Büh­ne ging, sagt viel­leicht etwas über die jugend­li­chen Zuschau­er aus, aber nichts über das Stück. Aus dem Krei­se der Schü­ler kam dann auch das Todes­ur­teil, dem man sich frei­lich nicht voll­um­fäng­lich anschlie­ßen muss: „Ich find das nicht komisch, da guck ich mir lie­ber Mario Barth an!“

„Was Ihr wollt“ im Schau­spiel Essen
Nächs­te Ter­mi­ne: 13. Febru­ar, 21. März, 4. April

Kategorien
Musik Gesellschaft

Born In The NRW

Eines mei­ner Lieb­lings­vi­de­os bei You­Tube ist die­ses hier:

[Direkt­link]

Das Video ent­stand bei den MTV Video Music Awards 1997 und zeigt die Wall­flowers bei der Auf­füh­rung ihres Hits „One Head­light“ mit ihrem Gast­sän­ger Bruce Springsteen. Zum einen mag ich, wie Springsteen mit sei­nem Gesang und sei­nem Gitar­ren­so­lo den ohne­hin tol­len Song noch mal zusätz­lich ver­edelt, zum ande­ren kann man aus die­sem Auf­tritt viel über die ame­ri­ka­ni­sche Pop­kul­tur und ihren Unter­schied zur deut­schen ablei­ten.

Auch wenn man nicht immer dar­auf her­um­rei­ten soll: der Sän­ger der Wall­flowers ist Jakob Dylan, Sohn von Bob Dylan, der seit mehr als vier Jahr­zehn­ten ein Super­star ist. Er singt dort gemein­sam mit Bruce Springsteen, der seit gut drei Jahr­zehn­ten ein Super­star ist. In Deutsch­land gibt es kei­ne Söh­ne berühm­ter Musi­ker, die selbst Rock­stars gewor­den wären, von daher kann man schon aus fami­liä­ren Grün­den kei­ne Ana­lo­gien bil­den, aber auch der Ver­such, ein Äqui­va­lent für Vater Dylan ((Sagen Sie bloß nicht „Wolf­gang Nie­de­cken“!)) oder Springsteen zu fin­den, wür­de schnell schei­tern.

Nun kann man natür­lich sagen, dass ich am fal­schen Ende suche: Dylan und Springsteen haben bei­de einen mehr (Dylan) oder weni­ger (Springsteen) vom Folk gepräg­ten Hin­ter­grund, man müss­te also in Deutsch­land im Volks­mu­sik- oder Schla­ger­be­reich suchen. Damit wür­de das Unter­neh­men aber end­gül­tig zum Desas­ter, denn das, was heu­te als volks­tüm­li­cher Schla­ger immer noch erstaun­lich gro­ße Zuhö­rer- und vor allem Zuschau­er­zah­len erreicht, hat mit wirk­li­cher Folk­lo­re weit weni­ger zu tun als Gangs­ta Rap mit den Skla­ven­ge­sän­gen auf den Baum­woll­fel­dern von Ala­ba­ma.

USA: Public Library, New York City

Die Net­zei­tung woll­te kürz­lich kett­car-Sän­ger Mar­cus Wie­busch zum deut­schen Springsteen erklä­ren, was ange­denk des neu­en kett­car-Albums gar nicht mal so abwe­gig ist, wie es sich erst anhört. Her­bert Grö­ne­mey­er kann ja nicht alles sein und die Posi­ti­on „einer von uns, der über unse­re Welt singt“ kann von einem noch so ver­dien­ten Wahl-Lon­do­ner nur schwer­lich besetzt wer­den. Was aber inhalt­lich halb­wegs pas­sen mag, sieht auf der Popu­la­ri­täts­ebe­ne schon wie­der anders aus: jemand, der für die Men­schen spricht, muss auch bei den Men­schen bekannt sein. Mar­cus Wie­busch ist weit davon ent­fernt, ein natio­na­ler Star zu sein, ganz zu schwei­gen vom inter­na­tio­na­len Super­star. ((Ich muss aller­dings zuge­ben, dass die Vor­stel­lung, Jan Fed­der könn­te mal als CDU-Bun­des­kanz­ler kan­di­die­ren und ver­su­chen, sei­nen Wahl­kampf mit „Lan­dungs­brü­cken raus“ auf­zu­hüb­schen, irgend­wie schon was hat.))

Im Grun­de genom­men ist schon die Suche nach einem deut­schen die­sen oder einem deut­schen jenen der fal­sche Ansatz: Mar­cus Wie­busch wird nie der deut­sche Springsteen sein und Til Schwei­ger schon gar nicht der deut­sche Brad Pitt. Harald Schmidt war nie der deut­sche David Let­ter­man und über­haupt wird es in Deutsch­land nie eine rich­ti­ge Late Night Show geben, schon weil die Zuschau­er mit einem ganz ande­ren kul­tu­rel­len Hin­ter­grund auf­ge­wach­sen und auch gar nicht in ver­gleich­ba­ren Grö­ßen­ord­nun­gen vor­han­den sind.

Es gibt aber auch genau­so wenig einen ame­ri­ka­ni­schen Goe­the, Schil­ler, Klop­stock, Schle­gel oder Beet­ho­ven – was unter ande­rem damit zusam­men­hän­gen könn­te, dass das unglaub­li­che Schaf­fen die­ser Her­ren in eine Zeit fiel, als sich die USA gera­de zu einem eigen­stän­di­gen Staa­ten­ver­bund erklärt und wich­ti­ge­res zu tun hat­ten, als ein kul­tu­rel­les Zeit­al­ter zu prä­gen. Sie muss­ten zum Bei­spiel die Demo­kra­tie erfin­den.

Womit wir direkt in der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik von heu­te wären: allen drei ver­blie­be­nen Kan­di­da­ten für das Amt des US-Prä­si­den­ten darf man Cha­ris­ma und inhalt­li­che Stär­ke auf min­des­tens einem Gebiet beschei­ni­gen. Egal, ob der nächs­te Prä­si­dent John McCain, Barack Oba­ma oder Hil­la­ry Clin­ton hei­ßen wird, er (oder sie) wird mehr Aus­strah­lung haben als das ver­sam­mel­te deut­sche Kabi­nett. Das liegt natür­lich nicht nur dar­an, dass man in den USA auf 3,75 Mal so vie­le Men­schen zurück­grei­fen kann wie in Deutsch­land, son­dern auch dar­an, dass die­se Poli­ti­ker ganz anders geschult wur­den und ein ganz ande­res Publi­kum anspre­chen. Jemand wie Kurt Beck könn­te es kaum zum stell­ver­tre­ten­den Nach­bar­schafts­vor­ste­her schaf­fen. ((Wobei Beck ein schlech­tes Bei­spiel ist, weil bei ihm ja nie­mand so genau weiß, wie er es zum Vor­sit­zen­den einer ehe­ma­li­gen Volks­par­tei hat schaf­fen kön­nen.))

Die kul­tu­rel­len Unter­schie­de zwi­schen Deutsch­land und den USA sind eben erheb­li­che und sie las­sen sich auch nicht durch eine ver­meint­li­che „Ame­ri­ka­ni­sie­rung“ unse­rer Kul­tur über­win­den: selbst wenn jeder deut­sche Mann sein Jung­ge­sel­len­da­sein mit viel Alko­hol und Strip­pe­rin­nen been­de­te ((Als ob das alle Ame­ri­ka­ner täten …)) wäre das ja nur eine Über­nah­me von Form und nicht von Inhalt. Deut­sche wer­den auf ewig ihr Früh­stücks­ei auf­schla­gen und als ein­zi­ges zivi­li­sier­tes Volk der Welt ihr Pop­corn gesüßt ver­spei­sen. Deut­sche wer­den wohl nie ver­ste­hen, wel­che Bedeu­tung es für Ame­ri­ka­ner hat, dass (fast) jeder eine Waf­fe tra­gen darf, obwohl sie selbst fast genau­so argu­men­tie­ren, wenn ihnen mal wie­der jemand ein Tem­po­li­mit vor­schlägt. ((Ich wäre übri­gens für eine Beschrän­kung des Waf­fen­rechts und für ein Tem­po­li­mit und wür­de mir in bei­den Län­der weni­ge Freun­de machen.))

Deutschland: Potsdamer Platz, Berlin

Wer sich ein­mal „alte“ Gebäu­de in den USA ange­schaut hat, dar­un­ter eini­ge, die vor 100 bis 120 Jah­ren gebaut wur­den, wird fest­stel­len, wie extrem man sich damals an archi­tek­to­ni­schen Sti­len ori­en­tier­te, die in Euro­pa längst der Ver­gan­gen­heit ange­hör­ten: wo es um gro­ßes Geld oder Hoch­kul­tur geht, stößt man auf Klas­si­zis­mus, Roman­tik oder Renais­sance. Die gro­ße Stun­de der USA schlug erst, als ihre Pop­kul­tur in Form des viel­zi­tier­ten Rock’n’Roll und Coca Cola das kul­tu­rel­le Vaku­um aus­füll­te, das nach dem zwei­ten Welt­krieg in Deutsch­land vor­herrsch­te. Seit­dem bemüht man sich hier, ame­ri­ka­nisch zu wir­ken, was sicher noch dazu führt, dass eines Tages jede Dorf­knei­pe mit Star­buck­si­ger Loun­g­eig­keit auf­war­ten wird.

Ich mag bei­de Län­der.

Mehr über die USA, Deutsch­land und die kul­tu­rel­len Unter­schie­de steht in fol­gen­den emp­feh­lens­wer­ten Blogs:
USA erklärt Ein Deutsch-Ame­ri­ka­ner in Deutsch­land erklärt die USA (deutsch)
Ger­man Joys Ein Ame­ri­ka­ner in Deutsch­land schreibt über Deutsch­land (eng­lisch)
Not­hing For Ungood Noch ein Ame­ri­ka­ner in Deutsch­land, der über Deutsch­land schreibt (eng­lisch)

Kategorien
Literatur

IV For Pop Culture

Chuck Klosterman IV (Cover der gebundenen Ausgabe)Manch­mal nei­ge ich zu sehr wohl­wol­len­den Zukunfts­pro­gno­sen. An die­sem Ein­trag war des­halb nahe­zu alles falsch: Das bestell­te Buch kam nicht (wie wir inzwi­schen wis­sen) am dar­auf­fol­gen­den Mon­tag an, son­dern konn­te erst nach einer Woche aus sei­ner Gefan­gen­schaft befreit wer­den. Auch brauch­te ich für die Lek­tü­re nicht die ver­an­schlag­te eine Woche, son­dern derer drei.

Jetzt aber: „Chuck Klos­ter­man IV: A Deca­de of Curious Peo­p­le and Dan­ge­rous Ide­as“ ist (wie der Titel schon nahe­legt) das vier­te Buch von Chuck Klos­ter­man. Chuck Klos­ter­man ist ein ame­ri­ka­ni­scher Musik‑, Film- und Pop­kul­tur­jour­na­list, der lan­ge Jah­re für das „Spin Maga­zi­ne“, aber auch für „Esqui­re“, das „New York Times Maga­zi­ne“ und diver­se ande­re Druckerzeug­nis­se gear­bei­tet hat. Ich kam mit sei­ner Arbeit erst­mals bewusst in Kon­takt, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ im ver­gan­ge­nen Jahr das Kapi­tel über Kurt Cobain aus dem damals frisch auf deutsch erschie­ne­nen Klos­ter­man-Buch „Eine zu 85% wah­re Geschich­te abdruck­te. Das Buch heißt im Ori­gi­nal „Kil­ling Yours­elf To Live“ („85% Of A True Sto­ry“ ist der Unter­ti­tel, sooo abwe­gig ist deut­sche Vari­an­te dann doch nicht) und Klos­ter­man reist dar­in durch die hal­ben USA und klap­pert dabei Orte ab, an denen Rock­stars zu Tode gekom­men sind.

Als ich ein paar Mona­te spä­ter bei Bor­ders in San Fran­cis­co stand und mich nicht ent­schei­den konn­te, mit wel­chem Buch ich als nächs­tes mei­ne Kre­dit­kar­te belas­ten soll­te, fiel mir „Kil­ling Yours­elf To Live“ in die Hän­de. Ich kauf­te es, las es in einer Woche durch1 und wur­de Fan. In den nächs­ten Wochen kauf­te ich mir nach­ein­an­der „Sex, Drugs and Cocoa Puffs“, eine Arti­kel- und Essay­samm­lung über Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne, und „Far­go Rock City“, ein Buch über Hea­vy Metal, Hard­rock und Land­le­ben, das sehr spät mei­ne Begeis­te­rung für die Musik von Guns N‘ Roses weck­te.

„Chuck Klos­ter­man IV“ war im letz­ten Herbst schon als Hard­co­ver erschie­nen, aber ich woll­te es zwecks bes­se­rer Optik im Bücher­re­gal ger­ne eben­falls als Taschen­buch haben.2 Dafür hab ich jetzt auch ein paar zusätz­li­che Essays und Fuß­no­ten mit drin, die bei der Erst­ver­öf­fent­li­chung teil­wei­se noch gar nicht geschrie­ben waren. Essays und Fuß­no­ten gibt es in dem Buch eine gan­ze Men­ge, denn es ver­eint – wie der Unter­ti­tel schon andeu­tet – Tex­te aus zehn Jah­ren und ist in drei Tei­le geglie­dert: „Things that are true“, „Things that might be true“ und „Some­thing that isn’t true at all“.

„Things that are true“ sind Por­träts über Musi­ker wie Brit­ney Spears, U2, Radio­head, Wil­co oder Bil­ly Joel, aber auch Repor­ta­gen über The-Smit­hs-Fan­tref­fen vol­ler Lati­nos, Goths in Dis­ney­land und eine ein­wö­chi­ge Chi­cken-McNug­gets-Diät (acht Jah­re vor „Super Size Me“). Klos­ter­man hat ihnen klei­ne Ein­füh­run­gen vor­an­ge­stellt, die mit­un­ter min­des­tens so unter­halt­sam und erhel­lend sind wie die Arti­kel selbst. Er bemüht sich, sei­ne The­men und Por­trä­tier­ten ernst zu neh­men (sogar Brit­ney Spears) und beschreibt Sze­nen, Gesprä­che und Ereig­nis­se mit einem unglaub­li­chen Gespür für Spra­che und Komik. Dabei kommt es ihm sehr zu Gute, dass angel­säch­si­scher Jour­na­lis­mus (im Gegen­satz zum deut­schen) dem Ver­fas­ser eine eige­ne Posi­ti­on und sogar ein Ich zuge­steht. Statt umständ­li­cher Kon­struk­tio­nen kann er somit ganz per­sön­li­che Ein­drü­cke brin­gen, die viel aus­sa­ge­kräf­ti­ger sind als es die Vor­täu­schung von Objek­ti­vi­tät je wäre. Fast nie erhebt er sich über den Gegen­stand, nur Euro­pä­er und Soc­cer sind The­men, bei denen er schnell emo­tio­nal wird.

„Things that might be true“ ver­eint zahl­rei­che „Esquire“-Kolumnen zu eher abs­trak­ten Gedan­ken. Er jon­gliert mit kul­tur­theo­re­ti­schen, zwi­schen­mensch­li­chen und gesell­schaft­li­chen The­men, was ihm meis­tens sehr gut gelingt, wor­in er sich mit­un­ter aber auch ein wenig ver­hed­dert. Die­se Tex­te regen aber, mehr als die aus Teil Eins, zum Nach­den­ken an und ich bin mir sicher, dass sie an ame­ri­ka­ni­schen Unis bereits Gegen­stand eini­ger Semi­na­re und Haus­ar­bei­ten sind. Ihnen vor­an­ge­stellt ist je eine (mit­un­ter höchst hypo­the­ti­sche Fra­ge), die den Leser schon mal an den Rand des Wahn­sinns brin­gen kann. Bei­spiel gefäl­lig?

Q: Think of someone who is your fri­end (do not sel­ect your best fri­end, but make sure the per­son is someone you would clas­si­fy as „con­sider­a­b­ly more than an acquain­tance“).
 This fri­end is going to be atta­cked by a grizz­ly bear.
 Now, this per­son will sur­vi­ve this bear attack; that is gua­ran­teed. The­re is a 100 per­cent chan­ce that your fri­end will live. Howe­ver, the ext­ent of his inju­ries is unknown; he might recei­ve not­hing but a few super­fi­ci­al scrat­ches, but he also might lose a lim (or mul­ti­ple lim­bs). He might reco­ver com­ple­te­ly in twen­ty-four hours with not­hing but a gre­at sto­ry, or he might spend the rest of his life in a wheel­chair.
 Somehow, you have the abili­ty to stop this attack from hap­pe­ning. You can magi­cal­ly save your fri­end from the bear. But his (or her) sal­va­ti­on will come at a pecu­li­ar pri­ce: if you choo­se to stop the bear, it will always rain. For the est of your life, whe­re­ver you go, it will be rai­ning. Some­ti­mes it will pour and some­ti­mes it will drizz­le – but it will never not be rai­ning. But it won’t rain over the tota­li­ty of the earth, nor will the hydro­lo­gi­cal cycle be dis­rupt­ed; the­se storm clouds will be iso­la­ted, and they will focus enti­re­ly on your spe­ci­fic whe­re­a­bouts. You will never see the sun again.
 Do you stop the bear and accept a life­time of rain?

Also bit­te, wie bril­lant ist denn sowas?

„Things that are­n’t true at all“ ent­hält eine etwa drei­ßig­sei­ti­ge Kurz­ge­schich­te über einen jun­gen Film­kri­ti­ker, dem eini­ge ziem­lich abge­fah­re­ne3 Sachen pas­sie­ren. Die Geschich­te ist gut geschrie­ben, mit der Klos­ter­man-übli­chen Lie­be zu aus­ge­fal­le­nen Details und sie ist nur etwa drei­ßig Sei­ten lang. Viel mehr posi­ti­ves lässt sich dar­über nicht sagen, sie ist halt „ganz nett“, aber ihr Feh­len hät­te für das Buch kei­nen gro­ßen Makel bedeu­tet.

Wenn Sie sich jetzt seit unge­fähr dem zwei­ten Absatz fra­gen, ob Chuck Klos­ter­man „sowas wie der ame­ri­ka­ni­sche Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re“ sei: Schwer zu sagen. Bei­de beherr­schen ihr Hand­werk sicher­lich sehr gut, aber es gibt schon deut­li­che Unter­schie­de, die ganz pro­fan bei der Spra­che anfan­gen (ich lie­be die­ses For­mel­haf­te der eng­li­schen Spra­che, ihre idio­ma­ti­schen Wen­dun­gen und die zahl­rei­chen Mög­lich­kei­ten, sich vom Beschrie­be­nen zu distan­zie­ren) und bei der Ein­stel­lung der Autoren gegen­über ihren Inhal­ten auf­hö­ren.

„Chuck Klos­ter­man IV“ ist für alle, die sich für Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne (und für ame­ri­ka­ni­sche Mas­sen­kul­tur) inter­es­sie­ren, die ger­ne gut geschrie­be­ne Por­träts und Repor­ta­gen lesen und sich für etwas absei­ti­ge Gedan­ken­gän­ge erwär­men kön­nen. Und für kurio­se Leu­te.

1 Es ist bedeu­tend dün­ner als das neue Buch (257 zu 416 Sei­ten).
2 Iro­nie der Geschich­te: Die Bücher ste­hen gar nicht bei mir im Regal. Das ist näm­lich voll. Sie lie­gen jetzt auf einer Rei­he ste­hen­der Bücher und wer­den noch dazu von einer Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Flag­ge ver­deckt.
3 Dem­nächst an die­ser Stel­le: Die zehn schöns­ten Acht­zi­ger-Jah­re-Adjek­ti­ve.