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Musik

Bernd Begemanns Gewaltphantasien

Ich hat­te mich neu­lich ein wenig über deutsch­spra­chi­ge Gegen­warts­mu­sik empört. Ein paar Wochen spä­ter hab ich Kraft­klub live gese­hen und damit die ers­te neue Band mit deut­schen Tex­ten seit sie­ben Jah­ren, die mich gekickt hat. Hop­fen und Malz sind also noch nicht ganz ver­lo­ren.

Bernd Bege­mann, des­sen Musik ich auch eher nur zu Tei­len schät­ze, hat offen­sicht­lich auch ein Pro­blem mit dem, was man die­ser Tage so zu hören bekommt:

„Der nor­ma­le Indiero­cker hat die­se Akus­tik­gi­tar­re, fängt ein Lied in A‑Moll an und singt dar­über, dass sei­ne Freun­din nicht zurück­ruft, dass er ein biss­chen trau­rig ist, ein biss­chen besorgt ist wegen der Welt, weil er so sen­si­bel ist. Mei­ne Güte, die­se Typen müss­te man alle bei den Ohren packen und auf die Tisch­kan­te schla­gen.“

Gesagt hat er das in einem Inter­view mit Radio Dreyeck­land und man muss Bege­manns lei­ern­den Sprach­fluss schon ertra­gen kön­nen, um das 20 Minu­ten lang aus­zu­hal­ten. Aber dafür bekommt man ein paar char­man­te Kol­le­gen-Bas­hings, Bege­manns Unter­schei­dung zwi­schen Schla­ger und Pop, sowie sei­ne etwas eige­ne Defi­ni­ti­on des Begriffs „Pop“ zu hören, was die zeit­li­che Inves­ti­ti­on durch­aus recht­fer­tigt. (Ich woll­te erst „mehr recht­fer­tigt als ein hal­bes Tim-Bendz­ko-Album“ schrei­ben, aber die­se Aus­sa­ge wäre ja qua­si all­ge­mein­gül­tig.)

Bernd Bege­mann im Inter­view

[via taz Pop­b­log]

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Musik

Are we human or are we Freiheit?

Mei­ne Ver­bun­den­heit mit der Mün­che­ner Frei­heit hat­te ich ja schon mehr­fach the­ma­ti­siert. Nach­dem die Band ca. 15 Jah­re völ­lig von mei­nem Schirm ver­schwun­den, aber selbst­ver­ständ­lich nie „weg“ war, gibt es nun … äh … Nach­rich­ten: Am 1. Okto­ber erscheint das neue Album, das „Ohne Limit“ hei­ßen wird.

Wäh­rend die Band in den 1980er Jah­ren ja immer etwas zu Unrecht in die Schla­ger-Ecke gescho­ben wur­de (eine Erfah­rung, die Sil­ber­mond oder Phil­ipp Poi­sel irri­tie­ren­der­wei­se nicht machen müs­sen), scheint sie sich jetzt ihrem Schick­sal erge­ben und die Rol­le der altern­den Schla­ger­fuz­zi­es ange­nom­men zu haben. Die TV-Pre­mie­re zur neu­en Sin­gle „Seit der Nacht“ war jeden­falls vor­letz­te Woche im MDR-Fern­se­hen bei „Musik für Sie“.

Die­se Sin­gle hat es dann auch gleich in sich, denn sie ist gleich­zei­tig ein Angriff auf den König des Pop­schla­gers und den guten Geschmack Bands wie The Kil­lers und Scis­sor Sis­ters, die mein­ten, unge­straft im Dis­co­fox wil­dern zu dür­fen.

Stre­cken Sie Ihre Bei­ne durch, dre­hen Sie ihre PC-Laut­spre­cher ganz auf und legen Sie eine flot­te Soh­le aufs Par­kett – das Par­kett, in dem ich mich kurz ver­bis­sen hat­te, als ich den Song das ers­te Mal gehört habe:


Mün­che­ner Frei­heit – Seit der nacht – MyVi­deo

(Bit­te beach­ten Sie auch die „Human“-Keyboardmelodie bei 0:38, falls Sie es so weit geschafft haben.)

Wenn Ihnen danach ist, kön­nen Sie auf der Web­site der Band Aus­schnit­te aus allen 16 neu­en Songs hören. Im Herbst und im kom­men­den Früh­jahr ist die Mün­che­ner Frei­heit auf gro­ßer „30 Jahre“-Jubiläumstour.

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Musik Radio

It’s Only Pop (But I Like It)

Zu den vie­len inter­es­san­ten Erfah­run­gen, die ich in Oslo gemacht habe, zählt die­se hier:

Nach­dem ich den ESC-Songs eini­ge Tage aus­ge­setzt war (die Ohr­wür­mer aus Däne­mark und Nor­we­gen sind immer noch nicht aus­ge­heilt), fand ich sie gar nicht mehr so schlimm. Mehr noch: Bei vie­len Songs, die uns der nor­we­gi­sche Top-40-Radio­sen­der im Früh­stücks­raum des Hotels jeden Mor­gen über unse­re Früh­stücks­flo­cken kipp­te, kamen Ste­fan und ich über­ein, dass das „jetzt auch irgend­wie eine Grand-Prix-Num­mer sein könn­te“. (Das spricht im Wesent­li­chen eher gegen Top-40-Musik im All­ge­mei­nen als für die Euro­vi­si­ons­bei­trä­ge, aber nun gut.)

Es ist psy­cho­lo­gisch eini­ger­ma­ßen erstaun­lich, wie groß der Kon­text, in dem wir einen Song ken­nen­ler­nen, unse­re Rezep­ti­on beein­flusst. Der bri­ti­sche Bei­trag (Stock/​Waterman) ist zwar ganz gro­ße Grüt­ze und völ­lig zu recht letz­ter gewor­den, er unter­schei­det sich in der Qua­li­tät des Song­wri­tin­gs aber nicht von ganz vie­lem, was man täg­lich so im Radio hört. Nur die Hemm­schwel­le der Musik­re­dak­tio­nen, eine Sin­gle auf Rota­ti­on zu neh­men, auf deren Hül­le „bekannt vom Euro­vi­si­on Song Con­test“ steht, ist offen­bar immer noch hoch. (Ande­rer­seits haben es die­ses Jahr immer­hin die Bei­trä­ge aus Bel­gi­en und Frank­reich ins Radio geschafft, der aser­bai­dscha­ni­sche Song – und die Nach­fol­ge­sin­gle von Saf­u­ra! – lief sogar im Musik­fern­se­hen. Lena lief ja eh über­all.)

Obwohl vie­le der ESC-Songs von den glei­chen Autoren und/​oder Pro­du­zen­ten stam­men wie vie­les von der Pop-Fließ­band­wa­re, die die Plat­ten­fir­men wöchent­lich mit Schub­kar­ren in die Funk­häu­ser kar­ren, beur­teilt der Hörer sie als min­der­wer­ti­ger, wenn er sie am Abend des Fina­les zum ers­ten Mal hört. Dabei hat man ja auch Ke$ha, Scou­ting For Girls oder Luxus­lärm irgend­wann zum ers­ten Mal gehört und fin­det sie, wenn man sie erst ein­mal wie­der­erkennt, viel­leicht nicht mehr so schei­ße. (Gut, Luxus­lärm sind da ein schlech­tes Bei­spiel, aber Sie ver­ste­hen, was ich mei­ne.)

Nun bin ich inzwi­schen viel­leicht ein biss­chen manisch gewor­den, was den Grand Prix angeht, aber ich muss ja immer­hin auch noch einen Song für den Wett­be­werb schrei­ben. Inso­fern beschäf­ti­ge ich mich seit drei Mona­ten etwas inten­si­ver mit leicht ver­dau­li­chen Pop­num­mern – und bin dabei kürz­lich über ein Lied gestol­pert (genau­er: WDR 2 hat mehr­fach damit auf mich ein­ge­schla­gen), das eine hun­dert­pro­zen­ti­ge moder­ne Grand-Prix-Num­mer ist:


Demi Lova­to Feat. Stan­four – Would­n’t Chan­ge A Th… – MyVi­deo

Das sind Stan­four (von der Nord­see­insel Föhr, Sie erin­nern sich) und Demi Lova­to (die Sie aus „Camp Rock“ ken­nen). Der Song stammt aus dem Sound­track zu „Camp Rock 2“, die­se spe­zi­el­le Ver­si­on wur­de extra für den deut­schen Markt auf­ge­nom­men zusam­men­ge­mischt. Im Film singt Joe Jonas von den Jonas Brot­hers und so lang­sam glau­be ich wirk­lich, dass die Dis­ney-Chan­nel-Fil­me das ame­ri­ka­ni­sche Äqui­va­lent zum ESC sind.

Jeden­falls: Ist das nicht der Wahn­sinn, wie die bei­den da gleich­zei­tig völ­lig unter­schied­li­che Tex­te sin­gen, die nur so mit­tel­gut inein­an­der­grei­fen? Das spart natür­lich Zeit, auch wenn die magi­sche Drei-Minu­ten-Mar­ke für Grand-Prix-Songs immer noch über­schrit­ten wird.

Aber dann die­se Midd­le 8, auf die sofort die Rückung folgt! Das ist Song­wri­ting vom Reiß­brett, ange­lehnt an die bewähr­ten Akkord­fol­gen von 3 Doors Down und Nickel­back. Die unge­stü­me Instru­men­tie­rung mit Schlag­zeug und E‑Gitarren, die Dyna­mik simu­lie­ren soll (heißt ja nicht umsonst „Camp Rock“), bei der aber auch der Oma nicht die Kaf­fee­tas­se aus der Hand fällt. Also im Prin­zip Bryan Adams kon­se­quent zu Ende gedacht.

Natür­lich ganz gro­ße Grüt­ze, der Song – aber ich fürch­te, ich habe ihn jetzt ein biss­chen zu oft gehört, um das noch zu erken­nen.

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Musik Rundfunk

Die Definition von Pop

Erin­nern Sie sich noch an den schreck­li­chen däni­schen Bei­trag beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Oslo?

Herr Nig­ge­mei­er und ich haben – wäh­rend wir ver­such­ten, uns die­sen Ohr­wurm gegen­sei­tig aus dem Kopf zu prü­geln – lan­ge dar­über nach­ge­dacht, wor­an uns die­ser Song alles erin­nert. „Every Breath You Take“ (oder, für die Jün­ge­ren: „I’ll Be Miss­ing You“) war natür­lich dabei, mit ein biss­chen frem­der Hil­fe kamen wir auch auf „The Best“ von Tina Tur­ner und einen Hauch von „Dancing Queen“ kann man im Refrain auch erken­nen.

Das alles ist aber harm­los gegen Lady Gaga, die das Prin­zip Pop aus­füllt wie nie­mand sonst die­ser Tage. Ihre aktu­el­le Sin­gle „Ale­jan­dro“ ver­fügt nicht nur über ein beein­dru­ckend irres Video, sie klingt auch wie hun­dert bereits bekann­te Songs gleich­zei­tig:


Lady Gaga – Ale­jan­dro – MyVi­deo

Mau­ra John­s­ton und Jay Smooth haben sich bei NPR aus­gie­big Gedan­ken dar­über gemacht und erklä­ren in drei­ein­halb Minu­ten mal eben, wie Pop­mu­sik funk­tio­niert.

Lady Gaga Vs. Ace Of Base bei npr.org

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Musik

Silence always wins

Es gibt Bands und Musi­ker, die beglei­ten einen ein Leben lang, ohne dass man es merkt. Als Patri­cia Kaas beim Grand Prix für Frank­reich sang, über­kam mich ein woh­li­ger Erin­ne­rungs­schau­er, der mich an vie­le Geburts­tags­fei­ern mei­ner Eltern den­ken ließ und an die unzäh­li­gen namen­lo­sen Hits der Star-Chan­teu­se, die sol­che Ver­an­stal­tun­gen beschallt haben, als ich noch ein Kind war.

Bei a‑ha kam die­se Erkennt­nis vor neun Jah­ren, als sich das nor­we­gi­sche Trio aus der Krea­tiv­pau­se zurück­mel­de­te und mit „Minor Earth Major Sky“ mal eben eines der bes­ten Pop-Alben des Jahr­zehnts ver­öf­fent­lich­te. Beim Kon­zert in der Are­na Ober­hau­sen (bei dem ein Freund und ich die ein­zi­gen Män­ner unter 30 waren und zur Stra­fe Rea­m­onn als Vor­grup­pe ertra­gen muss­ten) däm­mer­te mir dann, wie vie­le a‑ha-Lie­der schon immer Teil mei­nes Lebens gewe­sen waren. Allen vor­an natür­lich „Take On Me“, die­se unfass­bar ein­gän­gi­ge Acht­zi­ger-Hym­ne mit dem bes­ten Musik­vi­deo aller Zei­ten, bei deren „Singstar“-Interpretation ich unge­schla­gen bin.

Drei­ein­halb Jah­re ist das letz­te a‑ha-Album „Ana­lo­gue“ alt, das bei etwas kre­di­bi­le­ren Künst­lern als „beein­dru­ckend dich­tes Alters­werk“ durch­ge­gan­gen wäre, bei den ewi­gen Pos­ter­boys aber wei­test­ge­hend igno­riert wur­de. Zeit für etwas Neu­es, zum Bei­spiel die Sin­gle „Foot Of The Moun­tain“, die letz­te Woche beim Fina­le von „Germany’s Next Top­mo­del“ in einer spek­ta­ku­lä­ren Büh­ne der Welt­öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert wur­de:

[Direkt­link]

(Die­se komi­schen Kis­ten schei­nen übri­gens sehr Fri­sur­feind­lich gewe­sen zu sein.)

Man muss den Song viel­leicht ein paar Mal hören, bevor er sich einem erschließt. Aber wenn man sich ein­mal an die stel­len­wei­se unkon­ven­tio­nel­le Gesangs­me­lo­die gewöhnt, wenn man die „Dis­arm“-Glo­cken im Refrain ent­deckt und mal auf den zwi­schen Zynis­mus und Pathos schwan­ken­den Refrain geach­tet hat, dann will man den „Repeat“-Schalter gar nicht mehr zurück­stel­len. (Sie ahnen: Im Moment ist es etwas anstren­gend, mit mir zusam­men­zu­woh­nen.)

Das Album, das auch „Foot Of The Moun­tain“ hei­ßen wird, erscheint in Deutsch­land am 19. Juni.

PS: Sehen Sie sich bit­te auch unbe­dingt die­se außer­ge­wöhn­li­che Live­ver­si­on von „Take On Me“ an!

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Musik

Photographic

Pitch­fork hat sich über die Stand­auf­nah­men schon gewun­dert, die „Not in a mil­li­on lovers, das neue Video der Bean­gro­wers, so bewegt machen. Noch bewe­gen­der ist aber wie­der die Stim­me von Ali­son Galea, der mög­li­cher­wei­se nied­lichs­ten andert­halb Meter von Mal­ta, die die­sen Song des dem­nächst erschei­nen­den Bean­gro­wers-Albums mit dem glei­chen Titel gewohnt ver­edelt.

Und jetzt alle: hach!!!1

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Musik

Listenpanik (4): Knietief im Pop

Dank der zu Anfang etwas kru­den Abrech­nungs­zeit­räu­me war Teil 3 unse­rer Serie für den Mai gedacht, die­ser (vier­te) befasst sich also mit den Alben und Sin­gles des Monats Juni. Wie immer streng sub­jek­tiv und ohne den Hauch eines Anspruchs auf Voll­stän­dig­keit – und dies­mal beson­ders pop­pig:

Alben (inkl. Amazon.de-Links)
1. Crow­ded House – Time On Earth
Crow­ded House war trotz der gro­ßen Hits („Wea­ther With You“, „Don’t Dream It’s Over“, „Four Sea­sons In One Day“, …) die Band, die kaum jemand kann­te. Das änder­te sich auch nicht groß, als sich die Band 1996 auf­lös­te und ihr Kopf Neil Finn allei­ne und mit sei­nem Bru­der Tim schö­ne bis groß­ar­ti­ge Pop-Alben ver­öf­fent­lich­te. Jetzt hat sich die Band in Bei­na­he-Ori­gi­nal­be­set­zung (Schlag­zeu­ger Paul Hes­ter beging 2005 Selbst­mord) wie­der zusam­men­ge­tan und ihr fünf­tes regu­lä­res Album ver­öf­fent­licht. Und man muss sagen: Wenn es je eine Band ver­dient hat, das musi­ka­li­sche Erbe der Beat­les anzu­tre­ten, dann Crow­ded House. Die wun­der­schö­nen, oft melan­cho­li­schen Melo­dien pur­zeln nur so aus den Boxen und Songs wie die Sin­gle „Don’t Stop Now“ hät­ten es ver­dient, min­des­tens so berühmt zu wer­den wie „Wea­ther With You“.

2. Jupi­ter Jones – Ent­we­der geht die­se scheuß­li­che Tape­te – oder ich
Zwei­ein­halb Jah­re nach ihrem Debüt sind Jupi­ter Jones zurück und machen bei­na­he da wei­ter, wo sie auf­ge­hört haben. Zu den gran­dio­sen Tex­ten über Lie­be und Ein­sam­keit, Auf­bruch und Auf­ge­ben hat sich die Band musi­ka­lisch wei­ter­ent­wi­ckelt und beein­druckt jetzt mit Blä­sern, Strei­chern und natür­lich auch wei­ter­hin mit jede Men­ge Feu­er unterm Arsch. Nenn‘ es Punk­rock, nenn‘ es Deutsch­rock oder Emo – das ist eigent­lich egal, denn es ist und bleibt gut: Musik mit kathar­ti­scher Wir­kung.

3. Mark Ron­son – Ver­si­on
Mark Ron­son ist DJ und Pro­du­zent (Lily Allen, Rob­bie Wil­liams, …) und das, was er auf sei­nem zwei­ten Solo­al­bum betreibt, ist das, was ein DJ und Pro­du­zent eben so macht: Songs inein­an­der über­ge­hen las­sen und über­ra­schen­de Klän­ge her­vor­zau­bern. Neun Cover­ver­sio­nen gibt es, zwei Remi­xe und drei Instru­men­tal­tracks und die Gast­stars geben sich die Klin­ke in die Hand: Die char­man­te Lily Allen gewinnt „Oh My God“ von den Kai­ser Chiefs ein weib­li­che Lon­do­ner Kom­po­nen­te ab, Dani­el Mer­ri­wea­ther schmach­tet sich durch „Stop Me“ von The Smit­hs, Phan­tom-Pla­net-Sän­ger Alex Green­wald bezwingt (wie schon auf die­sem Tri­bu­te-Sam­pler) Radio­heads „Just“ und Rob­bie Wil­liams darf bei „The Only One I Know“ von den Char­la­tans zei­gen, dass er immer noch sin­gen kann. Dazu gibt’s fet­te Beats und sat­te Blä­ser und schon hat man etwas ganz sel­te­nes: ein Album, dass man auf einer Par­ty durch­lau­fen las­sen kann.

4. Ryan Adams – Easy Tiger
Fast andert­halb Jah­re lagen zwi­schen der Ver­öf­fent­li­chung von „29“ und „Easy Tiger“ – Ryan Adams hat­te doch nicht etwa eine Schreib­blo­cka­de? Iwo: Der leicht ver­peil­te Alt.-Country-Rocker hat nur Anlauf genom­men und will die­ses Jahr noch ein Box­set mit Out­takes und Rari­tä­ten ver­öf­fent­li­chen. Vor­her gibt es aber „Easy Tiger“, das so ziem­lich alle Qua­li­tä­ten des frü­he­ren Whis­key­town-Sän­gers ver­eint: Rock’n’Roll‑, Folk‑, Coun­try- und Pop­songs ste­hen neben­ein­an­der wie Geschwis­ter, die sich nicht so hun­dert­pro­zen­tig ähn­lich sehen, aber doch den glei­chen Papa haben. Es ist Adams‘ abwechs­lungs­reichs­tes Album seit dem phan­tas­ti­schen „Gold“ und viel­leicht auch sein bes­tes seit­dem. Das merkt man u.a. dar­an, dass bei „Two“ noch nicht mal Sheryl Crow stört.

5. Ghosts – The World Is Out­side
Jedes Jahr kom­men jun­ge bri­ti­sche Bands zu uns, die die Nach­fol­ge von a‑ha oder wenigs­tens der New Radi­cals antre­ten wol­len. Bei man­chen (Kea­ne) klappt das, ande­re lau­fen zwar im Radio, schaf­fen den Durch­bruch dann aber doch nicht (Orson, The Fee­ling, Thir­teen Sen­ses. …). Wozu Ghosts gehö­ren wer­den, ist noch nicht abzu­se­hen. Man kann aber schon sagen, dass sie schi­cke Pop­mu­sik machen, die uns durch den Som­mer beglei­ten soll – egal, wie das Wet­ter noch wird. Das klappt viel­leicht nich über die vol­le Album­di­stanz und ist auch alles ande­re als neu, aber eben doch sehr nett gemacht. Wer jetzt sagt: „Na, das ist aber kein beson­ders über­zeu­gen­des Plä­doy­er“, dem sage ich: „Kann schon sein. Aber hören Sie sich das ein­fach mal an, es könn­te Ihnen gefal­len.“

Sin­gles (inkl. iTu­nes-Links)
1. Beat­steaks – Cut Off The Top
Das dazu­ge­hö­ri­ge Album hat­te ich hier schon sträf­lich ver­nach­läs­sigt, die Sin­gle muss aber rein. Die Beat­steaks machen mal wie­der alles rich­tig und hau­en einen schwer zu kate­go­ri­sie­ren­den Song (und ein tol­les Video) raus. „Dama­ge! Dama­ge!“

2. Smas­hing Pump­kins – Taran­tu­la
Dafür bringt man als 16-Jäh­ri­ger all sein Taschen­geld zum Ticket­händ­ler und geht auf ein Kon­zert der „Abschieds­tour­nee“, damit sich die Band sie­ben Jah­re spä­ter refor­miert. Oder: Damit sich Bil­ly Cor­gan ein paar neue Band­dar­stel­ler auf die Büh­ne stellt und Paris Hil­ton aufs Sin­gle-Cover klatscht. Der Song ist aber schon recht beacht­lich, der ein­zi­ge ande­re Ur-Pump­kin Jim­my Cham­ber­lin knüp­pelt sich durch min­des­tens vier ver­schie­de­ne Rhyth­men und ich muss gleich drin­gend los und mir das Album kau­fen. Bleibt nur die Fra­ge: Was ist mit dem „The“ im Band­na­men pas­siert?

3. Mika – Relax (Take It Easy)
Mika habe ich ja schon eini­ge Male gefei­ert (z.B. hier sein Album), „Relax“ kann man ruhig aber noch mal extra erwäh­nen. Für alle, die kei­ne Cut­ting-Crew-Samples und kei­ne Kopf­stim­men mögen, ist der Song natür­lich eine Zumu­tung, für mich eine char­mant durch­ge­knall­te Dis­co-Num­mer, die auch durch die Ver­wen­dung im Wer­be­fern­se­hen kei­nen gro­ßen Scha­den nimmt.

4. Ghosts – Stay The Night
Schon wie­der Ghosts. Ja, das ist halt ein­gän­gi­ger Radio­pop und „Stay The Night“ das, was man wohl als „Gute-Lau­ne-Musik“ bezeich­nen wür­de, wenn das nicht ein abso­lut wider­li­cher, bescheu­er­ter Begriff wäre. Mal dar­über nach­ge­dacht, dass die­se Sin­gles-Lis­te immer so pop­las­tig sein könn­te, weil so wenig Math­co­re- oder Expe­ri­men­tal-Bands Sin­gles ver­öf­fent­li­chen? Ist mir auch gera­de erst auf­ge­fal­len.

5. Take That – Reach Out
Jawoll, ich bin end­gül­tig wahn­sin­nig gewor­den und packe Take That auf mei­ne Lis­te. Aber wie­so eigent­lich wahn­sin­nig? Das ist doch wohl ein­fach ein schö­ner Pop­song, sau­ber geschrie­ben und gut gesun­gen. Und um mich gleich rich­tig lächer­lich zu machen: Bin ich der ein­zi­ge, den die Stro­phen an „Die Tie­re sind unru­hig“ von Kan­te erin­nern?

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Musik

Listenpanik (2): Hier kommt Rock’n’Roll

Die letz­te Bestands­auf­nah­me ist schon wie­der fast zwei Mona­te her und so rich­tig sinn­voll will mir die­ses unstruk­tu­rier­te Vor­ge­hen nicht erschei­nen. Des­we­gen gibt es hier ab dem­nächst immer am Monats­en­de eine Lis­te der wich­tigs­ten Plat­ten und Sin­gles. Jetzt aber erst mal die für Ende Febru­ar bis Mit­te April – natür­lich wie immer streng sub­jek­tiv und garan­tiert unter ver­se­hent­li­chem Ver­ges­sen von hun­dert ande­ren Sachen, die auch toll sind.

Alben
1. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chro­nic­les Of A Bohe­mi­an Teen­ager
Pas­sen­der kann ein Album­ti­tel kaum sein: Ganz gro­ßes Gefühls­ki­no mit­ten aus dem Leben, das von ver­spiel­tem Geplu­cker vor dem Sturz in den Emo-Stru­del bewahrt wird. Sam Duck­worth ist gera­de mal 20 und damit ein mehr als wür­di­ger Erbe für Con­nor Oberst, des­sen Bright Eyes das Tal der Trä­nen lang­sam zu ver­las­sen wol­len schei­nen.

2. Mika – Life In Car­toon Moti­on
Pas­sen­der kann ein Album­ti­tel kaum sein: Höchst ver­gnüg­li­cher Bubble­gum-Pop, der immer kurz davor steht, ins Alber­ne abzu­schwei­fen, sich aber immer wie­der ret­tet. Dass der 23jährige Sän­ger (als Kind mit sei­ner Mut­ter aus dem Liba­non geflo­hen, der Vater sie­ben Mona­te im Irak ver­schwun­den, hat frü­her Tele­fon­war­te­schlei­fen besun­gen) bis­her schon ein für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se erschre­ckend beweg­tes Leben geführt hat, macht ihn auch als Inter­view­part­ner inter­es­sant.

3. Flower­porn­oes – Wie oft musst du vor die Wand lau­fen, bis der Him­mel sich auf­tut?
Pas­sen­der … Nee, anders: Es mag Zufall sein, dass Tom Liwa sei­ne Band in dem Jahr reak­ti­vier­te, in dem mit Blum­feld eine ande­re gro­ße deutsch­spra­chi­ge Indie­band der ers­ten Stun­de die Büh­ne ver­lässt. Stra­pa­zier­te Liwa auf sei­nen letz­ten Solo­plat­ten die Ner­ven sei­ner boden­stän­di­ge­ren Fans mit­un­ter erheb­lich mit eso­te­ri­schen The­men, steht er plötz­lich wie­der mit­ten im Leben. Die E‑Gitarren bol­lern und er singt Geschich­ten von Zahn­arzt­töch­tern, Apfel­ker­nen und Rock’n’Roll. Und der ist bekannt­lich grö­ßer als wir alle.

4. Maxï­mo Park – Our Earth­ly Plea­su­res
Die neben Bloc Par­ty ver­mut­lich span­nends­te Band der Bri­tish Class of 2005 legt eben­falls nach. Wie es sich für einen guten Zweit­ling gehört, wirkt die Band gefes­tig­ter und scheint ihren Weg gefun­den zu haben. Musi­ka­lisch gro­ßer Indiepop mit vol­lem Instru­men­ta­ri­um, text­lich oft genug ganz tief drin in den mensch­li­chen Abgrün­den.

5. Just Jack – Over­to­nes
Hip Hop? Funk? Pop? Na ja, in irgend­ei­ne Schub­la­de wird man das Album schon stop­fen kön­nen. Bes­ser auf­ge­ho­ben ist es aber im Disc­man, wäh­rend man auf der Wie­se in der Son­ne liegt. So laid back und som­mer­lich kann Musik klin­gen, ohne gleich süß­lich duf­ten zu müs­sen.

Sin­gles
1. Manic Street Pre­a­chers – Your Love Alo­ne Is Not Enough
Okay, okay: noch ist die Sin­gle nicht erschie­nen. Aber wenn die Manic Street Pre­a­chers durch die Solo­aus­flü­ge von James Dean Brad­field und Nicky Wire zu alter Stär­ke zurück­fin­den und dann noch ein Duett mit Nina Pers­son von den Car­di­gans, der Frau in die jeder ordent­li­che Indie­hör­er und ‑musi­ker min­des­tens ein­mal ver­liebt war, ver­öf­fent­li­chen, ist das Release­da­te ja wohl egal. Wenn Brad­field und Pers­son durch die­se nach Pet­ti­coat und Tanz­tee klin­gen­de Num­mer schun­keln und neben­bei noch ein paar Selbst­zi­ta­te ver­bra­ten („You sto­le the sun“ – „Straight from my heart, from my heart, from my heart“), ist das eben ganz und gar groß­ar­tig.

2. Tra­vis – Clo­ser
Auch noch nicht erschie­nen, aber eben­falls bereits zu hören ist die Come­back-Sin­gle von Tra­vis. „Clo­ser“ ist ein ech­ter grower, der beim ers­ten Hören lang­wei­lig erscheint, und den man nach fünf Durch­gän­gen schon ewig zu ken­nen glaubt. „Gän­se­haut-Zeit­lu­pen-Sta­di­on-Pop­hym­ne“ nennt das die Pres­se­info und hat damit sogar irgend­wie recht. Die Band tän­zelt durchs Video und man wür­de es ihr ger­ne gleich­tun. Das macht – zusam­men mit den ande­ren Hör­pro­ben, die es bereits gab – ganz gro­ße Lust auf das neue Album.

3. Just Jack – Starz In Their Eyes
Night fever, night fever! In der sog. gerech­ten Welt wäre das der Tanz­bo­den­fül­ler der Sai­son. So ist es eben nur der Funk­song, mit dem man sich bis zum Erschei­nen des nächs­ten Phoe­nix-Albums die Bei­ne ver­tre­ten kann. Oder was man sonst mit Bei­nen so macht, wenn Musik läuft.

4. Kili­ans – Fight The Start
Ja ja, die klin­gen total wie die Strokes. Nur, dass ich mich nicht erin­nern könn­te, dass die Strokes je A Tri­be Cal­led Quest zitiert hät­ten. Außer­dem kön­nen Men­schen, die sich für beson­ders schö­ne Bass­läu­fe inter­es­sie­ren, hier noch rich­tig was ler­nen. Und alle ande­ren auch. Gerech­te Welt: Rie­sen­hit. Kann man sogar nach­hel­fen.

5. The View – Was­ted Litt­le DJ’s
Bevor alle Welt New Rave fei­ert – was auch immer das genau sein soll – gibt es hier noch mal Indie­rock. Der Song den­gelt zwi­schen Liber­ti­nes und Beach Boys dahin und soll­te die­ses Jahr auf kei­nem Mix­tape feh­len.

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Musik Digital

Null-Blog-Generation

Wenn ich zu Spie­gel Online gehe, erwar­te ich natür­lich nicht pri­mär kom­pe­ten­te Betrach­tun­gen zum The­ma Musik. Dass die dor­ti­gen Plat­ten­kri­ti­ken unter ande­rem von Jan Wig­ger geschrie­ben wer­den, sorgt aber immer­hin für ein biss­chen Indie Cre­di­bi­li­ty und ein paar kurz­wei­li­ge Rezen­sio­nen.

Nun hat man Ende let­zen Jah­res bei SpOn fest­ge­stellt, dass es ja seit ein paar Jah­ren das sog. Inter­net und somit auch die­se hyper­mo­der­nen, völ­lig flip­pi­gen „Blogs“ gibt, von denen sich nicht weni­ge mit Musi­kern befas­sen, die noch nicht so bekannt sind. Auf der Suche nach hip­pem und preis­güns­ti­gem con­tent muss man also nur noch ein paar ein­schlä­gi­ge Blogs durch­le­sen oder sich auf der ein oder ande­ren Web­site her­um­trei­ben und *schwups* hat man ein Bün­del Neu­ent­de­ckun­gen unterm Arm, über die noch nie­mand sonst geschrie­ben hat man sich aus­las­sen kann.

Und in der Tat: Was Hei­ko Behr (Redak­ti­ons­mit­glied beim intro) bis­her zusam­men­ge­tra­gen hat, reicht von hei­mi­schen Geheim­tipps (Ich Jetzt Täg­lich, Gis­bert zu Knyphau­sen, Polar­kreis 18) über Soon-To-Be-Super­stars (Amy Wine­house und Mika), bis hin zu Künst­lern, die zwar schon län­ger bis lan­ge dabei sind, aber zumin­dest in Deutsch­land noch auf den gro­ßen Durch­bruch warte(te)n (Joseph Arthur, The Shins). Drum­her­um fin­den sich noch jede Men­ge ande­re Künst­ler und Bands, die ein mehr oder weni­ger genau­es Hin­hö­ren Wert sind.

Nur: Wenn man bei SpOn die Kate­go­rie „Top of the Blogs“ nennt und Zei­len wie

gleich meh­re­re Blogs begin­nen ihre Lobes­hym­nen über das Quin­tett mit iden­ti­schen Zei­len

ein­flie­ßen lässt, wenn man in jedem zwei­ten Satz die Vor­zü­ge der welt­wei­ten Ver­knüp­fung von Inhal­ten unter­ein­an­der anpreist, war­um in Drei­teu­fels­na­men ist dann KEIN EINZIGES Blog ver­linkt? Nir­gend­wo.

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Musik

Die Jugend von morgen

Mor­gen erschei­nen zwei Alben, die – auch wenn sie auf den ers­ten Blick sehr ver­schie­den sind – ein paar Gemein­sam­kei­ten auf­wei­sen: bei­de stam­men aus der Feder von jun­gen Män­nern und bei­de gefal­len mir außer­or­dent­lich gut.

Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chro­nic­les Of A Bohe­mi­an Teen­ager
Lass uns Schub­la­den ver­bren­nen mit Sam Duck­worth. Der schnappt sich sei­ne Akus­tik­gi­tar­re und singt Melo­dien, die einen zunächst ein­mal an so rich­tig emo-mäßi­ge Songs den­ken las­sen. Aber noch bevor man „Dash­board Con­fes­sio­nal lässt grü­ßen“ in sei­nen Unter­arm rit­zen kann, schep­pern da ver­spiel­te Beats los und win­ken in Rich­tung The Pos­tal Ser­vice und Elec­tric Pre­si­dent. Anders als die bis­her gen­a­me­drop­ten Künst­ler kommt Duck­worth aus Eng­land und ist gera­de 20 Jah­re alt. Man müss­te sich arg am Meta­phern­rie­men rei­ßen, um die Lie­der nicht als Per­len zu bezeich­nen und das Album zu hören klingt wie als Kind in die Som­mer­fe­ri­en zu fah­ren. Und ehe mei­ne Hilf­lo­sig­keit, das Unglaub­li­che in Wor­te zu fas­sen, noch wei­ter um sich greift, emp­feh­le ich die Anschaf­fung des Wer­kes. Zur Not nach vor­he­ri­gem Rein­hö­ren!

Mika – Life In Car­toon Moti­on
Die fan­tas­ti­sche Sin­gle „Grace Kel­ly“, die einem auch beim hun­derts­ten Hören noch nicht völ­lig auf die Ket­ten geht, hat­te ich ja schon vor ein paar Wochen gelobt. Jetzt kommt das Album (natür­lich mit abge­run­de­ten Ecken) und da zeigt uns der 23jährige Mika, der in sei­nem Leben schon mehr erlebt hat als so man­cher mit 75, wie Pop heu­te geht. Was sage ich dazu? Seit „May­be You’­ve Been Brain­wa­shed Too“ von den New Radi­cals, nach deren Gregg Alex­an­der Mika immer wie­der klingt, hab ich kei­ne so char­mant-bun­te Pop-Plat­te mehr gehört. Wenn das Album nach zehn Songs vor­bei­ge wäre, wäre es ein ech­tes Meis­ter­werk. Mit zwölf Num­mern ist es nur eine groß­ar­ti­ge Schei­be für Freun­de des etwas bubble­gu­mi­gen Indiepops. Bit­te eben­falls kau­fen und hören!