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Holzmichel auf dem Holzweg

Jaaaaaaaaa, Friedbert Pflüger lebt also auch noch. ((Für die 81 Millionen Deutschen, die Friedbert Pflüger nicht kennen: Das ist der Mann, der vor zwei Jahren gerne Regierender Bürgermeister in Berlin geworden wäre. Er sieht immer ein bisschen so aus, als habe er gerade die Jahresproduktion einer Zitronensaftkonzentratfabrik leergetrunken, und ist gerade mit seinem einzigen bekannten politischen Ziel, dem Erhalt eines knuffigen Stadtflughafens, gescheitert. Kurzum: Er ist der Typ, der in amerikanischen High-School-Komödien immer in den Spind gesperrt wird. Außerdem bloggt Friedbert Pflüger.)) Um auf diesen Umstand hinzuweisen, hat er zu Beginn der Woche die Absetzung der Talkshow “Anne Will” gefordert. In der Ausgabe vom letzten Sonntag gab es einen Einspieler zu sehen, der laut Herrn Pflüger die rot-rote Regierung in Berlin in einem viel zu guten Licht hat erscheinen lassen.

Ich habe die betreffende Sendung nicht gesehen, ich habe “Anne Will” überhaupt noch nie gesehen, ebenso wie ich mich nicht erinnern kann, je eine ganze Ausgabe “Sabine Christiansen” ertragen zu haben. Ich ertrage kein Talkshows, in denen Politiker und Menschen auswendig gelernte Sätze aufsagen, und sich in keiner Weise durch das beirren lassen, was die anderen Gäste auswendig aufsagen. ((In den drei Sendungen von “Hart aber fair”, die ich gesehen habe, redeten Menschen laut und wüst durcheinander und gegen Ende wurde klar, dass es theoretisch einen Moderator gegeben hätte, der das Ganze hätte lenken können. Wieso alle Welt “Hart aber fair” so toll findet, ist mir völlig schleierhaft.))

In seinem Blog schrieb Pflüger über “Anne Will”:

Mit Journalismus hat das alles wenig zu tun. Das ist Ideologie und Liebedienerei, dazu noch schlecht gemacht. Frau Will missbraucht ihren privilegierten Sendeplatz und wirbt für eine politische Richtung, anstatt zu informieren.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet “Bild” Pflügers Vorlage aufnahm.

Dann warf Pflüger seine komplette Ahnungslosigkeit in Sachen Medienpolitik in die Wagschale:

Ich bin – auch als Rundfunkrat des rbb – nicht bereit, dass auf sich beruhen zu lassen.

Ich bin mir sicher, dass man beim NDR, der die Sendung “Anne Will” verantwortet, schon mit den Knien schlottert, angesichts dieser Kampfansage.

Oder wie es Lorenz Maroldt in seinem klugen Kommentar im “Tagesspiegel” zusammenfasst:

Für die Frage, ob Anne Will durch Frank Plasberg ersetzt wird, ist Pflügers Stimme ebenso wichtig wie die von Lothar Matthäus für die Aufstellung der Nationalmannschaft.

Bis hierhin war es nur Friedbert Pflüger, der sich freuen konnte, mal wieder in der bundesweiten Presse gelandet zu sein. Doch heute fordern – ebenfalls in “Bild” – Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und David McAllister, CDU-Fraktionschef in Niedersachsen und Mitglied im NDR-Rundfunkrat ebenfalls Konsequenzen, die bis zur Absetzung der Sendung reichen.

Journalistische Fehler passieren immer wieder und Frank Schirrmacher, der dem Thema einen klugen, aber etwas umständlichen Text gewidmet hat, dürfte Recht haben, wenn er sagt, die Redaktion der Sendung würde sich über solche Fehler wohl am meisten ärgern. ((Wenigstens will ich Schirrmachers Optimismus teilen.)) Im konkreten Fall scheint aber noch nicht einmal völlig klar, ob die in der Sendung aufgestellte Behauptung, die rot-rote Regierung habe in Berlin 60 Millionen Milliarden Euro “geerbt” nun wirklich falsch oder nur unglücklich formuliert war. Vermutlich ist es einfach eine Interpretationssache.

Dass nun Politiker direkt in die Programmplanung eingreifen wollen, finde ich sehr gefährlich. Zwar haben gerade die Zuschauer öffentlich-rechtlicher Programme einen Anspruch auf richtige Fakten und möglichst objektive Berichterstattung, aber erstens ist der strittige Sachverhalt ja offenbar gar nicht so klar und zweitens strahlt die ARD ja auch immer noch den “Report aus München” aus. In keinem Falle aber sollten Politiker, denen eine politische Talkshow nicht in den Kram passt, erklären wollen, wie guter Journalismus geht.

Wie diese ganzen CDU-Politiker wohl reagiert hätten, wenn in der Sendung Stimmung gegen rot-rot gemacht worden wäre?

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Digital Politik

Schaum vorm Mund

Bis vor einigen Tagen hatte ich noch nie von Sebastian Edathy gehört, im Moment erlebt der SPD-Politiker seine fünfzehn Minuten Ruhm in der Blogosphäre, was immerhin für fünf Mal Zähneputzen reicht.

Mitunter geht dabei unter, dass Edathy eigentlich Kritik an der geplanten Videoüberwachung von Privathaushalten geäußert hatte – andererseits hat er selbst natürlich in seinem mittlerweile legendären Radio-Eins-Interview die Gelegenheit versäumt, irgendeinen Standpunkt zu vertreten.

Jetzt wird Edatyh in seinem Gästebuch und bei abgeordnetenwatch.de mit hämischen Fragen und Kommentaren überhäuft, auf die er in seiner ganz eigenen Art reagiert: er zitiert dpa-Meldungen, in denen er zitiert wird.

Ein Kommentator im Gästebuch schreibt zum Telefoninterview interruptus:

Schade, dass Sie sich diesem sehr wichtigen Thema auf diese Weise entziehen. Es hätte mich schon sehr interessiert, wie Sie sich als SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Innenausschusses dazu positionieren.

Und Edathy antwortet kanzelt ihn ab:

Wenn Sie sich ein wenig kundig gemacht hätten, wüssten Sie, dass ich
mich zu diesem Thema in den letzten Tagen mehrfach kritisch geäußert habe.

Bei abgeordnetenwatch.de hat er fast exakt das gleiche geantwortet.

Aber auch eine andere Geschichte ist noch nicht ausgestanden: Edathy hatte sich bei der Chefredaktion von “Zeit Online” darüber beschwert, dass eine freie Journalistin, die ihn für “Zeit Online” interviewt hatte, seine Zitate einfach für einen Text bei Telepolis (oder wie Edathy es ausdrückt: “auf der Seite heise.de – einem privatem Forum”) verbraten hatte. Über das Vorgehen der Journalistin lässt sich sicher lange diskutieren (s.a. die Stellungnahme von “Zeit Online” und die Reaktion im “Zeit Meckerblog”), Edathy aber nutzte die Situation, um sich zielsicher und an völlig falscher Stelle zum Vollhorst zu machen, wobei er die Folgen seines Auftritts in Journalismus und Blogosphäre offensichtlich unterschätzte.

Der Blogger Jochen Hoff schrieb Edathy eine reichlich unverschämte E-Mail zu dem Fall, in der er neben einer Menge übertriebener Kritik auch folgenden Absatz einbaute:

Ach ja. Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für sie finden, allerdings wird es Ihnen nach ihrem Gerichtsverfahren, dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.

Staatsmänner von wahrer Größe hätten auf so einen pubertären Dünnsinn gar nicht reagiert. Doch was tat Sebastian Edathy, dem es neben Größe, Humor, Souveränität und Freundlichkeit gegenüber Wählern und Journalisten auch an Gespür dafür zu mangeln scheint, wann man redet und wann man besser schweigt?

Er antwortete:

Ihre Aussage “Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für Sie finden, allerdings wird es Ihnen nach Ihrem Gerichtsverfahren dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.” reicht zwar bereits für eine Strafanzeige aus, die ich auch stellen werde, vielleicht könnten Sie Ihre Ausführungen aber noch ein wenig konkretisieren bzw. illustrieren, damit ich der Staatsanwaltschaft ggf. ergänzende Informationen übermitteln kann.

Dass sich ein Blogger derart zum Affen macht, ist die eine Sache; dass ein Politiker derart darauf anspringt, ist in meinen Augen aber noch viel schlimmer.

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Politik Gesellschaft

Im Bad mit Sebastian Edathy

Gäbe es einen Preis für den unsouveränsten Politiker, er ginge in diesem noch jungen Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit an Sebastian Edathy. Gäbe es im deutschen Fernsehen echte Satiresendungen und nicht nur den “Scheibenwischer” und das Dekolletee von Angela Merkel, müsste man sich auf Monate voller Zahnputz-Witze einstellen.

Was war passiert? Edathy, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzender des Innenausschusses, wurde von den Moderatoren des Berliner Senders Radio 1 zum geplanten BKA-Gesetz befragt – oder besser: sollte befragt werden, denn sonderlich lang lief das Interview nicht, wie man bei Radio 1 nachhören kann:

[Das Gespräch wurde von zwei Moderatoren geführt, die ich aber stimmlich nicht auseinander halten kann. Für den Inhalt ist das auch unerheblich.]

Moderator: Morgen Herr Edathy!
Edathy: Morgen, grüß Sie!
Moderator: Guten Morgen! Wenn Sie sich morgens die Zähne putzen, sind Sie eigentlich nackt oder haben Sie Unterwäsche an?
Edathy: Ich, äh … Wieso?
Moderator: Die Frage ist Ihnen unangenehm oder warum?
Edathy: Ja, ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat, mit Verlaub, Herr …
Moderator: Ja, Sie machen das ja gemeinhin wahrscheinlich …
Edathy: Also, was solln der Scheiß? Entschuldigung, Wiederhören …
*klick*

Zugegeben: Keine Frage, die man unbedingt im Radio beantworten möchte, aber eine, die das diffuse Thema BKA-Gesetz in den konkreten Alltag der Menschen und Politiker runterbrechen kann, immerhin geht es in dem Gesetz um “geheimes Fotografieren, Filmen und Abhören, auch in Wohnungen”.

Folgende Antworten hätte ich an seiner Stelle für denkbar gehalten:

  • Die schlichte: “Darüber spreche ich nicht.”
  • Die schlicht-ranschmeißerische: “Das geht Sie nichts an, aber ich höre im Bad Radio 1.”
  • Die ausweichende: “Ich putze mir meine Zähne morgens nicht.”
  • Die verständnisvolle: “Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, deshalb putze ich mir im Dunkeln die Zähne.”
  • Die staatstragende: “Wo denken Sie hin? Ich bin Vorsitzender des Innenausschusses – im Anzug, natürlich!”
  • Die größenwahnsinnige: “Ich bin nackt, weil ich meinen gestählten Körper und mein mächtiges Glied im Spiegel sehen will.”

Herr Edathy aber, der sowieso ein Problem mit Journalisten zu haben scheint, sagte zu einer Zeit, zu der Kindergartenkinder mit ihren Eltern am Frühstückstisch sitzen könnten, “Scheiß” und legte auf.

Als er in seinem Gästebuch darauf angesprochen wurde, dass er das Interview nach der Eingangsfrage abgebrochen habe, antwortete Edathy zunächst, man habe ihm ja zwei Fragen gestellt (die nach dem Zähneputzen und die, ob ihm die erste unangenehm sei) und fügt hinzu:

Ich finde in der Tat, dass man sich als Interviewpartner nicht jede Frechheit bieten lassen muss und dass es diesbezüglich Grenzen gibt. Die waren in diesem Fall überschritten.

Das passt sehr schön zum übersetzen BKA-Gesetz, in dem es unter anderem heißt:

Das Bundeskriminalamt soll im Einzelnen die folgenden Mittel anwenden dürfen:

[…]

2. Personen befragen (diese sind verpflichtet, Auskunft zu geben)

Nun ist es mir wirklich egal, wann, wie und wo sich Herr Edathy die Zähne putzt. Ich würde mir als Wähler nur wünschen, das wäre seine einzige Tagesbeschäftigung.

Mehr dazu im redblog, bei Netzpolitik.org, Massenpublikum.de und Indiskretion Ehrensache.

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Politik

Bananenrepublik Deutschland

Ich hatte ja schon das eine oder andere Mal geschrieben, dass ich mir ein deutsches Äquivalent zur “Daily Show” wünsche. Im Moment bräuchte man dafür noch nicht mal Autoren, man müsste nur die Zeitung aufschlagen:

In den letzten drei Wochen hat die SPD gefühlte einhundert Mal ihre Pläne für Hessen geändert – “regieren”, “nicht regieren”, “regieren”, “nicht regieren” – ganz so, als sei Homer Simpson plötzlich zum Bundesvorsitzenden der Partei ernannt worden (er hätte bessere Umfragewerte als Kurt Beck, so viel ist klar). Im Umgang mit der Abgeordneten Dagmar Metzger bewiesen die Sozis noch kurz, dass ihnen Parteidisziplin wichtiger ist als Moral und Konsequenz, dann gab Peer Steinbrück die Bundestagswahl 2009 verloren. Das wird vor allem Guido Westerwelle gefreut haben, der gerade erst die CDU kritisiert und zu Protokoll gegeben hatte, er könne sich inzwischen doch eine Zusammenarbeit mit SPD und/oder Grünen vorstellen. Roland Koch, der einen der schlimmsten Wahlkämpfe der Nach-Strauß-Ära geführt hatte, wartete einfach so lange, bis sich der politische Gegner ganz von allein zerlegt hatte, dann deutete er an, selbst auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten zu wollen.

Unterdessen verursachten verschiedene Gewerkschaften (allen voran die GDL) alle paar Tage ein mittelschweres bis großes Chaos und sorgten damit für ein großes Hallo in der Bevölkerung, die sich eh schon hinter der Linken versammelt hatte, um nach 17 Jahren endlich mal wieder so was ähnliches wie Sozialismus nach Deutschland zurückzuholen. Am liebsten hätten die hauptberuflichen “Die da oben”-Beschimpfer (auch Wähler genannt) wahrscheinlich eine große Koalition aus Linker und FDP, die einen Wiederaufbau des Sozialstaats bei gleichzeitiger Abschaffung aller Steuern durchsetzt. Wer Kanzler würde, wäre dabei egal, denn von Angela Merkel hat man in den letzten Wochen ja auch nichts gehört.

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Politik Rundfunk

Florida Lady

3.595 Stimmen beträgt im vorläufigen amtlichen Endergebnis die Differenz zwischen der CDU und der SPD in Hessen. Das ist weniger als die 6.027 Stimmen, die die SPD bei der Bundestagswahl 2002 vor der CDU/CSU lag, aber bedeutend mehr als die 537 Stimmen Unterschied zwischen George W. Bush und Al Gore in Florida (bei mehr als doppelt so vielen abgegebenen Stimmen).

Ähnlich spannend wie damals in Florida war es auch heute Abend. In der ARD bewies Infratest dimap mal wieder, dass man teure Wahlumfragen auch wunderbar durch würfelnde Affen ersetzen könnte, denn am Ende waren alle wichtigen Details anders als prognostiziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Linke wäre draußen geblieben. Roland Koch wird sich also morgen trotz herber Verluste rühmen können, man habe ihn zu früh abgeschrieben.

Ähnlich wie damals in Florida gab es offenbar erhebliche Probleme und Unregelmäßigkeiten mit Wahlcomputern, die der Chaos Computer Club in einer Pressemitteilung zusammengefasst hat. Und in den Qualitätsmedien findet sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nachtrag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zeitung hat einen Artikel zum Thema online.

Nachtrag 20:14 Uhr: Eine Meldung zum Thema hat’s sogar auf “Bild.de” geschafft.

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Politik

Die Normalität des Bösen

Udo Vetter hat im Lawblog eine sehr interessante MP3 verlinkt. Zu hören ist Angela Merkel bei ihrem gestrigen Auftritt in der Stadthalle Osnabrück, wo sie den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff im Wahlkampf unterstützte.

Dieser gut einminütige Ausschnitt ist bemerkenswert – sprachlich wie inhaltlich. Und deshalb gehen wir die wesentlichen Stellen mal gemeinsam durch.

Sie werden sich erinnern, die Älteren unter Ihnen, wie viele Schlachten wir schon geschlagen haben.

Warum ausgerechnet Frauen immer so eine martialische Sprache an den Tag legen müssen, habe ich mich schon bei Eva Herman gefragt. Aber das ist hier nur ein unwichtiges Detail …

Heute hätten wir weder die libanesischen Kofferbomber gefunden, noch hätten wir die Schlägereien des alten Mannes in der U-Bahn in München so schnell aufklären können, und heute findet jeder Videoüberwachung auf großen Plätzen, öffentlichen Plätzen ganz normal.

Mit den “Kofferbombern”, die auch von seriösen Medien nur unter Aufbietung von Anführungszeichen so genannt werden, war es so: Der erste Verdächtige wurde nach Hinweisen des libanesischen Geheimdienstes festgenommen, der zweite stellte sich im Libanon selbst. Und die beiden jungen Männer, die in München einen Rentner zusammengeschlagen haben (Ist die Formulierung “die Schlägereien des alten Mannes” nicht irgendwie drollig?) wurden mithilfe eines kurz zuvor gestohlenen Mobiltelefons überführt.

Auch die Behauptung, “jeder” fände die Videoüberwachung “normal”, halte ich für sehr gewagt – Frau Merkel aber bekanntlich nicht.

Wenn es die Union nicht gewesen wäre, die dafür gekämpft hätte, dass das notwendig ist, hätten wir heute noch keine Videoüberwachung.

Es mag eine leichte Unsicherheit in der freien Rede sein, aber finden Sie es nicht auch irgendwie merkwürdig, dass die Union dafür “kämpft”, dass etwas “notwendig” ist? Entweder etwas ist notwendig, oder es ist es nicht.

Wir werden nicht zulassen, dass technisch manches möglich ist, aber der Staat es nicht nutzt, dafür aber die Verbrecher und Täter und Terroristen es nutzen, das ist nicht unser Staat, der Staat muss hier hart sein.

“Technisch möglich” sind auch die Folter mit Elektroschocks, die gezielte Tötung von Verdächtigen oder andere, gegen die UN-Antifolterkonvention verstoßende Maßnahmen. Will der Staat die zukünftig auch nutzen?

Wie weit will “der Staat” (Wer soll das überhaupt sein? Sie? Ich? Merkelschäublezypries?) beim Wettrüsten mit den bösen Jungs gehen? “Die machen das, also machen wir das auch”, halte ich für eine sehr gefährliche Argumentation, mit der man den Boden des Rechtsstaats schon nach kurzer Zeit verlässt.

Und: Wer sind “die Verbrecher und Täter und Terroristen”? Ab dem Verdacht zu welcher Straftat will Frau Merkel da welche technischen Möglichkeiten ausreizen? Wirklich erst ab Terrorismus, oder vielleicht doch schon bei Ladendiebstahl? Sicher doch auch gegen Kinderpornographie, nicht? Da war die Staatsanwaltschaft doch erst kürzlich so mega-erfolgreich.

Frau Merkels Ansichten sind beunruhigend, ihre Sprache verräterisch.

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Politik Gesellschaft

Die volkstümliche Schlägerparade

Bis vor drei Wochen gab es in Deutschland ausschließlich nette, kluge Jugendliche, die zwar vielleicht ab und zu mal Amokläufe an ihren Schulen planten, aber das waren ja die Killerspiele schuld. Seit Ende Dezember reicht es nicht, dass die Jugendlichen in der U-Bahn nicht mehr für ältere Mitmenschen aufstehen, sie treten diese jetzt auch noch zusammen. Plötzlich gibt es in Deutschland Jugendgewalt – so viel, dass die “Bild”-“Zeitung” ihr eine eigene Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, …) widmet. Bei “Bild” sind allerdings immer die Ausländer schuld.

Mit dem Thema Jugendkriminalität ist es wie mit jedem Thema, das jahrelang totgeschwiegen wurde: Plötzlich ist es aus heiterem Wahlkampf-Himmel in den Medien und alle haben ganz töfte Erklärungen dafür und Mittel dagegen. In diesem konkreten Fall führen sich die Politiker auf wie Eltern, die ihre Kinder die ganze Zeit vernachlässigt haben und dann plötzlich, als sie die nicht mehr ganz so lieben Kleinen auf der Polizeiwache abholen mussten, “Warum tust Du uns das an?” brüllen und dem Blag erstmal eine langen. Nur, dass “Vernachlässigung” in der Politik eben nicht “keine gemeinsamen Ausflüge in den Zoo” und “das Kind alleine vor dem RTL-II-Nachtprogramm hocken lassen” heißt, sondern “Zuschüsse für die Jugendarbeit streichen” und “desaströseste Bildungspolitik betreiben”.

Ich halte wenig von Generationen-Etikettierung, ein gemeinsamer Geburtsjahrgang sagt zunächst einmal gar nichts aus. Auch wenn Philipp Lahm und ich im Abstand von sechs Wochen auf die Welt gekommen und wir beide mit “Duck Tales”, Kinder-Cola und “Kevin allein zuhaus” aufgewachsen sind, wäre der sympathische kleine Nationalspieler doch nicht unbedingt unter den ersten einhundert Leuten, die mir einfielen, wenn ich mir ähnliche Personen aufsagen sollte. ((Meine Fußballerkarriere endete zum Beispiel nach einem einmaligen Probetraining in der D-Jugend.)) Es gibt in jeder Altersgruppe (und bei jeder Passfarbe, Ethnizität, sexuellen Orientierung, Körperform, Haarlänge und Schuhgröße) sympathische Personen und Arschlöcher. Möglicherweise war zum Beispiel die Chance, in einer Studenten-WG an Mitbewohner zu geraten, die sich nicht an den Putzplan halten und ihre Brötchenkrümel nicht aus dem Spülstein entfernen, vor vierzig Jahren bedeutend höher als heute, und auch wenn Schlunzigkeit kein Gewaltverbrechen ist, so ist doch beides sehr unschön für die Betroffenen.

Doch ich schweife ab: Das Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. mit seinem vielzitierten und fast zu Tode interviewten Direktor Prof. Dr. Christian Pfeiffer hat im vergangenen Jahr eine Studie zum Thema “Gewalttätigkeit bei deutschen und nichtdeutschen Jugendlichen” veröffentlicht.

Auf Seite 4 gibt es einen recht schlüssig erscheinenden Erklärungsversuch, warum gerade bestimmte Bevölkerungsgruppen eher zu Gewalt neigen als andere:

Besondere Relevanz für eine erhöhte Gewalttätigkeit von Nichtdeutschen scheint aktuellen Studien zufolge bestimmten, mit Gewalt assoziierten Männlichkeitsvorstellungen zuzukommen. Diesen hängen in erster Linie türkische, aber auch russische Jugendliche an (vgl. Enzmann/Brettfeld/Wetzels 2004, Strasser/Zdun 2005). Die Männlichkeitsvorstellungen resultieren aus einem Ehrkonzept, das sich unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen herausgebildet hat. […] Der Mann als Familienvorstand muss Stärke demonstrieren, um eventuelle Angreifer bereits im Vorhinein abzuschrecken.

Laienhaft verstanden und überspitzt gesagt: Eva Hermans Ruf nach der Rückkehr ins Patriarchat würde auf lange Sicht dazu führen, dass wir wieder mehr prügelnde Jungs hätten, weil die archaischen Männlichkeitsbildern anhängen und den dicken Larry markieren würden. Oder anders: In Oberbayern werden nur deshalb keine Leute in U-Bahnen zusammengeschlagen, weil es dort keine U-Bahnen gibt.

Noch spannender ist aber wohl der auf Seite 5 ausgeführte Ansatz, wonach der vermeintlich hohe Anteil an kriminellen Ausländern auch ein Wahrnehmungsproblem ist:

Die etikettierungstheoretische Erklärung sieht den Grund für eine höhere Kriminalitätsbelastung dabei nicht allein auf Seiten der Migranten, sondern sie bezieht das Verhalten der Einheimischen mit ein. So konnte u.a. gezeigt werden, dass die Kriminalisierungswahrscheinlichkeit (d.h. die Registrierung als Tatverdächtiger) bei Ausländern im Vergleich zu den Deutschen doppelt bis dreimal so hoch ist (Albrecht 2001; Mansel/Albrecht 2003). Zudem existieren Befunde, die belegen, dass straffällig gewordene Ausländer einer zunehmend härteren Sanktionspraxis ausgesetzt sind (vgl. Pfeiffer et al. 2005, S. 77ff). Abweichung, so die daraus ableitbare These, ist nicht nur deshalb unter den ethnischen Minderheiten verbreiteter, weil diese tatsächlich öfter ein entsprechendes Verhalten zeigen, sondern weil die autochthone Bevölkerung bzw. ihre Strafverfolgungsorgane die Abweichung von Migranten anders wahrnimmt und auf sie besonders sensibel reagiert.

Und wer einmal im Gefängnis sitzt, lernt dort die falschen Leute kennen, findet keinen Job mehr und befindet sich mittendrin in einer Abwärtsspirale. Der “kriminelle Ausländer” ist also zum Teil eine selbst erfüllende Prophezeihung: Wie oft liest man in der Presse von jungen Türken, Griechen oder Albanern, die gewalttätig geworden sind, und wie selten von jungen Deutschen? Bei Deutschen lässt man in Deutschland die Staatsbürgerschaft einfach weg und der Leser nimmt die Nationalität nur wahr, wenn es sich Ausländer handelt. Die Situation ist vergleichbar mit den schlecht geparkten Autos auf dem Seitenstreifen, die Sie auch nur wahrnehmen, wenn eine Frau aussteigt.

Als ich vor anderthalb Jahren für drei Monate in San Francisco weilte (wo ich mich übrigens stets sehr sicher fühlte – auch, weil ich keine lokalen Zeitungen las), wurde ich eines Tages auf dem Fußweg in die Innenstadt von einem jungen Mann angerempelt. Es war nicht sonderlich brutal, der Mann wollte nur offenbar genau dort lang gehen, wo ich stand. So etwas passiert einem in deutschen Fußgängerzonen nahezu täglich. Der junge Mann aber war von schwarzer Hautfarbe und aus dem Fernsehen glauben wir zu wissen: Schwarze begehen viel mehr Verbrechen als Weiße. Ich als aufgeschlossener, rationaler Mensch musste mein Hirn zwingen, diesen Vorfall nicht als symptomatisch abzutun: Nach gröbsten statistischen Schätzungen wurde ich im Jahr 2006 etwa 42 Mal angerempelt. In 95% der Fälle waren es unfreundliche Rentner in grauen Stoffjacken, herrische Frauen mit mürrischem Gesichtsausdruck und dicke ungezogene Kinder in Deutschland. Aber das war Alltag – und in diesem einen Fall passte der Rempler aufgrund seiner Hautfarbe in ein diffuses Täterprofil, dass ich im Hinterkopf hatte. Ich war von mir selbst schockiert.

In San Francisco wurde ich noch ein weiteres Mal angerempelt: Als ich an Halloween auf der Straße stand, lief eine Gruppe Jugendlicher an mir vorbei. Jeder einzelne verpasste mir einen Schultercheck, bis ich schließlich auf den Gehweg flog. ((Ich beeindruckte die Festgemeinde, indem ich bei dem Sturz keinen einzigen Tropfen Bier aus meiner Dose verschüttete. Es war das erste und einzige Mal in meinem Leben, dass ich mich als Deutscher fühlte.)) Ihre genaue Ethnizität konnte ich nicht erkennen, aber schwarz waren sie nicht. Meine amerikanischen Freunde waren entsetzt und versicherten mir teils am Rande der Tränen, dass so etwas in dieser Gegend sonst nie vorkäme. Ich sagte, ich sei in Dinslaken aufgewachsen, da sei man schlimmeres gewohnt.

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Gesellschaft

Schutzbehauptungen

Rauch (Symbolbild)

In der morgigen “FAZ” findet sich eine Reportage von Judith Lembke, die sich drei Monate nach der Einführung des Rauchverbots in Hessen in Frankfurter Kneipen umgesehen hat.

Auch wenn ich – wie bereits beschrieben – Nichtraucher bin und sehr entschieden etwas dagegen habe, wenn fremde Leute meine Klamotten und meine Gesundheit ruinieren wollen, muss ich doch feststellen, dass das Nichtraucherschutzgesetz offenbar wieder sämtliche Qualitäten der großen Koalition vereint: Am Leben vorbei, übers Ziel hinausschießend, allenfalls zur Hälfte durchdacht und (wie so oft) nicht so ganz mit der Verfassung vereinbar:

Die Lokale, die nur aus einem Schankraum bestehen und keine Möglichkeit haben, besondere Raucherzonen auszuweisen, sind besonders stark vom Gästeschwund betroffen. Da dort ein generelles Rauchverbot herrscht, weichen die rauchenden Gäste auf Kneipen aus, wo sie sich auch weiterhin die Zigarette zum Feierabendbier genehmigen können. Und der Raucher, der seinem Stammlokal die Treue hält, trinkt weniger, weil er zum Rauchen nicht in die Kälte, sondern lieber wieder nach Hause geht.

Es sieht also so aus, dass die Wirte kleiner Eckkneipen, die in einigen Fällen sogar Besitzer der Immobilie sein mögen, ihren Kunden in ihren eigenen vier Wänden das Rauchen verbieten müssen, wenn sie keinen abtrennbaren Nebenraum haben. Und das wollen sich die meisten rauchenden Kunden natürlich nicht antun.

Sicher: Ich würde keine Raucherkneipe aufsuchen, aber das müsste ich ja auch nicht, solange es für mich Nichtraucherkneipen gäbe. Die allerdings hätte es auf freiwilliger Basis schon lange geben können und ich kenne bis heute keine einzige. Und damit befinden wir uns mitten drin in einem Dilemma, das so undurchschaubar scheint, dass ich die Erstellung einer Pro- und Contra-Liste für ein probates Mittel erachte:

Pro Rauchverbot in Kneipen

  • Rauchen ist ungesund. Wenn nur ein Mensch mit dem Rauchen aufhört, weil er sich den Gang vor die Tür nicht mehr antun will, ist das ein Gewinn. Auch für die Krankenkassen, deren Finanzierung immerhin auch durch Nichtraucher erfolgt.
  • Die Mitarbeiter müssen geschützt werden. In Deutschland gibt es Vorschriften zur Größe von Schreibtischen und der Beleuchtung in Büros, da erscheint es dringend angezeigt, Angestellte endlich vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen.
  • Wo geraucht wird, muss häufiger renoviert werden. In Extremfällen kann auch der Wert der Immobilie sinken. Rauchen ist also eigentlich unverantwortlich, wenn es nicht in den (im juristischen Sinne) eigenen vier Wänden passiert. Rauchverbote wären demnach auch in Mietwohnungen und Raucherzimmern in gemieteten Gaststätten erforderlich.
  • Es hat bisher kaum Nichtraucherkneipen auf freiwilliger Basis gegeben – und das, obwohl der Markt mit Sicherheit da wäre. Wenn sich der Markt nicht mehr selbst regulieren kann, sollte der Staat über eine Intervention nachdenken.

Contra generelles Rauchverbot

  • Jeder erwachsene Mensch sollte selbst entscheiden können, was er mit seinem Körper macht: Marathon laufen, Pulsadern aufschneiden, Bart wachsen lassen, rauchen, trinken, Drogen nehmen. Ich hielte eine unaufgeregte Grundsatzdiskussion über die völlige Legalisierung aller berauschenden Stoffe für begrüßenswert, bin mir aber sicher, sie zeitlebens und hierzulande nicht mehr zu erleben.
  • In den meisten Eckkneipen bedienen ein Besitzer und ein, zwei Angestellte, die nicht selten zur Familie des Besitzers gehören. Einer persönlichen Erhebung nach würde ich sagen, dass sämtliche (dauerhaften) Bedienungen in solchen Kneipen selbst rauchen.
  • Es grenzt das Recht auf Berufsfreiheit ein, wenn Gastwirte per Gesetz zu Nichtrauchergastwirten gemacht werden. Möglicherweise verstößt es sogar wirklich gegen das Grundgesetz. Wer entscheiden darf, wie seine Kneipe aussieht, welches Bier dort ausgeschenkt wird ((Für mich auch ein wichtiges Ausschlusskriterium. Besonders in Bochum.)) und welche Musik dort läuft, sollte auch entscheiden dürfen, was darin im Rahmen der gesetzlichen Grenzen – wobei ich das Nichtraucherschutzgesetz natürlich ausgeklammert wissen will – erlaubt ist und was nicht. Hätte ich eine Kneipe, gäbe es dort keine “Gold”-Biere und keine Musik von Bryan Adams oder Revolverheld.
  • Wenn die Nichtraucher nicht Willens oder in der Lage waren, sämtliche Gaststätten, in denen geraucht wurde, zu boykottieren (und dem Wirt das auch mitzuteilen), müssen sie sich die Frage gefallen lassen, wie wichtig ihnen ihr Anliegen war. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden und man kann es nie allen recht machen, wie meine Großmutter schon immer sagte.
  • Im Gegensatz zu Zügen, Behörden, Konzerthallen und Kinos kann man sich seine bevorzugte Gaststätte selbst aussuchen. Nichts und niemand zwingt einen ((“zwingen” ist in diesem Fall eher metaphorisch gemeint. Schon das Konzert einer bestimmten Band wäre demnach ein zwingender Grund, eine bestimmte Konzerthalle aufzusuchen, die dann auch bitte rauchfrei sein sollte.)), genau in eine Raucherkneipe zu gehen. 18 Jahre nach der Wiedervereinigung und in Zeiten einer immer weiter auseinander klaffenden sozialen Schere wäre eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Nachtleben nur konsequent.
  • Rauchende, laut schnatternde Menschen vor einer Kneipe sind schlimmer als rauchende, laut schnatternde Menschen in der gleichen Kneipe – vor allem für die Anwohner. Wer über dem Eingang einer Gaststätte wohnt, wird Dank des Nichtraucherschutzgesetzes sein Fenster in diesem Sommer nachts geschlossen halten müssen.
  • Zahlreiche Wirte wollen ihre Kneipen jetzt zu Vereinsheimen umwidmen und gründen eigens dafür Raucherclubs. Das Letzte, was Deutschland braucht, sind aber noch mehr Vereinsmeier und organisierte Wichtigtuer. Das wird Ihnen jeder Finanzbeamte, der die verdammten Jahresrechnungsberichte kontrollieren muss, bestätigen.

Die höhere Anzahl an Contra-Argumenten legt mir die Vermutung nahe, ich sei eher gegen ein generelles Rauchverbot. Ganz sicher bin ich mir da aber auch nicht. Dafür weiß ich, dass ich jederzeit einen eigenen Debattierclub nur mit mir gründen könnte. Mein Clubhaus wäre selbstverständlich rauchfrei.

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Klickbefehl (6): Gegen den Strich

Doch nach Jahren des Niedergangs herrscht Aufbruchstimmung. Verlage und Konzertveranstalter boomen. Bei den kleineren Plattenfirmen gab es noch nie so viele Neugründungen. Und selbst unter den großen Musikkonzernen von Universal bis Warner Music macht sich neue Hoffnung breit. „Wir beenden das beste Jahr seit bestimmt sieben Jahren“, sagt Edgar Berger, Deutschland-Chef von Sony-BMG.

Von wegen verhungernde Manager: Das Handelsblatt berichtet über das “Comeback der Musikindustrie”.

* * *

Wenigstens braucht man sich in Hessen vorerst keine Sorgen um eine starke NPD zu machen. Denn Ausländerhetze übernimmt der Ministerpräsident persönlich. Und wenn er dann wiedergewählt ist, zeigt sich Roland Koch sicher wieder gerne mit dem Dalai Lama oder bei der Verleihung des hessischen Friedenspreises.

Steffen Jenter kommentiert bei tagesschau.de die jüngsten Forderungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, kriminelle Ausländer schneller abzuschieben. [via Pottblog]

* * *

Schlimmer ist aber noch, dass die Polizei einfach unterstellt, alle Personen, die den Link angeklickt hätten, seien darauf über das angeblich kinderpornografische Portal gekommen. Dass der Link – mit vielleicht irreführenden oder gar keinen Inhaltsangaben, zum Beispiel über eine der unzähligen Linklisten, in anderen Boards oder als Spam-Mail – auch anderweitig verbreitet worden sein könnte, liegt außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Oder sie blendet es aus.

Udo Vetter berichtet im Lawblog, wie schnell man Opfer polizeilicher Ermittlungen werden kann – alles im Namen einer eigentlich guten Sache, dem Kampf gegen Kinderpornographie.

* * *

„Und? Wie fandest Du’s?“
„Ich weiß nicht. Ein bißchen mulmig wars mir schon. Das ist ne ganz andere Welt.“
„Ganz anders. Genauso anders wie katholische Kirchen, CSU-Parteitage oder Tupperwarenparty-Jahreshauptversammlungen.“

Frédéric macht im Spreeblick eine kleine Moscheen-Besichtigungstour.

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Digital

Du willst es doch auch!

Es freut mich außerordentlich, dass die große Coffee-And-TV-Leserwahl “Aufguss 2007” sich offenbar auf Anhieb solcher Beliebtheit erfreut, dass einige Menschen alles unternehmen, um auch gewählt zu werden.

Dieser Tage erreichten uns noch folgende Bewerbungen für die Kategorie “Depp des Jahres”:

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Feigheit ist keine Nachricht

Wir müssen nochmal auf die Erklärung der 26 SPD-Abgeordneten zu sprechen kommen, in der diese ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ausdrückten, dann aber erklärten, diesem trotzdem zuzustimmen.

Nicht nur ix und Dr. Dean fragen sich, warum es das Thema eigentlich überhaupt nicht in die Medien geschafft hat. Der Sache wollte ich dann doch mal auf den Grund gehen.

Ich schrieb also einige E-Mails und rief in Redaktionen an, wo man mich bat, weitere E-Mails zu schicken. Eine wirkliche Antwort habe ich bisher nur vom ZDF bekommen, wobei das eigentlich auch keine Antwort auf meine Frage war:

Da an diesem Tag auch der Sonderermittler des Europarats Dick Marty seinen Bericht vorstellte, habe man diesem Ansatz den Vorzug gegeben gegenüber einer eher inlandsorientierten Berichterstattung.

Offenbar war die Erklärung der Abgeordneten deshalb nirgendwo Thema gewesen, weil außer den Redakteuren bei heise.de niemand in das Protokoll der entsprechenden Bundestagssitzung geguckt hatte. Die 26 Abgeordneten hatten es also nicht nur geschafft, einem Gesetz zuzustimmen, dass sie selbst für verfassungswidrig hielten, sie hatten es auch noch fertig gebracht, dies in einer öffentlichen Erklärung zuzugeben, die nie eine breitere Öffentlichkeit erreicht hat (oder erreichen sollte). Dafür mussten sie nur eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages abgeben:

§ 31 Erklärung zur Abstimmung

(1) Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.

Damit entlastet man sein Gewissen und kann hinterher, wenn das Gesetzt kassiert wurde und mal wieder alle auf der Bundesregierung rumhacken, freundlich lächelnd Anlage 4 hervorholen und “Wir ham’s ja schon immer gesagt” murmeln.

Eine andere Möglichkeit, dass die Öffentlichkeit von der Erklärung erfahren hätte, wäre natürlich der Pranger der Opposition gewesen. Also rief ich mal bei den drei Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag an und fragte, warum man diese Vorlage aus Teilen der SPD-Fraktion denn nicht für eine öffentliche Bloßstellung der 26 Abgeordneten genutzt habe.

Bei der FDP hatte man bis zu meinem Anruf noch nichts von der Erklärung gehört, war aber sehr interessiert und sagte mir, man wolle “über Handlungsmöglichkeiten nachdenken”. Vielleicht höre ich von denen also noch was.

Mark Seibert, Referent im Büro des Die-Linke-Abgeordneten Jan Korte, nannte die Erklärung eine “politische Verantwortungslosigkeit”, die dem ohnehin umstrittenen Gesetz “die Krone aufgesetzt” habe. Allerdings sei zu dem konkreten Fall im Moment nichts geplant, da “kein neuer Nachrichtenwert” vorhanden sei. Die Linke und besonders Jan Korte seien aber in verschiedenen Initiativen gegen die Vorratsdatenspeicherung organisiert und planten weitere Aktionen.

Auch bis zu Bündnis 90/Die Grünen war der Inhalt von Anlage 4 noch nicht ganz durchgedrungen. Wolfgang Wieland, Sprecher für Innere Sicherheit der grünen Fraktion, ließ mir aber nur wenige Stunden nach meinem Anruf eine schriftliche Stellungnahme zukommen, die ich (schon wegen ihrer Exklusivität) gerne wiedergebe:

Dass man für ein Gesetz stimmt, weil man die Inhalte überzeugend findet, ist der Normalfall. Dass es wenige Gesetze gibt, bei denen man als Abgeordneter nicht auch einige Aspekte verzichtbar gefunden hätte, gehört ebenfalls dazu. Wer aber für ein Gesetz stimmt und darauf vertraut, dass seine ungeliebten Teile sowieso bald vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden, der versucht, aus einem Dilemma eine win-win-Situation zu machen.

Tatsache ist: Die Logik hinter der jüngst beschlossenen Vorratsdatenspeicherung stellt Sicherheit über Freiheit. Tatsache ist auch, dass sie sowohl europarechtlich wie grundgesetzlich auf wackeligen Beinen steht. Das erkennen die Kolleginnen und Kollegen von der SPD ja auch, aber sie handeln nicht danach. Das ist enttäuschend, denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, verfassungsrechtliche Bedenken von vornherein auszuräumen und entsprechende Gesetze zu verabschieden. Das Motto „Koalitionsfrieden wahren, Ideale zitierfähig ins Protokoll schreiben, Karlsruhe das Aufräumen überlassen“ darf nicht die Handlungsmaxime für Abgeordnete sein.

Für uns Blogger heißt das, dass wir einerseits zwar ganz nah an den Themen sind, der Sprung dieser Themen in die sog. “etablierten Medien” und in eine breitere Öffentlichkeit aber andererseits noch überhaupt nicht funktioniert.

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Licht aus, Spott an

Wie kann man heutzutage in Deutschland eigentlich noch wirklich provozieren? In Zeiten, in denen schon jeder und alles mit irgendwelchen Nazi-Sachen verglichen wurde, muss man sich was neues einfallen lassen: den Kohl-Vergleich.

Erfunden hat ihn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse in der “Leipziger Volkszeitung”. Zumindest zitiert diese ihn wie folgt:

Müntefering geht, weil ihm Privates in einer entscheidenden Lebensphase wichtiger als alles andere ist. Ein Einschnitt?

Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal. Ohne dass das vergleichbar wäre. Die Politik ist nicht das Allerwichtigste. Man sollte sich in solchen Phasen das Recht nehmen, auch einmal still zu halten. Es ist nicht so, dass man ein Schwächling ist, wenn man nicht immer sofort in diesen unmenschlichen Entscheidungsdruck verfällt.

Zitat: lvz-online.de

Zur Erinnerung: Hannelore Kohl, die Frau von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, litt schon während dessen Amtszeit an einer schweren Lichtallergie, die sie zuletzt dazu zwang, in einem völlig abgedunkelten Haus zu leben, und nahm sich im Juli 2001 das Leben (vgl. dazu auch dieses geschmackvolle “Spiegel”-Titelbild).

So, wie Thierse von der “Leipziger Volkszeitung” zitiert wird, wäre das natürlich eine etwas unglückliche, vielleicht auch schlichtweg geschmacklose Äußerung. Thierse sah seine Ausführungen zunächst einmal als “falsch und verkürzt” wiedergegeben und schrieb dem Altkanzler einen persönlichen Brief, in dem er bedauerte, dass “ein falscher Eindruck entstanden sei”. (Man beachte dabei den alten PR-Trick und bedauere nicht seine Äußerungen, sondern den Eindruck, der durch sie entstanden sein könnte.)

Unterdessen schrien Politiker aller Parteien schon Zeter und Mordio und versuchten, die Nummer zu einem Riesenskandal hochzujubeln, in dessen Windschatten die heutige Diätenerhöhung medial untergehen könnte.

Wer verstehen will, wie Politik und Medien heutzutage funktionieren, muss nur diesen Artikel bei n-tv.de lesen:

“Die Äußerungen von Herrn Thierse sind für mich menschlich zutiefst unverständlich. Sie grenzen für mich an Niedertracht”, sagte Merkel der “Bild”.

[…]

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sprach von einem “Tiefpunkt im Umgang” unter Kollegen. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, ein Bedauern reiche “hinten und vorne nicht”. “Das ist des Deutschen Bundestags nicht würdig. FDP-Chef Guido Westerwelle hat recht, wenn er sagt, er kann sich durch einen solchen Vizepräsidenten nicht repräsentiert fühlen.” Westerwelle sprach im “Kölner Stadt-Anzeiger” von “unterirdischen” Äußerungen.

Sie sehen schon: Die reden alle übereinander und mit der Presse, aber in keinem Fall miteinander – und das Volk sitzt daneben wie das Kind geschiedener Eltern, die nur noch über ihre Anwälte miteinander kommunizieren.

Im “Bild”-Artikel kommen noch ein paar weitere Hochkaräter zu Wort:

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) empört: „Schäbig und geschmacklos!“ Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder: „Parteichef Kurt Beck muss Thierse sofort zur Ordnung rufen.“

Und weil die Luft langsam dünn wurde, schaltete Thierse einen Gang höher und entschuldigte sich heute morgen per Brief “in aller Form” bei Helmut Kohl. Richtiger noch: Er bat um Entschuldigung, was ja heutzutage auch eine sprachliche Seltenheit ist.

Wie reagiert eigentlich Kohl auf den Brief seines alten Freundes und das ganze Theater drum herum? Mit der ihm üblichen staatsmännischen Größe und Gelassenheit:

“Ich nehme diese Entschuldigung an. Zum Vorgang selbst will ich sonst nichts sagen.”

Ich weiß schon, warum der Mann auf ewig “mein” Kanzler bleiben wird.

Nachtrag 17. November: Gerade erst festgestellt, dass diese erste öffentliche Erwähnung des Namens Helmut Kohl seit Monaten zufälligerweise mit der Präsentation des dritten Bands von Kohls Autobiografie zusammenfiel …