Kategorien
Rundfunk Politik Fernsehen

Holzmichel auf dem Holzweg

Jaaaaaaaaa, Fried­bert Pflü­ger lebt also auch noch. ((Für die 81 Mil­lio­nen Deut­schen, die Fried­bert Pflü­ger nicht ken­nen: Das ist der Mann, der vor zwei Jah­ren ger­ne Regie­ren­der Bür­ger­meis­ter in Ber­lin gewor­den wäre. Er sieht immer ein biss­chen so aus, als habe er gera­de die Jah­res­pro­duk­ti­on einer Zitro­nen­saft­kon­zen­trat­fa­brik leer­ge­trun­ken, und ist gera­de mit sei­nem ein­zi­gen bekann­ten poli­ti­schen Ziel, dem Erhalt eines knuf­fi­gen Stadt­flug­ha­fens, geschei­tert. Kurz­um: Er ist der Typ, der in ame­ri­ka­ni­schen High-School-Komö­di­en immer in den Spind gesperrt wird. Außer­dem bloggt Fried­bert Pflü­ger.)) Um auf die­sen Umstand hin­zu­wei­sen, hat er zu Beginn der Woche die Abset­zung der Talk­show „Anne Will“ gefor­dert. In der Aus­ga­be vom letz­ten Sonn­tag gab es einen Ein­spie­ler zu sehen, der laut Herrn Pflü­ger die rot-rote Regie­rung in Ber­lin in einem viel zu guten Licht hat erschei­nen las­sen.

Ich habe die betref­fen­de Sen­dung nicht gese­hen, ich habe „Anne Will“ über­haupt noch nie gese­hen, eben­so wie ich mich nicht erin­nern kann, je eine gan­ze Aus­ga­be „Sabi­ne Chris­ti­an­sen“ ertra­gen zu haben. Ich ertra­ge kein Talk­shows, in denen Poli­ti­ker und Men­schen aus­wen­dig gelern­te Sät­ze auf­sa­gen, und sich in kei­ner Wei­se durch das beir­ren las­sen, was die ande­ren Gäs­te aus­wen­dig auf­sa­gen. ((In den drei Sen­dun­gen von „Hart aber fair“, die ich gese­hen habe, rede­ten Men­schen laut und wüst durch­ein­an­der und gegen Ende wur­de klar, dass es theo­re­tisch einen Mode­ra­tor gege­ben hät­te, der das Gan­ze hät­te len­ken kön­nen. Wie­so alle Welt „Hart aber fair“ so toll fin­det, ist mir völ­lig schlei­er­haft.))

In sei­nem Blog schrieb Pflü­ger über „Anne Will“:

Mit Jour­na­lis­mus hat das alles wenig zu tun. Das ist Ideo­lo­gie und Lie­be­die­ne­rei, dazu noch schlecht gemacht. Frau Will miss­braucht ihren pri­vi­le­gier­ten Sen­de­platz und wirbt für eine poli­ti­sche Rich­tung, anstatt zu infor­mie­ren.

Es ent­behrt nicht einer gewis­sen Iro­nie, dass aus­ge­rech­net „Bild“ Pflü­gers Vor­la­ge auf­nahm.

Dann warf Pflü­ger sei­ne kom­plet­te Ahnungs­lo­sig­keit in Sachen Medi­en­po­li­tik in die Wag­scha­le:

Ich bin – auch als Rund­funk­rat des rbb – nicht bereit, dass auf sich beru­hen zu las­sen.

Ich bin mir sicher, dass man beim NDR, der die Sen­dung „Anne Will“ ver­ant­wor­tet, schon mit den Knien schlot­tert, ange­sichts die­ser Kampf­an­sa­ge.

Oder wie es Lorenz Maroldt in sei­nem klu­gen Kom­men­tar im „Tages­spie­gel“ zusam­men­fasst:

Für die Fra­ge, ob Anne Will durch Frank Plas­berg ersetzt wird, ist Pflü­gers Stim­me eben­so wich­tig wie die von Lothar Mat­thä­us für die Auf­stel­lung der Natio­nal­mann­schaft.

Bis hier­hin war es nur Fried­bert Pflü­ger, der sich freu­en konn­te, mal wie­der in der bun­des­wei­ten Pres­se gelan­det zu sein. Doch heu­te for­dern – eben­falls in „Bild“ – Kul­tur­staats­mi­nis­ter Bernd Neu­mann (CDU) und David McAl­lis­ter, CDU-Frak­ti­ons­chef in Nie­der­sach­sen und Mit­glied im NDR-Rund­funk­rat eben­falls Kon­se­quen­zen, die bis zur Abset­zung der Sen­dung rei­chen.

Jour­na­lis­ti­sche Feh­ler pas­sie­ren immer wie­der und Frank Schirr­ma­cher, der dem The­ma einen klu­gen, aber etwas umständ­li­chen Text gewid­met hat, dürf­te Recht haben, wenn er sagt, die Redak­ti­on der Sen­dung wür­de sich über sol­che Feh­ler wohl am meis­ten ärgern. ((Wenigs­tens will ich Schirr­ma­chers Opti­mis­mus tei­len.)) Im kon­kre­ten Fall scheint aber noch nicht ein­mal völ­lig klar, ob die in der Sen­dung auf­ge­stell­te Behaup­tung, die rot-rote Regie­rung habe in Ber­lin 60 Mil­lio­nen Mil­li­ar­den Euro „geerbt“ nun wirk­lich falsch oder nur unglück­lich for­mu­liert war. Ver­mut­lich ist es ein­fach eine Inter­pre­ta­ti­ons­sa­che.

Dass nun Poli­ti­ker direkt in die Pro­gramm­pla­nung ein­grei­fen wol­len, fin­de ich sehr gefähr­lich. Zwar haben gera­de die Zuschau­er öffent­lich-recht­li­cher Pro­gram­me einen Anspruch auf rich­ti­ge Fak­ten und mög­lichst objek­ti­ve Bericht­erstat­tung, aber ers­tens ist der strit­ti­ge Sach­ver­halt ja offen­bar gar nicht so klar und zwei­tens strahlt die ARD ja auch immer noch den „Report aus Mün­chen“ aus. In kei­nem Fal­le aber soll­ten Poli­ti­ker, denen eine poli­ti­sche Talk­show nicht in den Kram passt, erklä­ren wol­len, wie guter Jour­na­lis­mus geht.

Wie die­se gan­zen CDU-Poli­ti­ker wohl reagiert hät­ten, wenn in der Sen­dung Stim­mung gegen rot-rot gemacht wor­den wäre?

Kategorien
Digital Politik

Schaum vorm Mund

Bis vor eini­gen Tagen hat­te ich noch nie von Sebas­ti­an Edathy gehört, im Moment erlebt der SPD-Poli­ti­ker sei­ne fünf­zehn Minu­ten Ruhm in der Blogo­sphä­re, was immer­hin für fünf Mal Zäh­ne­put­zen reicht.

Mit­un­ter geht dabei unter, dass Edathy eigent­lich Kri­tik an der geplan­ten Video­über­wa­chung von Pri­vat­haus­hal­ten geäu­ßert hat­te – ande­rer­seits hat er selbst natür­lich in sei­nem mitt­ler­wei­le legen­dä­ren Radio-Eins-Inter­view die Gele­gen­heit ver­säumt, irgend­ei­nen Stand­punkt zu ver­tre­ten.

Jetzt wird Eda­tyh in sei­nem Gäs­te­buch und bei abgeordnetenwatch.de mit hämi­schen Fra­gen und Kom­men­ta­ren über­häuft, auf die er in sei­ner ganz eige­nen Art reagiert: er zitiert dpa-Mel­dun­gen, in denen er zitiert wird.

Ein Kom­men­ta­tor im Gäs­te­buch schreibt zum Tele­fon­in­ter­view inter­rup­tus:

Scha­de, dass Sie sich die­sem sehr wich­ti­gen The­ma auf die­se Wei­se ent­zie­hen. Es hät­te mich schon sehr inter­es­siert, wie Sie sich als SPD-Abge­ord­ne­ter und Vor­sit­zen­der des Innen­aus­schus­ses dazu posi­tio­nie­ren.

Und Edathy ant­wor­tet kan­zelt ihn ab:

Wenn Sie sich ein wenig kun­dig gemacht hät­ten, wüss­ten Sie, dass ich
mich zu die­sem The­ma in den letz­ten Tagen mehr­fach kri­tisch geäu­ßert habe.

Bei abgeordnetenwatch.de hat er fast exakt das glei­che geant­wor­tet.

Aber auch eine ande­re Geschich­te ist noch nicht aus­ge­stan­den: Edathy hat­te sich bei der Chef­re­dak­ti­on von „Zeit Online“ dar­über beschwert, dass eine freie Jour­na­lis­tin, die ihn für „Zeit Online“ inter­viewt hat­te, sei­ne Zita­te ein­fach für einen Text bei Tele­po­lis (oder wie Edathy es aus­drückt: „auf der Sei­te heise.de – einem pri­va­tem Forum“) ver­bra­ten hat­te. Über das Vor­ge­hen der Jour­na­lis­tin lässt sich sicher lan­ge dis­ku­tie­ren (s.a. die Stel­lung­nah­me von „Zeit Online“ und die Reak­ti­on im „Zeit Mecker­blog“), Edathy aber nutz­te die Situa­ti­on, um sich ziel­si­cher und an völ­lig fal­scher Stel­le zum Voll­horst zu machen, wobei er die Fol­gen sei­nes Auf­tritts in Jour­na­lis­mus und Blogo­sphä­re offen­sicht­lich unter­schätz­te.

Der Blog­ger Jochen Hoff schrieb Edathy eine reich­lich unver­schäm­te E‑Mail zu dem Fall, in der er neben einer Men­ge über­trie­be­ner Kri­tik auch fol­gen­den Absatz ein­bau­te:

Ach ja. Genie­ßen Sie bit­te jetzt die Auf­merk­sam­keit. Nach einem Sys­tem­wech­sel wer­den wir zwar eine sau­be­re Zel­le für sie fin­den, aller­dings wird es Ihnen nach ihrem Gerichts­ver­fah­ren, dort an Auf­merk­sam­keit doch eher feh­len.

Staats­män­ner von wah­rer Grö­ße hät­ten auf so einen puber­tä­ren Dünn­sinn gar nicht reagiert. Doch was tat Sebas­ti­an Edathy, dem es neben Grö­ße, Humor, Sou­ve­rä­ni­tät und Freund­lich­keit gegen­über Wäh­lern und Jour­na­lis­ten auch an Gespür dafür zu man­geln scheint, wann man redet und wann man bes­ser schweigt?

Er ant­wor­te­te:

Ihre Aus­sa­ge „Genie­ßen Sie bit­te jetzt die Auf­merk­sam­keit. Nach einem Sys­tem­wech­sel wer­den wir zwar eine sau­be­re Zel­le für Sie fin­den, aller­dings wird es Ihnen nach Ihrem Gerichts­ver­fah­ren dort an Auf­merk­sam­keit doch eher feh­len.“ reicht zwar bereits für eine Straf­an­zei­ge aus, die ich auch stel­len wer­de, viel­leicht könn­ten Sie Ihre Aus­füh­run­gen aber noch ein wenig kon­kre­ti­sie­ren bzw. illus­trie­ren, damit ich der Staats­an­walt­schaft ggf. ergän­zen­de Infor­ma­tio­nen über­mit­teln kann.

Dass sich ein Blog­ger der­art zum Affen macht, ist die eine Sache; dass ein Poli­ti­ker der­art dar­auf anspringt, ist in mei­nen Augen aber noch viel schlim­mer.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Im Bad mit Sebastian Edathy

Gäbe es einen Preis für den unsou­ve­räns­ten Poli­ti­ker, er gin­ge in die­sem noch jun­gen Jahr mit hoher Wahr­schein­lich­keit an Sebas­ti­an Edathy. Gäbe es im deut­schen Fern­se­hen ech­te Sati­re­sen­dun­gen und nicht nur den „Schei­ben­wi­scher“ und das Dekol­le­tee von Ange­la Mer­kel, müss­te man sich auf Mona­te vol­ler Zahn­putz-Wit­ze ein­stel­len.

Was war pas­siert? Edathy, SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Vor­sit­zen­der des Innen­aus­schus­ses, wur­de von den Mode­ra­to­ren des Ber­li­ner Sen­ders Radio 1 zum geplan­ten BKA-Gesetz befragt – oder bes­ser: soll­te befragt wer­den, denn son­der­lich lang lief das Inter­view nicht, wie man bei Radio 1 nach­hö­ren kann:

[Das Gespräch wur­de von zwei Mode­ra­to­ren geführt, die ich aber stimm­lich nicht aus­ein­an­der hal­ten kann. Für den Inhalt ist das auch uner­heb­lich.]

Mode­ra­tor: Mor­gen Herr Edathy!
Edathy: Mor­gen, grüß Sie!
Mode­ra­tor: Guten Mor­gen! Wenn Sie sich mor­gens die Zäh­ne put­zen, sind Sie eigent­lich nackt oder haben Sie Unter­wä­sche an?
Edathy: Ich, äh … Wie­so?
Mode­ra­tor: Die Fra­ge ist Ihnen unan­ge­nehm oder war­um?
Edathy: Ja, ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat, mit Ver­laub, Herr …
Mode­ra­tor: Ja, Sie machen das ja gemein­hin wahr­schein­lich …
Edathy: Also, was solln der Scheiß? Ent­schul­di­gung, Wie­der­hö­ren …
*klick*

Zuge­ge­ben: Kei­ne Fra­ge, die man unbe­dingt im Radio beant­wor­ten möch­te, aber eine, die das dif­fu­se The­ma BKA-Gesetz in den kon­kre­ten All­tag der Men­schen und Poli­ti­ker run­ter­bre­chen kann, immer­hin geht es in dem Gesetz um „gehei­mes Foto­gra­fie­ren, Fil­men und Abhö­ren, auch in Woh­nun­gen“.

Fol­gen­de Ant­wor­ten hät­te ich an sei­ner Stel­le für denk­bar gehal­ten:

  • Die schlich­te: „Dar­über spre­che ich nicht.“
  • Die schlicht-ran­schmei­ße­ri­sche: „Das geht Sie nichts an, aber ich höre im Bad Radio 1.“
  • Die aus­wei­chen­de: „Ich put­ze mir mei­ne Zäh­ne mor­gens nicht.“
  • Die ver­ständ­nis­vol­le: „Ich weiß, wor­auf Sie hin­aus­wol­len, des­halb put­ze ich mir im Dun­keln die Zäh­ne.“
  • Die staats­tra­gen­de: „Wo den­ken Sie hin? Ich bin Vor­sit­zen­der des Innen­aus­schus­ses – im Anzug, natür­lich!“
  • Die grö­ßen­wahn­sin­ni­ge: „Ich bin nackt, weil ich mei­nen gestähl­ten Kör­per und mein mäch­ti­ges Glied im Spie­gel sehen will.“

Herr Edathy aber, der sowie­so ein Pro­blem mit Jour­na­lis­ten zu haben scheint, sag­te zu einer Zeit, zu der Kin­der­gar­ten­kin­der mit ihren Eltern am Früh­stücks­tisch sit­zen könn­ten, „Scheiß“ und leg­te auf.

Als er in sei­nem Gäs­te­buch dar­auf ange­spro­chen wur­de, dass er das Inter­view nach der Ein­gangs­fra­ge abge­bro­chen habe, ant­wor­te­te Edathy zunächst, man habe ihm ja zwei Fra­gen gestellt (die nach dem Zäh­ne­put­zen und die, ob ihm die ers­te unan­ge­nehm sei) und fügt hin­zu:

Ich fin­de in der Tat, dass man sich als Inter­view­part­ner nicht jede Frech­heit bie­ten las­sen muss und dass es dies­be­züg­lich Gren­zen gibt. Die waren in die­sem Fall über­schrit­ten.

Das passt sehr schön zum über­set­zen BKA-Gesetz, in dem es unter ande­rem heißt:

Das Bun­des­kri­mi­nal­amt soll im Ein­zel­nen die fol­gen­den Mit­tel anwen­den dür­fen:

[…]

2. Per­so­nen befra­gen (die­se sind ver­pflich­tet, Aus­kunft zu geben)

Nun ist es mir wirk­lich egal, wann, wie und wo sich Herr Edathy die Zäh­ne putzt. Ich wür­de mir als Wäh­ler nur wün­schen, das wäre sei­ne ein­zi­ge Tages­be­schäf­ti­gung.

Mehr dazu im red­blog, bei Netzpolitik.org, Massenpublikum.de und Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che.

Kategorien
Politik

Bananenrepublik Deutschland

Ich hat­te ja schon das eine oder ande­re Mal geschrie­ben, dass ich mir ein deut­sches Äqui­va­lent zur „Dai­ly Show“ wün­sche. Im Moment bräuch­te man dafür noch nicht mal Autoren, man müss­te nur die Zei­tung auf­schla­gen:

In den letz­ten drei Wochen hat die SPD gefühl­te ein­hun­dert Mal ihre Plä­ne für Hes­sen geän­dert – „regie­ren“, „nicht regie­ren“, „regie­ren“, „nicht regie­ren“ – ganz so, als sei Homer Simpson plötz­lich zum Bun­des­vor­sit­zen­den der Par­tei ernannt wor­den (er hät­te bes­se­re Umfra­ge­wer­te als Kurt Beck, so viel ist klar). Im Umgang mit der Abge­ord­ne­ten Dag­mar Metz­ger bewie­sen die Sozis noch kurz, dass ihnen Par­tei­dis­zi­plin wich­ti­ger ist als Moral und Kon­se­quenz, dann gab Peer Stein­brück die Bun­des­tags­wahl 2009 ver­lo­ren. Das wird vor allem Gui­do Wes­ter­wel­le gefreut haben, der gera­de erst die CDU kri­ti­siert und zu Pro­to­koll gege­ben hat­te, er kön­ne sich inzwi­schen doch eine Zusam­men­ar­beit mit SPD und/​oder Grü­nen vor­stel­len. Roland Koch, der einen der schlimms­ten Wahl­kämp­fe der Nach-Strauß-Ära geführt hat­te, war­te­te ein­fach so lan­ge, bis sich der poli­ti­sche Geg­ner ganz von allein zer­legt hat­te, dann deu­te­te er an, selbst auf das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten ver­zich­ten zu wol­len.

Unter­des­sen ver­ur­sach­ten ver­schie­de­ne Gewerk­schaf­ten (allen vor­an die GDL) alle paar Tage ein mit­tel­schwe­res bis gro­ßes Cha­os und sorg­ten damit für ein gro­ßes Hal­lo in der Bevöl­ke­rung, die sich eh schon hin­ter der Lin­ken ver­sam­melt hat­te, um nach 17 Jah­ren end­lich mal wie­der so was ähn­li­ches wie Sozia­lis­mus nach Deutsch­land zurück­zu­ho­len. Am liebs­ten hät­ten die haupt­be­ruf­li­chen „Die da oben“-Beschimpfer (auch Wäh­ler genannt) wahr­schein­lich eine gro­ße Koali­ti­on aus Lin­ker und FDP, die einen Wie­der­auf­bau des Sozi­al­staats bei gleich­zei­ti­ger Abschaf­fung aller Steu­ern durch­setzt. Wer Kanz­ler wür­de, wäre dabei egal, denn von Ange­la Mer­kel hat man in den letz­ten Wochen ja auch nichts gehört.

Kategorien
Rundfunk Politik

Florida Lady

3.595 Stim­men beträgt im vor­läu­fi­gen amt­li­chen End­ergeb­nis die Dif­fe­renz zwi­schen der CDU und der SPD in Hes­sen. Das ist weni­ger als die 6.027 Stim­men, die die SPD bei der Bun­des­tags­wahl 2002 vor der CDU/​CSU lag, aber bedeu­tend mehr als die 537 Stim­men Unter­schied zwi­schen Geor­ge W. Bush und Al Gore in Flo­ri­da (bei mehr als dop­pelt so vie­len abge­ge­be­nen Stim­men).

Ähn­lich span­nend wie damals in Flo­ri­da war es auch heu­te Abend. In der ARD bewies Infra­test dimap mal wie­der, dass man teu­re Wahl­um­fra­gen auch wun­der­bar durch wür­feln­de Affen erset­zen könn­te, denn am Ende waren alle wich­ti­gen Details anders als pro­gnos­ti­ziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Lin­ke wäre drau­ßen geblie­ben. Roland Koch wird sich also mor­gen trotz her­ber Ver­lus­te rüh­men kön­nen, man habe ihn zu früh abge­schrie­ben.

Ähn­lich wie damals in Flo­ri­da gab es offen­bar erheb­li­che Pro­ble­me und Unre­gel­mä­ßig­kei­ten mit Wahl­com­pu­tern, die der Cha­os Com­pu­ter Club in einer Pres­se­mit­tei­lung zusam­men­ge­fasst hat. Und in den Qua­li­täts­me­di­en fin­det sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nach­trag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zei­tung hat einen Arti­kel zum The­ma online.

Nach­trag 20:14 Uhr: Eine Mel­dung zum The­ma hat’s sogar auf „Bild.de“ geschafft.

Kategorien
Politik

Die Normalität des Bösen

Udo Vet­ter hat im Law­blog eine sehr inter­es­san­te MP3 ver­linkt. Zu hören ist Ange­la Mer­kel bei ihrem gest­ri­gen Auf­tritt in der Stadt­hal­le Osna­brück, wo sie den nie­der­säch­si­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Chris­ti­an Wulff im Wahl­kampf unter­stütz­te.

Die­ser gut ein­mi­nü­ti­ge Aus­schnitt ist bemer­kens­wert – sprach­lich wie inhalt­lich. Und des­halb gehen wir die wesent­li­chen Stel­len mal gemein­sam durch.

Sie wer­den sich erin­nern, die Älte­ren unter Ihnen, wie vie­le Schlach­ten wir schon geschla­gen haben.

War­um aus­ge­rech­net Frau­en immer so eine mar­tia­li­sche Spra­che an den Tag legen müs­sen, habe ich mich schon bei Eva Her­man gefragt. Aber das ist hier nur ein unwich­ti­ges Detail …

Heu­te hät­ten wir weder die liba­ne­si­schen Kof­fer­bom­ber gefun­den, noch hät­ten wir die Schlä­ge­rei­en des alten Man­nes in der U‑Bahn in Mün­chen so schnell auf­klä­ren kön­nen, und heu­te fin­det jeder Video­über­wa­chung auf gro­ßen Plät­zen, öffent­li­chen Plät­zen ganz nor­mal.

Mit den „Kof­fer­bom­bern“, die auch von seriö­sen Medi­en nur unter Auf­bie­tung von Anfüh­rungs­zei­chen so genannt wer­den, war es so: Der ers­te Ver­däch­ti­ge wur­de nach Hin­wei­sen des liba­ne­si­schen Geheim­diens­tes fest­ge­nom­men, der zwei­te stell­te sich im Liba­non selbst. Und die bei­den jun­gen Män­ner, die in Mün­chen einen Rent­ner zusam­men­ge­schla­gen haben (Ist die For­mu­lie­rung „die Schlä­ge­rei­en des alten Man­nes“ nicht irgend­wie drol­lig?) wur­den mit­hil­fe eines kurz zuvor gestoh­le­nen Mobil­te­le­fons über­führt.

Auch die Behaup­tung, „jeder“ fän­de die Video­über­wa­chung „nor­mal“, hal­te ich für sehr gewagt – Frau Mer­kel aber bekannt­lich nicht.

Wenn es die Uni­on nicht gewe­sen wäre, die dafür gekämpft hät­te, dass das not­wen­dig ist, hät­ten wir heu­te noch kei­ne Video­über­wa­chung.

Es mag eine leich­te Unsi­cher­heit in der frei­en Rede sein, aber fin­den Sie es nicht auch irgend­wie merk­wür­dig, dass die Uni­on dafür „kämpft“, dass etwas „not­wen­dig“ ist? Ent­we­der etwas ist not­wen­dig, oder es ist es nicht.

Wir wer­den nicht zulas­sen, dass tech­nisch man­ches mög­lich ist, aber der Staat es nicht nutzt, dafür aber die Ver­bre­cher und Täter und Ter­ro­ris­ten es nut­zen, das ist nicht unser Staat, der Staat muss hier hart sein.

„Tech­nisch mög­lich“ sind auch die Fol­ter mit Elek­tro­schocks, die geziel­te Tötung von Ver­däch­ti­gen oder ande­re, gegen die UN-Anti­fol­ter­kon­ven­ti­on ver­sto­ßen­de Maß­nah­men. Will der Staat die zukünf­tig auch nut­zen?

Wie weit will „der Staat“ (Wer soll das über­haupt sein? Sie? Ich? Mer­kel­schäub­le­zy­pries?) beim Wett­rüs­ten mit den bösen Jungs gehen? „Die machen das, also machen wir das auch“, hal­te ich für eine sehr gefähr­li­che Argu­men­ta­ti­on, mit der man den Boden des Rechts­staats schon nach kur­zer Zeit ver­lässt.

Und: Wer sind „die Ver­bre­cher und Täter und Ter­ro­ris­ten“? Ab dem Ver­dacht zu wel­cher Straf­tat will Frau Mer­kel da wel­che tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten aus­rei­zen? Wirk­lich erst ab Ter­ro­ris­mus, oder viel­leicht doch schon bei Laden­dieb­stahl? Sicher doch auch gegen Kin­der­por­no­gra­phie, nicht? Da war die Staats­an­walt­schaft doch erst kürz­lich so mega-erfolg­reich.

Frau Mer­kels Ansich­ten sind beun­ru­hi­gend, ihre Spra­che ver­rä­te­risch.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Die volkstümliche Schlägerparade

Bis vor drei Wochen gab es in Deutsch­land aus­schließ­lich net­te, klu­ge Jugend­li­che, die zwar viel­leicht ab und zu mal Amok­läu­fe an ihren Schu­len plan­ten, aber das waren ja die Kil­ler­spie­le schuld. Seit Ende Dezem­ber reicht es nicht, dass die Jugend­li­chen in der U‑Bahn nicht mehr für älte­re Mit­men­schen auf­ste­hen, sie tre­ten die­se jetzt auch noch zusam­men. Plötz­lich gibt es in Deutsch­land Jugend­ge­walt – so viel, dass die „Bild“-„Zeitung“ ihr eine eige­ne Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, …) wid­met. Bei „Bild“ sind aller­dings immer die Aus­län­der schuld.

Mit dem The­ma Jugend­kri­mi­na­li­tät ist es wie mit jedem The­ma, das jah­re­lang tot­ge­schwie­gen wur­de: Plötz­lich ist es aus hei­te­rem Wahl­kampf-Him­mel in den Medi­en und alle haben ganz töf­te Erklä­run­gen dafür und Mit­tel dage­gen. In die­sem kon­kre­ten Fall füh­ren sich die Poli­ti­ker auf wie Eltern, die ihre Kin­der die gan­ze Zeit ver­nach­läs­sigt haben und dann plötz­lich, als sie die nicht mehr ganz so lie­ben Klei­nen auf der Poli­zei­wa­che abho­len muss­ten, „War­um tust Du uns das an?“ brül­len und dem Blag erst­mal eine lan­gen. Nur, dass „Ver­nach­läs­si­gung“ in der Poli­tik eben nicht „kei­ne gemein­sa­men Aus­flü­ge in den Zoo“ und „das Kind allei­ne vor dem RTL-II-Nacht­pro­gramm hocken las­sen“ heißt, son­dern „Zuschüs­se für die Jugend­ar­beit strei­chen“ und „desas­trö­ses­te Bil­dungs­po­li­tik betrei­ben“.

Ich hal­te wenig von Gene­ra­tio­nen-Eti­ket­tie­rung, ein gemein­sa­mer Geburts­jahr­gang sagt zunächst ein­mal gar nichts aus. Auch wenn Phil­ipp Lahm und ich im Abstand von sechs Wochen auf die Welt gekom­men und wir bei­de mit „Duck Tales“, Kin­der-Cola und „Kevin allein zuhaus“ auf­ge­wach­sen sind, wäre der sym­pa­thi­sche klei­ne Natio­nal­spie­ler doch nicht unbe­dingt unter den ers­ten ein­hun­dert Leu­ten, die mir ein­fie­len, wenn ich mir ähn­li­che Per­so­nen auf­sa­gen soll­te. ((Mei­ne Fuß­bal­ler­kar­rie­re ende­te zum Bei­spiel nach einem ein­ma­li­gen Pro­be­trai­ning in der D‑Jugend.)) Es gibt in jeder Alters­grup­pe (und bei jeder Pass­far­be, Eth­ni­zi­tät, sexu­el­len Ori­en­tie­rung, Kör­per­form, Haar­län­ge und Schuh­grö­ße) sym­pa­thi­sche Per­so­nen und Arsch­lö­cher. Mög­li­cher­wei­se war zum Bei­spiel die Chan­ce, in einer Stu­den­ten-WG an Mit­be­woh­ner zu gera­ten, die sich nicht an den Putz­plan hal­ten und ihre Bröt­chen­krü­mel nicht aus dem Spül­stein ent­fer­nen, vor vier­zig Jah­ren bedeu­tend höher als heu­te, und auch wenn Schlun­zig­keit kein Gewalt­ver­bre­chen ist, so ist doch bei­des sehr unschön für die Betrof­fe­nen.

Doch ich schwei­fe ab: Das Kri­mi­no­lo­gi­sches For­schungs­in­sti­tut Nie­der­sach­sen e.V. mit sei­nem viel­zi­tier­ten und fast zu Tode inter­view­ten Direk­tor Prof. Dr. Chris­ti­an Pfeif­fer hat im ver­gan­ge­nen Jahr eine Stu­die zum The­ma „Gewalt­tä­tig­keit bei deut­schen und nicht­deut­schen Jugend­li­chen“ ver­öf­fent­licht.

Auf Sei­te 4 gibt es einen recht schlüs­sig erschei­nen­den Erklä­rungs­ver­such, war­um gera­de bestimm­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen eher zu Gewalt nei­gen als ande­re:

Beson­de­re Rele­vanz für eine erhöh­te Gewalt­tä­tig­keit von Nicht­deut­schen scheint aktu­el­len Stu­di­en zufol­ge bestimm­ten, mit Gewalt asso­zi­ier­ten Männ­lich­keits­vor­stel­lun­gen zuzu­kom­men. Die­sen hän­gen in ers­ter Linie tür­ki­sche, aber auch rus­si­sche Jugend­li­che an (vgl. Enzmann/​Brettfeld/​Wetzels 2004, Strasser/​Zdun 2005). Die Männ­lich­keits­vor­stel­lun­gen resul­tie­ren aus einem Ehr­kon­zept, das sich unter spe­zi­fi­schen gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen her­aus­ge­bil­det hat. […] Der Mann als Fami­li­en­vor­stand muss Stär­ke demons­trie­ren, um even­tu­el­le Angrei­fer bereits im Vor­hin­ein abzu­schre­cken.

Lai­en­haft ver­stan­den und über­spitzt gesagt: Eva Her­mans Ruf nach der Rück­kehr ins Patri­ar­chat wür­de auf lan­ge Sicht dazu füh­ren, dass wir wie­der mehr prü­geln­de Jungs hät­ten, weil die archai­schen Männ­lich­keits­bil­dern anhän­gen und den dicken Lar­ry mar­kie­ren wür­den. Oder anders: In Ober­bay­ern wer­den nur des­halb kei­ne Leu­te in U‑Bahnen zusam­men­ge­schla­gen, weil es dort kei­ne U‑Bahnen gibt.

Noch span­nen­der ist aber wohl der auf Sei­te 5 aus­ge­führ­te Ansatz, wonach der ver­meint­lich hohe Anteil an kri­mi­nel­len Aus­län­dern auch ein Wahr­neh­mungs­pro­blem ist:

Die eti­ket­tie­rungs­theo­re­ti­sche Erklä­rung sieht den Grund für eine höhe­re Kri­mi­na­li­täts­be­las­tung dabei nicht allein auf Sei­ten der Migran­ten, son­dern sie bezieht das Ver­hal­ten der Ein­hei­mi­schen mit ein. So konn­te u.a. gezeigt wer­den, dass die Kri­mi­na­li­sie­rungs­wahr­schein­lich­keit (d.h. die Regis­trie­rung als Tat­ver­däch­ti­ger) bei Aus­län­dern im Ver­gleich zu den Deut­schen dop­pelt bis drei­mal so hoch ist (Albrecht 2001; Mansel/​Albrecht 2003). Zudem exis­tie­ren Befun­de, die bele­gen, dass straf­fäl­lig gewor­de­ne Aus­län­der einer zuneh­mend här­te­ren Sank­ti­ons­pra­xis aus­ge­setzt sind (vgl. Pfeif­fer et al. 2005, S. 77ff). Abwei­chung, so die dar­aus ableit­ba­re The­se, ist nicht nur des­halb unter den eth­ni­schen Min­der­hei­ten ver­brei­te­ter, weil die­se tat­säch­lich öfter ein ent­spre­chen­des Ver­hal­ten zei­gen, son­dern weil die auto­chtho­ne Bevöl­ke­rung bzw. ihre Straf­ver­fol­gungs­or­ga­ne die Abwei­chung von Migran­ten anders wahr­nimmt und auf sie beson­ders sen­si­bel reagiert.

Und wer ein­mal im Gefäng­nis sitzt, lernt dort die fal­schen Leu­te ken­nen, fin­det kei­nen Job mehr und befin­det sich mit­ten­drin in einer Abwärts­spi­ra­le. Der „kri­mi­nel­le Aus­län­der“ ist also zum Teil eine selbst erfül­len­de Pro­phe­zei­hung: Wie oft liest man in der Pres­se von jun­gen Tür­ken, Grie­chen oder Alba­nern, die gewalt­tä­tig gewor­den sind, und wie sel­ten von jun­gen Deut­schen? Bei Deut­schen lässt man in Deutsch­land die Staats­bür­ger­schaft ein­fach weg und der Leser nimmt die Natio­na­li­tät nur wahr, wenn es sich Aus­län­der han­delt. Die Situa­ti­on ist ver­gleich­bar mit den schlecht gepark­ten Autos auf dem Sei­ten­strei­fen, die Sie auch nur wahr­neh­men, wenn eine Frau aus­steigt.

Als ich vor andert­halb Jah­ren für drei Mona­te in San Fran­cis­co weil­te (wo ich mich übri­gens stets sehr sicher fühl­te – auch, weil ich kei­ne loka­len Zei­tun­gen las), wur­de ich eines Tages auf dem Fuß­weg in die Innen­stadt von einem jun­gen Mann ange­rem­pelt. Es war nicht son­der­lich bru­tal, der Mann woll­te nur offen­bar genau dort lang gehen, wo ich stand. So etwas pas­siert einem in deut­schen Fuß­gän­ger­zo­nen nahe­zu täg­lich. Der jun­ge Mann aber war von schwar­zer Haut­far­be und aus dem Fern­se­hen glau­ben wir zu wis­sen: Schwar­ze bege­hen viel mehr Ver­bre­chen als Wei­ße. Ich als auf­ge­schlos­se­ner, ratio­na­ler Mensch muss­te mein Hirn zwin­gen, die­sen Vor­fall nicht als sym­pto­ma­tisch abzu­tun: Nach gröbs­ten sta­tis­ti­schen Schät­zun­gen wur­de ich im Jahr 2006 etwa 42 Mal ange­rem­pelt. In 95% der Fäl­le waren es unfreund­li­che Rent­ner in grau­en Stoff­ja­cken, her­ri­sche Frau­en mit mür­ri­schem Gesichts­aus­druck und dicke unge­zo­ge­ne Kin­der in Deutsch­land. Aber das war All­tag – und in die­sem einen Fall pass­te der Remp­ler auf­grund sei­ner Haut­far­be in ein dif­fu­ses Täter­pro­fil, dass ich im Hin­ter­kopf hat­te. Ich war von mir selbst scho­ckiert.

In San Fran­cis­co wur­de ich noch ein wei­te­res Mal ange­rem­pelt: Als ich an Hal­lo­ween auf der Stra­ße stand, lief eine Grup­pe Jugend­li­cher an mir vor­bei. Jeder ein­zel­ne ver­pass­te mir einen Schul­ter­check, bis ich schließ­lich auf den Geh­weg flog. ((Ich beein­druck­te die Fest­ge­mein­de, indem ich bei dem Sturz kei­nen ein­zi­gen Trop­fen Bier aus mei­ner Dose ver­schüt­te­te. Es war das ers­te und ein­zi­ge Mal in mei­nem Leben, dass ich mich als Deut­scher fühl­te.)) Ihre genaue Eth­ni­zi­tät konn­te ich nicht erken­nen, aber schwarz waren sie nicht. Mei­ne ame­ri­ka­ni­schen Freun­de waren ent­setzt und ver­si­cher­ten mir teils am Ran­de der Trä­nen, dass so etwas in die­ser Gegend sonst nie vor­kä­me. Ich sag­te, ich sei in Dins­la­ken auf­ge­wach­sen, da sei man schlim­me­res gewohnt.

Kategorien
Gesellschaft

Schutzbehauptungen

Rauch (Symbolbild)

In der mor­gi­gen „FAZ“ fin­det sich eine Repor­ta­ge von Judith Lembke, die sich drei Mona­te nach der Ein­füh­rung des Rauch­ver­bots in Hes­sen in Frank­fur­ter Knei­pen umge­se­hen hat.

Auch wenn ich – wie bereits beschrie­ben – Nicht­rau­cher bin und sehr ent­schie­den etwas dage­gen habe, wenn frem­de Leu­te mei­ne Kla­mot­ten und mei­ne Gesund­heit rui­nie­ren wol­len, muss ich doch fest­stel­len, dass das Nicht­rau­cher­schutz­ge­setz offen­bar wie­der sämt­li­che Qua­li­tä­ten der gro­ßen Koali­ti­on ver­eint: Am Leben vor­bei, übers Ziel hin­aus­schie­ßend, allen­falls zur Hälf­te durch­dacht und (wie so oft) nicht so ganz mit der Ver­fas­sung ver­ein­bar:

Die Loka­le, die nur aus einem Schank­raum bestehen und kei­ne Mög­lich­keit haben, beson­de­re Rau­cher­zo­nen aus­zu­wei­sen, sind beson­ders stark vom Gäs­te­schwund betrof­fen. Da dort ein gene­rel­les Rauch­ver­bot herrscht, wei­chen die rau­chen­den Gäs­te auf Knei­pen aus, wo sie sich auch wei­ter­hin die Ziga­ret­te zum Fei­er­abend­bier geneh­mi­gen kön­nen. Und der Rau­cher, der sei­nem Stamm­lo­kal die Treue hält, trinkt weni­ger, weil er zum Rau­chen nicht in die Käl­te, son­dern lie­ber wie­der nach Hau­se geht.

Es sieht also so aus, dass die Wir­te klei­ner Eck­knei­pen, die in eini­gen Fäl­len sogar Besit­zer der Immo­bi­lie sein mögen, ihren Kun­den in ihren eige­nen vier Wän­den das Rau­chen ver­bie­ten müs­sen, wenn sie kei­nen abtrenn­ba­ren Neben­raum haben. Und das wol­len sich die meis­ten rau­chen­den Kun­den natür­lich nicht antun.

Sicher: Ich wür­de kei­ne Rau­cher­knei­pe auf­su­chen, aber das müss­te ich ja auch nicht, solan­ge es für mich Nicht­rau­cher­knei­pen gäbe. Die aller­dings hät­te es auf frei­wil­li­ger Basis schon lan­ge geben kön­nen und ich ken­ne bis heu­te kei­ne ein­zi­ge. Und damit befin­den wir uns mit­ten drin in einem Dilem­ma, das so undurch­schau­bar scheint, dass ich die Erstel­lung einer Pro- und Con­tra-Lis­te für ein pro­ba­tes Mit­tel erach­te:

Pro Rauch­ver­bot in Knei­pen

  • Rau­chen ist unge­sund. Wenn nur ein Mensch mit dem Rau­chen auf­hört, weil er sich den Gang vor die Tür nicht mehr antun will, ist das ein Gewinn. Auch für die Kran­ken­kas­sen, deren Finan­zie­rung immer­hin auch durch Nicht­rau­cher erfolgt.
  • Die Mit­ar­bei­ter müs­sen geschützt wer­den. In Deutsch­land gibt es Vor­schrif­ten zur Grö­ße von Schreib­ti­schen und der Beleuch­tung in Büros, da erscheint es drin­gend ange­zeigt, Ange­stell­te end­lich vor den Gefah­ren des Pas­siv­rau­chens zu schüt­zen.
  • Wo geraucht wird, muss häu­fi­ger reno­viert wer­den. In Extrem­fäl­len kann auch der Wert der Immo­bi­lie sin­ken. Rau­chen ist also eigent­lich unver­ant­wort­lich, wenn es nicht in den (im juris­ti­schen Sin­ne) eige­nen vier Wän­den pas­siert. Rauch­ver­bo­te wären dem­nach auch in Miet­woh­nun­gen und Rau­cher­zim­mern in gemie­te­ten Gast­stät­ten erfor­der­lich.
  • Es hat bis­her kaum Nicht­rau­cher­knei­pen auf frei­wil­li­ger Basis gege­ben – und das, obwohl der Markt mit Sicher­heit da wäre. Wenn sich der Markt nicht mehr selbst regu­lie­ren kann, soll­te der Staat über eine Inter­ven­ti­on nach­den­ken.

Con­tra gene­rel­les Rauch­ver­bot

  • Jeder erwach­se­ne Mensch soll­te selbst ent­schei­den kön­nen, was er mit sei­nem Kör­per macht: Mara­thon lau­fen, Puls­adern auf­schnei­den, Bart wach­sen las­sen, rau­chen, trin­ken, Dro­gen neh­men. Ich hiel­te eine unauf­ge­reg­te Grund­satz­dis­kus­si­on über die völ­li­ge Lega­li­sie­rung aller berau­schen­den Stof­fe für begrü­ßens­wert, bin mir aber sicher, sie zeit­le­bens und hier­zu­lan­de nicht mehr zu erle­ben.
  • In den meis­ten Eck­knei­pen bedie­nen ein Besit­zer und ein, zwei Ange­stell­te, die nicht sel­ten zur Fami­lie des Besit­zers gehö­ren. Einer per­sön­li­chen Erhe­bung nach wür­de ich sagen, dass sämt­li­che (dau­er­haf­ten) Bedie­nun­gen in sol­chen Knei­pen selbst rau­chen.
  • Es grenzt das Recht auf Berufs­frei­heit ein, wenn Gast­wir­te per Gesetz zu Nicht­rau­cher­gast­wir­ten gemacht wer­den. Mög­li­cher­wei­se ver­stößt es sogar wirk­lich gegen das Grund­ge­setz. Wer ent­schei­den darf, wie sei­ne Knei­pe aus­sieht, wel­ches Bier dort aus­ge­schenkt wird ((Für mich auch ein wich­ti­ges Aus­schluss­kri­te­ri­um. Beson­ders in Bochum.)) und wel­che Musik dort läuft, soll­te auch ent­schei­den dür­fen, was dar­in im Rah­men der gesetz­li­chen Gren­zen – wobei ich das Nicht­rau­cher­schutz­ge­setz natür­lich aus­ge­klam­mert wis­sen will – erlaubt ist und was nicht. Hät­te ich eine Knei­pe, gäbe es dort kei­ne „Gold“-Biere und kei­ne Musik von Bryan Adams oder Revol­ver­held.
  • Wenn die Nicht­rau­cher nicht Wil­lens oder in der Lage waren, sämt­li­che Gast­stät­ten, in denen geraucht wur­de, zu boy­kot­tie­ren (und dem Wirt das auch mit­zu­tei­len), müs­sen sie sich die Fra­ge gefal­len las­sen, wie wich­tig ihnen ihr Anlie­gen war. Nur spre­chen­den Men­schen kann gehol­fen wer­den und man kann es nie allen recht machen, wie mei­ne Groß­mutter schon immer sag­te.
  • Im Gegen­satz zu Zügen, Behör­den, Kon­zert­hal­len und Kinos kann man sich sei­ne bevor­zug­te Gast­stät­te selbst aus­su­chen. Nichts und nie­mand zwingt einen ((„zwin­gen“ ist in die­sem Fall eher meta­pho­risch gemeint. Schon das Kon­zert einer bestimm­ten Band wäre dem­nach ein zwin­gen­der Grund, eine bestimm­te Kon­zert­hal­le auf­zu­su­chen, die dann auch bit­te rauch­frei sein soll­te.)), genau in eine Rau­cher­knei­pe zu gehen. 18 Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung und in Zei­ten einer immer wei­ter aus­ein­an­der klaf­fen­den sozia­len Sche­re wäre eine Zwei-Klas­sen-Gesell­schaft im Nacht­le­ben nur kon­se­quent.
  • Rau­chen­de, laut schnat­tern­de Men­schen vor einer Knei­pe sind schlim­mer als rau­chen­de, laut schnat­tern­de Men­schen in der glei­chen Knei­pe – vor allem für die Anwoh­ner. Wer über dem Ein­gang einer Gast­stät­te wohnt, wird Dank des Nicht­rau­cher­schutz­ge­set­zes sein Fens­ter in die­sem Som­mer nachts geschlos­sen hal­ten müs­sen.
  • Zahl­rei­che Wir­te wol­len ihre Knei­pen jetzt zu Ver­eins­hei­men umwid­men und grün­den eigens dafür Rau­cher­clubs. Das Letz­te, was Deutsch­land braucht, sind aber noch mehr Ver­eins­mei­er und orga­ni­sier­te Wich­tig­tu­er. Das wird Ihnen jeder Finanz­be­am­te, der die ver­damm­ten Jah­res­rech­nungs­be­rich­te kon­trol­lie­ren muss, bestä­ti­gen.

Die höhe­re Anzahl an Con­tra-Argu­men­ten legt mir die Ver­mu­tung nahe, ich sei eher gegen ein gene­rel­les Rauch­ver­bot. Ganz sicher bin ich mir da aber auch nicht. Dafür weiß ich, dass ich jeder­zeit einen eige­nen Debat­tier­club nur mit mir grün­den könn­te. Mein Club­haus wäre selbst­ver­ständ­lich rauch­frei.

Kategorien
Digital

Klickbefehl (6): Gegen den Strich

Doch nach Jah­ren des Nie­der­gangs herrscht Auf­bruch­stim­mung. Ver­la­ge und Kon­zert­ver­an­stal­ter boo­men. Bei den klei­ne­ren Plat­ten­fir­men gab es noch nie so vie­le Neu­grün­dun­gen. Und selbst unter den gro­ßen Musik­kon­zer­nen von Uni­ver­sal bis War­ner Music macht sich neue Hoff­nung breit. „Wir been­den das bes­te Jahr seit bestimmt sie­ben Jah­ren“, sagt Edgar Ber­ger, Deutsch­land-Chef von Sony-BMG.

Von wegen ver­hun­gern­de Mana­ger: Das Han­dels­blatt berich­tet über das „Come­back der Musik­in­dus­trie“.

* * *

Wenigs­tens braucht man sich in Hes­sen vor­erst kei­ne Sor­gen um eine star­ke NPD zu machen. Denn Aus­län­der­het­ze über­nimmt der Minis­ter­prä­si­dent per­sön­lich. Und wenn er dann wie­der­ge­wählt ist, zeigt sich Roland Koch sicher wie­der ger­ne mit dem Dalai Lama oder bei der Ver­lei­hung des hes­si­schen Frie­dens­prei­ses.

Stef­fen Jen­ter kom­men­tiert bei tagesschau.de die jüngs­ten For­de­run­gen des hes­si­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Roland Koch, kri­mi­nel­le Aus­län­der schnel­ler abzu­schie­ben. [via Pott­blog]

* * *

Schlim­mer ist aber noch, dass die Poli­zei ein­fach unter­stellt, alle Per­so­nen, die den Link ange­klickt hät­ten, sei­en dar­auf über das angeb­lich kin­der­por­no­gra­fi­sche Por­tal gekom­men. Dass der Link – mit viel­leicht irre­füh­ren­den oder gar kei­nen Inhalts­an­ga­ben, zum Bei­spiel über eine der unzäh­li­gen Link­lis­ten, in ande­ren Boards oder als Spam-Mail – auch ander­wei­tig ver­brei­tet wor­den sein könn­te, liegt außer­halb ihrer Vor­stel­lungs­welt. Oder sie blen­det es aus.

Udo Vet­ter berich­tet im Law­blog, wie schnell man Opfer poli­zei­li­cher Ermitt­lun­gen wer­den kann – alles im Namen einer eigent­lich guten Sache, dem Kampf gegen Kin­der­por­no­gra­phie.

* * *

„Und? Wie fan­dest Du’s?“
„Ich weiß nicht. Ein biß­chen mul­mig wars mir schon. Das ist ne ganz ande­re Welt.“
„Ganz anders. Genau­so anders wie katho­li­sche Kir­chen, CSU-Par­tei­ta­ge oder Tup­per­waren­par­ty-Jah­res­haupt­ver­samm­lun­gen.“

Fré­dé­ric macht im Spree­blick eine klei­ne Moscheen-Besich­ti­gungs­tour.

Kategorien
Digital

Du willst es doch auch!

Es freut mich außer­or­dent­lich, dass die gro­ße Cof­fee-And-TV-Leser­wahl „Auf­guss 2007“ sich offen­bar auf Anhieb sol­cher Beliebt­heit erfreut, dass eini­ge Men­schen alles unter­neh­men, um auch gewählt zu wer­den.

Die­ser Tage erreich­ten uns noch fol­gen­de Bewer­bun­gen für die Kate­go­rie „Depp des Jah­res“:

Kategorien
Rundfunk Print Politik

Feigheit ist keine Nachricht

Wir müs­sen noch­mal auf die Erklä­rung der 26 SPD-Abge­ord­ne­ten zu spre­chen kom­men, in der die­se ihre ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken gegen­über dem Gesetz zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung aus­drück­ten, dann aber erklär­ten, die­sem trotz­dem zuzu­stim­men.

Nicht nur ix und Dr. Dean fra­gen sich, war­um es das The­ma eigent­lich über­haupt nicht in die Medi­en geschafft hat. Der Sache woll­te ich dann doch mal auf den Grund gehen.

Ich schrieb also eini­ge E‑Mails und rief in Redak­tio­nen an, wo man mich bat, wei­te­re E‑Mails zu schi­cken. Eine wirk­li­che Ant­wort habe ich bis­her nur vom ZDF bekom­men, wobei das eigent­lich auch kei­ne Ant­wort auf mei­ne Fra­ge war:

Da an die­sem Tag auch der Son­der­er­mitt­ler des Euro­pa­rats Dick Mar­ty sei­nen Bericht vor­stell­te, habe man die­sem Ansatz den Vor­zug gege­ben gegen­über einer eher inlands­ori­en­tier­ten Bericht­erstat­tung.

Offen­bar war die Erklä­rung der Abge­ord­ne­ten des­halb nir­gend­wo The­ma gewe­sen, weil außer den Redak­teu­ren bei heise.de nie­mand in das Pro­to­koll der ent­spre­chen­den Bun­des­tags­sit­zung geguckt hat­te. Die 26 Abge­ord­ne­ten hat­ten es also nicht nur geschafft, einem Gesetz zuzu­stim­men, dass sie selbst für ver­fas­sungs­wid­rig hiel­ten, sie hat­ten es auch noch fer­tig gebracht, dies in einer öffent­li­chen Erklä­rung zuzu­ge­ben, die nie eine brei­te­re Öffent­lich­keit erreicht hat (oder errei­chen soll­te). Dafür muss­ten sie nur eine Erklä­rung nach § 31 der Geschäfts­ord­nung des Deut­schen Bun­des­ta­ges abge­ben:

§ 31 Erklä­rung zur Abstim­mung

(1) Nach Schluß der Aus­spra­che kann jedes Mit­glied des Bun­des­ta­ges zur abschlie­ßen­den Abstim­mung eine münd­li­che Erklä­rung, die nicht län­ger als fünf Minu­ten dau­ern darf, oder eine kur­ze schrift­li­che Erklä­rung abge­ben, die in das Ple­nar­pro­to­koll auf­zu­neh­men ist. Der Prä­si­dent erteilt das Wort zu einer Erklä­rung in der Regel vor der Abstim­mung.

Damit ent­las­tet man sein Gewis­sen und kann hin­ter­her, wenn das Gesetzt kas­siert wur­de und mal wie­der alle auf der Bun­des­re­gie­rung rum­ha­cken, freund­lich lächelnd Anla­ge 4 her­vor­ho­len und „Wir ham’s ja schon immer gesagt“ mur­meln.

Eine ande­re Mög­lich­keit, dass die Öffent­lich­keit von der Erklä­rung erfah­ren hät­te, wäre natür­lich der Pran­ger der Oppo­si­ti­on gewe­sen. Also rief ich mal bei den drei Oppo­si­ti­ons­par­tei­en im Deut­schen Bun­des­tag an und frag­te, war­um man die­se Vor­la­ge aus Tei­len der SPD-Frak­ti­on denn nicht für eine öffent­li­che Bloß­stel­lung der 26 Abge­ord­ne­ten genutzt habe.

Bei der FDP hat­te man bis zu mei­nem Anruf noch nichts von der Erklä­rung gehört, war aber sehr inter­es­siert und sag­te mir, man wol­le „über Hand­lungs­mög­lich­kei­ten nach­den­ken“. Viel­leicht höre ich von denen also noch was.

Mark Sei­bert, Refe­rent im Büro des Die-Lin­ke-Abge­ord­ne­ten Jan Kor­te, nann­te die Erklä­rung eine „poli­ti­sche Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit“, die dem ohne­hin umstrit­te­nen Gesetz „die Kro­ne auf­ge­setzt“ habe. Aller­dings sei zu dem kon­kre­ten Fall im Moment nichts geplant, da „kein neu­er Nach­rich­ten­wert“ vor­han­den sei. Die Lin­ke und beson­ders Jan Kor­te sei­en aber in ver­schie­de­nen Initia­ti­ven gegen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung orga­ni­siert und plan­ten wei­te­re Aktio­nen.

Auch bis zu Bünd­nis 90/​Die Grü­nen war der Inhalt von Anla­ge 4 noch nicht ganz durch­ge­drun­gen. Wolf­gang Wie­land, Spre­cher für Inne­re Sicher­heit der grü­nen Frak­ti­on, ließ mir aber nur weni­ge Stun­den nach mei­nem Anruf eine schrift­li­che Stel­lung­nah­me zukom­men, die ich (schon wegen ihrer Exklu­si­vi­tät) ger­ne wie­der­ge­be:

Dass man für ein Gesetz stimmt, weil man die Inhal­te über­zeu­gend fin­det, ist der Nor­mal­fall. Dass es weni­ge Geset­ze gibt, bei denen man als Abge­ord­ne­ter nicht auch eini­ge Aspek­te ver­zicht­bar gefun­den hät­te, gehört eben­falls dazu. Wer aber für ein Gesetz stimmt und dar­auf ver­traut, dass sei­ne unge­lieb­ten Tei­le sowie­so bald vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt kas­siert wer­den, der ver­sucht, aus einem Dilem­ma eine win-win-Situa­ti­on zu machen.

Tat­sa­che ist: Die Logik hin­ter der jüngst beschlos­se­nen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung stellt Sicher­heit über Frei­heit. Tat­sa­che ist auch, dass sie sowohl euro­pa­recht­lich wie grund­ge­setz­lich auf wacke­li­gen Bei­nen steht. Das erken­nen die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von der SPD ja auch, aber sie han­deln nicht danach. Das ist ent­täu­schend, denn es ist Auf­ga­be des Gesetz­ge­bers, ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken von vorn­her­ein aus­zu­räu­men und ent­spre­chen­de Geset­ze zu ver­ab­schie­den. Das Mot­to „Koali­ti­ons­frie­den wah­ren, Idea­le zitier­fä­hig ins Pro­to­koll schrei­ben, Karls­ru­he das Auf­räu­men über­las­sen“ darf nicht die Hand­lungs­ma­xi­me für Abge­ord­ne­te sein.

Für uns Blog­ger heißt das, dass wir einer­seits zwar ganz nah an den The­men sind, der Sprung die­ser The­men in die sog. „eta­blier­ten Medi­en“ und in eine brei­te­re Öffent­lich­keit aber ande­rer­seits noch über­haupt nicht funk­tio­niert.

Kategorien
Literatur Politik

Licht aus, Spott an

Wie kann man heut­zu­ta­ge in Deutsch­land eigent­lich noch wirk­lich pro­vo­zie­ren? In Zei­ten, in denen schon jeder und alles mit irgend­wel­chen Nazi-Sachen ver­gli­chen wur­de, muss man sich was neu­es ein­fal­len las­sen: den Kohl-Ver­gleich.

Erfun­den hat ihn Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­dent Wolf­gang Thier­se in der „Leip­zi­ger Volks­zei­tung“. Zumin­dest zitiert die­se ihn wie folgt:

Mün­te­fe­ring geht, weil ihm Pri­va­tes in einer ent­schei­den­den Lebens­pha­se wich­ti­ger als alles ande­re ist. Ein Ein­schnitt?

Es ist eine unpo­li­ti­sche Ent­schei­dung, dass Franz Mün­te­fe­ring sei­ne Frau in der letz­ten Pha­se ihres Lebens direkt beglei­ten will. Sei­ne Frau im Dun­keln in Lud­wigs­ha­fen sit­zen zu las­sen, wie es Hel­mut Kohl gemacht hat, ist kein Ide­al. Ohne dass das ver­gleich­bar wäre. Die Poli­tik ist nicht das Aller­wich­tigs­te. Man soll­te sich in sol­chen Pha­sen das Recht neh­men, auch ein­mal still zu hal­ten. Es ist nicht so, dass man ein Schwäch­ling ist, wenn man nicht immer sofort in die­sen unmensch­li­chen Ent­schei­dungs­druck ver­fällt.

Zitat: lvz-online.de

Zur Erin­ne­rung: Han­ne­lo­re Kohl, die Frau von Ex-Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl, litt schon wäh­rend des­sen Amts­zeit an einer schwe­ren Licht­all­er­gie, die sie zuletzt dazu zwang, in einem völ­lig abge­dun­kel­ten Haus zu leben, und nahm sich im Juli 2001 das Leben (vgl. dazu auch die­ses geschmack­vol­le „Spiegel“-Titelbild).

So, wie Thier­se von der „Leip­zi­ger Volks­zei­tung“ zitiert wird, wäre das natür­lich eine etwas unglück­li­che, viel­leicht auch schlicht­weg geschmack­lo­se Äuße­rung. Thier­se sah sei­ne Aus­füh­run­gen zunächst ein­mal als „falsch und ver­kürzt“ wie­der­ge­ge­ben und schrieb dem Alt­kanz­ler einen per­sön­li­chen Brief, in dem er bedau­er­te, dass „ein fal­scher Ein­druck ent­stan­den sei“. (Man beach­te dabei den alten PR-Trick und bedaue­re nicht sei­ne Äuße­run­gen, son­dern den Ein­druck, der durch sie ent­stan­den sein könn­te.)

Unter­des­sen schrien Poli­ti­ker aller Par­tei­en schon Zeter und Mor­dio und ver­such­ten, die Num­mer zu einem Rie­sen­skan­dal hoch­zu­ju­beln, in des­sen Wind­schat­ten die heu­ti­ge Diä­ten­er­hö­hung medi­al unter­ge­hen könn­te.

Wer ver­ste­hen will, wie Poli­tik und Medi­en heut­zu­ta­ge funk­tio­nie­ren, muss nur die­sen Arti­kel bei n‑tv.de lesen:

„Die Äuße­run­gen von Herrn Thier­se sind für mich mensch­lich zutiefst unver­ständ­lich. Sie gren­zen für mich an Nie­der­tracht“, sag­te Mer­kel der „Bild“.

[…]

Uni­ons-Frak­ti­ons­chef Vol­ker Kau­der (CDU) sprach von einem „Tief­punkt im Umgang“ unter Kol­le­gen. CSU-Lan­des­grup­pen­chef Peter Ram­sau­er sag­te, ein Bedau­ern rei­che „hin­ten und vor­ne nicht“. „Das ist des Deut­schen Bun­des­tags nicht wür­dig. FDP-Chef Gui­do Wes­ter­wel­le hat recht, wenn er sagt, er kann sich durch einen sol­chen Vize­prä­si­den­ten nicht reprä­sen­tiert füh­len.“ Wes­ter­wel­le sprach im „Köl­ner Stadt-Anzei­ger“ von „unter­ir­di­schen“ Äuße­run­gen.

Sie sehen schon: Die reden alle über­ein­an­der und mit der Pres­se, aber in kei­nem Fall mit­ein­an­der – und das Volk sitzt dane­ben wie das Kind geschie­de­ner Eltern, die nur noch über ihre Anwäl­te mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren.

Im „Bild“-Artikel kom­men noch ein paar wei­te­re Hoch­ka­rä­ter zu Wort:

Hes­sens Minis­ter­prä­si­dent Roland Koch (CDU) empört: „Schä­big und geschmack­los!“ Jun­ge-Uni­on-Chef Phil­ipp Miß­fel­der: „Par­tei­chef Kurt Beck muss Thier­se sofort zur Ord­nung rufen.“

Und weil die Luft lang­sam dünn wur­de, schal­te­te Thier­se einen Gang höher und ent­schul­dig­te sich heu­te mor­gen per Brief „in aller Form“ bei Hel­mut Kohl. Rich­ti­ger noch: Er bat um Ent­schul­di­gung, was ja heut­zu­ta­ge auch eine sprach­li­che Sel­ten­heit ist.

Wie reagiert eigent­lich Kohl auf den Brief sei­nes alten Freun­des und das gan­ze Thea­ter drum her­um? Mit der ihm übli­chen staats­män­ni­schen Grö­ße und Gelas­sen­heit:

„Ich neh­me die­se Ent­schul­di­gung an. Zum Vor­gang selbst will ich sonst nichts sagen.“

Ich weiß schon, war­um der Mann auf ewig „mein“ Kanz­ler blei­ben wird.

Nach­trag 17. Novem­ber: Gera­de erst fest­ge­stellt, dass die­se ers­te öffent­li­che Erwäh­nung des Namens Hel­mut Kohl seit Mona­ten zufäl­li­ger­wei­se mit der Prä­sen­ta­ti­on des drit­ten Bands von Kohls Auto­bio­gra­fie zusam­men­fiel …