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Digital Politik

Coffee And TV goes green

Nachdem ich mich in der vergangenen Nacht an der Schönheit der Demokratie berauscht habe, werde ich nächste Woche Gelegenheit haben, mich mit dem harten politischen Alltagsgeschäft in Deutschland zu befassen.

Vor einigen Wochen hatte die Partei Bündnis 90/Die Grünen (und das war das erste und letzte Mal, dass ich diesen knackigen Namen komplett ausgeschrieben habe) einen Aufruf gestartet, bei dem sich Blogger für eine Art Bloggerstipendium für den Bundesparteitag (der bei den Grünen Bundesdeligiertenkonferenz heißt) bewerben konnten. Weil ich bereits in ganz jungen Jahren verschiedene Grünen-Veranstaltungen besucht hatte, fühlte ich mich hinreichend kompetent für diesen Job und habe mich dort beworben.

Jetzt habe ich erfahren, dass ich vom 14. bis zum 16. November in Erfurt dabei sein darf. Es wird mein erster Parteitag und ich bin sehr gespannt. Ich erwarte nicht allzu viel “Change”-Stimmung, auch wenn mit Cem Özdemir erstmals ein türkischstämmiger Politiker Vorsitzender einer größeren deutschen Partei werden kann.

Nun werden Sie vielleicht denken: “Die Partei zahlt ihm Zugfahrt und Hotel, da wird er die ja sicher in den Himmel loben!” Da kann ich Sie beruhigen: So lange Claudia Roth, die am Montag vor die Presse stürmte und das Verhalten der vier hessischen SPD-Abweichler verurteilte, bevor die sich überhaupt erklärt hatten, bei den Grünen dabei ist, wird es genug geben, über das ich mich ärgern kann.

Erwarten Sie also stimmungsvolle Impressionen aus der mir völlig fremden Welt der Parteipolitik hier bei Coffee And TV — und ebenfalls im Pottblog, denn Jens ist witzigerweise auch dabei.

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Politik Gesellschaft

Miss American Pie

Dieser Tage schaut die Welt noch mehr auf Amerika, als sie es sowieso schon tut. Die “Schicksalswahl unserer Generation” steht an und es wirkt ein bisschen so, als werde am Dienstag zwischen Himmel und Hölle entschieden.

Der Wahlkampf zeigt einmal mehr die eklatanten Unterschiede zwischen den USA und Deutschland auf: Nicht nur, dass wir hier ein anderes Wahlsystem haben, auch kulturell sieht es hier ganz anders aus. Das Pathos, das Obamas halbstündigen Infomercial durchweht, wäre hierzulande undenkbar.

Vielleicht liegt es daran, dass Schwarz, Rot und Gold keine so schöne Farbkombination ist wie Rot, Weiß und Blau. Aber noch nicht mal eine geeignete Musikuntermalung würde man hier für so einen Wahlwerbefilm finden: in Deutschland gibt es keine Folklore, denn was es gab, wurde vom “Musikantenstadl” in Grund und Boden gevolkstümelt.

Ich finde diese Unterschiede nicht schlimm (auch wenn ich mir manchmal wünsche, dass sich jeder einzelne Deutsche ein bisschen mehr mit seiner Rolle in der Gesellschaft um ihn herum – nicht mit dem abstrakten Begriff der Nation – identifizieren würden), aber diese Unterschiede sind eben da. Deswegen sollten sich deutsche Politiker dafür hüten, Obamas vermeintliche Erfolgsrezepte nächstes Jahr 1:1 für den deutschen Markt kopieren zu wollen.

Die armen, armen Hessen, die im Januar die sogenannte Wahl zwischen Roland Koch und Andrea Ypsilanti hatten, bekommen am Dienstag vielleicht eine neue Ministerpräsidentin. Ja, an jenem Schicksalsdienstag, 4. November. Und weil das so schön passt, hat sich Frau Ypsilanti heute Morgen auf einem SPD-Sonderparteitag in Fulda dem wehrlosen Barack Obama ans Bein geschmissen und mit einem einzigen Satz diese tiefen kulturellen Unterschiede, diesen schmalen Grat zwischen ansteckendem Pathos und abstoßender Peinlichkeit zusammengefasst:

Ich hoffe, Genossinnen und Genossen, dass die amerikanischen Wählerinnen und Wähler am 4. November in Amerika sagen: “Yes, we can!”, und dass die hessischen Abgeordneten dann sagen können, mit Euch zusammen in Hessen: “Yes, we do!”

[via WDR2-Nachrichten]

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Literatur Politik

Präsidialer Buchclub

Gut, dass ich in Deutschland geboren wurde, denn so kann ich nie als US-Präsident kandidieren. Denn selbst wenn ich Parteiinterne Grabenkämpfe und Fernsehdebatten überstünde und wider Erwarten genug Geld für meine Kampagne gesammelt bekäme, an einer Stelle würde ich furios scheitern: bei der Nennung meiner Lieblingsbücher.

Denn was sagt es über mich als Menschen aus, wenn ich in diesem Zusammenhang “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams, “High Fidelity” von Nick Hornby und “Gegen den Strich” von Joris-Karl Huysmans nenne? Eben: Dass ich ein soziopathischer Nerd bin, dem seine CD-Sammlung wichtiger ist als alles andere. Die einzigen Stimmen, die ich bekäme, kämen aus Staatsgefängnissen, Platten- und Rollenspielläden.

Ich könnte natürlich auch ein bisschen mogeln bei meiner Liste, so wie es angeblich alle tun und wie es mutmaßlich auch John McCain und Barack Obama getan haben. Die nannten nämlich “For Whom the Bell Tolls” von Ernest Hemingway, “Im Westen nichts Neues” von Erich Maria Remarque und “The History of the Decline and Fall of the Roman Empire” von Edward Gibbon (McCain) bzw. “Song of Solomon” von Toni Morrison, “Moby-Dick” von Herman Melville und der Essay “Self-Reliance” von Ralph Waldo Emerson (Obama).

Ich habe von all diesen Büchern nur “Im Westen nichts Neues” gelesen und weiß so ungefähr, was bei Hemingway und Melville passiert, von daher kann ich zu den literarischen Favoriten der Präsidentschaftskandidaten wenig sagen — aber dafür gibt es ja den “San Francisco Chronicle”, der eine Reihe von Literaturwissenschaftlern, Schriftstellern und sonstigen Experten befragt hat. Sie erklären unter anderem, dass es ein wenig überrasche, dass McCain gleich zwei Anti-Kriegsromane nenne, es im Gegensatz dazu aber ziemlich naheliegend sei, dass Obama das Buch von Toni Morrison mag, in dem sich ein junger, schwarzer Mann auf die Suche nach seiner Identität begibt.

Wo sie schon mal dabei sind, geben die gleichen Leute auch noch Tipps, was der zukünftige Präsident unbedingt lesen sollte. Und da ist vielleicht auch was für Leser dabei, die nie US-Präsident werden wollten.

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Gesellschaft Politik

Wagenfragen

“Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksal leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, mutig gefasst, die Zügel festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken.”
(Johann Wolfgang Goethe, “Egmont”, Zweiter Aufzug)

Ich wollte nicht über Jörg Haider schreiben. Aber die neuen Details seines tödlichen Unfalls werfen in mir doch ein paar Fragen auf:

  • Was wäre denn, wenn er nicht verunglückt wäre?
  • Wäre dann halt ein Landeshauptmann betrunken mit 142 durch die Ortschaft gedonnert und es hätte nie einer davon erfahren?
  • Passiert sowas öfter?
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Politik

Ich wär wohl euer Präsident

So langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Partei “Die Linke” nicht vielleicht doch ein irres Langzeitprojekt von … sagen wir mal: Christoph Schlingensief ist. Heute jedenfalls hat sie den Schauspieler Peter Sodann als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorgestellt. Warum auch nicht, den USA ging es unter Ronald Reagan ja auch ganz gut und auf einen Kandidaten mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.

Als Wähler fragt man sich natürlich, warum es bei der Wahl für ein repräsentatives Amt, an der man selbst aktiv gar nicht teilnehmen darf, eine größere Auswahl an Alternativen gibt als bei der Wahl zum deutschen Regierungschef.

Sodann ist aber mitnichten der abwegigste Kandidat, der je Bundespräsident werden sollte, er reiht sich da nur ganz gut ein. Das Politik-und Geschichtsblog Coffee And TV fasst die schillerndsten Persönlichkeiten zusammen:

  • Heinrich Lübke (Präsident von 1959-1969) Auch wenn der berühmte Ausspruch mit den Negern offensichtlich Quatsch ist und der Mann schwer krank war, wird er doch am Ehesten als der “lustige” Präsident in Erinnerung bleiben.
  • Walter Scheel (Präsident von 1969-1974) Der Mann des Volkslieds, der im Fernsehen “Hoch auf dem gelben Wagen” gesungen hat.
  • Luise Rinser (Kandidatin 1984) Kaum durften die Grünen jemanden vorschlagen, taten sie es auch: In Form einer linkskatholischen Schriftstellerin, die sich einmal als “Freundin fürs Leben” von Gudrun Ensslin bezeichnet hatte. Hach, so was ging natürlich gar nicht!
  • Steffen Heitmann (Beinahe-Kandidat 1994) Helmut Kohl wünschte sich einen Ostdeutschen als Bundespräsidenten und fand ihn in Form eines erzkonservativen Fettnäpfchen-Springers. Als der nicht mehr haltbar war, bekamen wir Roman Herzog.
  • Hans Hirzel (Kandidat 1994) Vom Mitglied der “Weißen Rose” zum Republikaner: Ein typisch deutsches Leben halt.
  • Uta Ranke-Heinemann (Kandidatin 1999) Bundespräsidenten-Tochter, Papst-Kommilitonin, streitbare Theologin. Eine kluge Frau, die aus Gründen, die auch nicht wirklich nachzuvollziehen sind, als “die Frau im türkisen Kostüm” in die Geschichte eingehen wird.

Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang doch die Aktion “Be My Kandidat” noch einmal aufwärmen …

PS: Die Überschrift ist natürlich wieder geklaut. Diesmal bei Jens Friebe.

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Rundfunk Politik

St. Louis Vice

Heute Nacht um drei Uhr unserer Zeit läuft in den USA das einzige TV-Duell zwischen den beiden Bewerbern um das Amt des Vizepräsidenten. Das wird bestimmt lustig.

Aber wer tritt da noch mal gegen wen an?

Verblasster Glanz gegen beständige Blässe

TV-Duell der US-Vizekandidaten: Landpommeranze gegen altes Eisen

 TV-Debatte: Palin gegen Biden – Duell der Fettnäpfchentreter

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Politik

Auf jeden Sieger zehn Verlierer

Stellen wir uns für einen Moment bitte Folgendes vor: Ich habe Usain Bolt, den schnellsten Mann der Welt, zu einem Wettrennen über 100 Meter herausgefordert. Usain Bolt hat sich vorher beide Beine gebrochen, tritt aber trotzdem an. Durch dieses Handycap läuft Bolt die Strecke in 12,5 Sekunden, ich brauche 29,2 Sekunden und bin damit so langsam wie noch nie. Nach dem Rennen erkläre ich mich zum klaren Sieger, weil Bolt ja normalerweise viel, viel schneller ist und das muss man ja auch berücksichtigen.

Wenn Sie dieser Argumentation folgen können (und nicht schon bei der Vorstellung, ich könnte 100 Meter geradeaus laufen lachend unter Ihrem Schreibtisch verschwunden sind), sind Sie vermutlich in der SPD. Die hat nämlich gerade bei der bayrischen Landtagswahl das schlechteste Ergebnis ever eingefahren, was sie in der Selbstwahrnehmung zum Sieger macht, weil die CSU (die 2,3 Mal so viele Stimmen erhalten hat) immerhin seit 54 Jahren nicht mehr so schwach war.

Die gebrochenen Beine von Usain Bolt heißen Günther Beckstein und Erwin Huber und sie haben die Wahl natürlich nur derart vor die Wand gefahren, um Edmund Stoiber seinen 67. Geburtstag zu verhageln. Dafür haben sie Stoiber (und ich fürchte, Sie werden sich heute noch mit einigen schiefen Bildern rumschlagen müssen) bei Tempo 180 aus dem fahrenden Wagen geworfen, während Horst Seehofer an der Handbremse nestelte und Gabriele Pauli das Verdeck einfahren wollte. Aber für das führerlose und zertrümmerte Gefährt hätten sie immerhin noch die volle Pendlerpauschale beziehen können.

Die in jeder Hinsicht beeindruckende Schlappe für die CSU, die fast ein Drittel ihrer Wählerstimmen eingebüßt hat, wird aber in den Schatten gestellt von einer SPD, die das eigene Debakel elegant ignoriert (wohl Dank der Erfahrung auf dem Gebiet) und allen Ernstes Ansprüche auf die Regierungsbildung anmeldet.

Frank-Walter Steinmeier, den sie in der Partei mittlerweile vermutlich für einen Albino-Barack-Obama halten, der aber bestenfalls ein ganz sicher nicht gefärbter Gerhard-Schröder-Klon ist (was immerhin schon mal bedeutend besser ist als ein unrasierter Gordon-Brown-Klon), dieser Frank-Walter Steinmeier also stellt sich hinter ein Mikrofon und sagt:

Und immerhin: Es ist zum ersten Mal für viele Wählerinnen und Wähler in Bayern vorstellbar und möglich gewesen, nicht mehr CSU zu wählen. Sie sind noch nicht gleich durchgegangen zur SPD, aber es entsteht eine Perspektive.

Na, hurra! Da könnte ich ja auch in lautstarke Verzückung geraten, weil Natalie Portman nicht mehr mit Devandra Banhart zusammen ist — und mich jetzt sicher endlich heiraten wird.

Franz Maget, der aussieht wie Peter Zwegat, aber SPD-Spitzenkandidat in Bayern war, verspricht, den “halben Weg” beim “nächsten Mal” nachzuholen, und die Wähler nicht nur weg von der CDU, sondern auch hin zur SPD zu holen. Das klingt, als steckten die Wähler zwischen Villariba und Villabajo (formerly known as Not und Elend) auf halber Strecke im Schlamm — und nicht, als hätten sie sich gerade irgendwo ganz anders ein gemütliches kleines Zeltlager am warmen Herd von Gabi Pauli errichtet.

Um die Runde vollzumachen, trat auch noch Andrea Ypsilanti, die das Wortpaar “glaubwürdiger Politiker” im Alleingang zum Oxymoron stempeln will, freudestrahlend vor die Kameras und sprach von der zweiten Wahl, die “gründlich schiefgegangen” sei für … die CDU/CSU. Mit der ersten meint sie wohl ihre eigene in Hessen, diesem armen Bundesland, dass seit einem halben Jahr von einem geschäftsführenden Ministerpräsidenten regiert wird, der auch noch Roland Koch heißt.

Denn das ist die eigentliche Sensation der Wahlen in Hessen und Bayern: dass die Union nicht wegen ihrer politischen Gegner so dumm dasteht, sondern wegen ihres eigenen Führungspersonals. Aber selbst dann schafft es die SPD nicht, wenigstens so viele Wähler zu mobilisieren, dass sie selbst die meisten Stimmen bekommt — was nach meinem Demokratieverständnis (Koch hin, Beckstein her) irgendwie dringend notwendig wäre, um wasauchimmer zu regieren.

Aber vermutlich weiß es der Wähler zu schätzen, wenn eine Partei, der er vielleicht auch noch seine Stimme gegeben hat, in erster Linie durch Schadenfreude über die Verluste des politischen Gegners auf sich aufmerksam macht. Eigentlich ist es da doch inkonsequent, nicht gleich noch einen Schritt weiter zu gehen, auf Österreich zu zeigen und “wenigstens hat bei uns keiner das Nazipack gewählt” zu rufen.

Dass auch ein in Bayern erworbenes Abitur nicht zwangsläufig für große Mathematikkenntnisse steht, bewies dann Claudia Roth, die Mutter Beimer der Grünen. Sie sieht “eine deutliche Mehrheit jenseits der CSU”, die sich in den absoluten Zahlen der Sitzverteilung wohl vor allem darin niederschlägt, dass alle anderen Parteien zusammen exakt drei Sitze mehr haben als besagte CSU. Daraus leitet Frau Roth einen “Auftrag” zur Regierungsbildung ab.

Es ist beeindruckend, mit welcher Unbeirrtheit Politiker große Debakel und mittlere Enttäuschungen (die Grünen haben zwar als einzige vorher im Landtag vertretene Partei hinzugewonnen, sind aber nicht mal mehr drittstärkste Fraktion) in Siege und Triumphe umzuwidmen versuchen. Wie ein Wahlergebnis gedeutet werden soll, das eigentlich nur den Schluss zulässt, dass die Wähler die Schnauze voll haben von den beiden großen Volksparteien, die die Bundesrepublik seit drei Jahren in trauter Zwietracht regieren (und dabei noch jedes zweite Gesetz verfassungswidrig gekriegt haben). Und wie die Lähmung, die so ein Land durch uneindeutige Machtverhältnisse erfährt, gefeiert wird.

Man wartet eigentlich nur noch auf den Tag, an dem irgendeine Partei (mutmaßlich eine von Guido Westerwelle geführte) auf die Idee kommt, bei Wahlergebnissen analog zur Einschaltquote im Fernsehen eine “werberelevante Zielgruppe” auszurufen und nur noch das Abstimmverhalten der 14- bis 49-Jährigen berücksichtigen zu wollen.

Dabei sind die deutschen Vertreter noch blass und harmlos gegen das Personal, das im US-Wahlkampf angetreten ist, um das Amt zu erobern, das man nicht umsonst das wichtigste der Welt nennt. Wir haben ja noch nicht mal eine Sarah Palin (obwohl ich glaube, dass Gabriele Pauli für die Rolle notfalls zur Verfügung stünde), von einem John McCain oder Joe Biden ganz zu schweigen.

Andererseits reichen Ronald Pofalla, Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine für den Anfang völlig aus.

[Ausgelöst via twitter]

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Politik

Unvernünftig

Nachdem in der letzten Zeit eine beunruhigende Zahl an Datenschutzvergehen aufgeflogen war, hatte Wolfgang Schäuble gestern zu einem Datenschutzgipfel geladen.

Thomas Knüwer nennt die beschlossene Gesetzesverschärfung, die die Datenweitergabe nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Betroffenen vorsieht, eine “weltfremde PR-Aktion der Politik” und fordert ein komplettes Verbot des Handels mit Personendaten.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren und selbst begeisterter Datensammler, sieht das ein bisschen anders:

Wir sollten auch nicht das amtliche Telefonbuch, wo man gucken kann, wie man einen anrufen kann, schon als eine der ganz großen Gefahren ansehen. Sondern was wir brauchen ist, angesichts neuer technologischer Entwicklungen, angesichts einem ganz anderen, ähm, Möglichkeiten, Potentialen der Datensammlung, -speicherung und -verarbeitung eine vernünftige Begrenzung des Missbrauchs.

[Nachzuhören bei WDR 2]

Natürlich ist ein Telefonbuch (für das ich der Nennung meiner Daten übrigens gleich bei Anschlussanmeldung widersprochen habe) keine “ganz große Gefahr”. Das hat aber erstens (soweit ich weiß) auch niemand behauptet und zweitens klingt diese Umschreibung etwas merkwürdig aus dem Munde eines Mannes, der in allem und jedem eine Gefahr sieht.

Und ob eine Begrenzung des Missbrauchs auch etwas anderes als “vernünftig” sein kann, wüsste ich dann wirklich gerne mal.

Mit Dank an Oliver Ding für den Hinweis.

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Rundfunk Politik

“Outrageous double standards”

Falls Sie eine lustige Fernsehsendung über Politiker oder Medien machen wollen: Sie müssen sich gar keine Frisurenwitze ausdenken oder tausend Mal irgendein albernes Video abspielen. Es reicht völlig, wenn Sie ein gut sortiertes Archiv haben:

Hier klicken, um den Inhalt von www.comedycentral.com anzuzeigen

[Direktlink]

Die Frage ist nur, ob das am Ende eigentlich noch zum Lachen ist.

Und wenn Sie jetzt sagen: “Ja, so sindse halt, die Amis, aber so bekloppte Leute haben wir hier ja nicht”, dann sage ich: “Na ja. So sicher wäre ich mir da nicht …”

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Digital

Klickbefehl (13)

Hierzu führt das Landgericht aus: “‘Gefickt’, d. h. überführt fühlt sich nur ein Täter, nicht aber ein Unschuldiger” (UA S. 52). Auch dieser Satz trifft selbst in der vom Landgericht angenommenen Deutung in dieser Allgemeinheit kaum zu; unzutreffend ist aber schon die zugrunde liegende Auslegung, denn der zitierte Begriff dürfte im vorliegenden Zusammenhang in den betroffenen sozialen Kreisen in der Regel im Sinne von “Hereinlegen”, “Betrügen”, “Aufs-Glatteis-Führen”, nicht aber im Sinne von “Überführen” gebraucht werden.

Dass viele Richter nicht unbedingt eine Zweitkarriere als Linguisten starten könnten, ist schon länger bekannt. Udo Vetter fügt im lawblog einen weiteren Fall hinzu.

* * *

Auch habe Krüger “um eine Zusammenstellung von Theater- und Konzertveranstaltungen und von Einkaufsmöglichkeiten, insbesondere der Schuhgeschäfte” gebeten. Staatsdiener Krüger, der die Gruppe begleitete, verteidigt seine Planung: “Die Leute wollen sich doch vor Ort was ansehen.”

Wie sich deutsche Politiker, als Volksvertreter immerhin unsere (Ihre, meine) Repräsentanten, im Ausland aufführen, steht im aktuellen “Spiegel”.

[via Thomas Koch]

* * *

Neulich habe ich bei Ebay meinen gelben Stern bekommen. (…) Ein gelber Stern!

Franz Josef Wagner muss befürchten, den Titel als Deutschlands wahnsinnigster Journalist zu verlieren. Das, was Matthias Heine da gestern in der “Berliner Morgenpost” geschrieben hat, ist schlicht unfassbarer Unfug. Sowas hätte mal ein Blogger schreiben sollen …

[via Stefan Niggemeier]

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Digital

My City Of Ruins

Die folgenden beiden Meldungen stehen in keinerlei Kontext zueinander (nehme ich an). Sie zeigen nur die Bandbreite der Ereignisse, mit denen sich eine sympathische Kleinstadt am rechten Niederrhein zur Zeit so herumschlagen muss:

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Dinslakener Sozialdezernenten

und

Mitten in Dinslaken: Warum läuft diese Nackte durch die City?

(Sie sorgen allerdings auch dafür, dass ich die Frage, wo ich denn herkomme, voller Stolz mit … äh: “Bochum” beantworten kann.)

Nachtrag, 11. Juli, 01:50 Uhr:

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Leben Politik

I’m With Stupid

Abizeitungs-Verkauf anno 2002

Ich habe ein NRW-Abi. Das alleine ist oft genug Grund für Hohn und Spott, den man sich von Menschen anhören muss, die in ihrer Schule alles, außer Hochdeutsch gelernt haben.

Das Abitur nordrhein-westfälischer Gymnasien hatte einen Ruf, der nur marginal besser ist als der von ukrainischen Steinpilzen in den 1980er Jahren oder der von Franjo Pooth heute. Das lag vor allem an einer desaströsen Schulpolitik, die die SPD über Jahrzehnte betrieben hatte – wobei das irgendwie schon zu aktivisch klingt: die Schulpolitik war eher irgendwie geschehen. Die zur Zeit meines Abitur zuständige Schulministerin Gabriele Behler war so unbeliebt, dass unser Physiklehrer bei Versuchen zur Flugbahn von Dartpfeilen vorschlug, die Zielscheibe mit einem Foto der Ministerin zu bekleben.

Nachdem man in NRW allgemein zu der Einsicht gelangt war, dass die rot-grüne Landesregierung ein kaum reparierbares und vor allem nicht zu überbietendes Desaster angerichtet hatte, entschied man sich im Mai 2005 dazu, einer neuen, schwarz-gelben Landesregierung die Gelegenheit zu geben, das Desaster eben doch noch zu überbieten. War Gerhard Schröder 1998 mit der Ansage ins Kanzleramt eingezogen, er werde nicht alles anders machen, aber vieles besser, hieß es bei CDU und FDP plötzlich: alles anders, aber nichts besser.

Da Bundesländer mit Zentralabitur bei Tests bedeutend besser abgeschnitten hatten, brauchte NRW plötzlich auch eines – und zwar sofort und ohne weiter groß darüber nachzudenken. Das erste Zentralabitur im Jahr 2007 litt unter fehlerhaften Aufgabenstellungen und anderen “Kinderkrankheiten”, wie es gerne bei schlecht angelaufenen Neuheiten heißt. Aber 2008, da sollte alles besser werden (und vermutlich manches anders).

Es ist, Sie entnehmen es meiner umständlichen Anmoderation, alles noch viel, viel schlimmer gekommen. “Spiegel Online” hat die gröbsten Schnitzer in den Fragestellungen zusammengestellt und berichtet von einer Schule, wo von 84 Abiturienten 74 in die Nachprüfung müssen. Da ist man wirklich froh, wenn man sein Doofen-Abi schon hat.

Eine Schülerin aus einem Englisch-LK wird mit den folgenden Worten zitiert:

“Meine Lehrerin meinte, das liege nur daran, dass sie die Antworten vom Ministerium als Vorlage nehmen muss”, sagt Desiree, “sonst hätte ich 13 Punkte von ihr bekommen – weil ich einen richtigen, aber anderen Gedankengang hatte als das Ministerium.”

Und während die Landesschülervertretung wenigstens eine Entschuldigung von Schulministerin Barbara Sommer fordert, kündigt die weitere Reformen an, mit denen sie die Eigenverantwortung der Schulen stärken will. Dass ich Eigenverantwortung und Zentralabitur für irgendwie widersprüchliche Konzepte halte, liegt vermutlich an meinem NRW-Abitur.

Kommen wir zum Schluss noch zu meiner Lieblingspassage aus dem SpOn-Artikel, vor deren Lektüre ich Sie allerdings bitten muss, kurz zu überprüfen, ob die Tischplatte, in die Sie gleich beißen werden, auch ihre eigene ist:

Bei einer Pädagogik-Aufgabe zu Sigmund Freud hatten die Autoren aus “Gefühlen, die uns bewusst sind”, ein “unbewusst” gemacht und so den Sinn ins Gegenteil verkehrt. Barbara Sommer: “Rückmeldungen haben ergeben, dass viele Schüler auch schon vor der Korrekturmitteilung das ‘un’ überlesen haben und den Satz richtig verstanden hatten.”