Kategorien
Print

Kaminzimmerhumor

Irgend­wann muss den Redak­teu­ren der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ auf­ge­fal­len sein, dass ihr „Streit­ge­spräch“ zwi­schen Bun­des­wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin Annet­te Scha­van und dem Stu­den­ten­ver­tre­ter Tho­mas War­nau vor All­ge­mein­plät­zen nur so strotz­te, kei­ner Debat­te – schon gar nicht der aktu­el­len um Stu­di­en­re­for­men – irgend­et­was Neu­es hin­zu­zu­fü­gen hat­te und ins­ge­samt so ein­schlä­fernd war, dass man es auch gegen Schlaf­stö­run­gen hät­te ver­schrei­ben kön­nen.

Und genau in die­sem Moment wer­den sie sich gedacht haben: „Ver­su­chen wir halt, alles mit der Bild­un­ter­schrift wie­der raus­zu­rei­ßen“, und haben mir damit den Sonn­tag ver­süßt.

Seite 5 der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vom 29. November 2009

Die Minis­te­rin und der Stu­dent dis­ku­tie­ren über die Stu­di­en­re­form vor der 35 000 Bän­de umfas­sen­den Marx-Engels-Gesamt­aus­ga­be in gerech­ter Spra­che im Kamin­zim­mer unse­rer Ber­li­ner Redak­ti­on.

Kategorien
Literatur Digital

Restefiktion

Ursprüng­lich hat­te ich geplant, eine Geschich­te zu erzäh­len. Sie hät­te von einem Jung­jour­na­lis­ten gehan­delt, der einen fik­tio­na­len Text über einen real exis­tie­ren­den CDU-Poli­ti­ker geschrie­ben hät­te, der sich in eine real exis­tie­ren­de Lin­ken-Poli­ti­ke­rin ver­liebt. Es wäre ein okay­er Text gewe­sen, nicht über­ra­gend, aber auch nicht schlecht. Der Jung­jour­na­list hät­te expli­zit dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich um einen fik­tio­na­len Text gehan­delt hät­te. Trotz­dem hät­ten Rechts­an­wäl­te auf die­sen Text reagiert – aber nicht die der real exis­tie­ren­den Lin­ken-Poli­ti­ke­rin, die im Lau­fe der fik­tio­na­len Geschich­te immer­hin mit einem namen­lo­sen (mög­li­cher­wei­se real exis­tie­ren­den, mög­li­cher­wei­se aber auch fik­tio­na­len) ande­ren CDU-Poli­ti­ker im Bett lan­det, son­dern die des real exis­tie­ren­den CDU-Poli­ti­kers.

Ich habe die Idee, eine sol­che Geschich­te zu erzäh­len, dann aber doch wie­der ver­wor­fen.

Kategorien
Digital Politik

Volles Vertrauen, hier in Deutschland

In der letz­ten Zeit habe ich mit meh­re­ren Radio­leu­ten gespro­chen, die sich beklag­ten, dass vie­le Bands heut­zu­ta­ge kein Inter­view­trai­ning mehr von den Plat­ten­fir­men bekä­men und des­halb im Gespräch oft etwas kon­fus rüber­kä­men und kei­ne guten O‑Töne lie­fer­ten.

Nun könn­te man ein­wen­den, Musi­ker müss­ten ja nicht pri­mär gescheit daher reden, son­dern vor allem schö­ne Musik machen. Anders ver­hält es sich da schon bei Poli­ti­kern: Noch bevor die neue Bun­des­re­gie­rung im Amt ist, haben eini­ge Kabi­netts­mit­glie­der schon durch außer­ge­wöhn­li­che Pres­se­kon­fe­ren­zen von sich reden gemacht.

Der desi­gnier­te Außen­mi­nis­ter Gui­do Wes­ter­wel­le wei­ger­te sich, eine eng­lisch­spra­chi­ge Fra­ge eines BBC-Repor­ters anzu­hö­ren und belehr­te die­sen, dass er sich in Deutsch­land befin­de. Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel kan­zel­te einen nie­der­län­di­schen Repor­ter ab, der Zwei­fel an der Kom­pe­tenz Wolf­gang Schäubles als Finanz­mi­nis­ter wegen des­sen Ver­stri­ckung in die CDU-Par­tei­spen­den­af­fä­re äußer­te.

Bei­de Ant­wor­ten hät­ten sich vor weni­gen Jah­ren noch ver­sen­det – heut­zu­ta­ge wur­den sie inner­halb weni­ger Stun­den ein paar Tau­send Mal auf You­Tube ange­schaut und via Inter­net wei­ter­ver­brei­tet. Für vie­le User scheint sich zu bestä­ti­gen, was die Illus­trier­te „Der Spie­gel“ heu­te aus der Kris­tall­ku­gel berich­tet: Schwarz/​Gelb wird ein Desas­ter.

Ich habe Fritz Goer­gen, der frü­her Stra­te­gie­be­ra­ter füh­ren­der FDP-Poli­ti­ker war und heu­te als frei­er Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­ter arbei­tet, nach sei­ner Ein­schät­zung des The­mas gefragt und er war so freund­lich, einen klei­nen Gast­bei­trag zu ver­fas­sen:

Poli­tik? Bit­te inter­net­ter.

Kategorien
Digital Politik

Eine schrecklich nette Familie

Es ist eine erstaun­li­che Nach­richt, die „Spie­gel Online“ da fast bei­läu­fig zwi­schen den Zei­len raus­haut: Ange­la Mer­kel und José Manu­el Bar­ro­so sind ver­wandt.

Glau­ben Sie nicht?

Aber hal­lo:

Barrosos Wiederwahl: Senhor Mutlos ist am Ziel

Bundestagswahl-Blog: Countdown für Madame Mutlos

Mit Dank an Mut­lu.

Kategorien
Rundfunk Politik Fernsehen

… und wir sind nur die Kandidaten

Mon­tag­nach­mit­tag im Köl­ner E‑Werk: Außer Rent­nern, Stu­den­ten und Arbeits­lo­sen hat um die­se Zeit eigent­lich nie­mand Zeit. Trotz­dem haben WDR und NDR es hin­be­kom­men, 179 Bun­des­bür­ger anzu­kar­ren, die angeb­lich reprä­sen­ta­tiv für 82 Mil­lio­nen sind: alt und jung, aus Nord und Süd, Mann und Frau – die gan­ze Palet­te halt. Sie sol­len SPD-Kanz­ler­kan­di­dat Frank-Wal­ter Stein­mei­er in einer die­ser Town­hall-Mee­ting-Simu­la­tio­nen, die der neu­es­te Schrei im deut­schen Polit-TV sind, auf den Zahn füh­len. Bizar­rer­wei­se bin ich einer die­ser 179.

Nach dem nur ver­hal­te­nen Warm-Up durch einen Kol­le­gen (es ist halt eine öffent­lich-recht­li­che Poli­tik­sen­dung, kei­ne Pri­vat­fern­seh-Come­dy) begrü­ßen die Mode­ra­to­ren Jörg Schö­nen­born und Andre­as Cicho­wicz erst uns und dann den Mann, der Kanz­ler wer­den will. Stein­mei­er begrüßt die Zuschau­er, die um ihn her­um sit­zen, rou­ti­niert und man ist froh, dass er nicht gleich mit dem Hän­de­schüt­teln anfängt. Er hät­te ja gar nicht kom­men brau­chen, sagt er, so toll habe ihn „der Jonas“, ein jun­ger Zuschau­er mit blon­dier­ten Haa­ren, der im Warm-Up sei­nen Platz ein­ge­nom­men hat­te, ja ver­tre­ten. Sol­che Aus­sa­gen sor­gen für Stim­mung, aber dann erin­nert Schö­nen­born, der trotz sei­ner sons­ti­gen Kern­auf­ga­be, Zah­len von einem Moni­tor abzu­le­sen, mensch­li­cher wirkt als der leben­de Akten­de­ckel Stein­mei­er, dar­an, dass wir ja nicht zum Ver­gnü­gen hier sei­en, und es geht los.

Die ers­te Fra­ge wird gestellt und die ers­te Ant­wort gege­ben. Im Vor­feld hat­ten sich die WDR-Redak­teu­re tele­fo­nisch erkun­digt, was man even­tu­ell fra­gen wol­le, aber im Stu­dio lässt sich (außer bei ein paar aus­ge­wähl­ten Gäs­ten) nicht zuord­nen, wer wel­che Fra­ge stel­len wür­de – eine wie auch immer gear­te­te Kon­trol­le scheint aus­ge­schlos­sen. Ein Mann wird vor­ge­stellt, der 33 Jah­re bei Her­tie gear­bei­tet hat und „mit nichts mehr als einem feuch­ten Hän­de­druck“ (er muss sehr feucht gewe­sen sein, denn er fin­det zwei Mal Erwäh­nung) ver­ab­schie­det wur­de. Hof­fent­lich war es nicht auch noch der sel­be Her­tie-Mit­ar­bei­ter wie vor drei Wochen bei RTL. Stein­mei­er sagt von Anfang an oft „ich“ und „wir“, ohne dass klar wird, wel­che geheim­nis­vol­le Trup­pe er damit meint. Die magi­schen Buch­sta­ben „SPD“ nimmt er nach 67 Minu­ten zum ers­ten Mal in den Mund, „CDU“ folgt kurz dar­auf. Er redet viel und sagt wenig. Sagt ein Zuschau­er, woher er kommt, kom­men von Stein­mei­er stets die glei­chen back­chan­nels: „Rhe­da-Wie­den­brück, ah!“, „Gre­ven­broich, ah!“, „Bochum, ah!“. Ein Mann, der bei Con­ti­nen­tal arbei­tet, wird fast zu Stein­mei­ers Joe the plum­ber: Zwar kann er sich den Namen des Man­nes nicht mer­ken, aber auf den „Arbei­ter bei Con­ti“ kommt der Kanz­ler­kan­di­dat an jeder pas­sen­den und unpas­sen­den Stel­le gern noch mal zurück.

Kon­kre­te Fra­gen beant­wor­tet Stein­mei­er mit dem Hin­weis, „sofort“ auf den Kern zurück­zu­kom­men, nur um dann so weit aus­zu­ho­len, dass er an einer belie­bi­gen Stel­le abbie­gen und über irgend­was reden kann. Als Fra­ge­stel­ler ist man zu betäubt, um das sofort zu mer­ken, und die Mode­ra­to­ren wis­sen natür­lich sowie­so am Bes­ten, dass sie hier kei­ne kon­kre­ten Ant­wor­ten erwar­ten kön­nen.

Eine älte­re Dame, die zuvor bereits wüst in die Kame­ra gewun­ken hat­te, um dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass sie eine Fra­ge stel­len will, hat ein paar kopier­te Zet­tel dabei und fragt Stein­mei­er, ob er schon Gele­gen­heit gehabt habe, den aktu­el­len „Spie­gel“ zu lesen. Stein­mei­er wird aber gera­de frisch über­pu­dert und kann des­halb nicht ant­wor­ten, wes­we­gen Schö­nen­born bit­tet, eine kon­kre­te Fra­ge zu for­mu­lie­ren. Es geht um die Besteue­rung von Sonn­tags­ar­beit und Stein­mei­er ant­wor­tet, man dür­fe auch nicht alles glau­ben, was in der Zei­tung ste­he. Obwohl es natür­lich stimmt, kommt das ein biss­chen mecke­rig rüber und die Dame ent­geg­net, es habe ja nicht in „Bild“ gestan­den, son­dern im „Spie­gel“ und dem müs­se man ja trau­en. Ich hof­fe, dass die Raum­mi­kros zu schwach ein­ge­stellt waren, als dass man mein gluck­sen­des Geläch­ter auch noch zuhau­se hören könn­te.

Weil ich ein „jun­ger Mann im karier­ten Hemd“ bin, darf ich auch eine Fra­ge stel­len, aber ich mer­ke schon, als das Fra­ge­zei­chen durch den Raum schwebt, dass das kei­ne gute Idee war. Ich will wis­sen, ob Stein­mei­er manch­mal von Murat Kur­naz träu­me, aber der Kanz­ler­kan­di­dat ant­wor­tet mit dem Ver­weis auf irgend­wel­che Doku­men­ta­tio­nen über sich und dar­auf, dass ein Unter­su­chungs­aus­schuss sei­ne (Stein­mei­ers) Unschuld bewie­sen habe. Man müs­se jetzt auch mal mit die­sen Anschul­di­gun­gen auf­hö­ren, sagt er, wäh­rend wir irgend­wie haar­scharf anein­an­der vor­bei gucken, und ich das Gefühl habe, unter den Bli­cken der ande­ren Zuschau­er und der Hit­ze der Schein­wer­fer lang­sam zu zer­flie­ßen.

Mit Poli­ti­kern zu spre­chen ist eine der unbe­frie­di­gends­ten Beschäf­ti­gun­gen über­haupt, weil einem immer erst hin­ter­her klar wird, dass das gar kein Gespräch war, son­dern eine Phra­sen-Rou­ti­ne, die man schon im Infor­ma­tik­un­ter­richt der sieb­ten Klas­se schrei­ben kann. (Es kann kein Zufall sein, dass Dou­glas Adams einst an einem Com­pu­ter­pro­gramm namens „Rea­gan“ arbei­te­te, das Fern­seh­de­bat­ten anstel­le des US-Prä­si­den­ten hät­te füh­ren kön­nen.) Es macht fast mehr Spaß, im Herbst Laub zusam­men­zu­keh­ren und die Wie­se kurz nach dem Weg­pa­cken des Rechens schon wie­der mit Blät­tern über­sät zu sehen.

Das The­ma Außen­po­li­tik kommt in der Befra­gung des Außen­mi­nis­ters nicht vor. Fra­gen nach afgha­ni­schen Tank­las­tern („Wie vie­le davon wer­den wir noch in die Luft spren­gen müs­sen, bis es in dem Land kei­ne Tali­ban und kei­ne Zivi­lis­ten mehr gibt und wir nach hau­se gehen kön­nen?“) ver­bie­ten sich wegen der Vor­lauf­zeit von fast 30 Stun­den: Wer weiß, wie die Nach­rich­ten­la­ge bei Aus­strah­lung aus­sieht? Afgha­ni­stan kommt trotz­dem vor, wenn auch anders als gedacht: Die Mut­ter eines Sol­da­ten fragt nicht etwa, wann ihr Jun­ge dau­er­haft zuhau­se und in Sicher­heit blei­ben darf, son­dern erkun­digt sich nach bes­se­rer tech­ni­scher Aus­stat­tung für die Trup­pen. Dass sich die Sen­dung so ame­ri­ka­nisch anfüh­len wür­de, war sicher nicht geplant.

Zur Auf­lo­cke­rung wer­den Stein­mei­er zwi­schen­durch zwei „Wer wird Millionär?“-mäßige Quiz­fra­gen gestellt. Es fällt schwer zu glau­ben, dass eine mut­maß­lich gut bezahl­te Redak­ti­on in mona­te­lan­ger Vor­be­rei­tung nicht über „Was wer­den Sie nach dem Ende der gro­ßen Koali­ti­on am meis­ten ver­mis­sen? A: Ange­la Mer­kel, B: Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, C: Ursu­la von der Ley­en, D: mei­nen Dienst­wa­gen“ hin­aus­ge­kom­men ist. Immer­hin gibt es Stein­mei­er die Gele­gen­heit zum ein­zi­gen Mal in 75 Minu­ten mit Witz und Schlag­fer­tig­keit zu glän­zen, als er ant­wor­tet: „ ‚D‘ schei­det ja aus, denn wenn die gro­ße Koali­ti­on endet, sit­ze ich ja im Kanz­ler­amt.“

Als Schö­nen­born eine län­ge­re, kom­pli­zier­te Zwi­schen­mo­de­ra­ti­on, in der es auch irgend­wie um die FDP geht, augen­schein­lich völ­lig frei (also jeden­falls ohne Tele­promp­ter und ohne noch mal auf sei­ne Kar­ten zu gucken) in die Kame­ra spricht, wer­de ich zu sei­nem glü­hen­den Ver­eh­rer. Cicho­wicz dage­gen gerät bei sei­nen kur­zen Text­pas­sa­gen häu­fi­ger ins Schwim­men, hat dafür aber das Zwi­schen-Zuschau­ern-Hocken in der Tra­di­ti­on von Jür­gen Flie­ge und Gün­ther Jauch im Reper­toire. Zwi­schen­durch stür­zen immer wie­der stu­den­ti­sche Mikro­fon-hin­hal­te-Kräf­te die Trep­pen hin­un­ter, was man am Bild­schirm ver­mut­lich nur als gro­tesk anmu­ten­de Satz­pau­sen wahr­nimmt.

Kurz vor Schluss darf noch eine Mut­ter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund eine Fra­ge stel­len und weil sie in Stein­mei­ers Rücken sitzt, gerät die­se Gesprächs­si­mu­la­ti­on voll­ends zum Desas­ter: Stein­mei­er dreht ihr halb die Schul­ter zu und redet lie­ber zu Schö­nen­born und Kame­ra 1 und berich­tet dann – Ein­zel­schick­sa­le her­vor­he­ben! – von einer jun­gen Tür­kin, die er kürz­lich in Mainz ken­nen­ge­lernt habe und die jetzt ihren Haupt­schul­ab­schluss nach­ma­che. Dass vor hin­ter ihm das viel­leicht span­nen­de­re Ein­zel­schick­sal sitzt, ist egal: Die Frau aus Mainz passt bes­ser in die Rou­ti­ne.

Die ers­ten Zuschau­er erhe­ben sich schon wäh­rend des Abspanns.

Wahl­are­na: Zuschau­er fra­gen Frank-Wal­ter Stein­mei­er
Diens­tag, 8. Sep­tem­ber 2009
21:05 Uhr im Ers­ten

Nach­trag, 9. Sep­tem­ber: Bis zum kom­men­den Sams­tag kann man sich die Sen­dung jetzt auch in der ARD-Media­thek anse­hen.

Kategorien
Politik

Madame 0,1 Prozent

Deutsch­land hat – Sie wer­den das mit­be­kom­men haben – seit ein paar Tagen end­lich eine Kanz­ler­kan­di­da­tin. Hel­ga Zepp-LaRou­che, bis zum Auf­stieg von Gabrie­le Pau­li Gesamt­füh­ren­de in der Kate­go­rie „Frau­en mit den meis­ten Par­tei­mit­glied­schaf­ten“, hat in der ver­gan­ge­nen Woche ihre Kan­di­da­tur für die „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ (BüSo) bekannt­ge­ge­ben.

Die­se Nach­richt ist viel­leicht psy­cho­lo­gisch span­nen­der als poli­tisch: Was mag in einem Men­schen vor­ge­hen, des­sen Par­tei bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl 0,1% erreich­te (und die bei der Euro­pa­wahl im Mai die zweit­nied­rigs­te Stim­men­zahl von allen 32 Par­tei­en bekom­men hat), und der es dar­auf­hin für eine gute Idee hält zu sagen: „Hey, da nenn‘ ich mich mal nicht Spit­zen­kan­di­da­tin, son­dern Kanz­ler­kan­di­da­tin“? Zumal ihre ers­te Kanz­ler­kan­di­da­tur (damals noch für die „Euro­päi­sche Arbei­ter­par­tei“) nun auch schon wie­der 33 Jah­re zurück­liegt und damals über­ra­schen­der­wei­se nicht so erfolg­reich wie erhofft ver­lief. (Für die Jün­ge­ren: Bun­des­kanz­ler blieb damals ein Mann namens Hel­mut Schmidt.)

Frau Zepp-LaRou­che erklärt in 67.595 Zei­chen, war­um sie als Kanz­ler­kan­di­da­tin kan­di­die­re (zum Ver­gleich: das ist mehr als der acht­fa­che Umfang der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung der USA), und lässt doch die ent­schei­den­de Fra­ge unbe­ant­wor­tet:

Des öfte­ren wer­de ich gefragt, wie­so es kommt, daß ich mich seit nun­mehr 37 Jah­ren für eine neue gerech­te Welt­wirt­schafts­ord­nung und ein neu­es Bret­ton-Woods-Sys­tem ein­set­ze, obwohl Wahl­er­fol­ge in der Ver­gan­gen­heit aus­ge­blie­ben sei­en.

Der Fair­ness hal­ber muss man sagen, dass Zepp-LaRou­che, ihr Mann, der „mehr­fa­che Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat“ Lyn­don LaRou­che und die „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ schon län­ger vor dem Zusam­men­bruch der Welt­wirt­schaft gewarnt hat­ten – genau genom­men so lan­ge, dass man nicht genau sagen kann, ob es nun eine prä­zi­se oder nicht eher eine zufäl­li­ger­wei­se zutref­fen­de Vor­her­sa­ge war. Und selbst vor die­sem Hin­ter­grund bleibt es frag­lich, ob man sei­ne Stim­me des­halb gleich einer umstrit­te­nen „Polit-Sek­te“ („Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung“, 26. Sep­tem­ber 1994) geben muss.

Viel sagt Hel­ga Zepp-LaRou­che in ihrem Wahl­pro­gramm übri­gens nicht. Es lie­ße sich mit „Alles doof, so wie es ist“ ganz gut zusam­men­fas­sen.

Des­halb müs­sen wir auch zurück ins Zeit­al­ter der gro­ßen „Dich­ter und Den­ker“:

Woher soll die Ver­än­de­rung kom­men, wenn die Poli­ti­ker unter­tä­nig, die Mana­ger kor­rupt, die „Künst­ler“ der Gegen­warts­kul­tur vol­ler Dro­gen und die Mas­sen ver­wil­dert sind?

Es fol­gen läng­li­che Aus­füh­run­gen, denen man anmer­ken kann, mit wel­cher … äh: Krea­ti­vi­tät die Autorin das Wort „ent­ar­tet“ zu Umschif­fen ver­such­te:

Was heu­te meist unter Krea­ti­vi­tät ver­stan­den wird, gleicht eher im bes­ten Fal­le jenen zufäl­lig vom Künst­ler an die Wand gewor­fe­nen Ara­bes­ken, von denen Kant irr­tüm­li­cher­wei­se mein­te, sie hät­ten einen höhe­ren künst­le­ri­schen Wert als das Werk, in dem man die Absicht des Autors erken­nen kön­ne.

(Es gehört natür­lich eine gewis­se Non­cha­lance dazu, Kant mal so eben in einem Neben­satz abzu­bü­geln. Man hat ja wich­ti­ge­res zu tun, als sich mit so einem ange­staub­ten Den­ker rum­zu­schla­gen.)

Und dann gewährt uns Hel­ga Zepp-LaRou­che noch einen tie­fe­ren Ein­blick in ihr Kunst­ver­ständ­nis:

Als Bun­des­kanz­le­rin wäre die klas­si­sche Kul­tur nicht der rei­chen Ober­schicht vor­be­hal­ten, die sich die Ein­tritts­kar­ten bei den Fes­ti­vals leis­ten kann, sie wür­de allen Bür­gern zugäng­lich gemacht. […] Die öffent­li­chen Medi­en wür­den beauf­tragt, der Bevöl­ke­rung klas­si­sche Kunst zu prä­sen­tie­ren, die nicht vom Regie-Thea­ter und ähn­li­chen Bear­bei­tun­gen rui­niert wäre, selbst wenn man dafür zwi­schen­zeit­lich auf his­to­ri­sche Auf­füh­run­gen zurück­grei­fen müß­te.

Da wer­den sich die „öffent­li­chen Medi­en“ aber freu­en, wenn die Bun­des­kanz­le­rin ihnen vor­schreibt, was sie zu sen­den haben. Und die Bür­ger erst: Sie wer­den nicht mehr kla­mot­ti­ge Dau­er­wer­be­sen­dun­gen schau­en, son­dern Video­auf­zeich­nun­gen von Insze­nie­run­gen August Kot­ze­bues im Wei­ma­rer Natio­nal­thea­ter.

Und über all das dür­fen sie auch noch selbst ent­schei­den. Die 0,1% ste­hen.

Kategorien
Politik

Die Welt in drei Wörtern erklären

Am 30. August sind Kom­mu­nal­wah­len in NRW. Offen­bar seit die­sem Wochen­en­de dür­fen des­halb die Innen­städ­te mit unin­spi­rier­ten, ver­stö­ren­den, plum­pen, pein­li­chen oder ein­fach nur ega­len Pla­ka­ten zuge­stellt wer­den.

Ein Trend zeich­net sich jetzt schon ab: Vie­le Kan­di­da­ten ver­su­chen in einem Drei­klang auf sich auf­merk­sam zu machen. Dass man da schnell durch­ein­an­der gerät, liegt in der Natur der Sache.

Die fol­gen­de Lis­te von Bür­ger­meis­ter­kan­di­da­ten aus ganz Deutsch­land ist sicher unvoll­stän­dig:

Mut­maß­lich noch ein biss­chen kom­pe­ten­ter, sozia­ler und … äh: daer sind dann wohl die­se bei­den Her­ren:

  • Unab­hän­gig. Kom­pe­tent. Bür­ger­nah. Ver­läss­lich. (Oli­ver Wild, Ehrings­hau­sen, par­tei­los)
  • Sau­ber­keit. Sicher­heit. Recht. Ord­nung. (Hein­rich Müh­mert, Dins­la­ken, Offen­si­ve Dins­la­ken)
Kategorien
Digital Politik Gesellschaft

Mein anderes Protest-Problem

Ich habe kurz über­legt, ob ich all das, was ich ges­tern zum The­ma Bil­dungs­streik, Demons­tra­tio­nen und Beset­zungs­ak­tio­nen auf­ge­schrie­ben habe, heu­te noch mal zu den Pro­gramm­punk­ten „Zen­sur­su­la“, „Unwähl­bar­keit“ und „Mit Euch reden wir jetzt gar nicht mehr“ auf­schrei­ben soll.

Aber ers­tens fin­de ich lang­sam auch, dass ich mich stän­dig selbst wie­der­ho­le, und zwei­tens sagt ein Bild Screen­shot ja immer noch mehr als tau­send Wor­te:

Zensiert zurück! Das WordPress-Plugin, um Parteien und Fraktionen auszusperren.

Die Logik dahin­ter ist beein­dru­ckend: „Ihr habt unse­re Argu­men­te nicht hören wol­len, wes­we­gen wir sie jetzt vor Euch ver­ste­cken – gut, wir kön­nen nicht über­prü­fen, ob das über­haupt klappt, aber wenigs­tens haben wir Euch noch eine puber­tä­re Trotz­re­ak­ti­on mit auf den Weg gege­ben.“

Und bevor das jetzt wie­der all­ge­mein die­ser „Inter­net-Com­mu­ni­ty“ in die Schu­he gescho­ben wird: Ich füh­le mich von sol­chen Aktio­nen ziem­lich exakt so gut reprä­sen­tiert wie von einem durch­schnitt­li­chen Abge­ord­ne­ten von CDU/​CSU und SPD. Näm­lich gar nicht.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Mein Protest-Problem

Um das Ver­hält­nis der Ruhr-Uni Bochum zu Stu­den­ten­pro­tes­ten zu ver­ste­hen, muss man wis­sen, dass es in Bochum eher die Aus­nah­me ist, wenn gera­de mal nicht irgend­wo wofür oder woge­gen demons­triert wird. Als vor drei Jah­ren das damals leer­ste­hen­de Quer­fo­rum West (erst Über­gangs­men­sa für die Zeit des Mens­aum­baus, heu­te Tuto­ri­en­zen­trum und für die­se Funk­ti­on denk­bar unge­eig­net) besetzt wur­de, belau­er­ten sich Uni-Ver­wal­tung und Beset­zer etwa acht Mona­te lang, bis das Gebäu­de dann doch von der Poli­zei geräumt wur­de.

Stu­den­ten­ver­tre­tung und Pro­test­ko­mi­tee – ein Wort, bei dem ich im Geis­te immer „Köl­ner Kar­ne­val“ ergän­zen will – schaf­fen es grund­sätz­lich nicht, der rie­si­gen Mehr­heit der Stu­den­ten­schaft ihre Anlie­gen zu erklä­ren. Auf den spär­lich besuch­ten Voll­ver­samm­lun­gen sprin­gen die Red­ner oft bin­nen weni­ger Sät­ze von der Kri­tik am Bil­dungs­sys­tem zur Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus und dem Krieg in Afgha­ni­stan. Wäh­rend an ande­ren Unis die Pro­fes­so­ren und Dozen­ten ihre Stu­den­ten zur Teil­nah­me am Bil­dungs­streik ermu­ti­gen, haben in Bochum selbst die enga­gier­tes­ten Pro­fes­so­ren kei­ne Lust mehr, sich mit Pro­tes­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen, und fra­gen, ob es nicht geeig­ne­te­re Metho­den gäbe, die durch­aus berech­tig­te Kri­tik an der desas­trö­sen Bil­dungs­po­li­tik der schwarz-gel­ben Lan­des­re­gie­rung zu arti­ku­lie­ren.

Heu­te Mor­gen dann wur­de die Uni-Brü­cke bela­gert. Die Pro­test­ler fleh­ten die her­an­strö­men­den Stu­den­ten fast schon an, sich doch ihre Argu­men­te und Zie­le anzu­hö­ren. Aber irgend­wie war die Idee, die Leu­te über und unter Absper­run­gen klet­tern zu las­sen, nicht geeig­net, die gewünscht Bot­schaft zu ver­mit­teln. Die Stu­den­ten waren genervt und mach­ten Wit­ze. Vor dem Zelt des Pro­tes­ko­mi­tees saßen Men­schen, für deren Beset­zung als Stu­den­ten­ver­tre­ter in einem Fern­seh­film man den zustän­di­gen Cas­ting­di­rek­tor wegen Kli­scheelas­tig­keit ent­las­sen hät­te. Und als schließ­lich etwa acht­zig Pro­test­ler die Hör­sä­le stürm­ten und „Soli­da­ri­sie­ren, Mit­mar­schie­ren!“ skan­dier­ten, wuss­te ich plötz­lich wie­der ganz genau, war­um mir das alles nicht gefällt: Ich mag ein­fach kein Gebrüll und kein Mar­schie­ren.

Vor drei Jah­ren war ich für CT das radio bei einer Demons­tra­ti­on gegen Stu­di­en­ge­büh­ren in Düs­sel­dorf und die­ser Tag hat mein Ver­hält­nis zu Pro­test­ak­tio­nen nach­hal­tig gestört: Wäh­rend am Stra­ßen­rand Pas­san­ten stan­den und sich ange­sichts der doch recht all­ge­mein gehal­te­nen Trans­pa­ren­te und Sprech­chö­re frag­ten, wor­um es eigent­lich gin­ge, kam ein Teil der Men­ge auf die Idee, zur Melo­die von „Einer geht noch, einer geht noch rein“ immer wie­der „Ohne Bil­dung wer’n wir Poli­zist“ zu grö­len, was ich auch rück­bli­ckend noch als empö­rens­wer­ten Aus­bruch von Arro­ganz und Men­schen­ver­ach­tung emp­fin­de.

Kaum waren die Absper­run­gen ent­lang der Bann­mei­le um den Land­tag erreicht, hielt es ein Teil der Demons­tran­ten offen­bar für gebo­ten, die­se als ers­tes zu Über­sprin­gen, was die Poli­zei zum Her­an­stür­men ver­an­lass­te. Ich floh der­weil mit einem Redak­ti­ons­nach­weis in der einen und mei­nem Jugend­pres­se­aus­weis in der ande­ren Hand hin­ter die Poli­zei­li­ni­en und tele­fo­nier­te auf­ge­regt in die Live­sen­dung, wäh­rend ein paar Meter wei­ter Chi­na­böl­ler in Rich­tung von Kin­dern und alten Frau­en flo­gen, die sich bizar­rer­wei­se im Park um den Land­tag auf­hiel­ten.

Demons­tran­ten schrien ande­re Demons­tran­ten an, sie soll­ten doch mit dem Scheiß auf­hö­ren. Poli­zis­ten bell­ten in ihre Funk­ge­rä­te, was für Idio­ten denn wohl ver­an­lasst hät­ten, die Men­ge auch noch mit Video­ka­me­ras zu fil­men – auf sol­che Pro­vo­ka­tio­nen kön­ne man ja wohl ver­zich­ten. Eine ande­re Hun­dert­schaft mach­te gera­de Mit­tags­pau­se in der Son­ne. Ich dach­te – und den­ke es gera­de ange­sichts der Mel­dun­gen aus Tehe­ran wie­der -, dass es viel­leicht im Gro­ßen und Gan­zen doch nicht so übel ist, in Deutsch­land zu leben.

Wenn heu­ti­ge Stu­den­ten jetzt von ’68 träu­men, legen sie damit immer­hin die für erfolg­rei­che Revo­lu­tio­nen benö­tig­te Welt­frem­de an den Tag. Zwar neigt Geschich­te dazu, in Abstän­den von etwa vier­zig Jah­ren ver­gleich­ba­re gesell­schaft­li­che Span­nun­gen zu durch­lau­fen, aber die Welt ist 2009 doch in fast jeder Hin­sicht eine ande­re als 1968. Oder: Zumin­dest Deutsch­land ist ein ande­res.

Auch wenn ich per­sön­lich mit mei­nem Stu­di­um ziem­lich zufrie­den bin, weiß ich von genug Leu­ten, bei denen die Bache­lor/­Mas­ter-Stu­di­en­gän­ge zu Desas­tern geführt haben. Ich glau­be in der Tat, dass bil­dungs­po­li­tisch eini­ges, wenn nicht alles, im Argen liegt. Aber mich über­zeu­gen die­se For­men des Pro­tests (zumin­dest die, dich ich bis­her mit­be­kom­men habe) nicht – ich hal­te sie viel eher für kon­tra­pro­duk­tiv. Dass Demons­tra­ti­ons­zü­ge ohne den nöti­gen Rück­halt in der Bevöl­ke­rung allen­falls Mit­leid erzeu­gen, kann man jeden Mon­tag­abend in der Bochu­mer Innen­stadt besich­ti­gen.

Fra­gen Sie mich nicht, wie ich das machen wür­de. Ich leis­te mir nach wie vor die Nai­vi­tät, an die Macht des Dia­logs zu glau­ben und an den Sieg der Ver­nunft. Auch hun­der­te Lan­des- und Bun­des­re­gie­run­gen wer­den mich nicht davon abbrin­gen kön­nen – und mit die­ser Welt­frem­de bin ich doch irgend­wie wie­der ganz bei den Pro­test­lern.

Musik!

Kategorien
Politik

Politiker sind auch nur Menschen

Es könn­te doch noch was wer­den mit mei­ner Kar­rie­re als öffent­lich-recht­li­cher Polit­tal­ker. Die­se Erkennt­nis traf mich, als ich es nach einer Minu­te end­lich geschafft hat­te, Die­ter Wie­fel­spütz zu unter­bre­chen.

Zwölf Minu­ten habe ich mich ges­tern mit dem innen­po­li­ti­schen Spre­cher der SPD-Frak­ti­on über fal­sche Zita­te, Inter­net­sper­ren und Zen­sur unter­hal­ten und das Wich­tigs­te aus dem Gespräch steht im BILD­blog.

Für mich hat sich ein­mal mehr bewahr­hei­tet, dass ein­zel­ne Poli­ti­ker im direk­ten Kon­takt durch­aus ver­nünf­tig und sym­pa­thisch wir­ken kön­nen und ihre Posi­tio­nen gar nicht mehr so selt­sam klin­gen, wenn sie mal Gele­gen­heit haben, die­se aus­führ­lich – und nicht auf zwei Sät­ze ver­knappt – zu ver­tre­ten. Wie­fel­spütz hat mir jeden­falls lang und breit dar­ge­legt, dass er und sei­ne Par­tei kei­ner­lei Ambi­tio­nen hät­ten, Inter­net­sper­ren ein­zu­füh­ren, die über die jetzt geplan­ten gegen Kin­der­por­no­gra­phie hin­aus­gin­gen.

Ers­te Prio­ri­tät habe aber sowie­so die Bekämp­fung von Ver­bre­chen selbst, Sper­ren dürf­ten erst ganz am Schluss zum Zuge kom­men. Und wer nicht gegen Geset­ze ver­sto­ße, dür­fe so lan­ge extre­mis­ti­sche Mei­nun­gen ver­tre­ten, wie er wol­le – alles ande­re sei ja Zen­sur, sag­te mir der Poli­ti­ker deut­lich.

Auch Begrif­fe wie „Ser­ver“ oder „Pro­vi­der“ konn­te er kor­rekt ver­wen­den, was man bei Poli­ti­kern ja lei­der immer noch her­vor­he­ben muss. Dass vie­le kin­der­por­no­gra­phi­sche Inhal­te gar nicht auf chi­ne­si­schen oder rus­si­schen Ser­vern lagern wie mir Wie­fel­spütz erzäh­len woll­te, son­dern in Län­dern, mit denen Deutsch­land bes­te Rechts­hil­fe-Bezie­hun­gen hat (dar­un­ter, äh: Deutsch­land), trüb­te das Bild etwas, aber als Erkennt­nis blieb doch: Der Mann wirkt gar nicht wie ein wahn­sin­ni­ger Fürst der Fins­ter­nis, son­dern viel mehr wie einer, der sich Gedan­ken macht und sich aus­drück­lich selbst als Teil der Inter­net­ge­mein­de sieht.

Nach dem län­ge­ren Gespräch woll­te ich Wie­fel­spütz nicht auch noch zum The­ma Com­pu­ter­spie­le befra­gen (es wäre auch nur noch per­sön­li­ches Inter­es­se gewe­sen). Womög­lich hät­ten wir uns da böse in die Wol­le gekriegt, viel­leicht hät­te ich aber auch ein Stück ver­stan­den, was er eigent­lich meint, wenn er sich mit Schlag­wor­ten wie „Gewalt ist jung und männ­lich“ zitie­ren lässt.

Ich wür­de übri­gens den­noch ungern einen öffent­lich-recht­li­chen Polit­talk mode­rie­ren wol­len. Die­se Sen­dun­gen, in denen sich Poli­ti­ker erst anschrei­en, bevor sie anschlie­ßend gemein­sam ein Bier trin­ken gehen, scha­den der Demo­kra­tie mehr als ein paar extra­va­gan­te Mei­nun­gen in einer auf­rich­ti­gen Debat­te. Bes­ser wäre, wenn Poli­ti­ker und Bür­ger ein­fach mal wie­der ins Gespräch kämen.

Kategorien
Gesellschaft Politik

Wahl-Mäander

Wahlzettel zur Europawahl 2009

Weil ich bei den letz­ten Wah­len pos­ta­lisch abge­stimmt habe, war ich vor­hin erst zum zwei­ten Mal in mei­nem Leben in einem Wahl­lo­kal. Ich hat­te mir extra ein Hemd ange­zo­gen, um bei der Wahr­neh­mung mei­ner staats­bür­ger­li­chen Pflich­ten auch halb­wegs wür­de­voll aus­zu­se­hen. Denn mal ehr­lich: Viel mehr als Wäh­len tue ich ja nicht für unse­re Gemein­schaft.

Das Argu­ment vie­ler Nicht­wäh­ler, sie wüss­ten ja gar nicht, wor­um es bei den Euro­pa­wah­len geht, ist nur ober­fläch­lich betrach­tet zutref­fend. Ich möch­te jeden­falls mal den Wäh­ler erle­ben, der weiß, was in einem Land­tag oder einem Stadt­rat pas­siert – und trotz­dem geht man dafür zur Wahl.

* * *

Poli­tik ist mir eine Mischung aus suspekt und egal. Die meis­ten Poli­ti­ker sind für sich betrach­tet sym­pa­thi­sche Gesprächs­part­ner und sagen klu­ge Sachen, aber in der Sum­me ist es wie mit dem Volk: Der Dümms­te bestimmt das Niveau der gan­zen Grup­pe. Nun bin ich weit davon ent­fernt, Poli­ti­ker mit einem stamm­ti­schi­gen „Die da oben machen doch eh, was sie wol­len“ ver­dam­men zu wol­len, aber wenn ich Leu­te wie den SPD-Super­hard­li­ner Die­ter „Gewalt ist jung und männ­lich“ Wie­fel­spütz in Mikro­fo­ne spre­chen höre, über­kom­men mich schon schwe­re Zwei­fel an dem Wort „Volks­ver­tre­ter“.

Was ich dabei auch immer wie­der ver­ges­se: Die Bin­sen­weis­heit, wonach nichts so heiß geges­sen wer­de, wie es gekocht wird, ist nicht in der Gas­tro­no­mie am zutref­fends­ten, ((Wie oft hat man sich schon böse den Gau­men an einer Sup­pe oder einer Brat­wurst ver­brannt?)) son­dern in der Poli­tik. Und: Anders als in der Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft sind im Bun­des­tag und Kabi­nett ja nicht die Bes­ten ihres Fachs ver­sam­melt, son­dern die, die sich in den Intri­gen­s­port­ver­ei­nen, die wir „Par­tei­en“ nen­nen, nach oben gemeu­chelt haben; die, die pro­mi­nen­te Poli­ti­ker in der Fami­lie hat­ten; und die, die zufäl­lig gera­de in der Gegend her­um­stan­den, als ein Pos­ten besetzt wer­den muss­te. Zwar sol­len sie eigent­lich die Mei­nung ihrer Wäh­ler ver­tre­ten, aber die­ses Prin­zip wird schon durch das alber­ne Lis­ten-Wahl­recht in Deutsch­land ad absur­dum geführt. Wo es kei­ner­lei Bin­dung zwi­schen Wäh­lern und Abge­ord­ne­ten gibt, kön­nen die Bür­ger ihren Par­la­men­ta­ri­ern auch nur unzu­rei­chend auf die Fin­ger klop­fen. ((Ich habe zum Bei­spiel kei­ne Ahnung, wie eigent­lich mei­ne Abge­ord­ne­ten hei­ßen – geschwei­ge denn, was für Posi­tio­nen sie ver­tre­ten.))

* * *

Gewiss: Man könn­te selbst in die Poli­tik gehen, aber man könn­te sei­nen Müll auch selbst zur Depo­nie fah­ren oder sein Grill­fleisch selbst erle­gen. Ich habe da kei­ner­lei Ambi­tio­nen, also muss ich mit dem leben, was (poli­tisch) im Ange­bot ist.

Inso­fern nervt mich auch immer wie­der das Geze­te­re in Blogs und bei Twit­ter, die­se oder jene Par­tei sei wegen einer ein­zel­nen Per­son oder Äuße­rung „unwähl­bar“. Natür­lich schei­den dadurch schnell sämt­li­che exis­ten­ten Par­tei­en aus und man miss­ach­tet dabei eines der grund­le­gen­den Zie­le einer Demo­kra­tie: das Stre­ben nach einem Kom­pro­miss. ((Wobei einem da natür­lich immer wie­der Vol­ker Pis­pers ins Gedächt­nis kommt, der schon vor zehn Jah­ren frag­te, ob das klei­ne­re Übel wirk­lich immer so groß sein müs­se.)) Per­fek­ti­on wird man nir­gends fin­den, weder bei Par­tei­en noch bei Lebens­part­nern. ((Zyni­ker wür­den an die­ser Stel­le fra­gen, ob es im Web 2.0 nicht über­na­tür­lich vie­le Sin­gles gebe.)) Und spä­tes­tens, wenn es zur Wahl­wer­bung kommt, wird man bei­de Augen zudrü­cken müs­sen.

„Unwähl­bar“ aber ist ein krei­schen­des, abso­lu­tes Urteil, das damit in der lan­gen Rei­he von Schlag­wor­ten wie „Faschis­mus“ und „Zen­sur­su­la“ steht und die Fra­ge, war­um sich eigent­lich kaum ein Poli­ti­ker für die Inter­es­sen der Netz­ge­mein­de inter­es­sie­re, von selbst beant­wor­tet. Wäre ich Poli­ti­ker und wür­de auf einer Wahl­kampf­ver­an­stal­tung von drei am Ran­de ste­hen­den Nerds als „ahnungs­los“ und „Faschist“ beschimpft, wäre mein Inter­es­se an einem Dia­log auch gedämpft. Inso­fern ste­hen vie­le – nicht alle – Dis­ku­tan­ten im Web 2.0 den von ihnen kri­ti­sie­ren Poli­ti­kern in nichts nach, wenn sie nur auf Laut­stär­ke 11 kom­mu­ni­zie­ren. Wenn sich zwei auf nied­ri­gem Niveau begeg­nen, ist das nur noch tech­nisch betrach­tet ein Dia­log auf Augen­hö­he.

* * *

Ein ein­zi­ges Mal hat es unse­re Bun­des­re­gie­rung ((Ich habe es schon oft gesagt und wie­der­ho­le mich da ger­ne: Nach dem Stuss, den die gro­ße Koali­ti­on in den letz­ten vier Jah­ren ver­zapft hat, hat es mei­nes Erach­tens kei­ne der betei­lig­ten Par­tei­en ver­dient, im Herbst wei­ter­zu­re­gie­ren. Aber solan­ge FDP und Grü­ne gemein­sam kei­ne Regie­rung stel­len kön­nen oder wol­len, wer­den wir wohl auch dort wie­der mit einem klei­ne­ren Übel leben müs­sen.)) geschafft, dass ich mich gewis­ser­ma­ßen poli­tisch enga­giert habe und in einer E‑Mail Ver­wand­te, Freun­de und Bekann­te gebe­ten habe, sich das The­ma „Inter­net­sper­ren“ doch bit­te ein­mal genau­er anzu­schau­en und sich gege­be­nen­falls an der Peti­ti­on dage­gen zu betei­li­gen. Aber Wut und Fas­sungs­lo­sig­keit schei­nen mir auch kein bes­se­rer Antrieb zu sein als Angst und Panik­ma­che auf der ande­ren Sei­te.

Par­tei­en selbst sind mir in höchs­tem Maße suspekt, weil ihre Mit­glie­der zu einer Lini­en­treue ten­die­ren, die jeden Fuß­ball­fan stau­nend zurück­lässt. Die Respekt­lo­sig­keit, mit der schon die Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen ((Dass die Mit­glied­schaft in „Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen“ von Par­tei­en bis zu einem Alter von 35 Jah­ren möglich/​verpflichtend ist, sagt eigent­lich schon alles.)) den „poli­ti­schen Geg­ner“ behan­deln, emp­fin­de ich als höchst ver­stö­rend, und die Tat­sa­che, dass wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen ein­fach nicht gefällt wer­den, weil die Anträ­ge von der „fal­schen“ Par­tei ein­ge­bracht wur­den, lässt mei­nen Blut­druck wie­der in gesund­heits­ge­fähr­den­de Berei­che stei­gen.

* * *

Statt Inhal­ten inter­es­siert mich bei Wah­len seit jeher eher das Drum­her­um, vor allem die ers­te Pro­gno­se bei Schlie­ßung der Wahl­lo­ka­le. Bei der Bun­des­tags­wahl 1994 führ­te ich mit einem Mit­schü­ler Wahl­um­fra­gen in unse­rer Klas­se durch und prä­sen­tier­te hin­ter­her stolz die Hoch­rech­nung für die Klas­se 6c. Am Wahl­tag selbst hat­te ich mir im Kel­ler mit Tüchern und Pap­pen ein Haupt­stadt­stu­dio (natür­lich Bonn) ein­ge­rich­tet und prä­sen­tier­te von 15 Uhr an im Halb­stun­den­takt immer neue Vor­her­sa­gen. Rudolf Schar­ping wäre sicher ein inter­es­san­ter Bun­des­kanz­ler gewe­sen.

Kategorien
Rundfunk Politik

Voll ins Schwarze betroffen

Mein Arzt und mein Rechts­an­walt haben mir gera­ten, mich zurück­zu­hal­ten. Der Blut­hoch­druck bekom­me mir nicht und die von mir gedach­ten Begrif­fe sei­en alle jus­ti­zia­bel.

Sehen Sie sich also nur den nun fol­gen­den Aus­schnitt der „Tages­schau“ von 14 Uhr an und ach­ten Sie beson­ders auf die Unter­schie­de zwi­schen dem, was Claus-Erich Boetz­kes am Anfang und Nicht-Wil­helm von und zu Gut­ten­berg am Ende sagen:

[Direkt­link]

Hier kön­nen Sie sich übri­gens den Text der ange­spro­che­nen Peti­ti­on durch­le­sen (was der Minis­ter offen­bar ver­ab­säumt hat­te) und bei Inter­es­se gleich unter­schrei­ben.