Kategorien
Musik Gesellschaft

Alles endet (Aber nie die Musik)

Früher, als ich in Internet und Radio über Musik berichtete, mehrere Musikzeitschriften las und mich quasi Vollzeit mit Popkultur beschäftigte, habe ich gelächelt über die Leute, die die jeweils neuesten Alben von Status Quo oder Chris Rea aus den Elektronikmärkten schleppten und sonst auf das zurück griffen, was sie an “junger Musik” aus dem Radio kannten: Norah Jones, Adele, Coldplay. Ich war ernsthaft empört über Menschen, die auf die Frage, was sie denn so für Musik hörten, mit “Charts” oder “was halt so im Radio läuft” antworteten.

Inzwischen weiß ich, dass es im Erwachsenenleben schwierig ist, ernsthaft mit der musikalischen Entwicklung Schritt zu halten. Das fängt schon damit an, dass man weniger Zeit und Gelegenheit hat, um Musik zu hören. Im Berufsleben ist es häufig nicht mehr möglich, während der Arbeit die neuesten Veröffentlichung oder – inzwischen eh ausgestorben – das Musikfernsehen laufen zu lassen. Am Abendbrottisch mit der Familie ist auch nicht immer der rechte Ort, um neue (oder auch alte) Rockmusik abzuspielen. Und dann haben Streamingdienste und Musikblogs die Geschwindigkeit, mit der das next big thing durchs Dorf und wieder herausgetrieben wird, auch noch erheblich gesteigert.

Und somit sind da plötzlich meine Status Quo und Chris Reas: Die Liste meiner diesjährigen Musikerwerbungen umfasst in einem nicht unerheblichen Maße Künstler und Bands, die auch schon vor zehn Jahren auf solchen Listen standen. Natürlich muss ich die neuen Alben von Travis und den Manic Street Preachers haben — sie zu bewerten ist allerdings gar nicht so einfach, denn natürlich waren “The Man Who” und “This Is My Truth Tell Me Yours” jeweils besser. Andererseits sind da auch immer Stimmen in meinem Kopf, die mir vorwerfen, die neuen Songs besser zu finden als ich die gleichen Songs bei Nachwuchsbands finden würde. All das muss man ausblenden und dann sehen: beides sind ziemlich gute Alben geworden.

Travis haben mich ja eh nie wirklich enttäuscht und auf “Where You Stand” und dem dazugehörigen Titeltrack sind sie tatsächlich so gut wie ungefähr seit “The Invisible Band” nicht mehr. Eine Revolution wollten die Schotten ja eh nur kurz auf “12 Memories” starten, jetzt können wir, die von Travis durch ihre Jugend begleitet wurden, mit der Band alt werden. Da sind die Manics schon angekommen: Nach “Postcards From A Young Man” blicken sie auch auf “Rewind The Film” ganz viel zurück — und es sind wieder ganz tolle Geschichten geworden, die James Dean Bradfield und seine zahlreichen Gastsänger da erzählen.

CDs (Symbolbild)

Von Moby habe ich zwar nicht jedes Album im Regal, aber die Vorabsingle “The Perfect Life” mit Wayne Coyne von den Flaming Lips war so grandios, dass ich die ganze Platte haben musste — und auch die ist tatsächlich sehr gut geworden. Auch Slut begleiten mich schon seit zwölf Jahren, ihr “Alienation” ist sicherlich wieder ein hervorragendes Album geworden, ich finde nur (noch) nicht so recht den Zugang dazu. Bei Radiohead bin ich ja auch irgendwann ausgestiegen.

Die Pet Shop Boys wären nach “Elysium” im vergangen Jahr eigentlich frühestens 2015 wieder mit einem neuen Album dran gewesen, haben mit “Electric” aber direkt einen Nachfolger aus dem Ärmel geschüttelt, der erstaunlich knallt. Gut: Das ist wahrscheinlich eher das, was sich Männer Mitte/Ende Fünfzig unter zeitgenössischer Elektonikmusik vorstellen (“Wie wäre es, wenn wir mal was von diesem Dubstep mit reinnehmen?”, “Wie wäre es, wenn wir diesen Example bei uns mitrappen lassen?”), aber mir gefällt’s besser als so Pappnasen wie Skrillex oder das besagte “Elysium”.

Die Kombination Elvis Costello & The Roots erscheint eigentlich nicht mal auf den ersten Blick abwegig: Costello macht seit mehr als 40 Jahren im Großen und Ganzen, was er will (Punk, Country, Klassik), insofern war es eigentlich überfällig, mal ein Album mit einer Hip-Hop-Band aufzunehmen. “Wise Up Ghost” ist erwartungsgemäß auf den Punkt und hat einige grandiose Songs, ist aber gar nicht so außergewöhnlich, wie man vielleicht hätte erwarten können.

Wirklich ärgerlich ist “Loud Like Love” von Placebo geworden: musikalisch weitgehend belanglos, textlich nah dran an der Unverschämtheit. Wo Brian Molko früher von Sex, Drogen und inneren Dämonen sang, vertont er heute offenbar Kolumnen von Harald Martenstein und singt in “Too Many Friends” darüber, dass Facebook-Freunde ja gar keine echten Freunde seien. Puh! Die neuen Alben von Jimmy Eat World und den Stereophonics, von Jupiter Jones und Thees Uhlmann habe ich nach den Vorabsingles lieber gar nicht mehr erst gehört. Man muss ja auch mal loslassen können, wenn alte Helden dorthin gehen, wo man selbst nicht mal fehlen möchte.

Aber das sind ja nur die Künstler und Bands, die mich jetzt schon seit mehr als zehn Jahren begleiten. Dazu kommen die “mittelalten” wie Cold War Kids, Josh Ritter, Erdmöbel, The National und Volcano Choir. Und natürlich die ganzen Neuentdeckungen, die ich durch “All Songs Cosidered”, Radioeins oder andere Empfehlungen gemacht habe und die dann letztlich doch gar nicht so vereinzelt sind, wie ich erst gedacht hatte. Aber dazu kommen wir ein andermal.

Kategorien
Musik

Listenpanik 06/09

Himmel hilf: Der Juli ist schon zur Hälfte um und die Juni-Liste war bis eben immer noch unveröffentlicht. Schieben wir es auf die schiere Menge an Neuveröffentlichungen und die ganze tolle Musik, die sonst noch so da war:

Alben
The Pains Of Being Pure At Heart – The Pains Of Being Pure At Heart (Nachtrag)
Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben (so wie ich bis vor kurzem): Das ist der Indiepop-Geheimtipp der Saison. Fachzeitschriften nennen dieses New Yorker Quartett “eine amerikanische Version der Smiths”, was gleichermaßen treffend wie irreführend ist. Mein internes Katalogsystem führt die Band unter “irgendwie kanadisch”, was an den Gitarrensounds, Glockenspielen und wechselnden Sänger(inne)n liegen könnte.

Fanfarlo – Reservoir (Nachtrag)
Noch ein Nachtrag, noch mal “irgendwie kanadisch”, obwohl es sich doch um eine schwedisch-englische Band handelt: Zuerst bei “All Songs Considered” entdeckt, dann das Album für einen Euro gekauft. Bildhübscher Indiepop mit Hang zum Orchestralen. Für einen Sommer auf der Wiese.

Regina Spektor – Far
Kommen wir nun zur beliebten Reihe “Acts, die jahrelang an mir vorbeigegangen sind”. In diesem Fall so sehr, dass ich dachte, Regina Spektor (die wirklich so heißt) hätte irgendwas mit Phil Spector (der auch wirklich so heißt) zu tun. Aber dann kam erst das letzte Ben-Folds-Album, auf dem Regina Spektor bei “You Don’t Know Me” mitträllerte, und dann kam “Laughing With”, das mich auf Anhieb begeisterte (s.u.). Der Pianopop auf “Far” ist schon toll, aber über allem stehen die Texte — selten habe ich bei einem englischsprachigen Album so früh so gründlich auf die Texte geachtet und sie für so großartig befunden.

Wilco – Wilco (The Album)
Das mit Wilco und mir war immer ein bisschen schwierig: Ich bin mit “Yankee Hotel Foxtrott” eingestiegen, das einige toll Songs hatte, mich aber nie so ganz überzeugen konnte, dann habe ich mich vor fünf Jahren zufällig in “Summerteeth” verliebt, ehe mich “A Ghost Is Born” und “Sky Blue Sky” etwas ratlos zurückließen. Gut für mich, dass “Wilco (The Album)” ziemlich genau da weitermacht, wo “Summerteeth” aufgehört hat: Leicht verspielter Indierock, der aber nicht in riesige Soundflächen ausufert, sondern sich auf drei bis vier Minuten konzentriert.

The Sounds – Crossing The Rubicon
Als vor sechs Jahren das Sounds-Debüt “Living In America” in Deutschland erschien, wurden die Schweden als “die neuen Blondie” vermarktet, was nicht völlig abwegig, aber eben auch “die neuen Irgendwasse”-dämlich war. Zum Zweitwerk “Dying To Say This To You” habe ich nie einen richtigen Zugang gefunden, aber “Crossing The Rubicon” spricht mich wieder sehr stark an: Leicht überdrehte Rocksongs mit schrammelnden Gitarren, tanzbaren Beats und vergleichsweise wenigen Synthesizern. Und irgendwie muss Maja Ivarsson Singen gelernt haben — aber das macht ja nichts.

Placebo – Battle For The Sun
Ich hatte immer das Gefühl, alle Placebo-Alben klängen im Wesentlichen gleich (und damit gleich gut), aber das stimmt gar nicht. Natürlich gibt es auch diesmal wieder treibende Beats, wüstes Gitarrengeschrammel und die alles dominierende Stimme von Brian Molko, aber einiges ist anders. Das kann zum Beispiel am neuen Schlagzeuger liegen (der, höflich gesagt, nicht ganz so filigran arbeitet wie sein Vorgänger) oder daran, dass Placebo ernsthaft ein Feelgood-Album aufnehmen wollten. Jetzt gibt es Streicher und Anklänge von Trompeten und Glockenspielen und vieles klingt tatsächlich – im Placebo-Rahmen – sehr uplifting. Das ist total anders als der düstere Vorgänger “Meds”, dessen Qualität schwerlich wieder zu erreichen war. Aber “Battle For The Sun” ist ein solides Album, das sich von allen anderen der Band deutlich unterscheidet.

Moby – Wait For Me
Vor zehn Jahren war Mobys Karriere vorbei. Dann veröffentlichte er “Play” und wurde zum Nummer-Eins-Lieferanten für Werbespots und Filmsoundtracks. Danach hat er verschiedenes ausprobiert, jetzt kehrt er fast komplett zum Sound von “Play” zurück. Erstaunlicherweise gelingt ihm damit sein bestes Album seit eben jenem “Play”. Gesungen wird wenig, getanzt kaum, und manchmal nimmt man die Musik beim Nebenbeihören gar nicht mehr wahr, aber es ist ein atmosphärisch dichtes Album, dessen Songs sicher bald wieder Werbespots und Filmsoundtracks zieren werden.

Eels – Hombre Lobo
Mein erstes komplettes Eels-Album. Was soll ich sagen? Ja, kann man sich auch über vierzig Minuten anhören. Eine schöne Mischung aus filigranen, fast Kinderlied-haften Popsongs und charmant-knarzigen Rocknummern.

Songs
Eels – That Look You Give That Guy
Ich hatte das Lied ja hier schon ausführlich gelobt. Seitdem habe ich es mehr als zwanzig Mal gehört und finde es immer noch ganz wunderbar. Nur eine Frage beschäftigt mich die letzten Tage: Was ist eigentlich das Gegenteil von Eifersucht?

Regina Spektor – Laughing With
Eigentlich kann man sich alle Ausführungen zu diesem Lied sparen: die Lyrics sprechen für sich. Ich hörte den Song erstmals bei “All Songs Considered”, am S-Bahn-Gleis des Bochumer Hauptbahnhofs stehend. Alle Störgeräusche verschwanden, ich hörte nur noch das Klavier und diese leicht eigentümliche Stimme, die diesen wunder-wunderschönen Text sang. Es wäre unangemessen gewesen, an diesem Ort loszuheulen, aber es gibt wenige Songs, bei denen ich so kurz davor stand.

Wilco – You And I
In einem normalen Monat wäre sowas ganz klar der Song des Monats geworden: Ein charmanter Popsong mit anrührendem Text und den Stimmen von Jeff Tweedy und Gastsängerin Leslie Feist. Nun: Es war kein normaler Monat, wie Sie oben sehen, sondern der Monat der überlebensgroßen Songs mit phantastischen Lyrics. Aber es gibt hier ja sowieso keine Rangliste mehr. (Das Lied habe ich übrigens zum ersten Mal auf WDR 2 gehört und danach beschlossen, mir das Album zu kaufen. So viel zum Thema “das Radio hat als Multiplikator ausgedient” …)

The Pains Of Being Pure At Heart – This Love Is Fucking Right!
Die Länge von Bandnamen und Songtitel machen es unmöglich, diesen Song auf ein Mixtape zu packen — der Platz auf so einem Beipackzettel ist ja leider nur begrenzt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Liedtext richtig verstanden habe (meine Interpretation wäre in zahlreichen Ländern der Welt illegal), aber: Hey, es ist ein wunderschöner kleiner Song und der Titel ein wunderbarer Slogan. (Überhaupt bräuchte es mehr Songtitel mit Ausrufezeichen am Ende.)

[Listenpanik, die Serie]

Kategorien
Musik Digital

Newsletter From Hell

Der Musicline.de-Newsletter schreibt über “MySpace Playlist Vol. 1”:

Auf dieser Doppel-CD sind alte Hasen wie Placebo und Incubus vertreten, aber auch heiße Newcomer wie Peaches, Death Cab for Cuties und Datarock haben sich einen Platz auf der Platte erspielt.

Ich hab extra noch mal nachgeguckt: Der Text scheint tatsächlich von 2009 zu sein.