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Fast ein Held

Das „Zeit-Maga­zin“ wid­met sich in sei­ner aktu­el­len Aus­ga­be dem The­men­kom­plex der „Nuller Jah­re“.

In einem Inter­view fasst der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk zusam­men, was für ihn die Nuller aus­macht (Cas­ting Shows, die Queen Mary 2, Dau­men bei der Bedie­nung elek­tro­ni­scher Klein­ge­rä­te), er kri­ti­siert, dass der „Krieg gegen den Ter­ro­ris­mus“ aus Bür­gern „Sicher­heits­un­ter­ta­nen“ gemacht habe, und ant­wor­tet auf die Fra­ge, wer für ihn die Hel­den die­ses Jahr­zehnts sei­en:

Für mich per­sön­lich ist die Ant­wort evi­dent: die Men­schen, die bei den Sicher­heits­kon­trol­len am Flug­ha­fen aus­ge­ras­tet sind. Im Spie­gel stand neu­lich eine hüb­sche Auf­zäh­lung. Ein Pas­sa­gier hat sei­ne Rasier­was­ser­fla­sche gegen eine Schei­be gewor­fen, ein ande­rer hat eine Kon­trol­leu­rin geohr­feigt. Das sind mei­ne Hel­den, ein­sa­me Kämp­fer gegen den Sicher­heits­wahn.

Ich bin also fast ein Held im Sloterdijk’schen Sin­ne, denn ich wäre um ein Haar mal am Flug­ha­fen Chi­ca­go O’Ha­re ver­haf­tet wor­den.1 Und das kam so:

Es begab sich im Okto­ber 2006, dass ich von Chi­ca­go nach Oak­land flie­gen muss­te. Das Wet­ter war schon beim Check-In schlecht gewe­sen und wur­de im Lau­fe des Abends immer schlech­ter. Nach und nach wur­den alle Flü­ge nach hin­ten und an ande­re Gates ver­legt – so lan­ge, bis um kurz nach Elf dann ehr­li­cher­wei­se sämt­li­che Flü­ge als „can­cel­led“ geführt wur­den. Also ver­lie­ßen ein paar Tau­send Men­schen mit Hotel-Gut­schei­nen in der Hand den Abflug­be­reich, um sich ein Nacht­la­ger zu suchen. Sämt­li­che Hotels im Umkreis waren bin­nen Sekun­den aus­ge­bucht, aber man ließ uns auch nicht mehr in den Abflug­be­reich zurück, da das Per­so­nal, das die Sicher­heits­kon­trol­len durch­füh­ren hät­te kön­nen, sei­ne Tages­schicht been­det hat­te und die nächs­te Schicht nicht vor 4:30 Uhr begin­nen wür­de.

Viele Menschen würden gerne eine Umbuchung vornehmen.

An die­ser Stel­le muss ich kurz die fast schon erschüt­tern­de Gelas­sen­heit der Ame­ri­ka­ner loben. In Deutsch­land, wo man ver­gleich­ba­re Aktio­nen etwa jeden zwei­ten Abend an den Haupt­bahn­hö­fen belie­bi­ger Mit­tel­städ­te beob­ach­ten kann, wäre es schon lan­ge unter dem Aus­tausch fra­ter­ni­sie­ren­der Kom­men­ta­re und Bli­cke zu Mob-Bil­dun­gen gekom­men. Aggres­sio­nen hät­ten sich wie üblich aus­schließ­lich an den Bediens­te­ten vor Ort ent­la­den, wäh­rend unter­ein­an­der auf „die fei­nen Her­ren da oben“ geschimpft wird.

All das gab es in Chi­ca­go nicht, dafür gab es Feld­bet­ten von Heils­ar­mee und US Army, auf denen dann eini­ge hun­dert Men­schen neben den Gepäck­ka­rus­sells im Kel­ler des Flug­ha­fens lager­ten. Es war eine Stim­mung wie beim Kir­chen­tag – nur dass man dort nicht um vier Uhr nachts von einem Drill Ser­geant der Army wach­ge­brüllt wird. Ich ver­brach­te zumin­dest einen Teil der rest­li­chen fünf Stun­den bis zum neu­en Abflug­ter­min auf dem (extrem flau­schi­gen) Tep­pich­bo­den in der Lob­by des Flug­ha­fen-Hil­tons.

Viele Feldbetten, kein Korn.

Dann woll­te ich irgend­wann zurück in den Abflug­be­reich und durch die Sicher­heits­kon­trol­len. Und dort pas­sier­te es: Weil ich eine am Vor­abend im Sicher­heits­be­reich gekauf­te und geöff­ne­te Fla­sche Mine­ral­was­ser in mei­nem Ruck­sack ver­ges­sen hat­te, schlu­gen die Sen­so­ren an. Die dazu­ge­hö­ri­ge Geschich­te war der stäm­mi­gen Dame des Sicher­heits­diens­tes herz­lich egal, sie durch­such­te mei­nen Ruck­sack mit einer eher deut­schen Akri­bie, wisch­te ihn mit einem Tuch aus, das sie dann unter einen CSI-mäßi­gen Scan­ner leg­te, um es auf Spreng­stoff-Rück­stän­de zu unter­su­chen, und hat­te ver­mut­lich unter dem Tisch schon auf einen klei­nen unauf­fäl­li­gen Knopf gedrückt.

Mein Deo­stick, der am Vor­abend kein Pro­blem dar­ge­stellt hat­te2, wur­de kri­tisch beäugt, durf­te aber im Ruck­sack ver­blei­ben, weil er nicht flüs­sig genug war. Die Mine­ral­was­ser­fla­sche, die ich unter kei­nen Umstän­den mit hin­ein­neh­men durf­te, stand zwi­schen uns auf einem Tisch wie ein kon­fis­zier­ter Dil­do. Sie war die Plas­tik­ge­wor­de­ne Respekt­lo­sig­keit mei­ner­seits.

Also griff ich die Fla­sche und warf sie mit einer schwung­vol­len Bewe­gung an der Dame vor­bei in die dafür bereit­ste­hen­de Müll­ton­ne. Wie ein Bas­ket­ball schlug sie innen gegen den Ring und lan­de­te mit einem sehr dump­fen „Plonk!“ in dem Alu­mi­ni­um­ei­mer. Ich hat­te das Gefühl, alle ande­ren Geräu­sche im Ter­mi­nal sei­en plötz­lich ver­stummt und etwa 20.000 Augen sei­en auf mich gerich­tet. Die Frau sah mich mit einem Blick an, der „Ich könn­te Sie inner­halb einer Sekun­de töten. Mit mei­nem klei­nen Fin­ger.“ sag­te. Sie selbst sag­te: „Next time, Sir, I’m gon­na throw this away for you!“

„The­re won’t be a next time“, dach­te ich zum Glück nur und ging wei­ter. Nicht, ohne fast noch mei­ne Arm­band­uhr3 ver­ges­sen zu haben.

Ja, so war er, mein fast-revo­lu­tio­nä­rer Moment. Hät­te ich ein biss­chen weni­ger nor­disch aus­ge­se­hen, wäre ich ver­mut­lich ver­haf­tet wor­den.

  1. Neh­me ich zumin­dest an. []
  2. Weil er auf den Scan­ner-Bil­dern nicht zu erken­nen gewe­sen war. []
  3. Ich tra­ge Arm­band­uh­ren nur auf Flü­gen, sonst habe ich für sowas mein Han­dy. []
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Torschützen und Theoretiker

Eines der Haupt­pro­ble­me für Pro­mi­nen­te ist das Erkannt­wer­den, und das gleich dop­pelt: Geht ein Pro­mi­nen­ter (Poli­ti­ker, Sport­ler, Tele­no­vel­a­dar­stel­ler) neben einer Per­son, die nicht durch diver­se Pres­se­be­rich­te als sein aktu­el­ler Lebens­part­ner bekannt ist, durch die Stra­ßen irgend­ei­ner deut­schen Stadt, ist die Chan­ce groß, dass gleich jemand mit einem Foto­han­dy hin­ter dem nächs­ten Stra­ßen­schild her­vor­springt, unge­fragt ein ver­wa­ckel­tes Foto „schießt“ und die­ses an ein Bou­le­vard­blatt ver­kauft. Das fragt dann in einer necki­schen Bild­un­ter­schrift, was denn wohl die Frau des Pro­mi­nen­ten dazu sage, aber die Ant­wort die­ser Frau („Ich begrü­ße es durch­aus, wenn mein Gat­te mit sei­ner Schwes­ter, die gera­de in Tren­nung von ihrem drit­ten Mann lebt, durch die Stra­ßen sei­ner Hei­mat­stadt schlen­dert, wäh­rend ich mit einer Wohn­raum­ex­per­tin unser Wohn­zim­mer im Land­haus­stil relaun­che – dann sitzt er mir näm­lich beim Ein­rich­ten nicht im Weg!“) wird der Leser nie erfah­ren, weil sie womög­lich total unspan­nend wäre.

Total unspan­nend bis depri­mie­rend kann es für einen Pro­mi­nen­ten aber auch sein, eben genau nicht erkannt zu wer­den. Wer die­ser Tage über den roten Tep­pich der Ber­li­na­le geht und dabei nicht um Auto­gram­me und gemein­sa­me Fotos gebe­ten wird, der kann schnell in eine mit­tel­schwe­re Sinn­kri­se stür­zen.

Mein Pro­blem mit Pro­mi­nen­ten ist, dass ich sie meist an so unwahr­schein­li­chen Orten sich­te, dass ich zunächst immer an eine Ver­wechs­lung glau­be. So stand ich am Mon­tag­abend nichts­ah­nend auf einer Kunst­aus­stel­lung in Düs­sel­dorf, als hin­ter mei­nem Rücken plötz­lich Kevin Kuranyi auf­tauch­te. Nun braucht es schon eini­ge Über­win­dung der eige­nen Vor­ur­tei­le, sich einen Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler auf einer Ver­nis­sa­ge vor­zu­stel­len, aber es spricht eini­ges dafür: Kevin Kuranyi hat ja nicht gera­de das, was man ein Aller­welts­ge­sicht nennt (das wäre etwa bei Mike Han­ke schon ganz anders), und die deut­sche Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft befand sich seit Sonn­tag­abend tat­säch­lich zwecks Län­der­spiel­vor­be­rei­tung in Düs­sel­dorf. Wenn es also wirk­lich Kevin Kuranyi war, kann ich in Zukunft berich­ten, dass alle Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler, mit denen ich jemals im glei­chen Raum war, danach inner­halb von 48 Stun­den ein Tor geschos­sen haben.

Heu­te war es dann schon wie­der so weit: im Bochu­mer Haupt­bahn­hof fuhr ein Mann die Roll­trep­pe hin­ab, der eine nicht gerin­ge Ähn­lich­keit mit dem Phi­lo­so­phen Peter Slo­ter­di­jk auf­wies. Die­ser soll­te am glei­chen Tag bei einem Sym­po­si­um an der Ruhr-Uni zuge­gen sein, was mir auch sofort wie­der ein­fiel, als ich den mög­li­chen Dop­pel­gän­ger erblick­te. Allein: müs­sen welt­weit geach­te­te Pro­fes­so­ren, die auf dem Weg zu Tagun­gen über die Dia­lek­tik der Säku­la­ri­sie­rung sind, wirk­lich mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln fah­ren? Rei­sen sie zu sol­chen Ter­mi­nen wirk­lich ganz ohne Gepäck an? Und: kann es wirk­lich sein, dass der Autor von „Ich pro­gnos­ti­zie­re der Phi­lo­so­phie eine neue Ver­gan­gen­heit“ und Gast­ge­ber des „phi­lo­so­phi­schen Quar­tetts“ die U‑Bahn in die fal­sche Rich­tung nimmt?

Falls also jemand per­sön­li­chen Kon­takt zu den Her­ren Kuranyi oder Slo­ter­di­jk hat (Noch span­nen­der wäre natür­lich jemand, der Kon­takt zu bei­den hat – was mögen die schon groß gemein­sam haben?), wäre ich natür­lich hoch­er­freut zu erfah­ren, ob ich einer Ver­wechs­lung auf­ge­ses­sen bin oder mein Weg tat­säch­lich mit Pro­mi­nen­ten gepflas­tert ist.