War ja klar:
Schlagwort: persönliches
Is‘ scho Recht!
Ich bin kein Jurist. Meine eigenen Bestrebungen, mich den Rechtswissenschaften zuzuwenden, zerschlugen sich recht schnell, als ich mit 15 ein Praktikum in der Kanzlei eines verwandten Anwalts machte und feststellte, dass der Alltag eines Juristen aus sehr viel Büroarbeit und aus sehr wenig Hollywoodesken „Einspruch, Euer Ehren!“-Sequenzen besteht. Außerdem habe ich ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und würde vermutlich nach jedem verlorenen Prozess die Inneneinrichtung des Gerichtssaals zerstören.
Das nur als Vorbemerkung und Hinweis darauf, dass ich mich juristischen Sachverhalten immer nur aus einer Richtung nähern kann, die ich selbst als Logik bezeichnen würde, und nicht aus der rechtswissenschaftlichen.
Kommen wir nun aber zum konkreten Fall: Das für originelle Urteile bekannte Landgericht Hamburg hat in der Sache Callactive GmbH ./. Niggemeier II entschieden, dass es für einen Blog-Betreiber nicht ausreiche, anstößige Kommentare unter Blog-Einträgen bei Kenntnisnahme sofort zu entfernen. Bei „brisanten Einträgen“, so die Richter, solle der Blog-Betreiber vorab die Kommentare prüfen. (Bitte lesen Sie auch die Beschreibung des Falls im Augsblog.)
Im Zusammenhang mit dem Internet (und damit im Unterschied zu jeder Stammtischäußerung) wird immer wieder damit argumentiert, dass Äußerungen ja dauerhaft dokumentiert und weltweit lesbar seien. Das stimmt natürlich, insofern ist es durchaus zu verstehen, wenn sich Personen oder Unternehmen, die in Blog-Einträgen oder Kommentaren beschimpft oder verunglimpft werden, um eine Löschung solcher Äußerungen bemühen. Schließlich würde ich auch nicht wollen, dass das oberste Google-Suchergebnis zu meinem Namen „Lukas Heinser ist ein Hühnerdieb“ lautet. ((Es werden noch Wetten angenommen, wann dieser Satz das oberste Google-Suchergebnis zu meinem Namen sein wird.)) Indes: Ist der umstrittene Satz gelöscht, wäre ich schon zufrieden, allenfalls würde ich den Autor des Satzes um die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung bitten.
Die Haltbarkeit und Verbreitung des Internets wird aber andererseits auch überschätzt. Wie viele Menschen mögen es zur Kenntnis nehmen, wenn (wie im konkreten Fall) eine Schmähung von Sonntagnacht 3:37 Uhr bis Sonntagmittag 11:06 Uhr als x‑ter Kommentar unter einem drei Monate alten Blog-Eintrag steht? Da erreiche ich ja mehr Rezipienten, wenn ich mich am Samstag in die Fußgängerzone stelle und „Ihr seid alle doof!“ rufe. Allerdings scheint es juristisch völlig unerheblich zu sein, ob und von wie vielen Personen solche Äußerungen aufgenommen werden.
Eine andere Sache ist die mit den „brisanten Einträgen“: Wenn eine Zeitung über ein Thema wie Diätenerhöhung, Ausländerrecht oder … äh … Autobahnen schreibt, ist relativ klar, dass an den folgenden Tagen Waschkörbe voller Leserbriefe eingehen, in denen sich Menschen mit einer soliden Halbbildung und einer großen Menge Vorurteile, an denen sie schwer zu tragen haben, mit Schaum vor dem Mund daran gemacht haben, ihrer Meinung auf sprachlich anspruchloseste Weise Ausdruck zu verleihen. Diese Briefe werden gelesen, es wird viel gelacht und mit dem Kopf geschüttelt und die einigermaßen vorzeigbaren oder besonders entlarvenden werden dann in der Zeitung abgedruckt. Bei den Internetausgaben der Zeitungen kann man Kommentare abgeben, die theoretisch von ganzen Redaktionen überprüft werden (meist aber eben auch erst nach Veröffentlichung), praktisch aber häufig einen Griff ins Stammtischklo darstellen. Nur, dass verunglimpfte Volksgruppen eben keine Praktikanten abstellen, die den ganzen Tag das Internet auf der Suche nach Beleidigungen gegen sie durchsuchen, und auch nur selten über Anwälte verfügen. Blogger haben keine Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit der (Vorab-)Kontrolle der Kommentare befassen können. Deshalb gibt es beim BILDblog mit über 40.000 Lesern täglich zum Beispiel keine Kommentarfunktion.
Und was ist überhaupt mit den Glaskästen, in denen die Lokalredaktionen einer Zeitung immer die aktuelle Ausgabe aushängen? Was, wenn irgendjemand des Nachts mit einem Edding „Ausländer raus!“ unter einen Artikel zum Ausländerrecht kritzelt? Macht sich die Zeitung den Kommentar dann auch „zu eigen“? Hat sie durch die „Brisanz des Ursprungsartikels“ „vorhersehbar rechtswidrige Beiträge Dritter provoziert“? Werden durch die Bereitstellung einer bekritzelbaren Oberfläche bereits „Dritte geradezu dazu aufgerufen, sich zu äußern“? Oder wiegt die Sachbeschädigung durch den Edding die vermeintliche Provokation wieder auf?
Den Gedanken mit der Wand, den Malte in seinem Eintrag zum Thema bei Spreeblick ausführt, hatte ich auch schon, spare ihn mir hier aber.
Als ich zum ersten Mal über die juristischen Schwierigkeiten mit Web-Kommentaren geschrieben habe, schrieb ich auch über Gerhard Schröder, der mit seinem gerichtlichen Vorgehen gegen die Behauptung, er würde sein volles dunkles Haupthaar tönen, den Justiz-Irrsinn in Deutschland Friseursalonfähig gemacht hatte (übrigens ebenfalls vor dem Hamburger Landgericht). Schröder wurde letzte Woche wieder auffällig, als er anwaltlich gegen die Behauptung vorging, er würde das chinesische Außenministerium beraten. Zuvor hatte er es abgelehnt, auf die Frage, ob er das chinesische Außenministerium berate, zu antworten.
Über Listen
Jedes Jahr im Dezember ist es das gleiche Elend: Musikzeitschriften und Webseiten-Betreiber rufen ihre Leser zum Einsenden derer persönlichen Jahreshitparaden auf und ich sitze mit zerwühlten Haaren und wirrem Blick vor meinem Computer und einem Berg von Notizen und versuche, Ordnung in das Musikjahr zu bringen.
Denke ich während des Jahres immer, es seien ja diesmal nicht soooo viele gute Songs und Alben erschienen, zwischen denen ich mich entscheiden müsse, wird diese Einschätzung spätestens beim Anblick der extra dafür angelegten iTunes-Playlist bzw. der eigenen Statistik bei last.fm zunichte gemacht. Immerhin weiß ich jetzt, welche Songs ich am häufigsten gehört habe – aber waren das auch die besten? Und wie definiere ich „die besten“? Nach pseudo-objektiven Kriterien oder danach, wie viel Spaß ich beim Hören habe? Würde ich einfach meinen häufigsten und penetrantesten Ohrwurm zum „Song des Jahres“ ernennen, wäre das „Umbrella“ von Rihanna – aber auch nur, weil „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel, der mir nach den EMAs drei Wochen lang im Hirn klebte, schon zwei Jahre alt ist.
Dabei trägt es nicht gerade zur schnellen Findung bei, wenn der eigene Musikgeschmack immer eklektischer wird und sich auf der Longlist munter Indierockbands, Girlgroups, Hip-Hopper, Mainstream-Popper, Deutschpunks und Elektroniker tummeln. Denn, mal im Ernst: Wie soll ich „Love Me Or Hate Me“ mit „Don’t Stop Now“ vergleichen, wie „D.A.N.C.E.“ mit „Imitationen“?
Nun wird der Außenstehende vielleicht denken: „Warum tut sich dieser junge Mann das an? Warum verschwendet er seine Zeit mit so unbedeutsamen Überlegungen? Er soll lieber was gegen den Treibhauseffekt tun oder der CDU die Herdprämie ausreden!“ Das Erstellen persönlicher Bestenlisten nimmt sich gegen das Elend in Darfur oder auch nur das vor der eigenen Haustür natürlich lächerlich und klein aus, aber in diesen Dimensionen denken Popkulturfans nicht. Und selbst wenn: Es würde kaum etwas ändern.
Wer „High Fidelity“ gelesen und sich darin wiedergefunden hat, ist von einem inneren Zwang getrieben, das Unsortierbare sortieren zu wollen und die große Unordnung, die Rock’n’Roll nun mal ist, in geordnete Bahnen lenken zu müssen. Dabei müssen auch so verschiedene Dimensionen wie der Song, bei dem man das erste Mal ein Mädchen geküsst hat, und das Lied, das man als erstes gehört hat, als Elliott Smith sich umgebracht hat, irgendwie miteinander verglichen werden können.
Genau diesem Dilemma bin ich jetzt ausgesetzt. Aber ich kann Ihnen versichern: Sie werden es auch noch!
PS: Da ich keine passende Stelle in diesem Eintrag gefunden habe, wo ich den wunderbaren jüngsten Beitrag in Philipp Holsteins Popkulturblog bei „RP Online“ hätte verlinken können, mache ich es einfach gesondert hier.
Ein Wochenstart nach Maß
Die gute Nachricht des Tages: Deutschland ist dem Untergang geweiht. Schon in wenigen Jahren wird es in diesem Land keine intellektuelle Elite mehr geben. Wie ich darauf komme? Nun, wenn nicht einmal die Studenten einer Beinahe-Elite-Uni über einfachste geistige Fähigkeiten verfügen, kann das mit dem Bildungsbürgertum ja nichts mehr werden.
Heute morgen habe ich über 30 Minuten an der Stadtbahn-Haltestelle verbracht. Alle Züge, die einfuhren und mich zur Universität (zwei Stopps entfernt) hätten bringen sollen, waren voll. Nein, Verzeihung: „voll“. Denn das pendelnde Pack, das am Hauptbahnhof in die Stadtbahn einsteigt, postiert sich immer so vor den Türen, dass ein Einstieg im weiteren Streckenverlauf unmöglich ist. Dabei wäre in den Zügen durchaus noch Platz, wenn die Menschen beim Einsteigen nur mal den gesamten Raum ausnutzen würden. Die Angst, dann an der Uni nicht aussteigen zu können, ist vollkommen unbegründet: um Viertel vor zehn fahren nur Studenten Bahn.
Natürlich trägt der örtliche Nahverkehrsanbieter eine Mitschuld an der Misere, denn seine Züge mit Vierersitzgruppen mögen außerhalb der Stoßzeiten gemütlich sein, zur rush hour allerdings wären Wagen mit Bänken an den Außenwänden, wie man sie teilweise in Berlin findet, hilfreicher. Die Menschen hätten von vorneherein keine Abstandszonen um sich herum und würden sich viel bereitwilliger aneinanderdrängeln.
Als ich es schließlich in den fünften einfahrenden Zug schaffte, kreisten meine Gedanken bereits um qualmende Zugtrümmer und „American Psycho“. Dann wurde ich mit hässlichen Menschen, die billige Jacken trugen und viel zu laut schlechte Musik hörten, in eine Stadtbahn gesperrt. Zwei Ischen, die mehr Stuck im Gesicht hatten als man für die Deckensanierung einer Jugendstilvilla bräuchte, standen alleine im Mittelgang. Eine jede von ihnen hätte genug Raum gehabt, auf dem Fußboden ein viktorianisches Picknick zu veranstalten. In den Freiraum drängeln konnte ich mich freilich nicht, dafür war der Pfropfen dummer Menschen, der den Eingangsbereich verstopfte, zu dicht. Ich beschloss, mich näher mit den Lehren des Zen zu beschäftigen und merkte, wie mein Geist meinen Körper verließ.
Als die Bahn an der Uni-Haltestelle einfuhr, stieg er als erstes aus und stapfte mit dumpfem Schritt die Treppen hinauf. Sein Unterkiefer schob sich mahlend nach vorne und aus seinen Nasenlöchern stiegen kleine Rauchwölkchen. Seine Arme hatte er angespannt, seine Schultern wirkten doppelt so breit wie sonst. Der eiskalte Wind trieb ihm Tränen in die zusammengekniffenen Augen, aber er stapfte unaufhörlich weiter. Jeder, der sich ihm in den Weg gestellt hätte, wäre ohne weiteres Zutun zu Staub zerfallen. Mit jedem Schritt lösten seine Füße kleine Druckwellen auf dem Pflaster aus, die Erschütterungen waren noch in zwei Kilometern Tiefe zu spüren. Da fing es an zu Regnen.
Als er das Hörsaalzentrum betrat, kippte er seinen Kopf zurück und ließ seinen Nacken knacken. Er atmete tief durch. Die Vorlesung lief bereits seit zehn Minuten, der Hörsaal war halb leer. Die Studenten hatten alle Plätze am Rand der Sitzreihen besetzt.
You talkin‘ to me?
Ich finde es nach wie vor hochgradig seltsam, wenn Leute mich um ein Interview bitten. Ich habe in meinem Leben bestimmt schon über hundert Interviews geführt, da ist es eine merkwürdige Erfahrung, plötzlich auf der anderen Seite zu hocken.
Sophie von thekilians-anhaenger.de – einer, wie Sie richtig vermuten, Kilians-Fanseite – hat aber nett nachgefragt und da ich in Sachen Kilians ja vor beinahe nichts zurückschrecke, habe ich mich gerne in meiner Eigenschaft als Kilians-Anhänger befragen lassen.
Das Interview finden Sie hier.
Am Samstag schloss der Traditionsplattenladen „Elpi“ in Bochum für immer seine Pforten. Nach langer Zeit (ich hab vergessen, noch mal nachzufragen, meine aber, mich an die Zahl von 28 Jahren erinnern zu können) zieht sich damit ein traditionsreicher Einzelhändler zurück, ein fast schon prototypischer Plattenladen wie in „High Fidelity“.
Ich war das erste Mal vor grob vier Jahren bei „Elpi“, an meinem ersten Tag in Bochum, dem Tag meiner Einschreibung. Ich kaufte mir damals „Sea Change“ von Beck im Angebot, packte die CD in meinen Discman und weil sie so unendlich traurig ist, ich vom ersten Eindruck Bochums ziemlich deprimiert war und es auch noch anfing zu regnen, machte ich sie wieder aus und habe sie dieses Jahr am Abend vor meiner Examensfeier zum ersten Mal an einem Stück gehört.
Ich war gerne bei „Elpi“ und habe viele CDs gekauft, aber ehrlich gesagt nur wenige neue. Da konnte der Laden, der zu keiner großen Kette gehörte, nicht mit den Preisen der Elektronikkaufhäuser und Internet-Versandhäsuer mithalten. Und nicht nur ich zuckte bei Preisen von siebzehn, achtzehn Euro immer wieder zusammen, auch viele andere kauften nicht mehr in dem kleinen Laden in der Fußgängerzone.
Deshalb war jetzt Schluss. Nicht wegen „Saturn“, wie mir die Mitarbeiter erzählten, aber die Perspektive eines riesigen CD-Angebots zu Kampfpreisen in der Nachbarschaft beschleunigte die Entscheidung wohl. So war immerhin noch ein würdevoller Abschied möglich und der Laden musste nicht leer bleiben, während die alten Kunden mit schlechtem Gewissen zur Konkurrenz schlichen. Der Name und die Mitarbeiter bleiben immerhin im „Elpi-Ticketshop“ erhalten, der im neuen „Saturn“ neben der CD-Abteilung im zweiten Stock liegt.
Die letzten Wochen waren natürlich die übliche Leichenfledderei mit Ausverkauf und Rabatten von 25 bis 50 Prozent. „Soll man da überhaupt noch mal hingehen?“, fragte ich mich und mein imaginary friend sagte: „Doch, klar. Erstens hast Du ja schon früher da gekauft und zweitens nehmen die so wenigstens noch was Geld ein.“ Und so kaufte ich noch mal CDs: The Clash, Sugababes und Randy Newman, als allerletztes „Neon Golden“ von The Notwist.
Und auf der heißt es ja:
Fail with consequence, lose with eloquence and smile.
Ohne Telefon geht’s schon
Gestern stand ich in einer vollbesetzten U‑Bahn (ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich in einer leeren U‑Bahn stünde) und war dort gezwungen, in einem Maße am Privatleben eines mir völlig unbekannten Menschen teilzunehmen, dass es mir unangenehm war. Er sei kürzlich umgezogen, erfuhr ich, aber die ganzen Klamotten stünden noch im Wohnzimmer, das auch noch nicht tapeziert sei, aber das komme noch alles. Er wisse noch nicht, was er an Silvester mache, Meike und Kai hätten vorgeschlagen, ein Ferienhaus irgendwo an der Ostsee zu mieten und da „mit alle Mann“ hinzufahren, aber er sei sich noch nicht sicher, ob die beiden das wirklich organisieren würden und ob er wirklich mitwolle. Jetzt müsse er aber eh erst mal die Zutaten für ein ordentliches Pilzrisotto kaufen, denn gleich bekäme er noch Besuch.
Der junge Mann erzählte diese Sachen nicht mir, er erzählte sie seinem Mobiltelefon – und damit dem gesamten Zug. Wer derart öffentlich lebt, macht sich natürlich keine Gedanken, wenn der Staat seine Telekommunikationsaktivitäten protokollieren lassen und seinen Computer durchsuchen will, dachte ich. Und dann: Telefonieren ist das neue Rauchen.
Diese steile These liegt weniger darin begründet, dass wohl beides ziemliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, sondern ist historisch belegbar: Zigaretten waren einst ein Statussymbol, eine Requisite von Luxus und Dekadenz. Irgendwann rauchte dann jeder Müllmann und obwohl Rauchen noch lange gesellschaftlich geachtet war, war der Anschein des luxuriösen schnell verschwunden. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die ersten Ärzte und Rechtsanwälte, die C‑Netz-Autotelefone in ihren S‑Klassen spazieren fuhren. Mir sind Menschen bekannt, die sich auf dem Parkplatz ihres Golfclubs zu ihren Freunden, die solche Autotelefone besaßen, ins Auto setzten und ihren eigenen Anrufbeantworter anriefen und besprachen, nur damit sie mal mit so einem „verrückten neuen Gerät“ telefoniert hatten. (Ähnliches ist vielleicht heute wieder bei diesen unsäglichen iPhones zu beobachten.) Irgendwann aber hatte fast jeder so ein „Handy“, gerade von sozial schwächeren Personen heißt es häufiger, dass sie im Besitz gleich mehrerer Mobiltelefone seien. Im vergangenen Jahr war erstmals der Punkt erreicht, wo jeder Mensch in meinem Bekanntenkreis inklusive meiner Großeltern über ein Mobiltelefon verfügte. Inzwischen habe ich tatsächlich wieder Menschen ohne ein solches Gerät kennengelernt und die ersten Freunde haben (noch Telefonlose) Kinder bekommen, so dass die Quote wieder leicht unter hundert Prozent gesunken ist.
Analog zu den Nichtraucherabteilen in Zügen und ‑zonen in Restaurants gibt es bereits „Ruhewagen“ in den ICEs der Deutschen Bahn, in denen das Telefonieren unerwünscht ist, und man hat bereits von „handyfreien“ Gaststätten gehört. An vielen Schulen wurden Zigaretten und Mobiltelefone gar gleichzeitig verboten.
Ich erkenne darin eine eindeutige Tendenz, die über kurz oder lang dazu führen wird, dass dem mobilen Telefonieren überall und zu jeder Zeit eines Tages eine ähnliche Opposition gegenüberstehen wird, wie es sie heute bereits bei den militanten Nichtrauchern gibt. Noch wird lediglich getuschelt, wenn in einem Kunstmuseum ein peinlicher polyphoner Klingelton die Stille durchbricht und sich eine Mittfünfzigerin hektisch mit den Worten „Ja, wir sind schon oben. Kommt Ihr nach?“ meldet. Aber noch werden auch Raucher noch nicht überall gesellschaftlich ausgegrenzt. Ich bin zuversichtlich, noch den Tag zu erleben, an dem die Staats- und Regierungschefs dieser Welt den „Vertrag zur Ächtung von Mobiltelefonen im öffentlichen Raum“ unterzeichnen.
Ich bin übrigens seit dreieinhalb Jahren im Besitz eines Siemens ME45, das früher einem Freund gehörte, und habe die Prepaid-Nummer eines Verwandten übernommen. Mal davon ab, dass die Akku-Leistung langsam nachlässt, bin ich mit dieser Lösung recht zufrieden.
Mit der kalendarischen Regelmäßigkeit von Weihnachten und Ostern kommt ein journalistisches Subgenre daher, das ähnlich strikten Regeln folgt wie die Echternacher Springprozession: die Computerspiel-Reportage.
Was bisher die wenigsten wussten: Dieses Genre wurde von meinen drei besten Freunden und mir erfunden, an einem Samstagvormittag im Jahr 2000, als wir für den Deutsch-Unterricht „etwas über Jugendkultur“ machen sollten.
Wir können es sogar beweisen:
(Direktlink zu YouTube)
Conquer yourself rather than the world
Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, was genau ein BarCamp ist – den Schilderungen nach zu urteilen muss es sich dabei um eine Art Kirchentag für die Jünger des Web 9 3/4 handeln. Trotzdem habe ich irgendwie zugesagt, bei der Organisation eines solchen mitzuhelfen. Die Hauptarbeit bleibt aber – so sind sie, diese modernen Frauen – an Katti hängen.
Alles weitere erfahren Sie (und ich hoffentlich auch) unter barcampruhr.de.
Lieder für die Ewigkeit: U2 – Beautiful Day
Es gibt ungefähr gleich viele Gründe, U2 zu lieben, wie sie zu hassen. Man muss das Pathos mögen, das sie fast unentwegt verbreiten, sonst hat man keine Chance. Man muss damit klar kommen, dass Sänger Bono sich mitunter aufführt wie der uneheliche Sohn von Mutter Theresa und Al Gore, aber immerhin schöner singen kann. Aber man muss nur mal das langgezogene Intro von „Where The Streets Have No Name“ hören, um das Prinzip Stadionrock zu verstehen.
U2 hatten in meiner musikalischen Früherziehung nur eine Nebenrolle gespielt, im Plattenschrank meiner Eltern findet sich bis heute kein einziges Album der Iren. 1998 wünschte ich mir das „Best Of 1980–1990“ zu Weihnachten und hörte die nächsten Wochen und Monate „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“, „Sunday Bloody Sunday“ und „With Or Without You“. U2 waren die erste Rockband in meinem Regal.
Im Herbst 2000 erschien dann „All That You Can’t Leave Behind“, der von den Fans heiß erwartete „Pop“-Nachfolger. Da mir die Experimente der Neunziger Jahre quasi komplett unbekannt waren, war der Übergang vom Achtziger-Best-Of fließend. Es war die Zeit, wo man CDs am Donnerstag nach Erscheinen kaufte (weil der örtliche Elektronikhändler dann seine Angebote rausbrachte) und erstmal fünf- bis zwanzigmal hintereinander hörte.
Auf „All That You Can’t Leave Behind“ ist mit „Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of“ der vielleicht beste Song der ganzen Bandgeschichte enthalten, aber nachhaltiger hat mich das euphorische „Beautiful Day“ beeindruckt. Der Rhythmus, den Larry Mullen dort klopft, war damals noch neu – heute kommt er in jedem zweiten Song von Coldplay, Snow Patrol oder Jimmy Eat World vor. Das Gitarrenspiel von The Edge hat mich damals tagelang in meinem Zimmer festgehalten, wo ich versuchte, diese nebensächliche Eleganz auf der Konzertgitarre meiner Schwester nachzuempfinden. Der Text grub sich durch das unzählige Nochmal-Hören tief in meine Gehirnwindungen ein, obwohl ich bis heute nicht genau weiß, was er eigentlich aussagen soll. Und dann war da noch dieses Video von Meisterregisseur Jonas Åkerlund:
Wann immer ich danach in einem Flugzeug saß und mir kurz vor dem Start doch ein wenig mulmig wurde, summte ich diesen Song vor mich hin und stellte mir vor, wir würden jetzt direkt über die auf der Startbahn rockende Band fliegen.
Ich würde mich bis heute nicht als U2-Fan bezeichnen. Ich kaufe mir die Alben, ich mag fast alles, was die Band macht, aber es fehlt trotzdem noch etwas bis zu der kultischen Verehrung, die ich beispielsweise R.E.M. oder Travis entgegenbringe. Trotzdem: Als „Beautiful Day“ auf meiner Fahrt nach Berlin im ICE-Bordradio lief, wurde ich plötzlich so entspannt und gut gelaunt, dass mir das ganze Theater drumherum egal wurde. Da wusste ich: das Lied ist ein Fall für diese Rubrik.
Der Vulkan in meinem Pappbecher
Als das Konzept des coffee to go in Deutschland ganz neu war, mag der eine oder andere tatsächlich davon ausgegangen sein, dass das beworbene Produkt „Coffee Togo“ hieße. Wer heute vorsätzlich vom „Coffee Togo“ spricht, muss sich vorwerfen lassen, über den gleichen Humor zu verfügen, wie Menschen, die „zum Bleistift“ sagen. Der Kaffee für zum Gehen ist mittlerweile bekannt und gesellschaftlich voll akzeptiert.
Sie sind aber auch zu praktisch, diese Heißgetränke zum Mitnehmen. Gestern ging ich zum Beispiel zu dem hippen Café im Eingangsbereich der Bochumer Uni-Bibliothek und bestellte mir eine hot chocolate. Dort verwendet man nämlich Kakao von Ghirardelli, den ich im vergangenen Jahr nach langwieriger Recherche zum weltbesten Kakao ernannt habe. Ob ich noch Sahne drauf wollte, fragte die Bedienung. Hell yeah, ich wollte. Und stellte erst nach Empfang des Pappbechers fest, dass der Berg Sahne auf meinem Becher die Montage des Schnabeltassenplastikdeckels unmöglich machen würde.
Da musste ich jetzt durch, also versuchte ich, einen ersten Schluck zu nehmen, während ich Richtung Institutsgebäude ging. Ich nahm einen Mund voll Sahne, tunkte meine Nasenspitze in Schokoladensirup1 und hatte den Becher schließlich so weit geneigt, dass mir einige Schlücke kochenden Stahls Kakao in den Mund schossen. Zunge und Gaumen waren sofort taub und fühlen sich seitdem an, als würde man einen vollgeaschten Teppichboden ablecken.2 Diese ersten Schlücke hatten nun eine Schneise in den bisher undurchdringlichen Sahneberg geschlagen und der Kapillareffekt ermöglichte es meiner glühend heißen Schokolade nun, wie Lava nach oben zu brodeln. Mit diesem Vulkan in meinem Pappbecher ging ich in den Hörsaal.
Dort stand ich vor dem nächsten Problem: Auf den leicht geneigten Schreibflächen war an ein Abstellen des immer noch beinahe randvollen Bechers nicht zu denken. Also hielt ich das Gefäß, um das ich klugerweise noch eine Hitzeschild-Banderole gezogen hatte, mit der einen Hand fest, während ich versuchte, mich mit der anderen Hand aus meiner Jacke zu schälen, ohne dabei den laufenden MP3-Player (Rihanna) fallen zu lassen. Schließlich schaffte ich es auch noch, mich irgendwie auf den Klappsitz zu setzen und der Vorlesung über die Literatur und Politik von 1965 bis 1975 zu folgen.
1 Ein Umstand, den ich natürlich erst Stunden später vor dem heimischen Spiegel bemerkte.
2 Sprachliches Bild, kein Erfahrungswert.
Mein Berlin
Weil ich ja eh schon mal mit der Videokamera in Berlin war und in den vergangenen Jahren touristisch schon wirklich alles abgeklappert hatte, was da war, habe ich mir diesmal gedacht: Sei doch ein bisschen altruistisch und gib deinen Lesern, die vielleicht noch nie in Berlin waren, vielleicht nächste Woche hinwollen, auch etwas mit.
Herausgekommen ist ein kleiner Film, der völlig unprätentiös „Mein Berlin“ heißt und den man sich bei YouTube ansehen kann. Oder gleich hier: