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Dancing With Tears In My Eyes

Da fährt ein Boot über das Mittelmeer, ein “Love Boat”, aber an Bord sind ausschließlich Männer: israelische Soldaten. Aus den Boxen scheppert “Enola Gay” von OMD, diese New-Wave-Hymne über das Flugzeug, aus dem die Atombombe auf Hiroshima geworfen wurde, und die Soldaten trinken Bier. Einem von ihnen ist schlecht, er kotzt über die Reling und beginnt zu halluzinieren: Eine nackte Riesin entsteigt dem Wasser und nimmt ihn mit ins Meer. Sie schwimmen davon, während er das Schiff mit seinen Kameraden an Bord explodieren sieht.

Es sind Szenen wie diese, die einem besonders in Erinnerung bleiben von “Waltz with Bashir”, obwohl eigentlich der ganze Film etwas Besonderes ist: Zum einen behandelt er den Libanon-Krieg von 1982, von dem die meisten Deutschen vermutlich nicht einmal wussten, dass er stattgefunden hat, zum anderen gehört er zum eher überschaubaren Genre des animierten Dokumentarfilms.

Regisseur Ari Folman verarbeitet in “Waltz with Bashir” seine eigenen Erfahrungen als Soldat im Libanon-Krieg und beim Massaker von Sabra und Schatila. Genauer gesagt begibt er sich auf die Suche nach seiner eigenen Geschichte, denn im Gegensatz zu vielen seiner damaligen Kameraden kann er sich an nichts mehr erinnern, was in seiner Jugend im Krieg vorgefallen ist. So besucht er alte Weggefährten, die ihm ihre jeweilige Sicht auf die Ereignisse anvertrauen und ihm so helfen, seine eigenen Verdrängungsmechanismen zu überwinden.

“Waltz with Bashir” wäre schon von sich aus ein interessanter Film über Krieg, Gewalt und das menschliche Erinnerungsvermögen. Allerdings würde er wohl ehrlich gesagt auf irgendwelchen nächtlichen Sendeplätzen des Bildungsfernsehens untergehen. Aber “Waltz with Bashir” ist kein gewöhnlicher Dokumentarfilm, er ist komplett animiert. In mehreren Produktionsschritten wurden die Interviews und Kriegsszenen digital nachbearbeitet und/oder komplett neu animiert (das Animationsverfahren wird hier genauer erklärt) — und das alles mit einem Budget von 2 Millionen US-Dollar (zum Vergleich: Pixars “Wall-E” kostete ungefähr das Neunzigfache). Dabei entstehen Bilder, die nicht allzu viel mit Hollywood-Perfektion zu tun haben, die man aber in dieser Form bisher noch nie gesehen hat.

In den außergewöhnlichen Bildern, die die ganze Zeit auf einen einprasseln, liegt leider auch eine Gefahr: ständig fragt man sich “Wie haben sie das jetzt gemacht?” und während man über 2D- und 3D-Grafiken grübelt, über Flash-Animationen und After Effects, ist man plötzlich wieder raus aus der Geschichte (der Begriff “Handlung” wäre da vielleicht auch irreführend). Außerdem ist es fast unvermeidlich, sich die historischen Hintergründe vor oder nach dem Kinobesuch noch einmal durchzulesen, weil sie sich aus dem Film eher nicht erklären.

Das Massaker von Sabra und Schatila, bei dem die christlichen libanesischen Phalange-Milizen mehrere Hundert palästinensischer Zivilisten ermordeten, rückt gegen Ende ins Zentrum des Films. Fast nebensächlich stellen sich Fragen nach der Mitschuld der israelischen Soldaten, die in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingslager waren, und einmal mehr geht es um das heillose Durcheinander, das seit Generationen im Nahen Osten herrscht, und das mit “Jeder gegen Jeden” unzureichend, aber irgendwie doch treffend beschrieben werden kann.

Gerade an diesen Stellen bieten die Animationen dem Zuschauer auch einen gewissen Schutz, weil er die Erschießung palästinensischer Familien rein optisch nicht groß anders erlebt als den Tod von Bambis Mutter. Aber spätestens als die gezeichneten Flüchtlingslager kurz vor Schluss plötzlich echten Videobildern von sich türmenden Leichen Platz machen, ist dieser Schutz dahin: das Grauen von Krieg und Völkermord, das sowieso kaum begreifbar ist, versteckt sich nicht mehr hinter teils surrealen Zeichnungen, sondern springt einem mit der vollen Brutalität des Realen entgegen. Man kann darüber streiten, ob das nötig ist, aber andererseits geht es nun mal um tatsächliche Ereignisse — und das könnte man ja fast schon vergessen haben.

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