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Opa erzählt vom Rock

Ich hab mir neu­lich ein Stück mei­ner Jugend gekauft, für 1,59 Euro im Gebraucht­wa­ren­be­reich von Ama­zon:

Myballoon (Symbolbild).

Mybal­loon müs­sen irgend­wann im Jahr 2000 oder 2001 mei­ne Auf­merk­sam­keit erregt haben, als ihr Debüt­al­bum „Per­fect View“ in der „Neuheiten“-Sektion der Dins­la­ke­ner Stadt­bi­blio­thek stand – damals mei­ne Haupt­quel­le für neue Musik, die über mein Taschen­geld­bud­get hin­aus­ging. Sie­ben, acht Songs von „Per­fect View“ fan­den ihren Weg in mei­ne MP3-Samm­lung (für gan­ze Alben war der Spei­cher­platz damals noch zu teu­er), wobei ihr „Hit“ „On My Way“ nicht dabei war, wie ich gera­de bei der Wiki­pe­dia-Lek­tü­re amü­siert fest­ge­stellt habe. Aber dafür Songs wie „Never Let You Go“, „Come Around“, „Gre­at Big Days“ und vor allem „Hap­py“, die auf etli­chen Mix­tapes (für mich und ande­re) lan­de­ten und mich so durch Ober­stu­fe und Zivil­dienst beglei­te­ten. Im Som­mer 2003, als die Finanz­not der Kom­mu­nen noch nicht ganz so offen­sicht­lich war, spiel­ten Mybal­loon gar bei frei­em Ein­tritt vor ca. 50 Besu­chern auf dem Dins­la­ke­ner Stadt­fest.

Es war die­ser Sound, wie es ihn damals tau­send­fach gab: Hym­ni­sche Pop­songs mit ein biss­chen Schmiss in der Instru­men­tie­rung, aber auch brei­ten Key­board­flä­chen und Chö­ren im Hin­ter­grund, mit etwas Melan­cho­lie und einem biss­chen Pathos und mit eher ega­len Tex­ten. Es war die gute alte Zeit von Viva Zwei und „Visi­ons“, von Bands wie Goo Goo Dolls, Third Eye Blind, Fee­der, 3 Colours Red oder Vega4. In Deutsch­land gab es Bands wie Rea­dy­ma­de und Miles und – die Wenigs­ten wer­den sich erin­nern – Uncle Ho, Heyday, Hyper­child (Sän­ger: Axel Bos­se), Re!nvented und – zu einem gewis­sen Grad – Rea­m­onn.

Sol­che Musik wird heu­te nicht mehr gemacht. Das Hym­ni­sche ist an vie­len Stel­len dem Wei­ner­li­chen gewi­chen, die E‑Gitarren wur­den aus­ge­stöp­selt und die Key­boards und Syn­the­si­zer wer­den heu­te anders­wo ein­ge­setzt. Eine Zeit­lang klan­gen alle neu­en Bands wie Franz Fer­di­nand und/​oder The Strokes, dann fin­gen jun­ge deut­sche Musi­ker alle­samt an, in ihrer Mut­ter­spra­che zu sin­gen.

Wel­che deut­schen Bands sin­gen denn heu­te noch auf Eng­lisch? Wenn wir die Scor­pi­ons und The Boss Hoss mal außen vor las­sen, sind die Beat­steaks die größ­te unter ihnen, dann kom­men die Dono­ts, dann viel­leicht irgend­wann Slut – alle sind sie seit über 15 Jah­ren dabei, der Nach­wuchs ist nie nach­ge­wach­sen. Die letz­te eng­lisch­spra­chi­ge Band aus Deutsch­land, an die ich mich erin­nern kann, waren Oh, Napo­le­on. Kei­ne Ahnung, was aus denen gewor­den ist, aber der Schlag­zeu­ger hat gera­de sein Solo­de­büt ver­öf­fent­licht – auf Deutsch, natür­lich. Da wirkt die Fra­ge, war­um Deutsch­land beim Euro­vi­si­on Song Con­test eigent­lich immer nur auf Eng­lisch sin­ge, plötz­lich gar nicht mehr so bescheu­ert.

Aber zurück zu Mybal­loon: „Per­fect View“ ist nach heu­ti­gen Maß­stä­ben natür­lich kein dol­les Album – das war es ver­mut­lich nicht mal bei sei­nem Erschei­nen vor 13 Jah­ren. Aber die Songs, die ich damals gehört habe und deren Klang sich unum­kehr­bar mit dem Ein­druck von Son­nen­un­ter­gän­gen am Rhein und dem Geschmack von OhmeinGott­zwin­gen­Sie­mich­nicht­mi­chan­den­Na­men­die­ser­Ge­trän­ke­zuerin­nern ver­knüpft hat, die leuch­ten immer noch vor sich hin. Für 1,59 Euro jetzt auch in mei­nem Regal (zzgl. drei Euro Ver­sand­kos­ten).

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Alben des Jahres 2011

Schnell auf „Pau­se“ gedrückt, noch ein­mal kurz zurück­ge­guckt und dann beschlos­sen, dass ich jetzt die defi­ni­ti­ve Lis­te mei­ner Lieb­lings­al­ben 2011 (Stand: 23. Dezem­ber, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plät­ze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könn­ten auch eine ganz ande­re Rei­hen­fol­ge haben, die Plät­ze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gera­de als der Ein­druck ent­stand, dass Wal­ter Schrei­fels end­gül­tig den Über­blick ver­lie­ren könn­te über all sei­ne Bands und Pro­jek­te, besann sich das Hard­core-Urge­stein auf sei­ne Band Rival Schools, mit der er vor immer­hin zehn Jah­ren mal ein Album auf­ge­nom­men hat­te. „Pedals“ reicht nicht an „United By Fate“ her­an, ist aber ein erfri­schend leben­di­ges Rock­al­bum für Men­schen, die sich unter „Rock“ dann doch noch etwas ande­res vor­stel­len als Nickel­back oder Sun­ri­se Ave­nue.

24. Foo Figh­ters – Was­ting Light
Leu­te, irgend­was stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Wal­ter Schrei­fels auch) 42 Jah­re alt, was im Rock­busi­ness frü­her mal 90 Jah­ren im Schla­ger­ge­schäft ent­sprach. Und doch müs­sen die­se ver­dien­ten „alten“ Her­ren der Jugend zei­gen, wie man ordent­li­che Rock­mu­sik macht? Den Foo Figh­ters kann man jeden­falls nichts vor­wer­fen, außer, dass sie sich ein biss­chen aufs busi­ness as usu­al ver­legt haben. Aber dann hau­en die so Din­ger wie „Rope“, „White Limo“ und ganz am Ende „Walk“ raus und der Nach­wuchs steht irgend­wo in der Gegend rum und guckt betre­ten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ers­ten eige­nen Woh­nung von den Eltern die Ikea-Rega­le auf­bau­en las­sen muss!

23. Oh, Napo­le­on – Year­book
Was habe ich auf die­ses Album gewar­tet! Vor zwei Jah­ren. Doch bis Uni­ver­sal das Debüt end­lich auf den Markt gebracht hat­te, war der Span­nungs­bo­gen in sich zusam­men­ge­fal­len, und dann waren die bes­ten Songs aus­ge­rech­net die, die schon vor zwei Jah­ren auf der selbst­be­ti­tel­ten EP ent­hal­ten waren. Doch von die­sen (klei­nen) Ent­täu­schun­gen ab ist „Year­book“ ein wun­der­ba­res Pop­al­bum gewor­den. „To Have /​ To Lose“ und „A Book Ending“ haben nichts von ihrer erha­be­nen Schön­heit ein­ge­büßt und mit „Save Me“, „I Don’t Mind“ oder „Pick Some Roses“ sind auch genug Per­len unter den „neu­en“ Songs (die die Band seit Jah­ren live spielt). Deutsch­lands bes­te Nach­wuchs­bands kom­men halt nach wie vor vom Nie­der­rhein, aber eine Fra­ge hät­te ich noch: War­um läuft so schö­ne Musik nicht im Radio?

22. The Wom­bats – This Modern Glitch
„Tokyo (Vam­pi­res & Wol­ves)“, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweit­werk der Wom­bats, war eine ver­dammt gro­ße Ansa­ge und mein Song des Jah­res 2010. „This Modern Glitch“ löst das Ver­spre­chen der Sin­gle weit­ge­hend ein: Cle­ve­rer Indie­rock mit viel Gele­gen­heit zum Mit­sin­gen und ‑tan­zen, der sich dank aus­ufern­dem Syn­thie-Ein­satz vom schlich­ten Jungs-mit-wil­den-Haa­ren-schau­keln-ihre-Gitar­ren-im-Ach­tel­takt-Gedöns abhebt.

21. The Decem­be­rists – The King Is Dead
Autos, die auf end­lo­sen stau­bi­gen ame­ri­ka­ni­schen High­ways Rich­tung Son­nen­un­ter­gang brau­sen. Jetzt haben Sie zumin­dest ein Bild von den Bil­dern, die „The King Is Dead“ in mir beim Hören aus­löst. Recht coun­try­las­tig ist es gewor­den, das sechs­te Album der Band um Colin Meloy, aber fern­ab des schreck­li­chen Kom­merz-Radio-Coun­try und fern­ab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt ent­schul­di­gen, ich geh grad mei­nen LKW-Füh­rer­schein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neun­zi­ger sind zurück und mit ihnen die Shoe­ga­ze-Bands mit unschein­ba­ren Front­män­nern und Jeans­hem­den. „Yuck“ ent­hält zwölf char­man­te Pop­songs, die sich ein biss­chen hin­ter ver­zerr­ten Gitar­ren ver­ste­cken, und sich des­halb viel­leicht nicht immer sofort ent­fal­ten.

19. Fink – Per­fect Dark­ness
Ich habe nie eine Lis­te im Kopf gehabt, was wohl die bes­ten Kon­zer­te gewe­sen sein könn­ten, die ich in mei­nem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Okto­ber in der Bochu­mer Zeche gese­hen und war mir sicher, dass er es gera­de min­des­tens in die bis­her nicht vor­han­de­ne Top 5 geschafft hat­te. Was für ein kla­rer Sound, was für gran­dio­se Songs, wie per­fekt dar­ge­bo­ten von Fin Green­all und sei­ner Band. Ich habe „Per­fect Dark­ness“ viel zu sel­ten gehört, weil es mir von der Stim­mung her meis­tens nicht pass­te, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Man­ne­quin – Peo­p­le And Things
„The Glass Pas­sen­ger“, das zwei­te Album von Jack’s Man­ne­quin, war für mich per­sön­lich das wich­tigs­te Album der letz­ten fünf Jah­re, viel­leicht habe ich in mei­nem gan­zen Leben kein Album so oft gehört wie die­ses. Der Nach­fol­ger muss­te also gegen schier über­mensch­li­che Erwar­tun­gen ankämp­fen und konn­te nur ver­lie­ren. Tat­säch­lich waren die ers­ten fünf, sechs Durch­gän­ge eine Ent­täu­schung, ich war schon kurz davor, „Peo­p­le And Things“ ein­fach im Regal ver­schwin­den zu las­sen. Aber so lang­sam habe ich mich dann doch in die Songs rein­ge­hört. Sie sind zwar ins­ge­samt schon arg glatt gera­ten, aber ich kann Andrew McMa­hon ein­fach nicht wider­ste­hen, wenn er von den Her­aus­for­de­run­gen und Rück­schlä­gen des Lebens singt, die es zu meis­tern und zu über­win­den gilt. Das kann man alles ganz, ganz schreck­lich fin­den, aber ich fin­de es wun­der­bar.

17. Delay Trees – Delay Trees
„Kun­den, denen Band Of Hor­ses gefiel, kauf­ten auch Delay Trees“. Steht da merk­wür­di­ger­wei­se nicht, wür­de aber stim­men. Ich ken­ne das Debüt der fin­ni­schen Indie­band erst seit weni­gen Wochen, des­we­gen bin ich womög­lich ein biss­chen zu vor­sich­tig mit mei­nem Lob, aber allein der Ope­ner „Gold“ ist mit sei­ner ste­ti­gen Stei­ge­rung ein wah­res Meis­ter­werk. Die­se Mischung aus Melan­cho­lie und Eupho­rie hält an und lässt das gan­ze Album klin­gen wie den Sound­track zu dem Moment, in dem man sich nach einer durch­fei­er­ten Nacht und nach Son­nen­auf­gang ins Bett fal­len lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manch­mal ist die Musik­welt schon rät­sel­haft: Wäh­rend die Kings Of Leon inzwi­schen rie­si­ge Are­nen fül­len, tre­ten die Cold War Kids nach wie vor in klei­nen Clubs auf. Dafür haben sie kei­nen Song über sexu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten, der dank Dau­er­pe­ne­tra­ti­on in Clubs, Radi­os und Fuß­ball­sta­di­en inzwi­schen unhör­bar gewor­den ist, son­dern leicht ange­schmutz­te Rock­hym­nen wie den Titel­song oder „Lou­der Than Ever“.

15. R.E.M. – Col­lap­se Into Now
Das war es dann also, das letz­te Album die­ser leben­den Legen­den aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vor­bei, um ihre Auf­war­tung zu machen: Pat­ti Smith und Len­ny Kaye, Eddie Ved­der, Pea­ches und Joel Gibb von den Hid­den Came­ras. Es war ein wür­de­vol­ler Abschied, der nur einen Nach­teil hat­te: „Col­lap­se Into Now“ war bereits das fünf­zehn­te Album einer Band, die so vie­le Klas­si­ker geschaf­fen hat­te, dass jeder neue Song ein biss­chen sinn­los und unnö­tig wirk­te. Aber, mein Gott: Das ist Jam­mern auf aller­höchs­tem Niveau.

14. Jupi­ter Jones – Jupi­ter Jones
Kei­ner Band der Welt hab ich ihren spä­ten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupi­ter Jones: Jah­re­lang hat sich die Trup­pe den Arsch abge­spielt, jetzt dür­fen sie end­lich den Lohn der Arbeit ein­fah­ren. Dass nach „Still“, im Früh­jahr die meist­ge­spiel­te deutsch­spra­chi­ge Sin­gle im Radio, jetzt auch Revol­ver­held-Hörer zu Hun­der­ten in die Kon­zer­te strö­men, ist völ­lig okay: Ers­tens ist das ein­fach ein groß­ar­ti­ger Song und zwei­tens ent­schä­digt die Fas­sungs­lo­sig­keit, die sich ein­stellt, wenn Jupi­ter Jones Songs aus ihrem Punk-Früh­werk aus­pa­cken, für alles. Den höhe­ren Preis eines erfolg­rei­chen Major-Acts muss die Band im Janu­ar zah­len, wenn „Jupi­ter Jones“ als „Delu­xe Edi­ti­on“ erneut auf den Markt geschmis­sen wird.

13. Dra­ke – Take Care
Es ist ein biss­chen trau­rig, dass in Rezen­sio­nen immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den muss, dass es auch intel­li­gen­ten Hip-Hop gibt – zumal das dann gleich an den lang­wei­li­gen deut­schen „Stu­den­ten­rap“ erin­nert. Las­sen Sie es mich also so sagen: „Take Care“ ist ein sehr lan­ges, sehr zurück­ge­lehn­tes Album, das so unge­fähr das Gegen­teil von all dem Protz- und Blingbling-Rap dar­stellt, den man sonst (mut­maß­lich) im Musik­fern­se­hen sieht. Wenn Dra­ke über „bit­ches“ und sex („four times this week“) rappt, dann selbst­re­fle­xiv und ‑kri­tisch. Das Album ist ein acht­zig­mi­nü­ti­ger Emo-Kater, nach dem man alles wer­den möch­te, nur nicht erfolg­rei­cher Rap­per. Ande­rer­seits: Wenn dabei so gran­dio­se Musik her­um­kommt …

12. The Low Anthem – Smart Fle­sh
Beim Hald­ern 2010 stand ich mit offe­nem Mund im Spie­gel­zelt und konn­te mich nicht ent­schei­den, ob ich jetzt Gän­se­haut krie­gen, los­heu­len oder vor lau­ter Schön­heit ein­fach tot umfal­len soll­te. 2011 spiel­ten The Low Anthem dann auf der gro­ßen Büh­ne, aber das Publi­kum war fast stil­ler als im letz­ten Jahr. Was für ein berüh­ren­des, groß­ar­ti­ges Folk-Album!

11. The Moun­tain Goats – All Eter­nals Deck
Über Jah­re waren die Moun­tain Goats immer nur via Rock­ma­ga­zin-Sam­pler am Ran­de mei­ner Wahr­neh­mung auf­ge­taucht, bis mir eine Freun­din die­ses Jahr (genau genom­men: vor zwei Wochen) „Never Quite Free“ vor­spiel­te. Nach­dem ich den Song etwa zwei Dut­zend Mal auf You­Tube gehört hat­te, woll­te ich mehr und „All Eter­nals Deck“ hält viel davon bereit: Vom hin­ge­rotz­ten „Estate Sale Sign“ bis zu dunk­len Bal­la­den wie „The Age Of Kings“. Und natür­lich immer wie­der „Never Quite Free“.

10. Ade­le – 21
Über Wochen hat­te ich „Rol­ling In The Deep“ im Radio gehört und für „ganz gut“ befun­den, dann stand ich wäh­rend der Pro­ben zur Echo-Ver­lei­hung irgend­wo hin­ter der Büh­ne, guck­te auf einen der Kon­troll­mo­ni­to­re und dach­te „Wow!“ Trotz­dem brauch­te es noch acht Mona­te und gefühl­te zwan­zig Sin­gle­aus­kopp­lun­gen, bis ich mir „21“ end­lich gekauft habe. Was für ein tol­les Album das ist und wie unka­putt­bar die Songs selbst bei maxi­ma­ler Radio­ro­ta­ti­on sind! Mit Unter­stüt­zung von unter ande­rem Rick Rubin und Dan Wil­son (Semiso­nic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaf­fen, das sicher in eini­gen Jah­ren als Klas­si­ker gel­ten wird. Und wer „Someone Like You“ unge­rührt über­steht, soll­te viel­leicht mal beim Arzt fest­stel­len las­sen, ob er nicht viel­leicht einen Eis­klotz im Brust­korb spa­zie­ren trägt.

9. Noah And The Wha­le – Last Night On Earth
Noah And The Wha­le waren für mich so eine typi­sche Hald­ern-Band: Hun­dert­mal auf Pla­ka­ten und im Pro­gramm­heft gele­sen, aber nie bewusst gese­hen. Dann habe ich „L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.“ gehört, die­ses eben­so dreis­te wie gelun­ge­ne Bei­na­he-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makel­lo­ser Indiepop mit schö­nen Melo­dien und durch­dach­ten Arran­ge­ments, der irgend­wie direkt in die Eupho­rie­steue­rung mei­nes Gehirns ein­greift.

8. Exam­p­le – Play­ing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dub­step, Indie – alles, was heut­zu­ta­ge mehr oder weni­ger ange­sagt ist, ist in der Musik von Elli­ot Glea­ve ali­as Exam­p­le ent­hal­ten. Vom stamp­fen­den „Chan­ged The Way You Kissed Me“, das jedem Auto­scoo­ter gut zu Gesicht stün­de, über das fast brit­pop­pi­ge „Micro­pho­ne“ bis hin zum dra­ma­ti­schen „Lying To Yours­elf“: Exam­p­le rappt und singt sich durch die ver­schie­dens­ten Sti­le und schafft damit ein abwechs­lungs­rei­ches, aber in sich völ­lig schlüs­si­ges Album, das irgend­wie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möch­te.

7. Cold­play – Mylo Xylo­to
Es scheint unter Jour­na­lis­ten und ande­ren Indi­en­a­zis inzwi­schen zum guten Ton zu gehö­ren, Cold­play schei­ße zu fin­den. „Iiiih, sie sind erfolg­reich, ihre Kon­zer­te machen Band und Publi­kum Spaß und über­haupt: Ist das nicht U2?“, lau­tet der Tenor und tat­säch­lich kann ich vie­le Kri­tik­punk­te ver­ste­hen, aber nicht nach­voll­zie­hen. Auf „Mylo Xylo­to“ sind Cold­play so unge­stüm unter­wegs wie noch nie, ihre Songs sind über­dreht und uplif­ting und zwi­schen­durch schlie­ßen sie mit ruhi­gen Akus­tik­num­mern den Kreis zu ihrem ers­ten Album „Parach­u­tes“ aus dem Jahr 2000. Seit „A Rush Of Blood To The Head“ hat mich kein Album von Cold­play mehr so begeis­tert und womög­lich sind die vier Eng­län­der tat­säch­lich die letz­te gro­ße Band. Kaum eine ande­re Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu ver­än­dern und sich doch immer treu zu blei­ben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Chris­ten­sen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihan­na sin­gen, dann ist das so kon­se­quent zu Ende gedach­te Pop­mu­sik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hin­be­kommt. Und wenn das jetzt alle hören, soll­te man das fei­ern – es gibt ja nun wirk­lich Schlim­me­res.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So rich­tig hohe Erwar­tun­gen hat­te wohl nie­mand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Con­nor Obersts letz­te Lebens­zei­chen gewe­sen. Und dann kommt er ein­fach und haut ein Indierock­al­bum raus, zu dem man sogar tan­zen kann. Gut: Die Pas­sa­gen mit gespro­che­nem Text und Welt­raums­ounds muss man natür­lich aus­hal­ten, aber dafür bekommt man ein merk­wür­dig opti­mis­ti­sches Gesamt­werk und mit „Shell Games“ einen fast per­fek­ten Pop­song.

5. James Bla­ke – James Bla­ke
Nie in mei­nem Leben habe ich hef­ti­ge­re Bäs­se in mei­nem Kör­per vibrie­ren spü­ren als bei James Blakes Auf­tritt auf dem Hald­ern Pop. Es reg­ne­te leicht und die­se Sin­ger/­Song­wri­ter-Post-Dub­step-Songs zogen über das Publi­kum wie sehr gefähr­li­che Gewit­ter­wol­ken. Die­se düs­te­re und anstren­gen­de Musik ist nicht für die Beschal­lung von Din­ner­par­tys geeig­net, aber sie ist ver­dammt bril­lant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neun­zi­ger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoe­ga­ze-Erfolgs­re­zept von vor zwei Jah­ren um mini­ma­le Grunge-Ein­spreng­sel erwei­tert. Das ist auf Plat­te eben­so schön wie live und beglei­tet mich jetzt seit Mai.

3. Jona­than Jere­mi­ah – A Soli­ta­ry Man
Auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val war ich so weit, dass ich dem nächs­ten Jun­gen mit Akus­tik­gi­tar­re sel­bi­ge über den Schä­del zie­hen woll­te. Dann hör­te ich „Hap­pi­ness“ von Jona­than Jere­mi­ah im Radio und war begeis­tert. Der Mann packt die See­le zurück in Soul – und alles Ande­re hab ich ja schon im August geschrie­ben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Jun­ge mit Gitar­re! Ed Sheeran war wäh­rend mei­nes Schott­land-Urlaubs im Sep­tem­ber das Hype-The­ma auf der Insel und er ist so etwas wie das feh­len­de Bin­de­glied zwi­schen Dami­en Rice und Jason Mraz, zwi­schen Get Cape. Wear Cape. Fly und Niz­lo­pi. Die ruhi­gen Songs sind erschre­ckend anrüh­rend, ohne jemals Gefahr zu lau­fen, kit­schig zu wer­den, und bei den schnel­le­ren Stü­cken kann der 21-Jäh­ri­ge (fuck it, I’m old) bewei­sen, dass er genau­so gut rap­pen wie sin­gen kann. „+“ ist ein phan­tas­ti­sches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutsch­land kommt es im neu­en Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Jun­ge mit Gitar­re. Und noch zwei Gitar­ren. Und ein Bass. Syn­the­si­zer. Eine Blä­ser­sek­ti­on. Und nicht einer, son­dern gleich zwei Schlag­zeu­ger. Jus­tin Ver­non hat gut dar­an getan, sei­ne als Ein-Mann-Pro­jekt gestar­te­te Band zur Big­band aus­zu­bau­en, und einen deut­lich opu­len­te­ren Sound zu wäh­len als bei „For Emma, Fore­ver Ago“. So las­sen sich Debüt und Zweit­werk kaum ver­glei­chen und „Bon Iver“ kann ganz für sich selbst ste­hen mit sei­nen Tracks, die teil­wei­se eher Klang­räu­me sind als Songs, und die trotz­dem ganz natür­lich und kein Stück kal­ku­liert wir­ken. Vom anfäng­li­chen Zir­pen des Ope­ners „Perth“ bis zu den letz­ten Echos des viel dis­ku­tier­ten Schluss­songs „Beth/​Rest“ ist „Bon Iver“ ein Meis­ter­werk, an dem 2011 nichts und nie­mand vor­bei­kam.

Hin­weis: Bit­te hal­ten Sie sich beim Kom­men­tie­ren an die Regeln.

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Mein Reim auf Schmerz

Es ist (mal) wie­der Som­mer in Ber­lin. Über­all lun­gern die Leu­te in Parks und in den Außen­gas­tro­no­mie­be­rei­chen (drau­ßen nur Selbst­be­die­nung) rum, von der Ober­baum­brü­cke, wo man sowie­so den schöns­ten Blick auf die Stadt hat, sieht Ber­lin in der Abend­son­ne regel­recht ein­la­dend und schön aus. Also die opti­ma­len äuße­ren Vor­aus­set­zun­gen, um sich mit ein paar hun­dert ande­ren Men­schen in einen Raum zu quet­schen, der frei von Son­nen­licht und Sau­er­stoff ist.

The Pains Of Being Pure At Heart sind in der Stadt, deren Popu­la­ri­tät ich nie wirk­lich abschät­zen kann, weil eini­ge mei­ner Bekann­ten und Freun­de die Band seit Jah­ren abfei­ern, als gäbe es auf der Welt gar kei­ne ande­ren. Kein ande­res Album habe ich die­ses Jahr schon so oft gehört wie „Belong“, das fan­tas­ti­sche Zweit­werk der Band aus New York City. Ande­rer­seits wur­de das Kon­zert vom Post­bahn­hof in den klei­ne­ren Magnet Club ver­legt.

Eröff­net wird das Kon­zert von Oh, Napo­le­on, die ich hier und andern­orts vor andert­halb Jah­ren schon mal groß abge­fei­ert habe. Letz­te Woche ist end­lich ihr Debüt­al­bum erschie­nen – es ist durch­aus schön gewor­den, aber die bes­ten Songs dar­auf sind die, die auch schon auf der ers­ten EP der Band zu hören waren. Live ist das heu­te eher alles so mit­tel und die Songs, die ich noch mit­be­kom­me (weil ich vor­her zu lan­ge in Abend­son­ne und Außen­gas­tro­no­mie­be­rei­chen geses­sen habe), sind lei­der über­wie­gend lang­wei­lig.

Um kurz nach 22 Uhr steht dann die Haupt­band auf der Büh­ne und wenn ich auf­grund ihrer Musik ein Phan­tom­bild hät­te erstel­len sol­len, dann hät­te ich latent unter­ge­wich­ti­ge Mitt­zwan­zi­ger in Mathe­ma­tik­stu­den­ten­hem­den gezeich­net. Ein Kli­schee, das der Bas­sist freund­li­cher­wei­se erfüllt, wäh­rend Sän­ger Kip Ber­man ein nicht min­der pas­sen­des Bel­le-And-Sebas­ti­an-T-Shirt trägt.

The Pains Of Being Pure At Heart

Wäh­rend die Bratz­gi­tar­ren auf den Alben von The Pains Of Being Pure At Heart meist so weit in den Hin­ter­grund gemischt sind, dass sie unter dem Gesang von Ber­man und Key­boar­de­rin Peg­gy Wang her­vor­schim­mern, sind sie hier domi­nant. Von Wang ist ent­spre­chend kaum etwas zu hören.

Die Set­list ist so, wie man seit den Kil­lers sei­ne Set­list auf­zu­bau­en hat: Alle Hits am Anfang weg­bal­lern. In die­sem Fall „Belong“, „This Love Is Fuck­ing Right“ und „Heart In Your Heart­break“. Damit sind auch fast alle POB­PAH-Songs durch, die ich nament­lich benen­nen kann, die meis­ten klin­gen ja eh so ähn­lich, dass man sich zwi­schen­durch fragt, ob tat­säch­lich immer alle Band­mit­glie­der gemein­sam das glei­che Lied spie­len oder jeder ein ande­res.

Aber das macht gar nichts, im Gegen­teil: Die Eupho­rie und die Raum­tem­pe­ra­tur stei­gen gemein­sam an und als Kip Ber­man dann nach vie­len, vie­len Songs doch mal etwas sagt, stellt er fest, dass dies die bis­her ent­zü­ckends­te Show der Band in Ber­lin gewe­sen sei.

Wäh­rend des Kon­zerts bin ich mir sicher, anschlie­ßend taub zu sein, aber das täuscht: mei­ne Ohren klin­gen kaum nach, die Musik war also eher inten­siv als laut. So ähn­lich muss sich das ange­fühlt haben, Ende der Acht­zi­ger, Anfang der Neun­zi­ger, als die ers­te gro­ße Shoe­ga­ze-Wel­le in die Clubs brach und Bands wie The Pri­mi­ti­ves, My Bloo­dy Valen­ti­ne und Slow­di­ve auf den Büh­nen stan­den. Alles, was auf Plat­te bei­na­he lieb­lich klingt, ist live kraft­voll. Eigent­lich ist alles kraft­voll, wes­we­gen man dem Kon­zert schon ein wenig man­geln­de Abwechs­lung vor­wer­fen kann. Ledig­lich „Con­ten­der“, das Ber­man ohne Band (aber natür­lich auch auf der E‑Gitarre) spielt, hebt sich im Sound vom Rest der Set­list ab.

Nach etwas über einer Stun­de sind alle nass geschwitzt (die Musi­ker beson­ders) und die Band lässt sich auch von anhal­ten­dem Jubel nicht zu einem zwei­ten Zuga­be-Block über­re­den.

Ihren Off-Day am Mitt­woch woll­ten The Pains Of Being Pure At Heart unter ande­rem für einen Besuch des Ramo­nes-Muse­ums nut­zen, ihre Kon­zer­te in den nächs­ten Tagen (und Wochen) soll­ten Sie sich nicht ent­ge­hen las­sen:

7. Juli Dort­mund, FZW
9. Juli Köln, Luxor
13. Juli Bre­men, Lager­haus Bre­men
14. August Ham­burg, Dock­ville Fes­ti­val

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Musik Unterwegs

Camp Indie Rock

- von Tom­my Fin­ke -

DONNERSTAG
Groß­zü­gi­ger­wei­se habe ich mich als Fah­rer ange­bo­ten und neh­me mei­nen Teil der Rei­se­grup­pe Hald­ern 2010 vom Bahn­hof Bochum aus mit.

Wäh­rend Rosa und Marie bei­de vor­ne Platz neh­men, neh­me auch ich vor­ne Platz. Die Vor­zü­ge eines Band­au­tos: 3 Sit­ze in der ers­ten Rei­he. Marie hat ein iPad ein­ge­packt, ich muss dar­über ein wenig lachen, bin aber eigent­lich nei­disch. Ihr Ziel beim Hald­ern ist medi­en­tech­ni­scher Natur: Sie hat einen der begehr­ten Foto­päs­se. Mit Rosa war ich 2008 schon mal auf dem Hald­ern. Und ich freue mich, dass sie dies­mal wie­der dabei ist! Die Fähig­keit, sich über Tage fast aus­schließ­lich von Rot­wein und Musik zu ernäh­ren, macht Rosa zu einer per­fek­ten Feti­val­be­su­che­rin. Und zu einem medi­zi­ni­schen Wun­der.

Unser Zelt­platz ist, ein­mal ange­kom­men, leicht abschüs­sig, dafür haben wir aber in alle Rich­tun­gen net­te Nach­barn. Wir ver­zwei­feln an Maries Zelt, aber der Hin­weis, man kön­ne zumin­dest mal ver­su­chen, alle Stan­gen mit der glei­chen Num­mer inein­an­der zu ste­cken, ist aus­schlag­ge­bend. Inzwi­schen ist auch Chris­toph mit Sophie ange­reist.

Ich spie­le den Rea­lis­ten und öff­ne das ers­te Dosen­bier. Das ist hier schließ­lich kein Kin­der­ge­burts­tag und wir haben schon deut­lich nach 16 Uhr. Alle wol­len wir zwar Seabear im Spie­gel­zelt sehen, aber die Schlan­ge ist schon um 18 Uhr so lang, dass wir uns ent­schlie­ßen, noch­mal kurz zurück zum Zelt­platz zu gehen und, nun­ja, vor­zuglü­hen. Ich stol­pe­re an Foto-Ger­rit vor­bei, mei­ne ein­zi­ge fes­te Hald­ern-Freund­schaft. Ger­rit ist berühmt gewor­den mit einer Aus­stel­lung über die Fotos der Schu­he der Stars: „Dancing Shoes“.

Ger­rit macht den Vor­schlag, mich am nächs­ten Tag zu foto­gra­fie­ren, aber wie jedes Jahr krie­gen wir es über­haupt nicht hin, uns zu einer fes­ten Uhr­zeit irgend­wo zu tref­fen, obwohl wir uns die nächs­ten 3 Tage immer wie­der begeg­nen. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht nicht, Ger­rit hat­te in Zusam­men­hang mit der Foto­ses­si­on das Wort „nackt“ gebraucht. Ich hof­fe, das liegt an sei­nem letz­ten groß­ar­ti­gen Pro­jekt, ein Herz geformt aus nack­ten Fes­ti­val­be­su­chern beim Melt.

Wir ande­ren gehen zurück zum Zelt­platz, den wir für heu­te dann nicht mehr ver­las­sen, denn auch spä­ter berich­ten unse­re Spio­ne von undurch­dring­li­chen Men­schen­mas­sen an und ums Spie­gel­zelt. Uns ist das egal, die Chris­tophsche Ein­kaufs­wut beschert uns Grill­gut und Gin-Tonic. Zusätz­lich ist Nacht der Stern­schnup­pen und so gucken wir alle stun­den­lang in den Him­mel. Irgend­wel­che leicht zu begeis­tern­den Leu­te rufen bei jeder Stern­schnup­pe „Oh!“ und „Ah!“, wir blei­ben still, weil wir das nicht für Feu­er­werk hal­ten, son­dern für etwas Grö­ße­res. Ich bin gerührt, weil ich jede Stern­schnup­pe zwei­mal sehe.

Aus einem nahen Zelt dringt ein schwä­beln­des Stöh­nen. Das Prin­zip „Wenn ich sie nicht sehe, dann hören sie mich auch nicht“, hat wie­der nicht funk­tio­niert.

Haldern Pop 2010

FREITAG
Am nächs­ten Mor­gen habe ich einen Geschmack im Mund, der Tote umbrin­gen könn­te. Ich neh­me mir vor, die­sen Abend drin­gend die Zäh­ne zu put­zen, bevor ich ins Zelt stei­ge. Marie ist schon wach und macht Kaf­fee.

Heu­te ist der Tag, an dem wir min­des­tens Del­phic und Mum­ford & Sons sehen müs­sen. Außer­dem gibt es auf dem Pro­gramm heu­te ein Fra­ge­zei­chen und es ging das Gerücht rum, dass es sich um Bel­le & Sebas­ti­an han­deln könn­te. Aber nein, es kommt anders, und zwar in Form von: Phil­ipp Poi­sel. Die Leu­te: nicht begeis­tert. Was für ein unan­ge­mes­se­ner Ersatz für die gedank­lich schon gebuch­ten Bel­le & Sebas­ti­an. Da hät­te ja gleich ich spie­len kön­nen. Selbst­re­fle­xi­on, mei­ne Damen und Her­ren.

Ein paar hun­dert Meter wei­ter hat­te ich ges­tern schon Tei­le der Fog Jog­gers und Oh, Napo­le­on getrof­fen. Ja, mei­ne Damen und Her­ren, hier cam­pen die klei­nen Künst­ler noch selbst. Ich beschlie­ße, noch­mal rüber­zu­ge­hen und hal­lo zu sagen. Sophie schließt sich mir an, da auch sie dort jeman­den („Fre­de­rik!!!“) kennt. Jan von den Fog Jog­gers hat mein Album dabei, er mag es. Dass ich die Fog Jog­gers EP so rich­tig groß­ar­tig fin­de, behal­te ich für mich, damit es ihm nicht zu Kopf steigt. Sophie hat inzwi­schen Fre­de­rik am Ran­de der Jog­gers-Grup­pe aus­fin­dig gemacht. Er liegt auf dem Boden mit einem T‑Shirt über sei­nem Kopf, ver­ka­tert und apa­thisch. Ein­mal auf­ge­wacht, stellt er sich als sym­pa­thi­scher Kerl her­aus, lacht über wirk­lich jeden mei­ner bekann­ter­ma­ßen schlech­ten Wit­ze. Ich über­le­ge, ihn zu adop­tie­ren oder zumin­dest anzu­stel­len.

Sophies Freun­din Lisa reist auch noch an und hat ein Sagro­tan-Arse­nal ein­ge­packt, das man­che Klo­frau nei­disch machen dürf­te. Dass Sie Ihren Hund Treu nicht mit­neh­men durf­te, fin­det sie doof. Außer­dem wirkt sie augen­schein­lich etwas irri­tiert, wie die Leu­te hier so leben. Der Grund dafür ist schnell gefun­den: Es ist, mit 28 Jah­ren, ihr aller­ers­tes Fes­ti­val.

Die arme Lisa! Wir beschlie­ßen, Ihr alles wich­ti­ge über das Hald­ern Pop bei­zu­brin­gen und gehen zusam­men zum berühm­ten See zum Schwim­men. Ich selbst war da zwar bis­her auch noch nie drin, ist aber auch erst mein vier­tes Hald­ern. Dass jedoch Chris­toph nach knapp 10 Jah­ren Hald­ern noch nie in dem See schwim­men war, fin­de ich bemer­kens­wert. Immer­hin ist der See umsonst, die Duschen kos­ten Geld. Sie ver­ste­hen? Eben.

Björn und Fre­de­rik schwim­men nicht nur, sie haben auch Bier mit­ge­bracht. Für Im-See-trin­ken. Ich habe aus Fuß-Auf­schlitzungs­angst mei­ne Gum­mi­stie­fel an. Beim Schwim­men. Zur Bade­ho­se sieht das schei­ße aus, aber das hier ist ja kein Mode­wett­be­werb.

Wir machen uns den Spaß und gucken uns Phil­ipp Poi­sel an. Nun ja. Das Fra­ge­zei­chen bleibt eines. Mir fällt auf, dass der Key­boar­der, der übri­gens schwä­belt, nicht rich­tig zu hören ist. Scha­de. Ich bin da etwas alt­mo­disch: Ich mag mei­ne Instru­men­te hör­bar. Ansons­ten schwankt der Auf­tritt irgend­wo zwi­schen Xavier Naidoo und Madsen. Zumin­dest nicht mei­ne bevor­zug­ten musi­ka­li­schen Eck­punk­te.

Wäh­rend Phil­ipp noch vor sich hin poi­selt, besu­chen wir das Spie­gel­zelt, und irgend­wie pas­siert das Unglück: Die Zeit ist zu schnell ver­gan­gen! Als wir auf die Uhr sehen und zur Haupt­büh­ne hech­ten, spie­len Del­phic gera­de ihr letz­tes Lied. Ich bei­ße mir in den Arsch, denn was ich sehe und höre ist die groß­ar­tigs­te Indie-Elec­t­ro-Explo­si­on seit Lan­gem. Da könnt Ihr Euch mal alle umgu­cken, Ihr Zoot Women. Ich bin trotz­dem hin und weg, das hat mir wirk­lich gut gefal­len. Del­phic. Scheiß Name, gei­ler Sound.

Dies­mal sind wir schlau­er und blei­ben an der Haupt­büh­ne. Denn es folgt die Band der Stun­de: Mum­ford & Sons, lie­be­voll in Man­fred & Söh­ne umge­ti­telt von … nun­ja. Muss ich zur Band noch was sagen? Ich mag die wech­seln­den Instru­men­te, von der Sei­te sehe ich nicht genau, wer wann singt. Spä­ter sagt man mir, der Sän­ger hät­te auch getrom­melt. Ich muss an Phil Coll­ins den­ken, erschie­ße mich aber inner­lich dafür. Was für eine Band! Die­se fol­ki­ge Melan­cho­lie, die­se hol­zi­ge Eupho­rie. Gän­se­haut, Trä­nen in mei­nen Augen. Und zack: vor­bei.

Als Bei­rut fol­gen ver­su­che ich, einen akus­ti­schen Fil­ter in mei­nem Kopf zu for­men, der aus Bei­rut wie­der Mum­ford & Sons macht. Gelingt mir nicht, aber Bei­rut sind auch klas­se. Viel­leicht etwas undank­bar, die armen hin­ter die­ser Kra­cher­band auf die Büh­ne zu schi­cken.

Aber abge­se­hen davon: ein wirk­lich aus­ge­las­se­ner Frei­tag auf dem Hald­ern Pop. Für mich per­sön­lich noch von der Tat­sa­che ver­edelt, dass ich auf dem Boden 20 „Pop­ta­ler“ fin­de, die Hald­er­ner Wäh­rung für die Geträn­ke. Wenn man den Pfand für sich selbst abzieht (und den scheiß Becher nicht ver­liert), kann man gut und ger­ne 9 Bier dafür ein­tau­schen. Hur­ra.

Haldern Pop 2010

SAMSTAG
Dies­mal gehen wir eher auf das Gelän­de, weil wir ger­ne Por­tu­gal. The Man sehen möch­ten. Schaf­fen wir sogar. Tol­le Band, sind an die­sem Tag aber sehr Riff-las­tig. Ich selbst has­se ja Riffs, weil ich so ein schlech­ter Gitar­rist bin und mir beim zuhö­ren immer die Noten in den Kopf flie­gen und mich dar­an erin­nern, dass ich üben soll­te. Mach ich viel­leicht mal. Der Auf­tritt macht auf jeden Fall Spaß und Sophie hat Sei­fen­bla­sen­zeugs dabei, wel­ches wir ein­set­zen. Und – oh natur­be­las­se­nes Hald­ern Pop – eine majes­tä­ti­sche Libel­le lässt sich neben der Bass­box nie­der, wäh­rend ein Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter die Unter­sei­te sei­ner Arme in die Son­ne hält. Nicht aus Freu­de am Bräu­nen, son­dern aus gesund­heit­li­chen Grün­den: Die Ober­sei­te sieht schon genieß­bar aus. Mög­li­cher­wei­se hat der Geruch die Libel­le ange­lockt.

Sophie und ich schaf­fen bei Ever­y­thing Ever­y­thing im Spie­gel­zelt wie­der nur das letz­te Lied. Aber auch die­se Band schafft es, mich mit dem letz­ten Lied kom­plett zu über­zeu­gen. Das Del­phic-Phä­no­men. Scheiß Name, gei­le Band. Ich ärge­re mich, dass ich nie das letz­te Lied von Ost­zo­nen­sup­pen­wür­fel­ma­chen­krebs gese­hen habe.

Irgend­wann dann The Low Anthem im Spie­gel­zelt. Ich habe inzwi­schen einen toten Punkt erreicht und fin­de, dass die Band klingt wie das Simon & Gar­fun­kel Album, das ich manch­mal im Auto höre. Ich schla­fe im Ste­hen ein. Das wirkt repekt­los, soll aber die Band nicht schmä­lern. Coun­try­es­quer Folk. Oder sowas. Naja, ich brau­che fri­sche Luft und hän­ge drau­ßen rum. Hier und da wie­der bekann­te Gesich­ter: Sven, ein Foto­graf aus Bochum, Ger­rit natür­lich („Tom­my, spä­ter aber Fotos, ne?“), Manu­el von den Wed­ges. Ein biss­chen wie ein klei­nes Dorf. Hier soll­te man kei­ne Dumm­hei­ten machen, da weiß jeder gleich Bescheid. Und dann tuscheln die Nach­barn.

Efter­klang wer­den mir als Sigur-Rós-Ver­schnitt schmack­haft gemacht, ent­täu­schen aber in die­ser Hin­sicht gewal­tig. Das ist das Pro­blem mit gro­ßer Erwar­tungs­hal­tung: Mit die­ser Band wer­de ich heu­te nicht mehr warm. Ich nut­ze mei­ne letz­ten Fund-Pop­ta­ler und gebe eine Run­de. Chris­toph hat von sei­ner Oma 50 Euro Taschen­geld mit­be­kom­men!!! Obwohl das einen tie­fen Ein­griff in die adul­te Selbst­ver­sor­gungs­pflicht dar­stellt. Er weiß um sei­nen Stel­len­wert als Grup­pen­be­treu­er und kauft davon Pop­ta­ler. Als ihm klar wird, dass er davon weder Essen noch sonst­was, son­dern nur Bier und Wein kau­fen kann, ist es bereits zu spät. Der Pop­ta­ler ist wie das Spiel­geld in Dis­ney­land, er regt zum Kon­sum an.

Und dann end­lich irgend­wann: The Natio­nal. Erst den­ke ich, dass da irgend­was Inter­pol-ähn­li­ches auf mich zukommt, aber schnell wird klar, dass die­se Band kom­ple­xer ist. Irgend­wie muss ich zwar die gan­ze Zeit an Depe­che Mode den­ken, wor­an der Gesang sei­nen Anteil hat, aber das wür­de der gan­zen Sache nicht gerecht. Denn The Natio­nal klin­gen tat­säch­lich sehr eigen und inter­es­sant, rocken außer­dem wie Höl­le und haben eine unglaub­lich stim­mungs­vol­le Light­show. Marie regt sich spä­ter dar­über auf, weil ihr das natür­lich die bes­ten Fotos ver­saut: Immer irgend­ein scheiß Licht in der Kame­ra­lin­se. Mir ist das egal, ich muss ja nur gucken und glot­zen. Wahr­schein­lich star­re ich inzwi­schen schon, wenn ich trin­ke wer­de ich immer zum Star­rer, da ich ver­ges­se zu blin­zeln. Bei die­ser Band soll­te man die Augen sowie so nicht schlie­ßen, nicht mal für eine Nano­se­kun­de.

Inzwi­schen sind die letz­ten Pop­ta­ler bestim­mungs­ge­mäß ver­braucht und eine gewis­se Fes­ti­val­me­lan­cho­lie macht sich breit: Wir haben die letz­te Band auf der Haupt­büh­ne gese­hen. Jetzt ins Spie­gel­zelt? Undenk­bar. Der har­te Kern unse­rer Rei­se­grup­pe, Chris­toph, Rosa, Sophie, Marie und ich, geht zum Zelt­platz und lässt den Abend gebüh­rend aus­klin­gen: Wir sin­gen 90er Jah­re Plas­tik­pophits von East 17 und Take That. Weil wir uns näm­lich nicht zu fein sind, zu erken­nen, dass das in der Retro­spek­ti­ve auch schö­ne Musik sein kann. Und dann packt Sophie ihr Han­dy aus und spielt die Musik ab, die mich danach nicht mehr los­ge­las­sen hat, mas­si­ver als eine der Bands von den Büh­nen: Oh, Napo­le­on. Iro­nie des Schick­sals. Vor zwei Tagen noch am Zelt­platz gese­hen und trotz­dem vor­her gar nicht rein­ge­hört. Man sagt ja oft „Die Band kenn‘ ich!“ und meint „…vom Namen.“ Ich auf jeden Fall: begeis­tert und ver­stört, weil die doch noch so jung sind und die Sän­ge­rin da Sachen raus­haut wie ein alter Hase

Der nächs­te Mor­gen bringt den ers­ten grau­en Tag. Ist aber auch egal, weil wir jetzt packen und heim­wärts fah­ren. Ich den­ke dar­über nach, den her­aus­ra­gen­den Son­nen­schein der Hald­er­ner Tage als gutes Omen zu deu­ten, dann fällt mir aber ein, dass ich an so einen Hokus Pokus nicht glau­be. Manch­mal, ganz sel­ten, stim­men eben alle umge­ben­den Fak­to­ren so über­ein, dass für ein paar Tage alles per­fekt ist.


Tom­my Fin­ke ist 29 Jah­re alt, Musi­ker und lebt in Bochum. Im Febru­ar ist sein Album „Poet der Affen /​ Poet of the Apes“ erschie­nen.

Für Cof­fee And TV hat er das Hald­ern Pop 2010 besucht und sei­ne Ein­drü­cke von Zelt­platz, See und Fes­ti­val auf­ge­schrie­ben. Die Namen der Mit­rei­sen­den wur­den dafür geän­dert.

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Musik

Listenpanik 10/​09

Der Herbst kommt, es wird ein wenig melan­cho­li­scher. Oder doch nicht?

Freu­en Sie sich auf das, wor­über ich mich im ver­gan­ge­nen Monat gefreut habe – wie immer garan­tiert sub­jek­tiv:

Alben
Oh, Napo­le­on – Oh, Napo­le­on EP
Ich kann mich ehr­lich gesagt nicht dar­an erin­nern, jemals der­art von einem New­co­mer geflasht gewe­sen zu sein – selbst die ers­te Kili­ans-EP habe ich soweit ich weiß in den ers­ten zehn Tagen nicht öfter als 40 Mal gehört. Ansons­ten gilt, was ich letz­te Woche geschrie­ben habe.

Reli­ent K – For­get And Not Slow Down
Irgend­was muss im Okto­ber pas­siert sein, was mich wie­der in alte Tee­nie-Hör­ge­wohn­hei­ten hat zurück­fal­len las­sen: Nicht nur Oh, Napo­le­on hat­tee ich dut­zend­fach auf Repeat lau­fen, son­dern auch Reli­ent K, auf die ich durch Zufall auf­merk­sam gewor­den war. Es han­delt sich um eine – hold your breath – christ­li­che Rock­band aus Ohio, aber wenn man die gele­gent­li­chen „lord„s mal außen vor lässt, bleibt da eine CD, die musi­ka­lisch all das kom­bi­niert, was ich an Death Cab For Cutie, den Ata­ris, The Gas­light Anthem, Nada Surf und The Fray (die ja eben­falls als christ­li­che Rock­band gel­ten) mag: Power­pop mit melan­cho­li­schen Anwand­lun­gen, dazu viel Kla­vier.

WHY? – Eski­mo Snow
Ich habe zum ers­ten Mal von WHY? gehört, als sie als inter­na­tio­na­ler Bei­trag fürs dies­jäh­ri­ge Fest van Cleef bestä­tigt wur­den. Dort habe ich sie dann zumin­dest theo­re­tisch live gese­hen – wenn zum Zeit­punkt ihres Auf­tritts nicht gera­de ein unglaub­li­ches Unwet­ter getobt hät­te, das mich dann doch ein wenig vom Kon­zert­spek­ta­kel abge­lenkt hat. Aber allein die Geschich­te einer Band, die sich von einer Hip-Hop-Trup­pe aus Cin­cin­na­ti, OH zu einer Indierock­band aus Ber­ke­ley, CA ent­wi­ckelt hat, lohnt ja die nähe­rer Aus­ein­an­der­set­zung. „Eski­mo Snow“ ist laut Eigen­aus­sa­ge am wei­tes­ten vom Hip Hop ent­fernt und in der Tat gibt es in dem leicht ver­schro­be­nen, ziem­lich fili­gra­nen Sound kaum etwas, was an den Ursprung der Band erin­nert. Dafür hat das Album viel von den psy­che­de­li­schen Aus­flü­gen ame­ri­ka­ni­scher und bri­ti­scher Bands in den 1960er und 70er Jah­ren, gar­niert mit etwas absei­ti­gen Tex­ten.

Hel­gi Hrafn Jóns­son – For The Rest Of My Child­hood
In Island gibt es offen­bar die fes­te Regel, dass jeder Musi­ker min­des­tens ein Mal mit Sigur Rós zusam­men­ge­ar­bei­tet haben muss. Das hat Hel­gi Jóns­son schon hin­ter sich, aber die klang­li­che Nähe zu den Aus­hän­ge­schil­dern des islän­di­schen Indiepop lässt sich nicht leug­nen. Jóns­son singt aller­digns kon­se­quent auf Eng­lisch und sei­ne Songs sind ein wenig zugäng­li­cher als das Meis­te von Sigur Rós, weni­ger opu­lent sind sie nicht. Aus hin­ge­tupf­ten Kla­vier­ak­kor­den schrau­ben sich die Lie­der in höchs­te Höhen und manch­mal klingt Jóns­sons Stim­me ein wenig, als wür­de er von dort in die Tie­fe stür­zen. Kurz­um: Es ist genau die Sor­te Musik, die man hören möch­te, wäh­rend das Wet­ter drau­ßen zwi­schen nebe­lig-trüb und klir­rend-kalt chan­giert.

Air – Love 2
Eine Rund Kli­schees gefäl­lig? Gern: Air haben sich seit ihrem ers­ten Auf­tau­chen vor mehr als einem Jahr­zehnt als fes­te Grö­ße der Schlaf­zim­mer­be­schal­lung eta­bliert (vgl. Pla­ce­bo, Mar­vin Gaye und Mas­si­ve Attack) und brin­gen seit­dem im Abstand von zwei­ein­halb Jah­ren eine neue CD auf den Markt, von der alle sagen, sie klin­ge so wie immer, sei aber natür­lich nicht so gut wie „Moon Safa­ri“, wer­de aber trotz­dem wie­der Hun­der­te von Geschlechts­ak­ten unter­ma­len. „Love 2“ klingt jetzt wirk­lich wie „Moon Safa­ri“, ist natür­lich nicht so gut, aber bringt trotz­dem all das mit, was man von Air erwar­tet. Es ist ganz ähn­lich wie bei Mobys „Wait For Me“ im Som­mer: Jean-Benoit Dun­ckel und Nico­las Godin haben es auf­ge­ge­ben, irgend­wie anders klin­gen zu wol­len, und klin­gen gera­de des­halb so befreit und frisch wie lan­ge nicht mehr. Wer nur eine CD von Air haben will, greift wei­ter­hin zu „Moon Safa­ri“ (in Mobys Fall: „Play“), aber wer sei­ne Samm­lung auf­recht erhal­ten will, hat jetzt immer­hin ein schö­nes neu­es Album im Regal. Allein wegen der Abwechs­lung.

Songs
Oh, Napo­le­on – K
Soll ich, nach­dem ich die vier Songs der EP eh schon über den grü­nen Klee gelobt hab, tat­säch­lich noch einen ein­zel­nen Song her­vor­he­ben? Och joa, war­um denn nicht? Ich mag den schluf­fi­gen Beat, ich mag den repe­ti­ti­ven Refrain und die Stim­me von Kat­rin Bini­asch hat­te ich ja eh schon her­vor­ge­ho­ben. Sehr schön!

WHY? – Into The Shadows Of My Embrace
Fra­gen Sie mich nicht, wor­um es in die­sem Lied geht. Um Altern und Sex, um Nach­barn, die einem beim Mas­tur­bie­ren zuhö­ren, und um einen toten Fuchs unter einer Hecke. So etwas kann man natür­lich nicht mit Stro­phe – Bridge – Refrain ver­to­nen, da muss auch die Song­struk­tur ein biss­chen außer­ge­wöhn­li­cher sein. Ein biss­chen über­ra­schend, dass der Song trotz­dem sofort ins Ohr geht.

Reli­ent K – The­ra­py
Natür­lich ent­spricht die­ser Song der Blau­pau­se „Songs, die Lukas Hein­ser gut fin­det“: Ein Kla­vier­mo­tiv, ein trei­ben­der Beat, eine Stim­me, die an Ben Gib­bard erin­nert, eine Eröff­nungs­zei­le, die was von Springsteen hat („I never thought I’d be dri­ving through the coun­try just to dri­ve“), und ein Refrain, in dem alles auf Elf hoch­ge­dreht wird. Ja, die­se ein­fa­chen Wirk­me­cha­nis­men funk­tio­nie­ren bei mir. Meis­tens. So auch in die­sem Fall. Tol­ler Song, Punkt.

Death Cab For Cutie – Meet Me On The Equin­ox
Zwar kann ich mei­ne Freun­de immer wie­der damit ver­wir­ren, dass ich weiß, wie die Haupt­dar­stel­ler der „Twighlight“-Filme hei­ßen, aber angu­cken woll­te ich mir die­sen Quatsch eigent­lich nie. Mög­li­cher­wei­se muss ich mei­ne Mei­nung revi­die­ren, denn zumin­dest der Sound­track zum zwei­ten Teil liest sich beein­dru­ckend: Death Cab For Cutie, The Kil­lers, Lykke Li, Bon Iver & St. Vin­cent und Thom Yor­ke sind ja nicht gera­de die Acts, die man mit neu­em Mate­ri­al auf dem Sound­track zu einer Tee­nie-Vam­pir­ro­man­ze erwar­ten wür­de. Die Songs schwan­ken ein wenig zwi­schen okay und sehr gut (die trau­ri­ge Erkennt­nis am Ran­de lau­tet: Muse klau­en inzwi­schen bei den Kai­ser Chiefs), der Death-Cab-Song sticht als Sin­gle ein­deu­tig her­vor. Auf „Nar­row Stairs“ wäre er einem ver­mut­lich nicht beson­ders auf­ge­fal­len, aber schlecht ist er nun wirk­lich nicht.

[Lis­ten­pa­nik, die Serie]

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Film

Hauptschul Musical

Apro­pos Oh, Napo­le­on: Die sind mit ihrem Song „Lovers In Your Head“ auch auf einem aktu­el­len Films­ound­track ver­tre­ten.

Der Film heißt „Gangs“ und der Höher-schnel­ler-wei­ter-Trai­ler ver­spricht, ganz nach dem schö­nen Mot­to „LASS LIEBER ALLES ANZÜNDEN!“, mehr. Von allem:

Motor­rä­der!
Mas­ken!
Scrat­ches!
Bal­lett!
Jimi Blue Och­sen­knecht!
Wil­son Gon­za­les Och­sen­knecht!
Lie­be!
Cabri­os!
Hun­de!
Kri­mi­nel­le!
Kon­flik­te!
Brü­der!
Ver­fol­gungs­jag­den!
Oneli­ner!
Pin­kel­wit­ze!
Kalau­er!
Dono­ts!

Isses nich doll? Die­se Mischung aus „West Side Sto­ry“ und „Die wil­den Ker­le“, aus „Die fet­ten Jah­re sind vor­bei“ und „James Bond – Der Mor­gen stirbt nie“? Das muss ja ein Hit wer­den.

Und trotz­dem hat der Film – wohl, weil die Alters­frei­ga­be ab 12 Jah­ren die Kern­ziel­grup­pe aus­siebt – nach drei Wochen eher ent­täu­schen­de 345.359 Zuschau­er.

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Musik

Nichts mit Waterloo

Das Maß, in dem bri­ti­sche Nach­wuchs­bands häu­fig gehypt wer­den, ist für Deut­sche oft über­ra­schend. Aber in Groß­bri­tan­ni­en gibt es eben rele­van­te Musik­zeit­schrif­ten, die noch dazu teils wöchent­lich erschei­nen und des­halb viel mehr Künst­ler aufs Cover packen kön­nen, und man hat eh ein ande­res Ver­hält­nis zur Pop­kul­tur.

Oh, Napoleon live

Dass eine deut­sche Nach­wuchs­band schon renom­mier­te inter­na­tio­na­le Acts sup­port­en darf, bevor sie selbst auch nur irgend­was ver­öf­fent­licht hat, kommt dage­gen eher sel­ten vor. Oh, Napo­le­on ((Band­na­men, die Satz­zei­chen ent­hal­ten, stö­ren den Lese­fluss lei­der immer ein biss­chen (vgl. The­ra­py?, WHY?, Get Cape. Wear Cape. Fly, Por­tu­gal. The Man oder Loney, Dear) – aber schö­ner als der vor­he­ri­ge Band­na­me Your Dumb Inven­ti­on ist Oh, Napo­le­on auf alle Fäl­le. Außer­dem gibt es einen Song von The Acorn, der „Oh Napo­le­on“ heißt.)) haben schon mehr­fach vor Por­tu­gal. The Man und Star­sail­or (bei denen ich sie auch ent­deckt habe) gespielt, ihre ers­te EP ist aber erst vor elf Tagen erschie­nen.

Gut, man soll­te an die­ser Stel­le viel­leicht erwäh­nen, dass die Band von Marc Lieb­scher (Sport­freun­de Stil­ler) gema­nagt wird, einen Ver­trag mit Uni­ver­sal hat und auch sonst über eini­ge wich­ti­ge För­de­rer ver­fügt. Das macht die Sache mit den Sup­port-Slots viel­leicht ein­fa­cher, aber sol­che Hin­ter­grün­de nüt­zen auch nicht viel, wenn die Musik nicht stimmt.

Oh, Napoleon liveAber wie die Musik stimmt: Fand ich die Band live schon ziem­lich gut, ver­miss­te aber so ein biss­chen die Span­nung, hat mir die selbst­be­ti­tel­te Debüt-EP vom ers­ten Moment an die Schu­he aus­ge­zo­gen. Der Sound, für den Pro­du­zent Oli­ver Zülch (noch so ein gro­ßer Name: The Notwist, Slut, Die Ärz­te, Juli, …) ver­ant­wort­lich zeich­net, ist glas­klar. Die Gitar­ren, das Kla­vier und die Rhyth­mus­grup­pe bil­den eine sehr gute Grund­la­ge für die – Hil­fe, ich muss schon wie­der eine aus­ge­lutsch­te Musik­jour­na­lis­ten­vo­ka­bel benut­zen! – aus­drucks­star­ke Stim­me der Sän­ge­rin Kat­rin Bini­asch.

Die vier Songs erin­nern an Kath­le­en Edwards, ((Ja ja, zuge­ge­ben: Ich hab auch ewig gebraucht, um Regi­na Spek­tor zu ent­de­cken. Aber wie kann es denn sein, dass Kath­le­en Edwards hier­zu­lan­de der­art über­se­hen wird?)) die Car­di­gans in ihrer „Long Gone Befo­re Daylight“-Phase und diver­se ame­ri­ka­ni­sche Singer/​Songwriterinnen, die man vor allem aus dem Sound­track von „Dawson’s Creek“ kennt. Folk­pop im bes­ten Sin­ne, ide­al für den Herbst und sicher­lich auch voll radio­taug­lich.

Der Ope­ner „To Have (To Lose)“ ist schwung­voll, danach geht es ent­spannt zu. In den Tex­ten geht es um Bezie­hungs­en­den, Ein­sam­keit und Lie­be, „K“ ist mit sei­nem etwas repe­ti­ti­ven Refrain bei mir am nach­drück­lichs­ten hän­gen geblie­ben. Und wenn die Män­ner­stim­men in „A Book Ending“ nicht mehr nur form­voll­ende­te „Uuuuuh“-Chöre bil­den, son­dern mit eige­nem Text und Gesangs­li­nie in den Lead-Gesang rein­grät­schen, ((Na ja, viel­leicht schmie­gen sie sich auch eher an den Lead-Gesang an. Gegrätscht wird bei Oh, Napo­le­on nicht.)) ist das noch mal ein ganz gro­ßer Gän­se­haut­mo­ment.

Seit lan­gem (also: seit First Aid Kit im Febru­ar) hat mich kein New­co­mer so sehr begeis­tert wie Oh, Napo­le­on. War Kre­feld musi­ka­lisch bis­her nur durch Blind Guar­di­an und Andrea Berg auf­ge­fal­len, ((Par­al­le­len zu ande­ren nie­der­rhei­ni­schen Städ­ten mit berühm­ten Pop­schla­ger­in­ter­pre­ten und Nach­wuchs­bands deu­ten sich am Hori­zont an.)) könn­te sich das Dank die­ser fünf unver­schämt jun­gen Musi­ker schon bald ändern. Ich weiß nicht, ob es in Deutsch­land einen Markt für sol­che Musik gibt, ((Und ob man auf dem nicht ein ähn­li­ches Schick­sal erlei­den könn­te wie das One-Hit-Won­der Bell, Book And Cand­le.)) aber ich den­ke schon, dass Oh, Napo­le­on sehr schnell den Sta­tus des Geheim­tipps los­wer­den dürf­ten. Im Früh­jahr 2010 soll das Album erschei­nen – bis dahin wer­de ich die EP ver­mut­lich ein paar hun­dert Mal gehört haben.

Oh, Napoleon - Oh, Napoleon EP (Cover)
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Liv­e­fo­tos: © Mar­ti­na Dri­gnat.

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Musik

Interview mit James Walsh (Starsailor)

Star­sail­or kön­nen sich noch so Mühe geben: Wirk­lich cool wer­den die vier Bri­ten in die­sem Leben nicht mehr.

Als James Walsh am Mon­tag­nach­mit­tag in der CD-Abtei­lung des Ham­bur­ger Saturn-Mark­tes ein kur­zes Akus­tik­set spielt, ste­hen die Fans (von denen nicht mords­mä­ßig vie­le gekom­men sind) zwi­schen Rega­len, die mit „Schla­ger“ beschrif­tet sind, um Auto­gram­me an. Da kann man dann auch noch Abbas „Dancing Queen“ covern, ohne dass es Ein­fluss auf die cre­di­bi­li­ty hät­te. Schön ist es trotz­dem.

Zwei­ein­halb Stun­den spä­ter sitzt James Walsh im Back­stage­raum der Fabrik und lang­weilt sich. Ich wer­de das Gefühl nicht los, dass er das auch wäh­rend unse­res Inter­views (sie­he unten) tut, aber da müs­sen wir gemein­sam durch. Die The­men: Rock’n’Roll-Kli­schees, Poli­tik und Jere­mi­ah Dug­gan, über des­sen mys­te­riö­sen Tod die Band vor vier Jah­ren einen Song geschrie­ben hat. Walsh ant­wor­tet höf­lich bis nett und dass er eine Stun­de vor dem Auf­tritt kei­nen Bock hat, end­los zu reden, kann man ja auch ver­ste­hen.

James Walsh im Interview.

Nach zwölf Minu­ten sind Mar­ti­na und ich fer­tig mit Fotos und Inter­views und es kommt noch zu einer Nor­bert-Körz­dör­fer-esken Sze­ne, als Walsh uns mit gro­ßer Ges­te auf­for­dert, uns doch noch aus dem Kühl­schrank zu bedie­nen. „It’s Guin­ness, that’s the real thing“, sagt er und ich den­ke, ich hät­te mal bes­ser gucken sol­len, von wel­cher Mar­ke sei­ne Arm­band­uhr war.

Nach der Vor­band (Oh, Napo­le­on aus Kre­feld, hören Sie da ruhig mal rein) steht ein ande­rer James Walsh auf der Büh­ne: Er ist hell­wach, scherzt mit sei­ner Band und erin­nert kein biss­chen mehr an den scheu­en Anfang-Zwan­zi­ger, der sich vor acht, neun Jah­ren am liebs­ten hin­ter dem Mikro­fon­stän­der ver­steckt hät­te. Anders als bei den letz­ten Tou­ren gibt es kei­nen zusätz­li­chen Gitar­ris­ten mehr, Walsh spielt alles selbst und das kann er durch­aus gut. Fünf Songs spie­len Star­sail­or vom aktu­el­len Album „All The Plans“ – einen weni­ger als vom Debüt „Love Is Here“.

Starsailor live.

Was einem ver­mut­lich wie­der kei­ner glau­ben wird: Die Band hat live in den letz­ten Jah­ren schon immer ordent­lich gerockt, heu­te Abend tut sie es beson­ders. Walsh freut sich über das bes­te Publi­kum, das sie in Deutsch­land je gehabt hät­ten, und man ist geneigt, das nicht als Spruch abzu­tun: Die Fabrik kocht und wenn ich im Schät­zen von Men­schen­mas­sen nicht so unfass­bar schlecht wäre, könn­te ich mei­ne Behaup­tung, es han­de­le sich auch um das größ­te Publi­kum, das die Band in Deutsch­land je hat­te, auch ein wenig unter­mau­ern. Wirk­lich vie­le waren es lei­der trotz­dem nicht.

Der Stim­mung tut das kei­nen Abbruch, neue Songs wer­den warm auf­ge­nom­men, alte beju­belt. Ein Fan sagt, er sei aus Japan gekom­men, will aber sei­nen Namen nicht nen­nen: „Liking Star­sail­or can get you into real trou­ble“, lacht James Walsh und man ist sich gar nicht sicher, ob das jetzt Koket­te­rie oder eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung des Ban­di­mages ist. Aber Image ist nichts, ent­schei­dend ist auf der Büh­ne: „Four To The Flo­or“ wird fast von sei­nen kom­plet­ten Dis­co-Strei­chern befreit und kommt als kra­chi­ger Brit­pop-Stamp­fer daher und wird direkt anschlie­ßend noch mal in der Remix-Ver­si­on ange­stimmt. Letz­te­res ist zwar nicht neu, macht aber immer wie­der Spaß.

Nach dem regu­lä­ren Schluss­song „Good Souls“ gibt es noch eine wei­te­re Zuga­be: „Tomor­row Never Knows“ von den Beat­les. An denen kommt man im Moment wirk­lich nicht vor­bei – auf dem Sofa im Back­stage­raum lag auch eine der frisch remas­ter­ten CDs her­um.

Starsailor live.

Und hier das Inter­view im Cof­fee-And-TV-Pod­cast:

Inter­view mit James Walsh (Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)

Sie kön­nen die Pod­casts übri­gens auch als eige­nen Feed oder direkt in iTu­nes abon­nie­ren.

Star­sail­or spie­len das letz­te Kon­zert ihrer Deutsch­land­tour am Sonn­tag, 27. Sep­tem­ber im Glo­ria in Köln.

Fotos: © Mar­ti­na Dri­gnat.