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Rundfunk Fernsehen

Tief im Western mit der „Aktuellen Stunde“

Es gibt im deut­schen Fern­se­hen ver­mut­lich kaum eine Nach­rich­ten­sen­dung, die so per­fekt ist wie die „Aktu­el­le Stun­de“ im WDR Fern­se­hen. Die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen, deren Nach­ah­mung sich als Par­ty­spiel emp­fiehlt, sind aku­rat vor­be­rei­tet und wer­den rou­ti­niert abge­spult. Kei­ne Hebung der Augen­braue, kein Schul­ter­zu­cken ist Zufall, alles ist geplant. Selbst im Ange­sicht von Kata­stro­phen wie bei der Love Para­de ste­hen die­se Mode­ra­ti­ons­ro­bo­ter Seit an Seit und impro­vi­sie­ren schein­bar von einem inter­nen Tele­promp­ter ab.

Doch die Sen­dung, die ich als Kind mit Begeis­te­rung schau­te und die zu mode­rie­ren damals mein größ­ter Traum war, hat – eben­so wie das ande­re eins­ti­ge Infor­ma­ti­ons­flagg­schiff des West­deut­schen Rund­funks, das „Mit­tags­ma­ga­zin“ auf WDR 2 – die Jahr­zehn­te nicht unbe­scha­det über­stan­den: Die Bei­trä­ge könn­ten auch aus jedem x‑beliebigen Bou­le­vard-Maga­zin (pri­vat wie öffent­lich-recht­lich) stam­men. Wenn man sich ein­mal klar gewor­den ist, wie albern es ist, einen Text im Wech­sel von zwei Per­so­nen spre­chen zu las­sen, sind die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen nicht mehr ernst zu neh­men – doch bei genau­er Betrach­tung reden die Mode­ra­to­ren sowie­so häu­fig gro­ben Unfug.

Aus ver­schie­de­nen Grün­den, von denen mir eini­ge selbst schlei­er­haft sind, habe ich am Mon­tag mal wie­der die „Aktu­el­le Stun­de“ gese­hen. Die Sen­dung wird irri­tie­ren­der­wei­se seit zwei­ein­halb Jah­ren von Tho­mas Bug mode­riert, der sich vor­her vie­le Jah­re Mühe gege­ben hat­te, auf kei­nen Fall seri­ös zu wir­ken, und nun das Gegen­teil ver­sucht.

Nach­dem diver­se Flüs­se über diver­se Ufer getre­ten sind und diver­se Kel­ler und Gär­ten über­flu­tet haben, ist es Zeit für die gro­ße wei­te Welt der For­mel 1 und deren neu­en Welt­meis­ter Sebas­ti­an Vet­tel, der „lei­der nicht aus Ker­pen“ kommt. Und das ist natür­lich ein Alp­traum für so einen Sen­der, der sich auf Nord­rhein-West­fa­len kon­zen­triert: Ein Star, der aus Hes­sen stammt.

„Die Deut­schen freu­en sich im All­ge­mei­nen“, erklärt Susan­ne Wie­se­ler, um die ent­schei­den­de Fra­ge hin­zu­zu­fü­gen: „Aber was macht das mit den Ker­pe­nern im Beson­de­ren?“

Es pas­siert, was zu befürch­ten war: Das Team der „Aktu­el­len Stun­de“ war vor Ort und hat es sich ange­guckt:

Stacheldraht in Kerpen.

Todes­strei­fen! Über eine melan­cho­li­sche Slide Gui­tar schwa­dro­niert der Off-Spre­cher: „Was wur­de hier geju­belt? Jetzt läuft die Fei­er anders­wo.“ Aber statt eines Step­pen­läu­fers, der pas­send zur Musik durchs Bild geweht wird, folgt ein har­ter Schnitt auf jubeln­de Hep­pen­hei­mer (nicht zu Ver­wech­seln mit Pap­pen­hei­mern, die gibt’s bei Schil­ler), dann wie­der das nicht gera­de blü­hen­de Leben in Ker­pen:

Das blühende Leben in Kerpen.

(Dass der Repor­ter aus­ge­rech­net bei die­sem zar­ten Pflänz­lein erklärt, Ker­pen sei mal „die For­mel-1-Stadt“ gewe­sen, ist ange­sichts die­ses wenig umwelt­freund­li­chen Sports eine schö­ne Wort-Bild-Sche­re, aber im Kon­text des Bei­trags noch völ­lig harm­los.)

Wäh­rend aber­mals die Slide Gui­tar los­sli­det, wech­selt das Kame­ra­team in die Gast­stät­te „Alt­ker­pen“ und befragt zwei Frau­en mit pfif­fi­gen Bril­len­ge­stel­len:

Keck bebrillte Kerpenerinnen sprechen in WDR-Mikrofone.

„Wie Fas­tel­ovend“ sei es gewe­sen, als Micha­el Schu­ma­cher damals gewon­nen habe – und im Rhein­land ist das wohl posi­tiv besetzt. Doch jetzt ist alles anders, sol­len uns die Bil­der des Glä­ser spü­len­den Wirts (es ist Mon­tag­nach­mit­tag, drau­ßen ist es noch hell) und die schon wie­der her­ans­li­den­de Slide Gui­tar sagen.

Und der Off-Spre­cher natür­lich: „Und jetzt: Wie­der ist ein Deut­scher Welt­meis­ter. Aber kein Ker­pe­ner. Und? Nei­disch?“

„Nein!“, rufen da die Frau­en, „im Gegen­teil!“, und das wäre unge­fähr der Punkt gewe­sen, an dem ich als Redak­ti­ons­lei­ter gesagt hät­te: „Nee, tut mir leid, Jungs. Mit dem Auf­hän­ger funk­tio­niert die Geschich­te über­haupt nicht. Könnt Ihr es nicht noch mal irgend­wie anders ver­su­chen?“

Zaun an der Kerpener Kartbahn (Ruhetag).

Sebas­ti­an Vet­tel, nein: „Der Sebas­ti­an Vet­tel“ sei ja „immer­hin“ schon mal in Ker­pen gewe­sen, erzählt der Spre­cher: „Ein paar Run­den“ habe er auf der Kart­bahn gedreht – da sei was los gewe­sen. Aber heu­te? „Aber heu­te? Ist Ruhe­tag auf der Kart­bahn“, heißt es in die­ser völ­lig wider­na­tür­li­chen Kom­men­tar­spra­che aus dem Off und für einen Moment könn­te man glau­ben, der Ruhe­tag habe irgend­was mit Sebas­ti­an Vet­tel und dem immensen Image­ver­lust zu tun, den Ker­pen am Sonn­tag erlit­ten hat.

Jetzt aber schnell zurück in die Innen­stadt und zu der ver­damm­ten Slide Gui­tar:

Straße in Kerpen (fast menschenleer).

„Heu­te war irgend­wie Ruhe­tag in ganz Ker­pen“, sagt der Mann und man begreift lang­sam, wel­che Leis­tung Autoren und Schau­spie­ler bei „Switch Rel­oa­ded“ voll­brin­gen müs­sen, um die­sen gan­zen Irr­sinn, der da im deut­schen Fern­se­hen völ­lig ernst gemeint wird, über­haupt noch sati­risch zu über­hö­hen.

Allein die nächs­ten Sät­ze sind der­art inko­hä­rent, dass ein „Brat fett­los mit Sala­mo Ohne“ zwi­schen­drin auch nicht mehr groß auf­fal­len wür­de: „Welt­meis­ter­stadt, das ist sechs Jah­re her. Und irgend­wie ist das auch völ­lig okay so. Zumin­dest für man­che Ker­pe­ner.“

„War­um soll ich denn nei­disch sein?“, fragt ein mil­de fas­sungs­lo­ser Kiosk­be­sit­zer, um dann mit einem unglück­lich gewähl­ten Ver­gleich dem Repor­ter neue Muni­ti­on zu lie­fern: Ob Ham­burg denn nei­disch sei, wenn Bay­ern Meis­ter …

„Oooooh!“, wehrt der Repor­ter da ab und wir wol­len mal ganz ver­ges­sen, dass Vet­tel gera­de nicht deut­scher Meis­ter gewor­den ist, son­dern Welt­meis­ter. Ein Pas­sant darf sagen, dass er „Hypes um Auto­fah­rer“ nicht so gut fin­det, und es erscheint inzwi­schen bei­na­he logisch, wenn der Off-Spre­cher dar­an anschließt: „Kei­ne Sor­ge: Dass der Schu­mi-Hype zurück­kehrt ins ‚Alt­ker­pen‘, das ist unwahr­schein­lich. Obwohl: Die Damen sind sich da noch nicht so ganz einig.“

Eines blei­be den Ker­pe­nern aber, erklärt der Mann mit der Mär­chen­on­kel-Stim­me: „Sie wur­den sie­ben Mal Welt­meis­ter, Hep­pen­heim durf­te erst ein­mal jubeln.“

An die­ser Stel­le endet der Bei­trag. Immer­hin ohne einen wei­te­ren Ein­satz der ver­fick­ten Slide Gui­tar.

Im Mit­schnitt der Sen­dung in der WDR-Media­thek fehlt der Bei­trag.

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Hä? (2)

Hans Ley­en­de­cker hat für die gest­ri­ge Aus­ga­be der „Süd­deut­schen Zei­tung“ ein gro­ßes Por­trät über die Men­schen im Viel­völ­ker­bun­des­land Nord­rhein-West­fa­len geschrie­ben – natür­lich vor dem Hin­ter­grund der heu­ti­gen Land­tags­wahl:

In den Rau-Wahl­kämp­fen kleb­ten die Sozi­al­de­mo­kra­ten Pla­ka­te mit dem Spruch „Wir in Nord­rhein-West­fa­len und unser Minis­ter­prä­si­dent“. Rau gelang es, die Iden­ti­fi­ka­ti­on der Bür­ger mit dem künst­lich zustan­de gekom­me­nen Land zu stei­gern. Im Land­tags­wahl­kampf 2010 klebt die CDU Pla­ka­te mit dem Kon­ter­fei von Rütt­gers und dem Slo­gan „Wir in Nord­rhein-West­fa­len“. Manch­mal fin­det sich auch der Zusatz: „Unser Minis­ter­prä­si­dent“. Ledig­lich auf das „und“ hat die CDU bei der Kopie ver­zich­tet.

Das ist jetzt so ein Absatz, der für die meis­ten Men­schen, die nicht gera­de als Wahl­pla­ka­t­his­to­ri­ker arbei­ten, von eher min­de­rem Inter­es­se ist. Wen inter­es­siert schon, ob da jetzt ein „und“ mehr oder weni­ger auf dem Pla­kat ist?

Es wäre weit­ge­hend egal – wenn sueddeutsche.de die Onlin­ever­si­on des Arti­kels nicht aus­ge­rech­net mit die­sem Foto bebil­dert hät­te:

Wir in Nordrhein-Westfalen und unser Ministerpräsident

Mit Dank an Felix.

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Im Schatten der FDP wuchert das Unkraut

Im Schatten der FDP wuchert das Unkraut.

Mit gro­ßem Dank an Rita!

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Rundfunk Radio

Ich, WDR 2

Radio-Symbolbild

Ich reno­vie­re ja zur Zeit eine ehe­mals mil­de sanie­rungs­be­dürf­ti­ge Zwei-Zim­mer-Woh­nung in der Nähe der Bochu­mer Innen­stadt, wes­we­gen ich auch so sel­ten dazu kom­me, irgend­wel­che Tex­te zu schrei­ben. Weil die Geräu­sche, die so eine Reno­vie­rung macht, extrem lang­wei­lig sind (und ich mich immer noch jedes Mal erschre­cke, wenn mei­ne Gas-Ther­me anspringt), habe ich mir ein Radio in die Woh­nung gestellt. Es soll mich mit aktu­el­len Nach­rich­ten und gefäl­li­ger Musik ver­sor­gen, soll unter­hal­ten, aber nicht anstren­gen – kurz­um: Es soll das tun, wozu ein Neben­bei­me­di­um wie das Radio heut­zu­ta­ge da ist.

Ich habe mich not­ge­drun­gen für WDR 2 ent­schie­den. Bei mei­nen Eltern ist WDR 2 seit Jahr­zehn­ten in den Radi­os in Küche, Wohn­zim­mer und Auto ein­ge­stellt, und ich selbst höre den Sen­der seit eini­ger Zeit beim Früh­stück, noch dazu jeden Sams­tag­nach­mit­tag, wenn Fuß­ball ist. Es ist der Sen­der, mit dem ich auf­ge­wach­sen bin, und noch heu­te erin­nern mich Namen wie Horst Kläu­ser, Micha­el Bro­cker oder Gise­la Stein­hau­er an die Nach­mit­ta­ge mei­ner Kind­heit, an denen wir zum Ein­kau­fen fuh­ren oder zu Freun­den gebracht wur­den und im Auto­ra­dio das „Mit­tags­ma­ga­zin“ lau­fen hat­ten.

Ich höre WDR 2 nicht, weil der Sen­der so gut wäre, son­dern weil er alter­na­tiv­los ist: Eins Live ist für mich inzwi­schen uner­träg­lich gewor­den, WDR5 hat einen viel zu hohen Wort­an­teil und zu lan­ge Bei­trä­ge, wegen derer man dann zwan­zig Minu­ten lang den Staub­sauger nicht ein­schal­ten darf, und Deutsch­land­funk und Deutsch­land­ra­dio Kul­tur kann ich auch noch hören, wenn ich eben­so tot bin wie die Macher. CT das radio wäre nahe­lie­gend, habe ich kürz­lich auch pro­biert, aber da fehl­ten mir dann tags­über wie­der die Inhal­te. Es bleibt also wirk­lich nur WDR 2, wo die meis­ten Mode­ra­to­ren ganz sym­pa­thisch sind, die meis­ten Bei­trä­ge vor­her­seh­bar bie­der und man ins­ge­samt weiß, was man hat – so wie in einer lang­jäh­ri­gen Ehe halt.

Das Pro­blem ist: Der durch­schnitt­li­che Hörer hört einen Sen­der am Tag etwa 30 Minu­ten beim Früh­stück, Auto­fah­rer evtl. ein biss­chen mehr. Das Pro­gramm ist nicht dar­auf aus­ge­legt, den gan­zen Tag über zu lau­fen. Wer es trotz­dem ein­ge­schal­tet lässt, bekommt die Quit­tung: Die stän­di­ge Wie­der­ho­lung.

Ein Bei­trag, der in der „West­zeit“ lief, kann bequem noch mal bei „Zwi­schen Rhein und Weser“ recy­celt wer­den. Was im „Mit­tags­ma­ga­zin“ vor­kam, kann bei „Der Tag“ vier Stun­den spä­ter noch ein­mal lau­fen. Die Kurz­form bekommt man in der Zeit dazwi­schen alle zwei Stun­den in den Nach­rich­ten ein­ge­spielt. Der „Stich­tag“ wird eh zwei Mal am Tag aus­ge­strahlt (9.40 Uhr und 17.40 Uhr) – bei­de Male mit der wort­glei­chen An- und Abmo­de­ra­ti­on.

Beson­ders schlimm war es rund um den Jah­res­wech­sel: Vie­le Redak­teu­re hat­ten Urlaub und Rück­bli­cke und Vor­schau­en auf kul­tu­rel­le oder sport­li­che Groß­ereig­nis­se konn­ten belie­big oft gesen­det wer­den. Zeit­lo­se Bei­trä­ge wie der über die kal­ten Füße („War­um hat man sie, was kann man dage­gen tun?“) oder den Kauf des rich­ti­gen Ski-Helms wur­den ver­mut­lich im Okto­ber pro­du­ziert und lau­fen bis März alle andert­halb Wochen, dann wer­den sie ein­ge­mot­tet und erst im Fol­ge­win­ter wie­der her­vor­ge­holt.

Zwi­schen­durch läuft viel Musik, aber nur wenig unter­schied­li­che. Nach ein paar Tagen weiß ich, wel­che Songs auf wel­chen Rota­ti­ons­stu­fen lau­fen. Auf der höchs­ten bei­spiels­wei­se „Aero­pla­ne“ von Rea­m­onn, „Wheels“ von den Foo Figh­ters, „Fire­f­lies“ von Owl City und elen­di­ger­wei­se auch „If Today Was Your Last Day“ von Nickel­back. „I Will Love You Mon­day (365)“ von Aura Dio­ne ist ganz offen­sicht­lich der grau­en­er­re­gends­te Song des Jah­res 2009 (viel­leicht auch der schlech­tes­te Song, der jemals auf­ge­nom­men wur­de), aber das muss ja nicht alle 14 Stun­den aufs Neue bewie­sen wer­den. Stan­four kom­men von der Insel Föhr, was jedes ver­damm­te Mal in der Abmo­de­ra­ti­on erwähnt wer­den muss – dass Föhr die zweit­größ­te deut­sche Nord­see­insel ist, erfährt man nur alle drei bis vier Ein­sät­ze.

Unge­fähr die Hälf­te aller WDR2-Songs klingt so ähn­lich, dass man sich beim Zäh­len stän­dig ver­tut: Eine jun­ge Frau singt ein biss­chen soulig über einen Typen, der sie schlecht behan­delt, den sie aber trotz­dem liebt. Sie bleibt eine tap­fe­re, eigen­stän­di­ge Frau, wäh­rend im Hin­ter­grund das von den 1960er-Jah­ren inspi­rier­te Arran­ge­ment mit Blä­sern und Chö­ren schun­kelt. Mark Ron­son hat das Tor zur Höl­le auf­ge­sto­ßen, als er Amy Wine­house und Lily Allen pro­du­zier­te.

Eine Zeit lang den­ke ich, dass es an der eige­nen Radio­er­fah­rung liegt, dass mir das alles auf­fällt. Dann kom­men mei­ne Geschwis­ter zum Anstrei­chen und ver­kün­den, wel­cher Song in wel­cher Stun­de lau­fen wird (bei Eins Live kann man es auf die Minu­te genau vor­her­sa­gen). Nach vier Tagen ken­ne ich die Schicht­plä­ne der Nach­rich­ten­spre­cher und die Sen­de­uhr, nach acht Tagen bin ich die Sen­de­uhr.

Noch öfter als Bei­trä­ge und Musik­stü­cke wie­der­holt sich die Wer­bung – jede hal­be Stun­de. Ex-Deutsch­land­funk-Chef Ernst Elitz hat­te völ­lig Recht, als er ein­mal sinn­ge­mäß sag­te, Radio­wer­bung habe – im Gegen­satz zu Kino- oder Fern­seh­wer­bung – nie neue Ästhe­ti­ken erschaf­fen und neue Trends gesetzt, son­dern sei immer nur nerv­tö­tend gewe­sen.

Ich weiß jetzt, dass es bei Prak­ti­ker bis zum Wochen­en­de 20% auf alles („außer Tier­nah­rung“) gab, was ich aller­dings schon vor­her wuss­te, weil man beim Reno­vie­ren auf­fal­lend oft Bau­märk­te ansteu­ert. Man­fred „Bruce Wil­lis“ Leh­mann wirbt außer­dem noch für einen Küchen­markt, was mar­ke­ting­tech­nisch sicher sub­op­ti­mal ist, weil jetzt stän­dig die Leu­te bei Prak­ti­ker nach den Küchen-Rabatt-Aktio­nen fra­gen. Guil­do Horn wirbt für die Küchen in einem Ein­rich­tungs­markt, Wer­ner Hansch für einen ande­ren und Lud­ger Strat­mann eben­falls für einen. Es gibt Rabatt­ak­tio­nen in der Gale­ria Kauf­hof und Null-Pro­zent-Finan­zie­rung bei Opel und Peu­geot. Und Sei­ten­ba­cher-Müs­li ist gut für die Ver­dau­ung.

Die dre­ckigs­ten Arbei­ten sind abge­schlos­sen, mein gutes altes Tele­fun­ken-Radio hat viel Staub, aber nur sehr weni­ge Farb­sprit­zer abbe­kom­men. So lang­sam könn­te ich mei­nen einen iPod mit­brin­gen und an die alten Aktiv­bo­xen anschlie­ßen. Aber ich wür­de auch etwas ver­mis­sen: Die stän­dig ins Pro­gramm ein­ge­streu­ten Ever­greens von den Light­ning Seeds und The Beau­tiful South, die vor­ge­le­se­nen Hörer-E-Mails und die immer neu­en Ver­su­che, Ver­kehrs­mel­dun­gen mit humo­ris­ti­schen Ein­la­gen zu ver­bin­den.

Das Fre­quenz­wahl-Räd­chen mei­nes Tele­fun­ken wird auch nach dem Umzug unbe­rührt blei­ben.

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Politik

Die Welt in drei Wörtern erklären

Am 30. August sind Kom­mu­nal­wah­len in NRW. Offen­bar seit die­sem Wochen­en­de dür­fen des­halb die Innen­städ­te mit unin­spi­rier­ten, ver­stö­ren­den, plum­pen, pein­li­chen oder ein­fach nur ega­len Pla­ka­ten zuge­stellt wer­den.

Ein Trend zeich­net sich jetzt schon ab: Vie­le Kan­di­da­ten ver­su­chen in einem Drei­klang auf sich auf­merk­sam zu machen. Dass man da schnell durch­ein­an­der gerät, liegt in der Natur der Sache.

Die fol­gen­de Lis­te von Bür­ger­meis­ter­kan­di­da­ten aus ganz Deutsch­land ist sicher unvoll­stän­dig:

Mut­maß­lich noch ein biss­chen kom­pe­ten­ter, sozia­ler und … äh: daer sind dann wohl die­se bei­den Her­ren:

  • Unab­hän­gig. Kom­pe­tent. Bür­ger­nah. Ver­läss­lich. (Oli­ver Wild, Ehrings­hau­sen, par­tei­los)
  • Sau­ber­keit. Sicher­heit. Recht. Ord­nung. (Hein­rich Müh­mert, Dins­la­ken, Offen­si­ve Dins­la­ken)
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Politik Gesellschaft

Mein Protest-Problem

Um das Ver­hält­nis der Ruhr-Uni Bochum zu Stu­den­ten­pro­tes­ten zu ver­ste­hen, muss man wis­sen, dass es in Bochum eher die Aus­nah­me ist, wenn gera­de mal nicht irgend­wo wofür oder woge­gen demons­triert wird. Als vor drei Jah­ren das damals leer­ste­hen­de Quer­fo­rum West (erst Über­gangs­men­sa für die Zeit des Mens­aum­baus, heu­te Tuto­ri­en­zen­trum und für die­se Funk­ti­on denk­bar unge­eig­net) besetzt wur­de, belau­er­ten sich Uni-Ver­wal­tung und Beset­zer etwa acht Mona­te lang, bis das Gebäu­de dann doch von der Poli­zei geräumt wur­de.

Stu­den­ten­ver­tre­tung und Pro­test­ko­mi­tee – ein Wort, bei dem ich im Geis­te immer „Köl­ner Kar­ne­val“ ergän­zen will – schaf­fen es grund­sätz­lich nicht, der rie­si­gen Mehr­heit der Stu­den­ten­schaft ihre Anlie­gen zu erklä­ren. Auf den spär­lich besuch­ten Voll­ver­samm­lun­gen sprin­gen die Red­ner oft bin­nen weni­ger Sät­ze von der Kri­tik am Bil­dungs­sys­tem zur Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus und dem Krieg in Afgha­ni­stan. Wäh­rend an ande­ren Unis die Pro­fes­so­ren und Dozen­ten ihre Stu­den­ten zur Teil­nah­me am Bil­dungs­streik ermu­ti­gen, haben in Bochum selbst die enga­gier­tes­ten Pro­fes­so­ren kei­ne Lust mehr, sich mit Pro­tes­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen, und fra­gen, ob es nicht geeig­ne­te­re Metho­den gäbe, die durch­aus berech­tig­te Kri­tik an der desas­trö­sen Bil­dungs­po­li­tik der schwarz-gel­ben Lan­des­re­gie­rung zu arti­ku­lie­ren.

Heu­te Mor­gen dann wur­de die Uni-Brü­cke bela­gert. Die Pro­test­ler fleh­ten die her­an­strö­men­den Stu­den­ten fast schon an, sich doch ihre Argu­men­te und Zie­le anzu­hö­ren. Aber irgend­wie war die Idee, die Leu­te über und unter Absper­run­gen klet­tern zu las­sen, nicht geeig­net, die gewünscht Bot­schaft zu ver­mit­teln. Die Stu­den­ten waren genervt und mach­ten Wit­ze. Vor dem Zelt des Pro­tes­ko­mi­tees saßen Men­schen, für deren Beset­zung als Stu­den­ten­ver­tre­ter in einem Fern­seh­film man den zustän­di­gen Cas­ting­di­rek­tor wegen Kli­scheelas­tig­keit ent­las­sen hät­te. Und als schließ­lich etwa acht­zig Pro­test­ler die Hör­sä­le stürm­ten und „Soli­da­ri­sie­ren, Mit­mar­schie­ren!“ skan­dier­ten, wuss­te ich plötz­lich wie­der ganz genau, war­um mir das alles nicht gefällt: Ich mag ein­fach kein Gebrüll und kein Mar­schie­ren.

Vor drei Jah­ren war ich für CT das radio bei einer Demons­tra­ti­on gegen Stu­di­en­ge­büh­ren in Düs­sel­dorf und die­ser Tag hat mein Ver­hält­nis zu Pro­test­ak­tio­nen nach­hal­tig gestört: Wäh­rend am Stra­ßen­rand Pas­san­ten stan­den und sich ange­sichts der doch recht all­ge­mein gehal­te­nen Trans­pa­ren­te und Sprech­chö­re frag­ten, wor­um es eigent­lich gin­ge, kam ein Teil der Men­ge auf die Idee, zur Melo­die von „Einer geht noch, einer geht noch rein“ immer wie­der „Ohne Bil­dung wer’n wir Poli­zist“ zu grö­len, was ich auch rück­bli­ckend noch als empö­rens­wer­ten Aus­bruch von Arro­ganz und Men­schen­ver­ach­tung emp­fin­de.

Kaum waren die Absper­run­gen ent­lang der Bann­mei­le um den Land­tag erreicht, hielt es ein Teil der Demons­tran­ten offen­bar für gebo­ten, die­se als ers­tes zu Über­sprin­gen, was die Poli­zei zum Her­an­stür­men ver­an­lass­te. Ich floh der­weil mit einem Redak­ti­ons­nach­weis in der einen und mei­nem Jugend­pres­se­aus­weis in der ande­ren Hand hin­ter die Poli­zei­li­ni­en und tele­fo­nier­te auf­ge­regt in die Live­sen­dung, wäh­rend ein paar Meter wei­ter Chi­na­böl­ler in Rich­tung von Kin­dern und alten Frau­en flo­gen, die sich bizar­rer­wei­se im Park um den Land­tag auf­hiel­ten.

Demons­tran­ten schrien ande­re Demons­tran­ten an, sie soll­ten doch mit dem Scheiß auf­hö­ren. Poli­zis­ten bell­ten in ihre Funk­ge­rä­te, was für Idio­ten denn wohl ver­an­lasst hät­ten, die Men­ge auch noch mit Video­ka­me­ras zu fil­men – auf sol­che Pro­vo­ka­tio­nen kön­ne man ja wohl ver­zich­ten. Eine ande­re Hun­dert­schaft mach­te gera­de Mit­tags­pau­se in der Son­ne. Ich dach­te – und den­ke es gera­de ange­sichts der Mel­dun­gen aus Tehe­ran wie­der -, dass es viel­leicht im Gro­ßen und Gan­zen doch nicht so übel ist, in Deutsch­land zu leben.

Wenn heu­ti­ge Stu­den­ten jetzt von ’68 träu­men, legen sie damit immer­hin die für erfolg­rei­che Revo­lu­tio­nen benö­tig­te Welt­frem­de an den Tag. Zwar neigt Geschich­te dazu, in Abstän­den von etwa vier­zig Jah­ren ver­gleich­ba­re gesell­schaft­li­che Span­nun­gen zu durch­lau­fen, aber die Welt ist 2009 doch in fast jeder Hin­sicht eine ande­re als 1968. Oder: Zumin­dest Deutsch­land ist ein ande­res.

Auch wenn ich per­sön­lich mit mei­nem Stu­di­um ziem­lich zufrie­den bin, weiß ich von genug Leu­ten, bei denen die Bache­lor/­Mas­ter-Stu­di­en­gän­ge zu Desas­tern geführt haben. Ich glau­be in der Tat, dass bil­dungs­po­li­tisch eini­ges, wenn nicht alles, im Argen liegt. Aber mich über­zeu­gen die­se For­men des Pro­tests (zumin­dest die, dich ich bis­her mit­be­kom­men habe) nicht – ich hal­te sie viel eher für kon­tra­pro­duk­tiv. Dass Demons­tra­ti­ons­zü­ge ohne den nöti­gen Rück­halt in der Bevöl­ke­rung allen­falls Mit­leid erzeu­gen, kann man jeden Mon­tag­abend in der Bochu­mer Innen­stadt besich­ti­gen.

Fra­gen Sie mich nicht, wie ich das machen wür­de. Ich leis­te mir nach wie vor die Nai­vi­tät, an die Macht des Dia­logs zu glau­ben und an den Sieg der Ver­nunft. Auch hun­der­te Lan­des- und Bun­des­re­gie­run­gen wer­den mich nicht davon abbrin­gen kön­nen – und mit die­ser Welt­frem­de bin ich doch irgend­wie wie­der ganz bei den Pro­test­lern.

Musik!

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Gesellschaft Leben

Paradigm City (Eine Odyssee)

Nicht gänz­lich über­ra­schend ende­te vor zwei Wochen auch die letz­te aller Über­gangs­fris­ten im lang­sams­ten aller Bun­des­län­der – und so trat auch im von kolum­bia­ni­schen Tabak­ka­r­tel­len kon­trol­lier­ten Nord­rhein-West­fa­len das in Kraft, was man leicht­fer­tig „Rauch­ver­bot“ nennt. In Bochum, immer­hin der Knei­pen­haupt­stadt des Ruhr­ge­biets, hört man von ein­zel­nen Gast­stät­ten, die sich auch dran hal­ten.

Am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de weil­te ich zu Ver­wand­ten­be­su­chen in Dins­la­ken. Die Stadt krank­te schon zu mei­ner Zeit dar­an, dass man dort eigent­lich nichts ande­res tun kann als sich zu betrin­ken, es aber kei­ne geeig­ne­ten Loka­li­tä­ten für der­ar­ti­ge Plä­ne gibt. Am Sams­tag­abend hat­te ich aber eini­ge lie­be Men­schen um mich gesam­melt und gemein­sam fühl­ten wir uns unbe­sieg­bar für unser Vor­ha­ben: Jetzt, wo nir­gends mehr geraucht wer­den darf, woll­ten wir end­lich mal eine Knei­pen­tour durch all die Schup­pen machen, in die wir uns bis­her nicht hin­ein­ge­traut hat­ten.

Um den halb­her­zi­gen Ver­such eines Span­nungs­auf­baus direkt an die­ser Stel­le abzu­wür­gen: wir sind geschei­tert. Kläg­lich. Mit wehen­den Segeln, Pau­ken und Trom­pe­ten. Es begann näm­lich schon mal damit, dass die Som­mer­fe­ri­en kei­ne gute Zeit für Knei­pen­tou­ren sind. Gut die Hälf­te der Gast­stät­ten auf unse­rer ima­gi­nä­ren Lis­te begrüß­te uns mit geschlos­se­nen Roll­lä­den und dem Hin­weis auf aus­ge­dehn­te Betriebs­fe­ri­en. Immer­hin: die Vor­stel­lung, dass sämt­li­che Alt­her­ren­knei­pen­wir­te der Stadt einen gemein­sa­men Kegel­ur­laub ver­brach­ten, die hat­te was.

Die nächs­ten Läden, die wir pas­sier­ten, waren inzwi­schen in Rau­cher­clubs umge­wan­delt wor­den. Damit schie­den sie für unser Vor­ha­ben der rauch­frei­en Knei­pen­tour natür­lich aus und auch sonst wer­de ich jetzt weder den einen noch den ande­ren Schup­pen jemals von innen zu sehen bekom­men – was ange­sichts des­sen, was man schon von außen sehen kann, aller­dings aufs Hef­tigs­te begrüßt wer­den muss. Auch auf die Gefahr hin, den Ruf sämt­li­cher Dins­la­ke­ner Innen­ar­chi­tek­ten für immer zu zer­stö­ren: Knei­pen, die wie die Gas­tro­no­mie­zei­le eines Son­nen­stu­di­os aus­se­hen, gehen gar nicht!

Nach zwan­zig Minu­ten Rum­ge­gur­ke auf nicht ganz ver­kehrs­si­che­ren Fahr­rä­dern durch eine glück­li­cher­wei­se ver­kehrs­freie Innen­stadt (in der es nach dem Hoch­klap­pen der Bür­ger­stei­ge übri­gens nach Pfer­de­mist riecht) blie­ben noch genau zwei Loka­le übrig: die über die Gren­zen der Stadt bekann­te „Sze­ne­knei­pe“ „Ulcus“ und das Leh­rer-in-Leder­wes­ten-trin­ken-Rot­wein-Lokal „Zur Adler-Apo­the­ke“.

Der „Ulcus“ ist die ver­mut­lich ein­zi­ge Sze­ne­knei­pe der Welt, in der jun­ge Men­schen beim Weg­ge­hen auf ihre eige­nen Eltern tref­fen kön­nen, dafür wird Ser­vice dort in bes­ter Ber­li­ner Sze­ne­knei­pen-Tra­di­ti­on klein geschrie­ben (und das nicht nur, weil es sich dabei ursprüng­lich um ein eng­li­sches Wort han­del­te). In bes­ter Ver­ken­nung des Geset­zes­tex­tes hat­te man dort einen klei­nen Neben­raum zur Nicht­rau­cher­zo­ne erklärt, was wit­zi­ger­wei­se dazu führt, dass man, wenn man in die Nicht­rau­cher­zo­ne, auf Toi­let­te oder zur The­ke (Sie erin­nern sich: Ser­vice) will, durch den voll­ge­qualm­ten Haupt­raum muss. Immer­hin liegt der Nicht­rau­cher­be­reich ein biss­chen nied­ri­ger, so dass der Qualm eini­ger­ma­ßen drau­ßen bleibt – eine Tür oder wenigs­tens einen Vor­hang gibt es näm­lich auch nicht. Das Argu­ment, die meis­ten Gäs­te woll­ten ja rau­chen, soll­te jetzt bes­ser nie­mand brin­gen, denn der Nicht­rau­cher­raum war voll, wäh­rend wir im Rau­cher­raum immer­hin noch eine hal­be Bank hät­ten beset­zen kön­nen. Woll­ten wir aber nicht.

Also die „Apo­the­ke“ – wie der Name schon sagt eine alte Apo­the­ke mit einer Innen­ein­rich­tung aus der Kai­ser­zeit und viel Lie­be zum Detail. Dass auch hier im Haupt­raum (The­ke, Ein­gang, Durch­gang zu den Toi­let­ten) geraucht wer­den darf und wir auf Anhieb gar kei­nen Nicht­rau­cher­raum erspä­hen konn­ten, war uns zu die­sem Zeit­punkt egal. Wir hat­ten Durst und müde Kno­chen. Wir ver­brach­ten einen net­ten Abend und die Bedie­nung war freund­lich.

Das mit dem Rauch­ver­bot aber, das scheint in Dins­la­ken noch in wei­ter Fer­ne zu lie­gen. Viel­leicht hät­te das Ord­nungs­amt nicht vor­ab in der Pres­se ver­kün­den sol­len, dass man eh nicht kon­trol­lie­ren wer­de …

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Rundfunk Digital

Kalter Kaffee und TV

Das medienforum.nrw galt ein­mal als bedeu­ten­der Bran­chen­treff. Zeit­gleich wur­de es auch immer als irrele­van­te Nabel­schau geschol­ten, was im Wesent­li­chen ein Syn­onym für „bedeu­ten­der Bran­chen­treff“ ist. In die­sem Jahr fin­det es zum zwan­zigs­ten Mal statt, weckt kei­ne gro­ßen Erwar­tun­gen mehr, und das ist doch ein guter Grund, per­sön­lich in Köln vor­bei­zu­schau­en.

medienforum.nrw: Eingang

Das Gruß­wort von Ober­bür­ger­meis­ter Fritz Schram­ma kön­nen Sie sich ganz leicht sel­ber bas­teln, wenn Sie nur oft genug die Wor­te „Stand­ort­fak­tor“, „Medi­en“ und „Krea­tiv­wirt­schaft“ in einen Blind­text ein­fü­gen. Die Ein­füh­rung von Prof. Nor­bert Schnei­der, Direk­tor der Lan­des­an­stalt für Medi­en NRW und damit Gast­ge­ber des Medi­en­fo­rums, war da schon deut­lich gehalt­vol­ler und vor allem: wit­zi­ger. Schnei­der blick­te vor allem auf die letz­ten zwan­zig Jah­re zurück und fass­te zusam­men, wie viel sich in der Zeit ver­än­dert hat – oder auch wie wenig. Außer­dem wünsch­te er sich in Zei­ten in denen „Ver­le­ger Inten­dan­ten und Inten­dan­ten Ver­le­ger wer­den wol­len“, dass sich alle ein biss­chen mehr auf ihre Kern­kom­pe­ten­zen besin­nen, was man ange­sichts der aktu­ell toben­den und auch kurz nach sei­ner Rede wie­der­auf­ge­führ­ten Dis­kus­si­on wahl­wei­se als welt­frem­de Ein­las­sung oder als aus­ge­spro­chen klu­gen Gedan­ken sehen kann.

Die „medi­en­po­li­ti­sche Grund­satz­re­de“ von Minis­ter­prä­si­dent Rütt­gers sei hier nur der Voll­stän­dig­keit hal­ber erwähnt. Sie war unge­fähr dop­pelt so lang wie geplant, bot aber nicht viel neu­es. Allen­falls die deut­li­che Ansa­ge an die EU-Kom­mis­si­on, sie möge gefäl­ligst end­lich mal auf­hö­ren, den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk in Fra­ge zu stel­len, blieb hän­gen.

Und dann soll­te das kom­men, wor­auf alle gewar­tet hat­ten: Schlamm­cat­chen mit Beil und Mor­gen­stern, inklu­si­ve Haa­re­zie­hen und Fin­ger­nä­gel­aus­fah­ren. In der gro­ßen Dis­kus­si­ons­run­de, drei Tage bevor die Minis­ter­prä­si­den­ten sich über dem 12. Rund­funk­än­de­rungs­staats­ver­trag zusam­men­ho­cken, soll­ten Ver­tre­ter der öffent­lich-recht­li­chen und pri­va­ten Sen­der noch ein­mal auf­ein­an­der­sto­ßen, beglei­tet vom Gemur­mel der Print­bran­che. RTL-Che­fin Anke Schä­fer­kordt und WDR-Inten­dan­tin Moni­ka Piel waren beim Pro­jekt „Zicken­ter­ror“ aber allen­falls halb­her­zig bei der Sache und über­haupt schien es, als hät­ten alle Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer vor­ab unter­schrei­ben müs­sen, dass sie der Dis­kus­si­on auf kei­nen Fall neue Aspek­te hin­zu­fü­gen wür­den: die Öffent­lich-Recht­li­chen wol­len sich von der Poli­tik nicht ein­schrän­ken, ja: „zen­sie­ren“ las­sen; die Pri­va­ten sehen im Wett­be­werb mit gebüh­ren­fi­nan­zier­ten Sen­dern kei­nen ech­ten Wett­be­werb.

San­dra Maisch­ber­ger mode­rier­te gewitzt und so sou­ve­rän, dass man völ­lig ver­ges­sen konn­te, dass ihre eige­ne Sen­dung ja auch bei einem öffent­lich-recht­li­chen Sen­der läuft; ZDF-Inten­dant Mar­kus Schäch­ter rede­te viel und sag­te doch immer nur das sel­be; Jür­gen Doetz vom Ver­band Pri­va­ter Rund­funk und Tele­me­di­en gran­tel­te, wie er das dem Ver­neh­men nach seit zwan­zig Jah­ren tut, und Ulrich Reitz von der Zei­tungs­grup­pe WAZ erklär­te, dass Print­re­dak­teu­re nun Online- und Video­kom­pe­tenz erwer­ben müss­ten – wenn sie soweit sind, wird man dies viel­leicht auch bei derwesten.de, dem Online­por­tal der WAZ-Grup­pe, sehen kön­nen.

Aber das alles ist Brauch­tum: auf dem Podi­um sagen alle, was sie immer sagen, und hin­ter­her sit­zen die Jour­na­lis­ten zusam­men und sagen wie immer, dass alle ja nur gesagt hät­ten …

Alles was Rang und Namen hat - und nichts besseres vor

Die Idee, auch die Tech­nik­sei­te zu Wort kom­men zu las­sen, war kei­ne schlech­te, aber ange­sichts der aktu­el­len medi­en­po­li­ti­schen Dis­kus­si­on kamen die Ver­tre­ter von Satel­li­ten- und Kabel­an­bie­tern kaum zu Wort. Über­ra­schen­der Sym­pa­thie­trä­ger der Run­de war René Ober­mann, der Vor­stands­vor­sit­zen­de der Tele­kom, der das gan­ze ein­stu­dier­te Gekei­fe völ­lig ent­spannt an sich vor­bei­zie­hen ließ und mit fei­nem Gal­gen­hu­mor in der aktu­el­len Abhör­af­fä­re die größ­ten Lacher ern­te­te.

Wenn man aus dem gro­ßen Rau­schen etwas mit­neh­men konn­te, dann das neue Man­tra der Medi­en­bran­che das „Inter­net­vi­deo ist die Zukunft“ heißt und in mei­nen Augen ziem­li­cher Blöd­sinn ist. You­Tube ist ja nicht so erfolg­reich, weil man sich dort online Vide­os anschau­en kann, son­dern wegen der Inhal­te, die man sich dort anse­hen kann. Und wenn ich im Inter­net Video­nach­rich­ten sehen will, dann doch bit­te in gewohn­ter Qua­li­tät und von Men­schen, die sowas jeden Tag machen (also von Fern­seh­leu­ten), und nicht von Print-Redak­teu­ren, die wider­wil­lig einen Cam­cor­der hal­ten. Dass die Print-Ver­tre­ter Tex­te im Inter­net als „elek­tro­ni­schen Print“ und die Fern­seh­leu­te Inter­net-Vide­os als „Fern­se­hen“ bezeich­nen, zeigt eigent­lich nur, in wel­chen Scha­blo­nen Men­schen den­ken, die von „Medi­en­kon­ver­genz“ reden.

Über­haupt: Von wel­chem Wett­be­werb im Inter­net reden die eigent­lich alle? Wenn ARD und ZDF ihre (ja mit­un­ter doch recht guten) Repor­ta­gen aus dem In- und Aus­land nicht mehr ins Inter­net stel­len dürf­ten, weil die ja mit den Gebüh­ren der … äh: Zuschau­er finan­ziert wur­den, wür­de dadurch doch nicht plötz­lich die bis­her nicht vor­han­de­ne Qua­li­tät des RTL-Info­tain­ments stei­gen. Und wenn ich „Dr. House“ online sehen könn­te, wür­de ich das natür­lich bei rtlnow.de tun, das „Heu­te Jour­nal“ fin­de ich in der ZDF-Media­thek. Das sind zwei Paar Schu­he und ich will das sehen, was mich inter­es­siert, und nicht das, was die Poli­tik mir zuge­steht.

Spä­ter war ich bei einer Dis­kus­si­on über die Zukunft der deut­schen Serie, bei der sich alle Teil­neh­mer dar­über einig waren, dass etwas gesche­hen muss, sie aber alle nicht wis­sen, was. Nach­ma­chen von US-Seri­en klappt nicht, neue Ideen hat ent­we­der kei­ner oder sie inter­es­sie­ren den Zuschau­er nicht. In der Selbst­hil­fe­grup­pen­haf­tig­keit kam die Run­de auf gute 0,8 Musik­in­dus­trien.

Unter­halt­sam wur­de es beim Vete­ra­nen­treff mit Prof. Nor­bert Schnei­der, Jür­gen Doetz, Chris­tia­ne zu Salm und Prof. Hel­mut Tho­ma. Das hat­te in der Tat viel von der vor­her pro­phe­zei­ten Mup­pet-Show, aber wenig zu tun mit dem Jahr 2008. Nor­bert Schnei­der bestä­tig­te die schlimms­ten Annah­men über die über­bü­ro­kra­ti­sier­ten Lan­des­me­di­en­an­stal­ten, als er anmerk­te, man wür­de auch phar­ma­zeu­ti­sche Lizen­zen aus­ge­ben, wenn man das Recht dazu hät­te. Chris­tia­ne zu Salm, zu deren größ­ten Ver­diens­ten der ers­te Fern­seh­sen­der mit iro­ni­schem Namen (MTV, music tele­vi­si­on) und die Erfin­dung von Call-In-Sen­dun­gen zählt, erzähl­te das, was sie immer erzählt, seit sie Che­fin der Cross-Media-Abtei­lung bei Bur­da ist. Jür­gen Doetz hat­te sein Pul­ver schon in der vor­mit­täg­li­chen Dis­kus­si­on ver­schos­sen, so das alles an Hel­mut Tho­ma hän­gen blieb. Der ewi­ge RTL-Chef ist inzwi­schen Bera­ter bei Axel Sprin­ger und tourt mit einer Samm­lung sei­ner bes­ten Bon­mot von frü­her und heu­te über deut­sche Podi­en:

  • „Digi­ta­li­sie­rung ist ein Trans­port­weg, nicht ein Inhalt. Ein Joghurt, den ich mit einem Elek­tro­kar­ren in den Laden schaf­fe, ist ja auch kein Elek­tro-Joghurt.“
  • „In Deutsch­land besteht eine grö­ße­re Viel­falt unter den Lan­des­me­di­en­an­stal­ten, als unter den Pro­gram­men.“
  • „Wir haben kein dua­les Sys­tem mehr, son­dern eines für jün­ge­re Zuschau­er und eines für älte­re“
  • „Die Öffent­lich-Recht­li­chen wer­den sicher auch nach dem Ver­blei­chen des letz­ten Zuschau­ers noch wun­der­bar funk­tio­nie­ren.“

Und das medienforum.nrw wird allem Geme­cker und aller Red­un­danz zum Trotz auch in zwan­zig Jah­ren noch die glei­chen Dis­kus­sio­nen füh­ren. Anders wär’s ja auch lang­wei­lig.

Dani­el Fie­ne ist auch auf dem medienforum.nrw und schreibt dar­über hier und hier.

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I’m With Stupid

Abizeitungs-Verkauf anno 2002

Ich habe ein NRW-Abi. Das allei­ne ist oft genug Grund für Hohn und Spott, den man sich von Men­schen anhö­ren muss, die in ihrer Schu­le alles, außer Hoch­deutsch gelernt haben.

Das Abitur nord­rhein-west­fä­li­scher Gym­na­si­en hat­te einen Ruf, der nur mar­gi­nal bes­ser ist als der von ukrai­ni­schen Stein­pil­zen in den 1980er Jah­ren oder der von Fran­jo Pooth heu­te. Das lag vor allem an einer desas­trö­sen Schul­po­li­tik, die die SPD über Jahr­zehn­te betrie­ben hat­te – wobei das irgend­wie schon zu akti­visch klingt: die Schul­po­li­tik war eher irgend­wie gesche­hen. Die zur Zeit mei­nes Abitur zustän­di­ge Schul­mi­nis­te­rin Gabrie­le Beh­ler war so unbe­liebt, dass unser Phy­sik­leh­rer bei Ver­su­chen zur Flug­bahn von Dart­pfei­len vor­schlug, die Ziel­schei­be mit einem Foto der Minis­te­rin zu bekle­ben.

Nach­dem man in NRW all­ge­mein zu der Ein­sicht gelangt war, dass die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung ein kaum repa­rier­ba­res und vor allem nicht zu über­bie­ten­des Desas­ter ange­rich­tet hat­te, ent­schied man sich im Mai 2005 dazu, einer neu­en, schwarz-gel­ben Lan­des­re­gie­rung die Gele­gen­heit zu geben, das Desas­ter eben doch noch zu über­bie­ten. War Ger­hard Schrö­der 1998 mit der Ansa­ge ins Kanz­ler­amt ein­ge­zo­gen, er wer­de nicht alles anders machen, aber vie­les bes­ser, hieß es bei CDU und FDP plötz­lich: alles anders, aber nichts bes­ser.

Da Bun­des­län­der mit Zen­tral­ab­itur bei Tests bedeu­tend bes­ser abge­schnit­ten hat­ten, brauch­te NRW plötz­lich auch eines – und zwar sofort und ohne wei­ter groß dar­über nach­zu­den­ken. Das ers­te Zen­tral­ab­itur im Jahr 2007 litt unter feh­ler­haf­ten Auf­ga­ben­stel­lun­gen und ande­ren „Kin­der­krank­hei­ten“, wie es ger­ne bei schlecht ange­lau­fe­nen Neu­hei­ten heißt. Aber 2008, da soll­te alles bes­ser wer­den (und ver­mut­lich man­ches anders).

Es ist, Sie ent­neh­men es mei­ner umständ­li­chen Anmo­de­ra­ti­on, alles noch viel, viel schlim­mer gekom­men. „Spie­gel Online“ hat die gröbs­ten Schnit­zer in den Fra­ge­stel­lun­gen zusam­men­ge­stellt und berich­tet von einer Schu­le, wo von 84 Abitu­ri­en­ten 74 in die Nach­prü­fung müs­sen. Da ist man wirk­lich froh, wenn man sein Doo­fen-Abi schon hat.

Eine Schü­le­rin aus einem Eng­lisch-LK wird mit den fol­gen­den Wor­ten zitiert:

„Mei­ne Leh­re­rin mein­te, das lie­ge nur dar­an, dass sie die Ant­wor­ten vom Minis­te­ri­um als Vor­la­ge neh­men muss“, sagt Desi­ree, „sonst hät­te ich 13 Punk­te von ihr bekom­men – weil ich einen rich­ti­gen, aber ande­ren Gedan­ken­gang hat­te als das Minis­te­ri­um.“

Und wäh­rend die Lan­des­schü­ler­ver­tre­tung wenigs­tens eine Ent­schul­di­gung von Schul­mi­nis­te­rin Bar­ba­ra Som­mer for­dert, kün­digt die wei­te­re Refor­men an, mit denen sie die Eigen­ver­ant­wor­tung der Schu­len stär­ken will. Dass ich Eigen­ver­ant­wor­tung und Zen­tral­ab­itur für irgend­wie wider­sprüch­li­che Kon­zep­te hal­te, liegt ver­mut­lich an mei­nem NRW-Abitur.

Kom­men wir zum Schluss noch zu mei­ner Lieb­lings­pas­sa­ge aus dem SpOn-Arti­kel, vor deren Lek­tü­re ich Sie aller­dings bit­ten muss, kurz zu über­prü­fen, ob die Tisch­plat­te, in die Sie gleich bei­ßen wer­den, auch ihre eige­ne ist:

Bei einer Päd­ago­gik-Auf­ga­be zu Sig­mund Freud hat­ten die Autoren aus „Gefüh­len, die uns bewusst sind“, ein „unbe­wusst“ gemacht und so den Sinn ins Gegen­teil ver­kehrt. Bar­ba­ra Som­mer: „Rück­mel­dun­gen haben erge­ben, dass vie­le Schü­ler auch schon vor der Kor­rek­tur­mit­tei­lung das ‚un‘ über­le­sen haben und den Satz rich­tig ver­stan­den hat­ten.“

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Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhr­ge­biet, wirk­lich. Ich lebe ger­ne hier und fin­de vie­les in einem kon­ven­tio­nel­len, gar nicht iro­ni­schen Sin­ne „schön“. Neben ein paar klei­ne­ren Macken, die man in jeder Gegend fin­den könn­te, hat das Ruhr­ge­biet aber ein paar ekla­tan­te Pro­ble­me, die exis­tenz­be­dro­hend sein kön­nen.

Damit mei­ne ich noch nicht mal „Der­Wes­ten“, das lan­ge und groß ange­kün­dig­te, in der Umset­zung aber desas­trö­se Online-Por­tal der WAZ. Zwar bin ich der Mei­nung, dass sich die WAZ-Grup­pe viel­leicht erst mal auf ihre Kern­kom­pe­ten­zen besin­nen (bzw. sol­che auf­bau­en) soll­te, bevor man sich an Kon­zert­agen­tu­ren betei­li­gen will, und auch über die geplan­te Koope­ra­ti­on mit dem WDR wer­de ich mich zu gege­be­ner Zeit sicher­lich noch auf­re­gen, „Der­Wes­ten“ selbst habe ich aber völ­lig abge­schrie­ben und will mich am Ein­prü­geln auf der­art wei­che Zie­le auch nicht mehr betei­li­gen.

Reden wir lie­ber vom Ruhr­ge­biet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesens­wer­ten Arti­kel über das Image-Pro­blem des Ruhr­ge­biets, das unter ande­rem auch dar­aus resul­tiert, dass die größ­te Metro­pol­re­gi­on Deutsch­lands (und fünft­größ­te Euro­pas – aller­dings mit Köln und Düs­sel­dorf) nach wie vor als unüber­sicht­li­ches Wirr­warr von 56 Städ­ten und Krei­sen wahr­ge­nom­men wird und sich tra­gi­scher­wei­se auch noch selbst so wahr­nimmt.

Im Ruhr­ge­biet leben 5,2 Mil­lio­nen Men­schen – auf­ge­teilt in drei Regie­rungs­be­zir­ke, von denen der eine nach einer Klein­stadt im Sau­er­land benannt ist, zwei Land­schafts­ver­bän­de, vier Krei­se, elf kreis­freie Städ­te, min­des­tens drei WDR-Lan­des­stu­di­os und unge­zähl­te Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men. Der Regio­nal­ver­band Ruhr (RVR) soll das gan­ze halb­wegs zusam­men­hal­ten – wenn nicht gera­de die nicht ganz unbe­deu­ten­de Stadt Dort­mund aus­stei­gen und lie­ber Haupt­stadt der west­fä­li­schen Pro­vinz als Teil einer Metro­po­le sein oder der Kreis Wesel lie­ber nie­der­rhei­ni­sche Pro­vinz als grü­ne Lun­ge der Regi­on sein will. Die SPD, die es in gefühl­ten hun­dert Jah­ren in der NRW-Lan­des­re­gie­rung nicht geschafft hat, das Ruhr­ge­biet zusam­men­zu­brin­gen, will den RVR gar gleich ganz auf­lö­sen.

Fragt man Men­schen aus Bran­den­burg nach ihrer Her­kunft, wer­den sie mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit „Ber­lin“ ant­wor­ten. Wer im Umkreis von etwa hun­dert Mei­len um Städ­te wie New York, Chi­ca­go oder Los Ange­les lebt, wird sich als Ein­woh­ner die­ser (zuge­ge­be­ner­ma­ßen extrem nam­haf­ten) Metro­po­len füh­len. Im Ruhr­ge­biet leben Men­schen, die dar­auf bestehen, aus einem seit 33 Jah­ren unselb­stän­di­gen Stadt­teil Bochums zu kom­men, und ein lau­tes Weh­kla­gen anstim­men, wenn sich das irgend­wann auch mal in der Bahn­hofs­be­schil­de­rung nie­der­schla­gen soll. Kein Wun­der, dass im Aus­land noch nie jemand vom Ruhr­ge­biet gehört hat und man immer „I live near Colo­gne“ sagen muss. Köln hat außer sei­nem wun­der­ba­ren Dom kei­nen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhr­ge­biet gibt es wenigs­tens Bier und fünf Mal so vie­le Leu­te.

Schafft es das Ruhr­ge­biet in die Nach­rich­ten, sind gera­de wie­der ein paar Tau­send Arbeits­plät­ze in Gefahr oder weg­ge­fal­len und irgend­ein Ober­bür­ger­meis­ter, den nicht mal die Ein­woh­ner der Nach­bar­stadt ken­nen, spricht von einem „schwe­ren Schlag“ für sei­ne Stadt und die dor­ti­ge Wirt­schaft. Wahr­lich beein­dru­ckend ist die Soli­da­ri­tät unter den Men­schen hier: Da wird man als Besu­cher des Bochu­mer Schau­spiel­hau­ses gebe­ten, Pro­test­post­kar­ten an die Nokia-Füh­rung in Finn­land aus­zu­fül­len, und die aller­meis­ten machen das ein­fach. Zu Demons­tra­tio­nen am Nokia-Werk kom­men tau­sen­de Leu­te mit unter­schied­lichs­ten Beru­fen und sozia­len Hin­ter­grün­den, aber es klappt nicht, die­se „Wir schaf­fen das!“-Stimmung über die Medi­en zu trans­por­tie­ren – dort heißt es dann, eine gan­ze Stadt ste­he am Abgrund. Über­haupt: Wie wirkt denn das, wenn von „Nokia­nern“ oder „Ope­la­nern“ die Rede ist, ganz so, als gin­ge es um außer­ir­di­sche Lebens­for­men oder schlim­me Krank­hei­ten? Ent­las­se­ne Simens-Mit­ar­bei­ter hei­ßen doch auch „Sie­mens-Mit­ar­bei­ter“.

Zwar wer­den regel­mä­ßig neue For­schungs­zen­tren, Indus­trie­parks und ähn­li­ches eröff­net (und manch­mal auch wie­der geschlos­sen), aber das wird selbst in der regio­na­len Pres­se immer unter einem Rubrum wie „IT statt Koh­le“ auf­ge­führt, ganz so, als lie­fen hier immer noch alle mit schwarz ver­schmier­ten Gesich­tern durch stau­bi­ge Stra­ßen und wür­den gera­de ihre ers­te elek­tri­sche Schreib­ma­schi­ne anschlie­ßen. Fast scheint es, als wol­le man den gera­de statt­fin­den­den Struk­tur­wan­del ver­schwei­gen, weil es immer noch bes­ser ist, der „Koh­len­pott“ zu sein als so ein eigen­schafts­lo­ser Wachs­tums­raum wie Halle/​Leipzig.

Dafür wird das Ruhr­ge­biet ja euro­päi­sche Kul­tur­haupt­stadt des Jah­res 2010, mag man jetzt den­ken. Die Hoff­nun­gen, dass von die­ser Ver­an­stal­tung irgend­ein posi­ti­ver Impuls aus­ge­hen könn­te, habe ich aller­dings so gut wie begra­ben. Zwar ist es in Deutsch­land guter Brauch, alles im Vor­hin­ein schei­ße zu fin­den und es hin­ter­her zu beju­beln (Welt­aus­stel­lun­gen, Fuß­ball­welt­meis­ter­schaf­ten, Die Lin­ke), aber in die­sem Fall deu­tet vie­les dar­auf hin, dass die „Ruhr.2010“ in der Tat ein Desas­ter unge­ahn­ten Aus­ma­ßes wer­den könn­te. Dju­re hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slo­gan und die Finan­zie­rung geschrie­ben und sich trotz opti­mis­ti­scher Aus­gangs­hal­tung inzwi­schen zur For­de­rung „Absa­gen, ein­fach absa­gen …“ hoch­ge­ar­bei­tet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhr­ge­biet. Aber ich habe das Gefühl, die Leu­te, die in die­ser Regi­on etwas zu sagen haben, has­sen die Idee dahin­ter. Und die Leu­te, die hier leben, mer­ken gar nicht, dass sie im Ruhr­ge­biet leben.

Universitätsstraße in Bochum
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Unterwegs Kultur

Hoffentlich ist es Beton

Ruhr-Uni Bochum

Wenn Men­schen ver­rei­sen, geben sie viel Geld aus um weit weg zu kom­men, dort­hin, wo’s schön ist. Wenn sie dann wie­der heim­keh­ren, den­ken sie „Ach, schreck­lich, wie das hier aus­sieht“, und die gan­ze Erho­lung ist weg. War­um fah­ren sie also nicht in die nähe­re Umge­bung, gucken sich dort die Tage­bau­ge­bie­te, Fuß­gän­ger­zo­nen und Gefäng­nis­se an und sind ganz ent­zückt, wenn sie end­lich wie­der zuhau­se sein dür­fen?

Ich war also am Diens­tag in Marl. Die Innen­stadt wur­de in den 1960er Jah­ren am Reiß­brett ent­wor­fen und war damals sicher visio­när: ein Ein­kaufs­zen­trum ame­ri­ka­ni­scher Bau­art, davon aus­ge­hend ver­schie­de­ne Wohn-Hoch­häu­ser, ein klar struk­tu­rier­tes, dabei aber luf­ti­ges Rat­haus, ein künst­li­cher See. Wenn man in der Däm­me­rung durch den Nie­sel­re­gen schlurft (wie Ste­fan am Mon­tag), wirkt die­ser Ort wie der post-apo­ka­lyp­ti­sche Schau­platz einer Archi­tek­tur­schau längst ver­gan­ge­ner Epo­chen, aber man ahnt, wie begeis­tert die Macher von ihren Ideen waren, wie durch­dacht und modern die­se Stadt ein­mal gewe­sen sein muss. Nur leben wol­len die Leu­te so nicht und ohne Anzü­ge und Pet­ti­coats wir­ken sie dort auch selt­sam deplat­ziert.

Es ist das Schick­sal min­des­tens einer Gene­ra­ti­on deut­scher Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner, dass ihre heh­ren Plä­ne und Kon­zep­te kolos­sal geschei­tert sind. Wie oft höre ich, die Ruhr-Uni Bochum sei ja „so häss­lich“, dabei sieht sie kaum anders aus als die Uni­ver­si­täts­neu­bau­ten in Düs­sel­dorf, Dort­mund, Duis­burg, Essen, Bie­le­feld oder Pader­born. Genau genom­men ist die Ruhr-Uni sogar von einer viel höhe­ren Qua­li­tät: klar struk­tu­riert, ohne Schnör­kel und anhei­meln­de Gemüt­lich­keit, nur gebaut, um mög­lichst vie­len Arbei­ter­kin­dern die Mög­lich­keit eines Hoch­schul­stu­di­ums zu bie­ten. Ein Blick in die hell erleuch­te­ten Zim­mer des Nach­bar­hau­ses bringt häss­li­che­res zu Tage.

Christuskirche DinslakenIn Dins­la­ken wur­de im ver­gan­ge­nen Jahr die evan­ge­li­sche Chris­tus­kir­che abge­ris­sen, weil sie zu nah an den ande­ren Kir­chen lag und ihr Erhalt zu teu­er war. Der Beton­bau aus den spä­ten 1960er Jah­ren war immer unbe­liebt gewe­sen: groß, kalt, mit der Aus­strah­lung einer Mehr­zweck­turn­hal­le. Selbst unter Auf­brin­gung von christ­li­cher Nächs­ten­lie­be und kul­tu­rel­lem Ver­ständ­nis war die Kir­che häss­lich – und doch war zum Bei­spiel die Idee, bei der Gestal­tung der „Fens­ter“, die eher klei­ne far­bi­ge Licht­lö­cher in Beton­ele­men­ten waren, völ­lig auf Moti­ve zu ver­zich­ten, eine kon­se­quen­te bau­li­che Umset­zung des Pro­tes­tan­tis­mus gewe­sen. Den Vor­schlag, ein­fach die klas­si­zis­ti­sche Schwes­ter­kir­che abzu­rei­ßen, hät­te nie jemand zu äußern gewagt – mal davon ab, dass die­se natür­lich unter Denk­mal­schutz steht und gera­de frisch restau­riert war.

Und so wird zur Zeit in wei­ten Tei­len Deutsch­lands eine gan­ze Epo­che der Archi­tek­tur­ge­schich­te aus den Stadt­bil­dern ent­fernt: die der Nach­kriegs­ar­chi­tek­tur. Natür­lich hat­te damals kaum jemand ahnen kön­nen, wie schreck­lich nack­ter Beton im Lau­fe der Zeit aus­se­hen wür­de, aber die­se Archi­tek­tur war nicht nur unglaub­lich funk­tio­nal, sie hat­te dabei auch nicht sel­ten tol­le Details und die Kunst am Bau. Die­se Gebäu­de, die ja weiß­gott nicht alle häss­lich sind, gehö­ren zur deut­schen Geschich­te wie römi­sche Sied­lun­gen, Barock­schlös­ser, faschis­ti­sche Protz­bau­ten und das Bau­haus. Ihr Ver­schwin­den aus den Stadt­bil­dern ver­zerrt die Geschich­te und endet in einem Revi­sio­nis­mus, der sich zum Bei­spiel in den Bestre­bun­gen zeigt, das Ber­li­ner Stadt­schloss wie­der auf­zu­bau­en – oder auf die Spit­ze getrie­ben in den Braun­schwei­ger Schlos­s­ar­ka­den.

AT&T Switching Center, New York

Pathe­tisch gespro­chen ste­hen Marl und all die Städ­te, die so ähn­lich kon­zi­piert wur­den, für eine geschei­ter­te Uto­pie. Sie sind beton­ge­wor­de­ne Sozi­al­de­mo­kra­tie. Die Men­schen woll­ten nicht in Eta­gen­woh­nun­gen mit­ten in der Stadt woh­nen und auf rie­si­ge Beton­flä­che gucken, sie woll­ten in die Vor­städ­te, wo sie bizar­rer­wei­se nun Häu­ser bewoh­nen, die sich unter­ein­an­der glei­chen wie damals die Woh­nun­gen im Hoch­haus. Die Ber­li­ner Gro­pi­us­stadt und Köln-Chor­wei­ler sind in einer Dimen­si­on geschei­tert, wie sie nur in der Archi­tek­tur mög­lich ist, die Stutt­gar­ter Wei­ßen­hof­sied­lung und die Ber­li­ner Wohn­ma­schi­ne hin­ge­gen gel­ten immer noch als Vor­zei­ge­ob­jek­te. Wor­an das nun wie­der liegt, kann ich mir auch nicht erklä­ren. Viel­leicht ist Bra­sí­lia auch nicht des­halb so schön, weil es von Oscar Nie­mey­er ent­wor­fen wur­de, son­dern weil dort so häu­fig die Son­ne scheint.

Eines der merk­wür­digs­ten Neu­bau­pro­jek­te, das ich aus der Nähe mit­be­kom­men habe, ist die Neue Mit­te Ober­hau­sen, ein künst­li­ches Stadt­zen­trum mit­ten in einem frü­he­ren Indus­trie­ge­biet. Das gan­ze Are­al wirkt ein biss­chen unna­tür­li­cher als Dis­ney­land, wird aber mit gro­ßer Begeis­te­rung ange­nom­men. Wohn­häu­ser gibt es kei­ne, aber das rie­si­ge Ein­kaufs­zen­trum „Cen­trO“ mit ange­schlos­se­ner Gas­tro­no­mie-Pro­me­na­de. Die see­len­lo­se Belie­big­keit eines inter­na­tio­na­len Flug­ha­fens scheint den Besu­chern nichts aus­zu­ma­chen, aber selbst wenn: auf dem Gelän­de gibt es einen Irish Pub, der das Kon­zept Irish Pub skla­visch und bis zur Über­trei­bung ein­hält. Jun­ge Men­schen kön­nen sich in einem völ­lig künst­li­chen, aber rea­lis­ti­schen Gebäu­de betrin­ken, das jün­ger ist als sie selbst, aber nach jahr­hun­der­te­al­ter Tra­di­ti­on aus­sieht.

Und mit der Fra­ge, ob fal­sche Gemüt­lich­keit wirk­lich ech­ter Käl­te vor­zu­zie­hen ist, möch­te ich Sie in die Nacht ent­las­sen. Aller­dings nicht, ohne vor­her auf restmodern.de hin­ge­wie­sen zu haben, wo man sich einen schö­nen Über­blick über die Nach­kriegs­ar­chi­tek­tur in Ber­lin ver­schaf­fen kann.

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