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Digital Gesellschaft

Absolut nicht aussagekräftig

Es ist ein erschüt­tern­de Nach­richt, die „Spie­gel Online“ heu­te über­bringt:

Nir­gend­wo in Deutsch­land wer­den mehr rech­te Straf­ta­ten gezählt als in dem bevöl­ke­rungs­rei­chen Nord­rhein-West­fa­len.

Und nicht nur das: Auch die meis­ten Ver­kehrs­un­fäl­le, Ehe­schei­dun­gen und Ster­be­fäl­le wer­den im bevöl­ke­rungs­rei­chen Nord­rhein-West­fa­len gezählt. (Aber auch die meis­ten Ehe­schlie­ßun­gen und Gebur­ten.)

Tat­säch­lich bringt es erstaun­lich wenig, die abso­lu­ten Zah­len ver­schie­de­ner Bun­des­län­der zu irgend­ei­nem The­ma zu ver­glei­chen.

Im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2010 (PDF) steht zum Bei­spiel:

Die – in abso­lu­ten Zah­len – meis­ten poli­tisch rechts moti­vier­ten Gewalt­ta­ten mit extre­mis­ti­schem Hin­ter­grund ereig­ne­ten sich mit 149 regis­trier­ten Delik­ten in Nord­rhein-West­fa­len, das aller­dings bezo­gen auf je 100.000 Ein­woh­ner im mitt­le­ren Feld der Sta­tis­tik liegt.

Jörg Diehl, Düs­sel­dor­fer Kor­re­spon­dent des Online-Maga­zins, ver­brei­tet die wenig erstaun­li­che Null­in­for­ma­ti­on schon län­ger:

Das Kli­schee besagt zwar, Skin­heads und Neo­na­zis trie­ben vor allem im Osten der Repu­blik ihr Unwe­sen, doch in Wahr­heit wer­den nir­gend­wo in Deutsch­land mehr rech­te Straf­ta­ten gezählt als in dem bevöl­ke­rungs­rei­chen Nord­rhein-West­fa­len.

(31. August 2011)

Das Kli­schee besagt zwar, Skin­heads und Neo­na­zis trie­ben vor allem im Osten der Repu­blik ihr Unwe­sen, doch in Wirk­lich­keit wer­den nir­gend­wo in Deutsch­land mehr rech­te Straf­ta­ten gezählt als in Nord­rhein-West­fa­len.

(15. Juni 2011)

Das Gute an Diehls aktu­el­lem Arti­kel aber ist, dass man bei der Lek­tü­re kaum bis zu dem unsin­ni­gen Satz durch­dringt – vor­her ist man näm­lich schon über den Ein­stieg gestol­pert und bewusst­los lie­gen geblie­ben:

Man hät­te mei­nen kön­nen, die Neo­na­zis hiel­ten sich erst ein­mal zurück. Man hät­te den­ken kön­nen, die all­ge­mei­ne Empö­rung über die der Zwi­ckau­er Zel­le zuge­schrie­be­nen Ver­bre­chen mach­te sie viel­leicht nach­denk­lich. Doch das Gegen­teil scheint der Fall zu sein: Wäh­rend die Repu­blik mit der bit­te­ren Erkennt­nis ringt, dass es hier­zu­lan­de tat­säch­lich rechts­ra­di­ka­le Ter­ro­ris­ten gibt, schla­gen die Glat­zen in Dort­mund wie­der zu.

Natür­lich: Bei all der „all­ge­mei­nen Empö­rung“ wer­den Neo­na­zis „nach­denk­lich“. Weil das, was die­se Leu­te jah­re­lang am Liebs­ten gemacht hät­ten, schon jah­re­lang gemacht wur­de.

Wer sei­ne Arti­kel in einer der­ar­ti­gen rhe­to­ri­schen und logi­schen Schief­la­ge eröff­net, kann sie auch so been­den. Bei Jörg Diehl liest sich das so:

Jetzt aller­dings könn­ten die Dort­mun­der Neo­na­zis mit Sven K. einen schlag­kräf­ti­gen Kader ver­lie­ren. Seit Sonn­tag sitzt der 24-Jäh­ri­ge in Unter­su­chungs­haft und schon macht in Jus­tiz­krei­sen ein Wort die Run­de, das eigent­lich auch von den lin­ken Akti­vis­ten sehr begrüßt wird. Es lau­tet: Siche­rungs­ver­wah­rung.

Offi­zi­ell indes mag sich die Staats­an­walt­schaft dazu nicht äußern. Noch nicht.

Lin­ke Akti­vis­ten begrü­ßen das Wort „Siche­rungs­ver­wah­rung“ (aber nur eigent­lich) und die Staats­an­walt­schaft mag sich dazu noch nicht äußern. Und das alles im bevöl­ke­rungs­rei­chen Nord­rhein-West­fa­len.