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That’s how I remember it

Kurt Cobain war tot, damit wol­len wir begin­nen. Grie­se­li­ge TV-Bil­der einer Gara­ge in Seat­tle haben sich in mein Gedächt­nis ein­ge­brannt, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wann.

Ich habe ein sehr merk­wür­di­ges Gedächt­nis. Ein „gutes“, wür­den vie­le sagen, weil ich mich an so vie­les erin­nern kann: Daten, Namen, Bege­ben­hei­ten, Dia­lo­ge – alles seman­tisch mit­ein­an­der ver­knüpft und immer auch ver­bun­den mit Bil­dern. Letz­te Woche fie­len mir die Namen von Freun­den mei­ner Eltern wie­der ein, die ich vor 35 Jah­ren zwei‑, drei­mal getrof­fen hat­te. Ich fän­de es aber hilf­rei­cher und mit­hin „gut“, mir die Namen von Men­schen mer­ken zu kön­nen, die ich aktu­ell brau­che.

Die TV-Bil­der, also: Ich bin mir abso­lut sicher, dass ich sie auf dem Grun­dig Mono­lith im soge­nann­ten „Bau­ern­zim­mer“ mei­nes Groß­el­tern­hau­ses sah. Mei­ne Groß­el­tern hat­ten – die Sen­tenz von Harald Schmidt bestä­ti­gend, dass Geld und Geschmack nur sel­ten Hand in Hand ein­her­ge­hen – sich in den 1970er Jah­ren durch­aus hoch­wer­ti­ge, mas­sivs­te Bau­ern­mö­bel andre­hen las­sen: einen Ess­tisch, an dem die Rit­ter der Tafel­run­de alle Platz gefun­den hät­ten, nebst pas­sen­der Stüh­le; ein Buf­fet, in das rund die Hälf­te der Tel­ler des Haus­stan­des pass­ten (und das waren vie­le); dar­über ein Hän­ge­re­gal, das zur Prä­sen­ta­ti­on von Zier­tel­lern gedacht war (was Bau­ern halt so tun) und sogar ein Bei­stell­tisch­chen, auf dem immer die „Kir­che + Leben“ und die „Hör­zu“ der nächs­ten Woche lagen (die „Hör­zu“ der aktu­el­len Woche lag meist im rich­ti­gen Wohn­zim­mer, da wo auch die Sofas und Ses­sel um einen ton­nen­schwe­ren Couch­tisch stan­den). In die­sem „Bau­ern­zim­mer“, wo meist zu Abend geges­sen wur­de, stand der tref­fend so beti­tel­te Mono­lith, damit mein Groß­va­ter wäh­rend des Abend­essens die „Heute“-Nachrichten und/​oder die „Tages­schau“ sehen und so neben­bei die essen­den, bit­te schwei­gen­den Enkel­kin­der mit Bil­dern des hin­ge­rich­te­ten Nico­lae Ceaușes­cu, aus den Jugo­sla­wi­en­krie­gen und ande­ren Kri­sen­re­gio­nen ver­stö­ren konn­te.

Dort hat­te ich, seit wir neben­an wohn­ten (I’m glad you asked: mei­ne Eltern waren mit uns am 30. Janu­ar 1993 umge­zo­gen – das „Zeit­zei­chen“ auf WDR 2, das ich an jenem Mor­gen im besag­ten Bau­ern­zim­mer im Radio gehört hat­te, hat­te das The­ma „60 Jah­re Macht­er­grei­fung“ gehabt), vie­le Stun­den vor dem Fern­se­her ver­bracht. Mei­ne Groß­el­tern hat­ten näm­lich ‚anders als mei­ne Eltern, damals schon Satel­li­ten­fern­se­hen gehabt – wobei sich mei­ne Fern­seh-Diät, von MTV Euro­pe mal ab, eigent­lich auf die Pro­gram­me beschränk­te, die ich auch bei mei­nen Eltern hät­te gucken kön­nen: „Hit-Clip“, das WDR-Sur­ro­gat für MTV, und „Elf 99“, ein Jugend­ma­ga­zin, das im Sep­tem­ber 1989 ursprüng­lich im Fern­se­hen der DDR gestar­tet war, sich dort als durch­aus regie­rungs­kri­tisch erwie­sen und nach dem Ende des DFF eine klei­ne Odys­see durch die west­deut­schen Sen­der hin­ter sich hat­te. „Elf 99“ lief seit Mit­te Novem­ber 1993 auf Vox, dem klei­nen, sym­pa­thi­schen Pri­vat­sen­der, der mit sei­nem erra­ti­schen, oft anspruchs­vol­len Pro­gramm (allem vor­an das Medi­en­ma­ga­zin „Cana­le Gran­de“ mit dem damals noch Die­ter genann­ten Max Moor) wie geschaf­fen war für einen zehn­jäh­ri­gen Jun­gen, der sich medi­al ger­ne zwei, drei Gewichts­klas­sen über der eige­nen beweg­te.

Dafür, dass „Elf 99“ nur weni­ge Mona­te auf Vox lief, habe ich wirk­lich vie­le Erin­ne­run­gen dar­an – womög­lich habe ich fast alle Aus­ga­ben dort gese­hen. Ich erin­ne­re mich, dass ein dicker, lang­haa­ri­ger, damals mut­maß­lich noch jun­ger Die­ter Gor­ny zu Gast war, um das Kon­zept sei­nes bald star­ten­den Musik­sen­ders Viva vor­zu­stel­len (den wir aller­dings noch nicht mal bei unse­ren Groß­el­tern sehen konn­ten, weil er anfangs per Kabel aus­ge­strahlt wur­de); an Sen­dun­gen, in denen man per Anruf so lan­ge für oder gegen den aktu­ell lau­fen­den Act abstim­men konn­te, bis die Nega­tiv­stim­men­stim­men in der Mehr­heit waren (am Längs­ten lie­fen – in einer Jugend­sen­dung im Jahr 1993 – Phil Coll­ins und Gene­sis); an die Aus­ga­be mit den größ­ten Hits des Jah­res 1993, die zwar aus­gie­big mit „Go West“ von den Pet Shop Boys betrai­lert wor­den war, das dann aber in der schluss­end­li­chen Sen­dung gar nicht vor­kam (auf Platz 1 lan­de­ten, wenn ich mich recht erin­ne­re, die damals schon von mir für schreck­lich befun­de­nen Ace Of Base).

Anfang des Jah­res 1994 war „Elf 99“ vom spät­nach­mit­täg­li­chen Sen­de­platz auf einen län­ge­ren am Sams­tag­vor­mit­tag gewech­selt. Hier erin­ne­re ich mich vage an ein Take-That-Spe­cial, aber nicht viel mehr. Es ging auch nur eini­ge Wochen gut, dann wur­de „Elf 99“ in „Satur­day“ umbe­nannt. Und ab hier wird es kom­pli­ziert.

In der Wiki­pe­dia steht:

Schließ­lich wur­de der Sen­de­platz auf den Sams­tag­nach­mit­tag gelegt und im März 1994 eine Umbe­nen­nung in Satur­day beschlos­sen. Tat­säch­lich lief nur eine Aus­ga­be unter dem neu­en Namen am 26. März 1994. Denn im März 1994 hat­ten sämt­li­che Anteils­eig­ner des Sen­ders VOX ihre Betei­li­gun­gen gekün­digt und eine Finan­zie­rung des Pro­gramm­be­triebs über den 31. März hin­aus in Fra­ge gestellt. Somit fiel neben meh­re­ren Sen­dun­gen auch Elf 99/​Satur­day der VOX-Kri­se zum Opfer. Ein Neu­start auf einem ande­ren Sen­der erfolg­te nicht mehr.

Ich bin mir abso­lut sicher (im Sin­ne von: „ich könn­te schwö­ren“), dass ich die grie­se­li­gen TV-Bil­der in den VOX-Nach­rich­ten sah, die vor „Satur­day“ lie­fen, und dort vom Tode Kurt Cobains hör­te. Ich mei­ne mich zu erin­nern, dass ich eini­ger­ma­ßen geschockt war, denn Nir­va­na waren mir natür­lich ein Begriff gewe­sen: Das Video zu „Smells Like Teen Spi­rit“ hat­te ich – auch Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung – häu­fig bei „Hit-Clip“ gese­hen, wo die Grunge-Band aus Seat­tle eini­ger­ma­ßen gleich­be­rech­tigt zwi­schen East 17, 2 Unli­mi­t­ed und Bil­ly Joel vor­ge­kom­men war, und auch an das Anton-Cor­bi­jn-Video zu „Heart-Shaped Box“ mei­ne ich mich aus jener Zeit erin­nern zu kön­nen. Mir war wohl auch als 10-Jäh­ri­gem schon klar gewe­sen, dass es sich um „ande­re“, irgend­wie sper­ri­ge­re Musik gehan­delt hat­te als bei den meis­ten ande­ren Vide­os, die bei „Hit-Clip“ lie­fen, aber von dem Nihi­lis­mus, der Ver­zweif­lung und dem gan­zen „Gene­ra­ti­on X“-Vibe, von dem die deut­schen Medi­en dann nach Cobains Sui­zid berich­te­ten, hat­te ich kei­ne Vor­stel­lung, als ich die Nach­richt zum ers­ten Mal hör­te – bei Vox. Und ich könn­te schwö­ren, dass zu Beginn der dann fol­gen­den „Saturday“-Ausgabe, deret­we­gen ich Fern­se­her und Sen­der ja ein­ge­schal­tet hat­te, zwei Mode­ra­to­ren vor ein Stu­dio­pu­bli­kum tra­ten, von denen der eine sei­ne Nir­va­na-Kon­zert­kar­te (ich glau­be, sie war gelb) vor lau­fen­der Kame­ra zer­riss, was der ande­re mit der Fra­ge kom­men­tier­te, ob er eigent­lich bescheu­ert sei, die­se Kar­te hät­te doch ein­mal sehr wert­voll wer­den kön­nen. Aber all das wür­de ja kei­ner­lei Sinn erge­ben, wenn die Wiki­pe­dia Recht hät­te und die Sen­dung am 26. März ein­ge­stellt wor­den wäre – Kurt Cobains Lei­che wur­de bekannt­lich am 8. April 1994 ent­deckt.

Der hier klaf­fen­de Wider­spruch beschäf­tigt mich seit eini­ger Zeit, aber zum 30. Jah­res­tag woll­te ich ihn end­lich in Angriff neh­men. Mein ers­ter Kon­takt galt der Vox-Pres­se­stel­le, wobei ich eigent­lich schon in mei­ner Anfra­ge die Segel strich, als ich schrieb, ich wis­se, dass bei Vox damals chao­ti­sche Zustän­de geherrscht hät­ten und ver­mut­lich auch eini­ges aus die­ser Zeit nicht sehr gut doku­men­tiert sei, was mir die net­te Pres­se­spre­che­rin in weni­ger als 24 Stun­den bestä­tig­te.

Also schrieb ich allen Men­schen, die ich ken­ne und die mal irgend­was mit Musik­fern­se­hen zu tun hat­ten. Nilz Bokel­berg, der damals beim Viva-Start dabei war, brach­te mich auf die (zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht soooo absei­ti­ge) Idee, nach zeit­ge­nös­si­schen Quel­len zu suchen – und lie­fer­te gleich einen online ver­füg­ba­ren Arti­kel der „Ber­li­ner Zei­tung“ vom 16. März 1994 mit, in dem stand:

Nach vier­ein­halb Jah­ren kommt das Aus für das ELF-99-Maga­zin. Wie die ELF-99-Medi­en­pro­duk­ti­on und Ver­mark­tung GmbH ges­tern mit­teil­te, wird das Jugend­ma­ga­zin am 26. März zum letz­ten Mal bei VOX zu sehen sein. Am 2. April soll als Nach­fol­ger die Sen­dung ’satur­day‘ auf VOX star­ten.

Ha! Das ist natür­lich etwas ganz ande­res, als die Wiki­pe­dia behaup­tet! Und die „Frank­fur­ter Rund­schau“ schrieb noch am 28. April 1994:

Seit Ostern pro­du­ziert die Ber­li­ner Fir­ma Elf 99 für Vox das Jugend­ma­ga­zin „satur­day“. Nur bis Ende April ist die Pla­nung sicher. Danach sieht es für „satur­day“ nach Sonn­tag aus. Bert­ram Schwarz, Geschäfts­füh­rer von Elf 99, hält den Wech­sel eines ein­ge­führ­ten „Pro­dukts“ von einem Sen­der zum ande­ren für zu schwie­rig.

[Oster­sonn­tag war 1994 am 3. April]

Okay. Also liegt die Wiki­pe­dia falsch. Aber das bestä­tigt ja immer noch nicht mei­ne Erin­ne­run­gen.

Ich habe ver­sucht, Kon­takt zum dama­li­gen Redak­ti­ons­lei­ter von „Satur­day“ auf­zu­neh­men. Ich habe Men­schen (bzw. deren Manage­ment) kon­tak­tiert, die laut eige­ner Aus­sa­ge „Satur­day“ mode­riert haben – erfolg­los.

Je län­ger ich über die­sen Sams­tag­vor­mit­tag nach­den­ke, des­to ein­dring­li­cher erschei­nen mir mei­ne Erin­ne­run­gen: Ich bin mir sicher, dass ich noch ganz nah vor dem Fern­se­her stand, den ich gera­de erst ein­ge­schal­tet hat­te, und mich noch nicht hin­ge­setzt hat­te. Ich sehe das Licht durch die Ter­ras­sen­tür fal­len und spü­re die Fern­be­die­nun­gen des Fern­se­hers in mei­ner Hand. Klar: Die habe ich ja auch hun­der­te Male in der Hand gehal­ten – aber auch am 9. April 1994? Man hört ja immer wie­der von fal­schen Erin­ne­run­gen, von Zeu­gen­aus­sa­gen, die nicht stim­men kön­nen. Aber wo kom­men wir hin, wenn wir unse­ren eige­nen Erin­ne­run­gen nicht mehr trau­en kön­nen? Und ist eine Erin­ne­rung, die wir nicht mit Quel­len bele­gen kön­nen, über­haupt real?

Eines der legen­därs­ten Zeit­do­ku­men­te ist die­ser Aus­schnitt aus den „Tages­the­men“ vom 9. April 1994 (die – wenig hilf­reich – in der You­Tube-Beschrei­bung als „Tages­schau“ vom 8. April bezeich­net wer­den):

Als man noch auf Face­book war und dort lus­ti­ge Links teil­te, tat die­ses Video min­des­tens ein­mal im Jahr das, was man damals „viral gehen“ nann­te, weil es auf so beein­dru­cken­de Art die geball­te Ahnungs­lo­sig­keit und Brä­sig­keit deut­scher Medi­en zusam­men­zu­fas­sen scheint – und das nicht 1968, son­dern 1994: Da ist die kon­se­quent fal­sche Aus­spra­che von Cobains Nach­na­men (die ARD-Aus­spra­che­da­ten­bank emp­fiehlt inzwi­schen – ich weiß aber nicht, seit wann – /​koʊʹbeɪn/​), die fal­sche „Über­set­zung“ der „Lithium“-Textzeilen und dann die Zusam­men­fas­sung „Kurt Cobains Lie­der sind Aus­druck einer jugend­li­chen Sub­kul­tur; einer Jugend ohne Hoff­nung, ohne Job, dro­gen­ab­hän­gig und kri­mi­nell“, die nicht nur gram­ma­ti­ka­lisch auf dün­nem Eis unter­wegs ist. Sowohl der dama­li­ge Washing­ton-Kor­re­spon­dent der ARD, Jochen Schwei­zer (Jahr­gang 1938), als auch Mode­ra­to­rin Sabi­ne Chris­ti­an­sen (Jahr­gang 1957) bemü­hen sich, so etwas wie Empha­se und Fas­zi­na­ti­on aus­zu­drü­cken, aber der gan­ze Bei­trag strahlt gleich­zei­tig so viel Alar­mis­mus und Ver­ach­tung für „Jugend­kul­tu­ren“ (falls es irgend­je­mand ver­ges­sen haben soll­te: Cobain war 27, als er starb) aus, dass es denk­bar erscheint, dass Tau­sen­de deut­sche Eltern danach Tip­per-Gore-mäßig in die Jugend­zim­mer ihrer Kin­der rann­ten und sicher­heits­hal­ber die Nir­va­na-CDs in den Müll war­fen.

Nach­dem ich die­sen Aus­schnitt für die­sen Text hier zum wie­der­hol­ten Male gese­hen hat­te, beschlich mich das Gefühl, jene „Tagesthemen“-Ausgabe damals, am 9. April 1994, womög­lich selbst gese­hen zu haben – mit mei­ner Mut­ter in ihrem Näh­zim­mer, in dem sie damals abends oft saß, im Anschluss an „Geld oder Lie­be“ mit Jür­gen von der Lip­pe. Es scheint zumin­dest plau­si­bel.

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Von Stimmen und Tassen

Wenn Sie eine Drei­vier­tel­stun­de Zeit und ein biss­chen was für Musik übrig haben, soll­ten Sie sich die­se Key­note anse­hen, die Dave Grohl, „the unof­fi­ci­al Mayor of Rock ’n‘ Roll“ (Ste­phen Thomp­son), ver­gan­ge­ne Woche beim South By Sou­thwest Music Fes­ti­val in Aus­tin, TX gehal­ten hat:

Ich mag ja die­se ame­ri­ka­ni­sche Art, die­se Mischung aus Lako­nie und Pathos, und ich muss­te schon stark an mich hal­ten, nicht sofort die E‑Gitarre ein­zu­stöp­seln und mei­nen Nach­barn mei­ne immer noch kläg­li­chen Ver­su­che, das „Mon­key Wrench“-Riff nach­zu­spie­len, um die Ohren zu hau­en.

Und wenn Sie dann noch etwas Zeit haben und noch ein wenig mehr Inspi­rie­ren­des über Musik zu sich neh­men wol­len, dann lesen Sie bit­te die­sen Blog­ein­trag, den Anke Grö­ner ver­gan­ge­ne Woche dar­über geschrie­ben hat, was es für sie bedeu­tet, „Tos­ca“ ((Für alle, deren Musik­zeit­strahl auch erst mit den Beat­les beginnt: „Tos­ca“ ist laut Wiki­pe­dia eine Oper von Gia­co­mo Puc­ci­ni aus dem Jahr 1900.)) zu sin­gen:

Ich habe einen unge­heu­ren Respekt vor dem Mann bzw. vor sei­nen Wer­ken, und des­we­gen dau­ert es jede blö­de Woche immer ein biss­chen, bis ich mich wirk­lich traue, den ers­ten Ton von mir zu geben. Das ist so, als ob du als Rie­sen-Bie­be­ris­ta das ers­te Mal vor ihm stehst und nur „Hal­lo“ sagen willst, aber dich irgend­wie nicht traust, denn man kann ja nicht ein­fach so als klei­ner Fan dem Super­star „Hal­lo“ sagen. Im Kopf glau­be ich immer, dass so ziem­lich alle Töne, die ich sin­ge, total schief sind und kräch­zig und schlimm und dass noch kein Fens­ter zer­sprun­gen ist, wenn ich das b“ sin­ge, ist eh ein Wun­der. Aber da ist plötz­lich das „Hal­lo“: Ich kann das b“ näm­lich sin­gen. Und es strengt nicht mal an. Jeden­falls brau­che ich kei­ne Kraft dafür.

Ich wer­fe bei­de Tex­te, Dave Groh­ls Key­note und Anke Grö­ners Blog­ein­trag, jetzt ein­fach mal zusam­men, was viel­leicht ein biss­chen unzu­läs­sig ist, aber letzt­lich geht es bei­de Male dar­um, sei­ne Stim­me und damit den eige­nen Platz in der Welt zu fin­den. Und wenn Dave Grohl sagt, dass es nur dar­auf ankom­me, wie man selbst sei­ne Stim­me fin­de, dann hat er ver­dammt recht. Es soll­te Phil­ipp Poi­sel, Max Her­re oder Ben Howard sehr, sehr egal sein, dass ich mit ihren Stim­men so rein gar nichts anfan­gen kann. Selbst, dass ich ihre Songs nicht hören mag, soll­te für sie völ­lig uner­heb­lich sein. Ich habe da die­se etwas hip­pie­mä­ßi­ge Ein­stel­lung, dass Musik ihre Berech­ti­gung hat, wenn sie nur einer Per­son etwas bedeu­tet – ein­zi­ge Aus­nah­me: Nazi-Rock.

Und natür­lich hat Grohl des wei­te­ren recht, wenn er sagt, man kön­ne den „Wert“ von Musik nicht ein­fach so bestim­men – und als kna­cki­ge Bei­spie­le ein­fach mal „Gang­nam Style“ und Atoms For Peace auf­führt. Ich hat­te auf mei­ner Lis­te der bes­ten Songs 2012 ja an rela­tiv pro­mi­nen­ter Stel­le „Call Me May­be“ von Car­ly Rae Jep­sen auf­ge­führt, wofür ich mir von man­chen Freun­den Fra­gen nach mei­nem Geis­tes­zu­stand gefal­len las­sen muss­te. ((Dabei müss­ten die doch am Bes­ten wis­sen, wie ich so drauf bin.)) Dabei lie­be ich den Song noch heu­te und er berei­tet mir deut­lich mehr Freu­de, als irgends­o­ei­ne ange­sag­te neue Indie­band aus Eng­land. Und nur dar­um soll­te es gehen: Wel­che Musik einem Freu­de berei­tet, nicht, wel­che Musik man hören „soll­te“, um irgend­wo dazu zu gehö­ren.

Ich möch­te, weil ich ein­mal in Fahrt bin, nun völ­lig unzu­läs­si­ger­wei­se auch noch einen Text von Alex­an­der Gor­kow aus der heu­ti­gen „Süd­deut­schen Zei­tung“ ((Online nicht ver­füg­bar.)) hin­zu­zie­hen, der vor­der­grün­dig von dem geschei­ter­ten Inter­view­ver­such von Hin­nerk Baum­gar­ten an Kat­ja Rie­mann han­delt. Es geht aber dann rela­tiv schnell und auch rela­tiv furi­os um sehr viel mehr, kurz um Clint East­wood (auch „schwie­rig“) und dann um unge­fähr alles:

Im Umgang vie­ler Medi­en mit unse­ren Künst­lern nun aber offen­bart sich eine über­aus deut­sche Betrach­tung des Künst­ler­tums an sich – und so eben auch des Künst­lers oder der Künst­le­rin: Es regiert bei uns en gros eine mit­tel­al­ter­li­che, min­des­tens klein­staat­li­che, mit­nich­ten renais­sance­haf­te, geschwei­ge denn auf­klä­re­ri­sche Sehn­sucht, wenn es um die Publi­kums­kunst geht.

Es regiert statt­des­sen, gespeist durch alle Arten von Medi­en, vor allem aber durch die Unter­hal­tungs­blät­ter und eben die TV-Sen­der, die urdeut­sche Vor­stel­lung vom Künst­ler als fah­ren­dem Schar­la­tan, der mit Schna­bel­schu­hen und Schel­len­müt­ze dafür zu sor­gen hat, einer furcht­ba­ren Ansamm­lung trü­ber, ver­blö­de­ter Tas­sen – der soge­nann­ten Bevöl­ke­rung – die Zeit bis zum Exitus zu ver­trei­ben.

Es ist, gera­de im dar­stel­len­den Gewer­be und befeu­ert von den gro­ßen auch öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­an­stal­ten, der aller­dümms­te Eska­pis­mus, der der Maxi­me zu fol­gen hat, dass jene Bevöl­ke­rung nicht zu über­for­dern sei. Die vie­len sen­sa­tio­nel­len deut­schen Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler haben des­halb nicht etwa in ers­ter Linie gut zu sein. Gin­ge es danach, wäre Vero­ni­ca Fer­res kein Star, sie wür­den auf einer Brettl­büh­ne her­um­knö­deln. Deut­sche Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler haben, zumal ihnen fast immer zu Unrecht uner­mess­li­cher mate­ri­el­ler Reich­tum ange­dich­tet wird („die Rei­chen und die Schö­nen“), zu parie­ren.

Die Hal­tung dahin­ter lau­tet: Bring mir Freu­de, oder ich bring dich um.

Wie konn­te es jetzt pas­sie­ren, dass ich von den durch­weg posi­ti­ven Tex­ten von Dave Grohl und Anke Grö­ner so schnell bei die­sem kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Wut­an­fall von Alex­an­der Gor­kow gelan­det bin? Es sind wohl irgend­wie zwei Sei­ten einer Medail­le, der Spaß an der Kunst und deren mit­un­ter uner­freu­li­che Rezep­ti­on auf der ande­ren Sei­te.

Da ich posi­tiv enden möch­te, hier ein­fach noch schnell ein Song einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­bands, des­sen Bot­schaft mei­ne lin­ke Wade ziert!

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Und Berlin war wie New York

Es nützt ja nichts, das zu leug­nen: Ich mag die neue Sin­gle von Bos­se.

Die­ses per­len­de Ben-Folds-Kla­vier! Die­se völ­lig reim­frei­en Stro­phen! Die­ser Shoop-Shoop-Refrain! Und vor allem: Die­se Geschich­te, die er da erzählt!

Von Dosen­bier, vom ers­ten Kuss, von der musi­ka­li­schen Sozia­li­sa­ti­on, von Sehn­suchtsor­ten, von der Jugend an sich. Alles ganz schlicht, glei­cher­ma­ßen kon­kret und all­ge­mein­gül­tig.

Wenn Axel Bos­se im letz­ten Refrain „oh yeah, wha­te­ver, never­mind“ singt, krieg ich jedes Mal Gän­se­haut. Und habe wie­der die­se grie­se­li­gen VHS-Bil­der aus Seat­tle auf Vox vor Augen. Am Tag, als Kurt Cobain starb.

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Musik Digital

About A Girl

Okay, das war schon blöd von Bild.de, auf den gefake­ten Twit­ter-Account von Emin­ems Toch­ter rein­zu­fal­len. Und hin­ter­her zu berich­ten, dass alle, inklu­si­ve man selbst, auf die Fäl­schung rein­ge­fal­len ist, den Ursprungs­ar­ti­kel aber unver­än­dert online zu las­sen, ist auch nicht so rich­tig cle­ver.

Was ich per­sön­lich aber haar­sträu­bend däm­lich fand, ist eine ganz ande­re Sache. Beim lus­ti­gen Rät­sel­spaß, um wes­sen Toch­ter es sich denn han­deln kön­ne, hat Bild.de auch Kurt Cobain im Ange­bot:

Handelt es sich bei dem gesuchten Papa um die verstorbene Rock-Legende Kurt Cobain († 28)?

28?!?

Jedes Kind (also: jedes Kind, das allei­ne auf dem Schul­hof steht, weil es unglaub­lich uncool und nerdig ist, aber in zehn Jah­ren sau­cool sein wird, wäh­rend die heu­te coo­len Kin­der dann mit Anzug und Kra­wat­te an ihrem Schreib­tisch in der Spar­kas­se hocken) weiß, dass Kurt Cobain zum „Club 27“ gehört und dem­nach – eben­so wie Jimi Hen­drix, Jim Mor­ri­son, Janis Jop­lin und Bri­an Jones – mit 27 gestor­ben ist.

Ich beto­ne das auch, weil ich seit Novem­ber älter bin, als Kurt Cobain je gewor­den ist.