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Sweetness Follows

Mit sieb­zehn Jah­ren litt ich an wie­der­keh­ren­den Kopf­schmer­zen, so dass mich mein Haus­arzt irgend­wann zu einem Spe­zia­lis­ten schick­te, der eine Com­pu­ter­to­mo­gra­phie vor­neh­men soll­te. Im War­te­zim­mer sah ich das gan­ze Elend der Welt: Kah­le Män­ner, Frau­en und ich glau­be sogar Kin­der, und mir wur­de klar, dass sich mein gan­zes Leben gleich inner­halb von einer Sekun­de ändern könn­te. Doch in mei­nem Kopf fand sich nichts, was dort nicht hin­ge­hört hät­te, mein Papa fuhr mich wie­der nach hau­se, die Son­ne schien und im Radio lief „Imi­ta­ti­on Of Life“ von R.E.M.

Ein paar Wochen spä­ter spiel­te die Band ein kos­ten­lo­ses Kon­zert in Köln und obwohl ich sehr gern hin­ge­gan­gen wäre, ent­schied ich mich mit mei­nem bes­ten Freund doch dage­gen und sah mir das Kon­zert (oder das, was MTV davon zu über­tra­gen belieb­te) im Fern­se­hen an. Dass der Abend ins­ge­samt doch noch legen­där wur­de, lag nicht aus­schließ­lich an die­sem Kon­zert, aber zu einem guten Teil.

R.E.M. sind tat­säch­lich eine die­ser Bands, die immer da waren, deren Musik ich aus dem Radio kann­te, lan­ge bevor ich wuss­te, von wem sie ist. Für ihre Hoch­pha­se bin ich eigent­lich zu jung („Auto­ma­tic For The Peo­p­le“ erschien, als ich neun Jah­re alt war), aber man kann ja auch spä­ter ein­stei­gen und sich dann im Back­ka­ta­log zurück arbei­ten – und dann als Teen­ager Abend um Abend in sei­nem Zim­mer sit­zen, „Ever­y­bo­dy Hurts“ und „Night­swim­ming“ hören und sich soooo ver­stan­den füh­len.

Ges­tern nun haben Micha­el Sti­pe, Mike Mills und Peter Buck bekannt­ge­ge­ben, ihre Band auf­zu­lö­sen. Genau­er: Die Band ist schon auf­ge­löst, so ein Elend wie eine Abschieds­tour wird es nicht geben. Das kommt einer­seits ein biss­chen unver­mit­telt, ist dann aber ande­rer­seits auch schlüs­sig, wenn auch nicht zwin­gend not­wen­dig. Es gäbe ande­re Bands, die sich drin­gen­der auf­lö­sen soll­ten (U2, Ste­reo­pho­nics), oder bes­ser nie gegrün­det hät­ten (Sun­ri­se Ave­nue, Revol­ver­held).

R.E.M. haben nie ein schlech­tes Album auf­ge­nom­men (obwohl „Up“ ver­dammt nah dran war), zuletzt sogar wie­der zwei gute. Nur: Was will man mit „Col­lap­se Into Now“, wenn man „Auto­ma­tic For The Peo­p­le“ hat, eines der viel­leicht per­fek­tes­ten Alben des 20. Jahr­hun­derts? Neun bis zehn der ins­ge­samt 12 Titel die­ses Albums sind min­des­tens phan­tas­tisch und „Ever­y­bo­dy Hurts“ ist dabei fast noch das schlech­tes­te, weil viel zu offen­sicht­lichs­te, unter ihnen.

Sasha Fre­re-Jones schreibt dazu beim „New Yor­ker“:

The­re is an admi­ra­ble mis­si­on at play: reassu­ring tho­se who cry, who hurt, who need sus­ten­an­ce. That would be all of us, and we all turn to music when we need reassu­rance. But say­ing, „It’s all going to be O.K.“ is your friend’s job, not your band’s. All of R.E.M.’s lumi­nous odd­ness and nes­ted beau­ty is tur­ned into pen­ny taffy.

(Bei dem Teil, es sei nicht Auf­ga­be einer Band, einem Trost zu geben, muss ich ihm aller­dings ent­schie­den wider­spre­chen.)

Wenn Fre­re-Jones schreibt, R.E.M.s Tren­nung käme zehn Jah­re zu spät (eine Mei­nung, die von vie­len geteilt wird), ist mir das ein biss­chen zu poin­tiert, hät­ten wir doch „Bad Day“, „Lea­ving New York“, „Super­na­tu­ral Super­se­rious“ oder „ÜBer­lin“ ver­passt – Songs, die bei vie­len ande­ren Bands zu den Höhe­punk­ten ihres Schaf­fens zäh­len wür­den. Aber nach 31 Jah­ren darf es dann ruhig auch mal gut sein, wenn es nicht sowie­so irgend­wann zur unver­meid­li­chen Reuni­on kom­men soll­te.

Was bleibt ist, neben der Musik, natür­lich vor allem Micha­el Sti­pe. Einer der cha­ris­ma­tischs­ten Men­schen im welt­wei­ten Medi­en­cir­cus. Einer der gezeigt hat, wie wun­der­schön unge­len­kes Rum­ham­peln wir­ken kann. Einer, den ich immer nen­nen wür­de, wenn man mich nach Pro­mi­nen­ten frag­te, die mich beein­flusst haben.

Peter Flo­re schreibt bei intro.de, mit R.E.M. tre­te die „größ­te Indie­band der Welt“ ab, und das stimmt, denn trotz gut gefüll­ter Sta­di­en waren R.E.M. eigent­lich immer eine Spur zu eckig und zu ver­schro­ben.

Noch mal Sasha Fre­re-Jones:

Their good stuff is dura­ble and gor­ge­ous, and they pul­led off a trick that indie rock has strug­g­led with ever sin­ce: How do you stay weird if you also like singab­le songs? How do you get the pret­ty wit­hout joi­ning Club Obvious? R.E.M. never let their live show slip, and they gave a huge num­ber of peo­p­le an opti­on that still works.

Kei­ne „Imi­ta­ti­on Of Life“, son­dern das Leben selbst.

Mein Lieb­lings­song von R.E.M. ist übri­gens inzwi­schen die­ser hier:

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Relaunch My Fire

Ich habe ja nie ernst­haft in einer Redak­ti­on gear­bei­tet, könn­te mir aber vor­stel­len, dass an dem Tag, an dem man dort beschließt, den gra­fi­schen Auf­tritt des Pro­dukts zu über­ho­len (also zu „relaun­chen“), dass an die­sem Tag also neben Gra­fi­kern auch Ner­ven­ärz­te und Seel­sor­ger die Redak­ti­ons­räu­me bezie­hen. Die Gra­fi­ker für das Design, die Seel­sor­ger für die Leser­be­schwer­den und die Ner­ven­ärz­te für die von den eige­nen Lesern gepei­nig­ten Redak­teu­re.

Wie kon­ser­va­tiv ein Mensch wirk­lich ist, kann man ganz leicht über­prü­fen, indem man sei­ne Tages­zei­tung neu gestal­tet: Men­schen, die alle paar Jah­re mit ihren jewei­li­gen Part­nern umzie­hen, viel Geld bei der Typ­be­ra­tung las­sen und nicht davor zurück­schre­cken wür­den, Pri­vat­fern­seh-Wohn­raum­ex­per­ten durch ihre eige­nen vier Wän­de pflü­gen zu las­sen, legen eine erschüt­tern­de Kom­pro­miss­lo­sig­keit an den Tag, wenn es um ihre täg­li­che Lek­tü­re geht. Was inso­fern erstaun­lich ist, als mir spon­tan kei­ne ein­zi­ge deut­sche Zei­tung oder Zeit­schrift ein­fie­le, die wirk­lich unein­ge­schränkt schön und in ihrem jet­zi­gen Zustand bewah­rens­wert wäre. Aber Leser fin­den den Relaunch ja in der Regel auch nicht häss­lich, son­dern nur anders.

Inso­fern wün­sche ich den Redak­teu­ren vom „Musik­ex­press“ jetzt schon mal viel Kraft (und sta­bi­le Tisch­plat­ten) für die nächs­ten Wochen. Wie ich näm­lich kürz­lich am Bahn­hof fest­stel­len muss­te, ist das Blatt ganz neu gestal­tet wor­den und sieht jetzt end­lich auch so aus wie „intro“, „Spex“, „Neon“, „Zeit Cam­pus“ und „brand:eins“.

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Als Design-inter­es­sier­ter, aber weit­ge­hend ‑unkun­di­ger Leser wür­de ich sagen: Die neue Über­schrif­ten-Schrift­art (die mich ein biss­chen an die im „New Yor­ker“ erin­nert) ist gar nicht schlecht, die neue Stan­dard-Schrift­art nett, aber ver­braucht (s.o.). Die Idee, Über­schrif­ten über mehr als eine Heft­sei­te zu zie­hen („Selek­tor“), wirkt auf den ers­ten Blick ori­gi­nell, ist aber ver­mut­lich auch schon zehn Jah­re alt, und das, was da bei „Spielt die Gren­zen fort“ pas­siert ist, sieht eher wie ein Unfall aus als wie eine Über­schrift.

Gut gefällt mir die Kom­bi­na­ti­on aus eng beschrie­be­nen Spal­ten und den rela­tiv gro­ßen Weiß­flä­chen (wobei Weiß­flä­chen ver­mut­lich auch „sooo 2002“ sind) – nur in der „News“-Rubrik hät­te min­des­tens ein Tren­ner-Sym­bol zwi­schen den ein­zel­nen Mel­dun­gen Not getan.

Dafür, dass ich so sel­ten Musik­zeit­schrif­ten lese (und der US-„Rolling Stone“ auf dem Gebiet ein zeit­lo­ses Klas­si­ker-Design vor­ge­legt hat), gefällt mir der neue „Musik­ex­press“ ganz gut. War­um es aller­dings plötz­lich ein Pos­ter als Bei­la­ge braucht (so wie seit einem hal­ben Jahr in der „Visi­ons“), erschließt sich mir nicht so ganz. Mit Man­do Diao und Peter Fox zeigt die­ses auch noch zwei Acts, die man genau­so gut in der „Bra­vo“ fin­den könn­te.