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Don’t mention the war

1940 sag­te Gene­ral­feld­mar­schall Wil­helm Kei­tel über den deut­schen Dik­ta­tor Adolf Hit­ler, des­sen Armee gera­de Frank­reich und die BeNe­Lux-Staa­ten über­rannt hat­te, die­ser sei der „größ­te Feld­herr aller Zei­ten“. Nach der ver­hee­ren­den Nie­der­la­ge in der Schlacht um Sta­lin­grad mach­te die­se For­mu­lie­rung in der deut­schen Bevöl­ke­rung mit eher sar­kas­ti­scher Kon­no­ta­ti­on die Run­de und Hit­ler wur­de in Anleh­nung an den Abkür­zungs­wahn, der Deut­sche seit Jahr­hun­der­ten umtreibt, zum „GröFaZ“ erklärt.

Man darf davon aus­ge­hen, dass die For­mu­lie­rung – anders als das „Tau­send­jäh­ri­ge Reich“ – die Jahr­zehn­te über­dau­ert hat, denn im Novem­ber 2007 sag­te der dama­li­ge Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäub­le auf dem Höhe­punkt der öffent­li­chen Dis­kus­si­on um die sog. Vor­rats­da­ten­spei­che­rung laut „taz“:

„Wir hat­ten den ‚größ­ten Feld­herrn aller Zei­ten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größ­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de aller Zei­ten“

Schäub­le schaff­te es damit in mei­ne Lis­te der Nazi-Ver­glei­che, die es damals zu einer gewis­sen Popu­la­ri­tät in der deut­schen Blogo­sphä­re brach­te, spä­ter mit Ergän­zun­gen in Dani­el Erks Buch „So viel Hit­ler war sel­ten“ für die Nach­welt fest­ge­hal­ten wur­de und inzwi­schen auch schon 15 Jah­re alt ist.

Man könn­te also schluss­fol­gern, dass die For­mu­lie­rung „größ­ter Irgend­was aller Zei­ten“ in Deutsch­land mit einer gewis­sen Vor­sicht ver­wen­det wer­den soll­te. Beson­ders, wenn es um Deutsch­land geht. Oder Krieg.

Und damit kom­men wir zur gest­ri­gen Bericht­erstat­tung von Bild.de über die Oscar-Ver­lei­hung und den deut­schen Anti­kriegs­film „Im Wes­ten nichts Neu­es“:

Holen wir heute unseren größten Oscar aller Zeiten?

Das ist kom­po­si­to­risch schon nah an der Per­fek­ti­on (wenn man unter „Per­fek­ti­on“ auch Din­ge ver­steht wie eine über­lau­fen­de Toi­let­te, die die gan­ze Woh­nung in Mit­lei­den­schaft zieht): der Sol­dat mit Stahl­helm; das fröh­lich dumm­stol­ze Stammtisch-„Wir“, das „Bild“ immer her­vor­holt, wenn gera­de Fuß­ball-WM ist oder ein Papst gewählt wird; die For­mu­lie­rung an sich – und natür­lich das Gold drum­her­um.

Im Arti­kel fasst der Bild.de-Autor sei­ne Ein­drü­cke vom Film so zusam­men:

Die Regie geni­al. Die Kame­ra anbe­tungs­wür­dig. Das Sze­nen­bild: Ein­fach nur krass.

„Okay“, hät­te ich gesagt. „Das pas­siert, wenn man Berufs­ein­stei­ger um die 25 Tex­te schrei­ben lässt: Die Spra­che ist etwas umgangs­sprach­li­cher und sie ver­wen­den aus Ver­se­hen For­mu­lie­run­gen, für die ihnen im ent­schei­den­den Moment die Gold­waa­gen-App auf dem Smart­phone fehlt.“

Stellt sich raus: Der Text ist von Bild.de-Redakteur Ralf Pör­ner. Und der müss­te inzwi­schen 60 sein.

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Germany’s Next Topvictim

Sie wol­len sich nicht an Coro­na-Schutz­maß­nah­men hal­ten, glau­ben an Ver­schwö­rungs­theo­rien und ver­glei­chen sich mit Opfern des Natio­nal­so­zia­lis­mus: Mit den sog. „Quer­den­kern“ stimmt eine gan­ze Men­ge nicht.

Aber ist es klug, ihren wir­ren Ansich­ten so viel Auf­merk­sam­keit zu schen­ken? War­um wird eigent­lich immer die NS-Zeit zu haar­sträu­ben­den Ver­glei­chen her­an­ge­zo­gen? Und was wären Ver­glei­che, die ein biss­chen mehr Sinn erge­ben? Ein paar Ideen dazu gibt es hier im Video:

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 3

In der April-Aus­ga­be von Lucky & Fred ver­glei­chen wir Franz Josef Wag­ner mit Wolf­gang Schäub­le und Ger­hard Schrö­der mit den ande­ren deut­schen Kanz­lern. Wir spe­ku­lie­ren über eine Welt ohne 11. Sep­tem­ber, spre­chen über unse­re aka­de­mi­schen Lauf­bah­nen und Streik-Erin­ne­run­gen und lie­fern Euch die defi­ni­ti­ve Esels­brü­cke zur Zeit­um­stel­lung.
Außer­dem gibt es eine klei­ne ESC-Vor­schau, eine Art Rei­se­füh­rer Ruhr­ge­biet und irgend­was mit Tas­sen.

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Digital Gesellschaft

„Nazi“ und „Papst“ gehen immer

Län­ger kei­nen Nazi-Ver­gleich mehr im Blog gehabt …

Abhil­fe schafft da die Schau­spie­le­rin Sus­an Saran­dan, seit jeher poli­tisch aktiv. Sie hat­te sich laut „News­day“ in einem Inter­view mit ihrem Schau­spiel-Kol­le­gen Bob Bala­ban am Wochen­en­de wie folgt geäu­ßert:

She was dis­cus­sing her 1995 film „Dead Man Wal­king,“ based on the anti-death-penal­ty book by Sis­ter Helen Pre­jean, a copy of which she sent to the pope.

„The last one,“ she said, „not this Nazi one we have now.“ Bala­ban gent­ly tut-tut­ted, but Saran­don only repea­ted her remark.

Die deut­schen Medi­en grif­fen den Ver­gleich mit mehr als 24-stün­di­ger Ver­spä­tung auf und hat­ten somit den Vor­teil, die (erwart­ba­re) Empö­rung gleich mit­neh­men zu kön­nen:

Die jüdi­sche Anti-Defa­ma­ti­on League bezeich­ne­te die mut­maß­li­che Bemer­kung als „ver­stö­rend, schwer belei­di­gend und voll­kom­men unan­ge­bracht“. Die Bür­ger­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Catho­lic League for Reli­gious and Civil Rights nann­te den angeb­li­chen Kom­men­tar „obs­zön“.

In ganz eige­ne Sphä­ren schraubt sich „Spie­gel Online“ mit dem Remix einer Reu­ters-Mel­dung. Schon im Vor­spann ver­sucht sich der Autor an einer Art Meta-Ver­gleich:

Will­kom­men in der Lars-von-Trier-Liga für ent­gleis­te Film-Grö­ßen: Die Schau­spie­le­rin Sus­an Saran­don hat Papst Bene­dikt auf einem Film­fes­ti­val in New York als Nazi bezeich­net. Ihr Inter­view­part­ner ver­such­te, Schlim­me­res zu ver­hin­dern.

Und wenn Sie jetzt sagen: „Hä? Lars von Trier hat­te doch in einem irr­lich­tern­den Gedan­ken­strom irgend­wel­che pro­mi­nen­ten Ver­tre­ter des Drit­ten Reichs genannt und sich dann, gleich­sam als Poin­te der Pro­vo­ka­ti­on, selbst als ‚Nazi‘ bezeich­net. Das hat ja wohl außer dem Wort ‚Nazi‘ (und der damit ver­knüpf­ten erwart­ba­ren Empö­rung) nichts mit dem aktu­el­len Fall zu tun!“, dann bewei­sen Sie damit nur, dass Sie nicht für „Spie­gel Online“ arbei­ten könn­ten.

Der Arti­kel schließt näm­lich mit die­sen Sät­zen:

Saran­don wird nun in den kom­men­den Tagen erfah­ren, wie sehr sich die Öffent­lich­keit an Nazi-Ver­glei­chen von Pro­mi­nen­ten abar­bei­tet. Der däni­sche Regis­seur Lars von Trier hat­te sich auf den Film­fest­spie­len in Can­nes erfolg­reich um Kopf und Kra­gen gere­det und Sym­pa­thie für Adolf Hit­ler bekun­det. Nach einem Empö­rungs­t­s­una­mi ermit­telt nun sogar die Staats­an­walt­schaft.

Nun könn­ten die Fäl­le von Saran­don und von Trier kaum wei­ter von­ein­an­der ent­fernt sein: Bei der einen ist es ein Skan­dal, weil sie den ehren­wer­ten Bene­dikt XVI. recht unspe­zi­fisch einen „Nazi“ gehei­ßen hat, beim ande­ren war es ein Skan­dal, weil er Hit­ler und Speer gelobt und sich dann auf der Suche nach einem Aus­gang aus dem rhe­to­ri­schen Füh­rer­bun­ker in die Selbst­be­zich­ti­gung als „Nazi“ zu ret­ten ver­sucht hat­te.

Aber viel­leicht meint „Spie­gel Online“ mit dem ver­un­glück­tes­ten Nazi-Ver­gleichs­ver­gleich aller Zei­ten ja etwas ganz ande­res: „Sag ein­fach mal öfter ‚Nazi‘, und wir schrei­ben auch wie­der über Dich!“

Nach­trag, 18 Uhr: Bild.de bemüht sich über­ra­schen­der­wei­se um ein wenig Rela­ti­vie­rung:

Nun muss man wis­sen, dass im US-ame­ri­ka­ni­schen Wort­schatz die Bezeich­nung „Nazi“ auch für kal­te, herr­sche­ri­sche Per­son gebraucht wird – aller­dings bleibt ein fah­ler Bei­geschmack, der bei Bill Dono­hue, Prä­si­dent der katho­li­schen Liga, für Empö­rung sorgt.

Am Ende dreht dann aber auch die­ser Arti­kel ab:

Wie schnell die Bezeich­nung „Nazi“ nach hin­ten los­ge­hen kann, zeig­te sich im Mai bei den Film­fest­spie­len in Can­nes. Star-Regis­seur Lars von Trier (55, „Melan­cho­lia“) mit Hit­ler-freund­li­chen Äuße­run­gen nicht nur für einen Skan­dal, son­dern auch für sei­nen Aus­schluss vom renom­mier­ten Fes­ti­val gesorgt.

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Am längeren Hebel der Empörungsmaschine

Ges­tern schrieb Chris­toph Schwen­ni­cke einen Kom­men­tar über die unter­schied­li­chen Reak­tio­nen auf die Anschlä­ge in Nor­we­gen eben­da und in Deutsch­land. Gegen den deut­schen Poli­ti­ker, so Schwen­ni­cke, sei der paw­low­sche Hund ein „ver­nunft­be­gab­tes Wesen, das den Mut auf­bringt, sich sei­nes Ver­stan­des zu bedie­nen“.

Er frag­te:

War­um muss Poli­tik in Deutsch­land so sein? War­um muss jeder und jede jede Gele­gen­heit nut­zen, das zu sagen, was er oder sie immer schon gesagt hat? War­um kann nicht ein­fach mal Ruhe sein?

Schwen­ni­ckes Kom­men­tar hat­te „Spie­gel Online“ einen Vor­spann vor­an­ge­stellt, in dem es hieß:

Nor­we­gen hat beson­nen und ohne vor­schnel­le Schuld­zu­wei­sun­gen auf die Atten­ta­te reagiert. In Ber­lin lief dage­gen sofort die Empö­rungs­ma­schi­ne an: Geset­ze ver­schär­fen, Neo­na­zis ver­bie­ten. Kann in der deut­schen Poli­tik nicht ein­fach mal Ruhe sein?

Elf Stun­den spä­ter stell­te sich her­aus: Auch bei „Spie­gel Online“ haben sie so eine Empö­rungs­ma­schi­ne – und Chris­toph Schwen­ni­cke hat offen­sicht­lich Zugang zu ihr.

Weil Hei­ner Geiß­ler bei der Vor­stel­lung des soge­nann­ten Stress­tests zum „Stutt­gart 21“-Plan die ver­sam­mel­ten Befür­wor­ter und Geg­ner des Pro­jekts gefragt hat­te, ob sie den tota­len Krieg woll­ten, und sich hin­ter­her par­tout nicht für die­ses Goeb­bels-Zitat (das natür­lich nicht als sol­ches gekenn­zeich­net war) ent­schul­di­gen woll­te, empört sich Schwen­ni­cke:

Er soll­te jetzt, bes­ser in den kom­men­den Minu­ten oder Stun­den als erst in den nächs­ten Tagen, zur Räson kom­men und sagen: Ich habe einen Feh­ler gemacht, und dann habe ich einen noch viel grö­ße­ren Feh­ler began­gen, als ich den ers­ten Feh­ler hane­bü­chen recht­fer­ti­gen woll­te.

Das fällt schwer. Aber das muss jetzt sein. Sonst gab es ein­mal einen gro­ßen Poli­ti­ker Hei­ner Geiß­ler.

Im Vor­spann ist dies­mal von „grau­en­haf­ten Wor­ten“ die Rede – als ob die ver­damm­ten Wor­te (oder gar ihre Buch­sta­ben) etwas für die Irren könn­ten, die sich ihrer bedie­nen. (Aber das haben wir ja schon mal bespro­chen.)

Was es zur Empö­rungs­ma­schi­ne in Sachen Geiß­ler-Goeb­bels zu sagen gibt, hat Vol­ker Strü­bing zusam­men­ge­fasst.

[via Peter B. und Sebas­ti­an F.]

Nach­trag, 21.10 Uhr: BILD­blog-Leser Juan L. weist dar­auf hin, dass Schwen­ni­ckes Geiß­ler-Kom­men­tar ursprüng­lich den fol­gen­den Satz ent­hielt:

Man hört sich die Audio-Datei wie­der und wie­der an und fragt sich, wie ein Mann von der poli­ti­schen und der Lebens­er­fah­rung eines Hei­ner Geiß­ler der­art Amok lau­fen kann.

Nach Kom­men­ta­ren im Forum wur­de der Satz dann sang- und klang­los geän­dert in:

Man hört sich die Audio-Datei wie­der und wie­der an und fragt sich, wie sich ein Mann von der poli­ti­schen Erfah­rung und der Lebens­er­fah­rung eines Hei­ner Geiß­ler eine der­ar­ti­ge Ent­glei­sung leis­ten kann.

Herr Schwen­ni­cke scheint sich für sei­ne grau­en­haf­ten Wor­te nir­gend­wo ent­schul­digt zu haben.

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Gesellschaft Politik

Der Ölprinz

Am Ende sind sie alle geschockt. Auf den Fern­seh­schir­men ist Adolf Hit­ler zu sehen, der „Füh­rer“ ihrer Orga­ni­sa­ti­on. „Ja, ja, Ihr wärt alle gute Nazis gewe­sen“, sagt ihr Leh­rer Ben Ross ((Mor­ton Rhue: Die Wel­le. Ravens­burg, 2011 (11984), S. 176.)) und die Schü­ler in der voll­be­setz­ten Aula schwei­gen betre­ten. Steht „Die Wel­le“ von Mor­ton Rhue eigent­lich immer noch auf dem Lehr­plan von Eng­lisch­kur­sen?

Nazi-Ver­glei­che ver­bie­ten sich eigent­lich als Stil­mit­tel in der sach­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung. Und den­noch fällt es schwer, ange­sichts von Hun­dert­tau­sen­den, meist jun­gen Men­schen, die sich bei Face­book „Gegen die Jagd auf Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg“ aus­spre­chen oder „Wir wol­len Gut­ten­berg zurück“ for­dern, nicht von einer „Gut­ten­berg­ju­gend“ zu spre­chen.

Es ist schwer zu sagen, woher aus­ge­rech­net bei einer eher als unpo­li­tisch geschol­te­nen Jugend plötz­lich die­se Begeis­te­rung für einen ein­zel­nen Minis­ter her­kommt – noch dazu für einen von der CSU, die sonst nicht unbe­dingt einen über­mä­ßi­gen Zuspruch jun­ger Wäh­ler erfährt. Ist es wirk­lich „eine ganz natür­li­che Nei­gung der Men­schen, nach einem Füh­rer Aus­schau zu hal­ten, nach irgend­je­man­dem, der alle Ent­schei­dun­gen“ trifft, ((ebd, S. 174.)) oder fällt das Licht einer Mas­sen­hys­te­rie hier eher zufäl­lig auf einen Poli­ti­ker?

Chuck Klos­ter­man hat ein­mal geschrie­ben, ((Chuck Klos­ter­man: Sex, Drugs and Cocoa Puffs. New York, 2004, S. 202.)) dass man wahr­schein­lich alle Men­schen außer­halb sei­nes engs­ten Freun­des­krei­ses mit einem ein­zi­gen Satz beschrei­ben kön­ne. In Wahr­heit reicht ver­mut­lich ein ein­zi­ges Wort oder Gefühl aus: Der Typ, der auf dem Schul­hof immer allei­ne rum­stand? „Nerd“. Die Kell­ne­rin aus dem Café um die Ecke? „Nied­lich“. Ste­fan Effen­berg? „Trot­tel“.

Wer das poli­ti­sche Tages­ge­schäft nicht mal min­des­tens ver­folgt, aber an Titel­bil­dern wie „Der coo­le Baron“, „Die fabel­haf­ten Gut­ten­bergs“ oder „Wir fin­den die GUTT!“ vor­über­geht, spei­chert den cha­ris­ma­ti­schen Fran­ken natür­lich schnell unter „cool“ ab, so wie ich als Kind Hel­mut Kohl unter „dick und mit Sprach­feh­ler“ abge­spei­chert hat­te. Wenn Gut­ten­bergs Kar­rie­re nicht ein jähes vor­läu­fi­ges Endes gefun­den hät­te, wäre er bis zur Bun­des­tags­wahl 2013 sicher noch auf dem Cover des deut­schen „Rol­ling Stone“ (Her­aus­ge­ber: Ulf Pos­ch­ardt) und der „Bra­vo“ auf­ge­taucht.

Im Prin­zip ist Gut­ten­berg für die jun­gen Leu­te also nichts ande­res als Jus­tin Bie­ber, Miley Cyrus oder Katy Per­ry – und genau auf die­sem Level ver­tei­di­gen die Fans ihr Idol auch. Doch wäh­rend Dis­kus­sio­nen über musi­ka­li­sche Geschmä­cker müßig sind (ich fand „Baby“ von Jus­tin Bie­ber zum Bei­spiel gar nicht schlecht), fol­gen poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen für gewöhn­lich gewis­sen argu­men­ta­ti­ven Regeln. (Die­ser Satz ist eine Arbeits­hy­po­the­se, die bei jeder Bun­des­tags­de­bat­te und jeder Polit-Talk­show wider­legt wird, aber anders kom­men wir hier nie aus dem Quark.)

Wie soll man jetzt jeman­dem begeg­nen, der „DIE sind doch nur nei­disch!“ für ein zwin­gen­des Argu­ment hält, einen Betrü­ger im Amt zu hal­ten – noch dazu, wenn die­ses „Argu­ment“ auch von füh­ren­den Uni­ons­po­li­ti­kern vor­ge­bracht wird? Was soll man jeman­dem ent­geg­nen, der wahr­schein­lich nicht ein­mal die Hälf­te der Bun­des­mi­nis­ter nament­lich benen­nen könn­te, aber im Brust­ton der Über­zeu­gung ver­kün­det: „Er war ein­fach der bes­te minis­ter von allen!!“? Und wie erklärt man Men­schen, die noch nie eine Uni­ver­si­tät von innen gese­hen haben oder – viel schlim­mer! – ein hek­ti­sches Bache­lor/­Mas­ter-Stu­di­um zum Zwe­cke der schnel­len Berufs­qua­li­fi­ka­ti­on durch­lau­fen haben, wie erklärt man denen, was wis­sen­schaft­li­che Ehre und Bil­dungs­ge­dan­ken sind?

Inso­fern kann man der Anru­fe­rin, die sich in einer zehn­mi­nü­ti­gen Dis­kus­si­on mit dem Radio-Fritz-Mode­ra­tor Hol­ger Klein wie­der­fand (von der sie ver­mut­lich anschlie­ßend annahm, aus ihr als Sie­ge­rin her­vor­ge­gan­gen zu sein), sicher attes­tie­ren: „Du bist Deutsch­land!“

Der Fall Gut­ten­berg war außer­halb des poli­ti­schen Ber­lins auch eine Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen zwei Lagern: Auf der einen Sei­te die bür­ger­li­che Pres­se und die ent­setz­ten Aka­de­mi­ker, die den Ruf des Bil­dungs­stand­or­tes Deutsch­land in aku­ter Gefahr sahen, auf der ande­ren Sei­te „Bild“ und das ein­fa­che Volk. Oder, vom Volk abge­grenzt, wie Her­der sagen wür­de: „der Pöbel auf den Gas­sen, der singt und dich­tet nie­mals, son­dern schreyt und ver­stüm­melt.“ ((Johann Gott­fried Her­der: „Volks­lie­der. Nebst unter­misch­ten andern Stü­cken, Zwei­ter Teil“ [1779], in: Wer­ke, her­aus­ge­ge­ben von Ulrich Gai­er. Frank­furt am Main, 1990, S. 239.))

Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg hat viel falsch gemacht, aber Fans, die so etwas womög­lich ernst mei­nen könn­ten, hat auch er nicht ver­dient:

Gut­ten­berg ist der PERFEKTE Mensch! Sein selbst­kri­ti­sches Auf­tre­ten, sei­ne unein­ge­schränk­te Ehr­lich­keit sowie sei­ne reich­hal­ti­ge Kom­pe­tenz sind unüber­trof­fen. Gut­ten­berg ist der ERLÖSER!!! Er muss WELTHERRSCHER wer­den, dann wür­de es durch sei­ne MENSCHLICHKEIT end­lich WELTFRIEDEN geben!

Es sind halt Fans und Fans han­deln – das weiß jeder, der schon ein­mal im Fuß­ball­sta­di­on oder auf einem Rock­kon­zert war – nicht immer ratio­nal. Ent­we­der, sie blei­ben ihren Hel­den bis zur Selbst­ver­leug­nung treu, oder sie sind irgend­wann so ent­täuscht, dass sie sich gegen ihr Idol stel­len.

Ich bin mir sicher, vie­le der Gut­ten­berg-Fans fan­den vor zwei, drei Jah­ren auch Barack Oba­ma gut – ein­fach, weil er cool und anders war. Dabei wäre es doch irgend­wie beru­hi­gend zu wis­sen, dass die Men­schen den heu­ti­gen US-Prä­si­den­ten in ers­ter Linie ver­eh­ren, weil sie sei­ne Mei­nung tei­len und sei­ne Ver­su­che bewun­dern, sei­ner Linie trotz allem treu zu blei­ben. Dass er dabei unbe­streit­bar cool und ein­zig­ar­tig ist, kann ja dann ger­ne einer der wei­te­ren Grün­de für sei­ne Beliebt­heit sein.

Gut­ten­berg ist dabei gar nicht der ers­te deut­sche Nach­kriegs-Poli­ti­ker, der die Mas­sen zu mobi­li­sie­ren wuss­te: 1972 mach­ten jun­ge Leu­te, die noch lan­ge nicht selbst wäh­len durf­ten, unter dem Slo­gan „Wil­ly wäh­len!“ Wahl­kampf für Wil­ly Brandt. Nur: Die­se Leu­te unter­stütz­ten Brandt wegen sei­ner poli­ti­schen Ansich­ten, wegen sei­ner Ost­po­li­tik, ohne die Hel­mut Kohl nie zum „Kanz­ler der Ein­heit“ hät­te wer­den kön­nen. Bei Gut­ten­berg konn­ten nicht ein­mal auf­merk­sa­me Beob­ach­ter sagen, wofür er stand und was sei­ne Linie war. Es war ja auch fast jeden Tag eine ande­re: Bei einer staat­li­chen Ret­tung von Opel mit Rück­tritt dro­hen, dann doch im Amt blei­ben; den Luft­schlag von Kun­dus „ange­mes­sen“ nen­nen, dann „unan­ge­mes­sen“; in Sachen Gorch Fock kei­ne schnel­len Urtei­le fäl­len wol­len, dann spon­tan (und im Bei­sein der „Bild“-Zeitung) den Kom­man­dan­ten feu­ern. Und immer waren die Ande­ren schuld. Wer das ernst­haft als „gute Arbeit“ bezeich­net, den möch­te ich nicht mei­ne Hei­zung repa­rie­ren las­sen – er könn­te ja schon nächs­te Woche mit den mon­ta­ge­be­rei­ten Nacht­spei­cher­öfen vor der Tür ste­hen.

Wenn Kai Diek­mann jetzt vom „grau­en Mit­tel­maß“ der Poli­ti­ker schreibt, die nun wie­der das poli­ti­sche Ber­lin beherrsch­ten, und Niko­laus Blo­me die „poli­ti­sche Hygie­ne“ beklagt, möch­te ich ihnen ent­ge­gen rufen: Mei­net­we­gen kön­nen die Poli­ti­ker so grau sein, wie sie wol­len, sie sol­len ihre ver­damm­te Arbeit ordent­lich machen und sich anstän­dig ver­hal­ten! Poli­tik ist nicht Teil des Show­ge­schäfts, auch wenn das seit dem Umzug der Bun­des­re­gie­rung nach Ber­lin immer mal wie­der gern ver­ges­sen wird.

„Aber das Volk liebt ihn doch!“, wen­den Diek­mann und Blo­me dann uni­so­no ein. Der Vor­wurf, die Poli­tik höre nicht auf das, was die Bevöl­ke­rung wol­le, lenkt davon ab, dass selbst „Bild“ es nicht geschafft hat, Gut­ten­berg im Amt zu hal­ten, und damit wei­ter an Ein­fluss ver­lo­ren hat. Statt­des­sen bekla­gen ihre Redak­teu­re die wei­ter fort­schrei­ten­de „Poli­tik­ver­dros­sen­heit“, die Jour­na­lis­ten seit 20 Jah­ren zu erken­nen glau­ben. Dabei wäre es die ver­damm­te Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten, den Bür­gern die Zusam­men­hän­ge zwi­schen der graue Poli­tik und ihrem Leben auf­zu­zei­gen und kri­tisch, aber nicht pau­schal ver­ur­tei­lend, zu beglei­ten, was „die da oben“ eigent­lich den gan­zen Tag so machen. Die Auf­ga­be der Pres­se ist es jeden­falls nicht, Polit­g­la­mour-Paa­re hoch­zu­schrei­ben!

War­um sich das deut­sche Volk (oder genau­er: gro­ße Tei­le des­sen) offen­bar mehr als 90 Jah­re nach Abschaf­fung des Adels in Deutsch­land aus­ge­rech­net einen „Frei­herrn“ ins Kanz­ler­amt wünscht, lässt sich eigent­lich nur damit erklä­ren, dass die Deut­schen zu oft beim Arzt und/​oder Fri­seur sind und ob der Lek­tü­re der dort aus­lie­gen­den Maga­zi­ne eine gewis­se Sehn­sucht nach Blau­blü­tern ver­spü­ren. Das ist irri­tie­rend, denn bis­her haben wir im Geschichts- und Poli­tik­un­ter­richt gelernt, dass die Mas­sen gegen die Klas­sen kämp­fen wür­den.

Eigent­lich ist es den Leu­ten aber eh egal, zu wem sie auf­schau­en, so lan­ge sie zu jeman­dem auf­schau­en kön­nen: Zu Lady Di, zum Papst oder eben zu „KT“ und sei­ner Ste­pha­nie. Die Gut­ten­bergs boten die öli­ge Pro­jek­ti­ons­flä­che für alle, die nie­mals König oder Köni­gin von Deutsch­land wer­den wür­den: Aus­ge­stat­tet mit einem ordent­li­chen Stamm­baum, in einer Bil­der­bu­chehe ver­hei­ra­tet, mit einem Pri­vat­ver­mö­gen im Rücken, des­sent­we­gen man gar nicht arbei­ten müss­te. Die Idyl­le lock­te wie ein alter Hei­mat­film.

Gut­ten­berg war die per­so­ni­fi­zier­te Umkehr der Zei­ten, als die Popu­lär­kul­tur poli­tisch wur­de: im Polit­be­trieb war er „Pop“, was der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Hecken als „Kür­zel für mal glat­te und ober­fläch­li­che, mal durch­schla­gen­de und inten­si­ve Rei­ze“ beschreibt. ((Tho­mas Hecken: Popu­lä­re Kul­tur. Bochum, 2006, S. 32.))

Ab einem bestimm­ten Punkt wird jede Bewe­gung zum Selbst­läu­fer; die Mas­se fin­det gut, was beliebt und erfolg­reich ist. So lässt sich der plötz­li­che unfass­ba­re Chart­erfolg einer 17 Jah­re alten Cover­ver­si­on eines heu­te mehr als 70 Jah­re alten Songs erklä­ren, aber auch der schier unglaub­li­che Zulauf, den die Pro-Gut­ten­berg-Sei­ten bei Face­book erfah­ren. Ich wüss­te ger­ne, wie vie­le der Gut­ten­berg-Jün­ger gleich­zei­tig auch Fans von Unhei­lig sind.

Nach dem sel­ben Prin­zip funk­tio­niert dann auch die Argu­men­ta­ti­on: Die Leu­te plap­pern nach, was sie anders­wo (also: bei Gleich­ge­sinn­ten) schon gehört und nicht ver­stan­den haben. Aber halt­lo­se Behaup­tun­gen wer­den nicht wah­rer, wenn sie hun­dert­fach wie­der­holt wer­den – und das gilt für bei­de Sei­ten, wie die pein­li­che Geschich­te mit dem angeb­li­chen „Star Trek“-Zitat in Gut­ten­bergs Rück­tritts­re­de beweist.

Dass man Ver­feh­lun­gen nicht gegen­ein­an­der auf­wiegt, lernt man nor­ma­ler­wei­se im Kin­der­gar­ten. Offen­bar wächst sich das mit der Zeit aber wie­der raus:

Für mich ist des ne Lapa­lie!!! Ande­re sind immer­noch im Amt und trei­ben viel schlim­mer Sachen ich sage nur Ber­lus­co­ni!!!! Dass das nicht ok ist mit dem Dok­tor­ti­tel ist klar aber des hat­te nichts mit sei­ner Arbeit als Poli­ti­ker zu tun!!!

Wenn nun also ernst­haft jun­ge Men­schen, die durch­aus Abitur haben und stu­die­ren, fra­gen: „Was hat die gefälsch­te Dok­tor­ar­beit denn mit den poli­ti­schen Fähig­kei­ten der Per­son zu tun?“, muss man erst mal kurz durch­at­men und die Blut­druck­hem­mer ein­wer­fen, bevor man in leicht ver­ständ­li­chen Wor­ten zu erklä­ren ver­sucht, dass man per­sön­lich für sei­nen Teil Men­schen, die als Betrü­ger ent­larvt sei­en, jetzt eher ungern in poli­ti­schen Ämtern sähe. Das mit „Vor­bild­funk­ti­on“ und „Bil­dungs­re­pu­blik“ lässt man lie­ber direkt weg.

Dann heißt es: „Wer ohne Sün­de ist, wer­fe den ers­ten Stein“, ((Johan­nes, 8.7 in: Die Bibel.)) in dezen­ter Ver­ken­nung des Umstan­des, dass Jesus das damals ziem­lich kon­kret gemeint hat: Die Pha­ri­sä­er woll­ten die Ehe­bre­che­rin näm­lich stei­ni­gen. Näh­me man die Geschich­te aber als uni­ver­sel­len Rechts­grund­satz, wäre die Beset­zung von Rich­ter­bän­ken und Staats­an­walts­pos­ten eine unlös­ba­re Auf­ga­be.

Ohne Sün­de ist nie­mand (außer die Mut­ter Got­tes in der Katho­li­schen Kir­che), aber bestimm­te Sün­den sor­gen ein­fach dafür, dass man für bestimm­te – oder gar alle – Ämter unge­eig­net ist. (Die Aus­nah­me stellt auch hier wie­der die CDU/​CSU dar, wo man auch noch geschmei­dig Ver­kehrs­mi­nis­ter wer­den kann, nach­dem man unter Alko­hol­ein­fluss einen töd­li­chen Ver­kehrs­un­fall ver­schul­det hat, oder Finanz­mi­nis­ter, wenn man sich nicht dar­an erin­nern kann, ein­mal 100.000 DM in bar ent­ge­gen­ge­nom­men zu haben.) Und dass „alle ande­ren Poli­ti­ker auch Dreck am Ste­cken“ haben sol­len, ent­puppt sich spä­tes­tens dann als wind­schie­fe Ver­tei­di­gung, wenn der eige­ne Part­ner zu einem sagt: „Aber alle ande­ren gehen doch auch fremd, Schatz!“

Wenn irgend­wel­che Jung­spun­de bei Face­book jetzt also „Gut­ten­berg for Reichs­kai­ser“ for­dern, kön­nen wir nur von Glück spre­chen, dass Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg zwei­fels­oh­ne ein über­zeug­ter Demo­krat ist, und die Dem­ago­gen, die Deutsch­land in den letz­ten 65 Jah­ren her­vor­ge­bracht hat, alle­samt unan­sehn­lich oder rhe­to­risch über­for­dert waren – oder in den meis­ten Fäl­len gleich bei­des. Doch wehe, wenn jemand auf­tau­chen soll­te, der Pop-Appeal ver­strömt und neben­bei Volks­ver­het­zung betreibt!

Eines noch zum Schluss: Die Fra­ge „Gibt es denn nichts Wich­ti­ge­res auf der Welt?“ ist das dümms­te aller dum­men Null-Argu­men­te. Denn es gibt ja auch „Wich­ti­ge­res als Steu­er­hin­ter­zie­hung, Fah­ren im ange­trun­ke­nen Zustand, das Her­aus­te­le­fo­nie­ren von Lust­mäd­chen aus Unter­su­chungs­ge­fäng­nis­sen durch Minis­ter­prä­si­den­ten, Vul­ga­ri­tät und was nicht noch alles“, wie es Jür­gen Kau­be in der „F.A.Z.“ for­mu­liert hat. ((Jür­gen Kau­be: „Vgl. auch Gut­ten­berg 2009“, in: Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung vom 22. Febru­ar 2011, S. 27.)) Die Ant­wort lau­tet also in nahe­zu jedem Kon­text: „Doch, natür­lich gibt es Wich­ti­ge­res.“ Gin­ge es danach, müss­te uns alles egal sein, was nicht direkt zur Schaf­fung des Welt­frie­dens bei­trägt. Ich schla­ge vor, dass wir mit dem Igno­rie­ren der Anzahl von Face­book-Fans anfan­gen.

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Die Führerlose Zeit ist vorbei!

Habe ich da ein „Hit­ler“ gehört?

Wirbel um ausländerkritische Bemerkungen: Zentralrat der Juden stellt Sarrazin mit Hitler in eine Reihe

Es muss die Mit­glie­der des Zen­tral­rats der Juden in Deutsch­land extrem gewurmt haben, dass das Empö­rungs­ka­rus­sell im „Fall Sar­ra­zin“ (schnauz­bär­ti­ger Tour­et­te-Funk­tio­när belei­digt die letz­te Bevöl­ke­rungs­grup­pe, die ihm in sei­nem Sam­mel­al­bum noch fehl­te, und ret­tet sich damit vor der „Was macht eigent­lich …?“-Rubrik des „Stern“) ohne sie los­ge­fah­ren war.

Schlim­mer noch: Von allen Sei­ten waren die Men­schen her­bei­ge­sprun­gen, um die Stei­len The­sen des Dampf­plau­de­rers zu ver­tei­di­gen oder den Mann wenigs­tens wegen sei­ner Unan­ge­passt­heit zu loben.

Da half nur noch eins, um gehört zu wer­den: Hit­ler!

„Ich habe den Ein­druck, dass Sar­ra­zin mit sei­nem Gedan­ken­gut Göring, Goeb­bels und Hit­ler gro­ße Ehre erweist“, sag­te der Gene­ral­se­kre­tär des Zen­tral­ra­tes, Ste­phan Kra­mer, am Frei­tag in Ber­lin. „Er steht in geis­ti­ger Rei­he mit den Her­ren.“

Göring, Goeb­bels und Hit­ler hat­ten wir als sol­ches Drei­er­pack (mut­maß­lich zum Preis von Zwei­en) glaub ich auch noch nicht, also hat sich Kra­mer sein Mes­sing­schild in der Ruh­mes­hal­le der Nazi-Ver­glei­che red­lich ver­dient.

Außer­dem sieht es gut aus für ihn im Ren­nen um den kon­se­quen­tes­ten Kon­junk­tiv 2009:

Er füg­te hin­zu: „Ich will mich nicht auf das Niveau von Sar­ra­zin bege­ben. Wür­de ich das tun, wür­de ich das als intel­lek­tu­el­len Dünn­schiss bezeich­nen.“

Na ein Glück, dass er’s nicht getan hat!

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Ein Esszimmertisch aus ganz besonderem Holz

Mög­li­cher­wei­se haben Sie das Video schon gese­hen, in dem der demo­kra­ti­sche Abge­ord­ne­te Bar­ney Frank bei einem Town Com­mit­tee mee­ting in Dart­mouth, Mas­sa­chu­setts eine jun­ge Fra­ge­stel­le­rin rhe­to­risch voll­endet abbü­gelt, die ihm und Barack Oba­ma Nazi-Poli­tik vor­wirft.

Alter­na­tiv hät­te die „Dai­ly Show“ hier für Sie auch noch mal die schöns­ten Stel­len:

The Dai­ly Show With Jon Ste­wart Mon – Thurs 11p /​ 10c
Bar­ney Frank’s Town Hall Snaps
www.thedailyshow.com
Dai­ly Show
Full Epi­so­des
Poli­ti­cal Humor Health­ca­re Pro­tests

Was Sie viel­leicht nicht mit­be­kom­men haben: Die Fra­ge­stel­le­rin berief sich auf Lyn­don LaRou­che und hat­te die­ses sym­pa­thi­sche Pos­ter dabei, das man sich auf der Web­site des „Poli­ti­cal Action Com­mit­tee“ des LaRou­che-Clans her­un­ter­la­den kann:

I've changed - Barack Obama mit Hitler-Bärtchen

Sie erin­nern sich: Die merk­wür­di­gen Ver­ei­ni­gun­gen rund um Lyn­don LaRou­che und sei­ne Frau Hel­ga Zepp-LaRou­che waren hier im Blog ja schon mehr­fach The­ma.

Wäh­rend der deut­sche Able­ger „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ (BüSo) vor allem durch unfrei­wil­li­ge Komik und mys­te­riö­se Todes­fäl­le auf­fällt, tritt die Polit­sek­te in den USA weit weni­ger sub­til auf.

[via The Washing­ton Inde­pen­dent]

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Dialektik der Nicht-Aufklärung

Waschen Sie sich den rech­ten Arm, piek­sen Sie klei­ne Reichs­kriegs­fähn­chen in den Käse und hän­gen Sie die Haken­kreuz­gir­lan­de auf: Wir haben einen neu­en Nazi-Ver­gleich!

Die katho­li­schen Tra­di­tio­na­lis­ten der Pries­ter­bru­der­schaft St. Pius X. hat sich im Vor­feld des Stutt­gar­ter Chris­to­pher Street Days zu einer bemer­kens­wer­ten Aus­sa­ge hin­rei­ßen las­sen, wie „Spie­gel Online“ berich­tet:

„Wie stolz sind wir, wenn wir in einem Geschichts­buch lesen, dass es im Drit­ten Reich muti­ge Katho­li­ken gab, die sag­ten: ‚Wir machen die­sen Wahn­sinn nicht mit!‘. Eben­so muss es heu­te wie­der muti­ge Katho­li­ken geben!“ heißt es in dem Text. Die Bru­der­schaft stellt den CSD als „eine Men­ge von sich wild und obs­zön gebär­den­den Men­schen“ dar, die durch die Stra­ßen Stutt­garts zie­hen und sug­ge­rie­ren woll­ten, „Homo­se­xua­li­tät ist das Nor­mals­te der Welt“.

Die­ser Ver­gleich ist in zwei­er­lei Hin­sicht beein­dru­ckend: Ers­tens war der Wider­stand der Katho­li­ken im Drit­ten Reich, vor­sich­tig gesagt, nicht son­der­lich erfolg­reich. Es dürf­te also fest­ste­hen, dass nur noch eine Alli­anz aus den USA, Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich und der Sowjet­uni­on Deutsch­land von der Homo­se­xua­li­tät befrei­en könn­te. Und zwei­tens war der Natio­nal­so­zia­lis­mus laut Pius­bru­der­schaft ja gar nicht so schlimm.

Hier beru­fen sich also Leu­te stolz auf den erfolg­lo­sen Wider­stand gegen ein – ihrer Mei­nung nach – nur mit­tel­mä­ßi­ges Ver­bre­chen. Nor­ma­le mensch­li­che Gehir­ne wären wegen Über­hit­zung längst auf Not-Aus gegan­gen.

Auch „Bild“ berich­tet über die „Kampf­an­sa­ge“ der Pius­brü­der – natür­lich nicht, ohne vor­her noch ein biss­chen Papst-Klit­te­rung zu betrei­ben:

Nach­dem Anfang des Jah­res Pius-Bischof Wil­liam­sons den Holo­caust leug­ne­te und dar­aus ein Streit zwi­schen Pius-Bru­der­schaft und Vati­kan ent­brann­te, folgt nun der nächs­te Ham­mer.

(Für die Jün­ge­ren: Füh­ren­de Pius­brü­der hat­ten den Holo­caust schon öfter geleug­net. Die öffent­li­che Dis­kus­si­on ent­zün­de­te sich dar­an, dass Papst Bene­dikt XVI. die Exkom­mu­ni­ka­ti­on von vier Bischö­fen der Bru­der­schaft auf­ge­ho­ben hat­te.)

Jetzt schießt kreuz.net, das inof­fi­zi­el­le Zen­tral­or­gan der Pius­bru­der­schaft, zurück und beginnt sei­ne Hass­ti­ra­de völ­lig unver­blümt:

Spä­tes­tens jetzt wird die Ein­rich­tung von Gas­kam­mern unver­meid­lich – die­ses Mal nicht für die von den Deut­schen getö­te­ten reli­giö­sen Juden, wel­che die Homo-Per­ver­si­on genau­so ver­ab­scheu­ten wie es heu­te die Alt­gläu­bi­gen tun.

Immer wie­der über­ra­schend, wie vie­le Haken so ein Kreuz schla­gen kann.

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Der neue Hitler

Vor ein paar Wochen hat­te ich geschrie­ben, Kin­der­por­no­gra­phie habe Ter­ro­ris­mus als … äh: Tot­schlag­ar­gu­ment bei der Ein­schrän­kung von Rech­ten abge­löst.

Kin­der­por­no­gra­phie ist aber nicht nur der neue Osa­ma, sie ist auch der neue Hit­ler.

Den Ein­druck könn­te man zumin­dest bekom­men, wenn man sich anhört, welch beein­dru­cken­de Ver­gleichs­ket­te Bay­erns Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann ges­tern aus dem Hut zau­ber­te:

Kil­ler­spie­le wider­spre­chen dem Wer­te­kon­sens unse­rer auf einem fried­li­chen Mit­ein­an­der beru­hen­den Gesell­schaft und gehö­ren geäch­tet. In ihren schäd­li­chen Aus­wir­kun­gen ste­hen sie auf einer Stu­fe mit Dro­gen und Kin­der­por­no­gra­fie, deren Ver­bot zurecht nie­mand infra­ge stellt.

[Zitiert nach golem.de]

Mir fällt lei­der beim bes­ten Wil­len nichts ein, womit ich die­sen Unfug ver­glei­chen könn­te.

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Nazi und Indianer

Weder Deut­sche noch Schwei­zer sind bekannt für ihren Humor. Das macht ein Auf­ein­an­der­tref­fen der bei­den Völ­ker meist zu einem gequäl­ten, drö­gen Ereig­nis.

Über­haupt kei­ne Wit­ze ver­ste­hen die Schwei­zer, wenn es ums Geld geht. Nach­dem die Schweiz aus Angst vor einer „schwar­zen Lis­te“ der OECD ange­kün­digt hat­te, in Zukunft stär­ker mit aus­län­di­schen Finanz­be­hör­den zu koope­rie­ren, ließ sich der deut­sche Finanz­mi­nis­ter Peer Stein­brück zu einem aben­teu­er­li­chen klei­nen Ver­gleich hin­rei­ßen:

Stein­brück hat­te am letz­ten Sams­tag am Ran­de des Tref­fens der Finanz­mi­nis­ter der G‑20 in Lon­don die Dro­hung mit einer schwar­zen Lis­te gegen­über der Schweiz mit der «sieb­ten Kaval­le­rie vor Yuma» ver­gli­chen, die man auch aus­rei­ten las­sen kön­ne. «Aber die muss man nicht unbe­dingt aus­rei­ten. Die India­ner müs­sen nur wis­sen, dass es sie gibt», hat­te Stein­brück in einer vom Schwei­zer Fern­se­hen (SF) auf­ge­zeich­ne­ten Stel­lung­nah­me gesagt.

In der Schweiz woll­te man aber nicht mit India­nern ver­gli­chen wer­den und bestell­te den deut­schen Bot­schaf­ter ein.

Das offi­zi­el­le Pro­to­koll der schwei­zer Bun­des­ver­samm­lung notiert für ges­tern dann fol­gen­de Aus­füh­run­gen des Abge­ord­ne­ten Tho­mas Mül­ler aus der christ­lich-demo­kra­ti­sche Frak­ti­on CEg:

Wenn die deut­sche Poli­tik in Schwie­rig­kei­ten steckt, und das tut sie im Moment, dann braucht sie Geld und Sün­den­bö­cke. Peer Stein­brück, das darf man in aller Offen­heit sagen, defi­niert das Bild des häss­li­chen Deut­schen neu. Er erin­nert mich an jene Gene­ra­ti­on von Deut­schen, die vor sech­zig Jah­ren mit Leder­man­tel, Stie­fel und Arm­bin­de durch die Gas­sen gegan­gen sind. (Teil­wei­ser Bei­fall, Unru­he)

Damit wäre zumin­dest geklärt, wie gut der Geschichts­un­ter­richt an schwei­zer Schu­len ist – denn vor sech­zig Jah­ren dürf­te der Anteil der Deut­schen, die mit Leder­man­tel, Stie­fel und Arm­bin­de durch die Gas­sen gin­gen, eher über­schau­bar gewe­sen sein.

Rats­prä­si­den­tin Chia­ra Simo­ne­schi-Cor­te­si wies Mül­ler spä­ter zurecht, über­sah das his­to­ri­sche Detail aber eben­falls:

Herr Natio­nal­rat Mül­ler Tho­mas hat in sei­nem Votum von heu­te Mor­gen gesagt, dass ihn der deut­sche Finanz­mi­nis­ter Stein­brück an die Gene­ra­ti­on von Deut­schen erin­ne­re, die vor sech­zig Jah­ren mit Leder­man­tel, Stie­fel und Arm­bin­de durch die Gas­sen gegan­gen sei­en. Hät­te ich die­se Aus­sa­ge in die­sem Moment rich­tig wahr­ge­nom­men, hät­te ich Herrn Mül­ler zurecht­ge­wie­sen. Sei­ne Aus­sa­ge ist depla­ziert und belei­di­gend. Ich habe es Herrn Mül­ler per­sön­lich gesagt. Ich ent­schul­di­ge mich als Rats­prä­si­den­tin dafür. (Teil­wei­ser Bei­fall)

Herr Mül­ler darf sich damit als Erfin­der der Kate­go­rie „Ver­klei­de­te-Grün­der­vä­ter-der-Bun­des­re­pu­blik-Ver­gleich“ füh­len. Der Ein­fach­heit hal­ber hef­ten wir es hier im Blog aber trotz­dem bei den Nazi-Ver­glei­chen ab.

[Mit Dank auch an Hans Mar­tin U. für den Hin­weis!]

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Hitler würde „Half-Life“ spielen

Ich habe län­ger über­legt, ob ich das Fol­gen­de auf­schrei­ben soll. Schließ­lich ist „Don Alphon­so“ der „Edel-Troll“ der deutsch­spra­chi­gen Blogo­sphä­re. Ein Mann, des­sen Tex­te ich in der Regel aus Sor­ge um mei­ne Gesund­heit igno­rie­re.

Ande­rer­seits ist dies hier das Fach­blog für Nazi-Ver­glei­che, also muss ich wohl ran:

Die­ser „Don Alphon­so“ hat, nach­dem ihm die vie­len, vie­len, teils (mut­maß­lich) unflä­ti­gen Kom­men­ta­re auf einen sei­ner Tex­te zu bunt wur­den, Fol­gen­des geschrie­ben:

Ich habe das freund­li­cher gesagt, als ich es mei­ne, denn in mei­nen Augen sind die­se expli­zit Sucht­kran­ken argu­men­ta­tiv auf dem glei­chen Niveau wie die Alt­na­zis bei uns in den Käf­fern.

Mit den „expli­zit Sucht­kran­ken“ meint er übri­gens Men­schen, die Com­pu­ter spie­len. Ob Alt­na­zis jetzt auch sucht­krank sei­en müs­sen oder nur Com­pu­ter­spie­ler gleich­zei­tig krank und wie Nazis sind, lässt sich sei­nem Text nicht ent­neh­men. Wohl aber, dass der Ver­gleich kein ein­ma­li­ger Aus­rut­scher war, denn ein paar Zei­len spä­ter wütet er:

Nun sind die­se Art Gamer eine ganz beson­de­re Grup­pe Mensch, die, ähn­lich wie die Gefolg­schaft von Neo­co­na­zi­sei­ten und extre­mis­ti­sche Isla­mis­ten, kei­ne Haf­tung in der Rea­li­tät mehr haben.

Fas­zi­nie­rend, wie man eine ohne­hin schon emo­tio­na­le Debat­te (in der ich Com­pu­ter­spie­le weder für „schul­dig“ noch für kom­plett „unschul­dig“ hal­te) mit ein biss­chen Arro­ganz, Dumm­heit und Schaum vor dem Mund noch ein wenig unsach­li­cher gestal­ten kann.

Dabei ist die ursprüng­li­che Kern­fra­ge, war­um Men­schen, die anspruchs­vol­le Lite­ra­tur lesen, so sel­ten Amok lau­fen, gar nicht mal unspan­nend. Ich hät­te sogar einen Erklä­rungs­ver­such: Aus den sel­ben Grün­den, war­um so weni­ge Klas­sik- und Schla­ger-Hörer Amok lau­fen – sie sind schlicht­weg älter.

Die wenigs­ten Jugend­li­chen haben ein Inter­es­se dar­an, sich mit jahr­hun­der­te­al­ter Lite­ra­tur, Kunst und Musik zu beschäf­ti­gen. Zum einen, weil ihnen das alles in der Schu­le madig gemacht wur­de, zum ande­ren, weil die­se Din­ge wenig mit ihrer Lebens­si­tua­ti­on zu tun haben. Wenn man älter und ruhi­ger wird, beschäf­tigt man sich viel­leicht irgend­wann auch mit der soge­nann­ten Hoch­kul­tur. Aber dann ist man (in der Regel) über die gefähr­li­che Pha­se im Leben hin­aus. Der Zusam­men­hang besteht also weni­ger zwi­schen Medi­en­kon­sum und Ver­hal­ten, son­dern zwi­schen Alter (wel­ches den Medi­en­kon­sum bedingt) und Ver­hal­ten. Über­spitzt gesagt: Wenn wir etwas ver­bie­ten müss­ten, dann die Puber­tät.

Davon ab könn­te man auch noch das Fass mit den „Lei­den des jun­gen Wert­hers“ und den angeb­li­chen Nach­ah­mungs­tä­tern auf­ma­chen, aber ein Goe­the-Spe­zia­list hat mir glaub­haft ver­si­chert, dass es kei­nen ein­zi­gen beleg­ten Fall eines Wert­her-Selbst­mords gibt.

[via Nerd­core]