1940 sagte Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel über den deutschen Diktator Adolf Hitler, dessen Armee gerade Frankreich und die BeNeLux-Staaten überrannt hatte, dieser sei der „größte Feldherr aller Zeiten“. Nach der verheerenden Niederlage in der Schlacht um Stalingrad machte diese Formulierung in der deutschen Bevölkerung mit eher sarkastischer Konnotation die Runde und Hitler wurde in Anlehnung an den Abkürzungswahn, der Deutsche seit Jahrhunderten umtreibt, zum „GröFaZ“ erklärt.
Man darf davon ausgehen, dass die Formulierung – anders als das „Tausendjährige Reich“ – die Jahrzehnte überdauert hat, denn im November 2007 sagte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf dem Höhepunkt der öffentlichen Diskussion um die sog. Vorratsdatenspeicherung laut „taz“:
„Wir hatten den ‘größten Feldherrn aller Zeiten’, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten“
Schäuble schaffte es damit in meine Liste der Nazi-Vergleiche, die es damals zu einer gewissen Popularität in der deutschen Blogosphäre brachte, später mit Ergänzungen in Daniel Erks Buch „So viel Hitler war selten“ für die Nachwelt festgehalten wurde und inzwischen auch schon 15 Jahre alt ist.
Man könnte also schlussfolgern, dass die Formulierung „größter Irgendwas aller Zeiten“ in Deutschland mit einer gewissen Vorsicht verwendet werden sollte. Besonders, wenn es um Deutschland geht. Oder Krieg.
Und damit kommen wir zur gestrigen Berichterstattung von Bild.de über die Oscar-Verleihung und den deutschen Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“:
Das ist kompositorisch schon nah an der Perfektion (wenn man unter „Perfektion“ auch Dinge versteht wie eine überlaufende Toilette, die die ganze Wohnung in Mitleidenschaft zieht): der Soldat mit Stahlhelm; das fröhlich dummstolze Stammtisch-„Wir“, das „Bild“ immer hervorholt, wenn gerade Fußball-WM ist oder ein Papst gewählt wird; die Formulierung an sich — und natürlich das Gold drumherum.
Im Artikel fasst der Bild.de-Autor seine Eindrücke vom Film so zusammen:
Die Regie genial. Die Kamera anbetungswürdig. Das Szenenbild: Einfach nur krass.
„Okay“, hätte ich gesagt. „Das passiert, wenn man Berufseinsteiger um die 25 Texte schreiben lässt: Die Sprache ist etwas umgangssprachlicher und sie verwenden aus Versehen Formulierungen, für die ihnen im entscheidenden Moment die Goldwaagen-App auf dem Smartphone fehlt.“
Stellt sich raus: Der Text ist von Bild.de-Redakteur Ralf Pörner. Und der müsste inzwischen 60 sein.
Sie wollen sich nicht an Corona-Schutzmaßnahmen halten, glauben an Verschwörungstheorien und vergleichen sich mit Opfern des Nationalsozialismus: Mit den sog. „Querdenkern“ stimmt eine ganze Menge nicht.
Aber ist es klug, ihren wirren Ansichten so viel Aufmerksamkeit zu schenken? Warum wird eigentlich immer die NS-Zeit zu haarsträubenden Vergleichen herangezogen? Und was wären Vergleiche, die ein bisschen mehr Sinn ergeben? Ein paar Ideen dazu gibt es hier im Video:
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In der April-Ausgabe von Lucky & Fred vergleichen wir Franz Josef Wagner mit Wolfgang Schäuble und Gerhard Schröder mit den anderen deutschen Kanzlern. Wir spekulieren über eine Welt ohne 11. September, sprechen über unsere akademischen Laufbahnen und Streik-Erinnerungen und liefern Euch die definitive Eselsbrücke zur Zeitumstellung.
Außerdem gibt es eine kleine ESC-Vorschau, eine Art Reiseführer Ruhrgebiet und irgendwas mit Tassen.
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Abhilfe schafft da die Schauspielerin Susan Sarandan, seit jeher politisch aktiv. Sie hatte sich laut “Newsday” in einem Interview mit ihrem Schauspiel-Kollegen Bob Balaban am Wochenende wie folgt geäußert:
She was discussing her 1995 film “Dead Man Walking,” based on the anti-death-penalty book by Sister Helen Prejean, a copy of which she sent to the pope.
“The last one,” she said, “not this Nazi one we have now.” Balaban gently tut-tutted, but Sarandon only repeated her remark.
Die deutschen Medien griffen den Vergleich mit mehr als 24-stündiger Verspätung auf und hatten somit den Vorteil, die (erwartbare) Empörung gleich mitnehmen zu können:
Die jüdische Anti-Defamation League bezeichnete die mutmaßliche Bemerkung als “verstörend, schwer beleidigend und vollkommen unangebracht”. Die Bürgerrechtsorganisation Catholic League for Religious and Civil Rights nannte den angeblichen Kommentar “obszön”.
In ganz eigene Sphären schraubt sich “Spiegel Online” mit dem Remix einer Reuters-Meldung. Schon im Vorspann versucht sich der Autor an einer Art Meta-Vergleich:
Willkommen in der Lars-von-Trier-Liga für entgleiste Film-Größen: Die Schauspielerin Susan Sarandon hat Papst Benedikt auf einem Filmfestival in New York als Nazi bezeichnet. Ihr Interviewpartner versuchte, Schlimmeres zu verhindern.
Und wenn Sie jetzt sagen: “Hä? Lars von Trier hatte doch in einem irrlichternden Gedankenstrom irgendwelche prominenten Vertreter des Dritten Reichs genannt und sich dann, gleichsam als Pointe der Provokation, selbst als ‘Nazi’ bezeichnet. Das hat ja wohl außer dem Wort ‘Nazi’ (und der damit verknüpften erwartbaren Empörung) nichts mit dem aktuellen Fall zu tun!”, dann beweisen Sie damit nur, dass Sie nicht für “Spiegel Online” arbeiten könnten.
Der Artikel schließt nämlich mit diesen Sätzen:
Sarandon wird nun in den kommenden Tagen erfahren, wie sehr sich die Öffentlichkeit an Nazi-Vergleichen von Prominenten abarbeitet. Der dänische Regisseur Lars von Trier hatte sich auf den Filmfestspielen in Cannes erfolgreich um Kopf und Kragen geredet und Sympathie für Adolf Hitler bekundet. Nach einem Empörungstsunami ermittelt nun sogar die Staatsanwaltschaft.
Nun könnten die Fälle von Sarandon und von Trier kaum weiter voneinander entfernt sein: Bei der einen ist es ein Skandal, weil sie den ehrenwerten Benedikt XVI. recht unspezifisch einen “Nazi” geheißen hat, beim anderen war es ein Skandal, weil er Hitler und Speer gelobt und sich dann auf der Suche nach einem Ausgang aus dem rhetorischen Führerbunker in die Selbstbezichtigung als “Nazi” zu retten versucht hatte.
Aber vielleicht meint “Spiegel Online” mit dem verunglücktesten Nazi-Vergleichsvergleich aller Zeiten ja etwas ganz anderes: “Sag einfach mal öfter ‘Nazi’, und wir schreiben auch wieder über Dich!”
Nachtrag, 18 Uhr:Bild.de bemüht sich überraschenderweise um ein wenig Relativierung:
Nun muss man wissen, dass im US-amerikanischen Wortschatz die Bezeichnung “Nazi” auch für kalte, herrscherische Person gebraucht wird – allerdings bleibt ein fahler Beigeschmack, der bei Bill Donohue, Präsident der katholischen Liga, für Empörung sorgt.
Am Ende dreht dann aber auch dieser Artikel ab:
Wie schnell die Bezeichnung “Nazi” nach hinten losgehen kann, zeigte sich im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes. Star-Regisseur Lars von Trier (55, “Melancholia”) mit Hitler-freundlichen Äußerungen nicht nur für einen Skandal, sondern auch für seinen Ausschluss vom renommierten Festival gesorgt.
Gestern schrieb Christoph Schwennicke einen Kommentar über die unterschiedlichen Reaktionen auf die Anschläge in Norwegen ebenda und in Deutschland. Gegen den deutschen Politiker, so Schwennicke, sei der pawlowsche Hund ein “vernunftbegabtes Wesen, das den Mut aufbringt, sich seines Verstandes zu bedienen”.
Warum muss Politik in Deutschland so sein? Warum muss jeder und jede jede Gelegenheit nutzen, das zu sagen, was er oder sie immer schon gesagt hat? Warum kann nicht einfach mal Ruhe sein?
Schwennickes Kommentar hatte “Spiegel Online” einen Vorspann vorangestellt, in dem es hieß:
Norwegen hat besonnen und ohne vorschnelle Schuldzuweisungen auf die Attentate reagiert. In Berlin lief dagegen sofort die Empörungsmaschine an: Gesetze verschärfen, Neonazis verbieten. Kann in der deutschen Politik nicht einfach mal Ruhe sein?
Elf Stunden später stellte sich heraus: Auch bei “Spiegel Online” haben sie so eine Empörungsmaschine — und Christoph Schwennicke hat offensichtlich Zugang zu ihr.
Weil Heiner Geißler bei der Vorstellung des sogenannten Stresstests zum “Stuttgart 21”-Plan die versammelten Befürworter und Gegner des Projekts gefragt hatte, ob sie den totalen Krieg wollten, und sich hinterher partout nicht für dieses Goebbels-Zitat (das natürlich nicht als solches gekennzeichnet war) entschuldigen wollte, empört sich Schwennicke:
Er sollte jetzt, besser in den kommenden Minuten oder Stunden als erst in den nächsten Tagen, zur Räson kommen und sagen: Ich habe einen Fehler gemacht, und dann habe ich einen noch viel größeren Fehler begangen, als ich den ersten Fehler hanebüchen rechtfertigen wollte.
Das fällt schwer. Aber das muss jetzt sein. Sonst gab es einmal einen großen Politiker Heiner Geißler.
Im Vorspann ist diesmal von “grauenhaften Worten” die Rede — als ob die verdammten Worte (oder gar ihre Buchstaben) etwas für die Irren könnten, die sich ihrer bedienen. (Aber das haben wir ja schon mal besprochen.)
Was es zur Empörungsmaschine in Sachen Geißler-Goebbels zu sagen gibt, hat Volker Strübing zusammengefasst.
[via Peter B. und Sebastian F.]
Nachtrag, 21.10 Uhr: BILDblog-Leser Juan L. weist darauf hin, dass Schwennickes Geißler-Kommentar ursprünglich den folgenden Satz enthielt:
Man hört sich die Audio-Datei wieder und wieder an und fragt sich, wie ein Mann von der politischen und der Lebenserfahrung eines Heiner Geißler derart Amok laufen kann.
Nach Kommentaren im Forum wurde der Satz dann sang- und klanglos geändert in:
Man hört sich die Audio-Datei wieder und wieder an und fragt sich, wie sich ein Mann von der politischen Erfahrung und der Lebenserfahrung eines Heiner Geißler eine derartige Entgleisung leisten kann.
Herr Schwennicke scheint sich für seine grauenhaften Worte nirgendwo entschuldigt zu haben.
Am Ende sind sie alle geschockt. Auf den Fernsehschirmen ist Adolf Hitler zu sehen, der “Führer” ihrer Organisation. “Ja, ja, Ihr wärt alle gute Nazis gewesen”, sagt ihr Lehrer Ben Ross ((Morton Rhue: Die Welle. Ravensburg, 2011 (11984), S. 176.)) und die Schüler in der vollbesetzten Aula schweigen betreten. Steht “Die Welle” von Morton Rhue eigentlich immer noch auf dem Lehrplan von Englischkursen?
Es ist schwer zu sagen, woher ausgerechnet bei einer eher als unpolitisch gescholtenen Jugend plötzlich diese Begeisterung für einen einzelnen Minister herkommt — noch dazu für einen von der CSU, die sonst nicht unbedingt einen übermäßigen Zuspruch junger Wähler erfährt. Ist es wirklich “eine ganz natürliche Neigung der Menschen, nach einem Führer Ausschau zu halten, nach irgendjemandem, der alle Entscheidungen” trifft, ((ebd, S. 174.)) oder fällt das Licht einer Massenhysterie hier eher zufällig auf einen Politiker?
Chuck Klosterman hat einmal geschrieben, ((Chuck Klosterman: Sex, Drugs and Cocoa Puffs. New York, 2004, S. 202.)) dass man wahrscheinlich alle Menschen außerhalb seines engsten Freundeskreises mit einem einzigen Satz beschreiben könne. In Wahrheit reicht vermutlich ein einziges Wort oder Gefühl aus: Der Typ, der auf dem Schulhof immer alleine rumstand? “Nerd”. Die Kellnerin aus dem Café um die Ecke? “Niedlich”. Stefan Effenberg? “Trottel”.
Wer das politische Tagesgeschäft nicht mal mindestens verfolgt, aber an Titelbildern wie “Der coole Baron”, “Die fabelhaften Guttenbergs” oder “Wir finden die GUTT!” vorübergeht, speichert den charismatischen Franken natürlich schnell unter “cool” ab, so wie ich als Kind Helmut Kohl unter “dick und mit Sprachfehler” abgespeichert hatte. Wenn Guttenbergs Karriere nicht ein jähes vorläufiges Endes gefunden hätte, wäre er bis zur Bundestagswahl 2013 sicher noch auf dem Cover des deutschen “Rolling Stone” (Herausgeber: Ulf Poschardt) und der “Bravo” aufgetaucht.
Im Prinzip ist Guttenberg für die jungen Leute also nichts anderes als Justin Bieber, Miley Cyrus oder Katy Perry — und genau auf diesem Level verteidigen die Fans ihr Idol auch. Doch während Diskussionen über musikalische Geschmäcker müßig sind (ich fand “Baby” von Justin Bieber zum Beispiel gar nicht schlecht), folgen politische Diskussionen für gewöhnlich gewissen argumentativen Regeln. (Dieser Satz ist eine Arbeitshypothese, die bei jeder Bundestagsdebatte und jeder Polit-Talkshow widerlegt wird, aber anders kommen wir hier nie aus dem Quark.)
Wie soll man jetzt jemandem begegnen, der “DIE sind doch nur neidisch!” für ein zwingendes Argument hält, einen Betrüger im Amt zu halten — noch dazu, wenn dieses “Argument” auch von führenden Unionspolitikern vorgebracht wird? Was soll man jemandem entgegnen, der wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte der Bundesminister namentlich benennen könnte, aber im Brustton der Überzeugung verkündet: “Er war einfach der beste minister von allen!!”? Und wie erklärt man Menschen, die noch nie eine Universität von innen gesehen haben oder – viel schlimmer! – ein hektisches Bachelor/Master-Studium zum Zwecke der schnellen Berufsqualifikation durchlaufen haben, wie erklärt man denen, was wissenschaftliche Ehre und Bildungsgedanken sind?
Insofern kann man der Anruferin, die sich in einer zehnminütigen Diskussion mit dem Radio-Fritz-Moderator Holger Klein wiederfand (von der sie vermutlich anschließend annahm, aus ihr als Siegerin hervorgegangen zu sein), sicher attestieren: “Du bist Deutschland!”
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Der Fall Guttenberg war außerhalb des politischen Berlins auch eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern: Auf der einen Seite die bürgerliche Presse und die entsetzten Akademiker, die den Ruf des Bildungsstandortes Deutschland in akuter Gefahr sahen, auf der anderen Seite “Bild” und das einfache Volk. Oder, vom Volk abgegrenzt, wie Herder sagen würde: “der Pöbel auf den Gassen, der singt und dichtet niemals, sondern schreyt und verstümmelt.” ((Johann Gottfried Herder: “Volkslieder. Nebst untermischten andern Stücken, Zweiter Teil” [1779], in: Werke, herausgegeben von Ulrich Gaier. Frankfurt am Main, 1990, S. 239.))
Karl-Theodor zu Guttenberg hat viel falsch gemacht, aber Fans, die so etwas womöglich ernst meinen könnten, hat auch er nicht verdient:
Guttenberg ist der PERFEKTE Mensch! Sein selbstkritisches Auftreten, seine uneingeschränkte Ehrlichkeit sowie seine reichhaltige Kompetenz sind unübertroffen. Guttenberg ist der ERLÖSER!!! Er muss WELTHERRSCHER werden, dann würde es durch seine MENSCHLICHKEIT endlich WELTFRIEDEN geben!
Es sind halt Fans und Fans handeln – das weiß jeder, der schon einmal im Fußballstadion oder auf einem Rockkonzert war – nicht immer rational. Entweder, sie bleiben ihren Helden bis zur Selbstverleugnung treu, oder sie sind irgendwann so enttäuscht, dass sie sich gegen ihr Idol stellen.
Ich bin mir sicher, viele der Guttenberg-Fans fanden vor zwei, drei Jahren auch Barack Obama gut — einfach, weil er cool und anders war. Dabei wäre es doch irgendwie beruhigend zu wissen, dass die Menschen den heutigen US-Präsidenten in erster Linie verehren, weil sie seine Meinung teilen und seine Versuche bewundern, seiner Linie trotz allem treu zu bleiben. Dass er dabei unbestreitbar cool und einzigartig ist, kann ja dann gerne einer der weiteren Gründe für seine Beliebtheit sein.
Guttenberg ist dabei gar nicht der erste deutsche Nachkriegs-Politiker, der die Massen zu mobilisieren wusste: 1972 machten junge Leute, die noch lange nicht selbst wählen durften, unter dem Slogan “Willy wählen!” Wahlkampf für Willy Brandt. Nur: Diese Leute unterstützten Brandt wegen seiner politischen Ansichten, wegen seiner Ostpolitik, ohne die Helmut Kohl nie zum “Kanzler der Einheit” hätte werden können. Bei Guttenberg konnten nicht einmal aufmerksame Beobachter sagen, wofür er stand und was seine Linie war. Es war ja auch fast jeden Tag eine andere: Bei einer staatlichen Rettung von Opel mit Rücktritt drohen, dann doch im Amt bleiben; den Luftschlag von Kundus “angemessen” nennen, dann “unangemessen”; in Sachen Gorch Fock keine schnellen Urteile fällen wollen, dann spontan (und im Beisein der “Bild”-Zeitung) den Kommandanten feuern. Und immer waren die Anderen schuld. Wer das ernsthaft als “gute Arbeit” bezeichnet, den möchte ich nicht meine Heizung reparieren lassen — er könnte ja schon nächste Woche mit den montagebereiten Nachtspeicheröfen vor der Tür stehen.
Wenn Kai Diekmann jetzt vom “grauen Mittelmaß” der Politiker schreibt, die nun wieder das politische Berlin beherrschten, und Nikolaus Blome die “politische Hygiene” beklagt, möchte ich ihnen entgegen rufen: Meinetwegen können die Politiker so grau sein, wie sie wollen, sie sollen ihre verdammte Arbeit ordentlich machen und sich anständig verhalten! Politik ist nicht Teil des Showgeschäfts, auch wenn das seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin immer mal wieder gern vergessen wird.
“Aber das Volk liebt ihn doch!”, wenden Diekmann und Blome dann unisono ein. Der Vorwurf, die Politik höre nicht auf das, was die Bevölkerung wolle, lenkt davon ab, dass selbst “Bild” es nicht geschafft hat, Guttenberg im Amt zu halten, und damit weiter an Einfluss verloren hat. Stattdessen beklagen ihre Redakteure die weiter fortschreitende “Politikverdrossenheit”, die Journalisten seit 20 Jahren zu erkennen glauben. Dabei wäre es die verdammte Aufgabe von Journalisten, den Bürgern die Zusammenhänge zwischen der graue Politik und ihrem Leben aufzuzeigen und kritisch, aber nicht pauschal verurteilend, zu begleiten, was “die da oben” eigentlich den ganzen Tag so machen. Die Aufgabe der Presse ist es jedenfalls nicht, Politglamour-Paare hochzuschreiben!
Warum sich das deutsche Volk (oder genauer: große Teile dessen) offenbar mehr als 90 Jahre nach Abschaffung des Adels in Deutschland ausgerechnet einen “Freiherrn” ins Kanzleramt wünscht, lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass die Deutschen zu oft beim Arzt und/oder Friseur sind und ob der Lektüre der dort ausliegenden Magazine eine gewisse Sehnsucht nach Blaublütern verspüren. Das ist irritierend, denn bisher haben wir im Geschichts- und Politikunterricht gelernt, dass die Massen gegen die Klassen kämpfen würden.
Eigentlich ist es den Leuten aber eh egal, zu wem sie aufschauen, so lange sie zu jemandem aufschauen können: Zu Lady Di, zum Papst oder eben zu “KT” und seiner Stephanie. Die Guttenbergs boten die ölige Projektionsfläche für alle, die niemals König oder Königin von Deutschland werden würden: Ausgestattet mit einem ordentlichen Stammbaum, in einer Bilderbuchehe verheiratet, mit einem Privatvermögen im Rücken, dessentwegen man gar nicht arbeiten müsste. Die Idylle lockte wie ein alter Heimatfilm.
Guttenberg war die personifizierte Umkehr der Zeiten, als die Populärkultur politisch wurde: im Politbetrieb war er “Pop”, was der Kulturwissenschaftler Thomas Hecken als “Kürzel für mal glatte und oberflächliche, mal durchschlagende und intensive Reize” beschreibt. ((Thomas Hecken: Populäre Kultur. Bochum, 2006, S. 32.))
Ab einem bestimmten Punkt wird jede Bewegung zum Selbstläufer; die Masse findet gut, was beliebt und erfolgreich ist. So lässt sich der plötzliche unfassbare Charterfolg einer 17 Jahre alten Coverversion eines heute mehr als 70 Jahre alten Songs erklären, aber auch der schier unglaubliche Zulauf, den die Pro-Guttenberg-Seiten bei Facebook erfahren. Ich wüsste gerne, wie viele der Guttenberg-Jünger gleichzeitig auch Fans von Unheilig sind.
Nach dem selben Prinzip funktioniert dann auch die Argumentation: Die Leute plappern nach, was sie anderswo (also: bei Gleichgesinnten) schon gehört und nicht verstanden haben. Aber haltlose Behauptungen werden nicht wahrer, wenn sie hundertfach wiederholt werden — und das gilt für beide Seiten, wie die peinliche Geschichte mit dem angeblichen “Star Trek”-Zitat in Guttenbergs Rücktrittsrede beweist.
Dass man Verfehlungen nicht gegeneinander aufwiegt, lernt man normalerweise im Kindergarten. Offenbar wächst sich das mit der Zeit aber wieder raus:
Für mich ist des ne Lapalie!!! Andere sind immernoch im Amt und treiben viel schlimmer Sachen ich sage nur Berlusconi!!!! Dass das nicht ok ist mit dem Doktortitel ist klar aber des hatte nichts mit seiner Arbeit als Politiker zu tun!!!
Wenn nun also ernsthaft junge Menschen, die durchaus Abitur haben und studieren, fragen: “Was hat die gefälschte Doktorarbeit denn mit den politischen Fähigkeiten der Person zu tun?”, muss man erst mal kurz durchatmen und die Blutdruckhemmer einwerfen, bevor man in leicht verständlichen Worten zu erklären versucht, dass man persönlich für seinen Teil Menschen, die als Betrüger entlarvt seien, jetzt eher ungern in politischen Ämtern sähe. Das mit “Vorbildfunktion” und “Bildungsrepublik” lässt man lieber direkt weg.
Dann heißt es: “Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein”, ((Johannes, 8.7 in: Die Bibel.)) in dezenter Verkennung des Umstandes, dass Jesus das damals ziemlich konkret gemeint hat: Die Pharisäer wollten die Ehebrecherin nämlich steinigen. Nähme man die Geschichte aber als universellen Rechtsgrundsatz, wäre die Besetzung von Richterbänken und Staatsanwaltsposten eine unlösbare Aufgabe.
Ohne Sünde ist niemand (außer die Mutter Gottes in der Katholischen Kirche), aber bestimmte Sünden sorgen einfach dafür, dass man für bestimmte – oder gar alle – Ämter ungeeignet ist. (Die Ausnahme stellt auch hier wieder die CDU/CSU dar, wo man auch noch geschmeidig Verkehrsminister werden kann, nachdem man unter Alkoholeinfluss einen tödlichen Verkehrsunfall verschuldet hat, oder Finanzminister, wenn man sich nicht daran erinnern kann, einmal 100.000 DM in bar entgegengenommen zu haben.) Und dass “alle anderen Politiker auch Dreck am Stecken” haben sollen, entpuppt sich spätestens dann als windschiefe Verteidigung, wenn der eigene Partner zu einem sagt: “Aber alle anderen gehen doch auch fremd, Schatz!”
Wenn irgendwelche Jungspunde bei Facebook jetzt also “Guttenberg for Reichskaiser” fordern, können wir nur von Glück sprechen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg zweifelsohne ein überzeugter Demokrat ist, und die Demagogen, die Deutschland in den letzten 65 Jahren hervorgebracht hat, allesamt unansehnlich oder rhetorisch überfordert waren — oder in den meisten Fällen gleich beides. Doch wehe, wenn jemand auftauchen sollte, der Pop-Appeal verströmt und nebenbei Volksverhetzung betreibt!
Eines noch zum Schluss: Die Frage “Gibt es denn nichts Wichtigeres auf der Welt?” ist das dümmste aller dummen Null-Argumente. Denn es gibt ja auch “Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand, das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten, Vulgarität und was nicht noch alles”, wie es Jürgen Kaube in der “F.A.Z.” formuliert hat. ((Jürgen Kaube: “Vgl. auch Guttenberg 2009”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2011, S. 27.)) Die Antwort lautet also in nahezu jedem Kontext: “Doch, natürlich gibt es Wichtigeres.” Ginge es danach, müsste uns alles egal sein, was nicht direkt zur Schaffung des Weltfriedens beiträgt. Ich schlage vor, dass wir mit dem Ignorieren der Anzahl von Facebook-Fans anfangen.
Es muss die Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland extrem gewurmt haben, dass das Empörungskarussell im “Fall Sarrazin” (schnauzbärtiger Tourette-Funktionär beleidigt die letzte Bevölkerungsgruppe, die ihm in seinem Sammelalbum noch fehlte, und rettet sich damit vor der “Was macht eigentlich …?”-Rubrik des “Stern”) ohne sie losgefahren war.
Schlimmer noch: Von allen Seiten waren die Menschen herbeigesprungen, um die Steilen Thesen des Dampfplauderers zu verteidigen oder den Mann wenigstens wegen seiner Unangepasstheit zu loben.
Da half nur noch eins, um gehört zu werden: Hitler!
„Ich habe den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist“, sagte der Generalsekretär des Zentralrates, Stephan Kramer, am Freitag in Berlin. „Er steht in geistiger Reihe mit den Herren.“
Göring, Goebbels und Hitler hatten wir als solches Dreierpack (mutmaßlich zum Preis von Zweien) glaub ich auch noch nicht, also hat sich Kramer sein Messingschild in der Ruhmeshalle der Nazi-Vergleiche redlich verdient.
Außerdem sieht es gut aus für ihn im Rennen um den konsequentesten Konjunktiv 2009:
Er fügte hinzu: „Ich will mich nicht auf das Niveau von Sarrazin begeben. Würde ich das tun, würde ich das als intellektuellen Dünnschiss bezeichnen.“
Möglicherweise haben Sie das Video schon gesehen, in dem der demokratische Abgeordnete Barney Frank bei einem Town Committee meeting in Dartmouth, Massachusetts eine junge Fragestellerin rhetorisch vollendet abbügelt, die ihm und Barack Obama Nazi-Politik vorwirft.
Alternativ hätte die “Daily Show” hier für Sie auch noch mal die schönsten Stellen:
Was Sie vielleicht nicht mitbekommen haben: Die Fragestellerin berief sich auf Lyndon LaRouche und hatte dieses sympathische Poster dabei, das man sich auf der Website des “Political Action Committee” des LaRouche-Clans herunterladen kann:
Sie erinnern sich: Die merkwürdigen Vereinigungen rund um Lyndon LaRouche und seine Frau Helga Zepp-LaRouche waren hier im Blog ja schon mehrfach Thema.
Während der deutsche Ableger “Bürgerrechtsbewegung Solidarität” (BüSo) vor allem durch unfreiwilligeKomik und mysteriöse Todesfälle auffällt, tritt die Politsekte in den USA weit weniger subtil auf.
Waschen Sie sich den rechten Arm, pieksen Sie kleine Reichskriegsfähnchen in den Käse und hängen Sie die Hakenkreuzgirlande auf: Wir haben einen neuen Nazi-Vergleich!
Die katholischen Traditionalisten der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat sich im Vorfeld des Stuttgarter Christopher Street Days zu einer bemerkenswerten Aussage hinreißen lassen, wie “Spiegel Online” berichtet:
“Wie stolz sind wir, wenn wir in einem Geschichtsbuch lesen, dass es im Dritten Reich mutige Katholiken gab, die sagten: ‘Wir machen diesen Wahnsinn nicht mit!’. Ebenso muss es heute wieder mutige Katholiken geben!” heißt es in dem Text. Die Bruderschaft stellt den CSD als “eine Menge von sich wild und obszön gebärdenden Menschen” dar, die durch die Straßen Stuttgarts ziehen und suggerieren wollten, “Homosexualität ist das Normalste der Welt”.
Dieser Vergleich ist in zweierlei Hinsicht beeindruckend: Erstens war der Widerstand der Katholiken im Dritten Reich, vorsichtig gesagt, nicht sonderlich erfolgreich. Es dürfte also feststehen, dass nur noch eine Allianz aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion Deutschland von der Homosexualität befreien könnte. Und zweitens war der Nationalsozialismus laut Piusbruderschaft ja gar nicht so schlimm.
Hier berufen sich also Leute stolz auf den erfolglosen Widerstand gegen ein – ihrer Meinung nach – nur mittelmäßiges Verbrechen. Normale menschliche Gehirne wären wegen Überhitzung längst auf Not-Aus gegangen.
Auch “Bild” berichtet über die “Kampfansage” der Piusbrüder — natürlich nicht, ohne vorher noch ein bisschen Papst-Klitterung zu betreiben:
Nachdem Anfang des Jahres Pius-Bischof Williamsons den Holocaust leugnete und daraus ein Streit zwischen Pius-Bruderschaft und Vatikan entbrannte, folgt nun der nächste Hammer.
(Für die Jüngeren: Führende Piusbrüder hatten den Holocaust schon öfter geleugnet. Die öffentliche Diskussion entzündete sich daran, dass Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft aufgehoben hatte.)
Jetzt schießt kreuz.net, das inoffizielle Zentralorgan der Piusbruderschaft, zurück und beginnt seine Hasstirade völlig unverblümt:
Spätestens jetzt wird die Einrichtung von Gaskammern unvermeidlich – dieses Mal nicht für die von den Deutschen getöteten religiösen Juden, welche die Homo-Perversion genauso verabscheuten wie es heute die Altgläubigen tun.
Immer wieder überraschend, wie viele Haken so ein Kreuz schlagen kann.
Vor ein paar Wochen hatte ich geschrieben, Kinderpornographie habe Terrorismus als … äh: Totschlagargument bei der Einschränkung von Rechten abgelöst.
Kinderpornographie ist aber nicht nur der neue Osama, sie ist auch der neue Hitler.
Den Eindruck könnte man zumindest bekommen, wenn man sich anhört, welch beeindruckende Vergleichskette Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gestern aus dem Hut zauberte:
Killerspiele widersprechen dem Wertekonsens unserer auf einem friedlichen Miteinander beruhenden Gesellschaft und gehören geächtet. In ihren schädlichen Auswirkungen stehen sie auf einer Stufe mit Drogen und Kinderpornografie, deren Verbot zurecht niemand infrage stellt.
Weder Deutsche noch Schweizer sind bekannt für ihren Humor. Das macht ein Aufeinandertreffen der beiden Völker meist zu einem gequälten, drögen Ereignis.
Überhaupt keine Witze verstehen die Schweizer, wenn es ums Geld geht. Nachdem die Schweiz aus Angst vor einer “schwarzen Liste” der OECD angekündigt hatte, in Zukunft stärker mit ausländischen Finanzbehörden zu kooperieren, ließ sich der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück zu einem abenteuerlichen kleinen Vergleich hinreißen:
Steinbrück hatte am letzten Samstag am Rande des Treffens der Finanzminister der G-20 in London die Drohung mit einer schwarzen Liste gegenüber der Schweiz mit der «siebten Kavallerie vor Yuma» verglichen, die man auch ausreiten lassen könne. «Aber die muss man nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt», hatte Steinbrück in einer vom Schweizer Fernsehen (SF) aufgezeichneten Stellungnahme gesagt.
In der Schweiz wollte man aber nicht mit Indianern verglichen werden und bestellte den deutschen Botschafter ein.
Das offizielle Protokoll der schweizer Bundesversammlung notiert für gestern dann folgende Ausführungen des Abgeordneten Thomas Müller aus der christlich-demokratische Fraktion CEg:
Wenn die deutsche Politik in Schwierigkeiten steckt, und das tut sie im Moment, dann braucht sie Geld und Sündenböcke. Peer Steinbrück, das darf man in aller Offenheit sagen, definiert das Bild des hässlichen Deutschen neu. Er erinnert mich an jene Generation von Deutschen, die vor sechzig Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind. (Teilweiser Beifall, Unruhe)
Damit wäre zumindest geklärt, wie gut der Geschichtsunterricht an schweizer Schulen ist — denn vor sechzig Jahren dürfte der Anteil der Deutschen, die mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gingen, eher überschaubar gewesen sein.
Ratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi wies Müller später zurecht, übersah das historische Detail aber ebenfalls:
Herr Nationalrat Müller Thomas hat in seinem Votum von heute Morgen gesagt, dass ihn der deutsche Finanzminister Steinbrück an die Generation von Deutschen erinnere, die vor sechzig Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen seien. Hätte ich diese Aussage in diesem Moment richtig wahrgenommen, hätte ich Herrn Müller zurechtgewiesen. Seine Aussage ist deplaziert und beleidigend. Ich habe es Herrn Müller persönlich gesagt. Ich entschuldige mich als Ratspräsidentin dafür. (Teilweiser Beifall)
Herr Müller darf sich damit als Erfinder der Kategorie “Verkleidete-Gründerväter-der-Bundesrepublik-Vergleich” fühlen. Der Einfachheit halber heften wir es hier im Blog aber trotzdem bei den Nazi-Vergleichen ab.
[Mit Dank auch an Hans Martin U. für den Hinweis!]
Ich habe länger überlegt, ob ich das Folgende aufschreiben soll. Schließlich ist “Don Alphonso” der “Edel-Troll” der deutschsprachigen Blogosphäre. Ein Mann, dessen Texte ich in der Regel aus Sorge um meine Gesundheit ignoriere.
Andererseits ist dies hier das Fachblog für Nazi-Vergleiche, also muss ich wohl ran:
Dieser “Don Alphonso” hat, nachdem ihm die vielen, vielen, teils (mutmaßlich) unflätigen Kommentare auf einen seiner Texte zu bunt wurden, Folgendes geschrieben:
Ich habe das freundlicher gesagt, als ich es meine, denn in meinen Augen sind diese explizit Suchtkranken argumentativ auf dem gleichen Niveau wie die Altnazis bei uns in den Käffern.
Mit den “explizit Suchtkranken” meint er übrigens Menschen, die Computer spielen. Ob Altnazis jetzt auch suchtkrank seien müssen oder nur Computerspieler gleichzeitig krank und wie Nazis sind, lässt sich seinem Text nicht entnehmen. Wohl aber, dass der Vergleich kein einmaliger Ausrutscher war, denn ein paar Zeilen später wütet er:
Nun sind diese Art Gamer eine ganz besondere Gruppe Mensch, die, ähnlich wie die Gefolgschaft von Neoconaziseiten und extremistische Islamisten, keine Haftung in der Realität mehr haben.
Faszinierend, wie man eine ohnehin schon emotionale Debatte (in der ich Computerspiele weder für “schuldig” noch für komplett “unschuldig” halte) mit ein bisschen Arroganz, Dummheit und Schaum vor dem Mund noch ein wenig unsachlicher gestalten kann.
Dabei ist die ursprüngliche Kernfrage, warum Menschen, die anspruchsvolle Literatur lesen, so selten Amok laufen, gar nicht mal unspannend. Ich hätte sogar einen Erklärungsversuch: Aus den selben Gründen, warum so wenige Klassik- und Schlager-Hörer Amok laufen — sie sind schlichtweg älter.
Die wenigsten Jugendlichen haben ein Interesse daran, sich mit jahrhundertealter Literatur, Kunst und Musik zu beschäftigen. Zum einen, weil ihnen das alles in der Schule madig gemacht wurde, zum anderen, weil diese Dinge wenig mit ihrer Lebenssituation zu tun haben. Wenn man älter und ruhiger wird, beschäftigt man sich vielleicht irgendwann auch mit der sogenannten Hochkultur. Aber dann ist man (in der Regel) über die gefährliche Phase im Leben hinaus. Der Zusammenhang besteht also weniger zwischen Medienkonsum und Verhalten, sondern zwischen Alter (welches den Medienkonsum bedingt) und Verhalten. Überspitzt gesagt: Wenn wir etwas verbieten müssten, dann die Pubertät.
Davon ab könnte man auch noch das Fass mit den “Leiden des jungen Werthers” und den angeblichen Nachahmungstätern aufmachen, aber ein Goethe-Spezialist hat mir glaubhaft versichert, dass es keinen einzigen belegten Fall eines Werther-Selbstmords gibt.
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