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Rundfunk Musik

Something evil’s lurking in the dark.

Ange­la Mer­kel ist end­lich sicher über den Teich, immer­hin ein Grund, kurz erleich­tert auf­zu­at­men und sich eines vagen Gefühls lan­ge nicht mehr ver­spür­ter „Sturmfrei!“-Euphorie hin­zu­ge­ben. Im Zuge die­ses nicht klei­nen Anteils tages­po­li­ti­schen Gesche­hens in die­ser Woche dis­ku­tiert im Augen­blick das Radio­Eins vom Rund­funk Ber­lin-Bran­den­burg mit wahr­nehm­ba­rer Erstaunt­heit dar­über, wie vie­le US-Ame­ri­ka­ner Ange­la Mer­kel „tat­säch­lich nicht ken­nen“. Das ist, wenn schon nicht dem Wort­sinn nach inter­es­sant, immer­hin etwas, womit man meh­re­re Minu­ten lee­re Sen­de­zeit, über die man sich in der Pro­gramm­sit­zung sicher­lich den Kopf zer­bro­chen hat, eini­ger­ma­ßen ele­gant fül­len kann. Zumin­dest ohne, dass schon wie­der empör­te Kla­gen über die inne­re Zer­set­zung des mora­li­schen Gewe­bes und des kul­tu­rel­len Gehalts  in den audio­vi­su­el­len Medi­en laut wer­den. Außer­dem wäre es gewiss hap­pi­ger gewe­sen, eine Dis­kus­si­on dar­über vom Zaun zu bre­chen, wie vie­le US-Ame­ri­ka­ner Micha­el Jack­son „tat­säch­lich nicht ken­nen“. Ihn kann man jeden­falls unge­mein schwie­ri­ger mit der Spre­che­rin des US-Reprä­sen­tan­ten­hau­ses Nan­cy Pelo­si ver­wech­seln als Frau Mer­kel.

Radio hören ist eine ner­ven­zeh­ren­de, mur­mel­tier­haf­te Ange­le­gen­heit. Wird man, wie ich, am Arbeits­platz nach­ge­ra­de dazu genö­tigt, stun­den­lan­ge Berie­se­lun­gen eines haus­in­ter­nen Sen­ders hin­zu­neh­men oder mög­lichst zu igno­rie­ren, erge­ben sich zwei Fol­gen, die in der Kom­bi­na­ti­on einen, wie man so sagt, hoch­gra­dig explo­si­ven Cock­tail fürs Ner­ven­kos­tüm dar­stel­len. Ers­tens: Die unver­meid­li­chen unge­woll­ten Ohr­wür­mer. Eine ein­stün­di­ge Heim­fahrt in der S‑Bahn mit einem quiet­schen­den Mäd­chen im Gehör­gang, das in gera­dem Rhyth­mus abwech­selnd ent­we­der „ah“, „ah“, oder „dance!“ sagt, dau­ert für die inne­re Uhr ein hal­bes Leben und resul­tiert ger­ne in ver­früh­tem Haar­aus­fall auf der Stirn­par­tie. Glau­ben Sie mir.

Das ande­re Phä­no­men ist, dass die­se Göre im Ohr nach­hal­tig mei­ne Lust auf jed­we­de Art von Musik für den Rest des Tages ver­nich­tet, im schlimms­ten Fall ver­brin­ge ich also mein kärg­li­ches Abend­essen, das dar­auf­fol­gen­de Zäh­ner­ei­ni­gen und das nicht gar so fried­li­che Ein­schlum­mern mit einer schril­len Stim­me im Kopf, die rück­sichts­los und bestän­dig dar­auf insis­tiert, dass ich doch end­lich zu tan­zen anfan­gen möge.

Wor­auf ich hin­aus will: Vor etwa hun­dert­zwan­zig Jah­ren oder so, als ich noch jung war, also vier­zehn, fand ich im hei­mi­schen Video­schrank, in dem sich sonst Dis­ney-Klas­si­ker tum­mel­ten (auch etwas, über das der­einst ein­mal irgend­je­mand etwas Tade­li­ges sagen soll­te), eine ein­zel­ne unbe­schrif­te­te Kas­set­te mit einer dün­nen Staub­schicht oben­drauf. In der puber­tä­ren Hoff­nung, es möge sich dabei doch bit­te um irgend etwas Schmud­de­li­ges hal­ten, oder zumin­dest um einen alters­be­schränk­ten Action­film, zog ich das Band irgend­wann in Abwe­sen­heit mei­ner Eltern aus der Ver­sen­kung und leg­te es in den Play­er.

Lei­der befan­den sich dar­auf  weder Action noch Schmud­del, son­dern die gesam­mel­ten Musik­vi­de­os von Micha­el Jack­son, von mei­nem Vater in müh­sa­mer Klein­ar­beit irgend­wann in den Neun­zi­ger Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts kom­pi­liert.  Ver­mut­lich in einer Trotz­re­ak­ti­on auf das ent­täu­schen­de Feh­len von auf­re­gen­de­ren Inhal­ten, und um viel­leicht doch noch irgend­ei­nen posi­ti­ven Effekt aus mei­nem Fund zu zie­hen, schau­te ich mir das gan­ze Band nicht nur ein­mal an, son­dern geschätz­te drei­ßig Mal, über eine Woche ver­teilt. Am häu­figs­ten von allen Clips sah ich mich gezwun­gen, das knapp 15-minü­ti­ge „Thril­ler“ wie­der und wie­der auf mich wir­ken zu las­sen.

Der buch­stäb­lich ein­zi­ge Effekt die­ser schlim­men, schlim­men Idee war nicht etwa, dass ich ein Jack­son-Fan wur­de, son­dern viel­mehr ein fürch­ter­lich hart­nä­cki­ger und genau­so nerv­tö­ten­der Ohr­wurm einer von Vin­cent Pri­ce vor­ge­tra­ge­nen Text­zei­le aus dem Rap-Teil die­ses so unheil­vol­len Lie­des: „Crea­tures crawl in search of blood /​ To ter­ro­ri­ze y’alls‘ neigh­bor­hood“. Was auf dem Papier so aus­sieht, als wür­de es sich rei­men, ist in Wahr­heit eine schreck­li­che pho­ne­ti­sche Ent­täu­schung, da lässt sich ja die etwas expres­sio­nis­ti­sche Anwen­dung der zwei­ten Per­son Plu­ral fast unbe­se­hen hin­neh­men.

Jeden­falls muss es an die­ser text­li­chen Unfein­heit gele­gen haben, dass ich von den Oster­fe­ri­en bis zu den dar­auf­fol­gen­den Pfingst­fe­ri­en des Jah­res 1999 brauch­te, um die­sen ver­ma­le­dei­ten Ohr­wurm wie­der los zu wer­den.

Und jetzt, zehn Jah­re spä­ter? Was wür­de ich dafür geben, mir sicher sein zu kön­nen, heu­te Nacht von „ah“, „ah“ oder „dance!“ in den Schlaf gesun­gen zu wer­den, anstatt wie­der für die nächs­ten sechs Wochen von Jacko und Pri­ce geplagt zu wer­den? Ich wür­de sogar öffent­lich zuge­ben, zu den US-Ame­ri­ka­nern zu gehö­ren, die Vin­cent Pri­ce tat­säch­lich nicht ken­nen!