Einen Tag, nachdem ich meine letzte Kilians-Show besucht hatte, war ich auf einem anderen Konzert. Vor deutlich weniger Zuschauern spielte die Dortmunder Indieband The Rival Bid — und ich war schwer begeistert.
Auf meiner imaginären “Klingt wie …”-Namedropping-Vorlage-Liste notierte ich mir Interpol, The Editors, Elefant und Bloc Party, kaufte die bis dahin schon erschienenen zwei Alben der Band und wartete seitdem auf neue Veröffentlichungen, denn was die Musiker da an neuen Songs spielten, klang noch vielversprechender als die ohnehin schon guten anderen Songs.
Jetzt gibt es endlich was neues: “Michael”, die erste Single aus dem Album “Night Remains”, das am 13. März erscheinen soll. Der Song braucht ein bisschen, bis er aus dem Quark kommt (und ist mit fünf Minuten natürlich völlig unbrauchbar fürs Formatradio), belohnt einen dafür aber mit einem ziemlich beeindruckenden Spannungsbogen.
Meine Damen und Herren — The Rival Bid:
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Um ehrlich zu sein, hatte ich bis gerade nicht gewusst, dass es in Bochum ein mittelständisches Unternehmen namens Wurst-König gibt (es gibt halt nur eine Currywurst — weltweit). Nun weiß ich es, ebenso wie, dass es in Bochum eine Nachwuchs-Punkband namens Erdbeereis gibt. Und die beiden haben ein Problem miteinander.
Erbeereis haben offenbar einen Song namens “Wurst-König” — oder besser: hatten, denn die Anwälte des Unternehmens haben von der Band eine Unterlassungserklärung eingefordert.
Die Band stellte gestern diese rührend hilflose Erklärung online:
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Ich kenne den Song nicht, vertraue aber auf das Urteil, das Stefan Laurin bei den “Ruhrbaronen” gefällt hat:
Das sich Wurst-König darüber aufregt, kann ich gut verstehen. Der übliche Tierrechtlerschwachsinn inklusive Tier-KZ und Beleidigung. Tiefstes Peta-Niveau. Geht nicht. Aber seien wir mal ehrlich: Das sind Kinder. Und das Argument mit dem 35.000 Euro Schaden ist Quatsch.
Wer schon mal das zweifelhafte Vergnügen solcherlei juristischer Auseinandersetzungen hatte, weiß, dass die Höhe solcher angeblichen Schadenssummen vor allem von zwei Faktoren abhängt: der Vorstellungskraft eines Anwalts und den Tasten, die seine Tastatur so hergibt (wahlweise auch das Wetter in der letzten Vollmondnacht). 35.000 Euro Schaden erscheinen entsprechend willkürlich bei etwa 800 bis 900 Views bei YouTube und MySpace — zumal jugendliche Punkfans (besonders die, die auch noch Vegetarier oder Veganer sind) jetzt eher nicht als potentielle zahlungskräftige Kunden einer Metzgerei gelten dürften.
Wurst-König-Geschäftsführerin Iris Rach hat den “Ruhr Nachrichten” erklärt, warum sie glaubt, dass sie so handeln musste:
“Es wurde nicht nur der Name benannt, sondern auch Bilder aus unseren Filialen im Video gezeigt”, betont Iris Rach. Mitarbeiter seien auf den Bildern notdürftig mit einem Balken unkenntlich gemacht worden. Für eine Anonymisierung reicht dies nicht. “Ich sah mich gezwungen etwas zu unternehmen”, so Rach.
Ein Gespräch mit der Band habe es nicht gegeben. “Ich konnte keinen Kontakt herstellen”, sagt die Geschäftsführerin. Eine Adresse oder eine konkrete Ansprechperson ist weder auf YouTube noch auf der bandeigenen MySpace-Seite zu finden. Die Unternehmensleitung habe sich gezwungen gesehen, einen Anwalt einzuschalten. “Ich hätte gern einen anderen Weg gewählt”, sagt Rach.
Die ganze Situation ist ein arges Dilemma: Die Empörung von Wurst-König ist sicherlich verständlich, der potentielle Schaden aber eher ein theoretischer. Das mit der Kontaktaufnahme ist sicher auch blöd gelaufen, denn es gibt bei YouTube und MySpace (die Älteren werden sich erinnern) zwar sogenannte “Kontakt”-Buttons, die einem die Kontaktaufnahme mit den Profilbetreibern ermöglicht — aber blöderweise nur, wenn man dort selbst einen Account hat. Da ist der Anruf beim eigenen Anwalt deutlich weniger aufwendig.
Bei den “Ruhrbaronen” schreibt Stefan Laurin vom “Streisand-Effekt” und in der Tat dürften jetzt schon mehr Menschen von dem Song gehört haben, als ihn jemals zu Gehör bekommen haben. Nun ist die Firma nicht gegen die Verbreitung wahrer Tatsachen vorgegangen, sondern gegen ein Schmäh-Lied, was den Vergleich mit Streisand etwas schief erscheinen lässt. Natürlich ist es denkbar, dass sich ein Internetmob noch auf Wurst-König einschießen könnte — immerhin wurden in den Kommentaren bei den “Ruhr-Baronen” erste Boykott-Aufrufe laut. Und gerade, als ich schreiben wollte, dass einem regional tätigen Metzger die Empörung im Internet auch egal sein könne, fiel mir auf, dass ihm dann auch das verunglimpfende Lied hätte egal sein können. Es ist, wie gesagt, ein arges Dilemma.
Die “Ruhr Nachrichten” berichten, dass die Wurst-König-Geschäftsführerin keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die Band einleiten wolle:
Mit dem Löschen der Videos sei der Fall für sie erledigt. Die Anwaltskosten müssten die Jungs von Erdbeereis aber zahlen.
1.099 Euro (die Höhe der Anwaltskosten richtet sich in der Regel nach der Höhe der angesetzten Schadenssumme) sind viel Geld für fünf Jugendliche. Da die Mitglieder öfter in der Bochumer Fußgängerzone musizieren, werde ich ihnen dort demnächst mal einen Schein in den Hut werfen und mit väterlichem Blick “Aber das macht Ihr nie wieder, ne?” sagen. Und bei Wurst-König werden sie sich womöglich von ihren “Ruhr Nachrichten” lesenden Kunden fragen lassen müssen, ob das denn wirklich nötig war.
Ich selbst bin ganz froh, dass es zu meiner Punkband-Zeit noch kein Internet gab.
Nachtrag, 23.25 Uhr: Inzwischen wurde auch das Video, in dem die Band über die Anwaltspost spricht, von ihr wieder entfernt. Keine Ahnung, was da jetzt wieder los war.
Ich habe keine Ahnung, ob es tatsächlich irgendwelche wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema gibt, aber die Verweildauer eines durchschnittlichen Popalbums im Leben eines Musikrezipienten dürfte eher in Monaten, als in Jahren zu messen sein. Zwar ermöglichen es uns die immer größer werdenden Speicher der MP3-Player-Telefone, quasi unsere gesamte musikalische Biographie in der Hosentasche herumzutragen, aber wie weit gehen wir da schon zurück?
Alben, die mir einst viel bedeutet haben und von denen die meisten eine Zeit lang bei mir als “Lieblingsalbum” oder gleich “Bestes Album aller Zeiten” firmierten, höre ich noch ein, zwei Mal im Jahr. Und dank iTunes weiß ich sogar, wann zuletzt: “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” von Ben Folds Five im Dezember, “Automatic For The People” von R.E.M. im November und “The Man Who” von Travis im September — den Uhrzeiten nach zu urteilen jeweils beim Einschlafen. Und das sind die Alben, die mir immer noch irgendwie wichtig sind und die auch einen recht tadellosen Ruf in der Musikgeschichte genießen.
Doch was ist mit den okayen Alben, die man mal intensiv gehört hat, mit denen man womöglich wichtige Ereignisse der Adoleszenz verbindet, die dann aber einfach in Vergessenheit geraten sind wie frühere Mitschüler, die eben immer so mit dabei waren, wenn man gemeinschaftlich unterwegs war? “Feeling Strangely Fine” von Semisonic, “Onka’s Big Moka” von Toploader oder das “MTV Unplugged” von den Fantastischen Vier. Wenn man zufällig irgendwo über die Hits stolpert, wirft es einen um Jahre zurück (wie mein Vater stets über musikinduzierte Flashbacks sagt), aber welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde die CD aus dem Regal hervorkramen, um “Closing Time” aufzulegen?
Der Teenager oder junge Twen (Sagt man das noch? “Twen”?) an sich hört überdurchschnittlich viel emotionale Musik. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem man “So I look in your direction / But you pay me no attention, do you?” oder “The killer in me is the killer in you” nicht mal mehr für Statusupdates bei Facebook verwenden möchte. Zahlreiche Lieder und Alben sind durch zahlreiche Herzensbrüche verbrannt. Die ganz großen Liedzitate und -titel lässt man sich dann gleich tätowieren. Die Sorgen und Probleme sind eigentlich noch die gleichen wie zu Schulzeiten, aber alles ist viel komplexer geworden. Bei Berufstätigkeit, Familiengründung und Bausparvertrag wird der Soundtrack zum eigenen Leben für viele zunehmend unwichtiger. Es ist das Alter, in dem viele Menschen ihren Musikgeschmack plötzlich mit “was halt so im Radio läuft” umreißen und die Songs, die ihnen gefallen, schnell bei iTunes kaufen. Diese Kapitulation ist womöglich die richtige Entscheidung, denn auf der anderen Seite sieht es noch schlimmer aus.
Wer aus verschiedensten Gründen weiterhin auf dem Laufenden bleiben will, verliert viel Geld und langsam auch den Verstand: Jede Woche erscheinen Dutzende neue Alben, die sich in “Neuer heißer Scheiß” und “Von denen kaufe ich jede Platte” gliedern. Bei ersterem ist man Dank Internet bestens informiert, so dass es das Einfachste der Welt ist, wöchentlich 200 neue Hype-Themen zu entdecken und womöglich auch zu kaufen. Hören kann das alles kein Mensch mehr, aber große CD-Sammlungen beeindrucken potentielle Sexualpartner immer noch mehr als eine MP3-Sammlung von mehreren hundert Gigabyte. Und die alten Helden? Natürlich ist es schön, wenn R.E.M., die Foo Fighters oder Moby neue Alben veröffentlichen, die auch noch gut sind. Aber muss man die noch hören? Und wenn ja: Wie oft? Selbst wenn da tolle Songs drauf sind (was zweifelsohne der Fall ist), hat man ja immer noch die alten Alben mit den alten tollen Songs im Regal, mit denen man eine gemeinsame Geschichte hat. Der Unterschied ist ein bisschen wie der zwischen den Arbeitskollegen, mit denen man mal ein Feierabendbier trinken geht, und den alten Freunden von früher.
Dann wollen wieder die neuen besten Freunde (Jack’s Mannequin, The Hold Steady, The Low Anthem) Aufmerksamkeit. Und die heißen Affären aus den Jahren dazwischen. Die Arctic Monkeys haben ein neues Album veröffentlicht? Entschuldigung, interessiert mich nicht. Die ganze Indie-Chause der mittleren Nuller Jahre ist mir inzwischen völlig egal, von Franz Ferdinand und Mando Diao will ich weder alte noch neue Alben hören. An deren Musik werden wir noch jahrelang tragen, weil immer noch in jedem Dorf gelockte 15-Jährige mit karierten Hemden, die eine Band gründen wollen, ihre Songs aus Achtelbeats, Schrammelgitarren und Partylyrik zusammenbauen. Alles okay, vieles gut, aber es kann doch nicht sein, dass Gitarrenmusik hier enden soll?!
Ungefähr an jedem zweiten Tag der vergangenen Wochen habe ich mir die Frage “Was hör ich denn jetzt mal?” mit “Belong” beantwortet, dem phantastischen zweiten Album von The Pains Of Being Pure At Heart. Daneben höre ich das weg, was sich eben so angesammelt hat im bisherigen Kalenderjahr, oder greife zu ausgewählten Lieblingen der vergangenen zwei Jahre, derer ich noch nicht überdrüssig bin. Ich käme ehrlich gesagt nie auf die Idee, “(What’s The Story?) Morning Glory?” von Oasis aufzulegen — ich weiß ja, dass das ein gutes Album ist, auch wenn bei mir langsam die Zweifel einsetzen, ob Oasis tatsächlich so gut und wichtig waren.
Jahreszeitlich bedingt laufen gerade wieder zwei Alben bei mir rauf und runter, die schon neun bzw. 13 Jahre alt sind: “Hi-Fi Serious” von A, eines meiner absoluten Lieblingsalben, bei dem ich bei jedem Hören erwäge, mir auf meine alten Tage doch noch ein Skateboard zu kaufen, und “Moon Safari” von Air, das womöglich beste Sommer-Entspannungsalben aller Zeiten. Beide Alben sind so gut und für ihre Funktion als Sommer-Soundtrack so perfekt, dass ich mich kaum bemühe, Nachfolger zu finden.
Und das wird immer mehr. Während ich noch damit beschäftigt bin, mich in das Frühwerk von Bruce Springsteen reinzuhören, mir Led Zeppelin zu erschließen und die wichtigsten Grand-Prix-Songs der letzten 55 Jahre drauf zu schaffen, werden Menschen erwachsen, die Nirvana nie als zeitgenössische Musik kennengelernt haben, sondern offiziell als Oldies. Menschen, denen das Konzept “Album” unbekannt ist, das die Popkultur von den 1960er Jahren bis hinein in die späten Nuller so geprägt hat.
Und dann stellt man wieder fest, dass Popkultur alt macht. Also: die intensive Beschäftigung damit. Eltern sehen ihre Kinder aufwachsen, Gärtner bekommen den Gang der Jahreszeiten zu spüren, aber als Popkulturfan entscheidet man sich bewusst dafür, Zeit anhand von Veröffentlichungsdaten von Musik, Filmen und TV-Serien wahrzunehmen. Die Summe des eigenen Lebens sammelt sich schön anschaulich in Regalen und sorgt bei jedem Umzug für größere Verstimmung. Und der Gedanke an eine Popband, die vor mehr als einer Dekade mal einen Mini-Hit hatte, löst Gedankengänge aus, denen man selbst nicht mehr folgen kann.
Gerade so bei GoTV reingezappt und die Schlusseinblendung und die letzten vier Takte eines Songs mitbekommen. Die klangen so vielversprechend, dass ich den Song gleich mal bei YouTube gesucht und – Oh Wunder des Urheberrechts – auch gefunden habe:
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Der erste Refrain kann nicht ganz das Versprechen einhalten, das der Song bis dahin aufgebaut hat. Bei der dritten Wiederholung (er ist ja eine einzige Wiederholung) entfaltet er allerdings durchaus seinen Charme. Nichts Weltbewegendes, aber zumindest mal wieder ein bisschen neues Leben in der extrem öde gewordenen Schublade mit der Aufschrift “Indie Rock”.
Trippin In London kommen – man kann es sich bei diesem leider etwas doofen Namen denken – nicht aus England. Stattdessen kommen sie – das kann man sich beim GoTV-Einsatz denken – aus Österreich, genauer: Salzburg. Kämen sie aus Dinslaken, würden deutsche Musikjournalisten sicher steil gehen.
Auf einer obskuren Seite namens MySpace gibt es weitere Songs zu hören, bei iTunes gibt’s noch nix.
Sie werden es vermutlich nicht mitbekommen haben und auch die speziellsten Special-Interest-Webseiten schweigen sich zu dem Thema aus, aber heute ist ein ganz besonderer Tag: Der erste öffentliche Auftritt der Band Zuchtschau jährt sich zum zehnten Mal.
Sie werden über diese Band nichts finden, denn damals war das Internet durchaus noch vergesslich, aber es ist ein guter Moment, aus dem Schatten der Anonymität heraus zu treten und zu sagen: Ich war Teil von Zuchtschau.
Die recht kurze und in weiten Teilen ereignislose Geschichte dieser Band begann im Januar 2000 auf dem Schulhof eines Dinslakener Gymnasiums. Matthias, ein langjähriger Schulfreund von mir, plante mit zwei Schülern aus der Stufe über uns, gemeinsam eine Band zu gründen. Nur ein Schlagzeuger fehlte ihnen noch. Da ich von meinem siebten bis zum dreizehnten Lebensjahr Schlagzeugunterricht bekommen hatte und man sowas ja bestimmt nicht verlernt, bot ich mich an. Am darauf folgenden Freitag fand die erste Probe im Keller des legendären ND-Jugendzentrums statt.
Ich wollte gerne eine Band gründen, die nach Ben Folds Five klang, aber danach sah es nicht aus: Wir hatten nicht nur keinen Pianisten, sondern auch keinen Basser. Matthias und Thomas würden Gitarre spielen, Sebastian singen. Unser Saxophonist (!) war nur bei wenigen Proben dabei. Auch vom Genre her musste ich Kompromisse eingehen, denn Thomas und Sebastian wollten eine Punkband gründen. Meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema beschränkten sich damals noch auf einige Songs der Toten Hosen und der Ärzte, die ich im Musikfernsehen gesehen hatte, aber das war mir egal: Hauptsache Musik machen, berühmt werden und Mädchen abgreifen.
Beim Bandnamen hatte ich ebenso wenig zu sagen: Er stand fest, seit Thomas und Sebastian im Vorjahr bei einer Teckel-Zuchtschau auf unserem Schulhof ein Hinweisschild mit dem Schriftzug “Zuchtschau” entwendet hatten, das seitdem Thomas’ Jugendzimmer schmückte.
Thomas brachte damals zu jeder Probe einen neuen Song mit, die wir alle recht schnell drauf hatten. Ich spielte immer den gleichen Beat, er spielte vier Akkorde, Matthias gniedelte irgendwas dazu und von Sebastian verstand man kaum was, weil er über einen schwachen kleinen Gitarrenverstärker sang. Was sich von der Herangehensweise schwer nach Punk anhört, klang im Ergebnis aber wie vier brave Söhne aus der Mittelschicht, die versuchen, Punk zu spielen.
Nach wenigen Wochen wechselten wir vom Jugendzentrum in den Keller meines Elternhauses, wo ich mich jetzt an meinem eigenen Schlagzeug verausgaben konnte. Stilecht wurden zu jeder Probe Doppelkekse und Eistee gereicht.
Zur Geburtstagsfeier meines Vaters kam es zum ersten Auftritt vor Publikum, den man wohlwollend als “avantgardistisch” bezeichnen könnte, musikwissenschaftlich präzise als “schlecht”. Alles dröhnte und schepperte, von Sebastians Stimme war so gut wie nichts zu hören. Unterdessen begann sich der drohende Abstieg der Band abzuzeichnen: Der Schlagzeuger (also ich) hatte sich selbst das Gitarrenspiel beigebracht und wollte nun eigene Songs beisteuern — das todsichere Ende jeder Band.
Von Dingen wie MySpace konnte man damals nur träumen: Mit einem einzigen Mikrofon nahmen wir das Geschepper im Proberaum am PC auf und überspielten es anschließend auf eine Musikkassette, die Thomas und Sebastian beim Besuch eines Wohlstandskinder-Konzerts der Band mitgeben wollten.
Einem Auftritt beim Nachbarschaftsfest sollte im August endlich der erste offizielle Auftritt folgen: Wir waren im Nachwuchsprogramm des traditionsreichen Stadtfests “DIN-Tage” vorgesehen. Das Konzert stand unter keinem guten Stern, denn zunächst mussten wir (um des Familienfriedens willen — sehr punk) auf unseren selbstgebastelten Backdrop verzichten, den unser Bandlogo zierte:
Mein Großvater hatte das Banner zufälligerweise zu Gesicht bekommen und fühlte sich beim Anblick unseres Dackels offenbar an eine Organisation erinnert, die nach seinen Aussagen “Tausend hinterrücks erschossen und in die Luft gesprengt” habe. Auf gar keinen Fall dürften wir damit in die Öffentlichkeit, sagte er, und wir müssten auch mal an die Karrieren unserer Eltern denken. Wir hätten aber gar kein weiteres Bettlaken bemalen müssen, da das Konzert wegen einer Unwetterwarnung sowieso abgesagt wurde. Das angekündigte Gewitter sollte Dinslaken freilich nie erreichen.
Im Dezember 2000 sollte dann aber wirklich der erste Auftritt stattfinden — beim traditionsreichen “School’s Out”, bei dem nun wirklich jede Dinslakener Band, die länger als ein paar Wochen existierte, irgendwann mal gespielt hat. Für das Konzert hatte sich das Kulturamt der Stadt etwas ganz besonderes einfallen lassen: Es sollte einen Sampler mit Songs von allen auftretenden Bands drauf geben. Die Bands, die – wie wir – keine ordentlichen Aufnahmen vorweisen konnten, bekamen einen halben Tag im Tonstudio spendiert. In Zeiten, wo angesichts leerer Kassen als erstes bei Kultur- und Jugendarbeit gespart wird, klingt diese Anekdote wie eine Geschichte aus einer längst vergangenen sozialdemokratischen Epoche, aber sie ist wirklich erst zehn Jahre her.
Mit einem Demo unseres Songs “Held im Traumland” fuhren wir in ein kleines Duisburger Studio und versuchten, das Lied irgendwie auf Band zu bannen. Schlagzeug und Rhythmusgitarre wurden gleichzeitig eingespielt (ohne Klickspur natürlich, das hätten wir nie hinbekommen), der Rest später drübergelegt. “Ihr wisst schon, dass Ihr im Refrain schneller werdet?”, fragte unser Produzent (kräftig gebaut, Kette rauchend und schnauzbärtig) besorgt und wir antworteten – leider wahrheitsgemäß – damit, dass das Absicht sei. Am Ende des Tages hatten wir tatsächlich einen fertigen Song, auf dem sogar ein Bass zu hören war — Matthias hatte noch eben eine sehr schlichte Bassspur eingespielt.
Das “School’s Out” kam und in Sachen Größenwahn konnte uns kaum jemand etwas vormachen: Wie die großen Rockbands, die wir aus dem Fernsehen kannten, hatten auch wir Computergeschriebene Setlisten, eigene Timetables (“Dinslaken, GER: Soundcheck 4pm, Doors 4.30pm, Dinner 5pm, Zuchtschau 5.45pm”) und eine schriftliche Drehgenehmigung für unseren Freund mitgebracht, der das Konzert auf Video 8 bannen sollte. Tatsächlich verfolgten einige Leute unseren Auftritt, sogar einige “Fans” waren angereist: dicke, picklige Jungen aus der Nachbarstadt, die noch uncooler waren als wir.
Wir bretterten durch unser Set, wobei ich im Rückblick annehmen muss, dass wir nicht für fünf Cent Pfennig gerockt haben. Bei unserem Song “Winke, Winke” (eine von Rammstein inspirierte Hymne auf die Teletubbies — I kid you not) zerschmetterte Sebastian das Kinderkeyboard, auf dem er das Intro gespielt hatte, vor den Augen verwirrter Security-Angestellter auf der Bühne. Am Ende waren wir so schnell gewesen, dass wir noch Zeit hatten, eine (weder geplante noch geprobte) Zugabe nachzuschießen.
Headliner (auch für so etwas gab es im Dinslaken des Jahres 2000 noch Geld) des School’s Out war die Magdeburger Band Scycs, deren Single “Radiostar” weiland ein kleiner Hit war. Die Musiker gingen auf unseren Vorschlag ein, gemeinsam mit allen Bands des Abends ein Weihnachtslied zu intonieren, doch der Versuch endete in einem riesigen Chaos, dessen Ausmaße ich womöglich noch irgendwo auf Video habe.
Im Jahr 2001 spielten wir bei einem Bandwettbewerb in Moers unseren einzigen Auftritt außerhalb Dinslakens, außerdem bei einem Aktionstag gegen Rechts, beim einzigen Dinslakener Entenrennen, beim hundertsten Geburtstag unserer Schule und tatsächlich (ganz ohne Backdrop) bei den DIN-Tagen.
An einem Freitag im November verließen Matthias und ich die Band. Sebastian hatte sich wenige Stunden zuvor einen Bass gekauft.
Doch wie klang diese Band, der es so ergangen ist wie Tausenden Nachwuchs-Spinal-Taps vor und nach ihnen? Ungefähr so:
Die Überschrift dieses Eintrags ist bei Tommy Finke geklaut.
Vor vielen Jahren schrieb ich in einer der Rezensionen, die ich damals in Fließbandarbeit für ein Online-Musikmagazin anfertigte, über das völlig okaye Debütalbum von Jona Steinbach den folgenden, weder klugen noch schönen Satz:
Vielleicht schafft man es irgendwann, eine CD mal nicht als Manifest einer gescheiterten Generation, sondern einfach nur als Tonträger zu begreifen.
Als ein gutes Jahr später das Zweitwerk des Kölners erschien, stand auf der dazugehörigen Presseinfo das folgende, angebliche Zitat:
Das Manifest einer gescheiterten Generation.
Spätestens da wusste ich: Diese, auch “Waschzettel” genannten, Presseinfos sind das Schlimmste, was das Musikbusiness zu bieten hat. (Und das Musikbusiness hat immerhin Prof. Dieter Gorny zu bieten.)
Selbst Sätze, die einem unter normalen Umständen nicht weiter auffallen würden, wirken in Presseinfos dumm und gestelzt. Und dann gibt es ja noch die ganze Klischee-Grütze von wegen “in keine Schublade passen”, “reifer geworden” und “ihr bisher bestes Album”. Wenn man Glück hat (ja, wirklich: Glück) steht da wenigstens noch eine Latte von Künstlern, die angeblich so ähnlich klingen, und man kann schon vor dem Hören abschätzen, ob man sich das jetzt wirklich antun will.
Wenn ich selbst Pressetexte verfassen sollte (zum Beispiel, damit Dinslakener Lokalredaktionen ausführliche Ankündigungen von Konzerten abdrucken konnten, in die sie keine Sekunde eigener Arbeit investieren mussten), dann ging das nur mit sehr viel Überwindung und unter Selbsthass und Schmerzen.
Dennoch überwinde ich mich etwa einmal im Jahr und hacke eine Presseinfo in die Tasten — wenn man anschließend eine halbe Stunde heiß duscht, geht’s meistens wieder. Die zu lobpreisenden Künstler müssen aber a) Freunde von mir sein und b) Musik machen, die mir wirklich, wirklich gefällt. Beides war im Fall von Polyana Felbel gegeben und so schrieb ich die Presseinfo, um alle Presseinfos zu beenden.
Polyana Felbel, das sind Polyana Felbel und Taka Chanaiwa aus Köln (“einer Stadt, die man nicht gerade mit den Weiten des nordamerikanischen Kontinents oder den Wäldern Skandinaviens verbindet”, wie es in der Presseinfo faktisch einigermaßen korrekt heißt) und gestern haben sie dort ihr erstes offizielles Konzert gespielt. Rund 50 Menschen hatten sich im Theater der “Wohngemeinschaft” (ein etwas bemüht im urbanen Retro-Chic gehaltenes Etwas mit Kneipe, Hostel und Bühne) versammelt und den Raum damit auf muckelige 30° Celsius aufgeheizt. Einige kamen gar verkleidet, was sich allerdings mit der Rheinländern offenbar innewohnenden, ansonsten aber völlig unverständlichen Affinität zu Schnapszahl-Daten erklären lässt.
Das Vorprogramm bestritt ein aufstrebender Singer/Songwriter und Zollbeamten-Bespaßer aus Bochum, dann ging es richtig los: Polli und Taka eröffneten mit einem Cover von Coldplays “Green Eyes” und es dauerte ungefähr zehn Sekunden, bis sich Gänsehaut und Sprachlosigkeit Raum brachen. Mit jedem weiteren Stück – neben einigen Eigenen auch Neuinterpretationen von “The Blower’s Daughter” (Damien Rice), “Use Somebody” (Kings Of Leon) und “Kids” (MGMT) – wuchs die Begeisterung und am Ende des Abends war ein Jeder, ob Männlein oder Weiblein, ein bisschen in Polli verliebt.
Das ist aber auch tolle Musik, dieser Folk, den die beiden da machen: Einerseits filigran wie ein letztes, vertrocknetes Blatt im Herbstwind, andererseits mit einer ungeheuren Kraft und Stimmgewalt vorgetragen. Vergleiche mit Kathleen Edwards, Lori McKenna oder Hem klopfen an und müssen nicht gescheut werden (um eine in der Presseinfo unbenutzte Phrase doch noch zu verbraten). Es ist einfach toll zu sehen, wie zwei junge Menschen mit Spaß und Ernsthaftigkeit Musik machen und damit einen voll gepackten Raum zum Schweigen und Schwelgen bringen.
Für die nun dräuenden dunklen Abende seien Ihnen Polyana Felbel daher schwerstens ans Herz gelegt. Hörproben gibt es auf einer obskuren kleinen Internetseite namens MySpace und hier:
Vor vier Jahren sagte ich zum “Visions”-Redakteur Oliver Uschmann: “In fünf Jahren bringt Ihr eine Titelstory über die Musikszene in Dinslaken.” Wie auch bei anderen Prognosen kann ich im Nachhinein nicht sagen, ob ich das eigentlich ernst gemeint habe, oder mich von einer Mischung aus Optimismus und Größenwahn leiten ließ. Aber: Das könnte hinkommen.
Die nächste Rasselbande, die sich anschickt, Dinslakens Ruf vom deutschen Omaha (oder wenigstens: vom deutschen Borlänge) in die Welt zu tragen, sind The Rumours. Rezensenten schreiben gern, die Musiker sähen aus und klängen, als kämen sie aus England oder den USA, aber das ist natürlich Quatsch. Inzwischen sollte klar sein, dass sie aussehen und klingen wie junge Menschen aus Dinslaken eben so aussehen und klingen. Außerdem benehmen sie sich natürlich auch so, aber das würde jetzt zu privat.
Als ich die vier jungen Herren vor dreieinhalb Jahren zum ersten Mal live gesehen habe, haben sie mir anschließend auf einem Bierdeckel ihre Seelen verkauft. Wie allgemein üblich habe ich auch dieses Dokument verschlampt, was aber auch ganz gut ist, da mir der “Business”-Teil von “Musikbusiness” nach wie vor Angst macht. Da reicht es mir, sagen zu können, dass Schlagzeuger Samuel Sanders früher in meiner Band Occident getrommelt hat.
Im Juni erschien jetzt das Debütalbum “From The Corner Into Your Ear”, das nicht schlecht, aber leider auch ein bisschen langweilig geworden ist. Nach dem furiosen Opener, der Single “Like A Cat On A Hot Tin Roof”, fällt das Album ab, was nicht unbedingt an den Songs liegt, sondern eher an der doch etwas biederen Produktion.
Live ansehen sollte man sich The Rumours aber auf alle Fälle — zum Beispiel am morgigen Samstag, wenn die kleinen Strolche, die jungen Hüpfer, die wilden Fohlen beim Bochum Total aufspielen. Für umme!
The Rumours
Samstag, 17. Juli 2010
17 Uhr
Eins-Live-Bühne (Ecke Ring/Viktoriastr.), Bochum
Das Maß, in dem britische Nachwuchsbands häufig gehypt werden, ist für Deutsche oft überraschend. Aber in Großbritannien gibt es eben relevante Musikzeitschriften, die noch dazu teils wöchentlich erscheinen und deshalb viel mehr Künstler aufs Cover packen können, und man hat eh ein anderes Verhältnis zur Popkultur.
Dass eine deutsche Nachwuchsband schon renommierte internationale Acts supporten darf, bevor sie selbst auch nur irgendwas veröffentlicht hat, kommt dagegen eher selten vor. Oh, Napoleon ((Bandnamen, die Satzzeichen enthalten, stören den Lesefluss leider immer ein bisschen (vgl. Therapy?, WHY?, Get Cape. Wear Cape. Fly, Portugal. The Man oder Loney, Dear) — aber schöner als der vorherige Bandname Your Dumb Invention ist Oh, Napoleon auf alle Fälle. Außerdem gibt es einen Song von The Acorn, der “Oh Napoleon” heißt.)) haben schon mehrfach vor Portugal. The Man und Starsailor (bei denen ich sie auch entdeckt habe) gespielt, ihre erste EP ist aber erst vor elf Tagen erschienen.
Gut, man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass die Band von Marc Liebscher (Sportfreunde Stiller) gemanagt wird, einen Vertrag mit Universal hat und auch sonst über einige wichtige Förderer verfügt. Das macht die Sache mit den Support-Slots vielleicht einfacher, aber solche Hintergründe nützen auch nicht viel, wenn die Musik nicht stimmt.
Aber wie die Musik stimmt: Fand ich die Band live schon ziemlich gut, vermisste aber so ein bisschen die Spannung, hat mir die selbstbetitelte Debüt-EP vom ersten Moment an die Schuhe ausgezogen. Der Sound, für den Produzent Oliver Zülch (noch so ein großer Name: The Notwist, Slut, Die Ärzte, Juli, …) verantwortlich zeichnet, ist glasklar. Die Gitarren, das Klavier und die Rhythmusgruppe bilden eine sehr gute Grundlage für die – Hilfe, ich muss schon wieder eine ausgelutschte Musikjournalistenvokabel benutzen! – ausdrucksstarke Stimme der Sängerin Katrin Biniasch.
Die vier Songs erinnern an Kathleen Edwards, ((Ja ja, zugegeben: Ich hab auch ewig gebraucht, um Regina Spektor zu entdecken. Aber wie kann es denn sein, dass Kathleen Edwards hierzulande derart übersehen wird?)) die Cardigans in ihrer “Long Gone Before Daylight”-Phase und diverse amerikanische Singer/Songwriterinnen, die man vor allem aus dem Soundtrack von “Dawson’s Creek” kennt. Folkpop im besten Sinne, ideal für den Herbst und sicherlich auch voll radiotauglich.
Der Opener “To Have (To Lose)” ist schwungvoll, danach geht es entspannt zu. In den Texten geht es um Beziehungsenden, Einsamkeit und Liebe, “K” ist mit seinem etwas repetitiven Refrain bei mir am nachdrücklichsten hängen geblieben. Und wenn die Männerstimmen in “A Book Ending” nicht mehr nur formvollendete “Uuuuuh”-Chöre bilden, sondern mit eigenem Text und Gesangslinie in den Lead-Gesang reingrätschen, ((Na ja, vielleicht schmiegen sie sich auch eher an den Lead-Gesang an. Gegrätscht wird bei Oh, Napoleon nicht.)) ist das noch mal ein ganz großer Gänsehautmoment.
Seit langem (also: seit First Aid Kit im Februar) hat mich kein Newcomer so sehr begeistert wie Oh, Napoleon. War Krefeld musikalisch bisher nur durch Blind Guardian und Andrea Berg aufgefallen, ((Parallelen zu anderen niederrheinischen Städten mit berühmten Popschlagerinterpreten und Nachwuchsbands deuten sich am Horizont an.)) könnte sich das Dank dieser fünf unverschämt jungen Musiker schon bald ändern. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland einen Markt für solche Musik gibt, ((Und ob man auf dem nicht ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie das One-Hit-Wonder Bell, Book And Candle.)) aber ich denke schon, dass Oh, Napoleon sehr schnell den Status des Geheimtipps loswerden dürften. Im Frühjahr 2010 soll das Album erscheinen — bis dahin werde ich die EP vermutlich ein paar hundert Mal gehört haben.
Falls ich mal eine Liste machen müsste “Musiker, die auf die Musikindustrie nicht so richtig gut zu sprechen sind”, stünden zwei Namen ganz oben: Thom Yorke von Radiohead (deren letztes Album “In Rainbows” gegen so ziemlich jede Logik der Branche verstoßen hat) und Trent Reznor von den Nine Inch Nails.
Letzterer hat sich letzte Woche mit einem Beitrag im Forum seiner Bandwebsite zu Wort gemeldet, in dem er mal eben kurz und holzschnittartig die Möglichkeiten erklärt, die man als Musiker heute so hat. Kurz zusammengefasst lauten sie ungefähr “Lass Dich traditionell von einem Majorlabel vermarkten und gib die Kontrolle ab” und “Mach alles selber, sei aktiv und beiß Dich durch”. Das ist natürlich grob vereinfachend (und von mir noch mal destilliert), kommt aber so in etwa hin.
Wie genau das mit der Selbstvermarktung laufen soll, erklärt Reznor dann gleich ausführlicher:
Have your MySpace page, but get a site outside MySpace – it’s dying and reads as cheap / generic. Remove all Flash from your website. Remove all stupid intros and load-times. MAKE IT SIMPLE TO NAVIGATE AND EASY TO FIND AND HEAR MUSIC (but don’t autoplay). Constantly update your site with content – pictures, blogs, whatever. Give people a reason to return to your site all the time. Put up a bulletin board and start a community. Engage your fans (with caution!) Make cheap videos. Film yourself talking. Play shows. Make interesting things. Get a Twitter account. Be interesting. Be real. Submit your music to blogs that may be interested. NEVER CHASE TRENDS. Utilize the multitude of tools available to you for very little cost of any – Flickr / YouTube / Vimeo / SoundCloud / Twitter etc.
Ich habe Bücher gelesen, die in der Summe unkonkreter waren.
Aber die Problemlösung führt natürlich zu neuen Problemen: Erstens muss ich mich als Musiker neben der Musik (und dem … äh: Leben) auch noch um die ganzen Verbreitungskanäle kümmern. Im Bestfall ist das nur unglaublich aufwendig — wenn man Pech hat, kann man aber weder mit Videoschnitt, noch mit SozialenNetzwerken umgehen. Zweitens wird man ja nie die einzige Nachwuchsband sein, die diese Wege geht. Statt auf dem traditionellen Musikmarkt mit ein paar hundert anderen Acts konkurriert man heute bei MySpace mit – setzen wir die Schätzung mal optimistisch an – sechs Milliarden Kapellen.
Während man ja schon bei offiziell (also via Plattenfirma) veröffentlichter Musik in aller Regel genau die Sachen nie mitkriegt, die einen sonst am meisten begeistert hätten, gleicht es einem Blitzschlag nach dem Lottogewinn, bei MySpace (oder irgendeiner anderen der paar Tausend Musikplattformen) eine unbekannte Band zu entdecken, die einen kickt. Das, was ich immer über Blogs gesagt habe (“Man muss halt Medienkompetenz entwickeln und ein bisschen Glück haben, dann findet man schon ein paar Sachen, die einen richtig begeistern”), erscheint mir im Bezug auf Musik plötzlich hoffnungslos naiv.
Wie also kommen Musiker und Hörer zusammen? Nicht mehr unbedingt durch Radio-DJs und Musikfernsehen, wenn man dieser Studie über den Medienkonsum von Teenagern glaubt — wobei Radio-DJs in Deutschland eh seit den 1980er Jahren unbekannt sind. Häufig bekommt man Musik von automatisierten Diensten wie last.fm oder von Freunden empfohlen. Aber da geht’s bei mir schon wieder los: “Höre ich mir jetzt nebenher diese ganzen unbekannten Sachen an oder lasse ich einfach zum hundertsten Mal The Killers/Travis/Oasis laufen?” Ob ich mich dazu zwingen könnte, an einem Tag in der Woche nur neue Musik zu hören?
Natürlich war es nie einfacher, ohne Kontakte und ohne industrielles Marketing seine Hörer zu finden. Und gleichzeitig nie schwieriger. Bis heute gibt es keine mir bekannte Band, die ausschließlich durch das Internet in die erste Liga aufgestiegen wäre (und sagen Sie nicht “Arctic Monkeys” oder “Lily Allen”, die haben sowieso wieder normale Plattenverträge unterschrieben). Die ganzen social media-Aktivitäten erfordern einiges an Aufwand und es bleibt immer offen, ob und wann es sich lohnt. (Das Beruhigende daran ist wiederum: Es bleibt auch bei Majorlabels offen, ob ein “Thema” funktioniert. Da sind die Fehlschläge auch viel teurer.)
Lustigerweise höre ich in letzter Zeit von vielen Nachwuchsbands, dass sie jetzt ein eigenes Management hätten. Das sind dann häufig Menschen, die in einem Hinterhof ein Tonstudio für Werbejingles haben und immer schon den Geruch des Rock’n’Roll einatmen wollten. (Rock’n’Roll riecht übrigens nach kaltem Rauch, Schweiß und Bier. Man kann es sich ganz leicht in der heimischen Küche züchten.) Im Bestfall haben diese Manager vor zwanzig Jahren mal selbst in einer Band gespielt (manche von ihnen haben Millionen von Platten verkauft, aber das weiß und glaubt heute niemand mehr) und wissen noch, wie die Branche damals funktioniert hat. Andere “Manager” könnten sonst auch als “Model-Agent” junge Blondinen in der Disco ansprechen. (Spielen Sie die ganzen bösen Klischees ruhig im Geiste alle mal durch, sie stimmen sowieso alle. Das Gegenteil aber auch immer, das ist ja das tolle.)
Viele Bands sind natürlich nur Musiker — die brauchen jemanden, der sich um alles andere kümmert und auf sie aufpasst. Solche Leute gibt es, aber sie kosten im Zweifelsfall viel Geld. Geld, das man nicht hat, nie verdienen wird und sowieso für Equipment und Kippen ausgeben muss.
Geld mache man heutzutage mit Konzerten, heißt es immer wieder. Das ist unter bestimmten Aspekten (z.B. wenn man U2 ist) sicher nicht falsch, aber man muss sie erst mal spielen. Außerhalb von Jugendzentren (die natürlich auch alle kein Geld haben bzw. machen) ist das schwierig bis unmöglich. Booking ist die Hölle für alle Beteiligten, weswegen ich mich da auch nie rangetraut habe: Die Bands verschicken Demos und Bandinfos im Dutzend und die Veranstalter haben den Schreibtisch voll mit dem Kram. Wenn man heutzutage als Nachwuchsmusiker irgendwas wirklich braucht, dann einen gescheiten Booker, der im Idealfall ein ganzes Portfolio von Bands hat und den Veranstaltern genau das präsentieren kann, was zu ihnen passt. (Und das mit den Kontakten geht auch einfacher.) Winzlings-Labels und -Vertriebe sind meines Erachtens verzichtbar: Für die Downloadstores (die heutzutage unverzichtbar sind, wenn man seine Musik nicht eh verschenken will) gibt es Dienstleister wie Tunecore und die CDs, die man bei Konzerten unbedingt dabei haben sollte, kann man entweder in kleiner Stückzahl pressen lassen oder gleich – Sakrileg! – selbst brennen.
Wichtig ist heutzutage vor allem der Austausch untereinander. Deswegen bin ich auch sehr gespannt auf die all2gethernow, die “Anti-Popkomm”, die im September in Berlin stattfinden wird.
Ihre Ziele kann man natürlich auch total ekelig ausdrücken, aber ich find’s trotzdem spannend:
Spätestens jetzt geht es darum nach vorne zu schauen, neue Ideen und innovative Praxis in der Kreativwirtschaft zu beleuchten. Ziel muss sein gemeinsam Modelle zu definieren, die Kreativen und Künstlern mit ihrer Arbeit Einkünfte ermöglichen. Jede Form des Input ist hilfreich, denn finale Antworten gibt es noch nicht. Eine offene Form der Diskussion wie sie ein Barcamp gewährleistet ist deshalb ideal.
(Mehr über “Kreativwirtschaft” und “Input” können Sie demnächst in meinem neuen Buch “Die 1.000 dümmsten Begriffe des frühen 21. Jahrhunderts” nachlesen. Auf den Seiten zwischen “Digital Native”, “Generation Upload” und “fail”.)
Jedenfalls soll diskutiert und nicht nur repräsentiert werden und Musiker und Blogger dürfen auch dabei sein.
In den letzten Tagen war Bochum mal wieder der Mittelpunkt irgendeiner Welt — mutmaßlich der Musikwelt Nordrhein-Westfalens. Jedenfalls war Bochum Total und aus mir selbst nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wollte ich möglichst viel davon mitkriegen.
Vier Tage, 60 Bands, hunderttausende Liter Bier und noch ein bisschen mehr Regenwasser — eine persönliche Dokumentation:
Donnerstag, 2. Juli
Man kann nicht behaupten, ich sei schlecht vorbereitet gewesen: Centimeterdick hatte ich Sonnencreme aufgetragen, um eine zerfetzte Nase wie nach meinem Nordsee-Urlaub zu vermeiden. Ich hatte eine Sonnenbrille auf, die nicht nur ungefährdetes fassungsloses Anstarren bizarr gekleideter Menschen ermöglichte, sondern auch derbste Gewittertierchen-Schwärme davon abhielt, mir in die Augen zu fliegen. Warum das alles nur halbgut vorbereitet war, lesen Sie gleich …
Ich bin wieder zuhause. Gestern hatte unsere kleine deutsche Reisegruppe noch einen schönen Spaziergang am Osloer Hafen entlang und hoch zum Königsschloss unternommen (Fotos folgen vielleicht), dann ging es mit dem Flieger zurück in heimische Gefilde, die uns besonders herzlich, also in Form von Nieselregen und betrunkenen Kindern, begrüßten.
Die Reisetasche ist ausgepackt, auf meinem Schreibtisch stapeln sich die neuen CDs, aber als erstes ist es an der Zeit, die Bands vom Samstagabend noch zu würdigen:
Simon Says No
Nach all den vertrackten, verspielten, sonstwo beeinflussten Bands tat es gut, endlich mal wieder eine zu hören, die einfach nur gerade nach vorne rockten: Simon Says No erinnerten an die frühen Radiohead, die frühen R.E.M., Dinosaur Jr. und Editors. Leider hielt sich meine Begeisterung nicht sehr lange, denn ungefähr nach drei Songs wurde das Ganze ein bisschen spannungsarm. Ob die Leute, die den Club im Dutzend verließen, ähnlich dachten oder nur dringend zu einem anderen Konzert wollten, weiß ich leider nicht.
Fennesz/Food Der österreichische Saxophonist Christian Fennesz spielte gemeinsam mit dem norwegischen Duo Food, das aus einem Schlagzeuger und einem DJ besteht. (Nachtrag: Wer da gespielt hat, steht hier.) Und sie spielten eine halbe Stunde ohne Unterbrechung eine einzige lange Improvisation, die nur noch wenig mit Pop zu tun hatte, dafür viel mit Jazz und Düsternis. Das klang schon mal nach David-Lynch-Filmen und nach schweren Migräne-Attacken, war aber durchaus sehenswert. Zum Schluss steigerte sich die Musik wie erwartet in ein unglaubliches Lärmgewitter, aber das war nach den überwiegend sehr zugänglichen Sachen auch mal toll.
The Whitest Boy Alive
Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass Erlend Øye Maskottchen und Star des by:Larm in Personalunion war, nun durfte er auch mit seiner Band Headliner sein. Dance Music in Bandbesetzung und über Tausend Norweger tanzten undw wippten und riefen am Schluss auf Deutsch “Kalte Füße!” (aber das ist eine lange Geschichte). Øyes Sonderrolle wurde dadurch deutlich, dass die Band nicht nur sieben Minuten überzog, sondern auch einfach noch eine Zugabe spielte. Aber das ging völlig in Ordnung.
Lindstrøm
Ich habe immer so meine Schwierigkeiten, wenn es um Live-Auftritte von Elektrokünstlern geht. Es ist halt nicht soooo spannend, einem Mann zuzusehen, der hinter einem Mischpult und einem MacBook steht. Die Musik war dafür durchaus schön und an der Grenze zwischen tanzbar und chillig. (Referenzgrößen hier: die erste Röyksopp, die letzte Underworld.)
WhoMadeWho
Der Abschluss und angeblich der Headliner des Festivals: drei Dänen, die eine Sorte von Musik machten, die mir nach ungefähr vier Takten gehörig auf die Ketten ging. Wenn man’s mag, war’s bestimmt toll, aber für mich war das MGMT und Klaxons in nervig.
Fazit
Rund 20 Acts in drei Tagen, da kann man schnell den Überblick verlieren. Was ist hängengeblieben? Auf alle Fälle die beiden Mädels von First Aid Kit. Die beeindruckendste Liveshow war wohl die von I Was A Teenage Satan Worshipper, die gleichzeitig den tollsten Bandnamen hatten. Annie war auch toll und von Pony The Pirate werden wir sicher auch noch was hören.
Es folgt noch mindestens ein Eintrag zur Konferenz und dem ganzen Drumherum, aber ich kann schon einmal zusammenfassen, dass der Ausflug zum by:Larm eine feine Sache war und ich jede Menge gute neue Musik gehört habe.
Was es mit dem Oslo-Trip auf sich hatte, steht hier.
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