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Musik Digital

Als wäre man selbst dabeigewesen

Am Montag ist zoomer.de, das neue töfte Nachrichtenportal für Menschen, die sich von Ulrich Wickert duzen lassen wollen, gestartet (Coffee And TV berichtete). Da der Start von derwesten.de gelehrt hat, dass sich am ersten Tag und nach Inaugenscheinnahme des Layouts nichts verlässliches über die Qualität eines neues Webangebots sagen lässt, habe ich es vorgezogen, mich mit Äußerungen zurückzuhalten, bis es auf der inhaltlichen Seite etwas bloggenswertes gibt. Also bis jetzt.

In London wurden am Mittwochabend die Brit Awards verliehen (den qualitativen Unterschied zum Echo können Sie schon daran ablesen, dass auf der offiziellen Website der Brit Awards die Preisträger sofort aufgelistet waren). zoomer.de entschied sich, die wichtigsten Gewinner in einer Bildergalerie vorzustellen. Nun sind Bildergalerien natürlich Geschmackssache und nicht so meins, aber wenn man ein paar schöne atmosphärische Bilder von der Preisverleihung hat: warum nicht?

Wegen Javascript kann ich die einzelnen Bilder (jedes ein Klick) leider nicht direkt verlinken, aber wir können die neun Seiten trotzdem kurz durchgehen:

Bild 1: Kanye West

Bester internationaler Künstler wurde bei den Brit Awards Kanye West. Vielleicht hebt der Sieg seine Stimmung. Seine Mutter ist vor ein paar Wochen an den Folgen einer Schönheits-OP gestorben.

“vor ein paar Wochen” ist natürlich ein dehnbarer Begriff, starb Dr. Donda West doch bereits im November. Das allerdings ist längst noch nicht so lange her wie der Anlass, bei dem das begleitende dpa-Foto entstanden ist – denn das war beim “Live Earth”-Konzert am 7. Juli 2007.

Bild 2: Kylie Minogue
Nun könnte es natürlich sein, dass Kylie Minogue bei den Brit Awards einfach wieder die gleiche Live-Show geboten hat wie bei der Verleihung der “Goldenen Kamera” und ich deshalb die Fotos verwechsle (bei den Echos hatte sie ja eine andere Frisur). Hat sie aber offenbar nicht.

Bild 3: Foo Fighters
Über den minimal verunglückten Albumtitel kann ich hinwegsehen, ich muss “Echoes, Silence, Patience & Grace” ja auch immer erst nachgucken. Das sind natürlich auch die Foo Fighters – aber das in ihrer Hand ist ziemlich sicher kein Brit Award.

Bild 4: Paul McCartney
Wenn Macca sich nicht während des Auftritts umgezogen hat, ist auch dieses ddp-Bild aus dem Archiv.

Bild 5: Take That
Ich finde auf die Schnelle nichts, was das Gegenteil beweist, also könnten wir davon ausgehen, dass das Bild tatsächlich Take That bei den Brit Awards zeigt, wenn – ja, wenn Take That dort gar nicht aufgetreten wären.

Bild 6: Arctic Monkeys
Tatsache: Das Bild mit der lustigen Verkleidung ist vom Mittwoch.

Bild 7: Mark Ronson
That’s easy: Das in seiner Hand ist ein Grammy.

Bild 8: Kate Nash

Bildnachweis: Promo

Na, jetzt wissen wenigstens alle, wie Kate Nash aussieht, wenn sie gerade nicht den Preis als beste britische Künstlerin erhält.

Bild 9: Mika
Ach, vielleicht ist das ja das gleiche Hemd. Ist letztlich auch egal fürs

Fazit
Von den neun Fotos der Fotostrecke “Brit Awards” stammen mindestens sieben aus dem Archiv, die Minimaltexte neben den Bildern führen noch nicht mal alle Gewinner auf (andererseits: Welcher deutsche Leser kennt schon Adele?) und über den Auftritt des Abends (Rihanna! Klaxons! Zusammen!!!!1) fehlt jedes Wort. Dafür brauch ich kein neues Portal, für derartigen Qualitätsjournalismus habe ich “Spiegel Online” und sueddeutsche.de …

Versöhnlicher Abschluss
Wenn Sie guten Musikjournalismus wollen, lesen Sie Kelefa Sannehs “New York Times”-Artikel über den New Yorker Auftritt von Tokio Hotel. Der ist wirklich toll und die zwei Bilder auf der Seite sind auch noch hundertmal besser als der Archiv-Krempel bei zoomer.de.

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Musik Leben

In Bochum riecht der Frühling nach Bratwurstbude

Ich habe heute (also gestern) Frühjahrsputz gemacht. Mein Zimmer hatte in ohrenbetäubender Lautstärke, schriller Stimmlage und in den hässlichsten Dialekten der mir bekannten Sprachen danach geschrien. Durch eine geschickte, mir immer noch nicht vollständig verständliche Umschichtung ist es mir gelungen, die Bücher so im Regal zu verteilen, dass die allermeisten von ihnen aufrecht stehen – die seit anderthalb Jahren vorherrschende Stapelung war schon lange nicht mehr haltbar gewesen. Außerdem habe ich die DVD-Sammlung aus dem Bücherregal unter den DVD-Player verfrachtet und die dort lagernden Bücher lieber ins Regal gestellt.

Nebenbei habe ich den Kühlschrank unserer WG abgetaut. Dies hatte man (ich) zuletzt vor zwei Jahren gemacht und wenn mir jemand erzählen will, das ewige Eis bilde sich rapide zurück, dann soll dieser jemand mal einen Blick in unsere Badewanne werfen, wo die letzten Eisschollen gerade Richtung Abfluss treiben. Nochmal werde ich diese Arbeit in dieser Küche hoffentlich nicht machen müssen – der Kühlschrank meiner dann Ex-Mitbewohner wird also nach meinen Berechnungen im September 2011 von einem Eispanzer aufgesprengt werden. Haushaltstipp am Rande: Wenn man das Eiswürfelfach vor der Wiederinbetriebnahme mit Spüli einreibt, soll das angeblich einer schnellen Eisbildung entgegenwirken.

Diese Hausarbeiten verrichtete ich bei geöffnetem Fenster. Auch wenn es heute nicht so warm war wie gestern ((Was mir angedenk der Zwischenlagerung diverser Lebensmittel auf dem Balkon ziemlich entgegen kam.)), lag ein Hauch von Frühling in der Luft. In Bochum riecht der Frühling übrigens, wie ich gestern bei einer kleinen Fotosafari feststellen durfte, nach Bratwurstbude. Ebenfalls verrichtete ich die Arbeiten zum Klang verschiedener Popmusiken. Zwar hatte mich WDR 5 am Morgen in der Küche noch recht passend mit einer Reportage über Haushaltsgeräte für Männer und Frauen unterhalten, aber für den workout wollte ich lieber auf Bekanntes zurückgreifen, dessen Text ich einfach selbst weiter singen könnte, wenn der Staubsauger mal wieder die PC-Boxen übertönte.

Dabei fiel mir zum wiederholten Male auf, wie viele CDs sich in meinem Regal befinden, die ich selten bis nie gehört habe. Besonders das Jahr als Musikchef von CT das radio hat sich erheblich auf meine Sammlung ausgewirkt: Da kamen jede Woche etwa 10 Kilogramm Tonträger ((Was extrem wenig ist, verglichen zum Beispiel mit dem, was man als A&R eines Plattenlabels täglich von der Poststelle abholen muss.)) in der Redaktion an, die unter den Musikredakteuren aufgeteilt werden wollten. Das sendereigene Archiv war kurz nach dem Erscheinen des Strokes-Debüts an seine Grenzen gestoßen.

In diese CDs wurde jeweils kurz reingehört ((Außer in die, die in Folie eingeschweißt waren.)), dann durfte der Redakteur mit dem entsprechenden Schwerpunkt sie einstecken und damit machen, was er wollte: In der eigenen Sendung spielen, eine Rezension drüber schreiben, sie auf einem mannshohen Stapel auf (besser noch: neben) dem eigenen Schreibtisch einstauben lassen. Ich habe wirklich viele CDs gespielt, aber eben meist genau ein Lied, in das ich kurz vor der Sendung reingehört hatte. Bei vielen Künstlern hätte ich schon am Tag darauf nicht mehr sagen können, wie sie geklungen hatten. Dann wanderten die CDs ins Regal, wo sie sich mit den Andenken an eine fünfjährige Rezensententätigkeit für “Plattentests Online” und den selbst gekauften Tonträgern erst auf drei, dann auf vier, dann auf fünf “Bennos” verteilten. ((Die drei Bennos waren noch inklusive Singles gewesen, inzwischen warten Singles und EPs in einer unrühmlichen Kiste auf den nächsten Umzug.))

Verkaufen darf man die Promo-CDs nicht, dann kommen die Plattenfirmen vorbei und hacken einem die Finger ab (oder schlimmeres). Das will aber natürlich eh niemand, denn am Ausmaß der Plattensammlung eines Mannes erkennt man seine Unlust, die Wände mit etwas anderem als CD-Regalen (und Konzertplakaten und Setlisten) verschönern zu wollen. ((Man muss nur darauf achten, dass einem solche Sachen wie Nickelback, Within Temptation oder Revolverheld gar nicht erst ins Haus kommen.)) So kommt es, dass ich Dutzende CDs im Regal habe, von denen ich nicht weiß, wie sie klingen. Sogar solche, die ich im 2nd-Hand-Laden oder auf dem Ramschtisch bei “Saturn” selbst gekauft habe, weil ich dachte, diese oder jene CD müsste man doch mal unbedingt im Regal haben (“We Can’t Dance” von Genesis wäre um ein Haar die erste CD geworden, die ich mir doppelt gekauft hätte ((Also versehentlich doppelt gekauft. Absichtlich doppelt gekauft zwecks Special Edition oder Neuauflage habe ich schon ein paar.))). Und genau solche CDs habe ich heute und in den letzten Tagen einmal verstärkt eingelegt und mich gefreut, was ich doch für tolle Musik im Regal stehen habe.

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Leben

Scheitern als Chance

Da schreibe ich gestern noch über die Musikindustrie und die tolle Idee, zahlenden Kunden funktionslose “Tonträger” zu verkaufen, und was mache ich quasi zeitgleich? Gehe zu Saturn und kaufe an einer idiotischen SB-Kasse eine CD mit Kopierschutz.

Das allerdings fiel mir erst auf, als ich die CD zum Anhören in den heimischen Computer schob: iTunes wollte die Scheibe in keinem der beiden Laufwerke wiedergeben und nicht mal Windows konnte das Ding erkennen. Das ist für ein Endanwender-Produkt neuer Rekord, bisher kannte ich derartigen Digitalmüll nur als Rezensionsexemplare für die schwerkriminellen Musikjournalisten. Das Kopierschutz-Logo war übrigens erstaunlich gut getarnt, die CD “The Singles” von Basement Jaxx aus dem Jahr 2005 (was den Kopierschutz im Nachhinein erklärt). Da an eine gemeinsame Zukunft aus naheliegenden Gründen nicht zu denken war, schleppte ich die CD zurück zu Saturn.

An der Infotheke im Erdgeschoss musste ich nur drei Minuten warten, dann füllte die (wirklich freundliche) Dame einen “Mitbringschein” aus, kopierte meinen Kassenbon von gestern und schickte mich an die Information der CD-Abteilung im zweiten Stock.

Die dortige Information, an der ich zunächst vorsprach, war die falsche, man schickte mich zu einer weiteren am anderen Ende des Gebäudes. Dort trug ich mein Anliegen ein drittes Mal vor:

Ich: “Guten Tag, ich habe gestern diese CD gekauft. Da ist ein Kopierschutz drauf und ich kann sie nicht hören!”
Typ: “Auf dem Computer …”
Ich: “Äh, ja.”
Typ: “Das steht da aber auch drauf, nicht?”
Ich: “Oh Gott, Sie wollen doch auch nicht, dass ich hinterher im Blog so Sachen wie ‘meine Halsschlagader schwoll an’ oder ‘dürfte ich bitte Ihren Vorgesetzten sprechen’ schreiben muss, oder? Ich habe ein paar Dutzend CDs zuhause, auf denen Kopierschutzlogos drauf sind. Bisher konnte ich jede einzelne davon hören – und auf einigen war noch nicht mal wirklich ein Kopierschutz drauf.”
Typ: (murmelt unverständlich)

Im Folgenden wurde ich gebeten, meinen Namen und meine Anschrift zu nennen. Ich war natürlich viel zu verwirrt, irgendwelchen Blödsinn zu erzählen, und wusste auch nicht, ob mir das Geld nicht vielleicht bar per Post zugestellt werden sollte. Wurde es aber nicht: Es wurde ein weiteres Blatt Papier bedruckt (der Laden muss eine beeindruckende Öko-Bilanz haben) und mir mit den Worten “Damit gehen Sie jetzt wieder zur Kasse und kriegen Ihr Geld!”, in die Hand gedrückt wurde.

Noch einmal kurz zum Mitschreiben: Um einen Tonträger umzutauschen, der die Töne zwar tragen mag, aber nicht mehr hergeben will, musste ich bei drei Personen (vier, wenn man die falsche Info-Theke mitzählt, was ich gerne mache, denn die war ja nicht mein Fehler) auf zwei Etagen vorsprechen und bekam nach nur einer Viertelstunde meine 8,99 Euro zurück.

Und jetzt will ich keine Argumente für die CD mehr hören. Die Zukunft gehört der MP3!

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Musik

Listenpanik: Alben 2007

So ein Jahr geht ja dann doch schneller zu Ende als man denkt: Zwar ist es irgendwie absurd, noch vor Silvester zurückzublicken, aber unsere hektische, durchorganisierte Welt lässt sich von Logik nicht aufhalten. Deshalb habe ich nach den Songs (bei denen ich am liebsten schon wieder mittelgroße Korrekturen vornehmen würde) jetzt meine Alben des Jahres 2007 sortiert, abgepackt und niedergeschrieben.

Zwar hatte ich nach der Lektüre der Jahresrückschau im “Musikexpress”, dessen Position als letztes von mir gelesenes Papiermagazin damit auch stark ins Wanken geraten ist, keine große Lust mehr, über dieses mir plötzlich beliebig und unspannend erscheinende Musikjahr zu schreiben, aber dann beguckte ich mein CD-Regal und dachte: “Jetzt erst recht!”

Und weil so viele Künstler auch in der Song-Liste vertreten waren, hab ich mir als Anspieltipps für die Alben mal andere Stücke ausgesucht.

1. Bloc Party – A Weekend In The City
Wo anfangen? Vielleicht mit dem Erstaunen darüber, dass Bloc Party ihr Erstwerk toppen konnten. Oder doch damit, dass kein Pop-Album der letzten fünf Jahre einen besseren Spannungsbogen hatte? Mit der großartigen Mischung aus Hoffnung und Resignation, Politik und Liebe, Tanzboden und Kuschelecke? Die tollen Rhythmen loben, die wunderbaren Gitarren, die astreine Produktion von Jackknife Lee oder die über allem thronende Stimme von Kele Okereke?
Bullshit: Wenn einen ein Album am 30. Dezember noch so begeistert wie am 2. Februar, dann ist es wohl das Album des Jahres.
Anspieltipp: “Sunday”

2. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Kennen Sie Sam Duckworth? Ich musste den Namen auch gerade erst mal wieder nachschlagen. Aber seine Band Get Cape. Wear Cape. Fly sollten Sie kennen. So außergewöhnlich, dass mir dazu nur so sinnlose Beschreibungen wie “Akustikemolektro” einfallen. Klingt tausendmal toller als es sich anhört. Ein bisschen froh bin ich aber schon, dass das Album erst nach den großen Sinnkrisen meiner Teenager-Jahre erschienen ist.
Anspieltipp: “War Of The Worlds”

3. Kilians – Kill The Kilians
Es wäre eine schöne Gelegenheit, mit dieser 35. Erwähnung der Band in diesem Blog eine kleine diesbezügliche Pause einzulegen. Ich glaube, es ist schon alles gesagt, gesungen und gefilmt worden. Aber toll ist die Platte immer noch
Anspieltipp: “Something To Arrive”

4. Stars – In Our Bedroom After The War
Diese Kanadier: 33 Millionen Einwohner, von denen etwa die Hälfte in jeweils mindestens zwei Bands musiziert. Nicht alle sind so erfolgreich wie Bryan Adams und Avril Lavigne, aber auch nicht alle machen so schlechte Musik. Stars machen zum Beispiel ganz wunderbaren Indiepop, der zwischen Konzertsaal und Disco schwankt und sich mit großer Freude gleichzeitig bei The Smiths, Bee Gees und Phil Spector bedient. Toll!
Anspieltipp: “Take Me To The Riot”

5. Shout Out Louds – Our Ill Wills
Das selbe in grün schwedisch. The Cure statt The Smiths und Abba statt Bee Gees, sonst aber genauso gelungener Indiepop wie bei Stars. Die Shout Out Louds lieferten mit “Tonight I Have To Leave It” meinen Song des Jahres und sind auch bei den Alben wieder ganz vorne mit dabei.
Anspieltipp: “Parents Livingroom”

6. The Weakerthans – Reunion Tour
Schon wieder Kanadier. Na ja, das Land habe ich ja oben schon ausführlichst *hüstel* vorgestellt, da freuen wir uns lieber noch ein paar Zeilen über dieses tolle Album und wundern uns, dass kein Song in meiner Jahresbestenliste gelandet ist. Peinlich, peinlich. Wie’s klingt? Na ja, wenn ich jetzt wieder “Indiepop” schreibe, glaub ich es mir ja langsam selber nicht mehr. “Toll” war auch schon zu oft, dann klingt es halt einfach so, wie ein Weakerthans-Album im Jahr 2007 klingen sollte. Logikschleife geschlossen, Zeilen gefüllt!
Anspieltipp: “Civil Twilight”

7. Travis – The Boy With No Name
Ja, gut: Ich bin Fan, Travis werden wohl nie ein Album machen, das ich wirklich doof finde. Vielleicht war es deshalb der doch eher irgendwie ein bisschen enttäuschende Vorgänger “12 Memories”, der mich “The Boy With No Name” umso mehr mögen ließ. Aber was will man machen? Jede Menge schöne Melodien mit klugen Texten, viel mehr braucht’s halt auch nicht für ein gutes Album.
Anspieltipp: “Colder”

8. Tocotronic – Kapitulation
Tocotronic sind einfach mit jedem Album gut. Vielleicht nicht so gut, dass man “Kapitulation” gleich krakeelend zum Album des Jahres ernennen und der Band eine Vorreiterstellung in Wasauchimmer unterstellen muss, aber eben schon besser als jedes andere deutschsprachige Album in diesem Jahr. Freuen wir uns auch auf das nächste Album und hoffen, dass es nicht ausgerechnet in einem Jahr mit den neuen Werken von Element Of Crime und Tomte erscheint, was zu einem unnötigen Showdown führen würde.
Anspieltipp: “Verschwör dich gegen dich”

9. The Wombats – A Guide To Love, Loss & Desperation
Ja, was machen die denn da? Ich wollte doch nie mehr “junge freche britische Bands” hören. Sie stehen mir sowas von bis hier, dass ich das zweite Arctic-Monkeys-Album bis heute nicht gehört habe. Ein Fehler? Mir egal. Ich hab ja The Wombats und die sind besser als alle anderen Bands, die ich alle nicht kenne.
Anspieltipp: “Kill The Director”

10. Underworld – Oblivion With Bells
Berlin, Friedrichstraße. Oktober, Abend, Regen. Underworld machen aus dem Touristentrampelpfad vorbei an Luxuskaufhäusern für ein, zwei Momente New York. Ralph Fiennes wird in einem Auto an mir vorbei gezogen. Alles fühlt sich so urban an – und das liegt verdammtnochmal nicht an der “Arm, aber sexy”-Metropole, sondern an diesem atemberaubend guten Elektro-Album.
Neulich sah ich das Video zu “Beautiful Burnout” im Fernsehen (GoTV, natürlich): Über acht Minuten, überhaupt nicht weltstädtisch, sondern klein, billig, schmuddelig. Und trotzdem hatte ich wieder ein Gefühl wie auf dem Gipfel der Welt.
Anspieltipp: “Beautiful Burnout”

11. The Blood Arm – Lie Lover Lie
Wie man sich meine Gunst erspielt: Klavier nehmen, draufhauen, semi-alberne Texte mehrstimmig anstimmen. So sind Ben Folds Five damals meine Lieblingsband geworden, so ähnlich haben sich The Blood Arm einen Platz in meiner Liste erkämpft.
Anspieltipp: “The Chasers”

12. Justice – †
Es ist mir beinahe unangenehm, diese Platte zu nennen. Da könnte man ja gleich Grönemeyer oder … äh: Bloc Party nehmen, wenn man Konsens haben will. Egal, was die Musikfeuilletonisten jetzt schon wieder für einen Trend herbeischreiben wollen: Das Album mit dem Kreuz im Titel ist und bleibt super. Bitte tanzen Sie N.O.W.
Anspieltipp: “Tthhee Ppaarrttyy”

13. Wir Sind Helden – Soundso
Die ganz große Aufmerksamkeit in den Medien hat etwas nachgelassen, vielleicht hat “Polylux” nicht mal mehr einen Beitrag über Judith Holofernes als “Stimme ihrer Generation” gebracht. Wir Sind Helden haben ihr Leben zurück und sind so gut wie am ersten Tag. Bei fast jeder Band hätte ich Angst, dass sie einen Song wie “The Geek (Shall Inherit)” nicht mehr toppen können wird, aber Wir Sind Helden machen seit “Denkmal” ja nichts anderes. Also: Weitermachen!
Anspieltipp: “Soundso”

13. The Killers – Sawdust
“Ey, Alter, das ist doch nur eine Raritätensammlung! Was soll die denn bei den Alben des Jahres? ‘Alben’, hörst Du?” Also bitte, liebe Stimmen in meinem Kopf: Seid still! Natürlich ist das “nur” eine Raritätensammlung. Aber so manche Band wäre froh, das als Album hinzukriegen! Manche Sachen sind natürlich etwas sehr abseitig und würden auf einem “normalen” Album vielleicht überfordern, aber auf diesem Zwischending dürfen sich The Killers austoben. Mit Joy-Division-Cover, Westerngitarren und Lou Reed. Meine Prognose fürs dritte Album: Da geht noch einiges!
Anspieltipp: “Move Away”

14. Jimmy Eat World – Chase This Light
Liebe Kinder, wenn Ihr nicht wollt, dass Ihr auch mal eher so mittelmäßige Alben so lange hört, bis Ihr sie toll findet, dann werdet besser nie Fan!
Rational betrachtet ist “Chase This Light” immer noch ein relativ unbedeutendes Album, das eine ganze Spur zu poppig produziert wurde. Tatsächlich ist es aber genau die Musik, die ich morgens auf dem Weg zur Uni hören möchte. Oder nachts, wenn ich betrunken nach hause taumele. Oder dazwischen. Also muss man einfach zu dem stehen, was man mag, und sagen: “Chase This Light” ist doch ein ganz schönes Album, irgendwie.
Anspieltipp: “Here It Goes”

15. Muff Potter – Steady Fremdkörper
Wieso ist mir “Steady Fremdkörper” eigentlich nie so ein treuer Freund und Begleiter geworden wie die beiden Vorgängeralben? Vermutlich, weil das Album im Sommer rauskam, viel zu früh für kahle Bäume und Blättermatsch. Natürlich ist es trotzdem wieder ein sehr gutes Album geworden, was ich mit einem sehr okayen fünfzehnten Platz in meiner Jahreshitparade noch einmal hervorheben möchte.
Anspieltipp: “Das seh ich erst wenn ich’s glaube”

16. Manic Street Preachers – Send Away The Tigers
Die Manics nach der Frischzellenkur: Zurück auf Anfang “Everything Must Go”, zurück zu Pathos, großer Geste, Melancholie und Parolendrescherei. Es hielt sich letztlich nicht ganz so gut wie das interne Vorbild, aber “Send Away The Tigers” ist trotzdem ein gelungenes Album und ein guter Ausgangspunkt für einen Neuanfang.
Anspieltipp: “Indian Summer”

17. Foo Fighters – Echoes, Silence, Patience And Grace
Und noch eine Band, die schon vor zehn Jahren hätte auf dieser Liste stehen können. Langsam werden die Helden unserer Jugend eben auch älter und wir somit offenbar auch. Auf dem Album mit dem unmerkbarsten Titel der Saison merkt man davon aber noch nix, die Foo Fighters rocken so, als wollten sie Fall Out Boy, Good Charlotte und Konsorten zeigen, wo die Gitarre hängt. Dabei weiß das doch jedes Kind: tief.
Anspieltipp: “Long Road To Ruin”

18. Rihanna – Good Girl Gone Bad
Tja, da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Oder ich muss das erklären, irgendwie. “Umbrella” ist halt ein Übersong, der überwiegende Rest ist auch recht gelungen und wenn schon irgendwas Massentaugliches im Radio laufen muss, dann doch bitte clever produzierte Songs mit einer charmanten Sängerin.
Anspieltipp: “Shut Up And Drive”

19. Maritime – Heresy And The Hotel Choir
Maritime gingen hier im Blog auch irgendwie völlig unter, was sehr schade ist, weil sie mit ihrem dritten Album wieder an die Qualität ihres Debüts anknüpfen konnten. Vielleicht würden die Beach Boys so klingen, wenn sie heute jung wären. (In Wahrheit wäre Brian Wilson wohl schon lange völlig wahnsinnig oder tot, wenn er heute jung wäre.)
Anspieltipp: “Guns Of Navarone”

20. Maxïmo Park – Our Earthly Pleasures
Mit dem ersten Maxïmo-Park-Album bin ich ja irgendwie nie so ganz warm geworden: Natürlich waren die Singles super, aber so wirklich vom Hocker hauen konnte mich “A Certain Trigger” nie. Da ist “Our Earthly Pleasures” eher ein Album zum Durchhören und Mögen. Dass Franz Ferdinand auch 2007 kaum vermisst wurden könnte an Maxïmo Park liegen.
Anspieltipp: “Parisian Skies”

21. Crowded House – Time On Earth
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind würde sich in zwanzig Jahren über eine Comeback von … sagen wir mal: Starsailor freuen. Würden Sie da sagen “Aber Kindchen, dafür bist Du doch trotz eigener Wohnung, Rückenleiden und Uni-Abschluss viel zu jung”, oder würden Sie sich freuen, dass er/sie/es gute Musik zu schätzen weiß?
Warum habe ich eigentlich immer das Gefühl, mich für meinen Musikgeschmack rechtfertigen zu müssen? “Time On Earth” wäre doch auch toll, wenn die Musiker in meinem Alter wären.
Anspieltipp: “English Trees”

22. Die Ärzte – Jazz ist anders
Das sollte man vielleicht auch mal erwähnen, dass “Jazz ist anders” das erste Album von Die Ärzte ist, das ich wirklich gehört habe. Es ist aber auch ein sehr gelungenes Album, denn BelaFarinRod agieren sehr klug und fügen die verschiedensten Musikstile kunstvoll zu einem wirklich feinen Gesamtbild, das mit “Spaßpunk” oder ähnlichem wenig am Hut hat. Nur: “Junge” nervt inzwischen dann doch. Gewaltig.
Anspieltipp: “Himmelblau”

23. Smashing Pumpkins – Zeitgeist
Sagt mal, wo kommt Ihr denn her? “Aus Deiner tristen, teilzeit-depressiven Teenagerzeit, bitte sehr!”
Von mir aus hätte es das Comeback der Smashing Pumpkins nicht gebraucht, zu passgenau war ihr Auftauchen in und Verschwinden aus meinem Leben damals gewesen. Jetzt sind sie (zur Hälfte) aber doch wieder da und wo sie sich schon mal die Mühe gemacht haben, kann man natürlich das eigentlich gar nicht mal schlechte Album “Zeitgeist” erwähnen, das irgendwie aber auch sagenhaft unterging. Offenbar war mein Leben nicht das einzige, aus dem die Pumpkins zur rechten Zeit verschwunden waren.
Anspieltipp: “Doomsday Clock”

24. Mika – Life In Cartoon Motion
Als Mika in Deutschland seinen verdienten Durchbruch feierte und keine Stunde mehr verging, in der er nicht im Radio, Fernsehen oder in der Werbung zu hören war, war ziemlich genau der Punkt erreicht, an dem ich seine zuckersüßen Popsongs nicht mehr hören konnte. Dabei war “My Interpretation”, der beste von ihnen, doch gar nicht ausgekoppelt worden.
Anspieltipp: “My Interpretation”

25. Beirut – The Flying Club Cup
Auch Beirut sollen in dieser Liste nicht unerwähnt bleiben. Zwar finde ich das Debüt “Gulag Orkestar”, das ich auch erst in diesem Jahr entdeckt habe, ein bisschen besser, aber “The Flying Club Cup” ist mit seinem folkloristischen … äh: Indiepop auch ein sehr schönes Album. Der Tag, an dem ich dieses Album hörend durch eine in milchig-rötliches Licht getauchte Nachbarschaft zur Uni stapfte, wäre mit “surreal” recht passend umschrieben.
Anspieltipp: “The Penalty”

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Musik

Über Listen

Jedes Jahr im Dezember ist es das gleiche Elend: Musikzeitschriften und Webseiten-Betreiber rufen ihre Leser zum Einsenden derer persönlichen Jahreshitparaden auf und ich sitze mit zerwühlten Haaren und wirrem Blick vor meinem Computer und einem Berg von Notizen und versuche, Ordnung in das Musikjahr zu bringen.

Denke ich während des Jahres immer, es seien ja diesmal nicht soooo viele gute Songs und Alben erschienen, zwischen denen ich mich entscheiden müsse, wird diese Einschätzung spätestens beim Anblick der extra dafür angelegten iTunes-Playlist bzw. der eigenen Statistik bei last.fm zunichte gemacht. Immerhin weiß ich jetzt, welche Songs ich am häufigsten gehört habe – aber waren das auch die besten? Und wie definiere ich “die besten”? Nach pseudo-objektiven Kriterien oder danach, wie viel Spaß ich beim Hören habe? Würde ich einfach meinen häufigsten und penetrantesten Ohrwurm zum “Song des Jahres” ernennen, wäre das “Umbrella” von Rihanna – aber auch nur, weil “Durch den Monsun” von Tokio Hotel, der mir nach den EMAs drei Wochen lang im Hirn klebte, schon zwei Jahre alt ist.

Dabei trägt es nicht gerade zur schnellen Findung bei, wenn der eigene Musikgeschmack immer eklektischer wird und sich auf der Longlist munter Indierockbands, Girlgroups, Hip-Hopper, Mainstream-Popper, Deutschpunks und Elektroniker tummeln. Denn, mal im Ernst: Wie soll ich “Love Me Or Hate Me” mit “Don’t Stop Now” vergleichen, wie “D.A.N.C.E.” mit “Imitationen”?

Nun wird der Außenstehende vielleicht denken: “Warum tut sich dieser junge Mann das an? Warum verschwendet er seine Zeit mit so unbedeutsamen Überlegungen? Er soll lieber was gegen den Treibhauseffekt tun oder der CDU die Herdprämie ausreden!” Das Erstellen persönlicher Bestenlisten nimmt sich gegen das Elend in Darfur oder auch nur das vor der eigenen Haustür natürlich lächerlich und klein aus, aber in diesen Dimensionen denken Popkulturfans nicht. Und selbst wenn: Es würde kaum etwas ändern.

Wer “High Fidelity” gelesen und sich darin wiedergefunden hat, ist von einem inneren Zwang getrieben, das Unsortierbare sortieren zu wollen und die große Unordnung, die Rock’n’Roll nun mal ist, in geordnete Bahnen lenken zu müssen. Dabei müssen auch so verschiedene Dimensionen wie der Song, bei dem man das erste Mal ein Mädchen geküsst hat, und das Lied, das man als erstes gehört hat, als Elliott Smith sich umgebracht hat, irgendwie miteinander verglichen werden können.

Genau diesem Dilemma bin ich jetzt ausgesetzt. Aber ich kann Ihnen versichern: Sie werden es auch noch!

PS: Da ich keine passende Stelle in diesem Eintrag gefunden habe, wo ich den wunderbaren jüngsten Beitrag in Philipp Holsteins Popkulturblog bei “RP Online” hätte verlinken können, mache ich es einfach gesondert hier.

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Musik Print

“My Rice”: Travis werfen Sack um

Haben Sie sich je gefragt, wie eigentlich diese idiotischen Meldungen “Promi X hat Y gesagt” auf der “Vermischtes”-Seite Ihrer Tageszeitung und auf der Startseite von “Spiegel Online” entstehen?

Ich erklär Ihnen das mal gerade anhand eines Beispiels: Der “Mannheimer Morgen” hat anlässlich des anstehenden Travis-Konzerts in Mannheim ein Interview mit Travis-Sänger Fran Healy geführt. Darin kam auch der folgende Dialog vor:

Sie sind mit einer Deutschen verheiratet. Besuchen Sie Deutschland auch privat?

HEALY: Sie werden lachen: Nächstes Jahr ziehen wir nach Berlin. Unser Sohn ist in einem Alter, wo Mütter gern zuhause sein wollen. Der Boss hat also gesprochen. Wir folgen.

Berlin war ja ein spannendes Pflaster für britische Musiker. Man denke an David Bowie oder U2 . . .

HEALY: Ja, wir werden uns die Hansa Studios auch mal anschauen. Überhaupt ziehen jetzt viele Künstler nach Berlin. Mein Freund Anton Corbijn, mein Londoner Studio-Nachbar Herbert Grönemeyer und sein Produzent Alex Silwa. Das verändert eine Stadt. Bis jetzt spüre ich immer viel Traurigkeit in Berlin, da kann die Injektion von Kreativität vielleicht Abhilfe schaffen. Vielleicht wird Berlin – wie in der Vergangenheit schon mal – das New York von Europa.

Die Redaktion des “Mannheimer Morgens” fand diese Aussage wohl einigermaßen spannend und gab über dpa eine Pressemitteilung heraus, in der im wesentlichen genau diese Zitate drin stehen.

Nun kann man solche Meldungen als Grundlage nutzen, selbst noch ein bisschen recherchieren und schon hat man einen informativen kleinen Text, den man z.B. im “Tagesspiegel” veröffentlichen kann. Man kann aber auch einfach die Meldung mehr oder weniger modifiziert dafür nutzen, seine Zeitung zu füllen oder seine Zugriffszahlen zu erhöhen. Und dann fragen sich hinterher alle, warum dieser eingebildete Rockstar seine persönlichen Umzugspläne für so wichtig hält, dass er sie in jeder Zeitung herausposaunen muss.

Es geht aber noch unspektakulärer: Fran Healy hat in einem Interview mit dem Radiosender XFM “zugegeben”, dass die Akkorde zu “Writing To Reach You” vom ’99er Travis-Album “The Man Who” von Oasis’ “Wonderwall” abgeschrieben seien. Und – Zack! – ist auch das eine Meldung wert.

Das wäre wohl kaum jemandem aufgefallen. Außer den Lesern von Q Magazine’s 1001 Greatest Songs (November 2003), den Hörern von Dean Grays “Boulevard Of Broken Songs” (Oktober 2004), den Nutzern der Indiepedia (Oktober 2005) und irgendwelchen Menschen, die keinen Broccoli in den Ohren haben.

P.S.: Völlig ratlos sitze ich noch vor dieser Überschrift: “Travis: "Meine Augen" nun auch draußen”

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Musik

“Spalter!”

Ja, ja, das neue Radiohead-Album. Jetzt ist es also bald eine Woche draußen und fast alle haben darüber geschrieben: der “NME”, der “Rolling Stone”, “Pitchfork Media”, aber auch bei laut.de, alternativenation.de war man schnell mit den Besprechungen, intro.de hatte immerhin ein Forum zum Sammeln der ersten Höreindrücke eingerichtet.

Die Rezension bei “Spiegel Online” vereint mal wieder alles, was ich am Musikjournalismus nicht ausstehen kann:

Dabei ist “In Rainbows” kein Enigma, kein Vexierbild und keine Kippfigur, sondern die zugänglichste Platte, die Radiohead seit “OK Computer” veröffentlicht haben. Wer hier noch ernsthaft von “sperrig” spricht, verdient 48 Stunden Dauerbeschallung mit Muse und Placebo, angekettet.

Und bei “Plattentests Online” erklärt man via Newsletter, warum es auch fünf Tage nach der Veröffentlichung des Albums im Internet noch keine Rezension in diesem Internet-Medium gibt:

Einen halben Tag, teils sogar nur wenige Stunden nach dem Download-Start veröffentlichten einige Online-Magazine stolz ihre Rezensionen und fühlten sich als Sieger, nur weil sie die ersten waren. Sie hatten das Album zwei-, vielleicht dreimal unter Zeitdruck gehört. Und sie sehen das als Grundlage, den Wert eines Albums zu beurteilen, das jeden Hörer über Monate herausfordern, beschäftigen und in neue Zweifel stürzen wird.

Wir möchten jetzt niemanden dissen oder über Kollegen herziehen, aber unter Seriosität verstehen wir was anderes. Und unterwerfen uns mit http://www.plattentests.de/ nicht diesem von falschen Geltungsdrang getriebenen Wettbewerb. Wenn wir gewollt hätten, hätten wir Euch locker nach fünf Stunden – oder wenigstens jetzt, nach fünf Tagen – eine Rezension raushauen können. Und natürlich ist auch unsere Vergangenheit nicht frei von überstürzten, zu voreiligen Rezensionen. Doch gerade ein Radiohead-Album braucht mehr Zeit, um sich zu entfalten, weswegen wir Euch aufs nächste Update vertrösten müssen

Und was sag ich?

Ich finde nach wie vor, dass das Album gut ist, aber es ist wie mit so manchem “guten” Buch oder so manchem “guten” Wein: Ich erkenne, dass das Werk von einer hohen Qualität sein muss, aber es sagt mir persönlich nichts. Wie alle anderen Radiohead-Alben nach “Kid A” auch, lässt mich “In Rainbows” weitgehend kalt. Ich habe nicht das Gefühl, dass es meinem Leben oder dem Gesamtwerk der Band irgendetwas hinzufügt, und ob ich es höre oder nicht, macht für mich keinen Unterschied. Mit “15 Step” kann ich ebenso wenig anfangen wie mit Thom Yorkes Soloalbum und von den zehn Songs ist “Videotape” der einzige, der mich persönlich anspricht.

Und damit stehe ich vor einem Dilemma, denn es scheint fast, als müsse man “In Rainbows” unbedingt in den Himmel loben. Schreiben, es sei das zugänglichste Album seit “OK Computer” (“In Rainbows” ist zugänglich, aber “OK Computer” ist für mich zum Beispiel so zugänglich wie Haruki-Murakami-Bücher, also: gar nicht). Erzählen, dass man Frau und Kinder verlassen habe, um sich ganz der Rezeption dieses Albums zu widmen.

Radiohead stehen – wie sonst eigentlich nur R.E.M., Bob Dylan, Johnny Cash und Joni Mitchell – eh schon über allem, mit der Veröffentlichungstaktik ihres neuen Albums scheinen sie sich völlig unangreifbar gemacht zu haben. Oder zumindest scheinen die Leute zu denken, dass Radiohead jetzt unangreifbar sind. Ich wüsste gerne, wie viele Musikjournalisten verzweifelt vor ihrem Computer saßen und dachten: “Aha. Und?”. Und dann schrieben sie, es sei ein Meilenstein, ein Meisterwerk, die Musikwerdung des Herrn.

Ich habe so viele CDs im Regal, so viele MP3s auf dem Computer, da höre ich lieber Musik, die mich anspricht, die mir persönlich etwas “gibt”. Und überlasse “In Rainbows” denen, die auch sonst zu Architektur tanzen.

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Musik Digital

Long tail, short breath

Vor einem halben Jahr hatte ich mal über die Reihe “Top Of The Blogs” bei “Spiegel Online” geschrieben und mich darüber gewundert, dass dort zwar Musiker vorgestellt wurden, die zuvor in Blogs gelobt worden waren, aber kein einziges Blog verlinkt war.

Gerade fiel mir die Geschichte wieder ein und ich wollte mal nachschauen, was diese zukunftsweisende Rubrik eigentlich so macht. Siehe da: Sie ist sang- und klanglos vor fünf Monaten ausgelaufen, nach zehn Episoden.

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Musik Print

Über den Wolken

Willkommen zurück an der Coffee-And-TV-Journalistenschule!

Nachdem wir beim letzten Mal gelernt haben, wie man eine Gerichtsreportage verfasst, wollen wir uns heute dem Bereich des Musikjournalismus zuwenden. Besonders beliebt auf diesem Gebiet sind seit längerem Reportagen, die einen Künstler oder eine ganze Band in einem heimatlichen Umfeld zeigen. Dafür brauchen wir zunächst einmal eine Band, was nicht ganz so schwer ist: Wir nehmen einfach unsere Coffee-And-TV-Hauskapelle.

Als erstes brauchen wir jetzt (wie bei jedem Artikel) einen griffigen Einstieg. Oder aber einen, der so wirr ist, dass man schon aus Neugierde, wie sich der Autor wohl daraus befreien will, weiterliest:

Entweder hast du als Teenager die Gelegenheit, vor dem Venue auf deinen Lieblingsact zu warten und dir Autogramme geben zu lassen – oder du hast sie nicht. Entweder du kennst die Bands nur aus TV, Radio und Internet – oder du triffst sie im Plattenladen. Die Kilians kommen aus Dinslaken und trafen bisher niemanden. Sie sind eine aufstrebende Rockband. Die Frage ist: Trotzdem oder gerade deswegen?

Was ist mit denen, die nie vor einem “Venue” standen und auf ihren “Lieblingsact” warteten? Wer hätte in welchem Plattenladen jemanden treffen sollen? Wieso ist man eine aufstrebende Rockband, obwohl oder weil man niemanden in einem Plattenladen getroffen hat? Der Leser ist sofort gefangen von diesen Sätzen und könnte sie immer wieder lesen, ohne dass ihm die Deutungsmöglichkeiten ausgingen.

Im zweiten Absatz sollten wir dem Leser, der die zu porträtierende Band noch nicht kennt, kurz erklären, von wem wir sprechen. Zum Beispiel so:

The Kilians sind fünf Jungs und kommen aus dieser Stadt, und sie sind mittlerweile im Blickfeld vieler, die sich für Rockmusik interessieren. In Dinslaken sind sie allein dadurch schon Stars.

So weiß jeder, dass man in Dinslaken, pardon: Dinslaken alleine dadurch zum Star wird, dass man im Blickfeld vieler, die sich für Rockmusik interessieren, ist. Soziologen sprechen sicher von second hand popularity.

Wenn wir merken, dass wir eigentlich viel lieber über die Stadt schreiben möchten als über die Band, können wir jetzt immer noch die Kurve kratzen und Vergleichsgrößen heranziehen:

Um das zu verstehen, muss man sich klarmachen, wie wenig Orte wie Dinslaken von der Distinktion geprägt sind, die in Hamburg oder Berlin allgegenwärtig ist.

Eine klare Positionsbestimmung: Hamburger und Berliner werden sagen: “Klar, Distinktion, Alter!”, alle Anderen werden erfurchtsvoll nicken und es nicht wagen, nach den in diesen Metropolen vorherrschenden Distinktionen zu fragen.

Jetzt haben wir dem Leser unser Bild von Dins… Dinslaken schon so genau gezeichnet, dass wir uns ein bisschen weiter aus dem Fenster lehnen und Fakten gekonnt ignorieren können:

Hier schielt kaum jemand auf Düsseldorf oder Köln, die nächsten größeren Städte und die Codes der Indie-Schickeria bedeuten hier gar nichts.

Keiner unserer Leser wird auch nur ahnen, dass wir schon bei unserer Ankunft halbe Armeen von röhrenbehosten Ringelpulliträgern mit Emofrisuren gesehen haben, die gerade auf dem Weg zu einem Rockkonzert in Köln waren. Solche Informationen würden ja auch nur das Bild zerstören, das wir mühevoll vor den geistigen Augen unserer Rezipienten aufzubauen versuchen. Die Möglichkeit, dass die derart übergangenen Indie-Kiddies der Stadt per Leserbrief auf ihre Unterschlagung hinweisen könnten, lösen wir mit einem kleinen Logikwölkchen: Es gibt sie ja gar nicht, haben wir gerade noch geschrieben.

Als die Kids die beiden Bandmitglieder, begleitet von der Presse, auf sich zukommen sehen, fahren sie nervös aus ihren lässigen Posen auf.

Geschickt gerettet: Die drei Leser, die sich jetzt wundern könnten, wo denn plötzlich bemüht lässige “Kids” (als Musikjournalist sollte man das Wörterbuch der Jugendsprache stets bei sich führen, und wenn es die Ausgabe von 1991 ist) herkommen, müssen jetzt alle Hirnmasse auf die Vorstellung verwenden, wir selbst liefen wie in einem Hollywoodfilm der dreißiger Jahre mit einem Pappkärtchen mit der Aufschrift “Presse” im Hutband durch die Gegend.

Hatten wir überhaupt schon erwähnt, wo diese langweilige Kleinstadt, die kein Schwein kennen muss, liegt? Nein? Dann ist jetzt die Gelegenheit, auf das Ruhrgebiet hinzuweisen und gleich eine weitere LKW-Ladung Klischees über Text, Lesern und Landschaft auszukippen:

Ganz ruhrgebietstypisch. Natürlich ist die örtliche Zeche mittlerweile nicht mehr in Betrieb. Natürlich sind alle Arbeiter entlassen – bis auf ein paar, die mit dem Abbau der Maschinen beschäftigt sind. Von Momenten an solchen Orten weiß im Ruhrgebiet jeder etwas zu erzählen. Auch die Kilians. Zechengeschichten sind in der Regel Nachtgeschichten, sie handeln von Alkohol und davon, irgendwo draufzuklettern und in den Sternenhimmel zu schauen.

Es ist egal, wenn dem Absatz nichts vorausging, worauf sich das “ruhrgebietstypisch” beziehen könnte, denn wir nähern uns dem Höhepunkt:

Alles, was von solchen erhöhten Standorten zu sehen ist, wenn man etwas tiefer blickt, ist: Kohle, Stahl und graue Wolken. All das impliziert in dieser Gegend zwangsläufig immer auch eines: das Scheitern. Für eine Rockband sind das lehrreiche Erfahrungen. Bewusst oder auch nicht, die Kilians haben ihre Schlüsse daraus gezogen.

Jaaaaa, diese vier Sätze sind von unendlicher Weisheit und Tiefe. Zunächst einmal wissen die Leser anschließend, dass die (natürlich immer “grauen”) Wolken im Ruhrgebiet niedriger hängen als irgendwelche Sachen (Abraumhalden, Fördertürme, Musikjournalistenegos), auf die man “draufklettern” kann, hoch sind. Dann lernen sie, dass Kohle, Stahl und eben jene grauen Wolken nichts anderes sind als Metaphern für “das Scheitern” und nicht etwa industrielle Rohstoffe (die ersten beiden) und Wetterphänomene (letzteres).

Aber weiter im Text: Scheitern, Kohle, Stahl und Wolken – all das sind “lehrreiche Erfahrungen”, aus denen die jetzt doch mal wieder namentlich zu erwähnende Band ihre Schlüsse gezogen hat. Spätestens hier werden sich selbst Distinktionserfahrene Leser aus Hamburg und Berlin, Düsseldorf oder Köln von Minderwertigkeitskomplexen geplagt auf dem Boden wälzen und rufen: “Großer Musikjournalist, ich bin unwürdig, Deinen Ausführungen zu folgen, aber sprich weiter und vergiss auch die Fremdwörter nicht, die Du Dir im ‘Adorno für Anfänger’-Seminar auf der Rückseite Deines Collegeblocks notiert hast!”

Damit haben wir sie im Sack und können noch ein paar Zitate der Bandmitglieder einstreuen. Die interessieren zwar weder uns, noch die Leser, aber eine Bandreportage ohne Band wirkt halt immer etwas schwach. Dafür können wir sie mit gehässigen, kleinen Partikeln anmoderieren, die transportieren, dass immer nur der doofe Sänger geredet hat:

Wiederum Simon: “Wir glauben, dass die Leute hier auf so was warten. Sie wollen, dass hier nicht nur lokale Acts spielen, sondern auch welche, die sie aus dem Radio kennen. Die Bühne soll auf der Wiese stehen, und das Feuerwehrhaus dort hinten wird der Backstagebereich.”

Jetzt fehlt nur noch ein Schlusssatz, der das bisher Gelernte zusammenfasst:

So sieht DIY aus, wenn er nicht aus Washington oder Olympia, sondern aus Dinslaken kommt.

Es wird schon niemand fragen, warum wir von einem Bundesstaat oder einer Stadt reden, von der außer uns noch 23 Personen wissen, dass sie als Neben-Hochburg des amerikanischen Indierocks gilt. Wenn sich überhaupt noch jemand etwas fragt, dann, wie wohl DIY aussehen könnte, bei dem man nicht alles selber macht.

Wenn wir diese einfachen Regeln befolgen, werden wir bald schon alle fantastische Bandporträts schreiben können, die das Zentralorgan des deutschen Qualitätsmusikjournalismus, der/die/das Intro sicher gerne abdruckt.

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Musik

It’s gonna be an easy ride

Jacqui Naylor (photo by Thomas Heinser)Es gibt Alben, die sind so Genre-sprengend, dass sie haarscharf an jeder Zielgruppe vorbeischrammen. “The Color Five” von Jacqui Naylor könnte so ein Fall sein: Eigentlich ist die Kalifornierin Jazzsängerin, aber ihre Alben und Konzerte öffnen auch die Schubladen “Folk” und “Pop” so weit, dass die Kommode, auf der groß “Musikgenres” steht, und die Musikjournalistenmetaphern um die Wette auseinanderfallen.

Gemeinsam mit ihrer (sehr guten, aber dazu kommen wir noch) Band hat Jacqui Naylor etwas erfunden, was sie “acoustic smashes” nennt: Singt Naylor den Text eines Popsongs (“Hot Legs” von Rod Stewart”, “I Still Haven’t Found What I’m Looking For” von U2, “Lola” von den Kinks), spielt die Band dazu einen Jazzstandard (“Cantaloupe Island” von Herbie Hancock, “All Blues” von Miles Davis, “Sidewinder” von Lee Morgan); singt Naylor einen … nun ja: etwas abgegriffenen Klassiker wie das unvermeidliche “Summertime” von George und Ira Gershwin, bemerkt man das vielleicht gar nicht auf Anhieb, weil die Band lieber “Whipping Post” von den Allman Brothers spielt. Hört sich kompliziert, merkwürdig oder schlicht unvorstellbar an? Hier kann man in alle Songs reinhören und sich davon überzeugen, dass es ziemlich gut klingt.

Ein Drittel der fünfzehn Songs sind diese “acoustic smashes”, ein Drittel “normale” Coverversionen und ein Drittel Originals, also Songs, die Naylor und ihr Musical Director Art Khu selbst geschrieben haben. Das nicht gänzlich unrenommierte Magazin “Jazz Times” verglich das Songwriting der beiden mit dem der nicht gänzlich unbedeutenden Joni Mitchell und Paul Simon, und ich möchte wenigstens noch Sara McLachlan, Tori Amos und Neil Finn namedroppen. “Easy Ride From Here” z.B. ist ein derart runder Popsong, dass ich ihn bitte in den nächsten Jahren in mindestens fünf verschiedenen romantischen Komödien oder amerikanischen Hochglanzserien hören möchte.

Ich weiß nicht, ob ich je von Jacqui Naylor erfahren hätte, wenn ich sie nicht persönlich kennengelernt hätte; ob ich auch so von ihrer Musik begeistert wäre, wenn ich sie nicht live gesehen hätte. Ihre Stimme bewegt sich zwischen butterweich und angenehm kratzig und ihre Band … Ach, diese Band: Jazzmusikern zuzusehen, ist für Menschen wie mich, die stolz sind, drei Akkorde fehlerfrei greifen zu können, immer in gleichem Maße beeindruckend wie ernüchternd. Diese Band ist besonders tight (ist “tight” überhaupt eine Vokabel, die zum Beschreiben von Jazzbands geeignet ist?): Art Khu könnte man vermutlich ein Alphorn in die Hand drücken und nach fünf Minuten würde er dem Instrument lieblichste Töne entlocken, Drummer Josh Jones spielt nicht nur die vertracktesten Beats und Rhythmenwechsel, er grimassiert dabei auch noch, als müsse er während des Konzerts noch einer Gruppe durchgeknallter Comiczeichner Modell sitzen.

Es gibt Alben, die sind so Genre-sprengend, dass sie jede Zielgruppe begeistern. “The Color Five” von Jacqui Naylor könnte so ein Fall sein.

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Musik Print

“Wie man’s spricht!”

Eine der wichtigsten Regeln, die man lernt, wenn man für die Lokalredaktion einer Tageszeitung erste Berichte über Kaninchenzüchtervereine und Schultheateraufführungen schreibt, lautet: “Frag lieber noch mal nach, wie man den Namen richtig schreibt!”

Das gilt natürlich hauptsächlich für Kaninchenzüchter wie Manfred Subczierczyk und Nachwuchsschauspielerinnen wie Sabina Schneyda. Bei Rockstars, die man zwecks O-Ton-Absonderung kontaktiert, muss man nicht mehr unbedingt nachfragen. Das würde ja irgendwie peinlich wirken und man kann ja zur Not im Internet nachschauen, wie der Interviewpartner richtig geschrieben wird.

Sollte man vielleicht sogar:
Wer ist Tees Ullmann?
(Screenshot: taz.de, Hervorhebung: Coffee & TV)

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Digital

M wie ‘Maren Gilzer’

VISIONS.de möchte ein M kaufen

Screenshots: visions.de, netvibes.com

Hmmm, liebe Leute bei VISIONS.de, da ging wohl erstmal eine fehlerhafte Überschrift in den RSS-Feed, was?

Nachtrag 20:03 Uhr: Jetzt lautet die Überschrift im Feedreader so:
Scherzhafte Absage