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Musik

Aber hier leben? Nein, Danke!

Aus dem aktuellen Tocotronic-Newsletter:

Liebe FreundInnen,
es ist unfassbar: Anläßlich des Tages der Deutschen Einheit hat der ansonsten von uns hochgeschätzte Musikvideosender MTV auf seiner Internetseite unter der Überschrift “Heimatmelodien” (!) ein Voting für den besten deutschen Songtext (“Deutschland – Land der Dichter und Denker”) gestartet. Auch unsere Gruppe, Tocotronic, ist dort mit dem Text zu dem Lied “Imitationen” vertreten. Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir nichts, aber auch gar nichts von unserer Teilnahme an dieser höchst zweifelhaften Aktion gewußt haben und wir auch nichts von solchen heimatduseligen Lyrikwettbewerben halten. Im Gegenteil: Eine solches Voting repräsentiert so ziemlich das genaue Gegenteil der von uns propagierten Inhalte. Dies nur mal so nebenbei.
Viele Grüsse
Tocotronic

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Musik Digital

mtv.de geht im Whirlpool unter

mtv.de würde ich aus guten Gründen nicht als meine bevorzugte Nachrichtenquelle für den Bereich Musik und Entertainment bezeichnen. Aber manchmal schicken einen Google Alerts eben auf solche Seiten.

Zum Beispiel zu solchen Überschriften:

Britisches Gericht verbietet Babyshambles!

“Holla”, denkt man da natürlich, “sind wir schon wieder so weit?” Dann liest man den dazugehörigen Artikel, wundert sich, liest ihn noch einmal und ist sich anschließend sicher, ihn Schritt für Schritt durchgehen zu müssen.

Fangen wir also an:

Die Babyshambles schaffen einen gefährlichen “Whirlpool-Effekt”. Uhhhh!

Vermeintliche Nachrichtenmeldungen, die mit Ausrufen wie “Uhhhh!”, “Wow!” oder “Aha!” aufwarten, kann man meistens getrost in die Tonne kloppen. Da findet sich jemand witzig und die Chancen stehen gut, dass sich kein weiteres intelligentes Lebewesen im ganzen Universum finden wird, das diese Ansicht teilt.

Pete und Co. wechseln zu schnell den Rhythmus!

Was uns dieser Satz sagen will, erfahren wir vielleicht später noch.

Die Babyshambles sollten eigentlich auf dem britischen “Moonfest” (29. – 31. August) in Wiltshire auftreten. Dies bereitete den Behörden anscheinend solche Sorgen, daß das örtliche Gericht kurzerhand den Auftritt verbot und schließlich das gesamte Festival abgesagt wurde. Mit rechten Dingen ist das Ganze nicht zugegangen. Es gab zwar Ermittlungen, jedoch weder eine ordentliche Gerichtsverhandlung noch wurde ein Bandmitglied oder Veranstalter befragt. Polizei und Gericht scheinen das Verbot unter sich ausgemacht zu haben.

Nun war ich nicht dabei, aber der Umstand, dass im “Guardian” der Veranstalter John Green von einem “Gerichtsverfahren” spricht, in dessen Verhandlungspause man ihm ein “Angebot” unterbreitet habe, könnte natürlich in gewisser Weise doch für Gespräche untereinander sprechen:

Green said police had offered him a deal during a pause in court proceedings to allow the night to go ahead if he agreed to spend more on security and removed Doherty from the lineup but he refused the “offer”.

Aber weiter im Text bei mtv.de:

Zur Info: Pete Doherty besitzt ein Haus in Wiltshire – was der örtlichen Polizei anscheinend gar nicht paßt. John Green, Veranstalter des “Moonfest” sagte laut nme.com hierzu:

“Sie [die Polizei] haben mir persönlich gesagt, daß es hassen, ihn hier wohnen zu sehen.”

Und so sagte er das laut nme.com:

“They [the police] told me privately they hate the fact he lives in Wiltshire and they don’t want him on their patch,” Green told the Guardian

Wir schalten nun um zum Freistil-Schwafeln:

Die absurde Geschichte nimmt allerdings echte Monty Python-Züge an, wenn man den Polizeibericht liest. Die Band schaffe einen “Whirlpool-Effekt” bei ihrem Publikum. Sie senke absichtlich den Rhythmus und zöge dann das Tempo wieder an, was “Gewalt-aufrufend” sei.

Zum Vergleich noch mal das Originalzitat, wiedergegeben von nme.com:

“What he does as part of his routine is to gee up the crowd. They speed up and then slow down the music and create a whirlpool effect in the crowd.

“They [the crowd] all get geed up and then they start fighting.”

Aber wir wollen nicht zu kleinlich sein. Wirklich absurd an der Geschichte ist wohl vor allem, dass die örtliche Polizei einen Geheimdienst-Beamten zu den Babyshambles befragt hat und dabei laut “Guardian” zu folgendem Ergebnis kam:

“Experts are telling us that the profile of fans that follow Pete Doherty and Babyshambles is volatile and they can easily be whipped up into a frenzy, whereas the profile of someone that would follow around Cliff Richard or Bucks Fizz, for example, is completely different.”

Das ist natürlich nur dann witzig, wenn man weiß, wer oder was Cliff Richard oder Bucks Fizz sind. Für Leser und Schreiber von mtv.de also eher nicht. Aber die haben eh einen anderen Humor:

Wow! Adam Ficek, Drummer der Babyshambles, hat’s erkannt:

“Die ganze Sache ist reif für eine Komödie.”

Ja, wow! Und so komödiantisch hat er’s gesagt:

Reacting to the police’s decision, Babyshambles drummer Adam Ficek said he was angry, but said that the band would try to organise an alternative show. “The whole thing is a farce, it’s almost comical,” he told NME.COM

Bleibt nicht viel mehr, als den Schlussabsatz von mtv.de in den Raum zu stellen:

Die Babyshambles versuchen nun, einen Alternativ-Gig zu organisieren. Wir warten’s ab, lachen uns schlapp und hoffen, daß die Queen sich bald einschaltet.

Bitte, liebe Leute von mtv.de: Könntet Ihr vielleicht beim nächsten Mal einfach jemanden schreiben lassen, der sich gerade nicht schlapptlacht, stattdessen mit Quellen und fremdsprachlichen Zitaten umgehen kann, und seine Stilblütenausbildung nicht in irgendeiner Lokalredaktion gemacht hat?

Sie, liebe Leser, lesen stattdessen vielleicht lieber diesen charmanten Kommentar von Tim Jonze im “Guardian”. Der ist wenigstens richtig lustig:

The closest you normally come to a riot here is when the battery on someone’s Nokia N93i camera-phone dies. Bands such as Coldplay and U2 are typical of your average stadium band, making mid-paced, epic music that is impossible to dance to without looking like someone’s “cool dad” (ie, the rest of the crowd).

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Digital

Rein und raus bei mtv.de

Mittwoch, 9. April 2008
mtv.de berichtet unter der Überschrift “Sexvideo – Jetzt auch Shakira?” über ein angebliches Sexvideo, das die Sängerin Shakira mit zwei Männern auf einer Yacht zeigen soll. Diese Geschichte ist falsch, es handelte sich dabei um den Aprilscherz eines argentinischen Radiomoderators (s.a. hier).

Noch am selben Tag weist ein Leser mtv.de mit zwei gleichlautenden Kommentaren auf diesen Fehler hier:

Verschwundener Kommentar bei mtv.de

Freitag, 11. April 2008
Nachdem ich die ganze Geschichte aufgeschrieben habe, schicke ich eine E-Mail an die Pressesprecherin von MTV, in der ich frage, warum man bei mtv.de auf den Leserkommentar nicht reagiert und die Sache nicht richtiggestellt habe. Außerdem will ich wissen, ob bei mtv.de die Kommentare unter den Artikeln überhaupt gelesen werden.

Am gleichen Tag geht bei mtv.de ein Wochenrückblick online, der unter anderem mit folgender Geschichte aufwartet:

Die Wochenhighlights bei mtv.de

Samstag, 12. April 2008
Als ich nachgucken will, ob sich bei mtv.de inzwischen etwas getan hat, stelle ich fest, dass die Geschichte nach wie vor unkorrigiert online steht – aber die Leserhinweise auf den Aprilscherz verschwunden sind.

Entsprechend sinnlos wirkt auch der Kommentar, der plötzlich Nummer 1 in der Liste ist:

Kommentar bei mtv.de

Weil mir das alles etwas merkwürdig vorkommt, kommentiere ich selber mal, und nach gut anderthalb Stunden sind wir schon zwei:

Kommentare bei mtv.de

Montag, 14. April 2008
Bei meinem Kontrollrundgang stelle ich fest, dass der Artikel und die neuen Kommentare immer noch da sind – nun ist aber plötzlich der Wochenrückblick aus dem Archiv von mtv.de verschwunden.

Die Falschmeldung führt unterdessen die Liste der “most wanted” (meistgeklickten) Nachrichten mit Abstand an:

Most wanted news bei mtv.de

Ich nutze das Kontaktformular in der Hoffnung, irgendjemanden zu erreichen, der mir erklären kann, warum a) die Falschmeldung nicht nach dem Leserhinweis korrigiert, sondern anderthalb Tage später noch einmal im Wochenrückblick wiederholt wurde, b) der entsprechende Leserkommentar plötzlich verschwunden ist, c) der ganze Wochenrückblick unauffindbar ist und d) ob angedenk der Reaktionen auf diesen Artikel die Kommentare bei mtv.de überhaupt gelesen würden:

Gaga-Kommentare bei mtv.de

Als ich spätabends noch einmal meine E-Mails checke, habe ich immer noch keine Antwort von mtv.de bekommen. Der zuvor verschwundene Wochenrückblick ist aber plötzlich wieder online und taucht auch im News-Archiv wieder auf:

Die Wochenhighlights bei mtv.de

Dafür sieht die Liste der “most wanted” Nachrichten plötzlich so aus:

Most wanted news bei mtv.de

Dienstag, 15. April 2008 (Update)
Die Pressesprecherin von MTV ruft mich an, um mir zu erklären, dass mtv.de ein großer Laden sei, wo nicht alle Kommentare sofort gelesen würden. Was mit den Hinweisen des Lesers passiert sei, werde noch geprüft. Der Wochenrückblick sei vermutlich im Zuge eines Datenbank-Updates kurzzeitig verschwunden, ein Hinweis auf den Aprilschertz werde eingebaut.

Noch warten wir darauf.

Mittwoch, 16. April 2008 (2. Update)
mtv.de muss ein sehr großer Laden sein: Es fehlt nämlich immer noch jeder Hinweis auf den Aprilscherz. Dafür steht dort seit gestern ein weiterer Leserkommentar:

Noch ein Leserkommentar bei mtv.de

Freitag, 18. April 2008 (3. Update)
Ich habe mich geirrt: mx weist in den Kommentaren darauf hin, dass mtv.de sehr wohl bereits am Dienstag klargestellt hat, dass es sich um einen Aprilscherz handelt – allerdings in einem Extra-Artikel!

In bester “Bild”-Manier heißt es dort, “jetzt” sei herausgekommen, dass es sich um einen Aprilscherz gehandelt habe. Außerdem schließt der Text mit einem selten dämlich Hintertürchen-Satz:

Vielleicht hat mtv.de ja doch recht gehabt

Wer durch Zufall auf den Ursprungsartikel stößt, muss immer noch glauben, dass ein solches Video existiert.

Immerhin im Wochenrückblick taucht die Korrektur auf – wenn auch irgendwie komisch formuliert:

mtv.de bedauert, dass es kein Sex-Video von Shakira gibt

Donnerstag, 22. Mai 2008 (4. Update)
Ich habe gerade spaßeshalber noch mal nachgeschaut: tatsächlich hat mtv.de es irgendwann in den letzten fünf Wochen geschafft, den Ursprungsartikel doch noch zu bearbeiten.

Er endet jetzt wie folgt:

mtv.de erklärt, dass es doch kein Shakira-Sex-Video gibt

Ich beschließe, den Rechtschreibfehler zu ignorieren und den Fall als abgeschlossen zu betrachten.

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Print Digital

Latte niedriger gelegt

heute-online.ch, 7. April:

Flotter Dreier mit Shakira auf Sextape?

orf.at, 9. April:

Shakira: Beim flotten Dreier gefilmt?

nachrichten.ch, 9. April:

Shakira beim flotten Dreier gefilmt?

mtv.de, 9. April:

Sexvideo - Jetzt auch Shakira?

rp-online.de, 9. April:

Erpressung mit Shakira-Sex-Video?

Alle diese Fragen lassen sich recht einfach beantworten:

NEIN!

Wenn die Menschen, die diese Überschriften in ihre Redaktionssysteme getippt haben, am gleichen Computer kurz eine Google-Anfrage (in etwa shakira sex tape oder artverwandtes) gestartet hätten, wären sie eventuell auf diese neuseeländische Nachrichtenseite gestoßen, auf dieses Blog bei sfgate.com oder auf diesen Beitrag bei popcrunch.com. Sie hätten binnen Sekunden herausgefunden, dass die “Gerüchte”, nach denen “angeblich” ein Video existieren “soll”, das Shakira bei einem “flotten Dreier” zeigt, auf einem Aprilscherz beruhen.

Als schweizer, österreischische und deutsche Medien die Geschichte am Mittwoch dieser Woche aufzugreifen begannen, war also schon vier bis sechs Tage klar, dass sie nicht stimmt. Bei mtv.de fragte ein Kommentator bereits am Mittwochabend, warum man dort einen aufgeklärten Aprilscherz verbreite – und erhielt wenig überraschend keine Antwort. Die schweizer Boulevard-Seite 20minuten.ch hat ihre Geschichte vom Dienstag ohne einen weiteren Kommentar aus dem Netz genommen, im Google-Archiv kann man sie aber noch nachlesen und sich darüber wundern, dass dem zuständigen Mitarbeiter bei seiner angeblichen Onlinerecherche nichts aufgefallen sein soll:

Wie der Onlinedienst und weitere Blogs berichten, soll das erotische Streifchen ein offizielles Beweisstück in einem Prozess sein, den Sanz gegen zwei ehemalige Angestellte führe.

Der “Berliner Kurier” geht gestern (10. April) zwar auf die Zweifel an der Geschichte ein

Pech nur, dass die Pop-Amazone und ihre zwei Galane von dem Dreier gar nichts mitbekommen haben wollen. Vertreter des Trios sagten: “Es gibt keine Möglichkeit, dass ein solches Video existiert. Es handelt sich um ein bösartiges Gerücht ohne Basis.”

schafft aber in der Überschrift kackendreist Fakten:

Shakira beim Sex mit zwei Männern gefilmt

Besonders beeindruckend ist natürlich das, was Radio NRJ schreibt, wo man die Meldung offenbar als erstes deutschsprachiges Medium verbreitete:

Sowohl Shakira als auch Antonio de la Rúa und Alejandro Sanz dementieren die Berichte. Von einem April-Scherz ist die Rede…

Ich weiß jetzt einen weiteren Grund, warum ich Aprilscherze hasse: Weil Journalisten den Blödsinn auch nach der Aufklärung noch weiterverbreiten.

[via die Kommentare bei Stefan Niggemeier]

Nachtrag, 16:55 Uhr: Bei RP-Online hat man’s bemerkt und reagiert entsprechend:

RP-Online entschuldigt sich.

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Digital Leben

Vater “werden” ist nicht schwer

Jetzt frage ich mich doch wirklich, ob man etwas werden kann, das man bereits ist.

Wird Pete Doherty Vater?
[Ausrisse: mtv.de]

Ich wünsche mir eine Diskussionsrunde mit Bastian Sick und Peter Sloterdijk, die dieser Frage auf den Grund geht.

Noch fraglicher ist allerdings, wie mtv.de zu diesem Satz kam:

Die Einser-Schülerin, die einen Platz an der Eliteuniversität Harvard in Aussicht hat, sei sich ganz sicher, so ihr Vater der britische Fußball-Boss Sir Alex Ferguson: ‘Das Baby ist von Pete, da besteht gar kein Zweifel!’

Denn erstens ist Ferguson nicht der Vater (father), sondern der Patenonkel (godfather) der schwangeren Frau und zweitens hat sich der Fußballmanager noch gar nicht zu dem Thema geäußert – und wird es wohl auch bleiben lassen, wenn er einigermaßen klug ist.