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Musik

Heimspiel

Manch­mal ist es erstaun­lich, Freun­de nach eini­ger Zeit wie­der­zu­se­hen: Man fühlt sich dann wie die eige­nen Groß­tan­ten, die einem als Kind immer in die Backe knif­fen und „Du bist aber groß gewor­den!“ rie­fen. Denn ges­tern habe ich mei­ne Freun­de von den Kili­ans nach fast einem Jahr zum ers­ten Mal wie­der live auf der Büh­ne gese­hen. Und wäre ich nicht ein Fan der aller­ers­ten Stun­de, ich wäre ges­tern einer gewor­den.

Doch der Rei­he nach: Im Rah­men der sym­pa­thi­schen Ver­an­stal­tungs­rei­he Fan­tas­ti­val, die sich seit vie­len Jah­ren erfolg­reich bemüht, ein­mal im Jahr Kul­tur in mei­ne Hei­mat­stadt zu holen, fand in die­sem Jahr ein „School’s Out“-Festival statt, für das die Ver­an­stal­ter neben den Lokal­ma­ta­do­ren Kili­ans auch Rear­view und Mas­sen­de­fekt gebucht hat­ten – zwei Bands, von denen ich offen gestan­den vor­her noch nie etwas gehört hat­te. Nach­dem der Kar­ten­preis von 16 auf taschen­geld­freund­li­che­re fünf Euro gesenkt wor­den war, lief auch der Vor­ver­kauf ganz ordent­lich und da Jugend­li­che in ihrer eige­nen Stadt lie­ber an die Abend­kas­se gehen, war das his­to­ri­sche Burg­thea­ter dann auch ganz gut gefüllt.

Eröff­net wur­de der Rei­gen von Wit­hout Wax aus Wesel, die die­sen Auf­tritt bei einer Art Talent­wett­be­werb im Vor­feld gewon­nen hat­te. Deren Gig habe ich lei­der prompt ver­passt, weil ich grund­sätz­lich immer zu spät los­kom­me, aber Erzäh­lun­gen glaub­haf­ter Quel­len zufol­ge war die Band „jün­ger als Tokio Hotel“ und musi­ka­lisch sehr gut.

Dann ging es wei­ter mit Rear­view, einer Band aus Ver­damm­tich­fin­dek­ei­ne­Stadt­in­der­Pres­se­info, die anfangs ein biss­chen klan­gen, als sei Dia­na Ross mit Rage Against The Machi­ne als Back­ing Band auf Tour (doch, das geht!) und sich danach irgend­wo zwi­schen Kre­zip und Skunk Anan­sie ein­sor­tier­ten. Gar nicht mal so schlecht, aber als deut­sche Band Ansa­gen auf Eng­lisch machen und das Publi­kum belei­di­gen gibt Abzü­ge in der B‑Note.

Es folg­ten nicht Mas­sen­de­fekt (wg. Krank­heit, wie man hör­te), wes­we­gen ich immer noch nicht weiß, wie die­se Band klingt. Wobei ich es mir auf­grund des Band­na­mens irgend­wie vor­stel­len kann. Ich hat­te unter­des­sen mei­ne Posi­ti­on als Bier­trin­ken­der Kon­zert­be­su­cher gegen die der Bier­trin­ken­den Aus­hil­fe am Kili­ans-Merch-Stand ein­ge­tauscht und ver­kauf­te klei­nen Kin­dern (wirk­lich klei­nen Kin­dern) Band-T-Shirts in Grö­ße S und ihre ver­mut­lich ers­te CD ever (wel­che sich spä­ter in Knei­pen­ge­sprä­chen und Musik­zeit­schrift-Fra­ge­bö­gen natür­lich ungleich bes­ser macht als, sagen wir mal: die Light­house Fami­ly). Zu abso­lut Schul­kin­der­freund­li­cher Zeit (und das am letz­ten Schul­tag!) enter­ten die Kili­ans des­halb schon gegen halb neun die Büh­ne und das Publi­kum, das Rear­view noch so bru­tal teil­nahms­los gegen eine Wand aus Sitz­bän­ken hat­te anro­cken las­sen, geriet in Wal­lung.

Nun muss man zwei Din­ge wis­sen: Ers­tens steht die Büh­ne im Dins­la­ke­ner Burg­thea­ter auf einer Empo­re, zu der eini­ge sehr hohe Stu­fen hin­auf­füh­ren, und zwei­tens ist die ört­li­che Dorf­ju­gend dafür bekannt, sich auch bei lieb­li­chen Indie­kon­zer­ten auf­zu­füh­ren, als sei man gera­de auf einem jener Hard­core-Kon­zer­te, zu denen einen Mami und Papi nie hin­fah­ren las­sen. Ich hal­te Mos­hen bei Rock­kon­zer­ten eh für über­aus unhöf­lich gegen­über den Kon­zert­be­su­chern, die sich das Kon­zert genuss­voll und ohne kör­per­li­che Beein­träch­ti­gung anse­hen wol­len, – wil­des Her­um­ge­schub­se auf den Trep­pen­stu­fen und eine Wall Of Death (na ja: eher ein Mäu­er­chen of Unwohl­sein) bei einem Kili­ans-Kon­zert sind aber auch bei ver­ständ­nis­volls­ter Aus­le­gung von Spaß fehl am Plat­ze.

Nach nur weni­gen Lie­dern hat­ten die über­rasch­ten Ver­an­stal­ter auch schon bemerkt, was da vor sich ging (wer sonst Götz Als­mann, die Neue Phil­har­mo­nie West­fa­len und Musi­cal­stars auf­tre­ten lässt, mag vom Ver­hal­ten der loka­len Jugend in der Tat auf dem fal­schen Fuß erwischt wor­den sein) und trieb die kri­ti­sche Mas­se mit Flat­ter­band die Trep­pe hin­un­ter. Ein Jugend­li­cher wur­de, nach­dem er trotz­dem vor der Büh­ne wei­ter­ge­tanzt und sich gegen die Ord­ner zur Wehr gesetzt hat­te, von zwei Secu­ri­ty­kräf­ten aus dem Burg­thea­ter geschleift und es ist alles in allem bei­na­he beru­hi­gend, dass nur ein Kon­zert­be­su­cher mit einer blu­ti­gen Nase ins Kran­ken­haus (wie es hieß) muss­te. Für Sekun­den­bruch­tei­le schos­sen mir näm­lich auch – sicher völ­lig über­trie­ben – Bil­der vom Wald­büh­nen­kon­zert der Rol­ling Stones 1965 durch den Kopf.

Aber reden wir nicht von dum­men Kin­dern und unvor­be­rei­te­ten Ver­an­stal­tern, reden wir von der Band, der ich aus tiefs­ter Über­zeu­gung zutraue, neben den Beat­steaks eine der wich­tigs­ten eng­lisch­spra­chi­gen Indie-Bands Deutsch­lands zu wer­den: den Kili­ans. (Zwi­schen­ruf: „Wel­che eng­lisch­spra­chi­gen Indie-Bands gibt es denn in Deutsch­land über­haupt noch neben den Beat­steaks?“ Ant­wort: „Slut, Pale, The Robo­cop Kraus und bestimmt noch ein paar wei­te­re, die mir gera­de par­tout nicht ein­fal­len wol­len. Dan­ke!“) Die Kili­ans jeden­falls haben im letz­ten Jahr der­art viel Live-Erfah­rung gesam­melt, dass sie fast nicht wie­der­zu­er­ken­nen waren: Waren sie Anfangs eine sehr gute, aber mit­un­ter etwas unbe­hol­fen wir­ken­de Live­band, sind sie inzwi­schen rich­ti­ge Pro­fis. Auch ohne mei­ne per­sön­li­che Bezie­hung zu der Band wür­de ich sie für eine der bes­ten des Lan­des hal­ten.

<mode=„lokalzeitung“>Und so folg­te ein Hit dem nächs­ten und wenn die Band gera­de nicht rock­te, unter­hielt Sän­ger Simon den Har­tog, der gera­de sein Abitur gemacht hat, das Publi­kum mit lau­ni­gen Ansagen.</mode=„lokalzeitung“>

Im Ernst: Das macht er inzwi­schen ganz toll und das ein­zi­ge, was man ihm dabei vor­wer­fen könn­te ist, dass er viel­leicht ein­mal zu oft mit dem Band-Zieh­pa­pa Thees Uhl­mann von Tom­te rum­ge­han­gen und sich einen Tacken zu viel von des­sen Büh­nen­prä­senz abge­schaut hat – wobei es da sicher auch bedeu­tend schlim­me­re Vor­bil­der gäbe. Sie haben eini­ge neue Songs gespielt, die ich noch gar nicht kann­te, und die (neben den stets zu erwäh­nen­den Strokes) unter ande­rem nach The Coo­per Temp­le Clau­se, The Smit­hs und Radio­head klan­gen. Und dazu natür­lich die gan­zen schon bekann­ten Über­songs wie „Jea­lous Lover“, „Insi­de Out­side“, „Diz­zy“, „Take A Look“ und die Sin­gle „Fight The Start“. Wenn man ein Kili­ans-Kon­zert beschrei­ben will, will man sich fast an den ekli­gen Rock­jour­na­lis­ten­vo­ka­beln „tight“ und „erdig“ ver­grei­fen, aber man kann sich ja in die weni­ger schreck­li­chen Gefil­de der Fan­spra­che flüch­ten und das gan­ze ein­fach „toll“ nen­nen.

Wer die Kili­ans in die­sem Som­mer noch live erle­ben will, hat dazu zahl­rei­che Gele­gen­hei­ten, die man alle auf der Band­sei­te nach­le­sen kann. In knapp einer Stun­de wer­de ich sie schon auf dem Bochum Total wie­der­se­hen – im strö­men­den Regen, wie es im Moment aus­sieht.

Nach­trag 22. Juni: Jetzt ist das mit der Lokal­zei­tungs-Vor­her­sa­ge schon wie­der schief­ge­gan­gen. Dafür erfah­ren wir aus der NRZ, dass der Ver­letz­te meh­re­re Zäh­ne ver­lo­ren hat, und es gibt ein klei­nes Logi­krät­sel um die Kon­junk­ti­on „denn“:

Die NRZ (Lokalseite Dinslaken) über die Kilians