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Zu früh geärgert

Vor zwei Wochen haben wir den 18. Geburts­tag die­ses Blogs gefei­ert, jetzt kön­nen wir schon das nächs­te Jubi­lä­um bege­hen. Heu­te vor zehn Jah­ren habe ich das abge­setzt, was mein erfolg­reichs­ter Tweet (eine Kate­go­rie, bedeu­tend trau­ri­ger als „Viert­bes­ter Tor­schüt­ze der Rück­run­de in der Kreis­li­ga C“) wer­den soll­te:

Tweet vom 24. Februar 2015: Wir sind im Jahr 2015 und die großen Themen lauten Religion, Meinungsfreiheit und Impfen. Wollen wir eigentlich unsere Vorfahren verarschen?

Ich bin mir rela­tiv sicher, mich erin­nern zu kön­nen (und wir wis­sen alle, was das bedeu­tet), wie ich die­sen Tweet zwi­schen „War­ten am Bochu­mer Haupt­bahn­hof“ und „Ein­stei­gen in den Regio­nal­ex­press nach Köln“ geschrie­ben und abge­schickt habe (des­we­gen auch die etwas merk­wür­di­ge Posi­tio­nie­rung des Adverbs „eigent­lich“ vor dem Akku­sa­tiv-Objekt, die mich seit dem ers­ten Moment stört), aber ich bin etwas rat­los, wel­che damals aktu­el­len Debat­ten ich damit kom­men­tie­ren woll­te. Die „Tages­schau“ vom Vor­abend ist schon mal kei­ne Hil­fe.

Die The­men „Reli­gi­on“ und „Mei­nungs­frei­heit“ mögen mit den Anschlä­gen auf die Redak­ti­on des fran­zö­si­schen Sati­re­ma­ga­zins „Char­lie Heb­do“ sie­ben Wochen zuvor zusam­men­hän­gen, auch wenn es aus heu­ti­ger Sicht eini­ger­ma­ßen unvor­stell­bar erscheint, dass ein Ereig­nis der­art lan­ge medi­al ven­ti­liert wird. „Imp­fen“ hat, wie ich jetzt ergoo­geln konn­te, wahr­schein­lich etwas mit einem Masern­aus­bruch zu tun, zu dem sich der Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter, offen­kun­dig ein Mann mit dem Namen Her­mann Grö­he, am glei­chen Tag äußer­te.

Wie es so oft ist: Man kann nicht vor­her­sa­gen oder kon­trol­lie­ren, was „viral geht“. So erreich­te mei­ne etwas nebu­lö­se Gesell­schafts­kri­tik schon in den ers­ten Stun­den Hun­der­te „Ret­weets“ und „Likes“ und ich bekam mei­ne wei­te­re gerech­te Stra­fe in Form eines eige­nen Arti­kels bei „Focus Online“. Ich ent­neh­me mei­nen Auf­zeich­nun­gen, dass ich offen­bar eini­gen uner­wünsch­ten Zuspruch von Ras­sis­ten auf Face­book bekom­men habe, und der „Focus Online“-Text deu­tet an, wie die­se Leu­te auf die fal­sche Fähr­te kom­men konn­ten:

In der Tat liegt Hein­ser nicht falsch: Der Islam und wie der Wes­ten mit ihm umge­hen soll, ist nicht erst seit der Pegi­da-Bewe­gung ein heiß dis­ku­tier­tes The­ma in Deutsch­land.

Mei­ne flap­sig weg­for­mu­lier­te Äuße­rung lässt natür­lich auch ver­schie­de­ne Deu­tun­gen zu — das ist ja eines der vie­len Elen­de von maxi­mal ver­knapp­ten Online-Debat­ten. Mei­ne Blog-Ein­trä­ge und News­let­ter spren­gen nicht sel­ten die 10.000-Zeichen-Marke, Twit­ter erlaub­te damals offen­bar nicht mehr als 140. Wie hät­te ich da gleich­zei­tig Besorg­nis aus­drü­cken sol­len über Per­so­nen, die ihre Reli­gi­on so ernst neh­men, dass sie dafür Men­schen ermor­den, und gleich­zei­tig einer frem­den­feind­li­chen Pau­schal­kri­tik eine Absa­ge ertei­len? Ich weiß ja nicht mal mehr, wor­um es mir genau ging, außer, dass ich von Evo­lu­ti­ons­brem­sen genervt war.

Den­noch wirkt mein Tweet heu­te wie eine Fla­schen­post aus ein­fa­che­ren, fast sorg­lo­sen Zei­ten: Vor dem Spät­som­mer 2015, in dem sich Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel gegen eine Schlie­ßung der deut­schen Außen­gren­zen ent­schied und ihren anstän­di­gen Mini­mal-Huma­nis­mus mit dem Erstar­ken von offen frem­den­feind­li­chen Posi­tio­nen auf Social Media und in der deut­schen und euro­päi­schen Poli­tik bezah­len muss­te; vor der US-Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tur eines abge­half­ter­ten Rea­li­ty-TV-Stars; vor dem „Brexit“; vor dem Beginn des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne (aber nach der Anne­xi­on der Krim und dem Ein­marsch im Don­bass); vor dem Hamas-Ter­ror vom 7. Okto­ber 2023, der bis heu­te anhält, und dem ganz gro­ßen Das-wird-man-doch-noch-sagen-dür­fen-Back­lash. Fried­rich Merz war ein weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­te­ner Rechts­an­walt aus Düs­sel­dorf und die AfD stand in Wahl­um­fra­gen bei ca. 6%.

Es liegt eine beson­ders grob­schläch­ti­ge Iro­nie dar­in, dass der Ort, an dem ich mei­ne Gedan­ken damals wind­schief notiert habe, einer der Haupt­fak­to­ren der Ent­wick­lun­gen der nächs­ten Jah­re war: mit Fehl­in­for­ma­tio­nen zu Brexit und Hil­la­ry Clin­ton, zu COVID-19 und Imp­fun­gen, zu Geflüch­te­ten — und dann kam auch noch Elon Musk, der den gan­zen Bums auf­ge­kauft und zu einem Schmelz­tigel für Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen, Hass und alle Arten von Men­schen­ver­ach­tung opti­miert hat (wor­auf­hin Mark Zucker­berg für sei­ne Platt­for­men nach­zog).

Zwei wei­te­re Iro­nien lie­gen dar­in, dass mein Tweet aus­ge­rech­net heu­te Jubi­lä­um fei­ert, am drit­ten Jah­res­tag des offe­nen rus­si­schen Kriegs gegen die Ukrai­ne, und am Mor­gen nach einer Bun­des­tags­wahl, bei der die AfD auf 20,8% kam und eine Uni­on, die die Mer­kel-Ära abge­schüt­telt hat wie eine unge­lieb­te Jacke, in der Bun­des­re­gie­rung den Ton ange­ben wird.

Wahl­er­fol­ge mit rech­ter Rhe­to­rik ver­än­dern das gesell­schaft­li­che Kli­ma: Leu­te, die über Jah­re (zu recht) zu fei­ge waren, ras­sis­ti­sche, que­er­feind­li­che oder sonst­wie xeno­pho­be Kom­men­ta­re abzu­ge­ben, füh­len sich plötz­lich wie­der in der Mehr­heit, weil die Medi­en, rich­ti­ge wie Sozia­le, voll sind mit den gan­zen Unge­heu­er­lich­kei­ten (und ja auch lin­ke, auf­ge­klär­te Men­schen sie ger­ne noch ein­mal tei­len, um noch mal klar zu machen, wie unge­heu­er­lich sie sind). 

An einem Tag wie heu­te fällt es schwer, hoff­nungs­voll oder auch nur opti­mis­tisch zu sein: AfD-Wähler*innen wer­fen Nicht-AfD-Wähler*innen auf Social Media vor, dass ihnen der Tod von Opfern mut­maß­lich isla­mis­tisch moti­vier­ter Ter­ror­an­schlä­ge und Mor­de egal sei — als ob pro­gres­si­ve Men­schen nicht gegen Tota­li­ta­ris­mus, Patri­ar­chat und Gewalt wären, als ob der gefähr­lichs­te Ort für Frau­en nicht ihr eige­nes Zuhau­se oder Umfeld wäre und als ob eine sofor­ti­ge Schlie­ßung der Außen­gren­zen irgend­wel­che Aus­wir­kun­gen hät­te auf Men­schen, die hier unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen leben, unbe­han­del­te psy­chi­sche Pro­ble­me haben (womög­lich als Fol­ge von Trau­ma­ti­sie­rung in ihrer Hei­mat oder auf der Flucht hier­her) und emp­fäng­lich sind für men­schen­ver­ach­ten­de Wir-gegen-die-Nar­ra­ti­ve, die denen der AfD gar nicht so unähn­lich sind.

Jede „Migra­ti­ons­de­bat­te“ ist immer auch der sump­fi­ge, brau­ne Nähr­bo­den für blan­ken Ras­sis­mus, für ein Über­le­gen­heits­ge­fühl irgend­wel­cher Arsch­lö­cher, deren arg­los raus­ge­haue­nen Social-Media-Paro­len die Lebens­wirk­lich­keit mei­ner Freund*innen und der Freund*innen mei­nes Soh­nes bestim­men. Gleich­zei­tig glau­be ich, dass jede Social-Media-Empö­rung immer auch eine endo­ther­me Reak­ti­on ist, dass also die gan­ze Zeit von außen Ener­gie zuge­führt wer­den muss, damit sie am Kochen bleibt. Die­ses „außen“ sind natür­lich in ers­ter Linie Kräf­te wie Russ­land, Elon Musk und der Axel-Sprin­ger-Ver­lag, bei denen ich aktu­ell kei­ne Idee habe, wie man sie wie­der los wird oder wenigs­tens ihren Ein­fluss ein­schränkt (also: außer „Social Media abschal­ten“), aber ich wer­de weder die Hoff­nung, noch mein Enga­ge­ment gegen die­sen Wahn­sinn der ein­fa­chen Lösun­gen auf­ge­ben.

Ich bin jetzt 41 Jah­re alt und ich bin seit 41 Jah­ren auf Demos gegen Umwelt­zer­stö­rung und Nazis dabei. Ich bin es den Frau­en in mei­ner Fami­lie schul­dig, die sich seit Gene­ra­tio­nen für die Men­schen enga­giert haben, die von unse­rer Gesell­schaft an den Rand gedrängt und über­se­hen wur­den; die in Par­tei­en und Orga­ni­sa­tio­nen aktiv waren und 1938 anti­se­mi­ti­sche Mit­schü­le­rin­nen ver­dro­schen haben. Das sind die Vor­fah­ren, die ich mit mei­nem Tweet mein­te.

Kor­rek­tur, 4. März 2025: In der ers­ten Ver­si­on die­ses Blog­posts hat­te ich das Wort „eigent­lich“ als „Adjek­tiv“ bezeich­net. Im Fal­le des Tweets ist es aber ein­deu­tig ein Adverb. Mit Dank an K.!

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Dear Mr. President

Bevor heu­te Abend das tra­di­ti­ons­rei­che Fuß­ball­spiel zwi­schen Deutsch­land und Eng­land statt­fin­det (also das Auf­ein­an­der­tref­fen zwei­er einst ruhm­rei­cher Fuß­ball­na­tio­nen), möch­te ich noch ein­mal kurz dar­an erin­nern, was das für ein Ver­ein ist, dem Sie da heu­te ver­mut­lich die Dau­men drü­cken wer­den:

Nach­dem DFB-Prä­si­dent Theo Zwan­zi­ger in zwei Instan­zen mit sei­nem Ver­such geschei­tert war, dem frei­en Sport­jour­na­lis­ten Jens Wein­reich unter­sa­gen zu las­sen, ihn einen „unglaub­li­chen Dem­ago­gen“ zu nen­nen, hat der DFB am ver­gan­ge­nen Frei­tag eine gro­ße Ver­leum­dungs­kam­pa­gne gegen Wein­reich los­ge­tre­ten.

Dabei kehrt der DFB nicht nur die bei­den Gerichts­ent­schei­dun­gen zu Unguns­ten Zwan­zi­gers unter den Tep­pich, er ver­dreht in sei­ner Pres­se­mit­tei­lung auch mun­ter Sach­ver­hal­te und Begriff­lich­kei­ten. So scheu­en sich weder DFB noch Zwan­zi­ger, das Wort „Dem­ago­ge“ mit „Volks­ver­het­zer“ zu über­set­zen und aus­schließ­lich auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu bezie­hen.

Wer die Vita und das kon­se­quen­te Enga­ge­ment von Theo Zwan­zi­ger im Kampf gegen Neo-Nazis kennt, ver­steht selbst­ver­ständ­lich sei­ne Reak­ti­on. Denn als Dem­ago­ge wird ein Volks­ver­het­zer bezeich­net, der sich einer straf­ba­ren Hand­lung schul­dig macht.

(DFB-Vize­prä­si­dent Dr. Rai­ner Koch)

Wenn man eine sol­che Vita hat und außer­dem, wie ich, in Yad Vas­hem war, denkt man anders über die Din­ge nach. Ich bit­te um Ver­ständ­nis, dass mei­ne Emp­find­lich­keit, was die Nazi-Zeit angeht, grö­ßer ist, als das viel­leicht bei andern Leu­ten oder Jün­ge­ren der Fall ist.

(Theo Zwan­zi­ger im Inter­view mit „Direk­ter Frei­stoß“)

Alles wei­te­re kön­nen Sie bei Jens Wein­reich selbst und bei Ste­fan Nig­ge­mei­er nach­le­sen.

Jede Wet­te: wenn der Vor­stand eines Bun­des­li­ga­ver­eins so eine Show abzie­hen wür­de, wür­den die Fans anschlie­ßend im Sta­di­on mit Sprech­chö­ren und Trans­pa­ren­ten des­sen Abset­zung for­dern. Theo Zwan­zi­ger, der sich heu­te Abend mal wie­der mit der Bun­des­kanz­le­rin schmü­cken wird, muss so etwas kaum befürch­ten.

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Is‘ scho Recht!

Ich bin kein Jurist. Mei­ne eige­nen Bestre­bun­gen, mich den Rechts­wis­sen­schaf­ten zuzu­wen­den, zer­schlu­gen sich recht schnell, als ich mit 15 ein Prak­ti­kum in der Kanz­lei eines ver­wand­ten Anwalts mach­te und fest­stell­te, dass der All­tag eines Juris­ten aus sehr viel Büro­ar­beit und aus sehr wenig Hol­ly­woo­des­ken „Ein­spruch, Euer Ehren!“-Sequenzen besteht. Außer­dem habe ich ein aus­ge­präg­tes Gerech­tig­keits­emp­fin­den und wür­de ver­mut­lich nach jedem ver­lo­re­nen Pro­zess die Innen­ein­rich­tung des Gerichts­saals zer­stö­ren.

Das nur als Vor­be­mer­kung und Hin­weis dar­auf, dass ich mich juris­ti­schen Sach­ver­hal­ten immer nur aus einer Rich­tung nähern kann, die ich selbst als Logik bezeich­nen wür­de, und nicht aus der rechts­wis­sen­schaft­li­chen.

Kom­men wir nun aber zum kon­kre­ten Fall: Das für ori­gi­nel­le Urtei­le bekann­te Land­ge­richt Ham­burg hat in der Sache Cal­lac­ti­ve GmbH ./​. Nig­ge­mei­er II ent­schie­den, dass es für einen Blog-Betrei­ber nicht aus­rei­che, anstö­ßi­ge Kom­men­ta­re unter Blog-Ein­trä­gen bei Kennt­nis­nah­me sofort zu ent­fer­nen. Bei „bri­san­ten Ein­trä­gen“, so die Rich­ter, sol­le der Blog-Betrei­ber vor­ab die Kom­men­ta­re prü­fen. (Bit­te lesen Sie auch die Beschrei­bung des Falls im Augs­blog.)

Im Zusam­men­hang mit dem Inter­net (und damit im Unter­schied zu jeder Stamm­ti­sch­äu­ße­rung) wird immer wie­der damit argu­men­tiert, dass Äuße­run­gen ja dau­er­haft doku­men­tiert und welt­weit les­bar sei­en. Das stimmt natür­lich, inso­fern ist es durch­aus zu ver­ste­hen, wenn sich Per­so­nen oder Unter­neh­men, die in Blog-Ein­trä­gen oder Kom­men­ta­ren beschimpft oder ver­un­glimpft wer­den, um eine Löschung sol­cher Äuße­run­gen bemü­hen. Schließ­lich wür­de ich auch nicht wol­len, dass das obers­te Goog­le-Such­ergeb­nis zu mei­nem Namen „Lukas Hein­ser ist ein Hüh­ner­dieb“ lau­tet. ((Es wer­den noch Wet­ten ange­nom­men, wann die­ser Satz das obers­te Goog­le-Such­ergeb­nis zu mei­nem Namen sein wird.)) Indes: Ist der umstrit­te­ne Satz gelöscht, wäre ich schon zufrie­den, allen­falls wür­de ich den Autor des Sat­zes um die Unter­zeich­nung einer Unter­las­sungs­er­klä­rung bit­ten.

Die Halt­bar­keit und Ver­brei­tung des Inter­nets wird aber ande­rer­seits auch über­schätzt. Wie vie­le Men­schen mögen es zur Kennt­nis neh­men, wenn (wie im kon­kre­ten Fall) eine Schmä­hung von Sonn­tag­nacht 3:37 Uhr bis Sonn­tag­mit­tag 11:06 Uhr als x‑ter Kom­men­tar unter einem drei Mona­te alten Blog-Ein­trag steht? Da errei­che ich ja mehr Rezi­pi­en­ten, wenn ich mich am Sams­tag in die Fuß­gän­ger­zo­ne stel­le und „Ihr seid alle doof!“ rufe. Aller­dings scheint es juris­tisch völ­lig uner­heb­lich zu sein, ob und von wie vie­len Per­so­nen sol­che Äuße­run­gen auf­ge­nom­men wer­den.

Eine ande­re Sache ist die mit den „bri­san­ten Ein­trä­gen“: Wenn eine Zei­tung über ein The­ma wie Diä­ten­er­hö­hung, Aus­län­der­recht oder … äh … Auto­bah­nen schreibt, ist rela­tiv klar, dass an den fol­gen­den Tagen Wasch­kör­be vol­ler Leser­brie­fe ein­ge­hen, in denen sich Men­schen mit einer soli­den Halb­bil­dung und einer gro­ßen Men­ge Vor­ur­tei­le, an denen sie schwer zu tra­gen haben, mit Schaum vor dem Mund dar­an gemacht haben, ihrer Mei­nung auf sprach­lich anspruch­lo­ses­te Wei­se Aus­druck zu ver­lei­hen. Die­se Brie­fe wer­den gele­sen, es wird viel gelacht und mit dem Kopf geschüt­telt und die eini­ger­ma­ßen vor­zeig­ba­ren oder beson­ders ent­lar­ven­den wer­den dann in der Zei­tung abge­druckt. Bei den Inter­net­aus­ga­ben der Zei­tun­gen kann man Kom­men­ta­re abge­ben, die theo­re­tisch von gan­zen Redak­tio­nen über­prüft wer­den (meist aber eben auch erst nach Ver­öf­fent­li­chung), prak­tisch aber häu­fig einen Griff ins Stamm­tisch­klo dar­stel­len. Nur, dass ver­un­glimpf­te Volks­grup­pen eben kei­ne Prak­ti­kan­ten abstel­len, die den gan­zen Tag das Inter­net auf der Suche nach Belei­di­gun­gen gegen sie durch­su­chen, und auch nur sel­ten über Anwäl­te ver­fü­gen. Blog­ger haben kei­ne Mit­ar­bei­ter, die sich aus­schließ­lich mit der (Vorab-)Kontrolle der Kom­men­ta­re befas­sen kön­nen. Des­halb gibt es beim BILD­blog mit über 40.000 Lesern täg­lich zum Bei­spiel kei­ne Kom­men­tar­funk­ti­on.

Und was ist über­haupt mit den Glas­käs­ten, in denen die Lokal­re­dak­tio­nen einer Zei­tung immer die aktu­el­le Aus­ga­be aus­hän­gen? Was, wenn irgend­je­mand des Nachts mit einem Edding „Aus­län­der raus!“ unter einen Arti­kel zum Aus­län­der­recht krit­zelt? Macht sich die Zei­tung den Kom­men­tar dann auch „zu eigen“? Hat sie durch die „Bri­sanz des Ursprungs­ar­ti­kels“ „vor­her­seh­bar rechts­wid­ri­ge Bei­trä­ge Drit­ter pro­vo­ziert“? Wer­den durch die Bereit­stel­lung einer bekrit­zel­ba­ren Ober­flä­che bereits „Drit­te gera­de­zu dazu auf­ge­ru­fen, sich zu äußern“? Oder wiegt die Sach­be­schä­di­gung durch den Edding die ver­meint­li­che Pro­vo­ka­ti­on wie­der auf?

Den Gedan­ken mit der Wand, den Mal­te in sei­nem Ein­trag zum The­ma bei Spree­blick aus­führt, hat­te ich auch schon, spa­re ihn mir hier aber.

Als ich zum ers­ten Mal über die juris­ti­schen Schwie­rig­kei­ten mit Web-Kom­men­ta­ren geschrie­ben habe, schrieb ich auch über Ger­hard Schrö­der, der mit sei­nem gericht­li­chen Vor­ge­hen gegen die Behaup­tung, er wür­de sein vol­les dunk­les Haupt­haar tönen, den Jus­tiz-Irr­sinn in Deutsch­land Fri­seursalon­fä­hig gemacht hat­te (übri­gens eben­falls vor dem Ham­bur­ger Land­ge­richt). Schrö­der wur­de letz­te Woche wie­der auf­fäl­lig, als er anwalt­lich gegen die Behaup­tung vor­ging, er wür­de das chi­ne­si­sche Außen­mi­nis­te­ri­um bera­ten. Zuvor hat­te er es abge­lehnt, auf die Fra­ge, ob er das chi­ne­si­sche Außen­mi­nis­te­ri­um bera­te, zu ant­wor­ten.

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Neues aus der Anstalt

Es gibt The­men, mit denen will ich mich aus Rück­sicht auf mei­ne eige­ne Gesund­heit gar nicht mehr beschäf­ti­gen.

Lesen Sie also selbst zwei Mel­dun­gen über den öffent­lich-recht­li­chen Qua­li­täts­jour­na­lis­mus und des­sen Geld­ein­trei­ber:

Zum einen einen Arti­kel aus der „Bild“-Zeitung. Die­ser ist natür­lich mit beson­de­rer Vor­sicht zu genie­ßen, aber der geschil­der­te Fall hät­te auch über­all sonst ste­hen kön­nen und lässt – auch wenn er natür­lich auf­ge­bauscht wird – tief bli­cken.

Der ande­re Text steht bei Finblog.de und ist ein beein­dru­cken­des Bei­spiel dafür, wie weit man gehen kann, um unab­hän­gi­ge Bericht­erstat­tung und freie Mei­nungs­äu­ße­rung zu … äh: ver­tei­di­gen?

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Unwissenheit ist Stärke

Poli­ti­ker müs­sen kei­ne Ahnung haben, sie haben ja die Medi­en, die ihre dum­men Äuße­run­gen so lan­ge ver­brei­ten, bis jeder das Gere­de für bare Mün­ze nimmt und sich nie­mand mehr fragt, wovon er dort gera­de eigent­lich spricht.

So ver­mel­det Hei­se heu­te unter Beru­fung auf Reu­ters, der EU-Kom­mis­sar für Frei­heit, Sicher­heit und Recht, Fran­co Frat­ti­ni wol­le Such­ma­schi­nen davon abhal­ten, Ergeb­nis­se zu bestimm­ten Begrif­fen zu lie­fern:

„I do intend to car­ry out a clear explo­ring exer­cise with the pri­va­te sec­tor … on how it is pos­si­ble to use tech­no­lo­gy to pre­vent peo­p­le from using or sear­ching dan­ge­rous words like bomb, kill, geno­ci­de or ter­ro­rism,“ Frat­ti­ni told Reu­ters.

Die Such­ma­schi­nen­be­trei­ber sol­len also von staat­li­cher Sei­te auf­ge­for­dert wer­den, bestimm­te Inhal­te nicht mehr dar­zu­stel­len. Doch, das wäre end­lich mal eine Situa­ti­on, in der das Wort „Zen­sur“ gar nicht mehr so falsch wäre.

„to pre­vent peo­p­le from using […] dan­ge­rous words“ ist natür­lich sowie­so eine For­mu­lie­rung, bei der sich einem alles zusam­men­zieht. „Gefähr­li­che Wör­ter“ ist Vier­tel vor News­peak.

Die Mei­nungs- und Infor­ma­ti­ons­frei­heit sei indes nicht in Gefahr, ver­si­cher­te das Mit­glied der For­za Ita­lia:

Frat­ti­ni said the­re would be no bar on opi­ni­on, ana­ly­sis or his­to­ri­cal infor­ma­ti­on but ope­ra­tio­nal ins­truc­tions useful to ter­ro­rists should be blo­cked.

Wie genau das tech­nisch gehen soll, wird der gelern­te Jurist einer ver­mut­lich noch nicht mal erstaun­ten Welt­öf­fent­lich­keit dann wohl nächs­te Woche erklä­ren.

[via Spree­blick]