In den letzten Tagen habe ich meine halbe peer group zugeballert mit der Frage, ob sie ES denn schon gelesen hätten — um dann jeweils nachzuschieben, dass mit „ES“ nicht der so betitelte Roman von Stephen King gemeint sei, sondern das mit vielen überraschenden Großschreibungen durchzogene neue Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre (wobei es eigentlich in beiden um extrem gruselige Clowns geht).
„Noch wach?“ ist die Geschichte dreier Männer – ein Ich-Erzähler; ein mächtiger Medienmanager, der immer nur als „mein Freund“ vorgestellt wird; ein Chefredakteur in dessen Konzern, der jede Menge Affären mit ihm untergeordneten jungen Frauen unterhält -, und einigen dieser Frauen, die als einzige Charaktere Namen haben. Mehr oder weniger zufällig gerät der Erzähler in diesen Sumpf aus Machtmissbrauch, Männerkumpelei und politischer Radikalisierung. Eine #MeToo-Geschichte, die traurigerweise überall spielen könnte, im Text aber in einem Berliner Krawall-Fernsehsender, weswegen sich jetzt alle fragen, ob damit nicht eigentlich ein sehr konkretes Verlagshaus gemeint sein müsste.
Es ist schon amüsant, wenn auch auf Dauer deprimierend, zu sehen, wie das versammelte Feuilleton-Personal das Literaturgrundstudium in den Wind schießt und wie von Sinnen Autor und Erzähler, Fiktion und Realität (oder doch Wirklichkeit?) durcheinanderwirft und die ganze Zeit (und schon vor Veröffentlichung) einen „Schlüsselroman“ herbeisehnt. Da möchte man irgendwann nur noch rufen: Kinder, Schlüssel sind hier echt nicht das Problem, sondern Tassen und Latten. Im Schrank und … naja, lassen wir das.
Der unbedingte Wille zur Dechiffrierung ist sensationslüstern und ungerecht gegenüber dem Autoren, denn das Buch ist eben vor allem wahnsinnig gut geschrieben. Stuckrad-Barre kann, das beweist er jetzt auch schon seit über 25 Jahren, in Situationen das Wesentliche erfassen (was ja selten das ist, worüber alle reden würden) und beschreiben.
Damit macht „Noch wach?“ die ganze Drumherum-Berichterstattung absolut überflüssig. Es ist, gerade weil es sich immer wieder lustig macht über absolute Urteile und definitive Einschätzungen, ein beinahe komplettes Abbild der mittleren 10er bis frühen 20er Jahre. Ein etwas zu früh erschienenes Kompendium für nachgeborene Generationen, in dem die später noch mal nachgucken können, was für einen Quatsch es damals (also: heute, wenn auch nicht mehr zwingend nächstes Jahr) so gab: Twitter, Fox News, Elektroroller, Wirecard und die FDP.
Der leibhaftige Elon Musk hat einen Cameo-Auftritt und wird dabei von Stuckrad-Barre derart gut beschrieben, dass irgendwelche Biographien hernach überflüssig sind (was sie natürlich eh sind, denn Elon Musk ist – wie die allermeisten Männer in diesem Buch – ein absoluter Loser, dessen relative Wichtigkeit sich objektiv nicht erklären lässt, was diese ganzen Männer und ihre jeweiligen Erfolge um so erschütternder macht). Sprachlich legt der Autor eine brutale Präzision an den Tag; lauter finale Rettungsschüsse mit der abgesägten Schrotflinte. Die Silicon-Valley-Hörigkeit alternder deutscher Manager wird genauso abgehakt wie die mit ihr einhergehenden „new work“-Immobilien — und wenn man tatsächlich jemals zu Architektur tanzen konnte, dann in der Form, wie Stuckrad-Barre diese absurden „The Circle“-Konzernzentralen beschreibt. Ihre „Philosophie“: Arbeit soll sich anfühlen wie Freizeit — aber eben auch umgekehrt. Und das passt dann natürlich wieder sehr gut zur Verknüpfung von Dienstlichem und Privatem auf ganz anderer Ebene.
Eigentlich erzählt der Roman auch mindestens zwei Geschichten: Die von diesem ganzen Machtmissbrauch-Elend und die eines Vaterlosen, der viel zu lange an seinem väterlichen Freund festhält, während dieser viel zu lange an seinem leitenden Angestellten festhält. Die eine überlagert die andere zurecht, weil sie die größeren Ungeheuerlichkeiten enthält, aber irgendwann lohnt es sich vielleicht auch noch mal genauer hinzuschauen, wie viele junge Männer, deren Väter früher zu viel gearbeitet haben, im Laufe der Jahrzehnte ihre Karrieren in allen möglichen Branchen älteren Männern verdanken, die zwar zu wenig zuhause waren, aber wenigstens bei der Arbeit als „Mentor“ jemanden „unter ihre Fittiche nehmen“ können.
Und natürlich steht irgendwann breitbeinig die Frage im Raum, ob die Geschichte von Frauen, die sich durch ein Minenfeld von juristischen Drohungen, beruflicher Existenzangst und Retraumatisierung bewegen, denn jetzt unbedingt von einem weiteren Mann erzählt werden muss — aber auch damit setzt sich der Erzähler (aber in Interviews auch sein Autor) immer wieder auseinander. Der Erzähler sagt, dass er sich diese Rolle nicht ausgesucht habe, aber wenn einer der bekanntesten Autoren des Landes auf die ganz große Pauke haut, schlägt das eben höhere Wellen, als wenn jemand anders ein anderes Buch zum gleichen Thema geschrieben hätte. Das kann man unbedingt schlecht finden oder ungerecht, aber es ist – Stand jetzt – der Zustand unserer Aufmerksamkeitsökonomie.
Dabei ist es besonders interessant, wie fast alle Medien übersehen, dass sie und ihre Spekulations-Berichterstattung ja selbst schon im Roman vorkommen. Schwarz auf weiß, auf Seite 349:
Kurzum, ein unwiderstehliches Gossengeschwätzsujet, und das bereitete vielen die allergrößte Freude. Die Zutaten waren ja auch unschlagbar: Sex, Schönheit, lange Nächte — erst dadurch wurde das ganze eine STORY, eine Story, die jeden interessierte. Schwiemelig, doppeldeutigkeitssatt und geifertriefend geriet das Gerede und Geschreibe darüber, und das nahm leider der eigentlichen Geschichte ihre Wucht.
Seit Tagen wurde ich von Freunden darauf hingewiesen, dass am gestrigen Samstag auf arte die endgültige Demaskierung von Lena Meyer-Landrut zu bestaunen sei. Die sei nämlich doof, zickig und wahnsinnig anstrengend, so war es vorab in den Medien zu lesen.
Dabei knüpft Lena an die fragwürdigen Dauerinterviews rund um ihre gescheiterten Titelverteidigung in diesem Jahr an, als das Bild vom ganz natürlichen Liebling der Nation erste Risse bekam.
Und die “Visions” nutzte die Gelegenheit, auf dem doofen, doofen Mainstream-Publikum rumzuhacken:
Bleibt nur zu hoffen, dass die Episode von “Durch die Nacht mit” das Bild von Lena als süßes, keckes Mädchen in den Köpfen der tumben Masse relativiert.
Beides sind keine Medien, in denen Lena sonst groß stattfindet, und vielleicht hatten beide das Bedürfnis, den anderen Teilnehmer von “Durch die Nacht mit” beschützen zu müssen: den Indie-Liebling Casper, mit dessen Musik ich nach wie vor nicht viel anfangen kann, den ich in Interviews aber oft sehr sympathisch finde.
Ich hatte es vorher schon geahnt und tatsächlich bestätigte die fertige Sendung, dass alles so schlimm nicht werden würde. Im Gegenteil: Es war eine hochvergnügliche Tour durch Berlin, die (im Gegensatz zu anderen im Vorfeld hochgejazzten Sendungen) durchaus das Zeug zum Klassiker hat — nur halt ganz anders als gedacht.
Der Start ist tatsächlich kein guter: Lena kommt in Caspers Wohnung, beide stehen ein bisschen krampfig rum und Lena sagt: “Ja, schön. Schön eingerichtet, schön dreckig auch!” Damit bricht sie erst mal so ziemlich alle zwischenmenschlichen Konventionen, die so in den vergangenen Jahrhunderten zum Thema Höflichkeit entwickelt wurden. Vielleicht würde man den Privatbesuch, der einem so etwas sagt, auf der Stelle achtkantig wieder rausschmeißen — aber zu Beginn einer Fernsehsendung ist das doch ein spannender Auftakt, der das Gegenüber aus der Reserve holen könnte. Könnte, denn hier klappt es nicht.
Nach dem missglückten Auftakt sieht es erst mal nicht gut aus: Lena und Casper haben nicht den gleichen Geschmack bei Tattoomotiven (können sich aber darauf einigen, dass Leute, die dem Tättowierer ihre Lebensgeschichte erzählen, bestimmt super-anstrengend sind), bei Musik, bei der Abendplanung. Casper sitzt erst mal ziemlich nervös neben ihr, was aber auch sehr sympathisch wirkt. Lenas “Du malst jetzt echt ‘ne Katze und so’n Kack, ne?” liest sich transkribiert nach großer Boshaftigkeit, kommt im O-Ton in der Situation dann aber doch deutlich kumpelig-flapsiger rüber.
Tatsächlich gibt es zahlreiche harmonische Momente, zum Beispiel die Szene, in der beide erzählen, dass sie nicht in einem Raum bleiben könnten, in dem ihre eigene Musik läuft, und Lena dann kurz zu Höchstleistungen aufläuft:
Grandios aber auch die Szene, wo die beiden in einem futuristischen Wohnraumkonzept voller riesiger aufgeblasener Plastikkugeln sitzen und Casper anfängt: “Wenn man sich das jetzt als Wohnung der Zukunft vorstellt …”, bevor Lena das ganze intellektuelle Künstler-Konzept mit einem “… isses scheiße!” kurz und knapp hinrichtet. So jemanden wie Lena braucht man in den Galerien, Konzertsälen und bei Poetry Slams, die von Leuten besucht werden, die mal gehört haben, dass sie dort Kunst erwarte.
Wirklich menscheln kann’s dann zum Beispiel in dem Moment, wo Lena “pinkeln” ist und Casper sich nett und ungezwungen mit zwei Museumsbediensteten unterhalten kann: “Wir halten doch die Menschen von ihrem Feierabend ab!” Lena wird ihm anschließend auf verstörend abgeklärte Art erklären, die beiden Mädchen seien total verliebt in ihn gewesen, was Casper überrascht zurückweist und ich weiß, das hört sich jetzt nicht spektakulär an, aber ich saß davor und rief entzückt “ist das toll!” in den sonst menschenleeren Raum.
Irgendwann haben die beiden dann eine Ebene gefunden, auf der sie sich durchaus humorvoll gegenseitig angehen können: “Ich würd’ Dir noch ‘n Alster austun, wenn Du magst!” – “Austun?!”, “Ist das Deine echte Schrift?!”, “Na, das ist ja jetzt scheiße!” – “Wieso ist das scheiße? Du bist scheiße!” – “Du bist scheiße!”. Man muss das natürlich sehen und hören, denn in Schriftform taugt es tatsächlich zu der Skandalisierung, die die Medien im Vorfeld versucht hatten. Besorgniserregenderweise klangen ausgerechnet die Redakteure der Musikzeitschriften dabei wie ihre eigenen Großeltern, aber vielleicht sind das halt so Veganer, die zum Lachen in den Keller gehen und bei YouTube immer verzweifelt nach dem einen geilen Indie-Song suchen müssen, der noch nicht mehr als 34 Views hat. Lena und Casper zuzusehen ist jedenfalls, wie mit meinen Freunden unterwegs zu sein: hart, aber doch durchaus herzlich.
Nachdem die beiden Nachts durch die leeren Flure der Deutschen Popakademie (gähn!) gelaufen sind und in ein Zimmer mit Instrumenten gesperrt wurden, spielen sie Galgenmännchen. Das allein ist ja schon großartig abwegig, aber dann wird Frau Meyer-Landrut wieder gehässig, Herr Casper zickt zurück und herein platzt der wahnsinnig umtriebige Mann von der Popakademie, der von der “Lounge” erzählt, die “das Herzstück der Akademie” sei. Eigentlich ist es ein Wunder, dass in diesem Moment niemand vierhundert Arosa schlitzverstärkt mit kurzem Arm bestellen will, aber dann sitzen sie halt in dieser “Lounge”, trinken Mineralwasser und führen ein (wie Casper und Lena hinterher offen zugeben) eher zähes Gespräch mit Studenten. Jeder Versuch des Akademie-Manns, sich und seine tolle Institution irgendwie ins Gespräch einzubringen, prallt grandios ab und das geschieht ihm in diesem Moment ehrlich gesagt ganz recht.
Dass eine Frau eine andere beim ersten Händedruck vor allen Leuten fragt, ob die Wimpern echt oder angeklebt seien, verstößt mal wieder gegen so ziemlich alle zwischenmenschlichen Konventionen — aber es ist eben auch genau diese Authentizität, für die Lena mal eine kurze Zeit von den Medien geliebt wurde. Lena liefert nicht das, was die Medien bei ihr bestellen. Der Beobachtereffekt, der eigentlich zwangsläufig alle Natürlichkeit zerstört, sobald eine Fernsehkamera dabei ist, bleibt aus, stattdessen fragt man sich ständig, ob sie das jetzt grad wirklich wieder gesagt hat. Doch, hat sie: Der Frau mit den “natürlich echten” Wimpern sagt sie zum Abschied: “Ich finde, Du könntest mir ‘n bisschen was von Deinen Brüsten abgeben!”
Was die Medien vorab nicht für erwähnenswert hielten, ist etwa die Szene, in der die beiden im Auto voller Hingabe “Son Of A Preacher Man” oder “Big In Japan” singen, wobei sie die Texte von einem iPhone-Display ablesen müssen, oder die, wo sie sich Pommes essend über Fans beklagen, die Promis in privaten Situationen behelligen, und Lena dann unvermittelt und mit verklärtem Blick über Turnschuhe zu sprechen beginnt.
Das heißt: “Welt Online” hat das erwähnt, fasste es aber als Unprofessionalität auf und bölkte:
Offensichtlich wird an diesem Abend, dass die beiden mit ihrer Rolle als Prominente noch überfordert sind.
Natürlich war “Durch die Nacht mit Liza Minnelli und Fritz Wepper” schön, weil da zwei Vollprofis, die sich ewig kennen, formvollendet miteinander umgingen, aber das andere Ende des Spektrums kann ja genauso spannend sein, wenn man sich denn drauf einlassen will.
Man kann sich doch nicht einerseits über die ganzen stromlinienförmigen Popsternchen, Fußballer und Politiker der Gegenwart beklagen und dann andererseits sofort Zeter und Mordeo schreien, wenn mal jemand vorbeikommt, der unkonventionell und anders ist. Man muss das ja noch nicht mal als Natürlichkeit preisen und sich darüber freuen, man muss Lena oder Casper nicht mal mögen, aber man könnte doch zumindest mal anerkennen, wenn da plötzlich “Stars” auftauchen, die anders sind. Die müssen dann natürlich nicht “Liebling der Nation” sein, aber wer würde das auch wollen?
Ich hab in letzter Zeit von mehreren Kollegen gehört, dass Lena anstrengender und weniger locker geworden sei. Von Casper heißt es, dass er sich nach dem Abend regelrecht ausgeheult bzw. ausgekotzt haben soll. Das mag alles sein, nur die dabei entstandene Sendung taugt nicht zum Beleg. Ja: Lena hat offensichtlich keine große Lust auf die ganze Sache, sie zickt rum und Casper zickt zurück — aber das kann doch niemand, der in den letzten zwanzig Jahren mal mit jungen Menschen zu tun hatte, ernst nehmen! Man muss sich doch als Musikmagazin nicht dem Skandalisierungswahn der anderen Medien anschließen und wie die “Spex” “fast die Eskalation” herbeischreiben!
Selbst der Abschied der beiden voneinander oszilliert vielfarbig zwischen Neid, Gehässigkeit und schlichter Freude an exakt dieser Situation. Natürlich gibt es Szenen, in denen man ahnt, welche Leistung Cutter Martin Eberle erbracht haben muss, um aus vielen schwierigen Situationen einen erträglichen Film zu schneiden, aber es ist ihm gelungen.
“Durch die Nacht mit Lena und Casper” ist noch bis nächsten Samstag in der arte-Mediathek verfügbar.
Offenlegung: Ich bin Frau Meyer-Landrut ein paarMal begegnet und finde sie recht sympathisch.
So langsam wird es wirklich eng für Christian Wulff. “Spiegel Online” kann heute mit einer weiteren Enthüllung aufwarten, die den Rückhalt des Bundespräsidenten weiter schmälern dürfte.
Für wie brisant die Redakteure die neueste Geschichte halten, zeigt schon ihre Platzierung: Auf der Startseite, direkt unter dem Aufmacher.
Meine Güte, der Mann schreckt aber auch vor nichts zurück:
Selbst bei einem Auftritt mit Kindern gab es Schelte vom damaligen Landesvater.
Das klingt, als habe der ehemalige Traum-Schwiegersohn Kinder vor den Augen von Journalisten verdroschen — und ist völliger Unsinn.
Zugetragen hatte sich bei der “Kinder-Pressekonferenz” der “Braunschweiger Zeitung” im Jahr 2008 laut “Spiegel Online” folgendes:
Er sagt zwar, er könne mit Kritik gut umgehen, aber nur, wenn er sie für berechtigt halte. “Wenn Kritik unberechtigt ist, bin ich genauso ärgerlich wie jeder, der sich kritisiert fühlt, das aber nicht einsehen will.” Und dann wendet er sich an sein Publikum, die fragestellenden Kinder, damit die verstehen, dass es beim Berufspolitiker Wulff und der Presse genauso ist wie bei ihnen, wenn sie von ihren Eltern einen Rüffel bekommen. Schließlich würden die Kinder auch schmollen und sich zurückziehen, wenn die Eltern meckern. “Insofern bin ich bei Kritik, wenn sie unberechtigt ist, manchmal sehr grimmig”, so Wulff.
Noch 20 Jahre später könne er sich an unliebsame Berichterstattung erinnern, prahlt Wulff, und erzählt dann, wie er Journalisten direkt angehe: “Manchmal schock’ ich Redakteure, die was geschrieben haben, und sage: Damals, ’81, linke Spalte, dritte Seite – und das nehmen die mir manchmal übel!” Denn Wulff weiß: “Wenn Journalisten mal kritisiert werden, dann kann ich euch sagen, dann ist was los.” Das könnten die Journalisten nämlich überhaupt nicht aushalten.
(Wenn Wulff “ich bin ärgerlich” sagt, meint er damit, dass er verärgert sei. So viel zum Gerücht, die Niedersachsen hätten keine merkwürdige Sprache.)
Die Behauptung, dass (einige) Journalisten keine Kritik vertrügen, ist – verglichen mit Wulffs strategischem Verhältnis zur Wahrheit und seinen bemerkenswerten Interpretation von Begriffen wie “marktüblich” – ein betoniertes Fakt. Nicht häufig, aber häufiger als nie, bekommen wir beim BILDblog E-Mails von Journalisten, denen wir Fehlern nachgewiesen oder deren Arbeit wir kritisiert haben, und nicht immer sind diese Zuschriften sachlich. In seltenen Fällen beschimpfen uns Chefredakteure in vielfarbigen Tiraden, weswegen ich ganz froh bin, dass ich nicht weiß, wie man die Mailbox an meinem Handy einschalten kann.
Dass Wulff vor Kindern damit kokettiert, wie nachtragend er angeblich sein könne, ist natürlich etwas besorgniserregend, aber es spricht doch für sich. Dass Wulff gegen kritische Berichterstattung “wetterte”, wie “Spiegel Online” im Vorspann vollmundig verspricht, lässt sich aus diesen Zitaten nicht einmal mit viel schlechtem Willen herauslesen.
Im Gegenteil: Wulff hat es sogar menscheln lassen.
“Wir Politiker werden ja ständig kritisiert”, sagt Wulff, “wir haben ein ganz dickes Fell.” Er wolle aber auch, dass Menschen mit dünnem Fell in der Politik sein können. Das jedoch sei schwierig, man lese ja jeden Tag was über sich in der Zeitung. “Das ist nicht alles nur positiv.”
Nun hat sich in den letzten Wochen der Eindruck aufgedrängt, dass Wulffs Fell in etwa so dick ist wie das eines Nacktmulls in der Mauser. Insofern kann der Rückblick auf diese harmlose Veranstaltung – natürlich begleitet von einem 37-sekündigen Video mit Werbung – durchaus lohnenswert sein.
Aber doch bitte nicht derart bemüht:
Doch selbst bei dieser harmlosen Veranstaltung, fast vier Jahre vor seinem umstrittenen Anruf beim “Bild”-Chefredakteur, zeigte Wulff, wie sehr ihm Journalisten auf die Nerven gehen – und wie nachtragend er bei kritischer Berichterstattung ist.
Im Übrigen schafft es der Artikel, Wulffs Image zumindest bei mir wieder ein bisschen aufzupolieren: Ein Mann, der angibt, Tapire und Manatis zu mögen, kann kein ganz schlechter Mensch sein.
Ich habe ein bisschen Angst, einen Blogeintrag über Christian Wulff anzufangen, weil es bei der aktuellen Gemengelage denkbar ist, dass der Mann schon nicht mehr Bundespräsident ist, bevor ich den Text das erste Mal Korrektur lesen kann.
Natürlich kann Wulff seinen Versuch fortsetzen, gegen die gesamte deutsche Presse, aber mit dem deutschen Volk im Amt zu bleiben. Das hat zwar schon bei Karl-Theodor zu Guttenberg nicht funktioniert (und der hatte immerhin bis zum Schluss die “Bild” auf seiner Seite), aber Wunder gibt es immer wieder.
Zwar war Wulffs Rückhalt in der Bevölkerung vor dem gestrigen TV-Interview schon merklich gesunken (am Mittwoch waren nur noch 47 Prozent dafür, dass Wulff im Amt bleiben sollte, am Montag waren es noch 63 Prozent), aber vielleicht hat Wulff das sogenannte einfache Volk mit seinem merkwürdigen Auftritt bei ARD und ZDF besser überzeugen können als die Journalisten. Wahrscheinlich ist dies allerdings auch nicht.
Wie dem auch sei: So lange die Affäre Wulff die Titelseiten füllt und weite Teile der Nachrichtensendungen ausfüllt, so lange geht natürlich unter, dass sich Europa immer noch in einer großen Krise befindet, dass sich die Stimmung zwischen dem Iran und dem Rest der Welt täglich verschlechtert. Und ich meine das nicht in dem Sinn, mit dem Online-Kommentatoren “Habt Ihr denn sonst keine Sorgen?” fragen.
Als Richard Nixon im Zuge der Watergate-Affäre seinen Rücktritt als US-Präsident erklärte, tat er dies mit den unsterblichen Worten:
I have never been a quitter.
To leave office before my term is completed is abhorrent to every instinct in my body. But as President, I must put the interests of America first.
America needs a full-time President and a full-time Congress, particularly at this time with problems we face at home and abroad.
Nun unterscheiden sich die Befugnisse von US- und Bundespräsident fundamental: Vermutlich würde es niemandem auffallen, wenn Christian Wulff die letzten dreieinhalb Jahre seiner Amtszeit tatsächlich ausschließlich mit der Beantwortung der vielen, vielen Journalistenanfragen verbrächte. Einen Vollzeitpräsidenten hatte und brauchte Deutschland nie — weswegen ich übrigens den Vorschlag von Friedrich Küppersbusch aufs Heftigste begrüße, das Amt des hauptberuflichen Grüßaugusts abzuschaffen und den Bundestagspräsidenten zum Staatsoberhaupt zu machen.
Wulff lähmt vielleicht noch nicht einmal die Politik — Politiker von Koalition und Opposition, die sich wortgewaltig vor TV-Kameras um das Ansehen des höchsten Amts im Staate sorgen, können in dieser Zeit keinen anderen Schaden anrichten. Aber Wulff lähmt das öffentliche Leben in Deutschland: Die Medien beschäftigen sich seit Tagen mit kaum etwas anderem und wissen vermutlich längst, was sie als nächstes noch alles aufdecken werden — als Fortsetzungsroman verkauft sich jeder Skandal besser denn als abgeschlossene Erzählung und wer hat denn gesagt, dass Salamitaktiken nur etwas für Politiker sind? Der volkswirtschaftliche Schaden, der seit Tagen durch die vielen Wulff-Witze (seit gestern auch noch: Schausten-Witze) auf Facebook und Twitter entsteht, die alle während der Arbeitszeit gelesen und geteilt werden müssen, ist sicher auch nicht zu verachten.
Christian Wulff hat in dem gestrigen Interview viel davon gesprochen, dass er Freunde und Familie habe schützen wollen und sich deshalb mit Informationen zurückgehalten habe. Es steht außer Frage, dass die Redaktionen noch genug Munition haben, um den waidwunden Präsidenten abzuschießen (um mal eine martialische Phrase zu vermeiden). Die Chancen stehen gut, dass es dabei um weitere Details aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis geht. Auch wenn ich nicht glaube, dass die in den vergangenen Tagen mehr oder weniger offen kolportierten Gerüchte zutreffen, so wäre Christian Wulff doch gut beraten, sein Umfeld aus der Schusslinie zu bringen.
Andererseits könnte es sein, dass das nun auch nichts mehr bringt: Wulff hat gestern im Fernsehen erzählt, er habe “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann auf dessen Mailbox gebeten, “um einen Tag die Veröffentlichung zu verschieben, damit man darüber reden kann, damit sie sachgemäß ausfallen kann”. Diekmann hielt heute dagegen und bat Wulff öffentlich um die Genehmigung, den Wortlaut des Anrufs veröffentlichen zu dürfen. Allein für diese Gelegenheit, dass sich Kai Diekmann als moralische Instanz und flauschiges Unschuldslamm präsentieren kann, muss man Wulff verachten. Jetzt hat Wulff abgelehnt und damit mutmaßlich die Pforten zur Hölle aufgestoßen.
Der präsidiale Ausraster auf seiner Mailbox dürfte kaum Diekmanns letzter Trumpf gewesen sein. Wahrscheinlich ging er fest davon aus, dass Wulff seine Bitte zur Veröffentlichung negativ bescheiden würde, und hat die Anfrage deshalb gleich öffentlich gemacht. Diekmann konnte zwei Mal “im Sinne der von Ihnen angesprochenen Transparenz” argumentieren und hat den Präsidenten damit faktisch schachmatt gesetzt: Setzt man voraus, dass Diekmanns Version der Geschichte stimmt, wäre Wulff der Lüge überführt gewesen und damit endgültig untragbar. Setzt man voraus, dass Wulffs Version stimmt, hat er jetzt immer noch das Problem, nicht “im Sinne der Transparenz” gehandelt zu haben. Er konnte nur noch verlieren.
Es ist leicht, auf einen Abzockvollprofi wie Kai Diekmann reinzufallen, aber einem Spitzenpolitiker (auch wenn er “ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit” in sein aktuelles Amt gekommen ist) sollte das nicht passieren. Ich fände es deprimierend, sagen zu müssen, dass man sich mit “Bild” nicht anlegen sollte, und glaube das auch nicht. Aber man muss schon wissen, wie man es macht — und dabei in einer etwas glücklicheren Ausgangsposition sein, als Wulff es war.
Kaum jemand stolpert, privat oder beruflich, über einen einzelnen großen Fehler. Meist ist es eine unglückselige Verkettung vieler kleiner und mittlerer Fehler. Egal, was jetzt noch rauskommt: Der größte Fehler, den Christian Wulff in meinen Augen gemacht hat, war der, “Bild” und Kai Diekmann die Gelegenheit zu geben, sich als seriöse, moralische Journalisten inszenieren zu können, was ihnen die Menschen vielleicht mehr abkaufen als Wulff seine Rolle als reuiger Sünder. Wulff hat “Bild” die Macht zurückgegeben, die die Zeitung eigentlich nicht mehr hatte.
Am Ende sind sie alle geschockt. Auf den Fernsehschirmen ist Adolf Hitler zu sehen, der “Führer” ihrer Organisation. “Ja, ja, Ihr wärt alle gute Nazis gewesen”, sagt ihr Lehrer Ben Ross ((Morton Rhue: Die Welle. Ravensburg, 2011 (11984), S. 176.)) und die Schüler in der vollbesetzten Aula schweigen betreten. Steht “Die Welle” von Morton Rhue eigentlich immer noch auf dem Lehrplan von Englischkursen?
Es ist schwer zu sagen, woher ausgerechnet bei einer eher als unpolitisch gescholtenen Jugend plötzlich diese Begeisterung für einen einzelnen Minister herkommt — noch dazu für einen von der CSU, die sonst nicht unbedingt einen übermäßigen Zuspruch junger Wähler erfährt. Ist es wirklich “eine ganz natürliche Neigung der Menschen, nach einem Führer Ausschau zu halten, nach irgendjemandem, der alle Entscheidungen” trifft, ((ebd, S. 174.)) oder fällt das Licht einer Massenhysterie hier eher zufällig auf einen Politiker?
Chuck Klosterman hat einmal geschrieben, ((Chuck Klosterman: Sex, Drugs and Cocoa Puffs. New York, 2004, S. 202.)) dass man wahrscheinlich alle Menschen außerhalb seines engsten Freundeskreises mit einem einzigen Satz beschreiben könne. In Wahrheit reicht vermutlich ein einziges Wort oder Gefühl aus: Der Typ, der auf dem Schulhof immer alleine rumstand? “Nerd”. Die Kellnerin aus dem Café um die Ecke? “Niedlich”. Stefan Effenberg? “Trottel”.
Wer das politische Tagesgeschäft nicht mal mindestens verfolgt, aber an Titelbildern wie “Der coole Baron”, “Die fabelhaften Guttenbergs” oder “Wir finden die GUTT!” vorübergeht, speichert den charismatischen Franken natürlich schnell unter “cool” ab, so wie ich als Kind Helmut Kohl unter “dick und mit Sprachfehler” abgespeichert hatte. Wenn Guttenbergs Karriere nicht ein jähes vorläufiges Endes gefunden hätte, wäre er bis zur Bundestagswahl 2013 sicher noch auf dem Cover des deutschen “Rolling Stone” (Herausgeber: Ulf Poschardt) und der “Bravo” aufgetaucht.
Im Prinzip ist Guttenberg für die jungen Leute also nichts anderes als Justin Bieber, Miley Cyrus oder Katy Perry — und genau auf diesem Level verteidigen die Fans ihr Idol auch. Doch während Diskussionen über musikalische Geschmäcker müßig sind (ich fand “Baby” von Justin Bieber zum Beispiel gar nicht schlecht), folgen politische Diskussionen für gewöhnlich gewissen argumentativen Regeln. (Dieser Satz ist eine Arbeitshypothese, die bei jeder Bundestagsdebatte und jeder Polit-Talkshow widerlegt wird, aber anders kommen wir hier nie aus dem Quark.)
Wie soll man jetzt jemandem begegnen, der “DIE sind doch nur neidisch!” für ein zwingendes Argument hält, einen Betrüger im Amt zu halten — noch dazu, wenn dieses “Argument” auch von führenden Unionspolitikern vorgebracht wird? Was soll man jemandem entgegnen, der wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte der Bundesminister namentlich benennen könnte, aber im Brustton der Überzeugung verkündet: “Er war einfach der beste minister von allen!!”? Und wie erklärt man Menschen, die noch nie eine Universität von innen gesehen haben oder – viel schlimmer! – ein hektisches Bachelor/Master-Studium zum Zwecke der schnellen Berufsqualifikation durchlaufen haben, wie erklärt man denen, was wissenschaftliche Ehre und Bildungsgedanken sind?
Insofern kann man der Anruferin, die sich in einer zehnminütigen Diskussion mit dem Radio-Fritz-Moderator Holger Klein wiederfand (von der sie vermutlich anschließend annahm, aus ihr als Siegerin hervorgegangen zu sein), sicher attestieren: “Du bist Deutschland!”
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Der Fall Guttenberg war außerhalb des politischen Berlins auch eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern: Auf der einen Seite die bürgerliche Presse und die entsetzten Akademiker, die den Ruf des Bildungsstandortes Deutschland in akuter Gefahr sahen, auf der anderen Seite “Bild” und das einfache Volk. Oder, vom Volk abgegrenzt, wie Herder sagen würde: “der Pöbel auf den Gassen, der singt und dichtet niemals, sondern schreyt und verstümmelt.” ((Johann Gottfried Herder: “Volkslieder. Nebst untermischten andern Stücken, Zweiter Teil” [1779], in: Werke, herausgegeben von Ulrich Gaier. Frankfurt am Main, 1990, S. 239.))
Karl-Theodor zu Guttenberg hat viel falsch gemacht, aber Fans, die so etwas womöglich ernst meinen könnten, hat auch er nicht verdient:
Guttenberg ist der PERFEKTE Mensch! Sein selbstkritisches Auftreten, seine uneingeschränkte Ehrlichkeit sowie seine reichhaltige Kompetenz sind unübertroffen. Guttenberg ist der ERLÖSER!!! Er muss WELTHERRSCHER werden, dann würde es durch seine MENSCHLICHKEIT endlich WELTFRIEDEN geben!
Es sind halt Fans und Fans handeln – das weiß jeder, der schon einmal im Fußballstadion oder auf einem Rockkonzert war – nicht immer rational. Entweder, sie bleiben ihren Helden bis zur Selbstverleugnung treu, oder sie sind irgendwann so enttäuscht, dass sie sich gegen ihr Idol stellen.
Ich bin mir sicher, viele der Guttenberg-Fans fanden vor zwei, drei Jahren auch Barack Obama gut — einfach, weil er cool und anders war. Dabei wäre es doch irgendwie beruhigend zu wissen, dass die Menschen den heutigen US-Präsidenten in erster Linie verehren, weil sie seine Meinung teilen und seine Versuche bewundern, seiner Linie trotz allem treu zu bleiben. Dass er dabei unbestreitbar cool und einzigartig ist, kann ja dann gerne einer der weiteren Gründe für seine Beliebtheit sein.
Guttenberg ist dabei gar nicht der erste deutsche Nachkriegs-Politiker, der die Massen zu mobilisieren wusste: 1972 machten junge Leute, die noch lange nicht selbst wählen durften, unter dem Slogan “Willy wählen!” Wahlkampf für Willy Brandt. Nur: Diese Leute unterstützten Brandt wegen seiner politischen Ansichten, wegen seiner Ostpolitik, ohne die Helmut Kohl nie zum “Kanzler der Einheit” hätte werden können. Bei Guttenberg konnten nicht einmal aufmerksame Beobachter sagen, wofür er stand und was seine Linie war. Es war ja auch fast jeden Tag eine andere: Bei einer staatlichen Rettung von Opel mit Rücktritt drohen, dann doch im Amt bleiben; den Luftschlag von Kundus “angemessen” nennen, dann “unangemessen”; in Sachen Gorch Fock keine schnellen Urteile fällen wollen, dann spontan (und im Beisein der “Bild”-Zeitung) den Kommandanten feuern. Und immer waren die Anderen schuld. Wer das ernsthaft als “gute Arbeit” bezeichnet, den möchte ich nicht meine Heizung reparieren lassen — er könnte ja schon nächste Woche mit den montagebereiten Nachtspeicheröfen vor der Tür stehen.
Wenn Kai Diekmann jetzt vom “grauen Mittelmaß” der Politiker schreibt, die nun wieder das politische Berlin beherrschten, und Nikolaus Blome die “politische Hygiene” beklagt, möchte ich ihnen entgegen rufen: Meinetwegen können die Politiker so grau sein, wie sie wollen, sie sollen ihre verdammte Arbeit ordentlich machen und sich anständig verhalten! Politik ist nicht Teil des Showgeschäfts, auch wenn das seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin immer mal wieder gern vergessen wird.
“Aber das Volk liebt ihn doch!”, wenden Diekmann und Blome dann unisono ein. Der Vorwurf, die Politik höre nicht auf das, was die Bevölkerung wolle, lenkt davon ab, dass selbst “Bild” es nicht geschafft hat, Guttenberg im Amt zu halten, und damit weiter an Einfluss verloren hat. Stattdessen beklagen ihre Redakteure die weiter fortschreitende “Politikverdrossenheit”, die Journalisten seit 20 Jahren zu erkennen glauben. Dabei wäre es die verdammte Aufgabe von Journalisten, den Bürgern die Zusammenhänge zwischen der graue Politik und ihrem Leben aufzuzeigen und kritisch, aber nicht pauschal verurteilend, zu begleiten, was “die da oben” eigentlich den ganzen Tag so machen. Die Aufgabe der Presse ist es jedenfalls nicht, Politglamour-Paare hochzuschreiben!
Warum sich das deutsche Volk (oder genauer: große Teile dessen) offenbar mehr als 90 Jahre nach Abschaffung des Adels in Deutschland ausgerechnet einen “Freiherrn” ins Kanzleramt wünscht, lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass die Deutschen zu oft beim Arzt und/oder Friseur sind und ob der Lektüre der dort ausliegenden Magazine eine gewisse Sehnsucht nach Blaublütern verspüren. Das ist irritierend, denn bisher haben wir im Geschichts- und Politikunterricht gelernt, dass die Massen gegen die Klassen kämpfen würden.
Eigentlich ist es den Leuten aber eh egal, zu wem sie aufschauen, so lange sie zu jemandem aufschauen können: Zu Lady Di, zum Papst oder eben zu “KT” und seiner Stephanie. Die Guttenbergs boten die ölige Projektionsfläche für alle, die niemals König oder Königin von Deutschland werden würden: Ausgestattet mit einem ordentlichen Stammbaum, in einer Bilderbuchehe verheiratet, mit einem Privatvermögen im Rücken, dessentwegen man gar nicht arbeiten müsste. Die Idylle lockte wie ein alter Heimatfilm.
Guttenberg war die personifizierte Umkehr der Zeiten, als die Populärkultur politisch wurde: im Politbetrieb war er “Pop”, was der Kulturwissenschaftler Thomas Hecken als “Kürzel für mal glatte und oberflächliche, mal durchschlagende und intensive Reize” beschreibt. ((Thomas Hecken: Populäre Kultur. Bochum, 2006, S. 32.))
Ab einem bestimmten Punkt wird jede Bewegung zum Selbstläufer; die Masse findet gut, was beliebt und erfolgreich ist. So lässt sich der plötzliche unfassbare Charterfolg einer 17 Jahre alten Coverversion eines heute mehr als 70 Jahre alten Songs erklären, aber auch der schier unglaubliche Zulauf, den die Pro-Guttenberg-Seiten bei Facebook erfahren. Ich wüsste gerne, wie viele der Guttenberg-Jünger gleichzeitig auch Fans von Unheilig sind.
Nach dem selben Prinzip funktioniert dann auch die Argumentation: Die Leute plappern nach, was sie anderswo (also: bei Gleichgesinnten) schon gehört und nicht verstanden haben. Aber haltlose Behauptungen werden nicht wahrer, wenn sie hundertfach wiederholt werden — und das gilt für beide Seiten, wie die peinliche Geschichte mit dem angeblichen “Star Trek”-Zitat in Guttenbergs Rücktrittsrede beweist.
Dass man Verfehlungen nicht gegeneinander aufwiegt, lernt man normalerweise im Kindergarten. Offenbar wächst sich das mit der Zeit aber wieder raus:
Für mich ist des ne Lapalie!!! Andere sind immernoch im Amt und treiben viel schlimmer Sachen ich sage nur Berlusconi!!!! Dass das nicht ok ist mit dem Doktortitel ist klar aber des hatte nichts mit seiner Arbeit als Politiker zu tun!!!
Wenn nun also ernsthaft junge Menschen, die durchaus Abitur haben und studieren, fragen: “Was hat die gefälschte Doktorarbeit denn mit den politischen Fähigkeiten der Person zu tun?”, muss man erst mal kurz durchatmen und die Blutdruckhemmer einwerfen, bevor man in leicht verständlichen Worten zu erklären versucht, dass man persönlich für seinen Teil Menschen, die als Betrüger entlarvt seien, jetzt eher ungern in politischen Ämtern sähe. Das mit “Vorbildfunktion” und “Bildungsrepublik” lässt man lieber direkt weg.
Dann heißt es: “Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein”, ((Johannes, 8.7 in: Die Bibel.)) in dezenter Verkennung des Umstandes, dass Jesus das damals ziemlich konkret gemeint hat: Die Pharisäer wollten die Ehebrecherin nämlich steinigen. Nähme man die Geschichte aber als universellen Rechtsgrundsatz, wäre die Besetzung von Richterbänken und Staatsanwaltsposten eine unlösbare Aufgabe.
Ohne Sünde ist niemand (außer die Mutter Gottes in der Katholischen Kirche), aber bestimmte Sünden sorgen einfach dafür, dass man für bestimmte – oder gar alle – Ämter ungeeignet ist. (Die Ausnahme stellt auch hier wieder die CDU/CSU dar, wo man auch noch geschmeidig Verkehrsminister werden kann, nachdem man unter Alkoholeinfluss einen tödlichen Verkehrsunfall verschuldet hat, oder Finanzminister, wenn man sich nicht daran erinnern kann, einmal 100.000 DM in bar entgegengenommen zu haben.) Und dass “alle anderen Politiker auch Dreck am Stecken” haben sollen, entpuppt sich spätestens dann als windschiefe Verteidigung, wenn der eigene Partner zu einem sagt: “Aber alle anderen gehen doch auch fremd, Schatz!”
Wenn irgendwelche Jungspunde bei Facebook jetzt also “Guttenberg for Reichskaiser” fordern, können wir nur von Glück sprechen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg zweifelsohne ein überzeugter Demokrat ist, und die Demagogen, die Deutschland in den letzten 65 Jahren hervorgebracht hat, allesamt unansehnlich oder rhetorisch überfordert waren — oder in den meisten Fällen gleich beides. Doch wehe, wenn jemand auftauchen sollte, der Pop-Appeal verströmt und nebenbei Volksverhetzung betreibt!
Eines noch zum Schluss: Die Frage “Gibt es denn nichts Wichtigeres auf der Welt?” ist das dümmste aller dummen Null-Argumente. Denn es gibt ja auch “Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand, das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten, Vulgarität und was nicht noch alles”, wie es Jürgen Kaube in der “F.A.Z.” formuliert hat. ((Jürgen Kaube: “Vgl. auch Guttenberg 2009”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2011, S. 27.)) Die Antwort lautet also in nahezu jedem Kontext: “Doch, natürlich gibt es Wichtigeres.” Ginge es danach, müsste uns alles egal sein, was nicht direkt zur Schaffung des Weltfriedens beiträgt. Ich schlage vor, dass wir mit dem Ignorieren der Anzahl von Facebook-Fans anfangen.
Es gibt Texte, die neben ihrem eigentlichen Inhalt auch ihre eigene Entstehungsgeschichte transportieren. In der heutigen “Bild am Sonntag” gibt es mindestens zwei dieser Sorte:
Zehn Kollegen haben Stefan Hauck (der als Experte auf dem Gebiet der Existenzvernichtung zu gelten hat) bei seinem Versuch unterstützt, das Privatleben von Jörg Kachelmann auszuloten.
Sie haben dabei keine großen Erkenntnisse gewonnen und die Enttäuschung darüber schwingt mit:
Viel genauer geht es nicht, denn auch am Ende von langen Gesprächen mit Weggefährten, Freunden, Geliebten, Kollegen und Feinden des Beschuldigten, hat zwar jeder über Jörg-Andreas Kachelmann gesprochen – aber immer einen anderen Menschen geschildert.
Da betreibt man so einen Aufwand und am Ende sitzt man vor einem Berg aus Puzzleteilen, die alle nicht so rechtzusammenpassen wollen. Aber wenn man sie doch gewaltsam zusammenhämmert, entsteht da das Bild eines Menschen — oder, wie Hauck schreibt, einer “widersprüchlichen Person”.
“Herzlichen Glückwunsch!”, möchte man fast ausrufen, “Sie haben soeben begriffen, dass die wenigsten Menschen zweidimensionale Wesen sind!” Aber das wäre Quatsch. Hauck hat nichts begriffen, wie er gleich zu Beginn seines Textes selbst herausposaunt:
Bis vergangenen Montag hat sich kein Mensch ernsthaft dafür interessiert, was der Fernsehstar Jörg Kachelmann, 51, für eine Beziehung zu Frauen hat. Und ob überhaupt. Kachelmann ist ein Star des Fernsehens, ist aber, was den “Glam-Faktor” anbelangt, also die Maßeinheit, in der man das Glitzernde eines Fernseh-Menschen misst, natürlich kein Roberto Blanco, wer ist schon wie Roberto Blanco?
Wenn sich bis letzte Woche “kein Mensch ernsthaft” für das Intimleben dieses angeblich so unglamourösen Fernsehstars interessiert hat, warum sollte man es jetzt tun? Weil es helfen würde, als Außenstehender zu beurteilen, ob Kachelmann die Tat, die ihm vorgeworfen wird, begangen haben könnte? (Und was hat das Wort “ernsthaft” überhaupt in diesem Satz zu suchen?)
Die Suche nach Erklärungsmustern ist zutiefst menschlich, aber während es bei Amokläufern oder Terroristen, ((Der Kabarettist Volker Pispers sagte einmal über die Reporter, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 in Hamburg das Umfeld des Anführers Mohammed Atta ausgefragt hatten: “Solche Menschen können Sie nur zufriedenstellen, indem Sie sagen: ‘Ja, so ein bisschen nach Schwefel gerochen hat er schon ab und zu.'”)) die ihre Taten in und an der Öffentlichkeit begangen haben, noch ein gerechtfertigtes Interesse an ihrer Vorgeschichte geben könnte – um im Idealfall in ähnlich gelagerten Fällen Taten zu vermeiden – geht es im “Fall Kachelmann” um das exakte Gegenteil: Ein mögliches Verbrechen im denkbar intimsten Rahmen, in dessen Folge nicht nur der mutmaßliche Täter der Öffentlichkeit präsentiert wird, sondern auch das potentielle Opfer, notdürftig anonymisiert.
* * *
Die andere Geschichte hat nur eine Autorennennung, aber schon der erste Satz deutet an, dass auch Nicola Pohl nicht allein war, als sie im privaten Umfeld der deutschen Grand-Prix-Hoffnung Lena Meyer-Landrut wühlte:
Einen wehmütigen Jungen mit dünnem Bart. Eine Tanzlehrerin, die abhebt. Einen Friseur, der der Neunjährigen die Spitzen schnitt. Sie alle trafen wir, als wir zwei Tage durch Lena Meyer-Landruts Leben spazierten und uns fragten: Wo lebt, lacht, liebt, lümmelt Lena?
Die Recherche muss noch enttäuschender verlaufen sein als die bei Kachelmann: Aus der Überschrift “Wie heil ist Lenas Welt?” tropft förmlich die Hoffnung auf Familiendramen, Drogen, Sex und Schummeln bei den Vorabiklausuren, aber nichts davon hat die Autorin gefunden. Jetzt muss sie unüberprüfbare und belanglose Aussagen wie “Für 7,90 Euro ließ sie sich Spitzen schneiden” als Sensations-Meldung verkaufen. Wenn man schon sonst nichts gefunden hat und extra hingefahren ist.
* * *
Mal davon ab, dass ein Friseur, der mit irgendwelchen wildfremden Menschen über mich redet, mir die längste Zeit seines Lebens die Haare geschnitten hätte, habe ich nie verstanden, was so interessant sein soll am Privatleben von Prominenten. Ich bin mir sicher, wenn man die Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder eines beliebigen Menschen befragt, werden die meisten nicht viel mehr als zwei, drei Sätze über die betreffende Person berichten können — wohl aber erstaunliche Details aus dem Privatleben von Brad Pitt, Angelina Jolie, Sandra Bullock und Tiger Woods.
Es ist mir egal, wie oft Ben Folds schon verheiratet war, welche Drogen Pete Doherty gerade nimmt und welche Haarfarbe Lily Allen im Moment hat. Ich wünsche diesen Prominenten wie allen anderen Menschen auch, dass es ihnen gut geht. ((Auch wenn Musiker meist die besseren Songs schreiben, wenn es ihnen schlecht geht, aber so egoistisch sollte man als Hörer dann auch nicht sein.)) Mich interessiert ja offen gestanden schon nicht, was die meisten Menschen so machen, mit denen ich zur Schule gegangen bin. ((Selbst einige Sachen, die mir gute Freunde über sich erzählt haben, hätte ich am liebsten nie erfahren. Aber mit dieser Last muss man in einer Freundschaft irgendwie klarkommen.))
* * *
Es sind Texte wie diese zwei aus “Bild am Sonntag”, bei denen man hofft, bei der Auswahl der eigenen Freunde das richtige Fingerspitzengefühl bewiesen zu haben, auf dass diese nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Journalisten plaudern, wenn man selbst mal zufälligerweise unter einen Tanklaster geraten sollte. Gleichzeitig ahnt man natürlich auch, dass die Menschen, die reden würden, nur das Schlechteste über einen zu berichten wüssten: Frühere Mitschüler, mit denen man nie etwas zu tun hatte; Ex-Kollegen, die man im Eifer des Gefechts mal eine Spur zu hart angegangen hat; Internet-Nutzer, die glauben, aufgrund der Lektüre verschiedener Blog-Einträge und -Kommentare einen Eindruck von der eigenen Person zu haben.
* * *
Überhaupt sollte man bei dieser Gelegenheit und für alle Zeiten noch mal auf den Ratgeber “Hilfe, ich bin in BILD!” zu verweisen, den die Kollegen vor mehr als drei Jahren zusammengestellt haben, aber der natürlich immer noch gültig ist, wenn “Bild”-Reporter, Menschen, die sich als solche ausgeben, oder andere Medienvertreter bei einem anrufen.
* * *
Wenn ein Verkehrsminister seinen Führerschein wegen Geschwindigkeitsüberschreitung abgeben muss, ist das eine interessante Information, weil seine private Verfehlung mit seinem öffentlichen Amt kollidiert. Wenn dagegen ein Landwirtschaftsminister beim Rasen erwischt würde, sähe ich keinen Zusammenhang zu seinem Amt und somit auch keinen Grund für öffentliche Verlautbarungen. ((Dass sich generell jeder an die Verkehrsregeln halten sollte, steht dabei außer Frage.))
Im Falle Kachelmann haben die Vorwürfe gegen ihn nichts mit seinem Beruf zu tun. Zwar ist es durchaus denkbar, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender auf die Dienste vorbestrafter Moderatoren verzichten würde (schon, um Schlagzeilen wie “Unsere Gebühren für den Vergewaltiger!” zu vermeiden), aber darüber kann die ARD ja immer noch entscheiden, wenn es ein rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts gibt.
Allein über die irrige (und oft gefährliche) Annahme, man müsse immer sofort losberichten, wenn man von einer Sache Wind bekommen hat, könnte ich mich stundenlang auslassen. Das Internet und der herbeiphantasierte Anspruch, man müsse nicht der Beste, sondern nur der Schnellste sein, hat Journalismus zu etwas werden lassen, was mit “work in progress” mitunter noch schmeichelhaft umschrieben wäre. “Work in preparation” wäre mitunter passender.
* * *
Von der Arbeitsweise mancher Medienvertreter konnte ich mich in den letzten Tagen selbst überzeugen, als mich ein Mitarbeiter der Zeitschrift “Der Journalist” anrief, die ausgerechnet vom Deutschen Journalisten-Verband herausgegeben wird: Es ging um Vorwürfe, ein Kollege, der auch für BILDblog schreibt, habe Zitate erfunden. Der Mann vom “Journalisten” wollte die Handy-Nummer des Kollegen, die ich ihm nicht geben konnte, und erklärte mir dann, er wolle auf alle Fälle erst mal mit dem Betroffenen selbst sprechen, bevor er etwas veröffentliche. Der Zeitdruck sei ja auch nicht sooo groß, zumal bei einer Monatszeitschrift.
“Das ehrt Sie schon mal”, hatte ich sagen wollen, es dann aber doch nicht getan, weil es mir albern erschien, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu loben. Glück gehabt, denn ich hätte mein Lob zurücknehmen müssen, wie sich alsbald zeigte.
* * *
Doch noch einmal zurück zu Jörg Kachelmann: Wenn sich die Redaktion der “Tagesschau” nach langen Diskussionen entscheidet, nicht über die Vorwürfe gegen ihn und seine Verhaftung zu berichten, kriegt sie dafür einen auf den Deckel.
Die selben Medien, die sich im Vergleich zum bösen, bösen Internet (das neben hundert anderen Gesichtern natürlich auch seine hässliche Fratze zeigt) immer wieder ihrer “Gatekeeper”-Funktion rühmen (die also wichtige von unwichtigen, richtige von unrichtigen Meldungen unterscheiden zu können glauben), haben ihre eigenen Scheunentore sperrangelweit offen und leiten ihre Verpflichtung (mit einer Berechtigung ist es nicht getan) zur Berichterstattung daraus ab, dass auch die Justiz aktiv geworden ist.
Im Fall Kachelmann hat eine Frau Strafanzeige erstattet – und das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl erlassen, als sich der Tatverdacht erhärtet habe. Darüber wird berichtet werden müssen.
Wenn sich ein Journalist hinstellt und zu Besonnenheit aufruft, wie es Michalis Pantelouris in seinem Blog “Print Würgt” getan hat, kommt der Chefredakteur des Mediendienstesdes Trash-Portals von Meedia.de vorbei und wirft ihm in einem Kommentar vor, solche Blogeinträge seien “rufschädigend für den Journalismus”.
Mir ist nach der letzten Woche ehrlich gesagt nicht ganz klar, auf was für einen Ruf er sich da eigentlich noch bezieht.
Ich hab länger überlegt, ob ich noch was über den medialen Overkill schreiben soll, der Deutschland seit dem Tod von Robert Enke fest im Griff hat. Darüber, wie ich mich gestern angesichts des “Bild”-Titels “Deutschland weint mit Frau Enke” an die Zeit nach dem 11. September 2001 erinnert fühlte, als schon mal die Kollektivierung der persönlichen Empfindung völlig die tatsächliche persönliche Auseinandersetzung verhinderte.
Am Mittwochabend war ich in Düsseldorf beim Konzert von Weakerthans-Sänger John K. Samson. Bevor er den (wunderwunderschönen) Song “Pamphleteer” anstimmte, sprach Samson die “Elegy For Gump Worsley” vom letzten Weakerthans-Album. Gump Worsley war ein kanadischer Eishockeytorwart, der unter Flugangst litt und in der Saison 1968/69 einen Nervenzusammenbruch erlitt:
(Das Video entstand ein paar Tage vorher im Konzerthaus Dortmund.)
Editorische Notiz: Diesen Eintrag habe ich gestern Nacht und heute Morgen konzipiert. Als er fertig war, war er schon lange überholt. Ich veröffentliche ihn trotzdem.
11. November
Die ARD eröffnet ihren Abend mit einem “Brennpunkt” zum Tode Robert Enkes, es moderiert Reinhold Beckmann. Weil die DFB-Pressekonferenz fast schon in ganzer Länge in der “Tagesschau” zu sehen war, unterhält sich Beckmann für den Rest der Sendung mit “Kicker”-Chefredakteur Rainer Holzschuh. Zu Gast bei “Stern TV” sind Ex-Nationaltorhüter Eike Immel, irgendein Psychologe und “Supernanny” Katharina Saalfrank, die erklären soll, welche Perspektiven ein acht Monate altes Mädchen hat, deren Adoptivvater sich gerade umgebracht hat. Günther Jauch verspricht, dass man sich für die nächste Ausgabe um den Zugfahrer bemühen werde, der zur Zeit leider noch unter Schock stehe. Zu Gast bei “Markus Lanz” ist Ex-Nationaltorhüter und ZDF-Experte Oliver Kahn, der zum Thema “Sportler und Emotionen” leider wenig beizutragen hat.
12. November
“Bild” macht mit einem ganzseitigen Foto von der Pressekonferenz von Enkes Witwe auf. Auf Seite 6 ist ein Faksimile des Abschiedsbriefs abgebildet, darüber: “So sieht der BILD-Zeichner die letzten Sekunden im Leben von Robert Enke.” Die “ZDF-Reporter” haben “aus gegebenem Anlass” mal untersucht, wie leicht man eigentlich auf so Bahngleise gelangen kann. Bei “Harald Schmidt” parodiert man die Medienhysterie, indem man im Verlauf der Sendung ganze 19 Mal zu einem Reporter schaltet, der neben dem Eingang zur Studiotoilette steht.
13. November
“Enke tot, Schweinegrippe und heute auch noch Freitag der 13.”, titelt “Bild” etwas ungelenk, aber in Horrorfilm-Optik. Der NDR muss eine andere Folge der “NDR-Quizshow” senden als vorgesehen, weil einem Redakteur gerade noch eingefallen ist, dass es bei einer Frage um den Torwart von Hannover 96 geht. Bei “Aspekte” im ZDF hat man sich entschieden, Peter Handkes “Die Angst des Tormanns beim Elfmeter” mit ein paar Versatzstücken antiker Tragödien zu kombinieren.
14. November
Nachdem “Bild” den vierten Tag in Folge mit Enke aufmacht, macht sich in Fanforen Empörung breit. Einzelne Kommentatoren rufen zum Boykott der Zeitung auf. Statt des abgesagten Länderspiels Deutschland – Chile zeigt das ZDF einen Film mit Veronika Ferres.
15. November
Horst-Eberhard Richter verhandelt in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” anhand der Beispiele Robert Enke und Sebastian Deisler die Unmenschlichkeit des Profifußballs. Im “Doppelpass” des DSF stoßen Jörg Wontorra und Udo Lattek auf das Andenken von Robert Enke an.
Richard Wagner ist Redakteur bei der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” und hat am vergangenen Sonntag in seiner Kolumne “Das war’s” folgenden … Nachruf verfasst:
Rätselhaft blieb, warum der unappetitliche Tod des höchstens mittelmäßigen sogenannten Sängers Stephen Gately der längst abgehalfterten sogenannten Boygroup “Boyzone” auf der in noch anderer Hinsicht unappetitlichen Insel Mallorca den Weg in die respektable Öffentlichkeit fand.
Wenn man mal von den ganzen UnverschämtheitenZynismen Adjektiven absieht, ((Ebenfalls absehen sollte man natürlich von dem Umstand, dass da ein Bandname in Anführungszeichen gesetzt ist, was mich einfach immer wahnsinnig macht. Aber das mag ein persönliches Problem sein.)) steht da eine gar nicht mal so uninteressante Frage: Warum verschaffte sein Tod Stephen Gately eine Aufmerksamkeit, die er – wenn überhaupt – zuletzt vor zehn Jahren bekommen hatte, als er in der “Sun” sein (milde erzwungenes) Coming Out hatte?
Ganz banal gesagt fängt es natürlich mit der Öffentlichkeit – das Wort “respektabel” muss Wagner beim wahllosen Adjektiv-Einsetzen reingerutscht sein – an, die größer ist als je zuvor. Was früher Gesprächsthema auf dem Pausenhof oder in der Teeküche war, findet jetzt für jeden wahrnehmbar im Internet statt. Es gibt Twitter, Blogs, Pinnwände bei Facebook, MySpace und last.fm und Boulevardzeitungen, die quasi rund um die Uhr erscheinen. Alles bekommt heute mehr Aufmerksamkeit als vor zehn Jahren — vielleicht mit Ausnahme einiger wichtiger Dinge, aber darüber sollen Kulturpessimisten wie Richard Wagner nachgrübeln.
Eine andere pragmatische Antwort wäre: Weil die Frauen, die heute die “People”-Ressorts und Online-Redaktionen rund um den Erdball besetzen, mit Boyzone aufgewachsen sind. Die Antwort ist aber so schlicht, dass man sie Wagner tatsächlich anbieten würde, wenn man ihn irgendwo zwischen Tür und Angel träfe.
Aber man kann ja mal versuchen, ein bisschen tiefer zu gehen: Erst einmal erzeugt ja der Tod eines Prominenten ((“eines sogenannten Prominenten” für Richard Wagner.)) immer mediale Aufmerksamkeit — je vorzeitiger, desto größer. Es gilt, was Nada Surf 1999 in “River Phoenix” ((Benannt nach dem Schauspieler, der 1993 im Alter von 23 Jahren an einer Überdosis Heroin und Kokain verstarb.)) sangen:
We didn’t know Jackie O
She was one of the people that we did not know
Nor did we care about her hair
Her pillbox hat and her savoir faire
But still we thought we knew
Man nimmt halt irgendwie am Leben von Personen des öffentlichen Lebens teil — heute noch sehr viel mehr als vor zehn Jahren: Stephen Gately hatte einen Twitter-Account, der ja als das Symbol der Annäherung zwischen Stars und ihren Fans gilt.
Als Anna Nicole Smith, eine Frau, die aus sehr viel schlichteren Gründen berühmt war als Stephen Gately, im Februar 2007 starb, erklärten einige Menschen aus meinem Umfeld etwas irritiert, dass sie dieser Todesfall doch irgendwie betroffen mache — und ich war ganz froh, dass es nicht nur mir so ging. Fünf Monate zuvor hatte Smith ihre Tochter zur Welt gebracht, ihr Sohn Daniel war beim Besuch am Kindsbett gestorben. Das wünscht man keinem, auch keiner grotesken Medienfigur, deren Leben von Anfang an unsternverfolgt schien.
Ein weiterer wichtiger Grund, warum sich die Öffentlichkeit und die Medien so sehr auf Gatelys Tod stürzten, sind die “unappetitlichen” Umstände — oder das, was die Klatschjournalisten gerne darin sehen wollten: Erst hieß es, er sei an seinem eigenen Erbrochenen ((Völlig bizarr wäre natürlich, mal von jemandem zu lesen, der an fremdem Erbrochenen erstickt ist. Man könnte aber wohl auch gut drauf verzichten.)) erstickt, was ja Rockstartod #1 wäre (vgl. Jimi Hendrix, Bon Scott). Die Rede war von einer wilden Partynacht mit seinem eingetragenen Lebenspartner und einem dritten Mann.
Denn, machen wir uns nichts vor: Die Tatsache, dass Gately schwul war, gibt der Geschichte natürlich noch mal eine gewisse Würze. Einerseits verleiht es der Aufstiegsgeschichte vom Arbeitersohn zum Popstar ein gewisses tragisches Moment, dass sich Gately jahrelang verstellen musste, andererseits gibt es den völlig Enthirnten Gelegenheit zu Überschriften wie “Homo-Sänger erstickt am eigenen Erbrochenen”. Und dann dieser 25-jährige bulgarische “Partyboy”, ((Wobei man über das Wort “Partyboy” ja schon fast froh und dankbar sein muss — irgendetwas sagt mir, dass da vor kurzem noch “Stricher” gestanden hätte.)) der beim Paar in der Wohnung war — da ist natürlich der Phantasie zahlreicher Redakteure und Leser freie Bahn gelassen.
Dabei spricht wenig dafür, dass Gately ein exzessives Leben geführt hat. Personen aus seinem Umfeld werden damit zitiert, dass er nur selten Alkohol trank und auch sonst nicht ständig auf Party aus war. Aber solche Aussagen taugen längst nicht für so knallige Schlagzeilen — und wenn man schon kaum etwas über sein Privatleben weiß und die Seriosität der Quellen eh nicht einschätzen kann, dann bezieht man sich natürlich lieber auf die Erzählungen, die skandalöser wirken und beim geneigten Leser zur Schlussfolgerung “Selbst schuld, der Herr Popstar!” führen.
Aber all das reicht natürlich nicht zum Popstartod des Jahres, nicht im Jahr 2009. Hätte man am 20. Juni mit “Beat It” allenfalls ein paar besonders Tanzwütige zum Beineschütteln bewegen können, waren die Tanzflächen eine Woche später voll, als die ersten Takte erklangen. Die Anteilnahme – auch die eigene – am Tode Michael Jacksons dürfte die meisten Menschen überrascht haben. Wie ernst es wirklich war, merkte ich, als meine Großeltern, deren größte Annäherung an die Popkultur sonst im “Tatort”-Gucken am Sonntagabend besteht, ((Eine Zeit lang dachte mein Großvater, er wisse, was eine Rapperin sei — es war die Phase, in der Boris Becker mit Sabrina Setlur liiert war.)) mich fragten, was ich denn zum Tod von Michael Jackson sagen würde. Ja, was sagt man da?
Jackson hatte halt irgendwie irgendwann einmal das Leben von fast jedem Menschen auf diesem Planeten berührt — und wenn sich das bei manchen nur in der Ansicht niederschlug, Jackson sei wahnsinnig und (s.o.) an allem selbst schuld. Aber obwohl Jackson eigentlich spätestens seit seinem Prozess wegen Kindesmissbrauchs im Jahr 2005 als Witzfigur galt, war das bei den Meisten – natürlich nicht bei den Medien – schnell vergessen und es stand nur noch die Musik und die Tragik seines Lebens im Vordergrund.
Und tragisch im eigentlichen Sinne sind in solchen Fällen ja meist das Leben des Verstorbenen (Jackson), der Zeitpunkt (noch mal Jackson, so kurz vor dem geplanten Comeback) oder die weiteren Umstände (verfolgt von Paparazzi wie Prinzessin Diana) des Todes — die Todesfälle selbst sind fast allesamt banal. Mehr Chemie im Körper, als der verarbeiten kann, führt zu schlichtem Funktionsversagen. Wenn ein betrunkener Fahrer viel zu schnell durch einen Tunnel rast, kann das zur Kollision mit einem Tunnelpfeiler führen, eine Geschwindigkeitsübertretung unter Alkoholeinfluss auf dem Heimweg schnell zum Abflug, wie bei Jörg Haider.
Nur akzeptieren will die Öffentlichkeit natürlich nie, dass ein Star letztlich menschlich und damit sterblich ist. Deswegen müssen Erklärungsversuche unternommen werden, und seien sie noch so abwegig und absurd. Dann war es halt die Mafia, ein Geheimdienst oder irgendwelche Verschwörer. Wenigstens ein Selbstmord, damit es nicht einfach ein alltäglicher Unfall war! Nur in seltenen Glücksfällen wird ein erfolgreicher, junger Politiker, der eine hübsche Frau und süße Kinder hat, aber Hollywoodstars und Sekretärinnen vögelt, unter völlig unerklärlichen Umständen in aller Öffentlichkeit erschossen — wobei man nun wirklich nicht behaupten kann, dass dieser Fall frei von Verschwörungstheorien sei.
Der Unterschied zwischen bekannten und unbekannten Sterblichen besteht lediglich in der Reaktion auf den Tod: Aus allen vorgenannten Gründen erzeugt der Tod eines Prominenten eine mediale Aufmerksamkeit, die den Verstorbenen überdauern kann. Spätestens, wenn der nächste Prominente unter Umständen stirbt, die nicht “Krebs” oder “Alter” heißen, wird Stephen Gatelys Name wieder in irgendeiner Liste (wahrscheinlicher, natürlich: in einer Bildergalerie) auftauchen und den Musiker damit überleben. Ob man als Fußnote unsterblich werden will, ist allerdings fraglich.
Sie werden es mittlerweile alle mitbekommen haben: Gestern Nachmittag (Ortszeit) fielen bei einem Airbus A320 kurz nach dem Start am La Guardia Airport beide Triebwerke aus und der Pilot musste die Maschine auf dem Hudson River notlanden.
Dass alle 155 Insassen überlebt haben, darf man wohl getrost als ziemliches Glück bezeichnen: zwar ist der Hudson einigermaßen breit und frei von Brücken und damit – im Gegensatz zum East River auf der anderen Seite Manhattans – durchaus für Notwasserungen geeignet, aber ein Flugzeug auf einem viel befahrenen Fluss aufzusetzen und es anschließend zu evakuieren, während es langsam im eiskalten Wasser untergeht, das zählt schon zu den außergewöhnlicheren Aufgaben eines Linienpiloten.
Wer gestern Abend unserer Zeit beim Microblogging-Dienst twitter reingeschaut hat, wurde über die Lage bestens informiert: als eine der ersten Meldungen gab es ein Foto, das Janis Krums, der zufällig auf einer der Fähren im Hudson und damit direkt am Unfallort war, mit seinem iPhone gemacht hatte. twitpic.com brach zeitweise unter dem Ansturm zusammen und ziemlichvieleNachrichtenseiten berichteten darüber.
Wer mit einem Liveticker von Augenzeugen und ebenfalls twitternden Nachrichtenagenturen versorgt wurde, für den waren die Informationen, mit denen das deutsche Fernsehen seine Zuschauer zu beglücken versuchte, natürlich ein Desaster. Statt einfach “ins Internet” zu gucken, griff man lieber auf dünne Agenturmeldungen und Reporter vor Ort zurück.
Dabei ist es ein überholter Irrglaube der Nachrichtenmacher, bei einem Ereignis erst mal an den Ort des Geschehens schalten zu müssen. Dort steht dann ein überforderter Reporter den Rettern im Weg rum und kann seine Eindrücke schildern — wobei er sich natürlich gerade gar keine eigenen Eindrücke verschaffen kann, weil er ja in einer zwar atmosphärischen, aber weitgehend Informationslosen Schalte mit einem wissbegierigen Reporter gefangen ist. Wenn er Glück hat, hat er vorher einen Passanten fragen können, ob der einen lauten Knall gehört habe.
Nun würde ich nicht so weit gehen und sagen, das Internet könne schon jetzt das Fernsehen ersetzen. Wenn sich meine Großeltern, Eltern und viele meiner Freunde über derartige Ereignisse informieren wollen, schalten sie natürlich irgendeinen Nachrichtensender ein und auch ich hatte zwischendurch CNN laufen, wo Wolf Blitzer einen der Passagiere gerade telefonisch derart mit Fragen löcherte, als müsse er selbst noch in dieser Nacht den Untersuchungsbericht der Luftaufsichtsbehörde verfassen.
Aber was die deutschen Nachrichtensendungen da über den Äther schicken, war eine dumpfe Mischung aus Kaffeesatzlesen mit Tante Mimi, Onkel Heinz erzählt vom Angeln und Klein-Fritzchen erzählt seiner Mutti, wie es in der Kirche war, obwohl er währenddessen Fußballspielen war.
“Zahlreiche Fährschiffe versuchen, Überlebende zu retten”, teaserte RTL sein “Nachtjournal” an, was wohl ebenso richtig, aber weit weniger dramatisch war als das “Es gibt keine Anzeichen für einen Terroranschlag”, mit dem Gabi Bauer die ARD-Nachrichtenattrappe “Nachtmagazin” eröffnete, bevor sie eine Viertelstunde später Thorsten Schäfer-Gümbel mit der Frage, wie wichtig Sex im Wahlkampf sei (gemeint war wohl eher “Sexappeal”), völlig aus der Fassung brachte.
Den besonderen Ernst der Lage konnte man daran erkennen, dass n-tv seine geplanten “National Geographic”-Reportagen kippte und live auf Sendung ging. Während CNN, Fox News, MSNBC und BBC World ziemlich beeindruckende Live-Bewegtbilder aus New York hatten (die Hubschrauber der großen Networks schweben ja eh die ganze Zeit über der Stadt), hatte n-tv einen Moderator im Studio, mehrere “Breaking News”-Laufbänder, ein paar Fotos und einen Reporter am Telefon. Und der sagte, wenn ich ihn nicht völlig falsch verstanden habe, dass es wohl “bald” die ersten Handy-Fotos und -Videos im Internet zu sehen geben würde. Zu diesem Zeitpunkt war twitpic bereits down und bei flickr gab es jedeMengeFotostreckenundEinzelbilder zu sehen. Sogar ersteWitze.
Es geht mir gar nicht darum, Internet und Fernsehen gegeneinander ausspielen zu wollen — und die Zeitungen von heute waren schon gedruckt, bevor das Flugzeug überhaupt abgehoben hatte. Aber ich denke, dass auch die Menschen, die nicht bei twitter, flickr und Facebook unterwegs sind, ein Anrecht auf aktuelle Informationen haben. Und die bekommt man heute nun wirklich so einfach und billig wie noch nie. Auch als Nachrichtenredakteur des deutschen Fernsehens.
Nachtrag, 20:20 Uhr: Auch meine Freunde von “RP Online” berichten über die Fotos bei twitter und bei flickr.
Das Sensationelle daran: Sie schaffen das ohne einen einzigen Link!
Nachtrag, 17. Januar, 00:23 Uhr:ZweiTweets später hat “RP Online” alles verlinkt.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Redakteur bei einem Boulevardmagazin, einer Tageszeitung oder einem beliebigen Formatradiosender.
Ja, das ist schon schlimm, aber jetzt kommt’s: Stellen Sie sich bitte weiter vor, Sie haben sich wieder mal zu spät um die Urlaubsplanung gekümmert und wissen jetzt schon, dass Sie im kommenden Jahr “zwischen den Jahren” arbeiten müssen – also in der extrem langweiligen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester, in der außer riesigen Naturkatastrophen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen eigentlich nie was passiert.
Damit Sie das Programm irgendwie gefüllt kriegen, gibt Ihnen das Dienstleistungsblog Coffee And TV schon jetzt eine kleine Liste mit Themen an die Hand, die Sie während der nächsten 361 Tage abarbeiten können:
Geschenke umtauschen: Schicken Sie einen Reporter in ein beliebiges Kaufhaus und lassen Sie ihn von Gutscheinen und Umtauschaktionen faseln. Wichtig: Klischeegemäß Socken, Krawatten, o.ä. erwähnen!
Abnehmen: Alle Menschen werden über Weihnachten dick. Warum weiß kein Mensch. Glauben einem aber eh alle unbesehen. Experten (Arzt, Ernährungswissenschaftlerin, Harry Wijnford) vor die Kamera zerren. Evtl. während einer der diversen Preisverleihungen schon mal Prominente nach Abspecktipps fragen (dabei dringend auf mögliche Schleichwerbung achten!!!!1).
Feuerwerk: Ist urst gefährlich. Schaufensterpuppen in die Luft sprengen, Feuerwehr oder Pyrotechniker interviewen. Wichtig: Vor osteuropäischen Produkten warnen (haben kein Prüfzeichen).
Vorsätze fürs neue Jahr: Prominente (Preisverleihung, s.o.) oder Straßenumfrage. Obskure Statistiken einbringen. Experte: Schwierig. Vielleicht Pete Doherty o.ä.
Das wird anders: Neue Münzen, Steuersätze, Gesetze, Verordnungen. Kann man einen Tag von leben. Straßenumfragen bei benachteiligten Minderheiten (Steuerzahler, Raucher, etc.) nicht vergessen!
Silvesterfeier: So feiert Promi XY oder Ihre Nachbarin. Zwecks Abwechslung auch an Exoten denken (s. Blanco, Roberto; Cordalis, Costa; Farrag, Nadja Abd El; Baffoe, Liz). Gut kombinierbar mit:
Rezepte: Kochen geht immer, besonders zu Silvester. Opener: Schnittbilder von Raclette, Fondue, Karpfen blau (s. Archiv).
Hausmittel gegen Kater: Prominente (s.o.), Straßenumfrage, Arzt, Apothekerin, etc. Wichtig: In der Anmoderation den Moderator von “meiner Oma” erzählen lassen.
Dinner For One: Läuft zum xy. Mal. Prominente erzählen oder nachspielen lassen, gut mit Quiz (Sitzordnung!!!1) kombinierbar. Auf alle Fälle darauf hinweisen, dass der Sketch in England “völlig unbekannt” ist (geht auch als Aufhänger, dann GB-Korrespondenten frühzeitig um eine alberne Straßenumfrage bitten).
Alternativ könnten Sie natürlich auch den Krempel von diesem Jahr wiederholen. Oder den vom letzten Jahr. Oder vom vorletzten …
So ein bisschen hatte der WDR Pech mit seinem Timing. Da hat man mit “Dramatische Entwicklungen bei der WAZ-Gruppe: Zeitungen erscheinen nur noch in reduziertem Umfang” eine Top-Meldung, die nicht nur für Medienkreise, sondern weit darüber hinaus interessant ist, aber leider war es schon 19:00 Uhr, als die Pressemitteilung dazu rausging. Die Mediendienste und -blogs (mit Ausnahme von Medienrauschen) waren schon im Feierabend und bei der “WAZ” war niemand mehr (also: noch niemander), der für Rückfragen zur Verfügung hätte stehen können. Auch bei den Pressemitteilungen der WAZ-Mediengruppe findet sich noch nichts zu den aktuellen Entwicklungen.
Das Branchenblatt “Werben & Verkaufen” hatte das zwar schon am Nachmittag angedeutet, aber dass die Zeitungen des Konzerns (“Westdeutsche Allgemeine Zeitung”, “Neue Rhein/Neue Ruhr-Zeitung”,”Westfälische Rundschau” und “Westfalenpost”) schon ab morgen in deutlich geringerem Umfang erscheinen sollen (32 statt 48 Seiten), das ist schon ein ziemlicher Hammer. Darüber hinaus könnten bis zu einem Drittel der Stellen abgebaut werden.
Die Zeitungskrise, die schon etliche amerikanische Traditionsblätter zerlegt oder ins Internet gedrängt hat, ist damit mitten im Kerngeschäft von Deutschlands drittgrößtem Verlagshaus angekommen. Das Fernsehen hatte die Krise ja schon gestern erwischt.
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