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„Haha“, said the clown

Wenn sich der Mann, der in der Nacht zum Frei­tag in einem Kino in Colo­ra­do 12 Men­schen erschos­sen und 58 wei­te­re ver­letzt hat, für eine ande­re Vor­stel­lung ent­schie­den hät­te, wäre alles anders: „Ice Age 4“, der Katy-Per­ry-Kon­zert­film, schon „The Ama­zing Spi­der-Man“ hät­te alles geän­dert, aber der Mann ging in die Mit­ter­nachts­vor­stel­lung von „The Dark Knight Rises“ – ob gezielt, ist noch nicht klar.

dapd schreibt:

Der Poli­zei­chef von New York, Ray­mond Kel­ly, sag­te, der Ver­däch­ti­ge habe sei­ne Haa­re rot gefärbt und gesagt, er sei der „Joker“, ein Böse­wicht aus den „Batman“-Filmen und ‑Comic­bü­chern. „Das ist mei­nes Wis­sens nach nicht wahr“, sag­te hin­ge­gen der ört­li­che Poli­zei­chef Dan Oates, erklär­te aber mit Kel­ly gespro­chen zu haben.

Der Poli­zei­chef einer 2.800 Kilo­me­ter ent­fern­ten Stadt sagt etwas, was der ört­li­che Poli­zei­chef nicht bestä­ti­gen kann oder will – das kann man auf­schrei­ben, wenn man die ohne­hin ins Kraut schie­ßen­den Spe­ku­la­tio­nen wei­ter anhei­zen will, muss es aber sicher nicht.

Das heißt: Als Nach­rich­ten­agen­tur im Jahr 2012 muss man es wahr­schein­lich schon, weil die Kun­den, allen vor­an die Online­diens­te, ja sonst selbst anfan­gen müss­ten, irgend­wel­che mut­maß­li­chen Details aus dem Inter­net zusam­men­zu­tra­gen. Dabei gibt es kaum wel­che!

„Spie­gel Online“ kom­men­tiert den Umstand, dass der Mann offen­bar nicht bei „Face­book, Twit­ter, irgend­ein Social Net­work her­kömm­li­cher Strick­art“ ange­mel­det war, dann auch ent­spre­chend so:

Bei den Fahn­dern wirft das Fra­gen auf, wäh­rend es bei jün­ge­ren Inter­net­nut­zern für Fas­sungs­lo­sig­keit sorgt. Ihnen erscheint [der Täter] wie ein Geist. Wie kann das sein, dass ein 24 Jah­re jun­ger ame­ri­ka­ni­scher Aka­de­mi­ker nicht ver­netzt ist? Mit nie­man­dem kom­mu­ni­ziert, Bil­der tauscht, Sta­tus-Aktua­li­sie­run­gen ver­öf­fent­licht, sich selbst öffent­lich macht?

Man hät­te es also wie­der ein­mal kom­men sehen müs­sen:

Dass [der Täter] im Web nicht prä­sent ist, macht ihn heu­te genau­so ver­däch­tig, wie er es als exzes­si­ver Nut­zer wäre. Im Janu­ar 2011 ver­öf­fent­lich­te ein Team um den Jugend­psy­cho­lo­gen Richard E. Bélan­ger eine Stu­die, die exzes­si­ve Inter­net­nut­zung genau wie Inter­net- und Ver­net­zungs-Abs­ti­nenz bei jun­gen Leu­ten zu einem Warn­si­gnal für men­ta­le Erkran­kun­gen erklär­te.

Erst an die­ser Stel­le, in den letz­ten Absät­zen, wen­det sich Autor Frank Pata­long gegen die von ihm bis­her refe­rier­ten The­sen:

Man muss sich ein­mal vor­stel­len, was es für uns alle bedeu­ten wür­de, wenn das Kon­sens wür­de: Dann wäre nur noch der unver­däch­tig, der ein „nor­ma­les“ Online-Ver­hal­ten zeigt, Selbst­ver­öf­fent­li­chung per Social Net­work inklu­si­ve.

Doch viel­leicht braucht man aus […] feh­len­der Online-Prä­senz kein Mys­te­ri­um zu machen. Viel­leicht ist […] ein­fach nur ein ehe­ma­li­ger Über­flie­ger, der mit sei­nem eige­nen Schei­tern nicht zurecht­kam. Ein Nie­mand, der jemand wer­den woll­te, und sei es mit Gewalt auf Kos­ten unschul­di­ger Men­schen.

Es gibt aller­dings berech­tig­te Hoff­nung dar­auf, dass die Tal­soh­le bereits erreicht wur­de – womög­lich gar bis zum Ende des Jah­res oder dem der Welt.

Beim Ver­such, mög­li­che Zusam­men­hän­ge zwi­schen den „Batman“-Filmen und dem Mas­sen­mord im Kino als halt­lo­se Spe­ku­la­ti­on zurück­zu­wei­sen, lehnt sich Hanns-Georg Rodek bei „Welt Online“ näm­lich der­art weit aus dem Fens­ter, dass er fast schon wie­der im Nach­bar­haus auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te (vier­spu­ri­ge Stra­ße mit Park­buch­ten am Rand und Grün­strei­fen in der Mit­te) ankommt.

Aber lei­der nur fast:

[Der Täter] flüch­te­te durch den Not­aus­gang und wur­de, ohne Wider­stand zu leis­ten, bei sei­nem Auto gefasst. Dabei soll er „Ich bin der Joker, der Feind von Bat­man“ gesagt haben.

Dar­aus lässt sich eine ers­te wich­ti­ge Fol­ge­rung zie­hen: Der Atten­tä­ter hat den Film nicht gese­hen, auch nicht im Netz, weil dort kei­ne Raub­ko­pien kur­sier­ten, und er kann sich den Inhalt nur bruch­stück­haft zusam­men­ge­reimt haben, wobei aller­dings All­ge­mein­wis­sen war, dass der Joker gar nicht auf­tritt.

Laut Rodek war der Joker also da, wo sich die Leser sei­nes Arti­kels wäh­nen: im fal­schen Film. Er hät­te nicht die ers­te Vor­stel­lung von „The Dark Knight Rises“ stür­men müs­sen, son­dern eine der (zum Start des Films zahl­reich ange­bo­te­nen) Wie­der­auf­füh­run­gen des zwei­ten „Batman“-Films von Chris­to­pher Nolan, „The Dark Knight“. Denn da hät­te ja der Joker mit­ge­spielt.

Aber das ist eh alles egal, so Rodek:

Auf jeden Fall hät­te [der Täter], wäre sei­ne Sti­li­sie­rung ernst gemeint gewe­sen, sich die Haa­re nicht rot fär­ben müs­sen, son­dern grün. Der Joker trägt grü­nes Haar, weil er ein­mal in ein Fass mit Che­mi­ka­li­en fiel, das weiß in Ame­ri­ka jedes Kind.

Die Leu­te von dpa wuss­ten es nicht, aber die sind ja auch kei­ne ame­ri­ka­ni­schen Kin­der. Und das, wo Rodek den Jugend- und Teen­ager-Begriff schon aus­ge­spro­chen weit fasst:

US-Teen­ager – [der Täter] ist 24 – wis­sen ziem­lich gut über die­se Figur Bescheid.

Rodek hin­ge­gen weiß über Mas­sen­mor­de ziem­lich gut Bescheid:

Das Cen­tu­ry-Kino war die per­fek­te Büh­ne – Hun­der­te Men­schen, zusam­men­ge­pfercht, ihm in Dun­kel und Gas­ne­bel aus­ge­lie­fert. Ein Ort, bes­ser noch für sein Vor­ha­ben als eine Schu­le, ein Ein­kaufs­zen­trum oder eine bewal­de­te Insel.

Ein Kino ist beim Amok­lauf-Quar­tett also unschlag­bar, qua­si der … äh: Joker.

Viel kann man zum jet­zi­gen Zeit­punkt aber eh noch nicht sagen:

Genaue Grün­de für sei­ne Mord­lust wer­den die Psy­cho­lo­gen erfor­schen, sie dürf­ten irgend­wo zwi­schen per­sön­li­cher Ver­ein­sa­mung und der Unfä­hig­keit der Gesell­schaft lie­gen, ihm trotz sei­ner anschei­nen­den Intel­li­genz mehr als einen McDonald’s‑Job zu bie­ten.

Das steckt natür­lich ein wei­tes Spek­trum ab. Der Satz „Alles ande­re wäre zum jet­zi­gen Zeit­punkt rei­ne Spe­ku­la­ti­on“ ist an die­ser Stel­le mut­maß­lich dem Lek­to­rat zum Opfer gefal­len.

Tat­säch­lich geht es aber um etwas ganz ande­res:

Sich mit allen Mit­teln in Sze­ne zu set­zen, ist heu­te ers­te Bür­ger­pflicht, in der Schu­le, in der Cli­que, bei der Super­star-Vor­auswahl, bei der Bewer­bung um eine Arbeits­stel­le. [Der Täter] hat die­se Lek­ti­on her­vor­ra­gend gelernt.

Er hat also nicht nur die „per­fek­te Büh­ne“ gewählt, son­dern auch die Selbst­dar­stel­lungs­lek­ti­on „her­vor­ra­gend gelernt“. Da ist es doch tat­säch­lich frag­lich, war­um so ein offen­kun­dig bril­lan­ter Mann wie die­ser Mas­sen­mör­der bei McDonald’s arbei­ten muss­te.

Gera­de, wo er auch bei der Wahl des rich­ti­gen Kino­films die rich­ti­ge Ent­schei­dung (gegen „Ice Age 4“, wir erin­nern uns) getrof­fen hat:

Er hat den Abend der ers­ten Vor­füh­rung des meis­ter­war­te­ten Films des Jah­res gewählt (zwei Wochen spä­ter hät­te er genau­so vie­le umbrin­gen kön­nen, nur der Auf­merk­sam­keits­ef­fekt wäre gerin­ger gewe­sen), und er hat sich das Label „Joker“ selbst ver­passt, das die Medi­en von nun an ver­wen­den wer­den.

Ja, man­che mensch­li­che Gehir­ne wären an die­ser Stel­le auf Not­aus gegan­gen. Der Ver­such zu erklä­ren, war­um der Täter nichts mit dem Joker zu tun hat (er hat ja offen­bar nicht mal die Fil­me gese­hen!), ist an die­ser Stel­le jeden­falls end­gül­tig geschei­tert. Selbst beim Anschrei­ben gegen den media­len Wahn­sinn ist Rodek in eine der klas­si­schen Fal­len getappt, die sol­che Mas­sen­mör­der ger­ne aus­le­gen um dar­in schlag­zei­len­gei­le Jour­na­lis­ten im Rudel zu fan­gen: Die Medi­en bege­hen die fina­le Bei­hil­fe zur Selbst­in­sze­nie­rung. Es ist also so wie immer.

„Spie­gel Online“ hat das auch beein­dru­ckend unglück­lich hin­be­kom­men: Der Arti­kel dar­über, dass der Gou­ver­neur von Colo­ra­do sich wei­gert, den Namen des Täters aus­zu­spre­chen, und dass US-Prä­si­dent Oba­ma sag­te, spä­ter wer­de man sich nur an die Opfer, nicht aber an den Täter erin­nern, beginnt mit dem Namen des Täters, der im wei­te­ren Arti­kel noch gan­ze 21 Male vor­kommt.

Doch zurück zu „Welt Online“, zum „Joker“, der nicht der Joker ist:

Wäre er wirk­lich auf merk­wür­di­ge Art vom Joker beses­sen, hät­te er sich ihm auch nach­kos­tü­miert. Aber nein, er war „pro­fes­sio­nell“ ein­ge­klei­det, mit schuss­si­che­rer schwar­zer Wes­te und Atem­mas­ke, wie die gru­se­li­gen Gestal­ten der Son­der­ein­satz­teams von Poli­zei und Armee. Viel­leicht soll­te man eher dort nach ver­häng­nis­vol­len Vor­bil­dern suchen.

Na, viel Spaß dabei!

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Der blutige Weg in die Unsterblichkeit

Wäh­rend ich die­se Zei­len tip­pe, ste­hen irgend­wo in Süd­deutsch­land Poli­zis­ten vor Haus­tü­ren und üben Sät­ze, die begin­nen mit „Wir müs­sen Ihnen lei­der mit­tei­len …“. Gerichts­me­di­zi­ner bese­hen sich Ein­schuss­lö­cher an toten Kör­pern und ein Eltern­paar wird von der Kri­mi­nal­po­li­zei ver­hört. Vie­le Men­schen machen sich Sor­gen, eini­ge Vor­wür­fe und über all das könn­te ich bes­tens – oder wenigs­tens höchst spe­ku­la­tiv – infor­miert sein, wenn ich nicht vor­hin alle Nach­rich­ten­ka­nä­le gekappt hät­te.

Auf das, was die Bou­le­vard­pres­se „Tra­gö­die“ nennt, reagie­re ich ent­we­der mit doku­men­ta­ri­scher Obses­si­on (dann ver­brin­ge ich Stun­den vor dem Fern­se­her) oder mit für mich selbst merk­wür­dig anmu­ten­der Gleich­gül­tig­keit. Heu­te will ich nichts wis­sen. Der Fern­se­her ging aus, als ein Repor­ter auf n‑tv sal­ba­der­te, der Nach­bar des Amok­läu­fers habe ihm gesagt, der Täter habe oft „Bal­ler­spie­le“. twit­ter hat­te ich da schon lan­ge abge­stellt. Das ist zum einen mei­ner sehr kind­li­chen Ein­stel­lung geschul­det, wonach Din­ge, von denen ich nichts mit­be­kom­me, nie pas­siert sind; zum ande­ren weiß ich, dass der media­le Over­kill mich wahn­sin­nig und wütend zurück­lie­ße.

Ich kann also nur mut­ma­ßen, dass „Bild“ gera­de das MySpace-Pro­fil des Täters ent­deckt hat; dass irgend­ein CDU-Poli­ti­ker gera­de wie­der ein Ver­bot von irgend­et­was, was er nicht ver­steht, for­dert und dass in irgend­ei­ner Redak­ti­on gera­de Bil­der von wei­nen­den Jugend­li­chen, Ker­zen und Blu­men mit der Musik von Moby oder Enya unter­legt wer­den. Den Men­schen, die das mut­maß­lich gera­de tun, kann ich nur raten, sich einen ordent­li­chen Job zu suchen. Die Städ­te sind voll von Müll und mei­ne Schu­he müss­ten drin­gend geputzt wer­den.

Vor allem fra­ge ich mich aber, ob wir irgend­et­was über den Täter wis­sen müs­sen. Amok­läu­fe sind – auch das könn­te ich sicher wie­der über­all nach­le­sen – zumeist die Taten von Men­schen, die an ihrer Umwelt geschei­tert sind. Das (wahl­lo­se) Töten von Men­schen ist die letz­te und ein­zi­ge Domi­nanz­ges­te, zu der sie fähig sind. Und genau die­se Domi­nanz­ges­te, die Selbst­er­he­bung zum Rich­ter über Leben und Tod, wird von den Medi­en ins Uner­mess­li­che über­höht und für die Ewig­keit fest­ge­hal­ten.

Ohne nach­zu­se­hen könn­te ich Ihnen die berühm­tes­ten Schul-Amok­läu­fer der letz­ten zehn Jah­re nen­nen: Dylan Kle­bold, Eric Har­ris, Robert Stein­häu­ser. Gemein­sam haben sie (das muss­te ich jetzt doch nach­gu­cken) 28 Men­schen und sich selbst getö­tet, aber auch nach lan­gem Grü­beln wäre mir kein ein­zi­ger Name auch nur eines Opfers ein­ge­fal­len.

Dass wir Namen wie Mark Chap­man (erschoss John Len­non), Sir­han Sir­han (erschoss Robert F. Ken­ne­dy) und John Wil­kes Booth (erschoss Abra­ham Lin­coln) ken­nen, ist bei Licht bese­hen schon merk­wür­dig genug. Ihre ein­zi­ge „Leis­tung“ bestand dar­aus, einen berühm­ten Men­schen aus dem Leben zu schie­ßen. Amok­läu­fer trei­ben die­ses Phä­no­men auf die Spit­ze, denn ihr Bekannt­heits­grad rich­tet sich nicht zuletzt nach der Zahl ihrer Opfer. (Von Bas­ti­an B., der vor zwei­ein­halb Jah­ren an einer Schu­le in Ems­det­ten Amok lief, dabei aber nur sich selbst töte­te, habe ich bei­spiels­wei­se nie den Nach­na­men gele­sen.)

Die Täter blei­ben im Gedächt­nis, sie wer­den ger­ne mal – so grau­sam ist die Welt – zu Pop­kul­tur-Iko­nen. Wir wis­sen fast alles über sie, aber das hilft uns weder zu ver­ste­hen, noch kann es ver­hin­dern, dass wei­te­re Schü­ler-Gehir­ne auf over­load umstel­len (ein Bild, das dem Boom­town-Rats-Song „I Don’t Like Mon­days“ ent­stammt, der – natür­lich – von einem Schul­mas­sa­ker han­delt). Ver­mut­lich wüss­te nie­mand mehr den Namen von Sil­ke Bisch­off, die beim Gei­sel­dra­ma von Glad­beck ums Leben kam, wenn sich nicht eine Band nach ihr benannt hät­te. Die Täter? Klar: Rös­ner und Degow­ski.

Der klei­ne, aus­ge­sto­ße­ne Teen­ager, der von der Gesell­schaft igno­riert wird (und ver­mut­lich Mari­lyn Man­son hört und „Coun­terstrike“ spielt), sieht die Fotos von Har­ris, Kle­bold, Stein­häu­ser und wha­te­ver­his­na­me­may­be auf den Zei­tun­gen und nach jedem wei­te­ren Amok­lauf im Fern­se­hen. Wenn genug äuße­re Umstän­de und frei zugäng­li­che Waf­fen zusam­men­kom­men, könn­te es die Aus­sicht auf genau die­se post­hu­me Hall of Fame der durch­ge­dreh­ten Schü­ler sein, die ihn letzt­lich zur Tat schrei­ten lässt.

Soll das hei­ßen, die Medi­en soll­ten sich selbst zen­sie­ren? Viel­leicht.

Soll das hei­ßen, die Medi­en soll­ten man ein bis zwei Gän­ge run­ter­schal­ten? Auf jeden Fall!

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Bloody April

Ges­tern wur­den auf dem Cam­pus der Uni­ver­si­tät von Blacksburg, Va. mehr als 30 Men­schen von einem Amok­läu­fer erschos­sen. Das ist unglaub­lich schreck­lich, eine sehr, sehr trau­ri­ge Geschich­te. Vie­le Men­schen rund um die gan­ze Welt sind ent­setzt und sprach­los – und es wäre wirk­lich wün­schens­wert, wenn auch die Jour­na­lis­ten ange­denk eines sol­chen Ereig­nis­ses ein­fach mal sprach­los wären und die Schnau­ze hiel­ten. Die New York Times doku­men­tiert sehr ein­drucks­voll, wie die Fern­seh­re­por­ter auf dem Cam­pus ein­fie­len, und wie Augen­zeu­gen per Han­dy­ka­me­ra und Inter­net die Nach­rich­ten­sta­ti­on mit Bil­dern aus der Schuss­li­nie ver­sorg­ten. Der Arti­kel schließt mit einem Zitat, das zynisch zu nen­nen ich mich nicht scheue:

“Stay out of harm’s way,” the CNN anchor Don Lemon said, addres­sing stu­dents at Vir­gi­nia Tech. “But send us your pic­tures and video.”

Aber auch die deut­schen Medi­en schal­te­ten sofort auf Tur­bo und schrit­ten beherzt und enthirnt zur Tat. Dabei war die „Bild“-Schlagzeile, die etwas vom „größ­ten Blut­bad aller Zei­ten“ fasel­te, sogar noch das kleins­te Übel. Je nach­dem, wie man den Begriff „Blut­bad“ defi­niert und wie man den Super­la­tiv räum­lich ein­schrän­ken will, stimmt die Behaup­tung sogar: in den USA hat es nie einen Amok­lauf mit mehr Todes­op­fern gege­ben.
In fast jeder Zei­tungs- oder Fern­seh­re­dak­ti­on muss­te sich ein Mit­ar­bei­ter dar­an machen, eine Chro­nik der schlimms­ten Amok­läu­fer zu erstel­len. Auch das kann man kri­tisch sehen, aber es kann ja auch ganz hilf­reich sein, sich noch mal ein paar Fak­ten ins Gedächt­nis zu rufen.
Da schon wäh­rend des Amok­laufs reich­lich von Stu­den­ten der Vir­gi­nia Tech über die Ereig­nis­se gebloggt wur­de, kann man sich nun an die Web-Aus­le­se machen. Das ist sogar aus medi­en­theo­re­ti­scher Sicht hoch­in­ter­es­sant, da es bis­her kaum ver­gleich­ba­re Ereig­nis­se gibt, die der­art medi­al abge­deckt sind.

Was Spie­gel Online sich dann aber noch leis­tet, ist ent­we­der als Beschäf­ti­gungs­the­ra­pie für Prak­ti­kan­ten oder als end­gül­ti­ge Gleich­set­zung von SpOn mit „Bild“ anzu­se­hen:

Die Amok­läu­fe von Litt­le­ton, Erfurt und Blacksburg haben nicht nur das Leid und den Schre­cken gemein­sam, den weni­ge über vie­le gebracht haben. Sie tei­len auch den Monat, in dem die Schre­ckens­ta­ten ver­übt wur­den.

Und in deed: das ein­zi­ge, was dem Arti­kel noch fehlt, sind die Quer­sum­men der Tage, an denen die Amok­läu­fe statt­fan­den (34, 16, 20). Über den gest­ri­gen Täter schreibt jdl:

Waren Kle­bold und Har­ris auch sei­ne Vor­bil­der? Kann­te er die Wahn­sinns­tat des Robert Stein­häu­ser? War das Datum bewusst gewählt? Schon die Fra­gen sind beängs­ti­gend. Wie wer­den erst die Ant­wor­ten sein?

Beängs­ti­gend, für­wahr. Denn die „Bild“-gleiche Über­schrift

Monat der Mas­sa­ker: Blu­ti­ger April

bezieht sich ja gar nicht auf eine mög­li­che Nach­ah­mungs­tat (die man im Moment eben­so wenig aus­schlie­ßen wie bestä­ti­gen kann), son­dern auf einen ver­damm­ten Monat. Ein Blick in die SpOn-eige­ne Chro­nik hät­te gezeigt, dass von den 18 dort auf­ge­führ­ten Amok­läu­fen 15 in Nicht-April-Mona­ten statt­fan­den – dafür vier im März (!!!!1). Viel­leicht liegt es ja an den Ster­nen

Nach­trag, 19:17 Uhr: Ste­fan Nig­ge­mei­er schreibt dazu:

Im welt­wei­ten Ren­nen um den dümms­ten Bericht zum Amok­lauf in Blacksburg liegt Spie­gel Online mit die­sem Arti­kel fast unein­hol­bar in Füh­rung

War­ten wir’s ab …