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Musik Print

Most People Are DJ’s

Die Diskussion um die ominöse Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg erreicht in schwindelerregendem Tempo immer neue Meta-Ebenen: Ulf Poschardt, stellvertretender Chefredakteur der “Welt am Sonntag” und Herausgeber von “Rolling Stone”, “Musikexpress” und “Metal Hammer”, veröffentlichte am Samstag in der “Welt” einen Aufsatz über die Kulturtechnik des Samplings und des Mash-Ups.

In gewohnt uneindeutigem Oszillieren zwischen Ernst und Ironie ernennt er zu Guttenberg zum “Jay-Z der bürgerlichen Politik”, verweist auf Hegel und fabuliert:

Sampling ist eine ebenso moderne wie konservative Kulturtechnik. Sie passt zu Karl Theodor zu Guttenberg. Beim jüngeren Publikum wird die Erregung über seinen Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu perfektionieren. Die schlichteren Gemüter liefern dabei ab, was gewünscht war: eine vermeintlich kenntnisreiche Textoberfläche. Postmoderne Eliten jedoch versinken in den durch digitale Netze unendlich gewordenen Quellen, um an ihnen zu wachsen und die Grenzen des eigenen Wissens zu überwinden.

Poschardt muss es wissen: Sein ganzer Artikel ist eine geremixte Single-Version seiner eigenen Doktorarbeit, die unter dem Titel “DJ Culture” als Buch eine sehr viel höhere Auflage erzielte als zu Guttenbergs Dissertation.

Ulf Poschardt: Die DJ-Revolution frisst ihre Kinder

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Literatur Digital

Die Arroganz der Jungen, die Ignoranz der Alten

Wir müssen dann leider noch mal auf “Axolotl Roadkill” zurückkommen, das literarische Hype-Thema der Stunde. Nicht, dass ich das Buch inzwischen gelesen hätte, aber: Das von der Literaturkritik auf Lautstärke 11 gefeierte Werk von Helene Hegemann (17) weist in etlichen Passagen erstaunliche Ähnlichkeit mit einem anderen Buch auf.

Deef Pirmasens hat in seinem Blog Die Gefühlskonserve eine Gegenüberstellung von Textstellen aus “Axolotl Roadkill” und aus dem Buch “Strobo” des Berliner Bloggers Airen veröffentlicht, das im vergangenen Jahr erschienen war. Um es vorsichtig auszudrücken: Da kommt schon Einiges an Auffällig- und Ähnlichkeiten zusammen.

Als gelernter Literaturwissenschaftler stehe ich diesen Enthüllungen etwas schulterzuckend gegenüber: Montagen und Intertextualität gibt es seit kurz nach Erfindung der Schriftsprache — Georg Büchners Novelle “Lenz” ist knapp zur Hälfte aus Aufzeichnungen des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin übernommen, Johann Wolfgang von Goethe hat sich mehr als einmal massiv von anderen Texten inspirieren lassen. Auf den Platz in der Literaturgeschichte hatte das für die beiden Herren keine Auswirkungen, aber über den entscheidet naheliegenderweise die Nachwelt und nicht der Zeitgenosse. Überhaupt gilt ja, was Oscar Wilde zugeschrieben wird, der gemeine Pop-Konsument (also ich) aber erst seit Tocotronic weiß: “Talent borrows, genius steals”.

Als jemand, der mit dem Schreiben von Texten seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften versucht, sehe ich es naturgemäß kritischer, wenn jemand (mutmaßlich) gutes Geld mit Inhalten verdient, die zumindest zu einem nicht ganz unerheblichen Teil aus dem Werk eines Anderen stammen.

Die Grenzen zwischen Zitat und Diebstahl geistigen Eigentums sind fließend — der Unterschied zwischen den Groß-Zitierern Quentin Tarantino und Dieter Wedel besteht letztlich auch nur darin, dass Tarantinos Filme cool sind und Wedels spießig. Und dass die Übernahme bestimmter Worte oder ganzer Textpassagen noch mal ein bisschen was anderes ist als das zufällige Wieder-Erstellen einer bereits komponierten Melodie (man erinnere sich nur an die rund tausend Songs, von denen Coldplay ihr “Viva La Vida” samt und sonders abgepinnt haben sollen), lässt sich einerseits mit den unterschiedlichen Materiallagen (zehntausende Wörter vs. zwölf Töne) erklären, ist aber andererseits auch nur Geschmacks- und Definitionssache.

Man könnte also Helene Hegemann und Dieter Wedel zu Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski ins “Philosophische Quartett” setzen und eine Stunde lang über Blues-Motive und Bastardpop, Williams Shakespeare und Heiner Müller diskutieren lassen und hätte am Ende vielleicht ein bisschen Erkenntnisgewinn oder wenigstens was zum drüber aufregen. Man würde sich womöglich darauf einigen, dass Zitate, Remixe und Mashups Teil unserer (Pop-)Kultur sind, es aber nur höflich wäre, wenigstens seine Quellen zu benennen und nicht Andererleuts Gedanken als eigene auszugeben.

Aber das sind philosophische und kulturwissenschaftliche Gedanken allgemeiner Art. Der “Fall Hegemann” dagegen ist leider der Super-GAU der öffentlichen Auseinandersetzung, weil er sich genau an der (leider immer noch von vielen Menschen auf beiden Seiten imaginierten) Verwerfung zwischen analoger und digitaler Welt ereignet hat: Da hat also so eine Berliner Künstlertochter abgeschrieben — und zwar bei einem Blogger! Hurra, der Klassenkampf beginnt erneut, auf die Barrikaden!

Jetzt kriegen die Literaturkritiker, denen man sicher vieles vorwerfen kann, ernsthaft um die Ohren gehauen, sie hätten ja mal Googeln können.

Googeln. Einen Roman! Dabei erzählt Deef Pirmasens, dem die ganzen textlichen Parallelen als Erstem aufgefallen waren, im Interview mit sueddeutsche.de, dass ihm bei der Lektüre von “Axolotl Roadkill” bestimmte Worte bekannt vorgekommen seien — weil er “Strobo” gelesen hatte. Beim Erkennen von ungenannten Querverweisen hilft es also offenbar immer noch, das Original zu kennen. Dass lange Zeit niemandem aufgefallen ist, dass eine andere Textstelle aus dem Song “Fuck U” von Archive übernommen wurde, spricht dann eben leider nicht für die Popularität der Band.

Der Kampf der Welten endet in Sätzen wie diesen:

In Wirklichkeit scheint sich als Abwehrhaltung des Feuilletons herauszukristallisieren: Es ist nicht so schlimm, von einem weitgehend unbekannten Medium aus dem Web geklaut zu haben – Hegemann kann zur Not noch als Transkribistin vom Internet ins Buch gefeiert werden.

Es ist jener passiv-aggressive Ton, gepaart mit dem Hinweis, dass das Internet immer noch etwas anderes sein soll als der Rest der Welt, der den genauso verbohrten Menschen im Kulturbetrieb dann wieder als Vorlage dient, wenn es darum geht, über die Meckereien und das merkwürdige Selbstbewusstsein (bzw. offensichtlich dessen Fehlen) der Blogger zu lästern. Ich frage mich, ob die Geschichte in der deutschsprachigen Netzwelt genauso hohe Wellen geschlagen hätte, wenn der “beraubte” Autor nicht gleichzeitig Blogger wäre, und liefere mir die Antwort gleich selbst: “Vermutlich nicht”. Statt sich also auf den konkreten Vorgang zu konzentrieren, wird mal wieder das übel riechende Fass “wir Blogger gegen die Nichtsblicker bei den Totholzmedien” aufgemacht und es grenzt an ein Wunder, dass sich die “#fail”s bei Twitter bisher in Grenzen halten.

Der Verleger von “Strobo” klingt da im Gespräch mit Spreeblick wesentlich entspannter. Der gleiche Verleger übrigens, der munter erzählt, wann Vater Hegemann das Buch für seine Tochter gekauft hat:

Während Hegemann sagt, dass sie das Buch nicht kenne, kann der Verlag SuKuLTur einen Beleg vorweisen, aus dem hervorgeht, dass Carl Hegemann den Roman Airens am 28. August 2009 über Amazon Marketplace bestellt und an seine Tochter Helene hat liefern lassen.

[via otterstedt.de]

Wenn’s um die gute eigene Sache geht, ist das mit dem Datenschutz – sonst die Domäne der Netzgemeinde – offenbar auch nicht mehr ganz so wichtig.

Die Überschrift dieses Eintrags, übrigens, die stammt von Virginia Jetzt!

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Musik

Can’t read my baby face

Weezer, die Älteren werden sich erinnern, waren eine Band, die Mitte der 1990er Jahre mit den Alben “Weezer” und “Pinkerton” Rock-Geschichte schrieben. 2001 kamen sie mit “Weezer (The Green Album)” zurück und befinden sich seitdem auf dem absteigenden Ast.

Das heißt: Nicht ganz. Letztes Jahr schafften sie es überraschenderweise, das definitive YouTube-Video zu drehen und mit “Heart Songs” auch noch eine anrührende Heldenverehrung zu veröffentlichen.

Und jetzt? Covern sie live “Kids” von MGMT und “Poker Face” von Lady Gaga. Hört sich bekloppt an?

Hört sich so an:

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[via choochootheband]

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Musik Digital

Einmal mit allem, bitte

Man sollte sich da nichts vormachen: In der Popmusik ist es immer auch darum gegangen, den Leuten etwas vorzumachen. Authentizität ist unwichtig, gute Absichten sind zweitrangig, fake ist real, irgendwie. Man kann viel Geld mit dieser Erkenntnis machen – oder das, was sich der 26-jährige Musiker Gregg Gillis aus Pittsburgh, Pennsylvania ausgedacht hat. Unter seinem Künstlernamen Girl Talk hat er vor einigen Tagen sein viertes Album “Feed The Animals” ins Internet gestellt und damit nicht weniger als eines der konsequentesten und aufschlussreichsten Pop-Denkmäler aller Zeiten geschaffen.

“Feed The Animals” ist eine Platte, die deshalb funktioniert, weil sie das eigentlich ausgelutschte Prinzip des Bastard-Pops mit derartiger Dreistigkeit auf die Spitze treibt, dass die Rechtsabteilungen der verbliebenen Major-Plattenfirmen um Verstärkung durch die amerikanische Nationalgarde bitten mussten. ((Das ist – natürlich – gelogen. In einem Interview mit Pitchforkmedia hat Gillis aber zumindest Erstaunen darüber ausgedrückt, dass die bisher einzige Rückmeldung von Business-Seite eine E-Mail des Managers von Sophie B. Hawkins war. Sie würde gerne mit ihm zusammenarbeiten.)) Gillis sampelt alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist ((Eine Methode, nach der auch Gillis’ erste drei Alben funktioniert haben. Keines davon hat das Konzept allerdings so ambitioniert und popfokussiert ausgereizt wie “Feed the Animals”.)) – gleichzeitig und ohne allzu wählerisch zu sein. Eine unvollständige Auflistung bei Wikipedia zählt mehr als 200 Pop-, Rock-, HipHop-, R’n’B- und Metal-Songs, die auf “Feed The Animals” übereinander gelegt, umeinander gewickelt und miteinander verzahnt werden.

Das Ergebnis davon ist die Geschichte der Popmusik in 54 Minuten und 14 Tracks mit fließenden Übergängen – ein Album, das wegen Gillis’ musikalischer Sozialisation vor allem mit den letzten beiden Jahrzehnten beschäftigt ist, aber auch die Beach Boys, David Bowie, Prince oder Genesis noch an irgendeiner Stelle verwurstet bekommt. Man kann dann feiern mit “Feed The Animals”, sehr gut sogar. Man kann sich fast noch besser davon entnerven lassen, mit ihm in Erinnerungen schwelgen, an der grandiosen Hohlheit des Ganzen verzweifeln und musikwissenschaftliche Ambitionen als Sample-Jäger mit Lupe und Textmarker ausleben. Am wichtigsten ist aber: “Feed The Animals” reißt einem die Genre-Grenzen des eigenen Musikverständnisses praktisch von selbst ein; man weiß am Ende: Pop ist alles. Und nichts. Immer gleichzeitig.

Mit anderen Worten: Alles was Popmusik jemals konnte und wollte, steckt in dieser Platte – und Gillis verschenkt sie derzeit über die Homepage seines Labels Illegal Art. Halbgute Menschen zahlen trotzdem fünf Dollar und erhalten die Platte in CD-Qualität und als praktischen Ein-Datei-Endlosstream. Richtig gute Menschen legen noch mal fünf Dollar drauf und bekommen das Album im September zusätzlich als CD zugeschickt.

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Digital

Heute ist kein Kavaliersdelikt

Das “Herunterladen von Computern” gefährdet die deutsche Kulturnation, sagt Angela Merkel in Ihrem gestrigen Videocast und reagiert damit auf den offenen Brief, den ihr Vertreterinnen und Vertreter der “Kreativwirtschaft” (ist bei solch peinlichen Spektakeln nie weit weg: Prof. Dieter Gorny) geschrieben haben.

Bevor Merkel und Gorny meine eigene Kreativität gefährden, habe ich Merkels Ansprache deshalb kurz in den Mixer gepackt. Und das kam dabei heraus: Quatsch mit Sauce.

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Musik

Rock’n’Roll-Kaffeemaschine

Rock’n