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Wet we can

Nach­ah­mung sei die ehr­lichs­te Form der Bewun­de­rung, soll Antoine de Saint-Exu­pery ein­mal gesagt haben. Im Zwei­fels­fal­le war es Max Goldt, der ent­geg­ne­te, die ehr­lichs­te Form der Bewun­de­rung sei immer noch Bewun­de­rung. Nach­ah­mung hin­ge­gen (zumin­dest die all­zu offen­sicht­li­che) – das bean­spru­che ich jetzt ein­fach mal für mich, falls sich kein Wider­spruch regt -, ist die ehr­lichs­te Form aus­zu­drü­cken, dass man selbst weder Ideen noch das Geld für das Koks hat­te, um die­se zu evo­zie­ren.

Man kann das seit Mona­ten an den drei Wör­tern „Yes“, „We“ und „Can“ able­sen (wobei man mei­nes Erach­tens für Ideen wie die­se hier zumin­dest in der Ver­gan­gen­heit mal eini­ge Kilo­gramm Koks kon­su­miert haben muss, mit voll funk­ti­ons­tüch­ti­gen Denk­or­ga­nen ist das ja nicht mehr zu erklä­ren). Und der Barack Oba­ma der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur heißt „Feucht­ge­bie­te“.

Buchcover Feuchtgebiete
Roche, Char­lot­te: Feucht­ge­bie­te; Köln 2008.

Fol­gen­de Buch­co­ver lie­fen mir gera­de bei einem flüch­ti­gen Streif­zug über den Weg:

Buchcover Trockensümpfe
Halbleib, Susan­ne (Hsgb.): Tro­cken­sümp­fe – Lau­ter befrie­di­gen­de Geschich­ten; Frankfurt/​Main 2008.

Buchcover Fleckenteufel
Strunk, Heinz: Fle­cken­teu­fel; Rein­bek 2009.

Buchcover Trockenzonen
Roch, Charles: Tro­cken­zo­nen – Wenn Män­ner auf­hö­ren sich zu waschen; Ham­burg 2009.

Vor allem für die letzt­ge­nann­te Albern­heit soll­te sich der Carlsen-Ver­lag schä­men. Das Tra­di­ti­ons­haus hat immer­hin auch den gan­zen Vam­pir-Tand von Ste­phe­nie Mey­er im Ange­bot – und da hät­te sich doch eine Fusi­on gut gemacht. „Bis(s) zur Scham­gren­ze“ viel­leicht. Oder direkt „Blut“. Aber der Titel war schon weg. Ste­phen King, Sie ahn­ten es bereits.

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Kultur

Not looking for a new England

„Also, Shake­speare hat­te auf alle Fäl­le ’n paar kras­se Pro­ble­me. Der war bestimmt schwul!“, dia­gnos­ti­zier­te ein pick­li­ger 16-Jäh­ri­ger, der mit sei­ner gan­zen Klas­se zum Thea­ter­be­such genö­tigt wor­den war, beim Her­aus­ge­hen. Was war gesche­hen?

Als Leh­rer – gera­de als einer, der sich für sei­ne Schü­ler inter­es­siert – ist es nicht die schlech­tes­te Idee, mit ihnen eine Insze­nie­rung von David Bösch zu besu­chen. Der gera­de 30-jäh­ri­ge Regis­seur, des­sen „Romeo und Julia“ am Bochu­mer Schau­spiel­haus mir vor vier Jah­ren sehr gefal­len hat, hat die Pop­kul­tur mit so gro­ßen Löf­feln gefres­sen, dass auch die ange­staub­tes­ten Klas­si­ker bei ihm zu einem bun­ten, lau­ten Rei­gen wer­den, der gera­de die jün­ge­ren Besu­cher anspricht.

Die aller­dings wer­den bei sei­nem „Was Ihr wollt“ auch nicht mehr so ganz mit­ge­kom­men sein, denn heu­ti­ge Schü­ler erken­nen weder ein Roy-Black-Med­ley noch die größ­ten Hits des Jah­res 1993, wenn sie ihnen vor­ge­sun­gen wer­den. Für sie ist die Jugend ihrer älte­ren Geschwis­ter (wenn über­haupt) unge­fähr so weit weg wie Shake­speares Zeit selbst. Und somit ste­hen sie doch wie­der weit­ge­hend unge­bro­chen vor dem Werk des Schwans von Avon.

Und damit vor Vio­la und ihrem Zwil­lings­bru­der Sebas­ti­an, die bei einem Schiff­bruch getrennt wer­den. Vio­la wird in Illy­ri­en ange­spült, wo der Her­zog Orsi­no seit Jah­ren der Grä­fin Oli­via den Hof macht, die wie­der­um von ihrem Onkel Sir Toby mit des­sen Sauf­kum­pan Andrew ver­kup­pelt wer­den soll und dar­über hin­aus von ihrem Haus­hof­meis­ter Mal­vo­lio begehrt wird. Vio­la ver­klei­det sich mit Hil­fe eines Nar­ren als Mann und wird als Cesa­rio Die­ner bei Orsi­no, wor­auf­hin sich Oli­via in Cesa­rio (also Vio­la) ver­liebt.

Wenn man es so auf­schreibt, klingt die Geschich­te deut­lich mehr nach einer Vor­abend­se­rie im deut­schen Fern­se­hen als nach Shake­speare, und in der Tat wirkt es auf der Büh­ne des Esse­ner Gril­lo-Thea­ters auch so. Es ist ein unüber­sicht­li­ches Wirr­warr, bei dem die ein­zel­nen Cha­rak­te­re am aller­we­nigs­ten wis­sen, was um sie her­um pas­siert. Ob sie des­halb gleich wie Sir Toby und Andrew, die direkt der White-Trash-Höl­le eines Hoo­lig­an­blocks zu ent­stam­men schei­nen, betrun­ken her­um­kas­pern müs­sen, ist eine gute Fra­ge. Aber Kon­flik­te schei­nen im moder­nen Thea­ter eh dar­aus zu bestehen, dass Men­schen auf einer rie­si­gen Büh­ne anein­an­der vor­bei­ren­nen.

David Bösch hat vie­le Details in sei­ne Insze­nie­rung ein­ge­baut. Man­che wir­ken durch­dacht, ande­re nur auf­ge­pfropft. War­um zum Bei­spiel singt das Dienst­mäd­chen Maria an einer zen­tra­len Stel­le aus­ge­rech­net „New Eng­land“ (in dem es ja eben nicht um eine gesell­schaft­li­che Uto­pie wie Illy­ri­en, son­dern „just“ um das Fin­den einer neu­en Lie­be geht)? Wirk­lich nur, weil Kars­ten Rie­del, seit län­ge­rem Böschs treu­er Musi­kant am Büh­nen­rand, so ein gro­ßer Bil­ly-Bragg-Fan ist? Auch der Umstand, dass Nico­la Mastro­berar­di­no als Sir Andrew eins zu eins aus­sieht wie Matt Dil­lon in Came­ron Cro­wes Kult­ko­mö­die „Sin­gles“, kann eine Bedeu­tung haben. Aber wel­che?

„Was Ihr wollt“ wirkt wie eine lose Ansamm­lung von Zita­ten, bei der sich der Regis­seur nicht so recht ent­schei­den konn­te, was er damit eigent­lich bezwe­cken woll­te. Mal­vo­lio (Roland Rie­be­l­ing) ist die gro­tes­ke Kari­ka­tur einer tra­gi­schen Figur, die irgend­wann nur noch nervt. Inmit­ten die­ser gan­zen Über­zeich­nun­gen sticht aus­ge­rech­net die Haupt­fi­gur Vio­la mit einer Unauf­fäl­lig­keit her­vor, die man Sarah Vik­to­ria Frick ange­sichts der Über-Per­for­mance ihrer Kol­le­gen hoch anrech­nen muss.

Und so schlin­gert die Insze­nie­rung an der Ziel­grup­pe vor­bei. Dass die Schü­ler den Kuss zwei­er Män­ner mit lau­tem Ekel kom­men­tie­ren, wäh­rend kurz zuvor der Kuss zwei­er Frau­en geräusch­los über die Büh­ne ging, sagt viel­leicht etwas über die jugend­li­chen Zuschau­er aus, aber nichts über das Stück. Aus dem Krei­se der Schü­ler kam dann auch das Todes­ur­teil, dem man sich frei­lich nicht voll­um­fäng­lich anschlie­ßen muss: „Ich find das nicht komisch, da guck ich mir lie­ber Mario Barth an!“

„Was Ihr wollt“ im Schau­spiel Essen
Nächs­te Ter­mi­ne: 13. Febru­ar, 21. März, 4. April

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Literatur Leben

Die Omelette-Maschine: Heiner Müller zum Achtzigsten

Den trau­rigs­ten Moment mei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn erleb­te ich eines Frei­tags­mor­gens in einem Pop­li­te­ra­tur-Semi­nar. Eine Grup­pe von Kom­mi­li­to­nen hielt ein Refe­rat über Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re und an einer Stel­le (in „Black­box“) gibt es neben einer gan­zen Rei­he ande­rer Zita­te auch eines von Hei­ner Mül­ler: „Alles ist Mate­ri­al.“

Und was sag­te die­ser Ger­ma­nis­tik-Stu­dent im durch­aus nicht mehr ers­ten Semes­ter?

„Hei­ner Mül­ler, also der Mann vom ‚RTL Nacht­jour­nal‘ …“

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Film Literatur

Der Buddenbrook-Komplex

Fami­li­en­sa­gen haben in Deutsch­land eine lan­ge Tra­di­ti­on: von den Nibe­lun­gen bis zu den Bei­mers führt ein direk­ter Weg (wenn auch ein ver­schlun­ge­ner) von Geschich­ten, die den Men­schen das Gefühl geben sol­len, ihre eige­ne Fami­lie sei dann viel­leicht doch gar nicht so kaputt. Den unbe­strit­te­nen Höhe­punkt bil­den wohl die „Bud­den­brooks“, jener „Jahr­hun­der­t­ro­man“, den Tho­mas Mann mit 25 Jah­ren ver­öf­fent­lich­te und der ihm Welt­ruhm und Lite­ra­tur­no­bel­preis sicher­te.

Hein­rich Bre­lo­er, der 2001 mit „Die Manns – Ein Jahr­hun­der­t­ro­man“ die nicht min­der span­nen­de Fami­li­en­ge­schich­te der Manns selbst doku­men­tiert hat­te, hat sich in sei­nem Spiel­film­de­büt nun den 750-Sei­ten-Klas­si­ker vor­ge­nom­men und auf kurz­wei­li­ge zwei­ein­halb Stun­den her­un­ter­ge­bro­chen. Der Ein­fach­heit hal­ber lässt Bre­lo­er min­des­tens eine Gene­ra­ti­on (die von Johann Bud­den­brook dem Älte­ren) und zwei Kin­der (Cla­ra Bud­den­brook und Eri­ka Grün­lich) außen vor und kon­zen­triert sich direkt auf Jean und Beth­sy Bud­den­brook und ihre (jetzt nur noch drei) Kin­der. Das redu­ziert das unüber­sicht­li­che Cha­rak­ter­en­sem­ble auf eine bei­na­he nach­voll­zieh­ba­re Grö­ße, führt aber auch dazu, dass Fami­li­en­tra­di­ti­on und ‑ehre nicht mehr direkt erzählt, son­dern maxi­mal berich­tet wer­den.

Der „Ver­fall einer Fami­lie“, so der Unter­ti­tel des Romans, wird in die­ser vier­ten Ver­fil­mung teils poin­tiert, teils hek­tisch abge­han­delt. So ziem­lich alles, was in Manns Roman über die Lübe­cker Kauf­manns­fa­mi­lie Bud­den­brook span­nend und außer­ge­wöhn­lich ist, ist bei Bre­lo­er banal gera­ten. Das liegt mög­li­cher­wei­se dar­an, dass der Regis­seur ein erklär­ter Fan des Romans und sei­nes Autors ist – sowas geht sel­ten gut und es funk­tio­niert auch hier nur bedingt. Wenn man die inne­ren Kämp­fe, die der Dreh­buch­au­tor und Regis­seur zwi­schen Werk­treue und behut­sa­mer Neu­in­ter­pre­ta­ti­on aus­ge­stan­den hat, hin­ter­her auf der Lein­wand sehen kann, ist etwas gewal­tig schief gelau­fen.

Den Schau­spie­lern kann man das nicht wirk­lich anlas­ten: Armin Muel­ler-Stahl könn­te man als Kon­sul Jean Bud­den­brook leicht mit sei­nem Tho­mas Mann in „Die Manns“ ver­wech­seln, aber Iris Ber­ben über­rascht als sei­ne Gat­tin Beth­sy dadurch, dass sie auch mal mehr sein kann als immer nur Iris Ber­ben. Mark Wasch­ke hat etwas damit zu kämp­fen, dass sei­ne Rol­le des Fir­men­er­ben Tho­mas Bud­den­brook nur in weni­gen Momen­ten zum Sym­pa­thie­trä­ger taugt, aber die Bür­de der fami­liä­ren Pflicht und die zuneh­men­den Anstren­gun­gen, die Fas­sa­de auf­recht zu erhal­ten, sind bei ihm stets glaub­wür­dig. Auch Jes­si­ca Schwarz, deren Tony Bud­den­brook als ein­zi­ge Per­son im Film über­haupt nicht zu altern scheint, steht die Zer­ris­sen­heit ins Gesicht geschrie­ben – zumin­dest solan­ge, bis sich die Todes­fäl­le in einem der­art alber­nen Rhyth­mus häu­fen, dass man die­ses Gesicht hin­ter dem schwar­zen Schlei­er sowie­so kaum noch zu sehen bekommt. Und August Diehl spielt den zuneh­mend wahn­sin­ni­ge­ren Chris­ti­an Bud­den­brook mit so viel Ver­ve, dass man am Ende lei­der von Bei­den genervt ist.

Die Aus­stat­tung ist durch­aus gelun­gen, mit gro­ßem Auf­wand wur­den Lübeck und Ams­ter­dam des 19. Jahr­hun­dert auf die Lein­wand gezau­bert. Dafür ist die Kame­ra­ar­beit von Ger­not Roll, der bereits die TV-Ver­si­on von 1979 foto­gra­fiert hat­te, bis auf weni­ge Aus­nah­men lang­wei­lig oder gar schlecht. Für die Weich­zeich­ner beim gro­ßen Ball zu Beginn des Films gehö­ren Kame­ra­mann und Regis­seur glei­cher­ma­ßen geschol­ten und mit­un­ter wird all­zu deut­lich, dass ein bestimm­ter Blick­win­kel nur gewählt wur­de, weil sonst irgend­et­was ana­chro­nis­ti­sches zu sehen gewe­sen wäre. Über die Musik wol­len wir an die­ser Stel­le den Man­tel des Schwei­gens brei­ten, der auch dem Kom­po­nis­ten Hans Peter Strö­er gut zu Gesicht gestan­den hät­te.

Im Gro­ßen und Gan­zen haben Bre­loers „Bud­den­brooks“ viel mit Uli Edels „Baa­der Mein­hof Kom­plex“ gemein, dem ande­ren gro­ßen deut­schen Film von 2008: mit beacht­li­chem Auf­wand, aber ohne eige­ne Hal­tung, wer­den die wich­tigs­ten Sta­tio­nen einer alt­be­kann­ten Vor­la­ge abge­he­chelt. Bei­de Male ist dabei soli­des Pop­corn­ki­no ent­stan­den, das sich als Ein­stieg in die jewei­li­ge Mate­rie eig­net.

Dass ein Film dem Roman gerecht wer­den könn­te, hat hof­fent­lich sowie­so nie jemand geglaubt.

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Literatur Kultur

Reimemonster

In mei­ner klei­nen Stadt pas­sie­ren ab und zu doch erstaun­lich tol­le Din­ge. Denn mei­ne klei­ne Stadt besitzt ein klei­nes Kul­tur­ki­no und macht die klei­ne Stadt etwas weni­ger pro­vin­zia­lisch als mache (also ich) immer den­ken.

Mei­ne klei­ne Stadt ist bekannt in der Sze­ne, in der Sze­ne namens Poet­rys­lam. Poet­ry­what? Poet­rys­lam, oder zu deutsch: Gedich­te­schlacht.

Poet­rys­lams sind Dich­ter­wett­kämp­fe, die es schon seit dem Mit­tel­al­ter und in moder­ner Form seit 1984 gibt. Meist fin­den sie auf klei­nen Büh­nen in klei­nen oder gro­ßen Städ­ten statt. Die Slam­mer tra­gen ihre eige­nen Tex­te vor und aus dem Publi­kum wird die Jury gemacht. Zack Bum!

Die Jury kann Punk­te von 0 – 10 für den Slam­mer geben und dar­aus ergibt sich dann die Punkt­zahl der jewei­li­gen Run­de. Die Punkt­zahl ent­schei­det, wer eine Run­de wei­ter ist. Wer eine Run­de wei­ter ist, ist meis­tens im Fina­le, bei dem das gesam­te Publi­kum schließ­lich durch ohren­be­täu­ben­den Applaus und Jubel den Sie­ger bestimmt.

Der Sie­ger ver­dient nicht nur Ruhm und Dich­ter­eh­re, nein, er gewinnt auch tra­di­tio­nell eine Fla­sche Whis­ky und in Zei­ten der Rezes­si­on so viel Geld, dass die Heim­rei­se gesi­chert ist.

Das Prin­zip ist ein­fach, der Weg zum Sieg aber nicht. Das schö­ne bei einem Slam ist: man wird 3 Stun­den lang mit Kopf­ki­no vom feins­ten unter­hal­ten. Das schlech­te dar­an: nicht jeder Kopf­ki­no­film ist auch ein Hit!

Es gibt Slam­mer, die sich vor­züg­lich dar­auf ver­ste­hen, ihr Publi­kum mit ihrem Text an die Hand und auf eine Rei­se mit­zu­neh­men, ihnen neu­en Wel­ten zei­gen und sie hin­ter­her am Aus­gang wie­der unbe­scha­det, aber glück­lich zurück­zu­ge­ben. Sie kön­nen mit Wör­ter spie­len, Sät­ze aus­ein­an­der klau­ben, alle Wort­wit­ze fin­den und so ver­pa­cken, dass man nicht denkt „Kenn ich schon, nächs­ter bit­te!“

Nein, man­chen Slam­mern gelingt es ganz oft, Sprach­ge­fühl, Rhyth­mus und Wort­akro­ba­tik so in eine Geschich­te zu ver­pa­cken, dass man ganz gebannt einem Men­schen sie­ben Minu­ten lang ins Gesicht glotzt und das einen gan­zen Abend lang.

Doch bei eini­gen Slam­mern kommt man schon ins Zwei­feln, denn Tex­te über sei­nen „Lieb­lings­dö­ner­frit­zen“ in schwä­bi­scher Mund­art kann bei so man­chem dann schon eine run­zeln­de Stirn her­vor­ru­fen. Man könn­te an die­ser Stel­le die­sen Tex­te „Lieb­lings­dö­ner­frit­zen“ zitie­ren, wor­auf ich aber zu Guns­ten der Leser­schaft bes­ser ver­zich­te.

Aber hier gilt, wie in so vie­len Berei­chen: Es ist noch kein Meis­ter vom Him­mel gefal­len und die meis­ten  Slam­mer wach­sen an ihren Wett­kämp­fen. Zumal auch der Poet­rys­lam nur durch ein demo­kra­ti­sches Sys­tem funk­tio­niert, was jedem die Chan­ce bie­tet, sich der Jury/​dem Publi­kum zu stel­len. Mit oder mit ganz viel Talent.

Soll­te in Eurer klei­nen oder gro­ßen Stadt ein Poet­rys­lam statt­fin­den, dann kann ich Euch nur emp­feh­len, die­ses Ereig­nis zu besu­chen. Denn es macht wirk­lich Spaß, ein­fach mal zu zuzu­hö­ren und sich auf einen Kopf­ki­no­film ein­zu­las­sen.

Wer nicht gern aus dem Haus geht, kann sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den im WDR am Sonn­tag­abend nach „Zim­mer frei!“ mit Kopf­ki­no, Dich­ter­wett­kämp­fen und sons­ti­gen Wort­spie­le­rei­en ver­gnü­gen.

Wer nicht gern fern­sieht, aber im Inter­net surft, fin­det auf You­tube die schöns­ten Poet­rys­lam-Per­len.

Rei­me­mons­ter 1: Sebas­ti­an Krä­mer

Rei­me­mons­ter 2: Phi­bi Reich­ling (der Gewin­ner in mei­ner klei­nen Stadt) 

In die­sem Sin­ne: Poe­ti­sche Weih­nach­ten!

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Film

Wiedersehen macht nichts

Man kann aus einem 330-Sei­ten-Roman eine elf­stün­di­ge Fern­seh­se­rie machen, so wie es mit „Wie­der­se­hen mit Bri­des­head“ von Eve­lyn Waugh 1981 gesche­hen ist. Man kann aus dem glei­chen 330-Sei­ten-Roman auch einen 133-minü­ti­gen Kino­film machen – dass dabei eini­ges auf der Stre­cke blei­ben muss, ist klar.

Die Sprün­ge sind mit­un­ter ver­wir­rend. Man­ches erklärt sich hin­ter­her in der Rück­schau, man­ches nie. Was klar ist: Im Zen­trum steht der jun­ge Stu­dent Charles Ryder (Matthew Goo­de), der – 1923 kaum in Oxford ange­kom­men – die Bekannt­schaft des schwu­len Adli­gen Sebas­ti­an Fly­te (Ben Whis­haw) macht. Die bei­den wei­chen ein­an­der nicht mehr von der Sei­te, bis Charles in Vene­dig Sebas­ti­ans Schwes­ter Julia (Hay­ley Atwell) küsst. Jah­re spä­ter ist Charles ein auf­stre­ben­der und ver­hei­ra­te­ter Künst­ler, der beim ers­ten zufäl­li­gen Wie­der­se­hen über die eben­falls ver­hei­ra­te­te Julia her­fällt, wäh­rend Sebas­ti­an alko­hol­krank in Marok­ko ver­schwun­den ist. Charles und Julia wol­len hei­ra­ten, aber dann kommt ihnen das Able­ben von Juli­as Vater dazwi­schen, der auf dem Ster­be­bett das Chris­ten­tum wie­der für sich ent­deckt. Plötz­lich ist erst die Bezie­hung vor­bei und kurz dar­auf (aber erst nach­dem Eng­land mit Deutsch­land im Krieg ist) auch der Film.

Irgend­wie haben es die Macher der Neu­ver­fil­mung geschafft, aus Eve­lyn Waughs (Wich­ti­ger Cock­tail­par­ty-Small­talk-Hin­weis: Eve­lyn war ein Mann) gefei­er­tem Roman eine Melan­ge aus Jane-Aus­ten-Fließ­band­ver­fil­mung und Rosa­mun­de-Pilcher-Fern­seh­spiel her­aus­zu­de­stil­lie­ren. Die Hand­lung wur­de bis zur Sinn­lo­sig­keit ver­flacht, dafür wur­de jede ein­zel­ne Sze­ne mit einer opu­len­ten Schein­be­deu­tungs­schwe­re auf­ge­la­den, damit auch jeder begreift, was Charles schon in der Eröff­nungs­sze­ne aus dem Off gesagt hat­te: Hier geht es um Schuld.

Außer­dem geht es um Reli­gi­on, sozia­le Unter­schie­de und immer wie­der um das titel­ge­ben­de Anwe­sen Bri­des­head, das Charles wich­ti­ger ist als jeder Mensch. Als er zum ers­ten Mal einen Som­mer dort ver­bringt, ist die sonst groß­ar­ti­ge Emma Thomp­son als Mut­ter von Julia und Sebas­ti­an damit beschäf­tigt, wie eine Lady zu wir­ken, der die gan­ze Schwe­re der Welt auf den Schul­tern unter­halb ihres Migrä­ne-geplag­ten Haup­tes las­tet. Immer­hin macht sie damit mehr als alle ande­ren Schau­spie­ler zusam­men – die ste­hen ein­fach nur an unfass­bar pit­to­res­ken Sets her­um und sagen das auf, was die Dreh­buch­au­to­ren Andrew Davies und Jere­my Brock ihren holz­schnitt­ar­ti­gen und so gut wie nie nach­voll­zieh­ba­ren Cha­rak­te­ren an Text zuge­schus­tert haben. Und weil das allei­ne noch nicht barock genug wirkt, liegt unter den Sze­nen, in denen es beson­ders dra­ma­tisch und/​oder bedeut­sam wird (also in nahe­zu jedem Moment) eine unglaub­lich schwüls­ti­ge Film­mu­sik.

„Wie­der­se­hen mit Bri­des­head“ ist eine Art Tele­no­ve­la im Pana­vi­si­on-For­mat, bei der man minüt­lich dar­auf war­tet, dass Lord und Lady Hes­keth-For­tes­cue mit Gwy­neth Moles­worth im Schlepp­tau um die Ecke kom­men. Man wird das Gefühl nicht los, dass Regis­seur Juli­an Jar­rold selbst nicht so genau wuss­te, was er mit dem Stoff anfan­gen soll­te. Sein Film kippt von der Schwu­len­ro­man­ze in eine Drei­ecks­be­zie­hung, macht dann eini­ge irri­tie­ren­de Sprün­ge durch Raum und Zeit, um sich in einer ober­fläch­li­chen Medi­ta­ti­on über Reli­gi­on und Glau­be zu ver­lie­ren. Das wirk­lich Erstaun­li­che ist, dass sich der Film bei allen Sprün­gen und ver­lo­re­nen Fäden auch noch so zieht wie eine elf­stün­di­ge Fern­seh­se­rie.

Trai­ler
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Literatur Politik

Präsidialer Buchclub

Gut, dass ich in Deutsch­land gebo­ren wur­de, denn so kann ich nie als US-Prä­si­dent kan­di­die­ren. Denn selbst wenn ich Par­tei­in­ter­ne Gra­ben­kämp­fe und Fern­seh­de­bat­ten über­stün­de und wider Erwar­ten genug Geld für mei­ne Kam­pa­gne gesam­melt bekä­me, an einer Stel­le wür­de ich furi­os schei­tern: bei der Nen­nung mei­ner Lieb­lings­bü­cher.

Denn was sagt es über mich als Men­schen aus, wenn ich in die­sem Zusam­men­hang „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“ von Dou­glas Adams, „High Fide­li­ty“ von Nick Horn­by und „Gegen den Strich“ von Jor­is-Karl Huys­mans nen­ne? Eben: Dass ich ein sozio­pa­thi­scher Nerd bin, dem sei­ne CD-Samm­lung wich­ti­ger ist als alles ande­re. Die ein­zi­gen Stim­men, die ich bekä­me, kämen aus Staats­ge­fäng­nis­sen, Plat­ten- und Rol­len­spiel­lä­den.

Ich könn­te natür­lich auch ein biss­chen mogeln bei mei­ner Lis­te, so wie es angeb­lich alle tun und wie es mut­maß­lich auch John McCain und Barack Oba­ma getan haben. Die nann­ten näm­lich „For Whom the Bell Tolls“ von Ernest Heming­way, „Im Wes­ten nichts Neu­es“ von Erich Maria Remar­que und „The Histo­ry of the Decli­ne and Fall of the Roman Empire“ von Edward Gib­bon (McCain) bzw. „Song of Solo­mon“ von Toni Mor­ri­son, „Moby-Dick“ von Her­man Mel­ville und der Essay „Self-Reli­ance“ von Ralph Wal­do Emer­son (Oba­ma).

Ich habe von all die­sen Büchern nur „Im Wes­ten nichts Neu­es“ gele­sen und weiß so unge­fähr, was bei Heming­way und Mel­ville pas­siert, von daher kann ich zu den lite­ra­ri­schen Favo­ri­ten der Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten wenig sagen – aber dafür gibt es ja den „San Fran­cis­co Chro­nic­le“, der eine Rei­he von Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lern, Schrift­stel­lern und sons­ti­gen Exper­ten befragt hat. Sie erklä­ren unter ande­rem, dass es ein wenig über­ra­sche, dass McCain gleich zwei Anti-Kriegs­ro­ma­ne nen­ne, es im Gegen­satz dazu aber ziem­lich nahe­lie­gend sei, dass Oba­ma das Buch von Toni Mor­ri­son mag, in dem sich ein jun­ger, schwar­zer Mann auf die Suche nach sei­ner Iden­ti­tät begibt.

Wo sie schon mal dabei sind, geben die glei­chen Leu­te auch noch Tipps, was der zukünf­ti­ge Prä­si­dent unbe­dingt lesen soll­te. Und da ist viel­leicht auch was für Leser dabei, die nie US-Prä­si­dent wer­den woll­ten.

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Sport Kultur

Wer braucht schon ein Sektfrühstück bei Real Madrid?

Es gibt ja so Sachen, die nimmt man sich immer mal wie­der vor, macht sie dann aber doch nie: zum Zahn­arzt gehen, recht­zei­tig Weih­nachts­ge­schen­ke kau­fen, „Spie­gel Online“ aus dem Feed­rea­der schmei­ßen. Ich habe mir seit eini­gen Jah­ren vor­ge­nom­men, end­lich mal zu „Scu­det­to“ zu gehen, einer in Bochum schon legen­dä­ren Ver­an­stal­tungs­rei­he in Sachen Fuß­ball­li­te­ra­tur.

Aus­ge­rich­tet wird sie von Ben Rede­lings, der nicht nur meh­re­re Bücher über Fuß­ball und das Leben als Fan geschrie­ben, son­dern auch drei Fil­me über den VfL Bochum gedreht hat. Seit eini­ger Zeit ver­fol­ge ich sein Scu­det­to­blog, in dem ich auch end­lich die Gele­gen­heit wit­ter­te, „Scu­det­to“ ein­mal live zu erle­ben.

Und obwohl ich im Moment eher ungern mit Fuß­ball beschäf­ti­ge, ging ich trotz­dem gespannt ins Bochu­mer Riff, wo mich „Far Away In Ame­ri­ca“ begrüß­te, das viel­leicht beknack­tes­te Stück Fuß­ball­mu­sik aller Zei­ten. Nach die­sem Duett mit Vil­la­ge Peo­p­le (!!!) und der desas­trö­sen WM 1994 hat sich die deut­sche Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft anschlie­ßend nie wie­der an ein Mot­to­lied her­an­ge­wagt.

Dann ging’s los und es gab Ton­do­ku­men­te, Fotos, Vide­os (You­Tube und eige­ne, s.a. „Scu­det­to-TV“, jetzt auch bei „Spie­gel Online“), eige­ne Tex­te von Ben Rede­lings und Rezi­ta­tio­nen wie die des gran­dio­sen Peter-Neururer-Inter­views aus der „Zeit“. Also all das, was man „Fuß­ball­kul­tur“ nennt.

„Scu­det­to“ ist da wie „11 Freun­de“ oder „Zeig­lers wun­der­ba­re Welt des Fuß­balls“: von Fans für Fans, noch ganz nah an dem Fuß­ball mit Brat­wurst und Bier, weit weg von den VIP-Loun­ges – also ganz nah dran am VfL Bochum. Irgend­wie klar, dass das neue Buch, das Ben Rede­lings ges­tern vor­stell­te, „Fuß­ball ist nicht das wich­tigs­te im Leben. Es ist das Ein­zi­ge“ heißt.

Irgend­wann zwi­schen Lese-Tei­len und Vide­os gab es das (offen­sicht­lich tra­di­tio­nel­le) Fuß­bal­ler-Zita­te-Quiz, bei dem man Rede­lings‘ Fuß­ball-Zita­te-Buch gewin­nen konn­te (wer es ein­mal gewon­nen und aus­wen­dig gelernt hat, hat beim nächs­ten Mal bes­se­re Chan­cen) und bei dem ich gera­de mal andert­halb Ant­wor­ten gewusst hät­te. Ben Rede­lings‘ eige­ne Tex­te sind kurz­wei­lig, sehr gut beob­ach­tet und aus der Per­spek­ti­ve eines ech­ten Fans geschrie­ben. Dass sie nicht unbe­dingt auf Poin­ten hin­aus­lau­fen, lässt sie im auf Lacher aus­ge­rich­te­ten Live­vor­trag mit­un­ter ein biss­chen wie Angrif­fe von Mario Gomez wir­ken, macht sie aber kein Stück schlech­ter.

Der nächs­te „Scudetto“-Termin steht auch schon fest: am 16. Okto­ber, dann mit einem Gast, auf den das Wort „Legen­de“ noch zutrifft: Wil­li „Ente“ Lip­pens. Und am Abend drauf spielt der VfL Bochum gegen Borus­sia Mön­chen­glad­bach.

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Kunst im Alltag: Lokalredaktion Bochum „Überschriften“

Bochum ist mit dem gesam­ten Ruhr­ge­biet Teil der Kul­tur­haupt­stadt 2010. Eine klei­ne Grup­pe von Sprach­akro­ba­ten möch­te sich dar­an mit ihrem Lite­ra­tur­pro­jekt betei­li­gen, das sie „Über­schrif­ten“ nennt.

Ers­te Kost­pro­ben ihres Kön­nens wer­den der­zeit im Kunst­ma­ga­zin „WAZ (Lokal­teil Bochum)“ abge­druckt und sol­len auch hier ange­mes­sen gewür­digt wer­den:

Da gibt es infor­ma­ti­ve Kurz­pro­sa mit ver­stö­ren­den Satz­an­fän­gen, die nur wenig län­ger ist als ein Arti­kel in der Regio­nal­pres­se zum sel­ben The­ma:

Opel plant am Standort Bochum ab 2010 eine Kapazität bis zu 260 000 Wagen pro Jahr:
Aber England baut den neuen Astra-Caravan früher

Es gibt humo­ris­ti­sche Spie­le­rei­en mit Prä­po­si­tio­nen:

Polizisten im Einsatz am Bordell verletzt

Und es gibt (über der Metah­pern- und Ver­glei­che­rei­chen Par­odie auf das jour­na­lis­ti­sche Gen­re des Kom­men­tars) Klein­ode, die in der Tra­di­ti­on der japa­ni­schen Hai­kus ste­hen:

Jacke mit Luft

Hal­ten Sie die Augen offen für wei­te­re Arbei­ten des Künst­ler­kol­lek­tivs „Lokal­re­dak­ti­on Bochum“. Unvor­stell­bar, was pas­sie­ren wür­de, wenn die­se krea­ti­ven Köp­fe auch noch die Mög­lich­kei­ten des Inter­nets für sich ent­deck­ten!

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Vogelschwatzgebiet

Eier

In der Roman­li­te­ra­tur sind Orni­tho­lo­gen eher unter­re­prä­sen­tiert. Zau­be­rer, Agen­ten, ja selbst Leh­rer sind häu­fi­ger Hel­den eines Buches als Vogel­kund­ler. Gut also, dass Mar­cel Bey­er die­ser Unge­rech­tig­keit ent­ge­gen­tritt und in sei­nem neu­en Roman „Kal­ten­burg“ gleich zwei Orni­tho­lo­gen in wich­ti­gen Rol­len prä­sen­tiert.

Der eine ist der titel­ge­ben­de Lud­wig Kal­ten­burg, renom­mier­ter Exper­te der Vogel‑, ach: der gan­zen Tier­welt, der ande­re Her­mann Funk, sein lang­jäh­ri­ger Schü­ler und Mit­ar­bei­ter und Erzäh­ler des Romans. Die bei­den ler­nen sich Anfang der 1940er Jah­re ken­nen, als Funk noch ein Kind ist und mit sei­nen Eltern in Posen wohnt, wo der Pro­fes­sor lehrt. Ähn­lich einem frisch geschlüpf­ten Vogel wird Funk in die­ser Zeit auf Kal­ten­burg geprägt und bleibt es sein Leben lang.

Aus­ge­löst durch Gesprä­che mit einer Dol­met­sche­rin in der Rah­men­hand­lung erin­nert sich Funk an Kal­ten­burg und des­sen Insti­tut in Losch­witz, an die gemein­sa­men Freun­de, den Künst­ler Mar­tin Speng­ler und den Tier­fil­mer Knut Sie­ver­ding. Die­se vier Leben sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben, immer wie­der lau­fen sich die Män­ner über den Weg und beein­flus­sen sich gegen­sei­tig. Die Angst, zen­tra­ler Gegen­stand von Kal­ten­burgs Tier­ver­hal­tens­for­schung, taucht auch im Umgang der Men­schen mit­ein­an­der immer wie­der auf, die Tier­welt fun­giert als offen­sicht­li­che Pro­jek­ti­ons­flä­che für das Mensch­li­che.

Die Jah­re kom­men und gehen, so wie die ver­schie­dens­ten Per­so­nen im Dresd­ner Insti­tut ein- und aus­ge­hen. Im Mit­tel­punkt steht immer Lud­wig Kal­ten­burg, der dem Erzäh­ler nach dem Ver­lust sei­ner Eltern bei der Bom­bar­die­rung Dres­dens eine Art Ersatz­va­ter wird, ohne dass dies je aus­for­mu­liert wür­de. Die gan­ze Zeit bleibt der Erzäh­ler selt­sam eigen­schafts­los: obwohl der Leser fast sei­ne gan­ze Lebens­ge­schich­te erzählt bekommt, erfährt er doch kaum etwas über ihn. Sogar sein Name erscheint eher zufäl­lig im Text – aller­dings so betont neben­säch­lich, dass es nur all­zu bemüht wirkt.

Bey­ers Inter­es­se an der Orni­tho­lo­gie scheint auf­rich­tig, sei­ne Beschrei­bun­gen und Aus­füh­run­gen fun­diert. Lei­der haf­tet dafür vie­len ande­ren Sze­nen, in denen der 42-jäh­ri­ge Autor etwa über die fünf­zi­ger Jah­re in der DDR schreibt, um so mehr der Makel des Ange­le­se­nen an. Den leben­di­gen Schil­de­run­gen des Insti­tuts­all­tags steht eine farb­lo­se, sche­ma­ti­sche Außen­welt gegen­über, was sich mit etwas gutem Wil­len natür­lich auch als Stil­mit­tel sehen lie­ße: es gibt eben kaum eine Welt außer­halb des Insti­tuts. Dass der Erzäh­ler ver­hei­ra­tet ist, erfah­ren wir eben­so bei­läu­fig wie sei­nen Namen, Kal­ten­burg selbst ist der Poli­tik gegen­über macht­los, durch­schaut die Manö­ver sei­ner Fein­de nicht und muss sei­ner eige­nen Demon­ta­ge zuse­hen, als er sich ab 1964 in fach­frem­de Gefil­de wagt und sei­ne NS-Ver­gan­gen­heit ans Licht kommt.

Die Haupt­fi­gu­ren, die sehr eng an Kon­rad Lorenz, Joseph Beuys und Heinz Siel­mann ange­lehnt sind, sind aus­führ­lich beschrie­ben und wer­den doch nicht greif­bar. Sie sol­len Cha­rak­te­re sein und Platz­hal­ter für eine Ver­hand­lung deut­scher Geschich­te, aber sowohl für die eine, als auch für die ande­re Rol­le fehlt ihnen der Tief­gang. Im letz­ten Teil des Romans wird die Ehe­frau des Erzäh­lers über ihre Vor­lie­be für die Wer­ke Mar­cel Prousts cha­rak­te­ri­siert und es scheint, als ver­su­che Bey­er plötz­lich auch noch das Vor­bild für den eige­nen Erzähl­stil mit ein­zu­bau­en. Die Dol­met­sche­rin in der Rah­men­hand­lung ist dabei nicht mehr als eine Stich­wort­ge­be­rin für die Erin­ne­rungs­mo­no­lo­ge des Erzäh­lers, sie selbst bleibt eigen­schafts­lo­ser als so man­ches Tier im Roman.

Das Ärger­lichs­te aber: der Pro­log zu „Kal­ten­burg“ baut eine Erwar­tungs­hal­tung auf, die das Buch anschlie­ßend nicht ein­lö­sen kann. Der unglaub­lich packen­de Ein­stieg läuft ins Lee­re, die fol­gen­den 380 Sei­ten haben nichts mehr mit den gewal­ti­gen Bil­dern des Beginns zu tun. Bey­ers Roman erweist sich als nett geschrie­be­ne Nach­er­zäh­lung, die sich um die Auf­la­dung mit Bedeu­tung bemüht: gro­ße The­men wie Schuld, Kon­se­quen­zen des eige­nen Han­delns und auch per­sön­li­che Abhän­gig­kei­ten wer­den immer nur ange­deu­tet und dann wie­der lie­gen­ge­las­sen. Eine ziem­li­che Bruch­lan­dung.

Mar­cel Bey­er – Kal­ten­burg
Suhr­kamp, 394 Sei­ten
19,80 Euro

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Die Blechtrommel

Völ­lig über­ra­schend hat Oskar Lafon­taine, Vor­sit­zen­der von Die Lin­ke, im „Han­dels­blatt“ erklärt, dass sei­ne Par­tei die Unter­stüt­zung bei der Wahl zum Bun­des­prä­si­den­ten vom Lite­ra­tur-Geschmack der Bewer­ber abhän­gig machen wer­de:

Für Linken-Chef Oskar Lafontaine ist ausschlaggebend, wie der Kandidat zu “Krieg und Frieden” steht.

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Die Dichterschlacht von Dinslaken

Weil’s in den Kom­men­ta­ren ja doch wie­der unter­ge­hen könn­te:

Am mor­gi­gen Mon­tag, 3. März fin­det im Bis­tro „Mit­tel­punkt“ in der Stadt­hal­le der Dins­la­ke­ner Poet­ry Slam statt.

Alles Wis­sens­wer­te dazu fin­det man unter slam-dinslaken.de.vu, dar­un­ter auch die Regeln, von denen mir fol­gen­de beson­ders gut gefällt:

Mobil­te­le­fo­ne müs­sen wäh­rend der Ver­an­stal­tung laut­los bzw. aus­ge­schal­tet wer­den. Beim Klin­geln wäh­rend einer Lesung muss der Besit­zer des Han­dys ein Lied aus der „Mund­or­gel“ vor gesam­tem Publi­kum vor­tra­gen.

Ich selbst bin am Mon­tag lei­der nicht in der Stadt, wer­de mir das Spek­ta­kel aber bestimmt bei einem der nächs­ten Ter­mi­ne (7. April, 5. Mai) mal anse­hen.