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Bist Du noch wach? — 3. Was steht auf Deiner Bucket List?

In der neu­en Fol­ge „Bist Du noch wach?“ benut­zen Sue und Lukas so schö­ne Wör­ter wie „Bucket List“ und „Cele­bri­ty Crush“ und bren­nen auch sonst ein Feu­er­werk für Liebhaber*innen der Lin­gu­is­tik ab (Koch/​Oesterreicher, 1994).

Sue warnt vor gewünsch­ten Hän­ge­mat­ten, Lukas davor, ihn anzu­ru­fen, und gemein­sam machen sie sich auf die Suche nach ihrer eige­nen Krea­ti­vi­tät.

E‑Mails (zum Bei­spiel mit eige­nen Fra­gen oder exklu­si­ven Schimpf­wör­tern für das Boh­ren in Alt­bau­woh­nun­gen) neh­men wir unter bistdunochwach@coffeeandtv.de ent­ge­gen!

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Glühwürmchen

Ich muss Sie gera­de noch mal in mei­ner Eigen­schaft als gelern­ter Varie­tä­ten­lin­gu­ist behel­li­gen. Kim­ber­ly Hop­pe, „LEU­TE-Kolum­nis­tin“ der Mün­che­ner Abend­zei­tung und berühmt für ihre ein­fühl­sa­men Twit­ter-Repor­ta­gen, ist da bei ihren inves­ti­ga­ti­ven Recher­chen im Prä-Okto­ber­fest­li­chen Mün­chen auf ein ganz ein neu­es Wort gesto­ßen:

Es ist das Wort des Jah­res: VORGLÜHEN.

Frü­her gab’s das Phä­no­men auch schon, aller­dings kein so lus­ti­ges Wort dazu. Ja, ich als Nicht-Katho­li­kin geste­he und tue Buße: Ich habe frü­her Augus­ti­ner-Fla­schen im Ruck­sack (’tür­lich East­pack) auf die Wiesn ins Schot­ten­ha­mel-Zelt geschmug­gelt und nach der ers­ten Maß heim­lich in den Krug nach­ge­schenkt. Schließ­lich war das Bier zu DM-Prei­sen schon viel zu teu­er und ich war jung und brauch­te das Geld für was ande­res. Gut. Nein: schlecht. Auf jeden Fall lan­ge her.

Nun ist Frau Hop­pe knapp drei Jah­re älter als ich, was mir ers­tens die Mög­lich­keit ein­räumt, doch noch was aus mei­nem Leben zu machen, ihre „lan­ge her“-Prosa zwei­tens ein biss­chen bemüht erschei­nen lässt, und drit­tens die Fra­ge auf­wirft, war­um sie erst jetzt, im Jahr 2009, auf die­ses beknack­te, mir nie son­der­lich krea­tiv erschei­nen­de, Wort gesto­ßen ist. Mir ist defi­ni­tiv eine Situa­ti­on von vor sie­ben Jah­ren erin­ner­lich, in der das Wort „Vor­glü­hen“ fiel, aber es kann sich auch schon bedeu­tend län­ger in mei­nem pas­si­ven Wort­schatz befin­den.

Man muss ja nicht gleich einen Kübel Bier Hohn über einer „LEU­TE-Kolum­nis­tin“ aus­lee­ren, die offen­bar die letz­ten Jah­re hin­ter dem Mond gelebt hat, aber rein inter­es­se­hal­ber (und weil mei­ne Eltern sich immer freu­en, wenn ich irgend­wo andeu­ten kann, dass sich ihre Inves­ti­ti­on in mein Stu­di­um gelohnt hat) wüss­te ich jetzt ger­ne von Ihnen:

War Ihnen die Voka­bel „Vor­glü­hen“ als vor-par­ty­li­che Druck­be­tan­kung mit alko­ho­li­schen Geträn­ken schon vor der Lek­tü­re von Frau Hop­pes Lebens­beich­te bekannt? Wenn ja: Wie lan­ge?

(Klar, dass das eige­ne Alter und die Regi­on, in der man auf­ge­wach­sen ist, auch hier wie­der erheb­lich zu einem stim­mi­gen Gesamt­bild bei­tra­gen wür­den.)

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The End Is The Beginning Is The End

Als ich noch über eine aka­de­mi­sche Kar­rie­re nach­dach­te, hielt ich es als begeis­ter­ter Varie­tä­ten­lin­gu­ist für eine gute Idee, mei­ne Dok­tor­ar­beit über Brot­enden zu schrei­ben (die Alter­na­tiv­idee hieß „Ficken, Bum­sen, Bla­sen – Eine Ety­mo­lo­gie der Sex-Spra­che“). Denn, so hat­te ich gelernt: Die­se Din­ger hei­ßen über­all anders.

Eine ansehn­li­che Lis­te mit Bezeich­nun­gen (sowie mit Namen für das Kern­ge­häu­se eines Apfels) hat­te ich schon begon­nen – und es steht Ihnen natür­lich frei, die­se in den Kom­men­ta­ren zu ergän­zen. Ich erfuhr, dass es sogar Dör­fer gibt, in denen der Anfang und das Ende eines Bro­tes unter­schied­li­che Bezeich­nun­gen haben. Da ist man dann schnell im Grenz­ge­biet von Lin­gu­is­tik und Phi­lo­so­phie.

Schwie­rig wür­de es da natür­lich bei so einem Kan­di­da­ten der kubis­ti­schen Pha­se:

Quadratisch, praktisch, Brot
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Blog am Bein

Writer's block

Kürz­lich wohn­te ich einer Dis­kus­si­on bei, bei der es um die (zuge­ge­be­ner­ma­ßen sehr neben­säch­li­che) Fra­ge ging, ob es eigent­lich „der Blog“ oder „das Blog“ hei­ße. Mein Stand­punkt war, dass ich zwar „das Blog“ sagen wür­de, aber beim bes­ten Wil­len nicht wüss­te, war­um. Viel­leicht, um Ver­wechs­lun­gen mit „der Block“ (damn you, Aus­laut­ver­här­tung!) zu ver­mei­den. Aber wozu hat man Ger­ma­nis­tik und Anglis­tik stu­diert und sei­ne B.A.-Arbeit über die Ver­än­de­run­gen in der Inter­net­spra­che geschrie­ben?

Bevor wir uns dem kon­kre­ten Fall nähern, müs­sen wir zwei grund­sätz­li­che Pro­ble­me erwäh­nen: Ers­tens gibt es im Deut­schen Unter­schie­de zwi­schen gram­ma­ti­schem (Genus) und bio­lo­gi­schem (Sexus) Geschlecht, die dazu füh­ren, dass sprach­lich alle Hun­de männ­lich, alle Kat­zen weib­lich und alle Mäd­chen säch­lich sind. ((Beson­ders das mit den Mäd­chen ist ein unge­klär­tes Pro­blem, dem des­sen sich Sprach- und Gen­der­wis­sen­schaf­ten drin­gend anneh­men soll­ten.)) Da die Arti­kel (bestimm­te wie unbe­stimm­te) vom gram­ma­ti­schen Geschlecht abhän­gen, muss man zu jedem Wort auch sei­nen Genus dazu­ler­nen. Dar­aus folgt auch, dass man zwei­tens für jedes Fremd- oder Lehn­wort ein gram­ma­ti­sches Geschlecht fest­le­gen muss. So sagt man „das Trot­toir“ (im Fran­zö­si­schen ein Mas­ku­li­num), „die Toi­let­te“ (im Fran­zö­si­schen auch Femi­ni­num) und „der Cap­puc­ci­no“ (im Ita­lie­ni­schen eben­falls Mas­ku­li­num).

Ver­su­chen wir, die Kur­ve Rich­tung „Blog“ zu krat­zen, und nähern uns der Welt von Com­pu­tern (mask.) und Inter­net (neu­tr.): So sagt man in Deutsch­land „die E‑Mail“, was sich damit erklä­ren lie­ße, dass die deut­sche Über­set­zung („E‑Post“) eben­falls femi­nin ist. ((Schlimm wird’s bei einem Wort wie „blog­ger“, das für weib­li­che wie männ­li­che Per­so­nen steht, für Deut­sche aber nach einer männ­li­chen Endung aus­schaut. Spä­tes­tens bei „girl­fri­end“ emp­fiehlt es sich, auf fremd­sprach­li­che Voka­beln zu ver­zich­ten und ein­fach den deut­schen Begriff „Freun­din“ zu ver­wen­den.)) In Öster­reich und der Schweiz heißt es aber „das E‑Mail“, womit wir den Salat end­gül­tig hät­ten.

Neh­men wir der Ein­fach­heit hal­ber trotz­dem mal für einen Moment an, die deut­sche Über­set­zung bestim­me allei­ne den Arti­kel. „Blog“ ist die Kurz­form von „Web­log“, was sich wie­der­um auf „log“ bezieht, wozu das „Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry“ Fol­gen­des zu berich­ten weiß:

log /​lɒg/​ n.¹ ME. [Ori­gin unknown] I 1 A bul­ky mass of wood; esp. an unhewn por­ti­on of a fel­led tree, or a length cut off for use as fire­wood. ME. b Sur­fing. A lar­ge or hea­vy surf­board. M20. 2 a A hea­vy pie­ce of wood, fas­ten­ed to the leg of a per­son or an ani­mal to impe­de move­ment. L16. b Mil. Hist. A form of punish­ment wher­eby a hea­vy weight was chai­ned to an offender‘s leg to be drag­ged or car­ri­ed around as the per­son moved. M19. 3 A pie­ce of quar­ried sla­te befo­re it is split into lay­ers. E18. 4 In pl. A jail, a lock-up. Aus­tral. slang. L19.

[…]

II 5 An appa­ra­tus for ascer­tai­ning the speed of a ship, con­sis­ting of a float atta­ched to a line wound on a reel. Also, any other appa­ra­tus for the same pur­po­se. L16. 6 a A book con­tai­ning a detail­ed dai­ly record of a ship‘s voya­ge; a log­book. E19. b A sys­te­ma­tic record of things done, found, expe­ri­en­ced, etc., as (a)a record of dis­co­veries or varia­ti­ons at suc­ces­si­ve depths in dril­ling a well; a graph or chart dis­play­ing this infor­ma­ti­on; (b) a record with details of jour­neys kept by a lor­ry dri­ver; (c) a record of what is broad­cast by a radio or tele­vi­si­on sta­ti­on; (d) Com­pu­ting a sequen­ti­al file of tran­sac­tions on a data­ba­se. E20. c A list or sum­ma­ry of claims for a wage increase etc. Freq. more ful­ly log of claims. Aus­tral. E20.

(The New Shorter Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry on his­to­ri­cal prin­ci­ples; Edi­ted by Les­lie Brown; Oxford, 1993.)

Wäre ich gezwun­gen, die­sem Ein­trag eine ein­zi­ge deut­sche Voka­bel zuzu­ord­nen, wür­de ich mich wohl für „Klotz“ ent­schei­den. ((Der Spie­gel­fech­ter hat­te bei einer ähn­li­chen Dis­kus­si­on auf freitag.de ange­führt, das eng­li­sche Wort „log“ stam­me vom alt­is­län­di­schen und alt­nor­we­gi­schen „lag“ ab, was „umge­fal­le­ner Baum­stamm“ hei­ße – ich will nicht aus­schlie­ßen, dass er da tat­säch­lich mehr wuss­te als das Oxford Dic­tion­a­ry, hal­te die­se Infor­ma­ti­on aber auch eher für Bonus­wis­sen, das uns bei der kon­kre­ten Fra­ge­stel­lung nicht wei­ter­hilft.)) Er deckt den Bereich I kom­plett ab und passt im Bereich II zumin­dest noch zur Num­mer 5. Außer­dem ist er ähn­lich schön laut­ma­le­risch.

Wer­fen wir auch noch einen (wenig auf­schluss­rei­chen) Blick ins mit­tel­eng­li­sche Wör­ter­buch („ME“ = „Midd­le Eng­lish“):

loglog(ge n. (1); lok n. (2); lough.

log(ge n. (1) [Cp. ML log­gum.] (a) An uns­haped pie­ce of wood, sta­ve, stick; (b) as sur­na­me.

(Midd­le Eng­lish Dic­tion­a­ry; Sher­man M. Kuhn, Edi­tor & John Rei­dy, Asso­cia­te Edi­tor; Ann Arbor, 1968.)

Das eng­li­sche Wort „web­log“ könn­te also mit eini­ger Berech­ti­gung als „Netz­klotz“ über­setzt wer­den, womit es ein Mas­ku­li­num wäre. Der Duden, über des­sen Rol­le man auch erst ein­mal strei­ten müss­te, lässt übri­gens „das“ und „der“ zu:

1. Blog, das, auch: der; -s, -s [engl. blog, gek. aus: weblog, →Weblog] (EDV Jargon): Weblog. ...

Ich bevor­zu­ge wie gesagt „das Blog“ ((Weil ich es sinn­voll fin­de, wenn sach­li­che Din­ge auch sach­li­che Arti­kel haben.)) und fin­de „der Blog“ etwas merk­wür­dig, aber merk­wür­dig fin­de ich ja auch regio­nal­sprach­li­che Vari­an­ten wie „ein­ge­schal­ten“ statt „ein­ge­schal­tet“ oder „ich bin gestan­den“ statt „ich habe gestan­den“ und das macht sie ja auch nicht falsch.

Spra­che ist – da wie­der­ho­le ich mich ger­ne – etwas Leben­di­ges und die Mehr­heit hat immer Recht. Soll­te sich also „der Blog“ durch­set­zen, wür­de das zwar ver­mehrt zu Ver­wech­se­lun­gen von „der Blog“ und „der Block“ füh­ren, aber man müss­te es akzep­tie­ren, wenn man nicht gegen Wind­müh­len kämp­fen will.

Zu den Blog-nahen Sprach­ver­än­de­run­gen zäh­len auch „Blog“ als Syn­onym für „Blog­ein­trag“ (Mat­thi­as Matus­sek ver­öf­fent­licht ja regel­mä­ßig „neue Blogs“) und „Blog­ger“ als Bezeich­nung für Blog­le­ser und ‑kom­men­ta­to­ren. Das sind natür­lich schon erheb­li­che Bedeu­tungs­ver­schie­bun­gen bzw. ‑erwei­te­run­gen, aber sowas ist bei jun­gen The­men­ge­bie­ten Blogs völ­lig nor­mal.

Viel ent­schei­den­der als die Fra­ge, ob es „der Blog“ oder „das Blog“ heißt, ist doch die, was drin­steht wer mir die vier Stun­den Lebens­zeit ersetzt, die ich in der Uni-Biblio­thek ver­plem­pert habe.

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Börek Obhammer

In einer Woche wird in den USA ein neu­er Prä­si­dent gewählt.

Ob die deut­schen Jour­na­lis­ten bis dahin noch ler­nen wer­den, dass der Name des demo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten [bəˈrɑːk oʊˈ­bɑːmə] aus­ge­spro­chen wird und nicht [‚bæræk o’bæmɑ]?

Nach­trag, 13:22 Uhr: Auf viel­fa­chen Wunsch gibt’s das Gan­ze jetzt auch audio­vi­su­ell:

[Direkt­link]

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Gesellschaft Politik

Stopf den Tisch oder ich butter dir die Bremen

Auch wenn uns poli­tisch wenig bis gar nichts ver­band, war Hel­mut Kohl immer „mein“ Kanz­ler. Er war schon Kanz­ler, als ich auf die Welt kam, und als er es plötz­lich (nach 16 Jah­ren!) nicht mehr war, war ich ver­wirrt. Sag­te der Nach­rich­ten­spre­cher „Bun­des­kanz­ler“, ver­voll­stän­dig­te ich im Geis­te „Hel­mut Kohl“. In mei­ner Erin­ne­rung wird Kohl immer zu glei­chen Tei­len die „Hur­ra Deutschland“-Gummipuppe und der Fels in der Bran­dung sein. Er war der gro­ße „Aus­sit­zer“, die sprich­wört­li­che deut­sche Eiche, die es nicht im min­des­ten inter­es­sier­te, wel­che Sau sich gera­de wie­der an ihr rieb. Kohl hat sie alle über­stan­den: Schmidt, Strauß, Möl­le­mann. Es gab Bücher vol­ler Kohl-Wit­ze und ich wür­de ihm zutrau­en, dass er, wenn ihm mal jemand ein sol­ches Buch geschenkt hät­te, die­ses demons­tra­tiv auf dem Fens­ter­brett der Gäs­te­toi­let­te sei­nes Oggers­hei­mer Bun­ga­lows plat­ziert hät­te, um zu zei­gen, wie wenig ihn das alles anfocht. Wenn er doch mal die Con­ten­an­ce ver­lor, wie als er sich in Hal­le auf einen Mann stürz­te, der ihn mit Eiern bewor­fen hat­te, dann zeig­te er in einer sol­chen Sze­ne Mensch­lich­keit, phy­si­sche Prä­senz und den Wil­len, sich not­falls selbst zu ver­tei­di­gen. Die Hal­len­ser Eier­wurf-Geschich­te ist eine Epi­so­de in der an Epi­so­den nicht armen Außen­wir­kung Kohls. Sei­ne inne­re Ruhe geht so weit, dass ihn auch die Bon­ner Staats­an­walt­schaft nicht davon über­zeu­gen kann, sein Ehren­wort zu bre­chen.

Kohls Nach­fol­ger als Bun­des­kanz­ler war Ger­hard Schrö­der, der unter ande­rem dadurch in die Geschich­te und das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis ein­ging, dass er gericht­lich gegen die Behaup­tung vor­ging, sein gleich­mä­ßig dunk­les Haupt­haar sei gefärbt. Etwa fünf Jah­re spä­ter setz­te Schrö­ders Gat­tin gericht­lich durch, dass der „Stern“ nicht behaup­ten darf, sie habe die Idee gehabt, eine Neu­wahl des Bun­des­tags mit­tels Ver­trau­ens­fra­ge zu erwir­ken. Hel­mut Kohl wur­de zu die­ser Zeit, allen Ehren­wor­ten zum Trotz, als Kan­di­dat für den Frie­dens­no­bel­preis gehan­delt.

Eben­falls einen Pro­zess gewann im Jahr 2005 Schrö­ders dama­li­ger Ver­kehrs­mi­nis­ter Man­fred Stol­pe. Er darf seit­dem nicht mehr als „ehe­ma­li­ger Sta­si-Mit­ar­bei­ter“ oder „IM“ bezeich­net wer­den, auch wenn Stol­pe selbst sagt, er habe als Sekre­tärs des Bun­des der Evan­ge­li­schen Kir­che der DDR „zu vie­len staat­li­chen Stel­len Kon­takt gehal­ten, dar­un­ter auch zur Staats­si­cher­heit“, und der Birth­ler-Behör­de Akten vor­lie­gen, die den Ver­dacht erhär­ten, Stol­pe sei als Infor­mel­ler Mit­ar­bei­ter „gewor­ben“ wor­den. Die soge­nann­te „Stol­pe-Ent­schei­dung“ des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts besagt im Kern, dass es bei einer mehr­deu­ti­gen Äuße­rung aus­rei­che, wenn nur eine mög­li­che Inter­pre­ta­ti­on die­ser Äuße­rung die Per­sön­lich­keits­rech­te des Klä­gers ver­let­ze.

Natür­lich möch­te nie­mand Unwahr­hei­ten oder Belei­di­gun­gen über sich selbst lesen und selbst­ver­ständ­lich gibt es einen Unter­schied zwi­schen der Aus­sa­ge „Lukas hat­te Kon­tak­te zu Apfel­die­ben (weil er in der Grund­schu­le neben einem saß)“ (Saß ich nicht, bzw. ich wüss­te nichts davon. Es ist ein Bei­spiel, lie­be frü­he­ren Mit­schü­ler!) und „Lukas war/​ist ein Apfel­dieb“. Nur haben die Ver­fas­sungs­rich­ter mit die­sem Grund­satz­ur­teil die Büch­se der Pan­do­ra geöff­net, denn mehr­deu­tig und inter­pre­tier­bar ist eine gan­ze Men­ge: Eine ver­ul­ken­de Berufs­be­zeich­nung für Fern­seh­an­sa­ge­rin­nen, die auch als abwer­ten­de Bezeich­nung für das weib­li­che Geschlecht ver­stan­den wer­den könn­te? Die „Stol­pe-Ent­schei­dung“ ist mit Euch (und sorgt dafür, dass sowohl die ver­ul­ken­de Berufs­be­zeich­nung, als auch die Fern­seh­an­sa­ge­rin erst­mals einem grö­ße­ren Publi­kum bekannt wer­den). Eine Beschrei­bung für Men­schen, die im Fern­se­hen anru­fen, dann aber nichts oder völ­lig unpas­sen­des Zeug sagen, die auch als Unter­stel­lung den Ange­ru­fe­nen gegen­über ver­stan­den wer­den könn­te? Die „Stol­pe-Ent­schei­dung“ hilft.

Ich bin kein Jurist und juris­tisch mögen die­se Urtei­le auch völ­lig logisch begründ­bar sein. Lin­gu­is­tisch sind sie es nicht. Wer sagt, dass eine Wort­neu­schöp­fung irgend­et­was bedeu­ten könn­te, und ein Wort syn­onym für ein ande­res ste­hen könn­te (das aber wohl in kaum einem Fall sinn­voll), stellt die Grund­kon­ven­ti­on in Fra­ge, auf der jede Spra­che auf­baut. Es besteht zum Bei­spiel die Kon­ven­ti­on, dass das Ding mit der Plat­te aus Holz und den vier Bei­nen unten­drun­ter „Tisch“ genannt wird. Nur so weiß der klei­ne Peter, was die Leh­re­rin meint, wenn sie sagt „Peter, kle­be doch bit­te Dein Kau­gum­mi nicht unter Dei­nen Tisch“. Und das gilt – Sie haben es bereits erra­ten – nicht nur für das Wort bzw. das Kon­zept „Tisch“, son­dern für jedes Wort des Sat­zes und der gesam­ten Spra­che. Für die Wis­sen­schaft, die sich mit der Bedeu­tung von Wor­ten befasst, gibt es, welch Iro­nie, zwei ver­schie­de­ne Begrif­fe: Wort- oder lexi­ka­li­sche Seman­tik. Wer tie­fer in die­se Mate­rie ein­stei­gen will, kommt bei­spiels­wei­se um Fer­di­nand de Sauss­u­re kaum her­um.

Die Annah­me, ein Wort kön­ne auch für etwas völ­lig ande­res ste­hen (und wir reden hier natür­lich nicht über Hom­ony­me, sog. „Tee­kes­sel­chen“ wie „Ball“ [run­des Sportobjekt/​Tanzveranstaltung] oder „Bank“ [Geldinstitut/​Sitzmöbel]), hat etwas post­struk­tu­ra­lis­ti­sches. Denkt man den Gedan­ken zu Ende, könn­te alles buch­stäb­lich alles bedeu­ten. Nicht weni­ge Leu­te, die regel­mä­ßig Brie­fe schrei­ben oder erhal­ten (z.B. Leser­brief­schrei­ber), wis­sen, dass die Gruß­for­mel „Hoch­ach­tungs­voll“ auch etwas ganz ande­res bedeu­ten kann. Etwas, bei des­sen öffent­li­cher Aus­spra­che man immer beto­nen muss, Goe­thes „Götz von Ber­li­chin­gen“ zu zitie­ren. Kann ich also jedes alte Ömma­cken, das noch gelernt hat, was sich gehört und wie man Brie­fe schreibt, ver­kla­gen, weil sie mich mit ihrem „Hoch­ach­tungs­voll“ belei­digt haben könn­te?

Ja, wie­so denn eigent­lich nicht? Ich kann doch auch sagen, das Ding mit der Plat­te aus Holz und den vier Bei­nen drun­ter nen­ne ich jetzt „Brot“, und das Zeugs aus Kör­nern, wo man sich mor­gen sei­ne Nuss­nou­gat­creme draufstreicht, nen­ne ich „Wal­de­mar“. Wenn ich das kon­se­quent durch­zie­he, ver­steht mich bald nie­mand mehr, aber ich habe eine neue inter­es­san­te Frei­zeit­be­schäf­ti­gung, näm­lich Wor­te durch ande­re zu erset­zen. Und da eini­ge Per­so­nen die inter­es­san­te Frei­zeit­be­schäf­ti­gung, ande­re Leu­te juris­tisch zu belan­gen, aus den USA impor­tiert haben, ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass es in Zei­tungs­ar­ti­keln, Blog­ein­trä­gen und auch in der All­tags­spra­che bald von „Du weißt schon wer„s und „He who must not be named„s wim­meln könn­te. („Wobei das natür­lich gar nichts bräch­te, weil man ja anneh­men könn­te, wer mit die­sen Chif­fren gemeint sein soll­te“, sag­te das Uni­ver­sum und lös­te sich in einem Logik­wölk­chen auf.)

Spra­che ist etwas, mit dem jeder jeden Tag zu tun hat. Wirk­lich jeder und über­all (die Aus­nah­men müss­ten so kon­stru­iert sein, dass man ihnen schon wie­der Bos­haf­tig­keit unter­stel­len könn­te), des­we­gen denkt offen­bar auch jeder, er ken­ne sich damit aus. Nur von Fuß­ball haben noch mehr Deut­sche Ahnung (näm­lich alle außer dem jeweils aktu­el­len Bun­des­trai­ner) als von Spra­che. Wer­den Lin­gu­is­ten um Gut­ach­ten gebe­ten, wer­den die­se meist schlicht igno­riert. Man stel­le sich nur mal vor, ein Rich­ter sage dem Dekra-Sach­ver­stän­di­gen, der gera­de erklärt hat, ein Auto kön­ne nicht inner­halb von 1,8 Sekun­den von 250 km/​h zum Still­stand gebracht wer­den (und das in einem Ver­kehrs­be­ru­hig­ten Bereich), es sei ja ganz schön, was er da gera­de von sei­ner put­zi­gen Wis­sen­schaft aus sei­nem schmu­cken Elfen­bein­turm berich­tet habe, aber er fah­re ja sel­ber Auto und kön­ne daher durch­aus befin­den, dass das sehr wohl gehe. Mit Geis­tes­wis­sen­schaft­lern, die­sem Pack, das nur Bücher liest und kei­ne neu­en Auto­mo­to­ren oder Atom­bom­ben ent­wi­ckelt, und auch kei­ne Kon­zep­te zur Ein­spa­rung von 30.000 Arbeits­kräf­ten bei gleich­zei­ti­ger Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät erar­bei­ten kann, mit denen kann man offen­bar alles machen.

Was? Ich schwei­fe ab, ich ertrin­ke in Wel­ten­schmerz und wer­de über Gebühr sar­kas­tisch? Nein, das müs­sen Sie irgend­wie falsch inter­pre­tiert haben.