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Gesellschaft Rundfunk

Vom Fernsehen und der Wirklichkeit

Ges­tern Abend habe ich die drit­te Staf­fel mei­ner neu­en Lieb­lings­se­rie „Skins“ auf DVD zu Ende geguckt (die übri­gens wie­der sehr gut ist). Anschlie­ßend hing ich der nicht gera­de neu­en Fra­ge nach, was eigent­lich eine Fern­seh­se­rie – und sei sie noch so rea­lis­tisch – von der Wirk­lich­keit unter­schei­det.

Ein Schlüs­sel liegt in den Staf­feln, in denen Seri­en aus­ge­strahlt wer­den, und vor allem an deren Fina­len: Lose Enden wer­den zusam­men­ge­fügt, lan­ge auf­ge­stau­te Kon­flik­te end­lich gelöst und am Ende schip­pern die Haupt­fi­gu­ren in den Son­nen­un­ter­gang. ((Ich sag nur: drit­te Staf­fel „Dawson’s Creek“!)) Pünkt­lich zum Beginn der neu­en Staf­fel gibt es dann neue Kon­flik­te.

Die Wirk­lich­keit kennt natür­lich so etwas ähn­li­ches: Jedes Jahr endet mit einem Weih­nachts­fest, auf das ab dem begin­nen­den Herbst alles hin­steu­ert, und das immer wie­der dafür her­hal­ten muss, einem ansons­ten hin- und her­schlin­gern­den Jahr einen wür­di­gen Abschluss zu geben. ((Und bestehe der nur aus Geschen­ken und Ver­wand­ten­be­su­chen.)) Schul­jah­re enden auch mit gro­ßen Ereig­nis­sen und gehen danach in eine Aus­zeit, die wir Feri­en nen­nen. ((Des­halb haben Jugend­se­ri­en eine dank­ba­re­re und fast immer bes­se­re Dra­ma­tur­gie als Seri­en mit Erwach­se­nen als Haupt­per­so­nen. „Emer­gen­cy Room“ hat sogar mal das Kunst­stück voll­bracht, zum Beginn einer neu­en Staf­fel direkt an den Cliff­han­ger der vor­her­ge­hen­den Fol­ge anzu­schlie­ßen, wäh­rend in der Rah­men­hand­lung meh­re­re Mona­te ver­gan­gen sind.)) An die letz­ten Jah­re an mei­nem Gym­na­si­um kann ich mich wegen der kla­ren zeit­li­chen Struk­tur bes­tens erin­nern, wäh­rend ich bei man­chen Ereig­nis­sen in mei­ner Stu­di­en­zeit nicht mal weiß, in wel­chem Jahr sie eigent­lich statt­ge­fun­den haben.

Und den­noch: Wir kön­nen uns die Wirk­lich­keit durch Zeit­zy­klen zu struk­tu­rie­ren ver­su­chen, aber sie fin­det doch unab­hän­gig von der­ar­ti­gen Dra­ma­tur­gien statt. Die Welt dreht sich wei­ter, egal ob jemand stirbt und jemand anders nicht über die­sen Ver­lust hin­weg kommt, egal ob jemand um sich schießt oder ein Haus ein­stürzt, ((Wenn ich mich recht ent­sin­ne wie­der­um „Emer­gen­cy Room“, nicht Deutsch­land im März 2009.)) egal ob man sich trennt oder zusam­men­kommt. ((Eine Bezie­hung ist übri­gens das, was anfängt, wenn im Kino der Abspann läuft oder man das Buch zuschlägt, nach­dem sich die bei­den Lie­ben­den end­lich gefun­den haben.))

Es ist die­ses Immer-wei­ter-Gehen, das das Leben von sei­nen media­len Abbil­dun­gen unter­schei­det. Dai­ly Soaps sind – for­mal betrach­tet – daher sehr viel rea­lis­ti­scher als abge­schlos­se­ne Fil­me, weil immer wie­der neue Men­schen hin­zu­kom­men, die vom Schick­sal dahin­ge­rafft wer­den kön­nen. ((Der Regis­seur Niko von Gla­sow hat mir mal erzählt, Dai­ly Soaps sei­en „gute Geschich­ten, nur schei­ße gemacht.“))

Über­haupt, der Rea­lis­mus: Da belä­chelt man die Fami­lie Bei­mer, weil sich die Eltern schei­den las­sen, der eine Sohn zwi­schen­durch Nazi wird und dann eine komi­sche Frau hei­ra­tet, wäh­rend der ande­re auf dem Weg zur neu­en Hoch­zeit sei­ner Mut­ter ums Leben kommt (und das alles innert 20 Jah­ren und mehr) – aber es bedarf nur eines Tele­fo­nats mit der eige­nen Mut­ter, um Geschich­ten aus sei­ner Hei­mat­stadt zu hören, die so absurd und unrea­lis­tisch erschei­nen, dass man einen Autoren geschla­gen hät­te, wenn er damit ange­kom­men wäre.

Wirk­lich­keits­nä­he ist ja sowie­so kein Wert an sich, sonst bräuch­te man ja gar nichts ande­res mehr als ein paar doo­fe Rea­li­ty­shows und die Schil­de­run­gen der Nach­ba­rin aus dem ers­ten Stock. „Skins“ ist ja bei­spiels­wei­se so gut, weil das, was Mil­lio­nen Jugend­li­che jeden Tag erle­ben, sor­tiert, künst­le­risch über­höht und dann von und mit kom­pe­ten­ten Leu­ten gut umge­setzt wur­de. Die Geschich­te eines alten Man­nes, der unbe­dingt einen Fisch fan­gen will, wird ja auch erst span­nend, wenn man sie ordent­lich erzäh­len kann.