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Madame 0,1 Prozent

Deutsch­land hat – Sie wer­den das mit­be­kom­men haben – seit ein paar Tagen end­lich eine Kanz­ler­kan­di­da­tin. Hel­ga Zepp-LaRou­che, bis zum Auf­stieg von Gabrie­le Pau­li Gesamt­füh­ren­de in der Kate­go­rie „Frau­en mit den meis­ten Par­tei­mit­glied­schaf­ten“, hat in der ver­gan­ge­nen Woche ihre Kan­di­da­tur für die „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ (BüSo) bekannt­ge­ge­ben.

Die­se Nach­richt ist viel­leicht psy­cho­lo­gisch span­nen­der als poli­tisch: Was mag in einem Men­schen vor­ge­hen, des­sen Par­tei bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl 0,1% erreich­te (und die bei der Euro­pa­wahl im Mai die zweit­nied­rigs­te Stim­men­zahl von allen 32 Par­tei­en bekom­men hat), und der es dar­auf­hin für eine gute Idee hält zu sagen: „Hey, da nenn‘ ich mich mal nicht Spit­zen­kan­di­da­tin, son­dern Kanz­ler­kan­di­da­tin“? Zumal ihre ers­te Kanz­ler­kan­di­da­tur (damals noch für die „Euro­päi­sche Arbei­ter­par­tei“) nun auch schon wie­der 33 Jah­re zurück­liegt und damals über­ra­schen­der­wei­se nicht so erfolg­reich wie erhofft ver­lief. (Für die Jün­ge­ren: Bun­des­kanz­ler blieb damals ein Mann namens Hel­mut Schmidt.)

Frau Zepp-LaRou­che erklärt in 67.595 Zei­chen, war­um sie als Kanz­ler­kan­di­da­tin kan­di­die­re (zum Ver­gleich: das ist mehr als der acht­fa­che Umfang der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung der USA), und lässt doch die ent­schei­den­de Fra­ge unbe­ant­wor­tet:

Des öfte­ren wer­de ich gefragt, wie­so es kommt, daß ich mich seit nun­mehr 37 Jah­ren für eine neue gerech­te Welt­wirt­schafts­ord­nung und ein neu­es Bret­ton-Woods-Sys­tem ein­set­ze, obwohl Wahl­er­fol­ge in der Ver­gan­gen­heit aus­ge­blie­ben sei­en.

Der Fair­ness hal­ber muss man sagen, dass Zepp-LaRou­che, ihr Mann, der „mehr­fa­che Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat“ Lyn­don LaRou­che und die „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ schon län­ger vor dem Zusam­men­bruch der Welt­wirt­schaft gewarnt hat­ten – genau genom­men so lan­ge, dass man nicht genau sagen kann, ob es nun eine prä­zi­se oder nicht eher eine zufäl­li­ger­wei­se zutref­fen­de Vor­her­sa­ge war. Und selbst vor die­sem Hin­ter­grund bleibt es frag­lich, ob man sei­ne Stim­me des­halb gleich einer umstrit­te­nen „Polit-Sek­te“ („Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung“, 26. Sep­tem­ber 1994) geben muss.

Viel sagt Hel­ga Zepp-LaRou­che in ihrem Wahl­pro­gramm übri­gens nicht. Es lie­ße sich mit „Alles doof, so wie es ist“ ganz gut zusam­men­fas­sen.

Des­halb müs­sen wir auch zurück ins Zeit­al­ter der gro­ßen „Dich­ter und Den­ker“:

Woher soll die Ver­än­de­rung kom­men, wenn die Poli­ti­ker unter­tä­nig, die Mana­ger kor­rupt, die „Künst­ler“ der Gegen­warts­kul­tur vol­ler Dro­gen und die Mas­sen ver­wil­dert sind?

Es fol­gen läng­li­che Aus­füh­run­gen, denen man anmer­ken kann, mit wel­cher … äh: Krea­ti­vi­tät die Autorin das Wort „ent­ar­tet“ zu Umschif­fen ver­such­te:

Was heu­te meist unter Krea­ti­vi­tät ver­stan­den wird, gleicht eher im bes­ten Fal­le jenen zufäl­lig vom Künst­ler an die Wand gewor­fe­nen Ara­bes­ken, von denen Kant irr­tüm­li­cher­wei­se mein­te, sie hät­ten einen höhe­ren künst­le­ri­schen Wert als das Werk, in dem man die Absicht des Autors erken­nen kön­ne.

(Es gehört natür­lich eine gewis­se Non­cha­lance dazu, Kant mal so eben in einem Neben­satz abzu­bü­geln. Man hat ja wich­ti­ge­res zu tun, als sich mit so einem ange­staub­ten Den­ker rum­zu­schla­gen.)

Und dann gewährt uns Hel­ga Zepp-LaRou­che noch einen tie­fe­ren Ein­blick in ihr Kunst­ver­ständ­nis:

Als Bun­des­kanz­le­rin wäre die klas­si­sche Kul­tur nicht der rei­chen Ober­schicht vor­be­hal­ten, die sich die Ein­tritts­kar­ten bei den Fes­ti­vals leis­ten kann, sie wür­de allen Bür­gern zugäng­lich gemacht. […] Die öffent­li­chen Medi­en wür­den beauf­tragt, der Bevöl­ke­rung klas­si­sche Kunst zu prä­sen­tie­ren, die nicht vom Regie-Thea­ter und ähn­li­chen Bear­bei­tun­gen rui­niert wäre, selbst wenn man dafür zwi­schen­zeit­lich auf his­to­ri­sche Auf­füh­run­gen zurück­grei­fen müß­te.

Da wer­den sich die „öffent­li­chen Medi­en“ aber freu­en, wenn die Bun­des­kanz­le­rin ihnen vor­schreibt, was sie zu sen­den haben. Und die Bür­ger erst: Sie wer­den nicht mehr kla­mot­ti­ge Dau­er­wer­be­sen­dun­gen schau­en, son­dern Video­auf­zeich­nun­gen von Insze­nie­run­gen August Kot­ze­bues im Wei­ma­rer Natio­nal­thea­ter.

Und über all das dür­fen sie auch noch selbst ent­schei­den. Die 0,1% ste­hen.

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Klickbefehl (21)

„Das Inter­net“ als Gan­zes zu loben oder zu kri­ti­sie­ren ist eben­so sinn­voll wie Papier zu loben oder zu kri­ti­sie­ren, weil dar­auf ja einer­seits das Grund­ge­setz und „Faust“ erschie­nen sind, ande­rer­seits aber auch „Mein Kampf“ und Gewalt­por­no­gra­fie.

[…]

Meckern­de Leser­brief­schrei­ber waren Jour­na­lis­ten noch nie sym­pa­thisch. Nun gibt es, gesun­ke­nen Trans­ak­ti­ons­kos­ten sei Dank, wesent­lich mehr davon. Wo viel Feed­back ist, da ist auch viel Kri­tik, zum Teil aggres­si­ve, pöbeln­de, gemei­ne. Oder anders gesagt: So man­cher Autor muss nun end­lich erfah­ren, was man­che sei­ner Leser wirk­lich von ihm hal­ten. Und das kann weh tun.

Einen der klügs­ten Tex­te über das Inter­net, den ich in den ver­gan­ge­nen Wochen (oder seit sei­nem letz­ten gro­ßen Arti­kel zum The­ma) gele­sen habe, hat Chris­ti­an Stö­cker heu­te im Inter­net auf „Spie­gel Online“ ver­öf­fent­licht: „Das Inter­net“ gibt es nicht