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Musik

Und dann kam Polli

Vor vie­len Jah­ren schrieb ich in einer der Rezen­sio­nen, die ich damals in Fließ­band­ar­beit für ein Online-Musik­ma­ga­zin anfer­tig­te, über das völ­lig okaye Debüt­al­bum von Jona Stein­bach den fol­gen­den, weder klu­gen noch schö­nen Satz:

Viel­leicht schafft man es irgend­wann, eine CD mal nicht als Mani­fest einer geschei­ter­ten Gene­ra­ti­on, son­dern ein­fach nur als Ton­trä­ger zu begrei­fen.

Als ein gutes Jahr spä­ter das Zweit­werk des Köl­ners erschien, stand auf der dazu­ge­hö­ri­gen Pres­se­info das fol­gen­de, angeb­li­che Zitat:

Das Mani­fest einer geschei­ter­ten Gene­ra­ti­on.

Spä­tes­tens da wuss­te ich: Die­se, auch „Wasch­zet­tel“ genann­ten, Pres­se­infos sind das Schlimms­te, was das Musik­busi­ness zu bie­ten hat. (Und das Musik­busi­ness hat immer­hin Prof. Die­ter Gor­ny zu bie­ten.)

Selbst Sät­ze, die einem unter nor­ma­len Umstän­den nicht wei­ter auf­fal­len wür­den, wir­ken in Pres­se­infos dumm und gestelzt. Und dann gibt es ja noch die gan­ze Kli­schee-Grüt­ze von wegen „in kei­ne Schub­la­de pas­sen“, „rei­fer gewor­den“ und „ihr bis­her bes­tes Album“. Wenn man Glück hat (ja, wirk­lich: Glück) steht da wenigs­tens noch eine Lat­te von Künst­lern, die angeb­lich so ähn­lich klin­gen, und man kann schon vor dem Hören abschät­zen, ob man sich das jetzt wirk­lich antun will.

Wenn ich selbst Pres­se­tex­te ver­fas­sen soll­te (zum Bei­spiel, damit Dins­la­ke­ner Lokal­re­dak­tio­nen aus­führ­li­che Ankün­di­gun­gen von Kon­zer­ten abdru­cken konn­ten, in die sie kei­ne Sekun­de eige­ner Arbeit inves­tie­ren muss­ten), dann ging das nur mit sehr viel Über­win­dung und unter Selbst­hass und Schmer­zen.

Den­noch über­win­de ich mich etwa ein­mal im Jahr und hacke eine Pres­se­info in die Tas­ten – wenn man anschlie­ßend eine hal­be Stun­de heiß duscht, geht’s meis­tens wie­der. Die zu lob­prei­sen­den Künst­ler müs­sen aber a) Freun­de von mir sein und b) Musik machen, die mir wirk­lich, wirk­lich gefällt. Bei­des war im Fall von Poly­a­na Fel­bel gege­ben und so schrieb ich die Pres­se­info, um alle Pres­se­infos zu been­den.

Poly­a­na Fel­bel, das sind Poly­a­na Fel­bel und Taka Cha­nai­wa aus Köln („einer Stadt, die man nicht gera­de mit den Wei­ten des nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents oder den Wäl­dern Skan­di­na­vi­ens ver­bin­det“, wie es in der Pres­se­info fak­tisch eini­ger­ma­ßen kor­rekt heißt) und ges­tern haben sie dort ihr ers­tes offi­zi­el­les Kon­zert gespielt. Rund 50 Men­schen hat­ten sich im Thea­ter der „Wohn­ge­mein­schaft“ (ein etwas bemüht im urba­nen Retro-Chic gehal­te­nes Etwas mit Knei­pe, Hos­tel und Büh­ne) ver­sam­melt und den Raum damit auf mucke­li­ge 30° Cel­si­us auf­ge­heizt. Eini­ge kamen gar ver­klei­det, was sich aller­dings mit der Rhein­län­dern offen­bar inne­woh­nen­den, ansons­ten aber völ­lig unver­ständ­li­chen Affi­ni­tät zu Schnaps­zahl-Daten erklä­ren lässt.

Das Vor­pro­gramm bestritt ein auf­stre­ben­der Singer/​Songwriter und Zoll­be­am­ten-Bespa­ßer aus Bochum, dann ging es rich­tig los: Pol­li und Taka eröff­ne­ten mit einem Cover von Cold­plays „Green Eyes“ und es dau­er­te unge­fähr zehn Sekun­den, bis sich Gän­se­haut und Sprach­lo­sig­keit Raum bra­chen. Mit jedem wei­te­ren Stück – neben eini­gen Eige­nen auch Neu­in­ter­pre­ta­tio­nen von „The Blower’s Daugh­ter“ (Dami­en Rice), „Use Some­bo­dy“ (Kings Of Leon) und „Kids“ (MGMT) – wuchs die Begeis­te­rung und am Ende des Abends war ein Jeder, ob Männ­lein oder Weib­lein, ein biss­chen in Pol­li ver­liebt.

Das ist aber auch tol­le Musik, die­ser Folk, den die bei­den da machen: Einer­seits fili­gran wie ein letz­tes, ver­trock­ne­tes Blatt im Herbst­wind, ande­rer­seits mit einer unge­heu­ren Kraft und Stimm­ge­walt vor­ge­tra­gen. Ver­glei­che mit Kath­le­en Edwards, Lori McKen­na oder Hem klop­fen an und müs­sen nicht gescheut wer­den (um eine in der Pres­se­info unbe­nutz­te Phra­se doch noch zu ver­bra­ten). Es ist ein­fach toll zu sehen, wie zwei jun­ge Men­schen mit Spaß und Ernst­haf­tig­keit Musik machen und damit einen voll gepack­ten Raum zum Schwei­gen und Schwel­gen brin­gen.

Für die nun dräu­en­den dunk­len Aben­de sei­en Ihnen Poly­a­na Fel­bel daher schwers­tens ans Herz gelegt. Hör­pro­ben gibt es auf einer obsku­ren klei­nen Inter­net­sei­te namens MySpace und hier:

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Musik Kultur

No Use For A Frame

So gla­mou­rös, wie man es sich viel­leicht vor­stellt, ist es es gar nicht, als Foto­graf bei Rock­kon­zer­ten zu arbei­ten: Gewiss, man kommt kos­ten­los rein, aber man muss auch Bands foto­gra­fie­ren, die man selbst uner­träg­lich fin­det, und die Arbeits­be­din­gun­gen ver­schlech­tern sich zuse­hends. Wenn’s beson­ders schlimm läuft, kommt bei­des zusam­men.

Wir wol­len sie also lob­prei­sen, die Män­ner und Frau­en, die sich mit teu­rem Equip­ment in die schma­len Grä­ben vor der Büh­ne drän­geln, nur durch hüft­ho­he Git­ter getrennt von hys­te­ri­schen Kon­zert­gän­gern in den ers­ten Rei­hen und jeder­zeit in Wurf­wei­te exzen­tri­scher Musi­ker. Ihnen ver­dan­ken wir 500-teil­i­ge Klick­stre­cken „So war das bei Prin­ce in der Wald­büh­ne“ und manch­mal schaf­fen sie Bil­der, die die rohe Ener­gie eines Gigs ein­fan­gen und somit selbst zu Klas­si­kern wer­den.

Rahmenlos 360° (Plakat)Drei die­ser Men­schen haben jetzt genug Mate­ri­al zusam­men­ge­tra­gen, um dar­aus eine Aus­stel­lung zusam­men­zu­stel­len: Die „Musik­fo­to­gra­fen“ Micha­el Kel­len­benz, Julia­ne Duda und mei­ne gute Freun­din Mar­ti­na Dri­gnat, stel­len ab mor­gen im Ham­bur­ger Knust aus.

Der Titel der Aus­stel­lung lau­tet „Rah­men­los 360°“ und ist damit – um mal eine Phra­se zu ver­mei­den – Pro­gramm: Statt in Rah­men wer­den die Bil­der näm­lich in teils auf­wen­di­gen Instal­la­tio­nen prä­sen­tiert.

Die Aus­stel­lung läuft bis zum 1. Novem­ber, mor­gen um 18 Uhr ist fei­er­li­che Eröff­nung mit Live­mu­sik.

Rah­men­los 360°
im Knust, Ham­burg
6. August – 1. Novem­ber 2010

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Musik

Babies Of The 80’s

Am Abend des 24. März 2009 tra­ten in Ham­burg Franz Fer­di­nand und Man­do Diao auf und damit gegen­ein­an­der an.

Einen der­art Ziel­grup­pen­zer­fet­zen­den Abend hat Köln am 15. Juni 2010 nicht ganz erlebt – aber es war ver­dammt nah dran: Wäh­rend im Luxor die wie­der­ver­ein­ten Get Up Kids auf­spiel­ten, leg­ten The Hold Ste­ady im Gebäu­de 9 los.

Bei bei­den Kon­zer­ten gleich­zei­tig war ver­mut­lich nie­mand, aber dies hier wäre nicht das Dienst­leis­tungs­blog Cof­fee And TV, wenn wir dafür nicht eine Lösung gefun­den hät­ten:

Kon­zert­be­richt The Get Up Kids
Kon­zert­be­richt The Hold Ste­ady

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Musik Unterwegs

Tag 5: Düsseldorf

Die­ser Ein­trag ist Teil 6 von bis­her 9 in der Serie Das Simon den Hart­blog

Mitt­woch, 7. April 2010

Heim­spiel

Wir sit­zen im son­ni­gen Bier­gar­ten und unser Tour­ma­na­ger run­zelt die Stirn, man sieht Zahn­rä­der in sei­nem Kopf mah­len und er starrt auf den Bild­schirm sei­nes Lap­tops, als wäre es das Auf­ga­ben­blatt einer Mathe-Klas­sen­ar­beit. Der Grund: Die Gäs­te­lis­te ist zu lang. Kein Wun­der, denn heu­te ist Heim­spiel. Kei­ner von uns wohnt in Düs­sel­dorf, doch Düs­sel­dorf ist die­je­ni­ge Stadt die­ser Tour, die unse­ren Hei­mat­städ­ten am nächs­ten liegt. Des­halb wird es auch nicht lan­ge dau­ern, bis es hier von Freun­den von uns und Band­kum­pa­nen ande­rer Musik­for­ma­tio­nen Simon den Har­togs wim­melt. Da wirkt die Band direkt viel ner­vö­ser, denn heu­te gilt es zu glän­zen, sonst muß man sich die nächs­ten fünf Jah­re auf jeder drit­ten Par­ty den Schwank über das legen­dä­re Düs­sel­dor­fer Kon­zert anhö­ren, über von der Büh­ne fal­len­de Sän­ger, vom Hocker fal­len­de Schlag­zeu­ger, aus der Rol­le fal­len­den Bas­sis­ten, Tas­ten­hei­nis und Gitar­ris­ten. Die waren wie­der mal alle zu besof­fen, heißt es dann wie­der, und meis­tens stimmt das ja auch. Aber besof­fen oder nüch­tern, ges­tern wur­de geglänzt, kei­ner fiel von irgend­was oder gar aus der Rol­le.

Sonnige Band im sonnigen Düsseldorf.
Son­ni­ge Band im son­ni­gen Düs­sel­dorf.

Schön, wenn man sei­nen Liebs­ten mal zei­gen kann, was man den Rest der Woche über eigent­lich so treibt.
Des­halb ist das Heim­spiel für den Sound­mann auch etwas ganz beson­de­res. In der Hei­mat wird der Sound­mann näm­lich auch von hüb­schen Mädels umringt, als wäre er der Sän­ger und das Misch­pult sei­ne Büh­ne.

So kam es dann auch, dass ich ange­schwips­te Mäd­chen mit 300 PS zurück nach Köln kut­schie­ren durf­te. Böse Zun­gen behaup­ten, ich wäre der pas­sivs­te Auto­fah­rer der Welt und wahr­schein­lich haben sie recht. Anders kann ich mir die “drück drauf“- und “gib doch mal Gas“-Sprüche mei­ner Hoch­ge­schwin­dig­keits­bei­fah­re­rin­nen nicht erklä­ren.

Natür­lich hab ich mal wie­der den größ­ten aller Tour­feh­ler began­gen: Beim Ver­las­sen der Woh­nung das Bett abge­zo­gen, aber nicht frisch bezo­gen. Natür­lich ist das letz­te was man nach fünf anst­re­gen­den Tour-Tagen machen möch­te, sein Bett bezie­hen. Dann ist stun­den­lan­ges Rum­gam­meln vor­pro­gram­miert, bis die Müdig­keit die Faul­heit besiegt.

Auch wenn mor­gen der Beginn der Rück­run­de beson­ders hart wird, da ich mein gelieb­tes Bett, mei­ne Kaf­fee­ma­schi­ne und mei­ne Bade­wan­ne nach die­sem kur­zen Inter­mez­zo wie­der zurück­las­sen muss, freue ich mich sehr auf die rest­li­chen drei Shows. Zunächst geht es nach Osna­brück in die klei­ne Frei­heit. Übri­gens für den Schlag­zeu­ger Chris­toph das nächs­te Heim­spiel, der war hier näm­lich aufm Gym­mi…

Der Soundmann. Nicht im Bild: Hübsche Mädchen.
Der Sound­mann. Nicht im Bild: Hüb­sche Mäd­chen.
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Musik

Ich erinner‘ mich an alles

Alles hat­te mit Tom Liwa ange­fan­gen. Auf mei­nem ers­ten Fes­ti­val, Hald­ern 2000. Zwi­schen all den rocken­den Bands (also: soweit man in Hald­ern von „rocken“ spre­chen kann, es war irgend­wann zwi­schen Soul­wax, Embrace, K’s Choice und Paul Wel­ler) stand da ein Mann auf der Büh­ne, der zur Akus­tik­gi­tar­re irgend­wel­che deut­schen Tex­te näsel­te, in denen For­mu­lie­run­gen wie „jetzt darfst Du mich anfas­sen“ und „der Mit­tel­strei­fen wird nie­mals für uns bei­de rei­chen“ vor­ka­men. Mein bes­ter Freund und ich fanden’s doof – aus Prin­zip. Aber der Mann brauch­te kei­ne vier­zig Minu­ten, um uns durch die Emo­tio­nen „Ableh­nung“, „Mit­leid“, „Respekt“ und „Bewun­de­rung“ zu schi­cken. Anschlie­ßend baten wir höf­lich um Auto­gram­me und waren Fans.

Das ers­te Kon­zert, für das wir uns allei­ne mit der Bahn von Dins­la­ken aus auf den Weg in die gro­ße wei­te Welt mach­ten, war Tom Liwa im Bahn­hof Lan­gen­d­re­er (auf der Rück­fahrt ereig­ne­te sich die­se Epi­so­de). Obwohl wir mit 17 noch nicht die vol­le Dimen­si­on der Liwa’schen Tex­te erfas­sen konn­ten, waren Zei­len wie „Du bist ein selt­sa­mes, selt­sa­mes Mäd­chen“ oder „Es gab eine Zeit, da waren wir alle ver­liebt in Dich – auch ich“ natür­lich auch damals schon greif­bar. Liwa brach­te mir deutsch­spra­chi­ge Musik nahe, lan­ge bevor ich kett­car oder Tom­te kann­te.

Inner­halb von 13 Mona­ten sah ich Tom Liwa fünf Mal live, davon ein­mal auf dem Kir­chen­tag in Frank­furt, wo er zuvor bei einer Podi­ums­dis­kus­si­on irgend­ein Mit­glied der Söh­ne Mann­heims … nun ja: gedisst hat­te. Der bis­her letz­te Kon­zert­be­such war am 13. Sep­tem­ber 2001 in Wesel: Die gan­ze Welt war durch­ein­an­der und Tom Liwa stand auf der Büh­ne des Karo und bret­ter­te mit sei­ner Post-Punk-Band No Exis­te durch sein sonst so fili­gra­nes Werk. Alles war sur­re­al, aber es pass­te. Auf dem Heim­weg fühl­ten wir uns ein Stück weit siche­rer.

Dann dif­fun­dier­te Liwas Werk ins Eso­te­ri­sche: Er nahm Plat­ten auf, die mir gar nichts gaben, bot irgend­wel­che Semi­na­re an, über deren Inhalt und Sinn ich nicht urtei­len kann, und refor­mier­te die Flower­porn­oes für ein auch eher außer­ge­wöhn­lich zu nen­nen­des Album. Im ver­gan­ge­nen Jahr dann „Eine Lie­be aus­schließ­lich“: Tom Liwa wie­der völ­lig redu­ziert und ganz bei sich, dazu je ein Cover von Dylan und Snow Pat­rol.

Und jetzt: Tom Liwa, Bahn­hof Lan­gen­d­re­er. (Almost) ten years after. Die anfäng­li­che Angst, dass man da allei­ne sit­zen wür­de, ver­fliegt schnell. Neben­an tritt Johann König auf – auch nicht schön, aber so sind sie, unse­re Kul­tur­zen­tren: Ein Spie­gel der Gesell­schaft und ihres Geschmacks. Liwa eröff­net mit „I’ll Keep It With Mine“ auf der Uku­le­le und Bob Dylan ist ein gutes Stich­wort: Ein Grea­test-Hits-Pro­gramm wer­de er spie­len, sagt Liwa, „was ein biss­chen schwie­rig ist, weil ich ja nie Hits hat­te“. Aber was er spielt, ist genau das, was ich hören will, und was mich tat­säch­lich um zehn Jah­re zurück­wirft.

Nach einer Dylan-mäßig dekon­stru­ier­ten Fas­sung von „Für die lin­ke Spur zu lang­sam“ (Wie jetzt, „nie Hits“?!) fol­gen vie­le Sachen von den ers­ten bei­den Solo­al­ben, Neil Young, Joni Mit­chell und so ziem­lich das Schöns­te aus Flower­porn­oes-Zei­ten („Nicht müde genug“, „Eng in mei­nem Leben“, „Herz aus Stein“, „Respekt“). Tom Liwa ist blen­dend auf­ge­legt, er hat pri­vat ordent­lich was durch­ge­macht, wie er andeu­tet, aber alles über­wun­den. Nach Elliott Smith, Vic Ches­nutt und Mark Lin­kous tut es gut, einen Musi­ker zu sehen, dem es offen­sicht­lich gut geht. Sei­ne Ansa­gen las­sen den neben­an auf­tre­ten­den Come­di­an alt aus­se­hen. Und dann zwei Stun­den lang die­se Songs in einer Atmo­sphä­re, in der man Steck­na­deln Han­dys fal­len hören kann …

Man kann und will das nicht glau­ben, dass es schon fast eine gan­ze Deka­de her sein soll, als man in sei­nem Jugend­zim­mer saß, „St. Amour“ ins CD-Lauf­werk des PCs ein­leg­te und sich der Melan­cho­lie von Songs hin­gab, die sich einem zum gro­ßen Teil erst jetzt erschlie­ßen. Wenn grad nicht Tom Liwa lief, lie­fen die Smas­hing Pump­kins, an die­sen dunk­len, nas­sen Herbst­aben­den, die im Rück­blick gan­ze Jah­re füll­ten. Bil­ly Cor­gan schreibt heu­te Songs mit Jes­si­ca Simpson, Tom Liwa ist immer noch da. Und er ist so gut wie eh und je.

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Musik

Interview mit James Walsh (Starsailor)

Star­sail­or kön­nen sich noch so Mühe geben: Wirk­lich cool wer­den die vier Bri­ten in die­sem Leben nicht mehr.

Als James Walsh am Mon­tag­nach­mit­tag in der CD-Abtei­lung des Ham­bur­ger Saturn-Mark­tes ein kur­zes Akus­tik­set spielt, ste­hen die Fans (von denen nicht mords­mä­ßig vie­le gekom­men sind) zwi­schen Rega­len, die mit „Schla­ger“ beschrif­tet sind, um Auto­gram­me an. Da kann man dann auch noch Abbas „Dancing Queen“ covern, ohne dass es Ein­fluss auf die cre­di­bi­li­ty hät­te. Schön ist es trotz­dem.

Zwei­ein­halb Stun­den spä­ter sitzt James Walsh im Back­stage­raum der Fabrik und lang­weilt sich. Ich wer­de das Gefühl nicht los, dass er das auch wäh­rend unse­res Inter­views (sie­he unten) tut, aber da müs­sen wir gemein­sam durch. Die The­men: Rock’n’Roll-Kli­schees, Poli­tik und Jere­mi­ah Dug­gan, über des­sen mys­te­riö­sen Tod die Band vor vier Jah­ren einen Song geschrie­ben hat. Walsh ant­wor­tet höf­lich bis nett und dass er eine Stun­de vor dem Auf­tritt kei­nen Bock hat, end­los zu reden, kann man ja auch ver­ste­hen.

James Walsh im Interview.

Nach zwölf Minu­ten sind Mar­ti­na und ich fer­tig mit Fotos und Inter­views und es kommt noch zu einer Nor­bert-Körz­dör­fer-esken Sze­ne, als Walsh uns mit gro­ßer Ges­te auf­for­dert, uns doch noch aus dem Kühl­schrank zu bedie­nen. „It’s Guin­ness, that’s the real thing“, sagt er und ich den­ke, ich hät­te mal bes­ser gucken sol­len, von wel­cher Mar­ke sei­ne Arm­band­uhr war.

Nach der Vor­band (Oh, Napo­le­on aus Kre­feld, hören Sie da ruhig mal rein) steht ein ande­rer James Walsh auf der Büh­ne: Er ist hell­wach, scherzt mit sei­ner Band und erin­nert kein biss­chen mehr an den scheu­en Anfang-Zwan­zi­ger, der sich vor acht, neun Jah­ren am liebs­ten hin­ter dem Mikro­fon­stän­der ver­steckt hät­te. Anders als bei den letz­ten Tou­ren gibt es kei­nen zusätz­li­chen Gitar­ris­ten mehr, Walsh spielt alles selbst und das kann er durch­aus gut. Fünf Songs spie­len Star­sail­or vom aktu­el­len Album „All The Plans“ – einen weni­ger als vom Debüt „Love Is Here“.

Starsailor live.

Was einem ver­mut­lich wie­der kei­ner glau­ben wird: Die Band hat live in den letz­ten Jah­ren schon immer ordent­lich gerockt, heu­te Abend tut sie es beson­ders. Walsh freut sich über das bes­te Publi­kum, das sie in Deutsch­land je gehabt hät­ten, und man ist geneigt, das nicht als Spruch abzu­tun: Die Fabrik kocht und wenn ich im Schät­zen von Men­schen­mas­sen nicht so unfass­bar schlecht wäre, könn­te ich mei­ne Behaup­tung, es han­de­le sich auch um das größ­te Publi­kum, das die Band in Deutsch­land je hat­te, auch ein wenig unter­mau­ern. Wirk­lich vie­le waren es lei­der trotz­dem nicht.

Der Stim­mung tut das kei­nen Abbruch, neue Songs wer­den warm auf­ge­nom­men, alte beju­belt. Ein Fan sagt, er sei aus Japan gekom­men, will aber sei­nen Namen nicht nen­nen: „Liking Star­sail­or can get you into real trou­ble“, lacht James Walsh und man ist sich gar nicht sicher, ob das jetzt Koket­te­rie oder eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung des Ban­di­mages ist. Aber Image ist nichts, ent­schei­dend ist auf der Büh­ne: „Four To The Flo­or“ wird fast von sei­nen kom­plet­ten Dis­co-Strei­chern befreit und kommt als kra­chi­ger Brit­pop-Stamp­fer daher und wird direkt anschlie­ßend noch mal in der Remix-Ver­si­on ange­stimmt. Letz­te­res ist zwar nicht neu, macht aber immer wie­der Spaß.

Nach dem regu­lä­ren Schluss­song „Good Souls“ gibt es noch eine wei­te­re Zuga­be: „Tomor­row Never Knows“ von den Beat­les. An denen kommt man im Moment wirk­lich nicht vor­bei – auf dem Sofa im Back­stage­raum lag auch eine der frisch remas­ter­ten CDs her­um.

Starsailor live.

Und hier das Inter­view im Cof­fee-And-TV-Pod­cast:

Inter­view mit James Walsh (Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)

Sie kön­nen die Pod­casts übri­gens auch als eige­nen Feed oder direkt in iTu­nes abon­nie­ren.

Star­sail­or spie­len das letz­te Kon­zert ihrer Deutsch­land­tour am Sonn­tag, 27. Sep­tem­ber im Glo­ria in Köln.

Fotos: © Mar­ti­na Dri­gnat.

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Musik Unterwegs

Bochum Total 2009

In den letz­ten Tagen war Bochum mal wie­der der Mit­tel­punkt irgend­ei­ner Welt – mut­maß­lich der Musik­welt Nord­rhein-West­fa­lens. Jeden­falls war Bochum Total und aus mir selbst nicht ganz nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den woll­te ich mög­lichst viel davon mit­krie­gen.

Ort der Gegensätze: Bochum Total

Vier Tage, 60 Bands, hun­dert­tau­sen­de Liter Bier und noch ein biss­chen mehr Regen­was­ser – eine per­sön­li­che Doku­men­ta­ti­on:

Don­ners­tag, 2. Juli

Man kann nicht behaup­ten, ich sei schlecht vor­be­rei­tet gewe­sen: Cen­ti­me­ter­dick hat­te ich Son­nen­creme auf­ge­tra­gen, um eine zer­fetz­te Nase wie nach mei­nem Nord­see-Urlaub zu ver­mei­den. Ich hat­te eine Son­nen­bril­le auf, die nicht nur unge­fähr­de­tes fas­sungs­lo­ses Anstar­ren bizarr geklei­de­ter Men­schen ermög­lich­te, son­dern auch derbs­te Gewit­ter­tier­chen-Schwär­me davon abhielt, mir in die Augen zu flie­gen. War­um das alles nur halb­gut vor­be­rei­tet war, lesen Sie gleich …

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Musik

Domino Dancing

Wer sich mit puber­tä­ren Abgren­zungs­sor­gen trägt, tut gut dar­an, Pop­kon­zer­te oder Fuß­ball­spie­le zu besu­chen. Die Erkennt­nis „Ja, auch mit die­sen Men­schen habe ich offen­bar etwas gemein­sam“, kann glei­cher­ma­ßen befrei­end wie ver­stö­rend wir­ken. Aber ist es nicht beru­hi­gend zu wis­sen, dass auch Men­schen, die Ed-Har­dy-T-Shirts tra­gen, die glei­che Musik gut fin­den dür­fen wie man selbst?

Ges­tern stand ich also als einer der jüngs­ten Besu­cher ohne elter­li­che Beglei­tung im Köl­ner Pal­la­di­um (das drin­gend auf mei­ne ima­gi­nä­re Lis­te der unbrauch­bars­ten Kon­zert­hal­len NRWs gehört) und guck­te mir die Pet Shop Boys an. Dass ich sat­te 50 Euro Ein­tritt gelatzt hat­te – und das Kon­zert daher in jedem Fall gut fin­den müss­te -, kam mir am Abend unge­fähr ein Mal in den Sinn. Der Gedan­ke lau­te­te voll­stän­dig: „Doch, die 50 Ocken ham‘ sich gelohnt“.

Pet Shop Boys live

Bei der Büh­ne hat­ten sich der stu­dier­te Archi­tekt Chris Lowe und der ehe­ma­li­ge Musik­jour­na­list Neil Ten­n­ant (sowie deren Mit­ar­bei­ter) sicht­lich Mühe gege­ben, den feuil­le­to­nis­tisch ange­hauch­ten Besu­chern Steil­vor­la­gen zu lie­fern: Aus gro­ßen wei­ßen Wür­feln wur­den immer wie­der neue Wän­de zusam­men­ge­puz­zelt, die dann als Pro­jek­ti­ons­flä­chen für Vide­os dien­ten – fast genau so, wie die Musi­ker auch ihr eige­nes Werk immer wie­der neu zusam­men­puz­zel­ten: „Pan­de­mo­ni­um“ wur­de mit „Can You For­gi­ve Her?“ gekreuzt, „Buil­ding A Wall“ mit „Inte­gral“ und „Domi­no Dancing“ ging schnell in Cold­plays „Viva La Vida“ über, des­sen „Oh-oh-ooh-ooooooh-oh“-Chöre sich übri­gens als nächs­tes „Seven Nati­on Army“ emp­feh­len.

Gemein­sam mit den Tän­zern (drei Frau­en und ein Mann in unter­schied­lichs­ten Kos­tü­mie­run­gen) erin­ner­te die Show mit­un­ter schon ein wenig an ein Musi­cal – aber das geht schon in Ord­nung, denn auch sowas haben die Pet Shop Boys in ihrer lan­gen Kar­rie­re ja schon gemacht. Und nur Neil Ten­n­ant beim Wech­seln von Jacken und Hüten und Chris Lowe beim Bedie­nen ver­schie­dens­ter elek­tro­ni­scher Instru­men­te zuzu­se­hen, wäre ja auch irgend­wie lang­wei­lig gewe­sen.

Das Bühnenbild bei den Pet Shop Boys (nachgestellt)

Dass die Set­list für mich zwi­schen­durch ein paar Hän­ger auf­wies (ich bin halt erst seit „Very“ dabei), kann man schwer­lich der Band anlas­ten. Die älte­ren Fans (also unge­fähr alle ande­ren in der Hal­le) haben sich sicht­lich gefreut, dass neben eini­gen unver­meid­li­chen Hits auch ein paar nicht so For­mat­ra­dio-erprob­te Klas­si­ker dabei waren. Neben dem alten Mate­ri­al lag der Schwer­punkt dann vor allem auf dem phan­tas­ti­schen neu­en Album „Yes“ – Stü­cke von „Release“ fehl­ten im Set völ­lig, „Fun­da­men­tal“ und „Bilin­gu­al“ waren auch deut­lich unter­re­prä­sen­tiert und selbst von „Very“ kam nur „Go West“ voll­stän­dig zum Ein­satz.

Von die­ser gan­zen Exege­se ab war das Kon­zert aber auch ein­fach eine gelun­ge­ne Par­ty, bei der ledig­lich die etwas zu lei­se Stim­me und das mit­un­ter unschön dröh­nen­de Key­board nega­tiv auf­fie­len. Und die Prei­se fürs Mer­chan­di­sing natür­lich …

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Musik

Silence always wins

Es gibt Bands und Musi­ker, die beglei­ten einen ein Leben lang, ohne dass man es merkt. Als Patri­cia Kaas beim Grand Prix für Frank­reich sang, über­kam mich ein woh­li­ger Erin­ne­rungs­schau­er, der mich an vie­le Geburts­tags­fei­ern mei­ner Eltern den­ken ließ und an die unzäh­li­gen namen­lo­sen Hits der Star-Chan­teu­se, die sol­che Ver­an­stal­tun­gen beschallt haben, als ich noch ein Kind war.

Bei a‑ha kam die­se Erkennt­nis vor neun Jah­ren, als sich das nor­we­gi­sche Trio aus der Krea­tiv­pau­se zurück­mel­de­te und mit „Minor Earth Major Sky“ mal eben eines der bes­ten Pop-Alben des Jahr­zehnts ver­öf­fent­lich­te. Beim Kon­zert in der Are­na Ober­hau­sen (bei dem ein Freund und ich die ein­zi­gen Män­ner unter 30 waren und zur Stra­fe Rea­m­onn als Vor­grup­pe ertra­gen muss­ten) däm­mer­te mir dann, wie vie­le a‑ha-Lie­der schon immer Teil mei­nes Lebens gewe­sen waren. Allen vor­an natür­lich „Take On Me“, die­se unfass­bar ein­gän­gi­ge Acht­zi­ger-Hym­ne mit dem bes­ten Musik­vi­deo aller Zei­ten, bei deren „Singstar“-Interpretation ich unge­schla­gen bin.

Drei­ein­halb Jah­re ist das letz­te a‑ha-Album „Ana­lo­gue“ alt, das bei etwas kre­di­bi­le­ren Künst­lern als „beein­dru­ckend dich­tes Alters­werk“ durch­ge­gan­gen wäre, bei den ewi­gen Pos­ter­boys aber wei­test­ge­hend igno­riert wur­de. Zeit für etwas Neu­es, zum Bei­spiel die Sin­gle „Foot Of The Moun­tain“, die letz­te Woche beim Fina­le von „Germany’s Next Top­mo­del“ in einer spek­ta­ku­lä­ren Büh­ne der Welt­öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert wur­de:

[Direkt­link]

(Die­se komi­schen Kis­ten schei­nen übri­gens sehr Fri­sur­feind­lich gewe­sen zu sein.)

Man muss den Song viel­leicht ein paar Mal hören, bevor er sich einem erschließt. Aber wenn man sich ein­mal an die stel­len­wei­se unkon­ven­tio­nel­le Gesangs­me­lo­die gewöhnt, wenn man die „Dis­arm“-Glo­cken im Refrain ent­deckt und mal auf den zwi­schen Zynis­mus und Pathos schwan­ken­den Refrain geach­tet hat, dann will man den „Repeat“-Schalter gar nicht mehr zurück­stel­len. (Sie ahnen: Im Moment ist es etwas anstren­gend, mit mir zusam­men­zu­woh­nen.)

Das Album, das auch „Foot Of The Moun­tain“ hei­ßen wird, erscheint in Deutsch­land am 19. Juni.

PS: Sehen Sie sich bit­te auch unbe­dingt die­se außer­ge­wöhn­li­che Live­ver­si­on von „Take On Me“ an!

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Familiar To Millions

Gallagher Lane in San Francisco, CA

In Man­ches­ter sorgt man sich um eine ord­nungs­ge­mä­ße Abwick­lung der Euro­pa­wahl am 4. Juni.

Der Grund: Um halb Zehn abends, eine hal­be Stun­de vor Schlie­ßung der Wahl­lo­ka­le, wer­den zwei Stra­ßen gesperrt, weil im benach­bar­ten Hea­ton Park ein Kon­zert von Oasis statt­fin­det.

Die Mel­dung in all ihrer absur­den Schön­heit steht bei der BBC.

Ver­mut­lich dürf­ten zu den drei ange­setz­ten Open-Air-Kon­zer­ten in Man­ches­ter mehr Zuschau­er erschei­nen, als sich in ganz Groß­bri­tan­ni­en Wäh­ler an der Euro­pa­wahl betei­li­gen …

[via NME.com]

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Overwhelmed by their hometown

Ges­tern also spiel­ten die Kili­ans anläss­lich der Ver­öf­fent­li­chung ihres zwei­ten Albums „They Are Cal­ling Your Name“ (erscheint Ende nächs­ter Woche, kann man jetzt schon bei last.fm hören) in ihrer Hei­mat­stadt Dins­la­ken.

Wie es wirk­lich war, wer­den wir am Mon­tag (also 60 Stun­den nach dem Kon­zert) in den Lokal­zei­tun­gen lesen kön­nen. Da wird dann ver­mut­lich auch die exak­te Besu­cher­zahl ste­hen (Cof­fee-And-TV-Schät­zun­gen: 1.200 bis 1.500).

Bis dahin ver­wei­se ich auf unge­fil­ter­te Live-Ein­drü­cke in 13 Fotos und sechs Tweets:

Auf in die Stadt, #Kilians gucken. l:Dinslaken
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Er war ein guter Simon

Ges­tern Abend war ich beim Kon­zert von Tom­te in Mül­heim an der Ruhr. Erwar­ten Sie kei­ne all­zu dif­fe­ren­zier­te Kri­tik – es war toll!

Und weil ja gera­de Kili­ans-Fest­spie­le sind, passt es natür­lich super­gut ins Kon­zept, dass da ein jun­ger Mann auf die Büh­ne schlurf­te, um die zwei­te Stro­phe von „Ich sang die gan­ze Zeit von Dir“ zu schmet­tern:

„Wer war das?“ – „Das ist mein unehe­li­cher Sohn, den ich in Mül­heim hab. Mit einer wun­der­schö­nen Frau!“