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Woanders is’ auch scheiße

Wenn ich Menschen aus dem Ausland erklären soll, wo ich herkomme, höre ich mich immer noch viel zu oft mit “near Cologne” antworten. Bei den meisten Amerikanern kann man ja froh sein, wenn sie davon mal gehört haben. Briten hingegen kennen, so sie denn minimal fußballinteressiert sind, natürlich Dortmund und Schalke, manchmal sogar Bochum. Die “Ruhr Area” allerdings ist eher was für Leute, die im Erdkundeunterricht gut aufgepasst haben, aber so würden eh nur die Wenigsten über ihre Heimat sprechen.

Bergbaumuseum Bochum

Das Verhältnis der “Ruhris” zum Ruhrgebiet ist ein zutiefst ambivalentes: Eine unheilvolle Mischung aus Lokalpatriotismus und Selbstverachtung, aus Stolz und Skepsis, Traditionsbewusstsein und Wurzellosigkeit führt dazu, dass sich im fünftgrößten Ballungsraum Europas niemand zuhause fühlt. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht erst ganz langsam, Jahrzehnte nach der Blütezeit der Ruhrindustrie und auch recht widerwillig.

Konrad Lischka und Frank Patalong stammen auch aus dem Ruhrgebiet. Lischka ist 32 und in Essen aufgewachsen, Ptalaong 48 und aus Duisburg-Walsum. Heute arbeiten beide bei “Spiegel Online” in Hamburg, aber sie haben ein Buch geschrieben über die “wunderbare Welt des Ruhrpotts”: “Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach”.

Der Altersunterschied der beiden und ihre unterschiedliche Herkunft (Lischka kam mit seinen Eltern aus Polen ins Ruhrgebiet, Patalong ist Kind einer Arbeiterfamilie) machen den besonderen Reiz des Buches aus, denn ihre Hintergründe sind gerade unterschiedlich genug, um fast das ganze Ruhrgebiet an sich zu charakterisieren. Lischka ist (wie ich auch) ohne nennenswerte Schwerindustrie vor Augen aufgewachsen, bei Patalong konnte man die Wäsche traditionell nicht draußen trocknen lassen, weil sie dann schwarz geworden wäre. Sie beschreiben eine Region, die binnen kürzester Zeit von Menschen aus halb Europa besiedelt wurde, die jetzt alle in ihren eilig hochgezogenen Siedlungen hocken und feststellen, dass die Goldgräberzeit lange vorbei ist. Für die meisten endet die Welt immer noch an der Stadtteilgrenze, wofür Lischka das wunderschöne Wort “Lokalstpatriotismus” ersonnen hat. Entschuldigung, ich komm aus Eppinghoven, was soll ich da mit jemandem aus Hiesfeld? ((Beides sind Stadtteile von Dinslaken, was schon in Köln keiner mehr kennt.))

Das Buch ist geprägt von der so typischen Hassliebe der Ruhrgebietseinwohner zu ihrer … nun ja: Heimat, zusammengefasst im Ausspruch “Woanders is’ auch scheiße”. Menschen, die sich gottweißwas darauf einbilden, aus einer bestimmten Stadt zu stammen oder dort wenigstens “angekommen” zu sein, findet man vielleicht in Düsseldorf, München oder Hamburg, aber nicht im Ruhrgebiet. Wir sind nur froh, wenn man uns nicht mit Dingen wie einem “Kulturhauptstadtjahr” behelligt, und packen alle Möchtegern-Hipster mit Röhrenjeans, asymetrischem Haarschnitt und Jutebeutel in den nächsten ICE nach Berlin. Hier bitte keine Szene, hier bitte überhaupt nichts, Danke! ((Verzeihung, ich bin da etwas vom Thema abgekommen. Aber ich wohne in einem sogenannten “Szeneviertel” und werde da schnell emotional.))

Emschermündung bei Dinslaken

Ich fürchte, dass das Buch für Menschen, die keinerlei Verbindung zum Ruhrgebiet haben, deshalb in etwa so interessant ist wie eines über das Paarungsverhalten peruanischer Waldameisen. Es muss von einer völlig fremden Welt erzählen, in der Kinder auf qualmende Abraumhalden klettern, die Leute eine Art Blutpudding essen, der Panhas heißt, und in der eine Sprache gesprochen wird, die im Rest der Republik einfach als “falsches Deutsch” durchgeht.

Aber wer von hier “wech kommt”, der wird an vielen Stellen “ja, genau!” rufen — oder sich wundern, dass er die Gegend, in der er aufgewachsen ist, so ganz anders wahrgenommen hat, denn auch das ist typisch Ruhrgebiet. Frank Patalong erklärt an einer Stelle, welcher Ort im Ruhrgebiet bei ihm immer ein Gefühl von Nachhausekommen auslöst, und obwohl ich da noch nie drüber nachgedacht habe, bin ich in diesem Moment voll bei ihm: Auf der Berliner Brücke, der “Nord-Süd-Achse”, auf der die A 59 die Ruhr, den Rhein-Herne-Kanal und den Duisburger Hafen überspannt. Wenn wir früher aus dem Holland-Urlaub kamen, war dies der Ort, an dem wir wussten, dass wir bald wieder zuhause sind, und auch heute ist das auf dem Weg von Bochum nach Dinslaken der Punkt, wo ich meine Erwachsenenwelt des Ruhrgebiets verlasse und in die Kindheitswelt des Niederrheins zurückkehre.

Lischka und Patalong verklären nichts, sie sind mitunter für meinen Geschmack ein bisschen zu kritisch mit ihrer alten Heimat, aber dabei sprechen sie Punkte an, die mir als immer noch hier Lebendem in der Form wohl nie aufgefallen wären. Zum Beispiel das ständige Schimpfen auf “die da oben”, das bei den hiesigen Lokalpolitikern leider zu mindestens 80% berechtigt ist, das aber auch zu einer gewissen Kultur- und Intellektuellenfeindlichkeit geführt hat. Die Zeiten, in denen man sich als Arbeiterkind in seiner alten Umgebung rechtfertigen musste, weil man zur Uni ging, dürften vorbei sein, aber ein Blick in die Kommentare unter einem beliebigen Artikel beim Lokalrumpelportal “Der Westen” zeigt, dass Museen, Bibliotheken oder Theater zumindest für einige Einwohner des Ruhrgebiets immer noch “überflüssiger Schnickschnack” sind.

Graffito an der S-Bahn-Station Bochum-Ehrenfeld

Und während ich darüber nachdenke, dass die Arbeiter in Liverpool, Detroit oder New Jersey irgendwie sehr viel mehr für ihren Stolz berühmt sind und dann teilweise auch noch Bruce Springsteen haben, fällt mir auf, dass ich zumindest selbst natürlich wahnsinnig stolz bin auf diese Gegend. Ja, das, was an unseren Städten mal schön war, ist seit Weltkrieg und Wiederaufbau überwiegend weg, aber wir haben wahnsinnig viel Grün in den Städten ((Im Buch verweist Lischka auf das sogenannte “Pantoffelgrün”, ein Wort, das außer ihm und dem Pressesprecher der Stadt Dinslaken glaube ich nie jemand verwendet hat.)), ein schönes Umland und das beste Bier. Genau genommen isses hier gar nicht scheiße, sondern eigentlich nur woanders.

Und selbst wenn wir Ruhris innerlich ziemlich zerrissene Charaktere sind, die in ihren hässlichen Kleinstädten unterschiedlicher Größe stehen und gucken, wie aus den Ruinen unserer goldenen Vergangenheit irgendetwas neues entsteht: Es tut gut zu sehen, dass wir dabei nicht alleine sind. Willkommen im Pott!

Konrad Lischka & Frank Patalong – Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach
Bastei Lübbe, 271 Seiten
16,99 Euro.

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SpOn findet “funzen” nicht k3w1

Wenn der “Spiegel” übers Internet schreibt, ist das meist ähnlich desaströs, wie wenn der “Spiegel” über Sprache schreibt. Wie erreicht man also maximales Desaster mit minimalem Aufwand? Richtig: Indem man jemanden über Internetsprache schreiben lässt.

Die eigenwillige Sprachgestaltung hat Tradition im Netz. Da schreiben Menschen schon mal Sätze wie “Das Hijacking-Problem könnte man mit dem header-redirect 301 leicht vermeiden.” Diese Sprache nervt Web-Nutzer.

Ja ja, diese ganzen verrückten Betrüger, Kriminellen und Kinderschänder im sogenannten “Internet”, ganz komische Leute.

Warum liest man eigentlich nie sowas:

Die eigenwillige Sprachgestaltung hat Tradition im Journalismus. Da schreiben Menschen schon mal Sätze wie “Das Musikmagazin ‘Rolling Stone’ zählte Spector noch 2004 zu den ‘100 großartigsten Künstlern aller Zeiten’.” Diese Sprache nervt Leser.

Spiegel Online ließ seine Leser über die “grässlichsten Web-Wörter” abstimmen. Mit erwartbaren Ergebnissen:

Blogosphäre. Übersetzung von Blogosphere. Meint die Gesamtheit aller Weblogs.

Leider erfahren wir nicht, was jetzt so “grässlich” an dem Wort ist. Ist es die Eindeutschung des englischen Begriffs, der englische Begriff selbst oder die Tatsache, dass man doch auch bequem “die Gesamtheit aller Weblogs” sagen könnte. Was wir aber sicher wissen: Autor Konrad Lischka hätte sein “meint” von seinem notorischen Kollegen Bastian Sick um die Ohren gehauen bekommen.

Netiquette. Benimmregeln für den Umgang miteinander im Netz. Es gibt keine einheitliche Liste, sondern viele, zum Teil schriftliche Vorschläge – und den gesunden Menschenverstand.

So what? Wir reden auch vom “Gesetz”, obwohl es sich dabei auch um “keine einheitliche Liste, sondern viele, zum Teil schriftliche” Texte handelt. Verstöße dagegen werden übrigens – im Gegensatz zu Netiquette-Verstößen – trotz gesunden Menschenverstands auch noch geahndet.

Zu den “von den SPIEGEL-ONLINE-Lesern meistgenannten Stör-Wörtern aus dem Internet”, die aber etwas anderes sind als die “grässlichsten Web-Wörter”, zählt unter anderem:

Googeln: “Mit Google im Internet suchen”, definiert der Duden, in dem dieser Ausdruck für das Recherchieren im Web inzwischen auch zu finden ist. “Google Earthen” kann man beim Googlen schon 384 Mal finden!

Schrecklich! Worte, die im Duden stehen! So tu doch jemand etwas!

Zu den “gedankenlosen Verniedlichungen, die man am liebsten nie mehr lesen oder hören will” zählt Spiegel Online dann das Wort “funzen”, womit endgültig klar sein dürfte, dass Texte zu Sprachthemen dort grundsätzlich nur von Nicht-Linguisten geschrieben und gegengelesen werden – sonst wäre sicher jemandem aufgefallen, dass “funzen” bekanntlich zu den Vokabeln der Ruhrgebietssprache zählt und eben kein Computer-Neologismus ist. Und eine “Verniedlichung” schon dreimal nicht.

Ich will das ganze Elend (“Jeder anständige Web-2.0-Dienst hat nicht nur einen vokalarmen Namen, sondern auch ein entsprechendes Verb.”) gar nicht weiter ausbreiten. Dass “Spiegel” und Spiegel Online” dumpfen Sprachprotektionismus betreiben wollen und sich noch nicht einmal von Linguistik-Professoren beeindrucken lassen, ist spätestens seit Mathias Schreibers großer Titelgeschichte (ist die 50 Cent nicht wert) offensichtlich. Das könnte einem ja egal sein, wenn derartige Geschichten nicht aufgegriffen und von selbsternannten “Sprachschützern” nachgeplappert würden.

Sprache lebt und verändert sich. Gerade Beispiele wie die auch verteufelten Verben “qypen”, “posten” oder “voipen” zeigen, wie kreativ man mit Sprache umgehen kann, und wie schnell Sprache auf technische Veränderungen reagiert (viel schneller als weite Teile der Gesellschaft oder gar der sog. Qualitätsjournalismus). Diese Veränderungen zu verurteilen, ist ungefähr so sinnvoll, wie die Evolution zu verurteilen.

Und wer schon über Internetsprache schreibt, sollte (wir wissen: “Qualitätsjournalismus”) wenigstens auch mal den einen oder anderen Fachmann zu Wort kommen lassen.

Kaufen Sie sich deshalb unbedingt das “Spiegel”-Sonderheft “Leben 2.0 – Wir sind das Netz”, wenn auch Sie an niedrigem Blutdruck leiden oder gerne Leserbriefe schreiben!