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Kein Kommentar

Markus Beckedahl hat bei netzpolitik.org einen Artikel über Blogkommentare veröffentlicht, den ich selbstverständlich nicht gelesen habe, so wie Blogkommentatoren in den allermeisten Fällen die Artikel nicht lesen (oder zumindest offenkundig nicht verstehen), unter denen sie kommentieren.

Als ich angefangen habe zu bloggen und plötzlich Leute anfingen, die Kommentarfunktion zu nutzen, gab es in den Kommentaren Zustimmung, andere Denkansätze, Lob, Kritik, Humor, irgendwann Running Gags. Mit einigen treuen Kommentatoren dieser Anfangsphase verbinden mich inzwischen enge Freundschaften.

Dann kam Facebook. Lesenswerte Artikel wurden nicht mehr verlinkt, Blogs rekurrierten nicht mehr aufeinander, die ganze Idee der “Blogosphäre” fiel in sich zusammen. Lesenswerte Artikel werden heute bei Facebook geteilt und ebenda auch diskutiert, bei den allermeisten im überschaubaren Rahmen ihrer Facebook-“Freunde”. Das führt einerseits dazu, dass das Meinungsspektrum nicht mehr ganz so groß ist ((Ich zum Beispiel habe keinen einzigen offen homophoben oder nationalistisch eingestellten Facebook-Kontakt, worüber ich sehr froh bin und worauf ich auch sehr achte.)), andererseits funktionieren Anspielungen und Running Gags viel besser, manche trauen sich gar wieder ans Stilmittel der Ironie. In seltenen Fällen kommt es zu Reibungspunkten, wenn Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit die Facebook-Bekanntschaft mit mir ist, unglücklich aufeinanderprallen, aber meistens verläuft alles harmlos und harmonisch.

Das bedeutet aber auch, dass die allermeisten Menschen, die heute noch Blogbeiträge kommentieren, entweder die letzten treuen Seelen sind — oder die letzten Irren. Die Leute, die einem Artikel einfach nur zustimmen, klicken auf “Gefällt mir” (bzw. “Empfehlen”) oder verlinken ihn anderweitig bei Facebook (bzw. um das Wort einmal geschrieben zu haben: auf Twitter) und sind dann wieder weg. Wer in die Kommentare unter dem Text guckt, bekommt den Eindruck, dass Blogs ausschließlich von Menschen gelesen werden, die mit der Meinung des Autoren nicht übereinstimmen. ((In den Kommentaren des Newsportals “Der Westen” entsteht bisweilen der Eindruck, die WAZ-Gruppe würde Freischärler beschäftigen, die Menschen mit Waffengewalt dazu zwingen, die dort online gestellten Artikel zu lesen und anschließend zu kommentieren. Das ist allerdings immer noch harmlos verglichen mit den nach unten offenen Kommentarspalten von “Welt Online”, in denen sich offensichtlich jene Stammtischgänger versammeln, gegen die der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DeHoGa ein bundesweites Kneipenverbot ausgesprochen hat.)) In einigen Fällen könnte man darüber hinaus glauben, die Kommentare bezögen sich auf einen ursprünglich dort geposteten Artikel, in dem der Autor vom Geschlechtsverkehr mit Tieren geschwärmt hatte und den er anschließend durch einen etwas weniger kontroversen ersetzt hat. So entsteht ein seltsames Zerrbild der Realität.

Manchmal sind Kommentare natürlich auch ein Gewinn. Nicht nur, wenn man explizit um Hilfe gebeten hat, sondern auch, wenn es um das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen geht. Wenn das Thema aber nur geringfügig kontrovers ist, ist das Desaster programmiert. Und wenn dann noch durch irgendwelche Verlinkungen viele Leser von außerhalb angespült werden, die vielleicht mit Autor, Blog und Restkommentatoren nicht vertraut sind, wird es spätestens ab Kommentar #20 so lustig wie an einem schlechten Tag im Nahen Osten.

Ein weiteres Problem ist natürlich, dass in Deutschland keine Diskussionskultur existiert wie im angelsächsischen Raum. Mehr noch, im Fernsehen bekommen wir täglich – und ich wünschte, “täglich” wäre hier eine Übertreibung – gezeigt, wie man mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind: Unterbrechen, Anschreien, alle Argumente für nichtig erklären. Rhetorische Grundprinzipien werden in die Tonne gekloppt, auf der dann laut rumgetrommelt wird. Was übrigens noch viel leichter geht, wenn man dem Gegenüber dabei nicht in die Augen gucken muss, weil es an einer Computertastatur ganz woanders sitzt.

Wenn eine konstruktive Diskussion also eh unmöglich ist, können wir uns alle die Mühe auch sparen. Es bringt nichts, den islamophoben Verschwörungstheoretikern in ihren Wahnsinnsforen mit Fakten, Argumenten oder Verweisen auf die Wirklichkeit entgegentreten zu wollen, aber es bringt noch ein bisschen weniger, unter einen Artikel, der islamophoben Verschwörungstheoretikern mit Fakten, Argumenten oder Verweisen auf die Wirklichkeit entgegentritt, zu schreiben, diese Leute seien aber echt dumme Nazis und hätten kleine Pimmel. Das mag ja stimmen, aber es hilft dennoch niemandem. Außer vielleicht für einen kurzen Moment dem Kommentator.

Natürlich wird einem jeder alte Zeitungshase bestätigen, dass Leserbriefe schon immer zu maximal zehn Prozent aus Zustimmung bestanden (außer, es geht gerade gegen Kindermörder) und zu mindestens hundert Prozent aus galletriefenden Abo-Kündigungen, aber ein Blogkommentar ist noch leichtfertiger in die Tastatur erbrochen als das Wort “Schreiberling” in Sütterlin aufs Büttenpapier getropft. Und während hierzulande tatsächlich niemand dazu gezwungen wird, ein bestimmtes Medium zu konsumieren, verhält es sich bei den Leserkommentaren genau umgekehrt: Die müssen, schon aus Selbstschutz des Blogbetreibers, von irgendjemandem auf mögliche Verstöße gegen die guten Sitten und gegen bestehende Gesetze überprüft werden. Die Verstöße gegen Logik und Rechtschreibkonventionen würde eh niemand nachhalten wollen.

Es ist nicht mehr 2007. Blogs sind jetzt einfach da und gehen auch nicht mehr weg. Aber sie sind nicht ganz das geworden, was wir uns vielleicht mal erhofft hatten. “Wir” sind nicht das geworden. Menschen, die alle eine Blogsoftware benutzen, haben grundsätzlich erst mal genau diese eine Gemeinsamkeit. Wer will, kann sich mit Menschen, die auch irgendwie ins Internet schreiben, treffen, wer nicht will, nicht. Wer seine Sicht auf die Welt für so wichtig hält, dass andere davon erfahren sollten, sollte nicht irgendwo Kommentare hinterlassen, sondern mit dem Bloggen anfangen.

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Hitler würde “Half-Life” spielen

Ich habe länger überlegt, ob ich das Folgende aufschreiben soll. Schließlich ist “Don Alphonso” der “Edel-Troll” der deutschsprachigen Blogosphäre. Ein Mann, dessen Texte ich in der Regel aus Sorge um meine Gesundheit ignoriere.

Andererseits ist dies hier das Fachblog für Nazi-Vergleiche, also muss ich wohl ran:

Dieser “Don Alphonso” hat, nachdem ihm die vielen, vielen, teils (mutmaßlich) unflätigen Kommentare auf einen seiner Texte zu bunt wurden, Folgendes geschrieben:

Ich habe das freundlicher gesagt, als ich es meine, denn in meinen Augen sind diese explizit Suchtkranken argumentativ auf dem gleichen Niveau wie die Altnazis bei uns in den Käffern.

Mit den “explizit Suchtkranken” meint er übrigens Menschen, die Computer spielen. Ob Altnazis jetzt auch suchtkrank seien müssen oder nur Computerspieler gleichzeitig krank und wie Nazis sind, lässt sich seinem Text nicht entnehmen. Wohl aber, dass der Vergleich kein einmaliger Ausrutscher war, denn ein paar Zeilen später wütet er:

Nun sind diese Art Gamer eine ganz besondere Gruppe Mensch, die, ähnlich wie die Gefolgschaft von Neoconaziseiten und extremistische Islamisten, keine Haftung in der Realität mehr haben.

Faszinierend, wie man eine ohnehin schon emotionale Debatte (in der ich Computerspiele weder für “schuldig” noch für komplett “unschuldig” halte) mit ein bisschen Arroganz, Dummheit und Schaum vor dem Mund noch ein wenig unsachlicher gestalten kann.

Dabei ist die ursprüngliche Kernfrage, warum Menschen, die anspruchsvolle Literatur lesen, so selten Amok laufen, gar nicht mal unspannend. Ich hätte sogar einen Erklärungsversuch: Aus den selben Gründen, warum so wenige Klassik- und Schlager-Hörer Amok laufen — sie sind schlichtweg älter.

Die wenigsten Jugendlichen haben ein Interesse daran, sich mit jahrhundertealter Literatur, Kunst und Musik zu beschäftigen. Zum einen, weil ihnen das alles in der Schule madig gemacht wurde, zum anderen, weil diese Dinge wenig mit ihrer Lebenssituation zu tun haben. Wenn man älter und ruhiger wird, beschäftigt man sich vielleicht irgendwann auch mit der sogenannten Hochkultur. Aber dann ist man (in der Regel) über die gefährliche Phase im Leben hinaus. Der Zusammenhang besteht also weniger zwischen Medienkonsum und Verhalten, sondern zwischen Alter (welches den Medienkonsum bedingt) und Verhalten. Überspitzt gesagt: Wenn wir etwas verbieten müssten, dann die Pubertät.

Davon ab könnte man auch noch das Fass mit den “Leiden des jungen Werthers” und den angeblichen Nachahmungstätern aufmachen, aber ein Goethe-Spezialist hat mir glaubhaft versichert, dass es keinen einzigen belegten Fall eines Werther-Selbstmords gibt.

[via Nerdcore]

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In eigener Sache

Liebe Leser,

sollten Sie in den vergangenen Wochen und Monaten hier einen (vermutlich sehr klugen) Kommentar abgegeben haben, der dann nicht angezeigt wurde, so liegt es nicht an Ihnen: Bei einer Begehung meiner Datenbank habe ich soeben festgestellt, dass offenbar Dutzende Kommentare als Spam markiert wurden und ich diese somit nie zu Gesicht bekam.

Davon betroffen waren auch sämtliche Kommentare, bei denen eine E-Mail-Adresse von T-Online angegeben worden war — irgendein vertrottelter Techniker aus der riesigen Coffee-And-TV-Redaktion hatte einen Filter eingesetzt, der alle Kommentare, in denen ein “-online” vorkam, automatisch aussortiert hat. Wenn wir den Deppen erwischen, wird er gefeuert — vorausgesetzt, es handelt sich dabei nicht um mich.

Warum dieser Server hier immer noch so schlecht darin ist, Ping- und Trackbacks zu verschicken, ist mir indes immer noch schleierhaft, aber ich habe mal beim Provider nachgefragt. Falls Sie eine Idee haben: Her damit!

Ich bitte vielmals um Entschuldigung für diese unfassbar doofen Fehler, aber sowas kann halt immer mal passieren, wenn man Geisteswissenschaftler an den Computer lässt. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen: ich muss noch ein wenig in Sack und Asche nach Canossa kriechen und unterwegs meine Tischplatte aufessen. Außerdem versuche ich gerade, alle bisher verschollenen Kommentare freizugeben.

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Reisverdächtig

“RP Online” hat das coming out ((Verzeihen Sie mir hier diese Sick-igkeit, aber es heißt “coming out”. Geoutet wird man von anderen und nicht von sich selbst!)) der Fernsehmoderatorin Dunja Hayali zum Anlass genommen, eine neuneinhalbzeilige Meldung zum Thema und eine 12-teilige Bildergalerie mit den üblichen Schwuppen und Lesben rauszuhauen (man kennt das ja).

Einer der Leser kommentierte das wie folgt:

Reissack-Umfall-Zähler. Dieser wäre weitaus interessanter als solche Meldungen. Kann als Ticker auf Ihrer Startseite installiert werden. Gerne auch unterteilt nach Reisorten.....

Ich bin sicher, in der Redaktion wird bereits fieberhaft an einer Umsetzung gearbeitet.

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Rein und raus bei mtv.de

Mittwoch, 9. April 2008
mtv.de berichtet unter der Überschrift “Sexvideo – Jetzt auch Shakira?” über ein angebliches Sexvideo, das die Sängerin Shakira mit zwei Männern auf einer Yacht zeigen soll. Diese Geschichte ist falsch, es handelte sich dabei um den Aprilscherz eines argentinischen Radiomoderators (s.a. hier).

Noch am selben Tag weist ein Leser mtv.de mit zwei gleichlautenden Kommentaren auf diesen Fehler hier:

Verschwundener Kommentar bei mtv.de

Freitag, 11. April 2008
Nachdem ich die ganze Geschichte aufgeschrieben habe, schicke ich eine E-Mail an die Pressesprecherin von MTV, in der ich frage, warum man bei mtv.de auf den Leserkommentar nicht reagiert und die Sache nicht richtiggestellt habe. Außerdem will ich wissen, ob bei mtv.de die Kommentare unter den Artikeln überhaupt gelesen werden.

Am gleichen Tag geht bei mtv.de ein Wochenrückblick online, der unter anderem mit folgender Geschichte aufwartet:

Die Wochenhighlights bei mtv.de

Samstag, 12. April 2008
Als ich nachgucken will, ob sich bei mtv.de inzwischen etwas getan hat, stelle ich fest, dass die Geschichte nach wie vor unkorrigiert online steht – aber die Leserhinweise auf den Aprilscherz verschwunden sind.

Entsprechend sinnlos wirkt auch der Kommentar, der plötzlich Nummer 1 in der Liste ist:

Kommentar bei mtv.de

Weil mir das alles etwas merkwürdig vorkommt, kommentiere ich selber mal, und nach gut anderthalb Stunden sind wir schon zwei:

Kommentare bei mtv.de

Montag, 14. April 2008
Bei meinem Kontrollrundgang stelle ich fest, dass der Artikel und die neuen Kommentare immer noch da sind – nun ist aber plötzlich der Wochenrückblick aus dem Archiv von mtv.de verschwunden.

Die Falschmeldung führt unterdessen die Liste der “most wanted” (meistgeklickten) Nachrichten mit Abstand an:

Most wanted news bei mtv.de

Ich nutze das Kontaktformular in der Hoffnung, irgendjemanden zu erreichen, der mir erklären kann, warum a) die Falschmeldung nicht nach dem Leserhinweis korrigiert, sondern anderthalb Tage später noch einmal im Wochenrückblick wiederholt wurde, b) der entsprechende Leserkommentar plötzlich verschwunden ist, c) der ganze Wochenrückblick unauffindbar ist und d) ob angedenk der Reaktionen auf diesen Artikel die Kommentare bei mtv.de überhaupt gelesen würden:

Gaga-Kommentare bei mtv.de

Als ich spätabends noch einmal meine E-Mails checke, habe ich immer noch keine Antwort von mtv.de bekommen. Der zuvor verschwundene Wochenrückblick ist aber plötzlich wieder online und taucht auch im News-Archiv wieder auf:

Die Wochenhighlights bei mtv.de

Dafür sieht die Liste der “most wanted” Nachrichten plötzlich so aus:

Most wanted news bei mtv.de

Dienstag, 15. April 2008 (Update)
Die Pressesprecherin von MTV ruft mich an, um mir zu erklären, dass mtv.de ein großer Laden sei, wo nicht alle Kommentare sofort gelesen würden. Was mit den Hinweisen des Lesers passiert sei, werde noch geprüft. Der Wochenrückblick sei vermutlich im Zuge eines Datenbank-Updates kurzzeitig verschwunden, ein Hinweis auf den Aprilschertz werde eingebaut.

Noch warten wir darauf.

Mittwoch, 16. April 2008 (2. Update)
mtv.de muss ein sehr großer Laden sein: Es fehlt nämlich immer noch jeder Hinweis auf den Aprilscherz. Dafür steht dort seit gestern ein weiterer Leserkommentar:

Noch ein Leserkommentar bei mtv.de

Freitag, 18. April 2008 (3. Update)
Ich habe mich geirrt: mx weist in den Kommentaren darauf hin, dass mtv.de sehr wohl bereits am Dienstag klargestellt hat, dass es sich um einen Aprilscherz handelt – allerdings in einem Extra-Artikel!

In bester “Bild”-Manier heißt es dort, “jetzt” sei herausgekommen, dass es sich um einen Aprilscherz gehandelt habe. Außerdem schließt der Text mit einem selten dämlich Hintertürchen-Satz:

Vielleicht hat mtv.de ja doch recht gehabt

Wer durch Zufall auf den Ursprungsartikel stößt, muss immer noch glauben, dass ein solches Video existiert.

Immerhin im Wochenrückblick taucht die Korrektur auf – wenn auch irgendwie komisch formuliert:

mtv.de bedauert, dass es kein Sex-Video von Shakira gibt

Donnerstag, 22. Mai 2008 (4. Update)
Ich habe gerade spaßeshalber noch mal nachgeschaut: tatsächlich hat mtv.de es irgendwann in den letzten fünf Wochen geschafft, den Ursprungsartikel doch noch zu bearbeiten.

Er endet jetzt wie folgt:

mtv.de erklärt, dass es doch kein Shakira-Sex-Video gibt

Ich beschließe, den Rechtschreibfehler zu ignorieren und den Fall als abgeschlossen zu betrachten.

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Leserbriefschreiber 2.0

Ich habe nie verstanden, was für Leute das sind, die sich hinsetzen und einer Zeitung oder einem Magazin einen Brief schreiben, in dem sie den Redakteuren mitteilen, dass diese alle “auf Linie gebracht” seien, Deutschland von unfähigen Irren regiert werde und die dann kurz ausführen, wie das in der Welt so wirklich laufe. Aber immerhin: Diese Menschen haben sich die Zeit genommen, sich hinzusetzen, einen Brief zu formulieren, ihn zum Briefkasten zu bringen und sie würden ihre Abonnements nie kündigen, weil sie ja immer nachsehen müssen, ob ihr Brief auch bis aufs letzte Komma abgedruckt wird.

Im Internet ist das anders: Man liest auf der Webseite einer Zeitung oder eines Magazins einen Artikel, klickt auf “Artikel kommentieren” und noch ehe sich im Hirn Sätze bilden konnten, hat man schon irgendwas in die Tasten gehämmert und auf “Abschicken” geklickt.

Heute habe ich, weil Heise darauf verlinkt hatte, bei “Welt Online” den Artikel “SPD plant Grundrecht auf Informationsfreiheit” gelesen. Wir wollen mal nicht darüber sprechen, dass ausgerechnet die Partei, die vergangene Woche noch mit Pauken und Trompeten für eine Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung war, plötzlich ein “Grundrecht auf Informationsfreiheit im Internet” im Grundgesetz verankern will. Über diese Sorte Logik-Pirouette, die bei der SPD langsam in Mode zu kommen scheint, sollen sich andere auslassen.

Reden wir lieber über das, was die Kommentatoren bei “Welt Online” so kommentiert haben: Los ging es mit dem, was “Ein Bürger” so zu sagen hatte.1

Ein Bürger meint:
17-11-2007, 13:46 Uhr
Welche Partei hat gerade unter Fraktionszwang für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt? Welche Partei hat unter Schröder heimliche Onlinedurchsuchungen rechtswidrig eingeführt?
Ach ja, die SPD!!!

Und jetzt will diese Partei angeblich für bürgerliche Freiheitsrechte und weniger Rechte für die Staatsgewalt kämpfen?

Die machen sich doch lächerlich und vollkommen unglaubwürdig.

In Wahrheit will die SPD eine neue DDR und versucht jetzt die “Mauer” dieses Jahrhunderts (=totale Informations- und Kommunikationskontrolle)als antifaschistischen Schutzwall (= SPD Initiative: Grundrecht auf Informationsfreiheit) zu tarnen.

Widerliche Wortakrobatik!

Sie werden gleich merken, dass diese Aussage in Sachen Paranoia noch zu den vernünftigeren Beiträgen gehört – aber auch in Sachen Rechtschreibung und Grammatik ist das hier erst der Anfang.

Silvercoin meint:
17-11-2007, 14:31 Uhr
Informationen sind sowieso nur für die jeweiligen Schichten der Bevölkerung vorbestimmt…
Wie soll der Staat ein Grundrecht auf Information garantieren, wenn er es nicht einmal schafft die anderen Grundrechte, wie Pressefreiheit und Postmeldegeheimnis einzuhalten.

Je länger ich dieses Treiben in der Politik verfolge, umso mehr wünsche ich mir wieder einen Kaiser oder Ähnliches….
Auf diese Art von Demokratie kann das Volk verzichten…..
Wir haben keine Demokratie in Deutschland, sondern eine Hypokratie….

Und Sie glauben ja gar nicht, wie viele Staatstheoretiker sich so an einem Samstagnachmittag im Kommentarbereich von “Welt Online” tummeln:

ZWEIFLER meint:
17-11-2007, 15:20 Uhr
Das System wird eh bald zusammenbrechen. Dann kommt was Anderes. So kann es nicht funktionieren. In Wirklichkeit regieren die Lobbyisten, nicht das Volk.

Dabei weiß doch jedes Kind, wer Deutschland seit Erfindung der Stammtische regiert: Natürlich “die da oben”.

mavy meint:
17-11-2007, 16:12 Uhr
naja .. der wiefelspütz ist schon etwas glaubwürdiger wie viele der anderen kasper die da oben unsere “elite” bilden sollen

Aber halten wir uns nicht mit den kleinen Kaspereien auf, wenden wir uns den Rundumschlägen zu, der Verquickung sämtlicher denkbarer Themen, der ganz großen Verschwörung:

corvus albus meint:
17-11-2007, 17:56 Uhr
Dann sollte es ‘Kommunikationsfreiheit ‘ lauten, weil Information einseitig abgerufen wird!
Aber zunächst sollte die SPD mal die Bürger selber informieren, wie sie so zu türkischen Nationalisten steht? Während Beck die NPD verbieten lassen will singt Steinmeier mit den türkischen Wölfen? Das Schweigen der SPD zu diesen Vorgang und der Medien ist eindeutiger als laute Schreie liebe Politiker…. und der ganze Bundestag schaut weg, weil es da um die deutsch-türkische Freundschaft geht? Liebe Politiker, unter ‘Freunden’ sollte ein klärendes Gespräch schon möglich sein, oder ist das etwa eine solche Freundschaft, die uns der Ex-Kanzler Gerhard mit China beschert hat?
Je mehr die Medien diesen Fall beschweigen, um so mehr weiss der Büger, dass da etwas nicht stimmt im Hintergrund! Haltet uns doch bitte nicht für so blöd wie ihr uns gerne hättet !
Die Print-Medien sind schon zensiert… soll nun per Gesetz auch noch das Internet zensiert werden? Das scheint mir der wahre Hintergrund zu sein!

Geben Sie mir aber, bevor wir zu den Jesuiten, den Außerirdischen und Hitlers Tunnel nach Tibet kommen, noch kurz Gelegenheit, den populärsten Irrtum der deutschen Literaturgeschichte2 auszuräumen:

outface5 meint:
17-11-2007, 18:19 Uhr
….die Ähnlichkeit mit früheren “Systemen” Deutschlands wird immer deutlicher.

…denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. (Heinrich Heine 1797-1856)

In seinem Gedicht “Nachtgedanken” ist Heinrich Heine (1797-1856) nämlich deshalb um den Schlaf gebracht, weil er außerhalb Deutschlands weilt und sich zur Mutter zurücksehnt. Statt “mein Gott, wie geht dieses Deutschland nur den Bach runter” schrieb er sogar:

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd’ ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Nun, da Sie mithilfe dieses kleinen literaturwissenschaftlichen Exkurses dem Schwiegervater bei der nächsten Debatte am Esstisch das Maul stopfen können, wollen wir’s aber auch mal richtig irr werden lassen:

Von Berlichingen meint:
17-11-2007, 18:28 Uhr
Der Vorstoß der SEPD kommt leider 60 Jahre zu spät.
1968 hat die SEPD die Kurve nicht gekriegt…..und nun beginnen die Rückführungsaktionen. Mit den Deutschen Heimatvertriebenen hatte auch keiner Mitleid.
Aber wir werden unseren Gastarbeitern kein Haar krümmen. So wahr uns Gott helfe!

Also, unter uns: Ich weiß auch nicht, was der Mann meint. Aber der Mann hat Zeit. Und irgendein ernsteres Problem:

von Berlichingen meint:
18-11-2007, 05:03 Uhr
Ich brauche weder von der SPD noch von den GRÜNEN ein Grundrecht auf Informationsfreiheit.
Diese Freiheit mich umfassend zu informieren, habe ich mir seit meiner frühesten Jugend immer schon selbst genommen.
Bevor es das Internet gab, habe ich mir Bücher, die in Deutschland nicht verlegt wurden und nur in englischer Sprache publiziert wurden über den American Bookstore in Frankfurt am Main bestellt oder auf Auslandsreisen gekauft.
Ich habe meine Informationen z.B. nie aus dem Spiegel-Magazin oder aus dem “Vorwärts” bezogen.
Von mir aus könnte der Bundestag ein Gesetz erlassen, das diese Unsitte der Lügenpropaganda-Plakatekleberei bei Wahlkämpfen endlich verboten wird. Das ist optische und geistige Umfeldverschmutzung und kostet Millionen an Papier und Druckerfarbe. Für wie blöd halten uns diese Parteien eigentlich?
Hat die ARD und GEZ schon die neuesten Umfragewerte zur heutigen Sonntagsfrage veröffentlicht? Oder kommt das erst wieder wenn der Wahlkampf eröffnet ist?
Wer bezahlt eigentlich für diese Umfragen? Das macht doch ein “Forsa-Institute” nicht umsonst. Wer ist denn der Auftraggeber, der sich da Umfragewerte nach seinem Gutdünken basteln lässt?
Sehen Sie, von der WELT-Redaktion, ich mache von meinem Recht mich informieren zu dürfen Gebrauch und stelle hier einfach mal dumme Fragen.

Und weil in der Redaktion von “Welt Online” offenbar niemand liest, was die Kommentatoren da so von sich geben, und deshalb auch niemand dumme Antworten auf seine dummen Fragen geben konnte, schrieb “von Berlichingen” einfach munter weiter:

von Berlichingen meint:
18-11-2007, 11:50 Uhr
Ist es Informationsfreiheit wenn einer auf die Idee kommen würde zu fragen: Hat jemand die Toten der Vertreibungen gezählt und hat derjenige eine Namensliste aller dieser Toten? Gefallene gab es ja auf beiden Seiten, da sie gezwungen wurden, auf Leben und Tod gegeneinander zu kämpfen. Bis zum letzten Mann. [ Frauen und Kinder und Greise und Amputierte waren für eine der beiden Seiten damals uninterressant. Das wurde unter dem Begriff “Kollateralschäden” abgehakt. Ab-Ge-Hakt. Hakenkreuz ] Da wurde der Tod des eigenen Volkes bewusst in Kauf genommen, damit es nicht soviele Mitesser gab.

Gut, für “Politcally Incorrect” reicht’s noch nicht ganz und die Ausführungen sind vermutlich auch viel zu wirr, um darin etwas justiziables zu finden, aber merkwürdig darf man den Beitrag wohl mindestens finden.

Indes: Nicht so merkwürdig, wie der Kommentar, den “Petra” heute um 12:17 Uhr abgegeben hat. Ihr eigener Beitrag dazu besteht aus zwei Wörtern:

Unsere SPD.

Die restlichen 38 Zeilen ihres Kommentars bestehen aus einem Artikel der nicht unumstrittenen Wochenzeitung “Junge Freiheit”. Darin wird die Behauptung aufgestellt, an einem aktuellen Buch der baden-württembergischen SPD-Politiker Ute Vogt und Stephan Braun über die “Junge Freiheit” hätten “Linksextremisten” mitgearbeitet – das belege “eine jetzt erschienene Studie” aus dem Verlag der “Jungen Freiheit”. (Lesen Sie den Artikel doch selbst und übersehen Sie dabei auch nicht die Nennung der evangelikalen Presseagentur idea als Quelle.)

Dieser kopierte Artikel jedenfalls, der wenig bis gar nichts mit dem Thema zu tun hat, steht seit fünf Stunden im Kommentarbereich von “Welt Online”.

1 Sie finden den Anfang ganz hinten, “Welt Online” zieht es vor, seine Leserkommentare umgekehrt chronologisch anzuzeigen.
2 Der populärste Irrtum der englischen Literaturgeschichte ist die Annahme, “Frankenstein” sei der Name des Monsters in Mary Shelleys Roman.