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Unterwegs

Müssen nur können

Es ist schon erstaun­lich, wer so alles auf die Lis­te „Yes, may­be we could try to, but come to think of it: we defi­ni­te­ly can’t“ will:

Gut Licht 2009: Yes we can

Wenn Sie am Sams­tag­vor­mit­tag in der Köl­ner Innen­stadt einen laut krei­schen­den jun­gen Mann unter einem Wer­be­pla­kat gese­hen haben: das war ich.

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Leben Unterwegs

Ein Abend mit der Kernzielgruppe

Ich war ges­tern in Köln. (Kunst­pau­se. Mit­lei­di­ge Lau­te aus dem Publi­kum.)

Ich war ges­tern in Köln, weil Ste­fan Nig­ge­mei­er da für die Sen­dung „Funk­haus­ge­sprä­che“ von WDR5 auf dem Podi­um saß. Die Dis­kus­si­on selbst war nicht son­der­lich span­nend, denn dafür wäre es för­der­lich, dass die Dis­ku­tan­ten unter­schied­li­cher Mei­nung sind, was Ste­fan, Jörg Schieb und Schi­wa Schlei nicht waren. Der Mode­ra­tor war offen­bar ein Absol­vent der Vol­ker-Pan­zer-Jour­na­lis­ten-Schu­le und saß ent­spre­chend schlecht vor­be­rei­tet, ver­wirrt und vor­ein­ge­nom­men in der Debat­te. Das alles kön­nen Sie hier nach­hö­ren, wenn Sie es nach die­ser Beschrei­bung ernst­haft noch wol­len.

Weit­aus inter­es­san­ter war das Publi­kum, das sich im Klei­nen Sen­de­saal des Funk­hau­ses am Wall­raff­platz ver­sam­melt hat­te (der Ein­tritt war kos­ten­los): Es han­del­te sich um eine wil­de Melan­ge aus Men­schen, deren Durschnitts­al­ter Dank tat­kräf­ti­ger Hil­fe von einem jun­gen Pär­chen und mir noch knapp unter die sech­zig Jah­re gedrückt wur­de.

Ich saß noch kei­ne hal­be Minu­te in den gemüt­li­chen Leder­ses­seln in der Lob­by, da wuss­te ich auch schon, dass die Dame hin­ter mir vier­und­acht­zi­ge­in­halb Jah­re alt war und wegen ihrer schlech­ten Kno­chen einen Body­buil­der hat­te. Ein gesel­li­ger Herr frag­te sie, ob sie auch Doping mache, was sie mit dem Hin­weis kon­ter­te, sie lebe seit 26 Jah­ren vegan. Im Übri­gen tra­ge er eine „Tier­lei­chen­ja­cke“. Das Mit­leid, das ich in die­sem Moment mit dem Leder­ja­cken­trä­ger hat­te, ließ sehr schnell nach, nach­dem er sei­nem Beglei­ter die Lebens­ge­schich­te sei­nes Soh­nes erzählt und pos­tu­liert hat­te, dass es am Com­pu­ter kei­ne Tren­nung von Arbeit uns Spiel mehr gebe. Ste­fans Kolum­ne in der Sonn­tags­zei­tung liest er aber ger­ne.

Wäh­rend ich ver­zwei­felt ver­such­te, nir­gend­wo hin­zu­bli­cken, wo ein Gespräch auf mich lau­ern könn­te, hör­te ich einem gut­ge­laun­ter Rhein­län­der zu, der sei­nen Kum­pel zu über­re­den ver­such­te, an einer Sin­gle­bör­se im „Juut­zie-Kino“ teil­zu­neh­men. Er bekräf­tig­te sei­nen Appell, indem er eini­ge hun­dert Male „Mach das!“ sag­te. Eine älte­re Dame schei­ter­te an den Radi­os, die es einem in der Funk­haus­lob­by erlau­ben, die WDR-Sen­der live zu hören. Aller­dings über Kopf­hö­rer und nicht über die dort eben­falls her­um­ste­hen­den Tele­fo­ne. Ihre Freun­din stu­dier­te wäh­rend­des­sen auf­merk­sam das Pro­gramm und stell­te dann fest: „Nächs­tes Mal ist gut!“

Die Situa­ti­on wur­de nicht ange­neh­mer, als wir im Klei­nen Sen­de­saal Platz neh­men durf­ten, der auf sym­pa­thi­sche 18 Grad her­un­ter­ge­kühlt wor­den war. Dort saß ich nun, sah einen alten Mann mit Bra­si­li­en-Fan-Schal um die Schul­tern her­ein­kom­men, und hör­te mit der Kern­ziel­grup­pe von WDR5 die Kin­der­sen­dung „Bären­bu­de“ über die Saal­laut­spre­cher. Es war, als hät­ten die Coen-Brü­der einen Lori­ot-Sketch neu­ver­filmt.

Nach der Live­sen­dung wur­de Ste­fan von einem Mann abge­fan­gen, der sei­nen mehr­mi­nü­ti­gen Mono­log mit den Wor­ten „Ich habe eben auf­merk­sam zuge­hört“ begann, um dann unter Beweis zu stel­len, dass er genau das offen­sicht­lich nicht getan hat­te. Ich wur­de wäh­rend­des­sen von einem Secu­ri­ty-Mann (In einem Radio­sen­de­saal, der von Grei­sen besetzt wor­den war!) in die Lob­by gescho­ben, wo ich als­bald erkann­te, war­um zumin­dest ein Teil des Publi­kums sei­ne Aben­de im Funk­haus ver­brach­te: Es gab Frei­bier – oder das, was man in Köln dafür hält.

Nach­dem Ste­fan irgend­wann doch noch frei­ge­las­sen wor­den war, stan­den wir etwa eine Minu­te in der Lob­by, ehe sei­nem neu­en Fan doch noch was ein­ge­fal­len war: Die Leu­te wür­den im Inter­net ja meis­tens nur noch eine Sei­te besu­chen und gar kein ver­glei­chen­des Lesen mehr betrei­ben. Als ich frag­te, wie vie­le Leu­te denn meh­re­re ver­schie­de­ne Tages­zei­tun­gen läsen, war er für einen win­zi­gen Augen­blick indi­gniert. Ste­fan, der alte Pro­fi, nutz­te die­sen Moment, um sich unter Vor­spie­lung von Freund­lich­keit zur The­ke zu schlei­chen. Er drück­te mir eine wei­te­re Stan­ge Kölsch in die Hand und stand plötz­lich ganz woan­ders. So ent­ging ihm, wie der Mann, der das Inter­net sor­tie­ren woll­te (in „Gut“, „Nicht ganz so gut“ und „Rich­tig schlim­men Mist“), auf magi­sche Wei­se inner­halb weni­ger Sät­ze von „Spie­gel Online“ über sei­nen Schwie­ger­sohn zur Ban­ken­kri­se kam. Die Zeit auf den über­all gut sicht­ba­ren Atom­zeit­uh­ren ver­strich.

Ich schaff­te es schließ­lich, mich zu den Dis­ku­tan­ten zu ret­ten, die inzwi­schen inhalt­lich ein biss­chen wei­ter waren: Jörg Schieb und Ste­fan bat­tel­ten sich gera­de, wer die älte­ren und obsku­re­ren Heim­com­pu­ter gehabt hät­te. Das war zwar genau­so „Opa erzählt vom Krieg“ wie der Rest der Ver­samm­lung, aber wenigs­tens sind die Bei­den noch kei­ne Opas, was die Sache irgend­wie net­ter mach­te.

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Musik Digital

Die Messe Berlin und das allgemein zugängliche Internet

Frü­her war alles bes­ser: die Pop­komm war ein rau­schen­des Fest einer flo­rie­ren­den Bran­che, das all­jähr­lich in Köln statt­fand – und ihr wich­tigs­ter Ort war der Mexi­ka­ner am Prime Club. Heu­te liegt die Musik­in­dus­trie röchelnd am Boden, die wich­ti­gen Musik­mes­sen hei­ßen c/​o Pop und Pop Up, die Pop­komm ist (wie jeder ande­re Krea­ti­ve) nach Ber­lin gezo­gen und der Mexi­ka­ner am Prime Club ist schon lan­ge zu. ((Gerüch­ten zufol­ge ste­hen Pop­komm-Umzug und Nie­der­gang des Mexi­ka­ners in direk­tem Zusam­men­hang – nach Schät­zun­gen ins Blaue wur­de dort am Pop­komm-Wochen­en­de der hal­be Jah­res­um­satz erwirt­schaf­tet.))

Es gibt kei­nen wirk­li­chen Grund, noch zur Pop­komm fah­ren zu wol­len – außer, um dort Kon­tak­te zu knüp­fen, sie zu pfle­gen, die Mischung aus Zweck­op­ti­mis­mus, Welt­frem­de und Ver­zweif­lung in sich auf­zu­sau­gen und viel­leicht das eine oder ande­re Kon­zert mit­zu­neh­men. Aller­dings ist Ber­lin vom Ruhr­ge­biet deut­lich wei­ter ent­fernt als Köln, so dass sich Tages­trips eher nicht anbie­ten.

Ich woll­te mich also als Pres­se­ver­tre­ter für die Pop­komm akkre­di­tie­ren las­sen und ging auf die ent­spre­chen­de Web­site. Dass es nicht ganz so ein­fach wer­den wür­de wie in Köln, wo man ein­fach mit dem aus­ge­druck­ten Impres­sum eines Musik-E-Zines rein­kam, in dem der eige­ne Name stand, hat­te ich mir wohl gedacht – dass es schlicht unmög­lich wer­den wür­de, nicht. Ich füll­te brav und wahr­heits­ge­mäß ein For­mu­lar aus, foto­gra­fier­te mei­nen Jugend­pres­se­aus­weis (den ich in fünf Jah­ren damit zum drit­ten Mal her­vor­ho­len muss­te) und schick­te alles ab.

Am nächs­ten Tag erhielt ich eine E‑Mail von der Mes­se Ber­lin, wonach mei­ne Unter­la­gen unvoll­stän­dig sei­en. Man gab mir den freund­li­chen Hin­weis, dass ich als „Ver­tre­ter von Jugend­pres­se­or­ga­ni­sa­tio­nen“ „gegen Vor­la­ge aktu­el­ler Bele­ge“ „ein­ma­lig eine Tages­kar­te an den Akkre­di­tie­rungs­coun­tern des Mes­se­ge­län­des“ erhal­ten wür­de. Da ein Tag Mes­se die Anrei­se nicht lohnt, schrieb ich zurück, dass ich ger­ne län­ger hin­wol­le und schließ­lich ein Blog zu den The­men­kom­ple­xen Pop­kul­tur und Medi­en betrie­be.

Die Ant­wort lau­te­te:

Guten Tag,
Blog­ger und deren Betrei­ber wer­den, wie ande­re Ver­tre­ter von all­ge­mein zugäng­li­chen Online-Publi­ka­tio­nen aus­schließ­lich gegen Vor­la­ge eines gül­ti­gen Pres­se­aus­wei­ses (für haupt­be­ruf­lich täti­ge Jour­na­lis­ten) akkre­di­tiert.

Das deckt sich mit den Akkre­di­tie­rungs­richt­li­ni­en, die bei der Mes­se Ber­lin offen­bar für jede Ver­an­stal­tung gel­ten:

Mit­glie­der von Inter­net-Redak­tio­nen wer­den auf­grund der all­ge­mei­nen Zugäng­lich­keit des Inter­nets und der damit ver­bun­de­nen man­geln­den Über­prüf­bar­keit der eige­nen jour­na­lis­ti­schen Leis­tung nur gegen Vor­la­ge eines aner­kann­ten Pres­se­aus­wei­ses akkre­di­tiert. Aus­nah­me: Inter­net-Redak­tio­nen, die zu Voll­re­dak­tio­nen oder Ver­la­gen gehö­ren, z.B. Focus Online usw.

Da beißt sich die Kat­ze in den Schwanz: Als Blog­ger hat man bei den vie­len Ver­bän­den immer noch kei­ne Chan­ce, an einen Pres­se­aus­weis zu kom­men. Man braucht ihn aber auch (außer viel­leicht für pein­li­che Pres­se­ra­bat­te) eher sel­ten. Eine klei­ne Umfra­ge ergab: Von den Print‑, Radio- und TV-Jour­na­lis­ten in mei­nem Bekann­ten­kreis ist nie­mand im Besitz eines Pres­se­aus­wei­ses. Ein frü­he­rer Kol­le­ge (heu­te bei einem Pri­vat­sen­der aktiv) schrieb mir gar, er habe „nie!!!! wirk­lich nie!!!!“ mit einem Pres­se­aus­weis gear­bei­tet.

Nur um sicher­zu­ge­hen, dass ich das alles rich­tig ver­stan­den hat­te, frag­te ich bei der Mes­se Ber­lin noch ein­mal nach:

Gera­de im Bereich Musik­jour­na­lis­mus dürf­ten die wenigs­ten Kol­le­gen über einen Pres­se­aus­weis ver­fü­gen, vie­le betreu­en ihre Online­ma­ga­zi­ne und Blogs nicht haupt­be­ruf­lich, aber mit hoher Kom­pe­tenz und eben sol­chem Auf­wand. Sehe ich das rich­tig, dass sie alle kei­nen Anspruch auf eine Akkre­di­tie­rung bei einer Ver­an­stal­tung in der Mes­se Ber­lin haben?

Die Ant­wort über­rasch­te mich nicht mehr wirk­lich:

Guten Tag,
Sie sehen das völ­lig rich­tig. Ohne Nach­weis der haupt­be­ruf­li­chen jour­na­lis­ti­schen Tätig­keit gibt es kei­ne Akkre­di­tie­rung.
Ein Recht auf Akkre­di­tie­rung besteht nicht, es gilt das Haus­recht der Ver­an­stal­tungs­stät­te.

Und bit­te nicht vom Becken­rand sprin­gen, ja?

Aber noch ein­mal ganz lang­sam: die Mes­se Ber­lin, die unter ande­rem die Pop­komm, die Inter­na­tio­na­le Funk­aus­stel­lung und die Jugend­mes­se „You“ aus­rich­tet ((Alles Mes­sen, zu deren Inhal­ten Gerüch­ten zufol­ge auch die­ses ver­rück­te neue Medi­um „Inter­net“ und des­sen Mög­lich­kei­ten gehö­ren sol­len. Im ver­gan­ge­nen Jahr fand sogar die „Web 2.0 Expo“ in der Mes­se Ber­lin statt.)), akkre­di­tiert aus­schließ­lich „haupt­be­ruf­lich täti­ge Jour­na­lis­ten“.

In den Richt­li­ni­en für die „You“ steht sogar klipp und klar:

Nut­zer von Blogs (Blog­ger) unter­lie­gen den genann­ten Richt­li­ni­en von Inter­net-Redak­tio­nen. Ohne gül­ti­gen Pres­se­aus­weis gel­ten Blog­ger als Pri­vat­per­son und wer­den nicht akkre­di­tiert.

Ob ich zur Pop­komm fah­re oder nicht (natür­lich nicht) war mir inzwi­schen egal. Ich woll­te auch gar nicht mehr wis­sen, ob eine Pres­se­ak­kre­di­tie­rung kos­ten­los ist oder nicht. ((Die Drei-Tages-Pres­se­päs­se in Köln, die man gegen Vor­la­ge eines „Redak­ti­ons­nach­wei­ses“ erhielt, kos­te­ten etwa 100 DM, wie sich ein Kol­le­ge erin­nert.))

Dafür woll­te ich von der Mes­se Ber­lin wis­sen, wie das zusam­men­passt: das Aus­rich­ten von Medi­en­mes­sen auf der einen und das Aus­gren­zen von Blog­gern, E‑Zinern und Bür­ger­jour­na­lis­ten auf der ande­ren Sei­te. Und ob die „all­ge­mei­nen Zugäng­lich­keit des Inter­nets“ es wirk­lich der­art unmög­lich macht, eine Aus­wahl zu tref­fen, wen man rein­lässt und wen nicht.

Das ist jetzt eine Woche her und es ist wohl nur kon­se­quent zu nen­nen, dass ich noch kei­ne Ant­wort bekom­men habe.

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Digital Gesellschaft

Award Day’s Night

Span­nung, Twit­ter, gro­ße Gefüh­le und ein viel zu lau­ter Hand­trock­ner – so lässt sich die Ver­lei­hung des Grim­me Online Awards ges­tern Abend in Köln zusam­men­fas­sen.

Cof­fee And TV war ganz nah dran an den Nomi­nier­ten, Kri­ti­kern und Exper­ten und prä­sen­tiert Ihnen die bes­ten Sze­nen in einem abend­fül­len­den Spiel­film.

Näm­lich hier:

[Direkt­link]

Nach­trag 13. Juni: Bit­te lesen Sie auch mei­ne Medi­ta­ti­on über den Abend und die Kluft zwi­schen On- und Off­linern.

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Rundfunk Digital

Kalter Kaffee und TV

Das medienforum.nrw galt ein­mal als bedeu­ten­der Bran­chen­treff. Zeit­gleich wur­de es auch immer als irrele­van­te Nabel­schau geschol­ten, was im Wesent­li­chen ein Syn­onym für „bedeu­ten­der Bran­chen­treff“ ist. In die­sem Jahr fin­det es zum zwan­zigs­ten Mal statt, weckt kei­ne gro­ßen Erwar­tun­gen mehr, und das ist doch ein guter Grund, per­sön­lich in Köln vor­bei­zu­schau­en.

medienforum.nrw: Eingang

Das Gruß­wort von Ober­bür­ger­meis­ter Fritz Schram­ma kön­nen Sie sich ganz leicht sel­ber bas­teln, wenn Sie nur oft genug die Wor­te „Stand­ort­fak­tor“, „Medi­en“ und „Krea­tiv­wirt­schaft“ in einen Blind­text ein­fü­gen. Die Ein­füh­rung von Prof. Nor­bert Schnei­der, Direk­tor der Lan­des­an­stalt für Medi­en NRW und damit Gast­ge­ber des Medi­en­fo­rums, war da schon deut­lich gehalt­vol­ler und vor allem: wit­zi­ger. Schnei­der blick­te vor allem auf die letz­ten zwan­zig Jah­re zurück und fass­te zusam­men, wie viel sich in der Zeit ver­än­dert hat – oder auch wie wenig. Außer­dem wünsch­te er sich in Zei­ten in denen „Ver­le­ger Inten­dan­ten und Inten­dan­ten Ver­le­ger wer­den wol­len“, dass sich alle ein biss­chen mehr auf ihre Kern­kom­pe­ten­zen besin­nen, was man ange­sichts der aktu­ell toben­den und auch kurz nach sei­ner Rede wie­der­auf­ge­führ­ten Dis­kus­si­on wahl­wei­se als welt­frem­de Ein­las­sung oder als aus­ge­spro­chen klu­gen Gedan­ken sehen kann.

Die „medi­en­po­li­ti­sche Grund­satz­re­de“ von Minis­ter­prä­si­dent Rütt­gers sei hier nur der Voll­stän­dig­keit hal­ber erwähnt. Sie war unge­fähr dop­pelt so lang wie geplant, bot aber nicht viel neu­es. Allen­falls die deut­li­che Ansa­ge an die EU-Kom­mis­si­on, sie möge gefäl­ligst end­lich mal auf­hö­ren, den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk in Fra­ge zu stel­len, blieb hän­gen.

Und dann soll­te das kom­men, wor­auf alle gewar­tet hat­ten: Schlamm­cat­chen mit Beil und Mor­gen­stern, inklu­si­ve Haa­re­zie­hen und Fin­ger­nä­gel­aus­fah­ren. In der gro­ßen Dis­kus­si­ons­run­de, drei Tage bevor die Minis­ter­prä­si­den­ten sich über dem 12. Rund­funk­än­de­rungs­staats­ver­trag zusam­men­ho­cken, soll­ten Ver­tre­ter der öffent­lich-recht­li­chen und pri­va­ten Sen­der noch ein­mal auf­ein­an­der­sto­ßen, beglei­tet vom Gemur­mel der Print­bran­che. RTL-Che­fin Anke Schä­fer­kordt und WDR-Inten­dan­tin Moni­ka Piel waren beim Pro­jekt „Zicken­ter­ror“ aber allen­falls halb­her­zig bei der Sache und über­haupt schien es, als hät­ten alle Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer vor­ab unter­schrei­ben müs­sen, dass sie der Dis­kus­si­on auf kei­nen Fall neue Aspek­te hin­zu­fü­gen wür­den: die Öffent­lich-Recht­li­chen wol­len sich von der Poli­tik nicht ein­schrän­ken, ja: „zen­sie­ren“ las­sen; die Pri­va­ten sehen im Wett­be­werb mit gebüh­ren­fi­nan­zier­ten Sen­dern kei­nen ech­ten Wett­be­werb.

San­dra Maisch­ber­ger mode­rier­te gewitzt und so sou­ve­rän, dass man völ­lig ver­ges­sen konn­te, dass ihre eige­ne Sen­dung ja auch bei einem öffent­lich-recht­li­chen Sen­der läuft; ZDF-Inten­dant Mar­kus Schäch­ter rede­te viel und sag­te doch immer nur das sel­be; Jür­gen Doetz vom Ver­band Pri­va­ter Rund­funk und Tele­me­di­en gran­tel­te, wie er das dem Ver­neh­men nach seit zwan­zig Jah­ren tut, und Ulrich Reitz von der Zei­tungs­grup­pe WAZ erklär­te, dass Print­re­dak­teu­re nun Online- und Video­kom­pe­tenz erwer­ben müss­ten – wenn sie soweit sind, wird man dies viel­leicht auch bei derwesten.de, dem Online­por­tal der WAZ-Grup­pe, sehen kön­nen.

Aber das alles ist Brauch­tum: auf dem Podi­um sagen alle, was sie immer sagen, und hin­ter­her sit­zen die Jour­na­lis­ten zusam­men und sagen wie immer, dass alle ja nur gesagt hät­ten …

Alles was Rang und Namen hat - und nichts besseres vor

Die Idee, auch die Tech­nik­sei­te zu Wort kom­men zu las­sen, war kei­ne schlech­te, aber ange­sichts der aktu­el­len medi­en­po­li­ti­schen Dis­kus­si­on kamen die Ver­tre­ter von Satel­li­ten- und Kabel­an­bie­tern kaum zu Wort. Über­ra­schen­der Sym­pa­thie­trä­ger der Run­de war René Ober­mann, der Vor­stands­vor­sit­zen­de der Tele­kom, der das gan­ze ein­stu­dier­te Gekei­fe völ­lig ent­spannt an sich vor­bei­zie­hen ließ und mit fei­nem Gal­gen­hu­mor in der aktu­el­len Abhör­af­fä­re die größ­ten Lacher ern­te­te.

Wenn man aus dem gro­ßen Rau­schen etwas mit­neh­men konn­te, dann das neue Man­tra der Medi­en­bran­che das „Inter­net­vi­deo ist die Zukunft“ heißt und in mei­nen Augen ziem­li­cher Blöd­sinn ist. You­Tube ist ja nicht so erfolg­reich, weil man sich dort online Vide­os anschau­en kann, son­dern wegen der Inhal­te, die man sich dort anse­hen kann. Und wenn ich im Inter­net Video­nach­rich­ten sehen will, dann doch bit­te in gewohn­ter Qua­li­tät und von Men­schen, die sowas jeden Tag machen (also von Fern­seh­leu­ten), und nicht von Print-Redak­teu­ren, die wider­wil­lig einen Cam­cor­der hal­ten. Dass die Print-Ver­tre­ter Tex­te im Inter­net als „elek­tro­ni­schen Print“ und die Fern­seh­leu­te Inter­net-Vide­os als „Fern­se­hen“ bezeich­nen, zeigt eigent­lich nur, in wel­chen Scha­blo­nen Men­schen den­ken, die von „Medi­en­kon­ver­genz“ reden.

Über­haupt: Von wel­chem Wett­be­werb im Inter­net reden die eigent­lich alle? Wenn ARD und ZDF ihre (ja mit­un­ter doch recht guten) Repor­ta­gen aus dem In- und Aus­land nicht mehr ins Inter­net stel­len dürf­ten, weil die ja mit den Gebüh­ren der … äh: Zuschau­er finan­ziert wur­den, wür­de dadurch doch nicht plötz­lich die bis­her nicht vor­han­de­ne Qua­li­tät des RTL-Info­tain­ments stei­gen. Und wenn ich „Dr. House“ online sehen könn­te, wür­de ich das natür­lich bei rtlnow.de tun, das „Heu­te Jour­nal“ fin­de ich in der ZDF-Media­thek. Das sind zwei Paar Schu­he und ich will das sehen, was mich inter­es­siert, und nicht das, was die Poli­tik mir zuge­steht.

Spä­ter war ich bei einer Dis­kus­si­on über die Zukunft der deut­schen Serie, bei der sich alle Teil­neh­mer dar­über einig waren, dass etwas gesche­hen muss, sie aber alle nicht wis­sen, was. Nach­ma­chen von US-Seri­en klappt nicht, neue Ideen hat ent­we­der kei­ner oder sie inter­es­sie­ren den Zuschau­er nicht. In der Selbst­hil­fe­grup­pen­haf­tig­keit kam die Run­de auf gute 0,8 Musik­in­dus­trien.

Unter­halt­sam wur­de es beim Vete­ra­nen­treff mit Prof. Nor­bert Schnei­der, Jür­gen Doetz, Chris­tia­ne zu Salm und Prof. Hel­mut Tho­ma. Das hat­te in der Tat viel von der vor­her pro­phe­zei­ten Mup­pet-Show, aber wenig zu tun mit dem Jahr 2008. Nor­bert Schnei­der bestä­tig­te die schlimms­ten Annah­men über die über­bü­ro­kra­ti­sier­ten Lan­des­me­di­en­an­stal­ten, als er anmerk­te, man wür­de auch phar­ma­zeu­ti­sche Lizen­zen aus­ge­ben, wenn man das Recht dazu hät­te. Chris­tia­ne zu Salm, zu deren größ­ten Ver­diens­ten der ers­te Fern­seh­sen­der mit iro­ni­schem Namen (MTV, music tele­vi­si­on) und die Erfin­dung von Call-In-Sen­dun­gen zählt, erzähl­te das, was sie immer erzählt, seit sie Che­fin der Cross-Media-Abtei­lung bei Bur­da ist. Jür­gen Doetz hat­te sein Pul­ver schon in der vor­mit­täg­li­chen Dis­kus­si­on ver­schos­sen, so das alles an Hel­mut Tho­ma hän­gen blieb. Der ewi­ge RTL-Chef ist inzwi­schen Bera­ter bei Axel Sprin­ger und tourt mit einer Samm­lung sei­ner bes­ten Bon­mot von frü­her und heu­te über deut­sche Podi­en:

  • „Digi­ta­li­sie­rung ist ein Trans­port­weg, nicht ein Inhalt. Ein Joghurt, den ich mit einem Elek­tro­kar­ren in den Laden schaf­fe, ist ja auch kein Elek­tro-Joghurt.“
  • „In Deutsch­land besteht eine grö­ße­re Viel­falt unter den Lan­des­me­di­en­an­stal­ten, als unter den Pro­gram­men.“
  • „Wir haben kein dua­les Sys­tem mehr, son­dern eines für jün­ge­re Zuschau­er und eines für älte­re“
  • „Die Öffent­lich-Recht­li­chen wer­den sicher auch nach dem Ver­blei­chen des letz­ten Zuschau­ers noch wun­der­bar funk­tio­nie­ren.“

Und das medienforum.nrw wird allem Geme­cker und aller Red­un­danz zum Trotz auch in zwan­zig Jah­ren noch die glei­chen Dis­kus­sio­nen füh­ren. Anders wär’s ja auch lang­wei­lig.

Dani­el Fie­ne ist auch auf dem medienforum.nrw und schreibt dar­über hier und hier.

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Sport Gesellschaft

Christoph Daums Bedenken

Am Mitt­woch, 28. Mai 2008, wird das Deut­sche Sport­fern­se­hen (DSF) eine Doku­men­ta­ti­on aus­strah­len, die sich mit dem immer noch größ­ten Tabu im Fuß­ball beschäf­tigt: der Homo­se­xua­li­tät.

Wenn es stimmt, was die Deut­sche Aka­de­mie für Fuß­ball­kul­tur vor­ab ver­mel­det, wird Chris­toph Daum, Trai­ner der Fahr­stuhl­mann­schaft 1. FC Köln, in die­sem Film fol­gen­de Wor­te sagen:

Da wird es sehr deut­lich, wie sehr wir dort auf­ge­for­dert sind, gegen jeg­li­che Bestre­bun­gen, die da gleich­ge­schlecht­lich aus­ge­prägt ist, vor­zu­ge­hen. Gera­de den uns anver­trau­ten Jugend­li­chen müs­sen wir mit einem so gro­ßen Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein ent­ge­gen tre­ten, dass gera­de die, die sich um die­se Kin­der küm­mern, dass wir denen einen beson­de­ren Schutz zukom­men las­sen. Und ich hät­te da wirk­lich mei­ne Beden­ken, wenn dort von Theo Zwan­zi­ger irgend­wel­che Libe­ra­li­sie­rungs­ge­dan­ken ein­flie­ßen soll­ten. Ich wür­de den Schutz der Kin­der über jeg­li­che Libe­ra­li­sie­rung stel­len.

Das klingt erst ein­mal ziem­lich kon­fus, was sicher auch der frei­en Rede geschul­det ist. Aber es bedarf kei­ner beson­ders bös­wil­li­gen Inter­pre­ta­ti­on, um zu erah­nen, dass da wohl mal jemand Homo­se­xua­li­tät und Pädo­phi­lie durch­ein­an­der gebracht hat. Oder brin­gen woll­te.

Nun hal­te ich nor­ma­ler­wei­se nicht viel davon, Men­schen mög­li­che Ver­feh­lun­gen aus ihrer eige­nen Ver­gan­gen­heit immer wie­der vor­zu­hal­ten, aber an die­ser Stel­le soll­te nicht uner­wähnt blei­ben, dass sich da ein Mann um Jugend­li­che und „Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein“ sorgt, der vor acht Jah­ren nicht Fuß­ball­bun­des­trai­ner wur­de, weil ihm schwe­rer Koka­in­kon­sum nach­ge­wie­sen wer­den konn­te. (Mei­net­we­gen kann jeder mit sei­ner Gesund­heit machen, was er will, aber hier geht es ja um die mora­li­sche Kom­po­nen­te der Geschich­te.) Dass Daum aus­ge­rech­net Trai­ner in der „schwuls­ten Stadt Deutsch­lands“ ist, ist da das Tüp­fel­chen auf dem i.

Ich bin gespannt, wie die Doku­men­ta­ti­on letzt­lich aus­se­hen wird, und ob Daums homo­pho­ber Aus­fall von der Öffent­lich­keit über­haupt wahr­ge­nom­men wird. Der Pro­fi­fuß­ball wird immer wie­der mit der katho­li­schen Kir­che in einem Atem­zug genannt, wenn es um die letz­ten Bas­tio­nen offe­ner Schwu­len­feind­lich­keit gilt. Das Fuß­ball­ma­ga­zin „Rund“ hat die­sem The­ma schon meh­re­re gro­ße Arti­kel gewid­met, die man hier und hier bei „Spie­gel Online“ nach­le­sen kann.

DFB-Chef Theo Zwan­zi­ger will jetzt „ein Kli­ma schaf­fen“ in dem auch offen homo­se­xu­el­le Fuß­bal­ler ent­spannt im Sta­di­on auf­lau­fen kön­nen. Das ist ihm hoch anzu­rech­nen, aber es wird ein schwe­rer Weg in einem Umfeld, in dem Fans geg­ne­ri­sche Spie­ler oder den Schieds­rich­ter immer noch als „schwul“ bezeich­nen und das durch­aus als Belei­di­gung mei­nen. Wie bei sei­nem Enga­ge­ment gegen Ras­sis­mus wird der DFB einen lan­gen Atem brau­chen und auch sei­ne eige­nen Ent­schei­dun­gen anpas­sen. So wur­de der Dort­mun­der Tor­wart Roman Wei­den­fel­ler im ver­gan­ge­nen Jahr für drei Spie­le gesperrt und muss­te 10.000 Euro Stra­fe zah­len, weil er sei­nen Gegen­spie­ler Gerald Asa­mo­ah belei­digt hat­te: angeb­lich wur­de Wei­den­fel­ler für die Wor­te „Du schwu­le Sau“ ver­ur­teilt – wenn er den dun­kel­häu­ti­gen Asa­mo­ah (wie zunächst behaup­tet wur­de) als „schwar­zes Schwein“ beschimpft hät­te, wäre die Stra­fe noch erheb­lich schwe­rer aus­ge­fal­len.

Zum aktu­el­len Fall Daum hat sich Moritz von hel­lo­jed. im offi­zi­el­len Web­fo­rum des 1. FC Köln umge­se­hen und prä­sen­tiert die schlimms­ten Kom­men­ta­re.

[via queer.de]

Nach­trag, 18:40 Uhr: Wie Moritz in einem wei­te­ren Ein­trag schreibt, hat sich Daum inzwi­schen gegen­über dem Köl­ner „Express“ erklärt – und dabei ein­drucks­voll unter Beweis gestellt, dass er den Unter­schied zwi­schen Homo­se­xua­li­tät und Pädo­phi­lie wirk­lich nicht kennt:

Grund­sätz­lich bin ich ein tole­ran­ter und libe­ra­ler Mensch. Ich habe kei­ner­lei Berüh­rungs­ängs­te zu homo­se­xu­el­len Men­schen. Auch in mei­nem Bekann­ten­kreis gibt es Eini­ge, die gleich­ge­schlecht­li­che Bezie­hun­gen leben.
Kin­der­schutz geht mir aber über alles. Kin­der müs­sen vor Gewalt und sexu­el­len Über­grif­fen, ganz gleich ob homo- oder hete­ro­se­xu­el­len Men­schen, geschützt wer­den. Des­we­gen arbei­te ich auch aktiv bei der Orga­ni­sa­ti­on Power-Child.

Wer beim Wort „schwul“ gleich an ekli­ge Män­ner denkt, die klei­nen Jungs an die Sport­ho­se wol­len, soll­te zumin­dest kurz über­le­gen, ob er die­ses ver­que­re Welt­bild auch noch der Öffent­lich­keit mit­tei­len muss.

Und wäh­rend der „Express“ noch recht neu­tral „Wir­bel um Daum-Aus­sa­ge“ titelt, gehen bild.de („Daum belei­digt Schwu­le“) und stern.de („Daum macht gegen Schwu­le mobil“) gleich in die Vol­len. Das muss ja auch nicht sein …

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Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhr­ge­biet, wirk­lich. Ich lebe ger­ne hier und fin­de vie­les in einem kon­ven­tio­nel­len, gar nicht iro­ni­schen Sin­ne „schön“. Neben ein paar klei­ne­ren Macken, die man in jeder Gegend fin­den könn­te, hat das Ruhr­ge­biet aber ein paar ekla­tan­te Pro­ble­me, die exis­tenz­be­dro­hend sein kön­nen.

Damit mei­ne ich noch nicht mal „Der­Wes­ten“, das lan­ge und groß ange­kün­dig­te, in der Umset­zung aber desas­trö­se Online-Por­tal der WAZ. Zwar bin ich der Mei­nung, dass sich die WAZ-Grup­pe viel­leicht erst mal auf ihre Kern­kom­pe­ten­zen besin­nen (bzw. sol­che auf­bau­en) soll­te, bevor man sich an Kon­zert­agen­tu­ren betei­li­gen will, und auch über die geplan­te Koope­ra­ti­on mit dem WDR wer­de ich mich zu gege­be­ner Zeit sicher­lich noch auf­re­gen, „Der­Wes­ten“ selbst habe ich aber völ­lig abge­schrie­ben und will mich am Ein­prü­geln auf der­art wei­che Zie­le auch nicht mehr betei­li­gen.

Reden wir lie­ber vom Ruhr­ge­biet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesens­wer­ten Arti­kel über das Image-Pro­blem des Ruhr­ge­biets, das unter ande­rem auch dar­aus resul­tiert, dass die größ­te Metro­pol­re­gi­on Deutsch­lands (und fünft­größ­te Euro­pas – aller­dings mit Köln und Düs­sel­dorf) nach wie vor als unüber­sicht­li­ches Wirr­warr von 56 Städ­ten und Krei­sen wahr­ge­nom­men wird und sich tra­gi­scher­wei­se auch noch selbst so wahr­nimmt.

Im Ruhr­ge­biet leben 5,2 Mil­lio­nen Men­schen – auf­ge­teilt in drei Regie­rungs­be­zir­ke, von denen der eine nach einer Klein­stadt im Sau­er­land benannt ist, zwei Land­schafts­ver­bän­de, vier Krei­se, elf kreis­freie Städ­te, min­des­tens drei WDR-Lan­des­stu­di­os und unge­zähl­te Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men. Der Regio­nal­ver­band Ruhr (RVR) soll das gan­ze halb­wegs zusam­men­hal­ten – wenn nicht gera­de die nicht ganz unbe­deu­ten­de Stadt Dort­mund aus­stei­gen und lie­ber Haupt­stadt der west­fä­li­schen Pro­vinz als Teil einer Metro­po­le sein oder der Kreis Wesel lie­ber nie­der­rhei­ni­sche Pro­vinz als grü­ne Lun­ge der Regi­on sein will. Die SPD, die es in gefühl­ten hun­dert Jah­ren in der NRW-Lan­des­re­gie­rung nicht geschafft hat, das Ruhr­ge­biet zusam­men­zu­brin­gen, will den RVR gar gleich ganz auf­lö­sen.

Fragt man Men­schen aus Bran­den­burg nach ihrer Her­kunft, wer­den sie mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit „Ber­lin“ ant­wor­ten. Wer im Umkreis von etwa hun­dert Mei­len um Städ­te wie New York, Chi­ca­go oder Los Ange­les lebt, wird sich als Ein­woh­ner die­ser (zuge­ge­be­ner­ma­ßen extrem nam­haf­ten) Metro­po­len füh­len. Im Ruhr­ge­biet leben Men­schen, die dar­auf bestehen, aus einem seit 33 Jah­ren unselb­stän­di­gen Stadt­teil Bochums zu kom­men, und ein lau­tes Weh­kla­gen anstim­men, wenn sich das irgend­wann auch mal in der Bahn­hofs­be­schil­de­rung nie­der­schla­gen soll. Kein Wun­der, dass im Aus­land noch nie jemand vom Ruhr­ge­biet gehört hat und man immer „I live near Colo­gne“ sagen muss. Köln hat außer sei­nem wun­der­ba­ren Dom kei­nen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhr­ge­biet gibt es wenigs­tens Bier und fünf Mal so vie­le Leu­te.

Schafft es das Ruhr­ge­biet in die Nach­rich­ten, sind gera­de wie­der ein paar Tau­send Arbeits­plät­ze in Gefahr oder weg­ge­fal­len und irgend­ein Ober­bür­ger­meis­ter, den nicht mal die Ein­woh­ner der Nach­bar­stadt ken­nen, spricht von einem „schwe­ren Schlag“ für sei­ne Stadt und die dor­ti­ge Wirt­schaft. Wahr­lich beein­dru­ckend ist die Soli­da­ri­tät unter den Men­schen hier: Da wird man als Besu­cher des Bochu­mer Schau­spiel­hau­ses gebe­ten, Pro­test­post­kar­ten an die Nokia-Füh­rung in Finn­land aus­zu­fül­len, und die aller­meis­ten machen das ein­fach. Zu Demons­tra­tio­nen am Nokia-Werk kom­men tau­sen­de Leu­te mit unter­schied­lichs­ten Beru­fen und sozia­len Hin­ter­grün­den, aber es klappt nicht, die­se „Wir schaf­fen das!“-Stimmung über die Medi­en zu trans­por­tie­ren – dort heißt es dann, eine gan­ze Stadt ste­he am Abgrund. Über­haupt: Wie wirkt denn das, wenn von „Nokia­nern“ oder „Ope­la­nern“ die Rede ist, ganz so, als gin­ge es um außer­ir­di­sche Lebens­for­men oder schlim­me Krank­hei­ten? Ent­las­se­ne Simens-Mit­ar­bei­ter hei­ßen doch auch „Sie­mens-Mit­ar­bei­ter“.

Zwar wer­den regel­mä­ßig neue For­schungs­zen­tren, Indus­trie­parks und ähn­li­ches eröff­net (und manch­mal auch wie­der geschlos­sen), aber das wird selbst in der regio­na­len Pres­se immer unter einem Rubrum wie „IT statt Koh­le“ auf­ge­führt, ganz so, als lie­fen hier immer noch alle mit schwarz ver­schmier­ten Gesich­tern durch stau­bi­ge Stra­ßen und wür­den gera­de ihre ers­te elek­tri­sche Schreib­ma­schi­ne anschlie­ßen. Fast scheint es, als wol­le man den gera­de statt­fin­den­den Struk­tur­wan­del ver­schwei­gen, weil es immer noch bes­ser ist, der „Koh­len­pott“ zu sein als so ein eigen­schafts­lo­ser Wachs­tums­raum wie Halle/​Leipzig.

Dafür wird das Ruhr­ge­biet ja euro­päi­sche Kul­tur­haupt­stadt des Jah­res 2010, mag man jetzt den­ken. Die Hoff­nun­gen, dass von die­ser Ver­an­stal­tung irgend­ein posi­ti­ver Impuls aus­ge­hen könn­te, habe ich aller­dings so gut wie begra­ben. Zwar ist es in Deutsch­land guter Brauch, alles im Vor­hin­ein schei­ße zu fin­den und es hin­ter­her zu beju­beln (Welt­aus­stel­lun­gen, Fuß­ball­welt­meis­ter­schaf­ten, Die Lin­ke), aber in die­sem Fall deu­tet vie­les dar­auf hin, dass die „Ruhr.2010“ in der Tat ein Desas­ter unge­ahn­ten Aus­ma­ßes wer­den könn­te. Dju­re hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slo­gan und die Finan­zie­rung geschrie­ben und sich trotz opti­mis­ti­scher Aus­gangs­hal­tung inzwi­schen zur For­de­rung „Absa­gen, ein­fach absa­gen …“ hoch­ge­ar­bei­tet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhr­ge­biet. Aber ich habe das Gefühl, die Leu­te, die in die­ser Regi­on etwas zu sagen haben, has­sen die Idee dahin­ter. Und die Leu­te, die hier leben, mer­ken gar nicht, dass sie im Ruhr­ge­biet leben.

Universitätsstraße in Bochum
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What’s new to you?

Män­ner tun ja manch­mal merk­wür­di­ge Din­ge. Frau­en hei­ra­ten, zum Bei­spiel, oder acht­ein­halb Stun­den unter­wegs sein für 75 Minu­ten Kon­zert. Ich habe ges­tern letz­te­res gemacht und mir die Ste­reo­pho­nics ange­se­hen.

Erst muss man nach Köln fah­ren, was ja für sich genom­men schon schlimm genug ist, und dann steht man auch noch inmit­ten von ange­trun­ke­nen Bri­ten und alten Leu­ten, die aus­se­hen, als hät­ten sie eigent­lich zu Bryan Adams gehen wol­len, und wird mit dem Gesamt­werk der über­aus schreck­li­chen Band Live beschallt. Das aller­dings war, wie sich bald her­aus­stel­len soll­te, eine gute Vor­be­rei­tung auf die Vor­band Hero. Die ver­ein­ten näm­lich auf beein­dru­cken­de Wei­se so ziem­lich alles, was ich an Bands wie Sta­tus Quo, Bush, Simp­le Minds und INXS nicht aus­ste­hen kann, und hat­ten einen Sän­ger der aus­sah wie der von Right Said Fred. Danach lie­fen zum Glück die größ­ten Hits von The Clash.

Nach schier end­lo­sem und wie­der­hol­tem Gitar­ren­stim­men auf der Büh­ne (das ist so nicht Rock’n’Roll) gin­gen die Ste­reo­pho­nics nebst Zusatz­gi­tar­rist und ‑key­boar­der um Punkt 22:00 Uhr auf die Büh­ne. Da ich noch den letz­ten Zug nach Bochum erwi­schen muss­te, wuss­te ich schon, dass ich nicht das gan­ze Kon­zert wür­de sehen kön­nen. Das war aber erst mal egal, als die ers­ten Tak­te von „Bank Holi­day Mon­day“ erklan­gen und die Band los­leg­te wie ein Hau­fen jun­ger Hun­de.

Die Set­list war eine aus­ge­wo­ge­ne Zusam­men­stel­lung aus nahe­zu allen Schaf­fens­pe­ri­oden der Band, nur „You Got­ta Go The­re To Come Back“ blieb kom­plett außen vor. Am meis­ten gefei­ert wur­den die ganz neu­en Songs von „Pull The Pin“ und die Hits der ers­ten bei­den Alben – „Super­man“, „Devil“ und „Door­man“ von „Lan­guage. Sex. Vio­lence. Other?“ lie­fen irgend­wie ins Lee­re. Lei­der gab es nach dem furio­sen Auf­takt immer wie­der Hän­ger, „Pick A Part That’s New“ droh­te gar völ­lig aus­ein­an­der zu fal­len, so erschre­ckend lahm­ar­schig geriet der Refrain. „Traf­fic“ stand ähn­lich auf der Kip­pe, aber „Mr. Wri­ter“ und mein Pho­nics-Lieb­ling „Just Loo­king“ waren dafür makel­los.

Die Band war bes­tens gelaunt (ich glau­be, ich habe Kel­ly Jones vor­her noch nie lachen gese­hen) und ließ sich das auch nicht vom bis­wei­len etwas leb­lo­sen Publi­kum kaputt machen. Mit­sin­gen tut man in Deutsch­land halt nur bei Pur, kett­car und Oasis und groß Bewe­gen ging in der gut gefüll­ten und auf Sau­na­tem­pe­ra­tu­ren auf­ge­heiz­ten Live Music Hall auch nicht so gut. Zwi­schen „It Means Not­hing“, der ers­ten Sin­gle aus „Pull The Pin“, und dem Klas­si­ker „Local Boy In The Pho­to­graph“, der das regu­lä­re Set abschloss, gab es mit „My Own Worst Ene­my“ einen neu­en Song, der auch fürs nächs­te Album wie­der Mut macht: Die Ste­reo­pho­nics haben eben auf jedem Album eine Hand­voll wirk­lich guter Songs, wie es eine Kon­zert­be­su­che­rin auf dem Weg nach drau­ßen prä­zi­se zusam­men­fass­te.

Wegen des oben beschrie­be­nen Zeit­drucks (Kon­zer­te um 21:00 Uhr soll­ten unter der Woche ver­bo­ten wer­den), muss­te ich die Hal­le lei­der vor den Zuga­ben ver­las­sen. Wenn sich die Band an den Set­lis­ten der ande­ren Deutsch­land-Kon­zer­te ori­en­tiert hat, habe ich „Roll Up And Shi­ne“ und lei­der auch „Dako­ta“ ver­passt. Letz­te­res konn­te ich aber dank You­Tube heu­te früh noch nach­ho­len.

Mein ers­tes Ste­reo­pho­nics-Kon­zert seit sechs­ein­halb Jah­ren war ein biss­chen wie ein Tref­fen mit alten Freun­den: Man erin­nert sich gemein­sam an die schö­nen Zei­ten, als man noch jung war und durch die Gegend hüpf­te, hört inter­es­siert, was die ande­ren jetzt so machen, denkt sich zwi­schen­durch „Ich soll­te sowas nicht mehr machen“ und geht dann doch mit einem woh­li­gen Gefühl nach hau­se.

Set­list:

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Musik

All They Want To Do Is Rock

Ent­ge­gen mei­ner gest­ri­gen Behaup­tung wird das Wet­ter offen­bar doch nicht vom Spiel­plan der Fuß­ball­bun­des­li­ga bestimmt, son­dern vom Tour­ka­len­der bri­ti­scher Rock­bands. Denn kaum hat­te ich ges­tern Mit­tag zur Ein­stim­mung auf das abend­li­che Tra­vis-Kon­zert Musik mei­ner schot­ti­schen Lieb­lin­ge auf­ge­legt, öff­ne­te Petrus auch schon alle Schleu­sen und zwang mich, zur U‑Bahn zu waten.

In Köln-Mül­heim ange­kom­men, hat­te sich das Wet­ter wie­der beru­higt, aber im E‑Werk erwar­te­ten mich die nächs­ten Schocks – oder Schö­cke? Jeden­falls war der Laden um zwan­zig vor Acht gera­de mal mit geschätz­ten zwei­hun­dert Leu­ten gefüllt und über­all hin­gen rie­si­ge Wer­be­ban­ner von WDR 2. „Neeeeeeiii­in!“, schrie ich, „ich bin doch noch viel zu jung! Ich will nicht auf Kon­zer­te, die von die­sem Eltern-Sen­der prä­sen­tiert wer­den, gehen!“ Spä­ter sah ich, dass die Sound­mi­scher das Kon­zert mit­schnit­ten – und soll­te WDR 2 es schaf­fen, das kom­plet­te Kon­zert aus­zu­strah­len, wäre ich sogar mit den Ban­nern und dem Gefühl des Alt­s­eins ver­söhnt.1

Vor­band waren The Tas­te aus Mün­chen, eine Art White Stripes mit umge­kehr­ter Geschlech­ter­ver­tei­lung. Das war ganz nett und kurz­wei­lig und weil die Dame und der Herr jedes Lied nament­lich ankün­dig­ten weiß ich jetzt, dass nahe­zu alle The-Tas­te-Songs ein „you“ im Titel haben. Öhm, das klingt jetzt nicht son­der­lich posi­tiv, aber stel­len Sie sich mal vor, wie sie auf noch so gute Bands reagie­ren wür­den, die Ihre Lieb­lings­band sup­port­en müss­ten. Da guckt man halt immer auf die Uhr.

Auf die Uhr geguckt wur­de auch von offi­zi­el­ler Sei­te sehr exakt (WDR-2-Kon­zert halt): 19:59 Uhr Vor­band, 21:00 Uhr Licht aus für Tra­vis. Wie man es schon aus die­sem Mit­schnitt kennt, erklang zunächst die Hym­ne von 20th Cen­tu­ry Fox, ehe die Band in Bade­män­tel gehüllt zum „Rocky The­me“ in die Hal­le ein­zog. Durchs Publi­kum, das inzwi­schen glück­li­cher­wei­se doch noch ein biss­chen ange­wach­sen war. Fran Hea­ly sieht von nahem sehr viel klei­ner, bär­ti­ger und grau­er aus als auf der Büh­ne, aber er hat sehr wache Augen und einen fes­ten Hän­de­druck.

Als die vier Schot­ten und ihr schwe­di­scher Tour-Key­boar­der die Büh­ne erklom­men hat­ten, schmis­sen sie sich mit Schma­ckes in „Sel­fi­sh Jean“, wobei Fran Hea­ly wäh­rend des gan­zen Kon­zer­tes eines der T‑Shirts trug, die sich Deme­tri Mar­tin im Video zum Song vom Kör­per schält. Ohne aus­ufern­de Ansa­gen, die Fran noch auf ver­gan­ge­nen Tou­ren gemacht hat­te, sprang die Band von Song zu Song und damit kreuz und quer durch die eige­ne Geschich­te. Noch auf kei­ner Tour nach 2000 haben Tra­vis so vie­le Songs von ihrem Debüt­al­bum gespielt („Good Day To Die“, „The Line Is Fine“, „Good Fee­ling“ und „All I Want To Do Is Rock“), noch nie stan­den alte und neue Songs der­art Schul­ter an Schul­ter. Was beim Hören der ver­schie­de­nen Alben mit­un­ter nur schwer vor­stell­bar ist, wur­de live völ­lig klar: Die­se Songs stam­men alle von der sel­ben Band und sie sind auch alle Kin­der glei­chen Geis­tes.

Zwar spiel­te die Band jede Men­ge Sin­gles, aber das Kon­zert wirk­te den­noch nicht wie eine Grea­test-Hits-Show. Dafür fehl­ten die Nicht-Album-Sin­gles „Coming Around“ und „Wal­king In The Sun“, aber auch „Re-Offen­der“ von „12 Memo­ries“. Über­haupt gab’s vom unge­lieb­ten „dunk­len“ Album gera­de mal zwei Songs zu hören: „The Beau­tiful Occu­pa­ti­on“ und das luf­ti­ge „Love Will Come Through“. Was aber noch viel merk­wür­di­ger war: Es gab auch gera­de mal vier Songs vom aktu­el­len Album „The Boy With No Name“. Kein „Col­der“, kein „Batt­le­ships“, kein „Big Chair“.

Die Sie­ger im Set hie­ßen also „The Man Who“ (5 von 11 Songs, nur „Blue Flas­hing Light“ fehl­te zur vol­len Glück­se­lig­keit) und „The Invi­si­ble Band“ (5 von 12 Songs, davon „Flowers In The Win­dow“ in einer wun­der­ba­ren Akus­tik­ver­si­on, bei der die gan­ze Band sang). Die Reak­tio­nen im Publi­kum mach­ten deut­lich, dass es sich bei den Bei­den in der Tat um die Lieb­lings­al­ben der meis­ten Fans han­deln muss.

Obwohl das Set also etwas merk­wür­dig aus­sah und min­des­tens zwei Songs (für mich „Blue Flas­hing Light“ und „Col­der“) zu wün­schen übrig ließ, war es ein tol­les Kon­zert, denn die Band hat­te sicht­lich Spaß bei dem, was sie da tat, und die­se Freu­de über­trug sich auf das Publi­kum. Als letz­ten Song im Zuga­ben­block gab es dann natür­lich „Why Does It Always Rain On Me?“, das Lied, das für Tra­vis das ist, was „Creep“ für Radio­head, „Loser“ für Beck und „Won­der­wall“ für Oasis ist: Das Lied, das jeder kennt, auch wenn er sonst nichts von der Band kennt. Aber Tra­vis schaf­fen es, mit die­sem Hit wür­de­voll umzu­ge­hen und wenn das Publi­kum erst mal hüpft wie eine Kolo­nie juve­ni­ler Frö­sche, ist die kom­mer­zi­el­le Bedeu­tung des Lieds eh egal. Und weil Fran den Song beim ers­ten Mal falsch zu Ende gebracht hat­te („This does­n’t hap­pen that often becau­se usual­ly I’m per­fect“), gab’s das Fina­le dann ein zwei­tes Mal.

Das nächs­te Mal wol­len Tra­vis nicht wie­der vier Jah­re auf sich war­ten las­sen. Im Dezem­ber geht’s ins Stu­dio, um ein neu­es Album auf­zu­neh­men.

1 Ja, ich glau­be, das war eine Auf­for­de­rung.

Und hier noch die Set­list für die Jäger und Samm­ler:

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Unterwegs Kultur

Mannheim für Deutschland

Ges­tern noch las ich bei der Rie­sen­ma­schi­ne von den 1925 vor­ge­stell­ten Plä­nen Le Cor­bu­si­ers, Paris abzu­rei­ßen und geord­net neu auf­zu­bau­en. „Nun ja“, dach­te ich, „typisch Moder­ne: Tol­le Ideen, aber irgend­wie dann doch so ein biss­chen abge­dreht.“

Heu­te woll­te ich einen Besuch in Mül­heim an der Ruhr täti­gen. Ich war schon etli­che Male in der Stra­ße, in dem Haus gewe­sen, wo ich hin­woll­te. Zwar war ich noch nie selbst dort­hin gefah­ren, aber ich hat­te mir bei Goog­le Maps eine genaue Weg­be­schrei­bung aus­ge­druckt und heg­te ein gewis­ses Grund­ver­trau­en in mei­ne eige­nen Ori­en­tie­rungs­küns­te.

Sie ahnen, wie mein Tag und die­ser Text wei­ter­ge­hen: Welch gro­tes­ke Selbst­über­schät­zung!

Einen Moment war ich unauf­merk­sam, war ver­wirrt, weil Goog­le Maps einem Stra­ßen­wech­sel anzeigt, wenn sich nur der Name ändert (was in Mülheim/​Ruhr an jeder Ampel pas­siert), und schon fand ich mich bald am Haupt­bahn­hof, bald im strö­men­den Regen an einem ent­le­ge­nen Golf­platz wie­der. Ich zer­fleisch­te die Schaum­stoff­um­man­te­lung des Lenk­rads, stieß viel­far­bi­ge Flü­che aus, ver­setz­te mei­ne Bei­fah­re­rin in Angst und Schre­cken und such­te nur noch nach einem geeig­ne­ten Baum, vor den ich das Auto hät­te steu­ern kön­nen – aber nicht mal den gab es.

Schließ­lich rief ich per Tele­fon um Hil­fe und wur­de von der Gast­ge­be­rin mit einem Fol­low-Me-Fahr­zeug zum Ziel gelotst. Natür­lich war ich mehr­fach haar­scharf an der rich­ti­gen Stra­ße vor­bei­ge­fah­ren, hät­te nur ein­mal links und sofort wie­der rechts fah­ren müs­sen und wäre am Ziel gewe­sen. Aber die Kreu­zung war so über­sicht­lich gewe­sen wie ein Ver­tei­ler­kas­ten der Deut­schen Tele­kom, über­all waren Autos und die weni­gen Stra­ßen­schil­der, die mit dem mensch­li­chen Auge über­haupt zu erken­nen gewe­sen wären – von der Stra­ße aus, aus einem sich bewe­gen­den Fahr­zeug -, waren mit Stra­ßen­na­men beschrif­tet, die in mei­nem spär­li­chen Goog­le-Aus­druck schlicht­weg nicht vor­ka­men.

Und da dach­te ich mir: War­um fah­re ich eigent­lich durch so grau­en­haft ver­schlun­ge­ne Städ­te, deren Stadt­plä­ne einer Rönt­gen­auf­nah­me des mensch­li­chen Darms oder einer Rosi­nen­schne­cke nach­emp­fun­den zu sein schei­nen? Die­ses Land, ins­be­son­de­re das Ruhr­ge­biet, ist doch im zwei­ten Welt­krieg zu erheb­li­chen Tei­len zer­stört wor­den. War­um hat man Stra­ßen­zü­ge, die kom­plett in Schutt und Asche lagen, in ihrem jahr­hun­der­te­al­ten Ver­lauf wie­der auf­ge­baut? War­um hat nicht wenigs­tens ein wei­ser Archi­tekt in die­ser viel­zi­tier­ten „Stun­de Null“ gesagt: „Wenn wir schon ganz neu anfan­gen müs­sen, könn­ten wir es ja viel­leicht ein ein­zi­ges Mal rich­tig machen!“? War­um ist Deutsch­land also heu­te kein flä­chen­de­cken­des Mann­heim, son­dern die­se Kata­stro­phe von Ober­hau­sen, Köln und eben Mülheim/​Ruhr?

Da mel­de­te sich mein archi­tek­to­ni­sches Fach­wis­sen und erin­ner­te mich höf­lich an Rudolf Hil­le­brecht und sei­nen Wie­der­auf­bau Han­no­vers, dem zunächst ein paar noch ver­blie­be­ne Gebäu­de zum Opfer gefal­len waren und der noch heu­te dafür sorgt, dass Han­no­ver wie eine mit schar­fem Mes­ser file­tier­te Piz­za in der Land­schaft liegt. Und par­al­lel bzw. zuein­an­der ortho­go­nal sind die Stra­ßen dort trotz­dem nicht.

Und so bleibt mir wohl als ein­zi­ge Opti­on der Umzug in die USA, wo die Sied­ler wei­land jede ein­zel­ne Stadt mit der Reiß­schie­ne in die Land­schaft gezim­mert haben und wo man Weg­be­schrei­bun­gen gleich­sam als Vek­to­ren („drei Blocks nach Nor­den, zwei nach Osten“) ange­ben kann. In den USA hän­gen die Ampeln auch hin­ter den Kreu­zun­gen, was es einem immer­hin ermög­licht, sie vom Auto aus auch zu sehen, und man kann bei Rot rechts abbie­gen. Aller­dings sind zumin­dest die Innen­städ­te immer der­art ver­stopft, dass mein Ver­brauch an Lenk­ra­dum­man­te­lun­gen wohl ein­fach zu hoch wäre.

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Gesellschaft

Nächste Woche: Autobahnen

Der Lie­be Gott hat in Köln ein sehr schö­nes Haus, aber der aktu­el­le Haus­meis­ter ist ein Pro­blem:

Dort, wo die Kul­tur vom Kul­tus, von der Got­tes­ver­eh­rung abge­kop­pelt wird, erstarrt der Kult im Ritua­lis­mus und die Kul­tur ent­ar­tet.

(Zitiert nach „Spie­gel Online“)

Nach dem Raus­wurf von Eva Her­man fragt man sich jetzt natür­lich, ob und wie Katho­li­sche Kir­che, gleich­sam die ARD unter den Glau­bens­ge­mein­schaf­ten die­ser Welt, auf Kar­di­nal Meis­ners Ent­glei­sung reagie­ren wird.

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Rundfunk Politik

„Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, …“

„… und mei­ne Wan­gen denen, die mich rauf­ten.“ (Jesa­ja 50,6)

In Köln fin­det ja gera­de der groß­an­ge­leg­te Gegen­ent­wurf zu G8-Gip­fel und ‑Gegen­de­mons­tra­tio­nen statt: der Evan­ge­li­sche Kir­chen­tag. Das ist mir irgend­wie sym­pa­thi­scher und die schö­ne­ren Bil­der gibt es da auch.

So ließ es sich der WDR gera­de nicht neh­men, wäh­rend der Gruß­wor­te von Frank-Wal­ter Stein­mei­er und Jür­gen Rütt­gers – die bei­de beim Ver­such einer Johan­nes-Rau-Imper­so­na­ti­on kläg­lich schei­ter­ten – demons­tra­tiv zu zei­gen, wie Zuschau­er den Ort des Gesche­hens ver­lie­ßen. Manch­mal ist ein Rücken eben eine deut­li­che­re Bot­schaft als eine Stirn oder gar Faust …