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Katastrophenjournalismus-Mäander

Ich war ein etwas merk­wür­di­ges Kind und leg­te schon früh eine gewis­se Obses­si­on für Jour­na­lis­mus an den Tag, beson­ders in Kata­stro­phen­si­tua­tio­nen: als in mei­nem Hei­mat­dorf ein Gast­haus abbrann­te, schnitt mein sie­ben­jäh­ri­ges Ich in den nächs­ten Tagen alle Arti­kel dar­über aus der Zei­tung aus und edi­tier­te sie neu zusam­men, um sie in einer von mir selbst mode­rier­ten Nach­rich­ten­sen­dung (Zuschau­er: mei­ne Stoff­tie­re) zu ver­le­sen.

Mit acht sam­mel­te ich in Zei­tun­gen und Radio alle Infor­ma­tio­nen über einen Flug­zeug­ab­sturz in Ams­ter­dam, derer ich hab­haft wer­den konn­te. Nach dem Absturz eines Bun­des­wehr­hub­schrau­bers ((Die Typen­be­zeich­nung Bell UH-1D könn­te ich Ihnen ohne nach­zu­den­ken nen­nen, wenn Sie mich nachts um vier aus dem Bett klin­gel­ten – was Sie aber bit­te in unser bei­der Inter­es­se unter­las­sen!)) bei der Jugend­mes­se „YOU“ in Dort­mund, nach dem Unfall­tod von Prin­zes­sin Dia­na, nach dem ICE-Unfall von Esche­de schal­te­te ich Fern­se­her und Video­text ein und wech­sel­te jede hal­be Stun­de zum Radio, um aus den dor­ti­gen Nach­rich­ten mög­li­che neue Ent­wick­lun­gen zu ent­neh­men und – ich wünsch­te wirk­lich, ich däch­te mir das aus – zu notie­ren: Sound­so vie­le Tote, Ursa­che noch unklar, drück­te den Hin­ter­blie­be­nen an der Unfall­stel­le sein Mit­ge­fühl aus. Den 11. Sep­tem­ber 2001 ver­brach­te ich kniend auf dem Wohn­zim­mer­tep­pich mei­ner Eltern vor dem Fern­se­her, am 7. Juli 2005 ver­ließ ich mein Wohn­heims­zim­mer nicht.

Dann wur­den im August 2006 in Groß­bri­tan­ni­en zahl­rei­che Ver­däch­ti­ge fest­ge­nom­men, die Anschlä­ge auf Pas­sa­gier­ma­schi­nen geplant haben soll­ten, und nach etwa einer hal­ben Stun­de CNN und BBC schal­te­te ich den Fern­se­her aus, ging raus und dach­te „Was’n Scheiß!“

Ziem­lich exakt seit es mir tech­nisch mög­lich wäre, mich in Echt­zeit selbst über Ereig­nis­se zu infor­mie­ren, noch wäh­rend sie pas­sie­ren, wün­sche ich mir, dar­über im Geschichts­buch lesen zu kön­nen. Mit allen Erkennt­nis­sen, die im Lau­fe der Jah­re gewach­sen sind, mit his­to­ri­scher Ein­ord­nung und in genau dem Umfang, der ihnen ange­mes­sen ist: Dop­pel­sei­te, hal­be Sei­te, klei­ner Kas­ten, Fuß­no­te.

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Als ich am ver­gan­ge­nen Frei­tag die ers­te Mel­dung bekam, dass sich in Mün­chen irgend­was schlim­mes ereig­net habe, ((Bizar­rer­wei­se per Push-Benach­rich­ti­gung der BBC-App.)) guck­te ich kurz bei Face­book Live und Peri­scope rein, weil ich ja manch­mal auch für aktu­el­le Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen arbei­te und mir die­se Tech­nik mal aus einer pro­fes­sio­nel­len Per­spek­ti­ve anse­hen woll­te. Ich sah also ver­wa­ckel­te Video­bil­der, auf denen Men­schen mit erho­be­nen Hän­den in Rich­tung von Poli­zei­au­tos rann­ten, und die von einem Mann mit bay­ri­schen Akzent mit anhal­ten­dem „krass, krass“ kom­men­tiert wur­den. Die Wör­ter „Mün­chen“, „Olym­pia“, „Schüs­se“ und „Kame­ra“ bil­de­ten in mei­nem Kopf eine Linie und ich dach­te, dass man so Schei­ße wie 1972, als die Gei­sel­neh­mer dank Live-Fern­se­hen per­ma­nent über die Aktio­nen der Poli­zei infor­miert waren, ja ruhig 44 Jah­re spä­ter mit Mit­teln für den Heim­an­wen­der noch mal wie­der­ho­len kann. Ich erbrach mich kurz bei Twit­ter und tat dann das Ein­zi­ge, was mir an einem sol­chen Tag noch sinn­voll und sach­dien­lich erschien: ich ging in die Küche und mach­te Mar­mor­ku­chen und Nudel­sa­lat für einen Kin­der­ge­burts­tag.

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Der Begriff des „Zeu­gen“ ist in ers­ter Linie ein juris­ti­scher. Zeu­gen haben von den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den (und dort von mög­lichst geschul­tem Per­so­nal) gehört zu wer­den und soll­ten nach Mög­lich­keit nicht vor lau­fen­de Kame­ras gezerrt wer­den. Schon bei einem harm­lo­sen Ver­kehrs­un­fall kann man die wider­sprüch­lichs­ten Infor­ma­tio­nen zusam­men­sam­meln, bei einer unüber­sicht­li­chen Gefähr­dungs­la­ge dürf­te die Chan­ce, tat­säch­li­chen Mehr­wert zu gene­rie­ren (der sich anschlie­ßend inhalt­lich auch noch als zutref­fend erweist), genau­so groß sein wie wenn der Mode­ra­tor im Stu­dio ein­fach mal rät, was pas­siert sein könn­te.

Zu den Leu­ten, die nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen aus­plau­dern, was sie gese­hen und gehört zu glau­ben haben, kom­men natür­lich noch die Idio­ten hin­zu, die sich irgend­was aus­den­ken, um auf Twit­ter oder Face­book geteilt zu wer­den – oder weil es sich ja zufäl­lig als tref­fend erwei­sen könn­te.

Auf einem der Peri­scope-Vide­os aus Mün­chen sah ich Dut­zen­de Men­schen, die alle ihre Han­dys in Rich­tung eines nicht näher ein­zu­ord­nen­den Ortes rich­te­ten, den ich jetzt ein­fach mal als „poten­ti­el­le Gefah­ren­quel­le“ bezeich­nen wür­de. Die Gei­sel­neh­mer von Glad­beck müss­ten heu­te nicht mal mehr war­ten, dass „Hans Mei­ser, deut­sches Fern­se­hen“ bei ihnen anruft oder der spä­te­re „Bild“-Chefredakteur Udo Röbel zu ihnen ins Auto steigt.

Neben all dem fin­det man in den Sozia­len Netz­wer­ken natür­lich auch die Bes­ser­wis­ser: ((Zu denen ich in der Blü­te der Arro­ganz von Jugend und Inter­net­glau­ben auch gehört habe.)) das Fern­se­hen soll mehr berich­ten, das Fern­se­hen soll weni­ger berich­ten, die Poli­ti­ker sol­len sich gefäl­ligst jetzt äußern. Fast wür­de man die­sen Leu­ten ein „Macht’s bes­ser!“, ent­ge­gen schrei­en wol­len, wenn man nicht davon aus­ge­hen müss­te, dass sie schon im Glau­ben sind, auf ihren Pro­fi­len genau das zu tun.

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Wäh­rend etwas geschieht, ist man in aller Regel nicht in der Lage, die Dimen­si­on die­ses Ereig­nis­ses auch ein­zu­schät­zen. Das gilt für die ers­te Begeg­nung mit der spä­te­ren gro­ßen Lie­be genau­so wie für Nach­rich­ten. Es hat sich mir förm­lich ins Hirn gebrannt, wie ich mit fünf Jah­ren ver­se­hent­lich eine Aus­ga­be der „Aktu­el­len Stun­de“ mit­krieg­te, die vom Absturz eines US-Kampf­flug­zeugs in einer Stadt namens Rem­scheid berich­te­te. ((Note to self: Nie­mals Nach­rich­ten gucken, wenn das Kind in der Nähe ist.)) Die Wor­te „Flug­zeug­ab­sturz“ und „Rem­scheid“ sind für mich seit­dem untrenn­bar seman­tisch mit­ein­an­der ver­bun­den, obwohl ich bis heu­te nicht sagen könn­te, wo Rem­scheid liegt. ((An der A1 zwi­schen Wup­per­tal und Köln, aber was weiß ich, wo die A1 lang führt – und wo zum Hen­ker liegt über­haupt Wup­per­tal, außer halt süd­lich des Ruhr­ge­biets?)) Die aller­meis­ten Men­schen, die die­se Nach­richt damals zur Kennt­nis genom­men haben und nicht direkt von dem Absturz betrof­fen waren, dürf­ten sie kom­plett ver­ges­sen haben – die dama­li­gen Mode­ra­to­ren der „Aktu­el­len Stun­de“ inklu­si­ve. Für die Stadt Rem­scheid dürf­te der Tag eine deut­lich grö­ße­re Bedeu­tung haben als für die US Air Force. Und allein die Tat­sa­che, dass ich die Fak­ten dazu jetzt ganz schnell nach­schla­gen konn­te, gibt dem Unglück ja eine gewis­se Wer­tung: Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass am glei­chen Tag auf den Stra­ßen in NRW mehr Todes­op­fer bei Auto­un­fäl­len zu bekla­gen waren – Anfang Dezem­ber, viel­leicht Blitz­eis? – als die sie­ben beim Flug­zeug­ab­sturz, aber dazu gibt es halt kei­nen Wiki­pe­dia-Ein­trag.

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Als ich noch rela­tiv klein war, lief ein psy­chisch kran­ker Mann mit einer Schuss­waf­fe durch die Dins­la­ke­ner Innen­stadt, schoss auf Poli­zis­ten und erschoss sich am Ende in einer Gara­ge. Jeden­falls ist es das, wor­an ich mich sehr dun­kel – und aus­schließ­lich auf Erzäh­lun­gen mei­ner Mut­ter an jenem Tag basie­rend – erin­ne­re. Ich bil­de mir ein, dass es im Herbst 1991 gewe­sen sein müss­te, aber ich habe ehr­lich gesagt kei­ne Ahnung – um das gan­ze irgend­wie veri­fi­zie­ren zu kön­nen, müss­te ich nach Dins­la­ken fah­ren und in den Archi­ven der Lokal­re­dak­tio­nen von „NRZ“ und „Rhei­ni­scher Post“ meter­wei­se Mikro­film sich­ten. Angeb­lich war auch das Fern­se­hen vor Ort, viel­leicht fän­de ich etwas im Kel­ler von RTL West.

Nur zehn Jah­re spä­ter hät­te die­ses Ereig­nis zumin­dest ein paar Arti­kel in Online-Medi­en nach sich gezo­gen, die ich jetzt ergoo­geln könn­te. Zwan­zig Jah­re spä­ter hät­te es ver­mut­lich schon so viel Social-Media-Buzz erzeugt, dass man die Ent­wick­lun­gen auch in einer fer­nen Zukunft noch minu­ten­ge­nau nach­voll­zie­hen könn­te – oder halt beim Nach­le­sen genau­so ahnungs­los ist, als wäre man selbst dabei. Und in die­ser Woche wäre es nicht unter einem „Brenn­punkt“ und einer Soli­da­ri­täts­adres­se min­des­tens eines aus­län­di­schen Spit­zen­po­li­ti­kers auf Twit­ter pas­siert. Der ört­li­che Poli­zei­pres­se­spre­cher hät­te sich auch ande­re Fra­gen anhö­ren müs­sen.

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Schon seit eini­gen Jah­ren erwähnt Barack Oba­ma, wenn er wie­der mal mit zit­tern­der Unter­lip­pe ein State­ment zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ben muss, dass er bereits zu vie­le State­ments zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ge­ben habe.

Nun bin ich – Gott sei Dank – nicht der US-Prä­si­dent und glau­be auch nicht, dass es irgend­wel­che grö­ße­ren Aus­wir­kun­gen hat, wenn ich hier mei­ne Mei­nun­gen zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­li­che, aber auch ich habe schon viel zu oft mei­ne Mei­nung zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­licht:

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Betr.: Norwegen, Amy Winehouse

Wenn ich hier auf­schrie­be, was ich in den letz­ten 48 Stun­den am liebs­ten mit einer Viel­zahl Jour­na­lis­ten ange­stellt hät­te, wür­de man mich als „Hass­blog­ger“ bezeich­nen. Ver­mut­lich nicht ganz zu unrecht.

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Die Kunst des stilvollen Entkommens

Aus einer aktu­el­len Pres­se­mit­tei­lung des Ver­gleichs­por­tals fluege.de:

Wer trick­reich bucht, kann den­noch spa­ren

Japan-Rei­sen­de, die der­zeit spon­tan von Tokyo nach Deutsch­land flie­gen möch­ten, müs­sen zur­zeit viel Geld bezah­len – bis zu 8.200 Euro für ein Eco-Ticket. Das ergab eine Aus­wer­tung des größ­ten deut­schen Flug­por­tals fluege.de (2 Mio. Nut­zer im Monat, AGOF inter­net facts 2010-III). Wer Japans Kata­stro­phe lie­ber stil­voll mit einem First-Class-Ticket ent­kom­men möch­te, der muss der­zeit bei­spiels­wei­se für einen Flug von Tokyo nach Mün­chen sogar über 20.000 Euro bezah­len. (…)

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Die Achse des Blöden

Im heiß umkämpf­ten Ren­nen um den däm­lichs­ten Text zur Love­pa­ra­de-Kata­stro­phe ist „Welt Online“ mög­li­cher­wei­se unein­hol­bar in Füh­rung gegan­gen:

Tragische Orte: Duisburg verewigt sich auf der Landkarte des Grauens. Winnenden, Hoyerswerda, Eschede – der Schrecken klingt meist nach Provinz. Nun ist auch Duisburg auf der Landkarte des Grauens gelandet.

Autorin Bren­da Stroh­mai­er offen­bart dabei eine beein­dru­cken­de Phan­ta­sie:

Duis­burg ist auf der Land­kar­te des Grau­ens gelan­det. Orte wie Ramstein(offizielle Home­page), Winnenden(hier), Mügeln(hier) haben sich dort unfrei­wil­lig ver­ewigt, eben­so Bad Kleinen(hier) und Gladbeck(hier), Tscher­no­byl und Bho­pal. Wür­de man die per­fek­te Kar­te davon zeich­nen, so müss­te man auch eine maka­ber anmu­ten­de Legen­de ent­wer­fen. Bestimm­te Sym­bo­le stün­den für Unfall, Miss­brauch, Rechts­ra­di­ka­lis­mus. Und ver­schie­de­ne Far­ben für ver­schie­de­ne Opfer­zah­len. In Klam­mern hin­ter den Orten wür­de wohl jeweils die Jah­res­zahl der Kata­stro­phe ste­hen.

Die per­fek­te Kar­te des Grau­ens soll­te natür­lich auch noch die zen­tra­le Gedenk­stät­te und den Tag der all­jähr­li­chen Gedenk­ver­an­stal­tun­gen ver­zeich­nen.

Und natür­lich soll­te die Kar­te einen ziem­lich gro­ßen Maß­stab haben, weil die Orte ja alle so klein sind:

Wie eine Anti-Image­kam­pa­gne kata­pul­tiert das Unglück die Orte in eine Welt des unge­woll­ten Ruhms, in der ganz eige­ne, zyni­sche Regeln gel­ten. Eine davon: Je klei­ner und unbe­kann­ter der Ort, des­to wahr­schein­li­cher lan­det er wegen eines Ver­bre­chens auf der Land­kar­te. Der Schre­cken klingt meist nach Pro­vinz.

Schre­cken klingt also nach Pro­vinz, aber nicht nur: Er kann auch nach Groß­städ­ten klin­gen. Aber Groß­städ­te kön­nen auch ein Schutz sein.

Oder wie es Frau Stroh­mai­er selbst for­mu­liert:

Grö­ße schützt nicht immer: Sogar Metro­po­len lan­den auf der Welt­kar­te des fins­te­ren Ruh­mes – wenn das Aus­maß der Kata­stro­phe ent­spre­chend dimen­sio­niert ist. Seit dem 11. Sep­tem­ber 2001 klingt selbst New York nach Tra­gö­die. Und seit dem 24. Juli eben auch Duis­burg, die mit fast 500.000 Ein­woh­nern fünft­größ­te Stadt Nord­rhein-West­fa­lens. Doch die Grö­ße birgt auch die Chan­ce, dass der Name auf der Schre­ckens­kar­te wie­der ver­blasst.

Viel­leicht ist es also letzt­lich ent­schei­dend, ob eine Stadt egal wel­cher Grö­ße einen Mist­hau­fen hat, und was die Häh­ne auf dem so tun oder auch nicht.

Das Prin­zip hin­ter die­sem Text ist natür­lich nicht neu: Im ver­gan­ge­nen Jahr hat­te die Web­site der „Mün­che­ner Abend­zei­tung“ kurz nach dem Amok­lauf von … na klar: Win­nen­den in einer Klick­stre­cke bereits die „Orte des Grau­ens“ gekürt und schwa­fe­lig ver­kün­det:

Es gibt Orte, die für immer den Stem­pel des Grau­ens ver­passt bekom­men haben. Wenn man ihren Namen hört, denkt man unwill­kür­lich an die schreck­li­chen Taten und mensch­li­chen Tra­gö­di­en, die sich dort abge­spielt haben.

Das alles hat mit Jour­na­lis­mus natür­lich nichts mehr am Hut, es ist eine self ful­fil­ling pro­phe­cy, ähn­lich wie der Off-Kom­men­tar in der WDR-Son­der­sen­dung am Sams­tag­abend, in dem die Spre­che­rin bedeu­tungs­schwer ver­kün­de­te, das sei­en jetzt Bil­der, die die Men­schen nie mehr ver­ges­sen wer­den – Bil­der, die allein inner­halb der ein­stün­di­gen Sen­dung da gera­de zum vier­ten Mal über den Bild­schirm flim­mer­ten.

Bei Frau Stroh­mai­ers Land­kar­ten-Text kann man es sogar ganz prak­tisch über­prü­fen:

Neh­men wir Bries­kow-Fin­ken­heerd, 2500 Bewoh­ner, süd­lich von Frankfurt/​Oder gele­gen.

Na, klingelt’s?

Oder muss jemand nicht an die neun toten Babys den­ken, die im Som­mer 2005 gefun­den wur­den?

Ganz ehr­lich? Bis eben nicht, Frau Stroh­mai­er, bis eben nicht! Aber die Ein­woh­ner von Bries­kow-Fin­ken­heerd dan­ken es Ihnen sicher, dass sie die­se klei­ne Erin­ne­rungs­lü­cke bei mir geschlos­sen haben.

Es ist erstaun­lich, wie viel man auf logi­scher und sprach­li­cher Ebe­ne falsch machen kann, aber Bren­da Stroh­mai­er lässt auch nichts unver­sucht, ihre eige­ne The­se Wirk­lich­keit wer­den zu las­sen: Dass im Arti­kel selbst eine Stadt­so­zio­lo­gin zu Wort kommt, die rela­tiv zuver­sicht­lich ist, was Duis­burgs zukünf­ti­ge Kon­no­ta­tio­nen angeht? Geschenkt. Dass seit Sams­tag in ers­ter Linie von Unglü­cken, Kata­stro­phen und Tra­gö­di­en „bei der Love­pa­ra­de“ die Rede ist? Egal. Haupt­sa­che: Duis­burg. Oder „Duis­berg“, wie es gleich im ers­ten Satz heißt.

Dis­clo­sure: Ich bin in Duis­burg gebo­ren und schon mal von „Welt Online“ abge­mahnt wor­den.

Mit Dank an David S.

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Siehste!

Hin­ter­her hat man es ja sowie­so immer gewusst. Im Nach­hin­ein ist jedem klar, dass es die rich­ti­ge Ent­schei­dung gewe­sen war, die Love­pa­ra­de 2009 in Bochum abzu­sa­gen. Aber was haben wir damals auf den Stadt­obe­ren rum­ge­hackt …

Gut, die Art und Wei­se der Absa­ge war pein­lich gewe­sen: Nach Mona­ten plötz­lich fest­zu­stel­len, dass die Stadt dann doch irgend­wie zu klein ist, deu­te­te ent­we­der auf erstaun­lich schwa­che Orts­kennt­nis­se hin – oder auf einen besorg­nis­er­re­gen­den „Das muss doch irgend­wie zu schaf­fen sein“-Aktionismus, der die Augen vor der Rea­li­tät ver­schließt. Letzt­lich haben sie es in Bochum noch gemerkt, die Schuld an der Absa­ge der Deut­schen Bahn in die Schu­he gescho­ben und Häme und Spott ein­fach aus­ge­ses­sen. Dass der dama­li­ge Poli­zei­prä­si­dent, der sich laut­stark gegen die Durch­füh­rung der Love­pa­ra­de aus­ge­spro­chen hat­te, neun Mona­te spä­ter in den vor­zei­ti­gen Ruhe­stand ver­setzt wur­de, hat­te ja ganz ande­re Grün­de.

Erstaun­lich aber: Von der Sicher­heit war in all den Arti­keln, Kom­men­ta­ren und Pres­se­mit­tei­lun­gen kaum die Rede. Das kam nur am Ran­de zur Spra­che:

Ganz ande­re Risi­ken bewe­gen Mar­tin Jan­sen. Dem Lei­ten­den Poli­zei­di­rek­tor wäre die Rol­le zuge­fal­len, den wohl größ­ten Poli­zei­ein­satz aller Zei­ten in Bochum zu koor­di­nie­ren. „Wir hät­ten die Love­pa­ra­de nur unter Zurück­stel­lung erheb­li­cher Sicher­heits­be­den­ken ver­tre­ten.“ Knack­punkt ist nach sei­ner Ein­schät­zung der Bochu­mer Haupt­bahn­hof.

Aber um die Sicher­heit der zu erwar­ten­den Men­schen­mas­sen ging es auch im Vor­feld der Duis­bur­ger Love­pa­ra­de öffent­lich nie, immer nur um die Kos­ten:

Fritz Pleit­gen, Vor­sit­zen­der und Geschäfts­füh­rer der Ruhr.2010, beob­ach­tet mit gro­ßer Sor­ge, wie sehr die Aus­wir­kun­gen der Finanz­kri­se den Städ­ten der Metro­po­le Ruhr zu schaf­fen machen. Beson­ders prä­gnant sei das aktu­el­le Bei­spiel Love­pa­ra­de in Duis­burg. „Hier müs­sen alle Anstren­gun­gen unter­nom­men wer­den, um die­ses Fest der Sze­ne­kul­tur mit sei­ner inter­na­tio­na­len Strahl­kraft auf die Bei­ne zu stel­len.“

Dabei hät­te das Argu­ment „Men­schen­le­ben“ bestimmt auch Dampf­plau­de­rer wie Prof. Die­ter Gor­ny beein­dru­cken kön­nen, der im Janu­ar mal wie­der das tat, was er am Bes­ten kann, und groß tön­te:

„Man muss sich an einen Tisch setz­ten und den Wil­len bekun­den, die Love­pa­ra­de durch­zu­füh­ren, statt klein bei­zu­ge­ben.“ Die Poli­tik müs­se sich dahin­ge­hend erklä­ren, dass sie sagt: „Wir wol­len die Ver­an­stal­tung und alle Kraft ein­set­zen, sie zu ret­ten!“

Gor­ny, der sonst kei­nen öffent­li­chen Auf­tritt aus­lässt, hat sich seit Sams­tag­nach­mit­tag zurück­ge­zo­gen. Er sei „schwer erschüt­tert“, erklär­te die Ruhr.2010 auf Anfra­ge, und füg­te hin­zu:

Wir haben beschlos­sen, dass für die Kul­tur­haupt­stadt aus­schließ­lich Fritz Pleit­gen als Vor­sit­zen­der der Geschäfts­füh­rung spricht und bit­ten, dies zu respek­tie­ren.

Aber es gibt ja immer noch die Jour­na­lis­ten, die sich spä­tes­tens seit der denk­wür­di­gen Pres­se­kon­fe­renz am Sonn­tag­mit­tag als Ermitt­ler, Anklä­ger und Rich­ter sehen. Und als Sach­ver­stän­di­ge:

„We were the only news­pa­per that said: ‚No. Stop it. The city is not pre­pared. We will not be able to cope with all the­se peo­p­le,“

lässt sich Götz Mid­del­dorf von der „Neu­en Ruhr Zei­tung“ in der „New York Times“ zitie­ren.

Bei „Der Wes­ten“ for­der­te Mid­del­dorf bereits am Sonn­tag laut­stark den Rück­tritt von Ober­bür­ger­meis­ter Sau­er­land und kom­men­tier­te:

Auf die Fra­ge der NRZ, ob man nicht gese­hen habe, dass Duis­burg nicht geig­net ist für die Love­pa­ra­de ging der OB nicht ein, sprach von „Unter­stel­lung“ und wies mög­li­ches Mit­ver­schul­den der Stadt zurück.

Ich habe mich lan­ge durch alte Arti­kel gewühlt, aber nichts der­glei­chen gefun­den. Da das auch an der unfass­bar unüber­sicht­li­chen Archiv­su­che bei „Der Wes­ten“ lie­gen kann, habe ich Herrn Mid­del­dorf gefragt, nach wel­chen Arti­keln ich Aus­schau hal­ten soll­te. Eine Ant­wort habe ich bis­her nicht erhal­ten.

Wie kri­tisch die Duis­bur­ger Pres­se war, kann man zum Bei­spiel an Pas­sa­gen wie die­ser able­sen:

Die Orga­ni­sa­to­ren gaben sich am Diens­tag aller­dings sehr opti­mis­tisch, dass es kein Cha­os geben wer­de. „Die eine Mil­li­on Besu­cher wird ja nicht auf ein­mal, son­dern über den Tag ver­teilt kom­men“, so Rabe. Es sei zwar nicht aus­zu­schlie­ßen, dass der Zugang wäh­rend der zehn­stün­di­gen Ver­an­stal­tung kurz­zei­tig gesperrt wer­den müs­se, aber der­zeit gehe man nicht davon aus. Und wenn der Fall doch ein­tre­te, „dann haben wir ganz unter­schied­li­che Maß­nah­men, mit denen wir das pro­blem­los steu­ern kön­nen“, ver­spricht der Sicher­heits­de­zer­nent – bei den Details woll­te er sich nicht in die Kar­ten schau­en las­sen.

(Kri­tisch ist da der letz­te Halb­satz, neh­me ich an.)

Arti­kel wie der Kom­men­tar „Die Love­pa­ra­de als Glücks­fall“ vom 23. Juli oder die groß­spu­ri­gen Über­trei­bun­gen von Ord­nungs­de­zer­nent Rabe und Ver­an­stal­ter Lopa­vent die Kapa­zi­tät des Fes­ti­val­ge­län­des betref­fend sind plötz­lich off­line – „Tech­nik­pro­ble­me“, wie mir der Pres­se­spre­cher der WAZ-Grup­pe bereits am Diens­tag erklär­te.

Den (vor­läu­fi­gen) Gip­fel des Irr­sinns erklomm aber Rolf Hart­mann, stell­ver­tre­ten­der Redak­ti­ons­lei­ter der „WAZ“ Bochum. Anders als sei­ne Kol­le­gen, die sich hin­ter­her als akti­ve Mah­ner und War­ner sahen, schaff­te es Hart­mann in sei­nem Kom­men­tar am Diens­tag, völ­lig hin­ter dem The­ma zu ver­schwin­den:

Mei­ne Güte, war man Anfang 2009 über OB & Co her­ge­fal­len, als die Stadt Bochum die Love­pa­ra­de 2009 in Bochum absag­te.

„Man.“

Nach­trag, 1. August: Ste­fan Nig­ge­mei­er hat in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ über das glei­che The­ma geschrie­ben.

Ihm hat Götz Mid­del­dorf auch geant­wor­tet:

Auf Nach­fra­ge räumt Mid­del­dorf ein, dass Sicher­heits­be­den­ken nicht das The­ma waren. „Wir waren immer gegen die Love­pa­ra­de, aber aus ande­ren Grün­den.“ Dann muss die „Inter­na­tio­nal Herald Tri­bu­ne“ ihn mit sei­nem Lob für die eige­ne, ein­zig­ar­ti­ge Weit­sich­tig­keit wohl falsch ver­stan­den haben? „Das ver­mu­te ich mal“, ant­wor­tet Mid­del­dorf. „Das ist nicht ganz rich­tig.“ Er klingt nicht zer­knirscht.

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silence.

Ich woll­te was schrei­ben.

Muss ich jetzt nicht mehr.

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Die Ursachenvermutung von Köln

Ges­tern hat ein Haus in Köln das getan, was Häu­ser nicht tun soll­ten, wozu sie aber doch immer mal wie­der nei­gen: Es ist ein­ge­stürzt. Über den Ver­such, das Gan­ze medi­al zu fea­turen, habe ich mich bereits in mei­nem Blog auf freitag.de aus­ge­las­sen.

Sta­tis­tisch gese­hen ist die zweit­häu­figs­te Beschäf­ti­gung von Häu­sern nach „Rum­ste­hen“ wohl „Ein­stür­zen“. Die Geschich­te, ja sogar die Lite­ra­tur­ge­schich­te ist voll von Mau­ern, Tür­men und Häu­sern, die ein­ge­stürzt sind. Meis­tens fand sich irgend­ein Grund, der nicht sel­ten recht banal war.

Ges­tern hat­te sich der Staub noch nicht gelegt, da mut­maß­ten die ers­ten Men­schen schon, es kön­ne ja eigent­lich nur am Bau der neu­en Köl­ner U‑Bahn-Linie lie­gen. Es war von Tages­brü­chen die Rede (die sich bis­her nicht bestä­tigt zu haben schei­nen) und von schie­fen Kirch­tür­men.

Nun ist die Geschich­te der Köl­ner Nord-Süd-Bahn tat­säch­lich eine Geschich­te vie­ler, vie­ler Zwi­schen­fäl­le, die die Fra­ge auf­kom­men las­sen, ob da eigent­lich vor­her mal jemand nach­ge­guckt hat, durch was für ein Erd­reich man die Tun­nel zu schla­gen gedenkt und ob das mög­li­cher­wei­se Fol­gen haben könn­te (Grund­was­ser, Ver­drän­gung, man kennt das ja).

Trotz­dem habe ich mit der sofor­ti­gen Schuld­zu­wei­sung so mei­ne Pro­ble­me, was dar­an lie­gen könn­te, dass ich einer Fami­lie ent­stam­me, die seit Gene­ra­tio­nen Land­schaf­ten unter­höhlt und Häu­ser baut. Mil­li­me­ter­brei­te Ris­se in den Wän­den kön­nen die Vor­bo­ten einer nahen­den Kata­stro­phe sein – oder mil­li­me­ter­brei­te Ris­se, die sich bis zur Wie­der­kehr Chris­ti kaum ver­än­dern. Hin­ter­her weiß man es immer genau.

Es ver­wun­dert, dass nie­mand (nicht ein­mal der auf­ge­kratz­te Mode­ra­tor bei n‑tv) die Fra­ge stell­te, ob ein Ter­ror­an­schlag aus­zu­schlie­ßen sei. Immer­hin gäbe es doch gute Grün­de, 2000 Jah­re Stadt­ge­schich­te einer erz­ka­tho­li­schen Stadt, in der im letz­ten Jahr ein Anti-Islam-Kon­gress statt­fin­den soll­te, ein­fach mal so eben weg­zu­pus­ten. Aber Ter­ro­ris­mus, das war die Welt A.O. (Ante Oba­ma), heut­zu­ta­ge hat die Bun­des­re­gie­rung ja ein viel wir­kungs­vol­le­res Schreck­ge­spenst gefun­den, um Grund­rech­te ein­zu­schrän­ken: Kin­der­por­no­gra­phie. Die hat auch den Vor­teil, dass man da nicht mehr mit „Kul­tu­ren“ und „Unter­drü­ckung“ argu­men­tie­ren muss und es selbst in lin­ken Krei­sen unüb­lich ist, damit auch nur heim­lich zu sym­pa­thi­sie­ren. Jeder, der die Ver­brei­tungs­we­ge von Kin­der­por­no­gra­phie nicht bru­talst­mög­lich ein­schrän­ken will, ist selbst ein hal­ber Kin­der­schän­der – sagt zumin­dest Ilse Falk, die ein­zi­ge Poli­ti­ke­rin der Welt, die sich auch heu­te noch traut, Geor­ge W. Bush zu zitie­ren.

Doch zurück zum Ter­ro­ris­mus, zurück zum U‑Bahn-Bau: Nach den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 sei aus einem Volk von 80 Mil­lio­nen poten­ti­el­len Fuß­ball­bun­des­trai­nern eines von 80 Mil­lio­nen Islam- und Ter­ro­ris­mus­exper­ten gewor­den, hat der Kaba­ret­tist Vol­ker Pis­pers mal gesagt. Heu­te sind es ver­mut­lich 80 Mil­lio­nen Tun­nel­bau-Inge­nieu­re, die alle ganz genau wis­sen, war­um das schief gehen muss­te.

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Headlines And Deadlines

Aus dem Live­blog von heu­te Nacht:

00:35 Uhr: Oha, schwe­rer Bus­un­fall bei Han­no­ver mit 20 Toten. Das macht es für die Titel­sei­ten­re­dak­teu­re von „Bild“ auch nicht ein­fa­cher.

00:39 Uhr: „Bild“ hat wirk­lich ein Schlag­zei­len-Pro­blem: Boris Becker und San­dy Mey­er-Wöl­den haben sich getrennt!

Immer noch berauscht von dem Sta­tis­ti­ko­ver­kill auf CNN hab ich dann heu­te für Sie ein­mal nach­ge­mes­sen:

Titelseite der "Bild"-Zeitung vom 5. November 2008

Die Gesamt­grö­ße der Titel­sei­te beträgt inklu­si­ve Weiß­flä­chen 2.280 cm², davon ent­fal­len

  • 679 cm² (29,8%, blau) auf die Prä­si­dent­schafts­wahl (deren Aus­gang bei Druck­le­gung noch nicht fest­stand)
  • 252 cm² (11%, gelb) auf den Bus­un­fall
  • 126 cm² (5,5%, rot) auf Boris Becker
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Leben

Die Tiere sind unruhig

Ich war immer schon sehr fas­zi­niert von der Tat­sa­che, dass Tie­re Erd­be­ben und ähn­li­che Kata­stro­phen „vor­her­sa­gen“ kön­nen.

Des­we­gen bin ich jetzt irgend­wie beun­ru­higt:

Wie wird da wohl die Schlag­zei­le der mor­gi­gen „Bild am Sonn­tag“ aus­se­hen?