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Boulevardjournalismus-Mäander

Es gibt Texte, die neben ihrem eigentlichen Inhalt auch ihre eigene Entstehungsgeschichte transportieren. In der heutigen “Bild am Sonntag” gibt es mindestens zwei dieser Sorte:

Zehn Kollegen haben Stefan Hauck (der als Experte auf dem Gebiet der Existenzvernichtung zu gelten hat) bei seinem Versuch unterstützt, das Privatleben von Jörg Kachelmann auszuloten.

Sie haben dabei keine großen Erkenntnisse gewonnen und die Enttäuschung darüber schwingt mit:

Viel genauer geht es nicht, denn auch am Ende von langen Gesprächen mit Weggefährten, Freunden, Geliebten, Kollegen und Feinden des Beschuldigten, hat zwar jeder über Jörg-Andreas Kachelmann gesprochen – aber immer einen anderen Menschen geschildert.

Da betreibt man so einen Aufwand und am Ende sitzt man vor einem Berg aus Puzzleteilen, die alle nicht so rechtzusammenpassen wollen. Aber wenn man sie doch gewaltsam zusammenhämmert, entsteht da das Bild eines Menschen — oder, wie Hauck schreibt, einer “widersprüchlichen Person”.

“Herzlichen Glückwunsch!”, möchte man fast ausrufen, “Sie haben soeben begriffen, dass die wenigsten Menschen zweidimensionale Wesen sind!” Aber das wäre Quatsch. Hauck hat nichts begriffen, wie er gleich zu Beginn seines Textes selbst herausposaunt:

Bis vergangenen Montag hat sich kein Mensch ernsthaft dafür interessiert, was der Fernsehstar Jörg Kachelmann, 51, für eine Beziehung zu Frauen hat. Und ob überhaupt. Kachelmann ist ein Star des Fernsehens, ist aber, was den “Glam-Faktor” anbelangt, also die Maßeinheit, in der man das Glitzernde eines Fernseh-Menschen misst, natürlich kein Roberto Blanco, wer ist schon wie Roberto Blanco?

Wenn sich bis letzte Woche “kein Mensch ernsthaft” für das Intimleben dieses angeblich so unglamourösen Fernsehstars interessiert hat, warum sollte man es jetzt tun? Weil es helfen würde, als Außenstehender zu beurteilen, ob Kachelmann die Tat, die ihm vorgeworfen wird, begangen haben könnte? (Und was hat das Wort “ernsthaft” überhaupt in diesem Satz zu suchen?)

Die Suche nach Erklärungsmustern ist zutiefst menschlich, aber während es bei Amokläufern oder Terroristen, ((Der Kabarettist Volker Pispers sagte einmal über die Reporter, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 in Hamburg das Umfeld des Anführers Mohammed Atta ausgefragt hatten: “Solche Menschen können Sie nur zufriedenstellen, indem Sie sagen: ‘Ja, so ein bisschen nach Schwefel gerochen hat er schon ab und zu.'”)) die ihre Taten in und an der Öffentlichkeit begangen haben, noch ein gerechtfertigtes Interesse an ihrer Vorgeschichte geben könnte – um im Idealfall in ähnlich gelagerten Fällen Taten zu vermeiden – geht es im “Fall Kachelmann” um das exakte Gegenteil: Ein mögliches Verbrechen im denkbar intimsten Rahmen, in dessen Folge nicht nur der mutmaßliche Täter der Öffentlichkeit präsentiert wird, sondern auch das potentielle Opfer, notdürftig anonymisiert.

* * *

Die andere Geschichte hat nur eine Autorennennung, aber schon der erste Satz deutet an, dass auch Nicola Pohl nicht allein war, als sie im privaten Umfeld der deutschen Grand-Prix-Hoffnung Lena Meyer-Landrut wühlte:

Einen wehmütigen Jungen mit dünnem Bart. Eine Tanzlehrerin, die abhebt. Einen Friseur, der der Neunjährigen die Spitzen schnitt. Sie alle trafen wir, als wir zwei Tage durch Lena Meyer-Landruts Leben spazierten und uns fragten: Wo lebt, lacht, liebt, lümmelt Lena?

Die Recherche muss noch enttäuschender verlaufen sein als die bei Kachelmann: Aus der Überschrift “Wie heil ist Lenas Welt?” tropft förmlich die Hoffnung auf Familiendramen, Drogen, Sex und Schummeln bei den Vorabiklausuren, aber nichts davon hat die Autorin gefunden. Jetzt muss sie unüberprüfbare und belanglose Aussagen wie “Für 7,90 Euro ließ sie sich Spitzen schneiden” als Sensations-Meldung verkaufen. Wenn man schon sonst nichts gefunden hat und extra hingefahren ist.

* * *

Mal davon ab, dass ein Friseur, der mit irgendwelchen wildfremden Menschen über mich redet, mir die längste Zeit seines Lebens die Haare geschnitten hätte, habe ich nie verstanden, was so interessant sein soll am Privatleben von Prominenten. Ich bin mir sicher, wenn man die Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder eines beliebigen Menschen befragt, werden die meisten nicht viel mehr als zwei, drei Sätze über die betreffende Person berichten können — wohl aber erstaunliche Details aus dem Privatleben von Brad Pitt, Angelina Jolie, Sandra Bullock und Tiger Woods.

Es ist mir egal, wie oft Ben Folds schon verheiratet war, welche Drogen Pete Doherty gerade nimmt und welche Haarfarbe Lily Allen im Moment hat. Ich wünsche diesen Prominenten wie allen anderen Menschen auch, dass es ihnen gut geht. ((Auch wenn Musiker meist die besseren Songs schreiben, wenn es ihnen schlecht geht, aber so egoistisch sollte man als Hörer dann auch nicht sein.)) Mich interessiert ja offen gestanden schon nicht, was die meisten Menschen so machen, mit denen ich zur Schule gegangen bin. ((Selbst einige Sachen, die mir gute Freunde über sich erzählt haben, hätte ich am liebsten nie erfahren. Aber mit dieser Last muss man in einer Freundschaft irgendwie klarkommen.))

* * *

Es sind Texte wie diese zwei aus “Bild am Sonntag”, bei denen man hofft, bei der Auswahl der eigenen Freunde das richtige Fingerspitzengefühl bewiesen zu haben, auf dass diese nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Journalisten plaudern, wenn man selbst mal zufälligerweise unter einen Tanklaster geraten sollte. Gleichzeitig ahnt man natürlich auch, dass die Menschen, die reden würden, nur das Schlechteste über einen zu berichten wüssten: Frühere Mitschüler, mit denen man nie etwas zu tun hatte; Ex-Kollegen, die man im Eifer des Gefechts mal eine Spur zu hart angegangen hat; Internet-Nutzer, die glauben, aufgrund der Lektüre verschiedener Blog-Einträge und -Kommentare einen Eindruck von der eigenen Person zu haben.

* * *

Überhaupt sollte man bei dieser Gelegenheit und für alle Zeiten noch mal auf den Ratgeber “Hilfe, ich bin in BILD!” zu verweisen, den die Kollegen vor mehr als drei Jahren zusammengestellt haben, aber der natürlich immer noch gültig ist, wenn “Bild”-Reporter, Menschen, die sich als solche ausgeben, oder andere Medienvertreter bei einem anrufen.

* * *

Wenn ein Verkehrsminister seinen Führerschein wegen Geschwindigkeitsüberschreitung abgeben muss, ist das eine interessante Information, weil seine private Verfehlung mit seinem öffentlichen Amt kollidiert. Wenn dagegen ein Landwirtschaftsminister beim Rasen erwischt würde, sähe ich keinen Zusammenhang zu seinem Amt und somit auch keinen Grund für öffentliche Verlautbarungen. ((Dass sich generell jeder an die Verkehrsregeln halten sollte, steht dabei außer Frage.))

Im Falle Kachelmann haben die Vorwürfe gegen ihn nichts mit seinem Beruf zu tun. Zwar ist es durchaus denkbar, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender auf die Dienste vorbestrafter Moderatoren verzichten würde (schon, um Schlagzeilen wie “Unsere Gebühren für den Vergewaltiger!” zu vermeiden), aber darüber kann die ARD ja immer noch entscheiden, wenn es ein rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts gibt.

Allein über die irrige (und oft gefährliche) Annahme, man müsse immer sofort losberichten, wenn man von einer Sache Wind bekommen hat, könnte ich mich stundenlang auslassen. Das Internet und der herbeiphantasierte Anspruch, man müsse nicht der Beste, sondern nur der Schnellste sein, hat Journalismus zu etwas werden lassen, was mit “work in progress” mitunter noch schmeichelhaft umschrieben wäre. “Work in preparation” wäre mitunter passender.

* * *

Von der Arbeitsweise mancher Medienvertreter konnte ich mich in den letzten Tagen selbst überzeugen, als mich ein Mitarbeiter der Zeitschrift “Der Journalist” anrief, die ausgerechnet vom Deutschen Journalisten-Verband herausgegeben wird: Es ging um Vorwürfe, ein Kollege, der auch für BILDblog schreibt, habe Zitate erfunden. Der Mann vom “Journalisten” wollte die Handy-Nummer des Kollegen, die ich ihm nicht geben konnte, und erklärte mir dann, er wolle auf alle Fälle erst mal mit dem Betroffenen selbst sprechen, bevor er etwas veröffentliche. Der Zeitdruck sei ja auch nicht sooo groß, zumal bei einer Monatszeitschrift.

“Das ehrt Sie schon mal”, hatte ich sagen wollen, es dann aber doch nicht getan, weil es mir albern erschien, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu loben. Glück gehabt, denn ich hätte mein Lob zurücknehmen müssen, wie sich alsbald zeigte.

* * *

Doch noch einmal zurück zu Jörg Kachelmann: Wenn sich die Redaktion der “Tagesschau” nach langen Diskussionen entscheidet, nicht über die Vorwürfe gegen ihn und seine Verhaftung zu berichten, kriegt sie dafür einen auf den Deckel.

Die selben Medien, die sich im Vergleich zum bösen, bösen Internet (das neben hundert anderen Gesichtern natürlich auch seine hässliche Fratze zeigt) immer wieder ihrer “Gatekeeper”-Funktion rühmen (die also wichtige von unwichtigen, richtige von unrichtigen Meldungen unterscheiden zu können glauben), haben ihre eigenen Scheunentore sperrangelweit offen und leiten ihre Verpflichtung (mit einer Berechtigung ist es nicht getan) zur Berichterstattung daraus ab, dass auch die Justiz aktiv geworden ist.

Franz Baden auf sueddeutsche.de:

Im Fall Kachelmann hat eine Frau Strafanzeige erstattet – und das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl erlassen, als sich der Tatverdacht erhärtet habe. Darüber wird berichtet werden müssen.

Wenn sich ein Journalist hinstellt und zu Besonnenheit aufruft, wie es Michalis Pantelouris in seinem Blog “Print Würgt” getan hat, kommt der Chefredakteur des Mediendienstes des Trash-Portals von Meedia.de vorbei und wirft ihm in einem Kommentar vor, solche Blogeinträge seien “rufschädigend für den Journalismus”.

Mir ist nach der letzten Woche ehrlich gesagt nicht ganz klar, auf was für einen Ruf er sich da eigentlich noch bezieht.

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Adam and Steve

Heute wird die Firma “Apple” (die meinen defekten iPod übrigens nach nur zwei Monaten ausgetauscht bekommen hat) offensichtlich ein Gerät vorstellen, das – wenn ich das richtig verstanden habe – über einen Flux-Kompensator, einen Warp-Antrieb und ein Autoradio verfügen wird, das ausschließlich gute Musik spielt. (Okay: Letzteres wird vermutlich technisch unmöglich sein.)

Bevor es aber so weit ist, möchte ich Ihnen zwei Texte zum Thema empfehlen.

Der eine beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Journalisten und Apple:

Der Jubel von heute abend ist seit Tagen bereits zu hören – er hat in den Blättern und Sendern längst begonnen. Und wenn auch das in den Fanblogs und Magazinen für Videogamer nichts Neues ist: In der Tages- und Wochenpresse ist es zumindest in den aktuellen Ausmaßen ungewohnt, um nicht zu sagen verantwortungslos.

“Steve Jobs als Messias einer Branche” von Peter Sennhauser

Der andere stammt von einem Mann, der nicht gerade oft durch eine besonnene und vernünftige Kommentierung der Welt auffällt. Aber er sorgt mit seiner verzerrten Wahrnehmung der Welt durchaus für einen Moment des Innehaltens:

Ich liebe es, wenn der Postbote bei mir läutet, meine Abo-Hörzu auf dem Fernseher liegt, mein Nachbar mich fragt, wie es mir geht und ich die alte Dame im dritten Stock über den eisglatten Gehweg zum Gemüsetürken begleite

“Lieber Steve Jobs (Mr. Apple)” von Franz Josef Wagner

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Schreipflicht

Kennen Sie das? Man fährt gemütlich in seinem Dienstwagen an der Spree entlang, hört ein bisschen Radio, und ab und an kriegt man die Scheiben an den Ampeln geputzt. Manchmal sagt man “Nein”, dann machen die Damen und Herren das trotzdem, man gibt fünfzig Cent, kein Problem, schließlich ist man ja Gesundheitsministerin, und schwupps hat man die Zeit vergessen und sitzt irgendwo in Spanien und das Auto ist einem unter dem Allerwertesten weg geklaut worden. So schnell kann’s gehen. Erstmal zum zweiten Thema:

Dienstwagen im Sommerloch – das ist ganz und gar brandgefährlich. Die Gedankenverbindung von “Dienstwagen” zu “Affäre” ist eine der kürzesten überhaupt.

Das steht heute auf Zeit Online und auch im Online-Angebot des “Tagesspiegel”. Man kann jetzt versuchen, sich zu erinnern, wann man das letzte Mal diese kürzeste aller Gedankenbrücken schlagen musste. Und wenn das überraschenderweise noch nie der Fall gewesen sein sollte, setzt man alles daran, die Assoziationskette genuin und neu nachzuverfolgen, aber wenn ich das tue, komme ich von “Dienstwagen” immer nur bei “Benzin” vorbei zu “Tankstelle” und dann vielleicht noch zu “Scheiße, EC-Karte nicht dabei”, aber das ist ja schon eine relativ lange Verbindung. Und wie man von “Scheiße, EC-Karte nicht dabei” so flugs zu “Affäre” kommt, ist mir in dem Zusammenhang eher schleierhaft. Vermutlich ist es eher so, dass da einmal wieder jemand dachte, dass man durch möglichst uneigentlichen Schreibstil besonders leicht zu knüppelharten Aphorismen kommt. Das sei so sicher wie die Rente.

Persönlich, und das muss natürlich nichts heißen, bin ich der Meinung, dass es nicht unbedingt nötig war, so eine Panzerlimousine mit in den Urlaub zu nehmen, aber die paar Tausend Euro hätte man auch ohne Dienstwagen gut anderweitig loswerden können. Muss man sich also nicht drüber aufregen. Aber: Wer bin ich schon, um so eine Behauptung aufzustellen?

Aufregen kann man sich nämlich auch über weit geringere Dinge, womit wir beim eigentlich ersten Thema angelangt wären. Die “Süddeutsche Zeitung” druckt heute (wie an jedem Tag seit 1946) auf ihrer Titelseite die Glosse mit dem Namen “Streiflicht”. Die ist manchmal ziemlich witzig, oft ziemlich bemüht, witzig zu sein und in den gottlob seltensten Fällen irgendwie ein Griff ins Klo. Heute geht es um besagte Fensterputzer an Berliner Ampelkreuzungen:

Bis vor kurzem handelte es sich bei diesen Serviceleuten um Punks. Sie waren sehr freundlich, denn an jeder Kreuzung des Lebens, an der es links zur Anarchie geht und rechts zur Schrankwand aus Eiche, waren sie einfach geadeaus weitergetrottet […]. Lehnte also der gemeine Berliner ihre Offerte ab, etwa mit den Worten “Solange ick dir hierdurch erkennen kann, lässte deine Finger von”, trollten sich die artigen Punks. Was ihre dem Aussehen und Vernehmen nach aus Südosteuropa kommenden Nachfolger nicht tun. Sie wischen trotzdem. Dann halten sie die nasse Hand auf.

Dann wird sich da noch ein bisschen über ein paar Aufkleber ausgelassen und geendet wird mit der unspezifischen Aussage, dass nicht jeder gleich ein Schwein sei, der an der Ampel nein sagt. Zunächst war ich mir nicht so ganz sicher, was ich davon zu halten hatte. Ich kenne leider niemanden persönlich, der sich durch seine finanziellen Umstände irgendwie dazu gezwungen sieht, den halben Tag mit Schwimmfingern auf der Friedrichstraße herumzustehen, aber ich kann mir vorstellen, dass dieser jemand, läse er diese Kolumne, sich ein bisschen fühlen würde wie der, über den man in der achten Klasse gelästert hat, ohne zu bemerken, dass er hinter einem stand. Auf der Titelseite ist das Ding jedenfalls irgendwie frech, auf der Meinungsseite wäre es aufgrund der fehlenden Relevanz sowieso nicht aufgetaucht, und wenn man es in die Panorama-Ecke stellt, wüsste der Leser ja sowieso gleich, was Phase ist. Hätte man man besser abgebügelt.

Dennoch gibt es heute auch eine frohe Botschaft: Die “taz” hat begriffen, dass die Wahrheit manchmal einfach schöner und leichter verdaulich ist als die Wahrheit.

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Der letzte Strohhalm könnte blühen

Blühende Strohhalme (Symbolfoto: Lukas Heinser)

In der letzten tagesaktuellen Fernsehsendung, die ich mir noch ansehe, der “Daily Show”, war am Montag der Journalist Walter Isaacson zu Gast, um über die Zukunft des Journalismus zu sprechen:

Hier klicken, um den Inhalt von media.mtvnservices.com anzuzeigen

Im Wesentlichen hat er dabei (das war ja der Aufhänger seines Auftritts) seine Titelstory aus dem aktuellen “Time”-Magazine paraphrasiert: Ein Journalismus, der sich nur auf Werbekunden verlasse, verliere erstens seine Bindung zum Rezipienten und könne zweitens in Krisenzeiten (so wie … jetzt) schnell ganz ohne Geld dastehen, so Isaacson.

Aber er hat ja schon eine Idee:

So I am hoping that this year will see the dawn of a bold, old idea that will provide yet another option that some news organizations might choose: getting paid by users for the services they provide and the journalism they produce.

Das klingt in Zeiten, in denen eine zunehmende Zahl von Zeitungen und Zeitschriften ihre Archive kostenlos ins Internet stellt und Google das Seine dazu beiträgt, zunächst einmal völlig anachronistisch.

Isaacson manövriert sich dann auch etwas in argumentativen Treibsand, wenn er angesichts einer blühenden Open-Source-Szene ausgerechnet Beispiele wie dieses anführt:

For example, when Bill Gates noticed in 1976 that hobbyists were freely sharing Altair BASIC, a code he and his colleagues had written, he sent an open letter to members of the Homebrew Computer Club telling them to stop. “One thing you do is prevent good software from being written,” he railed. “Who can afford to do professional work for nothing?”

Andererseits weiß auch ich – bei aller Sympathie für Open Source, Musik-Verschenken und ähnlichem -, dass wir alle irgendwie Geld verdienen müssen. Auch ich würde gerne irgendwann mal eine Familie ernähren können.

Und so kommt Isaacson zu einem Schluss, dem ich mir eigentlich nur anschließen kann:

We need something like digital coins or an E-ZPass digital wallet — a one-click system with a really simple interface that will permit impulse purchases of a newspaper, magazine, article, blog or video for a penny, nickel, dime or whatever the creator chooses to charge.

Isaacson denkt dabei an lächerlich erscheinende Preise (5 Cent pro Artikel, 10 Cent für eine Tagesausgabe, 2 Dollar für einen Monat), die sich aber sicher schnell ordentlich summieren würden.

iTunes und der Appstore fürs iPhone beweisen, dass Menschen durchaus bereit sind, Geld für Produkte zu zahlen — es muss nur ganz einfach funktionieren. Als Bezahlung für journalistische Arbeit (dann aber bitte gute!) wären sogenannte Micropayment-Systeme durchaus denkbar. Man müsste nur erstmal eines (er)finden, das einfach funktioniert und universell einsetzbar ist.

Die nächsten Schritte wären klar: Wenn jeder Geld zahlen und empfangen könnte, könnten Nachwuchsbands virtuelle Hüte auf ihrer MySpace-Seite aufstellen, wir könnten Bloggern ein paar Cent zustecken, wenn uns ihre Artikel gefallen haben, oder dem Fotografen unseres Desktop-Hintergrundbildes eine kleine finanzielle Aufmerksamkeit zukommen lassen.

Und wir könnten noch weiter gehen: Statt Rundfunkgebühren über eine kafkaeske Behörde einziehen zu lassen, könnten sich die öffentlich-rechtlichen Sender direkt entlohnen lassen. Niemand, den es nicht interessiert, müsste noch die vielzitierten Volksmusik-Sendungen subventionieren. Das Geld könnte direkt in die einzelnen Redaktionen fließen und mein Geld würde zu null Prozent in Eins-Live-Comedy gesteckt, aber an die Macher des “Zeitzeichens” gehen.

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Die Zukunft hielt 12 Monate

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: zoomer.de, das ambitionierte Zukunft-der-Nachrichten-Portal der Holtzbrinck-Gruppe, wird Ende des Monats eingestellt.

Gut: Die Bombe ging nicht hoch, sondern wirbelte allenfalls ein bisschen Staub auf. Aber so wird sie wenigstens in sechzig Jahren für Beschäftigung des Kampfmittelräumdienstes, mehrstündige Unterrichtsausfälle und große Artikel im Lokaljournalismus sorgen. Und das ist vermutlich mehr Positives, als sich über das eine Jahr zoomer.de selbst sagen ließe.

Ende Januar gab der Axel-Springer-Verlag bekannt, dass Zoomer-Chefredakteur Frank Syré, der sich immerhin die Mühe gemacht hatte, auch abwegigste Bildergalerien in Blog-Kommentaren zu rechtfertigen, am 1. März als stellvertretender Chefredakteur zu bild.de geht. Jetzt steht fest: einen Nachfolger wird er nicht brauchen.

zoomer.de ist grandios, aber weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit gescheitert. Selbst jene Blogs, die sich sonst an den kleinen und großen Fehlern deutscher Nachrichtenportale weiden, hatten schon kurz nach dem Start keine Lust mehr, und beim Erstellen unserer internen Wer-macht-noch-wie-lange-Liste (“‘Vanity Fair’: Ostern 2009”) haben wir die Seite schlicht vergessen.

In den letzten Monaten hatte man sich dort (soweit ich das bei meinen Besuchen einmal im Quartal beobachten konnte) mit zunehmender Verzweiflung um Aufmerksamkeit bemüht, indem man Radaubrüdern wie David Harnasch (“Die Achse des Guten”) oder MC Winkel (“Whudat”) eine Plattform bot oder den “Herausgeber” Ulrich Wickert über Sprache dozieren ließ.

Selbst die als “Provokation” apostrophierte Klickstrecke “Die schlimmsten Städte Deutschlands” schaffte es auf gerade 23 Kommentare und Null Blog-Verlinkungen. Nicht einmal die größten Lokalpatrioten wollten angesichts der grauenhaft recherchierten Schmähung Bochums (“ganze zwei Kinos”, “nachts ist nichts los”) auch nur einen Finger rühren. zoomer.de war zu dem Irren geworden, der in der Fußgängerzone vor sich hin brabbelt, aber von dem alle wissen, dass er harmlos ist.

Möglicherweise böte das erstaunlich schnelle Scheitern von zoomer.de die Gelegenheit, mal darüber nachzudenken, ob Mitmachportale wirklich die “Zukunft der Nachrichten” sind. Ich kann nur für mich sprechen, aber gerade in über-medialisierten Zeiten habe ich gerne die Schlagzeilen kurz und knackig beisammen und will nicht abstimmen müssen, was die Top-Story ist. Für Meinungen und Analysen gehe ich dann zu Leuten, deren Meinung mich interessiert und die ich ernst nehmen kann.

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Was unternehmen für Unternehmen

Anschreiben der Jungen Presse NRW und Broschüre zum Wettbewerb "Enterprize"

Die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) ist eine Lobbyorganisation, die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall betrieben wird. Ihr Name ist ziemlich irreführend, denn ihre Positionen lassen sich gut unter dem Rubrum “Wirtschaftsliberalismus” zusammenfassen: So tritt sie für eine Reduzierung des Sozialstaats ein, fordert “flexiblere” Löhne, “mehr Effizienz und mehr Tempo” in der Bildungspolitik und Steuersenkungen.

Bis hierhin könnte man noch von einem ganz normalen Interessenverband sprechen, der die Interessen seiner Mitglieder (eben der Arbeitgeber) vertritt. Aber auch viele Politiker gehören zum “Beraterkreis” oder zum Förderverein der INSM, der von der INSM entworfene Slogan “Sozial ist, was Arbeit schafft” war auch schon Wahlkampfmotto von CDU/CSU und FDP. Es kann durchaus schon mal vorkommen, dass in einer Fernsehtalkshow die Hälfte der Gäste diesem Verein nahestehen und seine Positionen vertreten. Der Zuschauer erfährt von alledem nichts.

Das Problem sind ja nicht primär Organisationen, die bestimmte Positionen vertreten und PR-Fachleute zur Verbreitung einsetzen — das Problem sind die Medien, die diese Positionen nicht kritisch hinterfragen, ihre Leser und Zuschauer nicht über die Hintergründe aufklären oder gleich gemeinsame Sache mit solchen Organisationen machen. Und das gelingt der INSM meisterhaft: laut Wikipedia gab es bisher “Medienpartnerschaften” mit der “Financial Times Deutschland”, “Wirtschaftswoche”, der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”, “Focus”, “Handelsblatt” und der “Fuldaer Zeitung”. Mit der “FAS” zeichnet die INSM einmal im Jahr den “Reformer des Jahres” aus, im Jahr 2003 gab es sogar den “Blockierer des Jahres” — zufälligerweise den Chef der IG Metall, Jürgen Peters. (Noch mal zum Mitschreiben: der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verleiht über Bande einen Schmähpreis an den Arbeitnehmerführer der Metallindustrie und die Presse schreibt das völlig kritiklos auf.)

Vor mehr als drei Jahren berichtete der “Freitag” (für dessen neuen Internetauftritt ich arbeite) in einem mittlerweile zum Klassiker avancierten Artikel, wie die INSM kritische Journalisten in Misskredit zu bringen versucht, und auch dieser etwa gleich alte Beitrag von “Zapp” (Transkript hier) liefert einen ganz guten Überblick über die Arbeit der “Initiative”. Es gibt also genügend Gründe, diesem Verein kritisch gegenüber zu stehen.

Entsprechend … äh: “überrascht” war ich, als ich von der Jungen Presse NRW, bei der ich seit knapp fünf Jahren Mitglied bin, Unterlagen zu einem “Wettbewerb für junge Redakteure” geschickt bekam, der von der INSM und dem Jugendmedienzentrum Deutschland veranstaltet wird.

In der Broschüre wird der Wettbewerb “Enterprize” wie folgt beschrieben:

Hast Du schon mal in Deinen Schulbüchern das Kapitel über Unternehmertum gefunden? Wir auch nicht! In den meisten deutschen Schulbüchern kommen Unternehmen praktisch nicht vor. Dabei spielen sie in unserem Alltag eine wichtige Rolle: Vor allem den kleinen und mittelständischen Unternehmen ist es zu verdanken, dass die Arbeitslosigkeit zuletzt so stark gesunken ist. Daher ist es wichtig, sich näher mit der Bedeutung von Unternehmen und deren Arbeit zu beschäftigen.

Hier setzt der Wettbewerb des Jugendmedienzentrums Deutschland e.V. und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) an. Ziel ist es, Dich als jungen Redakteur für die Arbeit von Unternehmen zu interessieren. Tag für Tag entwickeln sie neue Produkte, bieten innovative Dienstleistungen an und schaffen dabei vielleicht auch Deinen zukünftigen Arbeitsplatz. Was genau sie tun, sollst Du herausfinden! Was treibt die Unternehmer an? Was ärgert sie, was freut sie?

Ja, was ärgert diese innovativen Unternehmer, die die Arbeitslosigkeit so toll gesenkt haben?

Mögliche Antworten bekommt man vielleicht, wenn man die “möglichen Leitfragen” aus der Broschüre stellt:

  • Beschreibe das Unternehmen (Größe, Branche, Produkt etc.).
  • Schildere die Existenzgründung (Motivation des Unternehmers, Idee, Verlauf der Gründung, Förderung etc.).
  • Stelle dar, wie das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sichern möchte (Aus-/Fortbildung, Konzentration auf Marktnischen etc.).
  • Erkläre, was dem Unternehmer an seiner Selbstständigkeit gefällt und was nicht.
  • Frage, welche wirtschaftspolitische Veränderung dem Unternehmen am meisten helfen würde.

Für alle, die nicht nachfragen wollen, um welche “wirtschaftspolitischen Veränderungen” es sich handeln könnte: Ich hätte da so eine Idee

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass die Broschüre der Zielgruppe (“bundesweit für Schülerzeitungsredakteure ausgeschrieben”) keineswegs verschweigt, wer diesen Wettbewerb ausrichtet. Ob die Informationen allerdings wirklich hilfreich sind, steht auf einem anderen Blatt (das dem Infomaterial nicht beiliegt):

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist eine überparteiliche Bewegung von Bürgern, Unternehmen und Verbänden für marktwirtschaftliche Reformen. Getragen wird sie von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie.

Nun weiß ich nicht, ob ich da vielleicht etwas überempfindlich bin, aber ich halte es für grenzwertig, wenn ein Journalistenverband gemeinsam mit einer Lobby-Gruppe einen Schreibwettbewerb veranstaltet — erst recht, wenn sich daran junge Schreiber beteiligen sollen. Viele von ihnen werden sich gar nicht groß mit dem Co-Ausrichter befassen (was man ihnen – anders als ihren großen Kollegen – auch nicht wirklich vorwerfen kann), den Namen INSM aber als etwas diffus Positives in ihrem Unterbewusstsein abspeichern. Und das ist ja Sinn und Zweck der Aktion.

Ich habe bei der Jungen Presse und beim Jugendmedienzentrum (die übrigens beide unter der selben Essener Adresse zu erreichen sind) nachgefragt, ob man dort meine Bauchschmerzen teilt.

Felix Winnands, Vorsitzender der Jungen Presse NRW, schrieb mir, man sei dort “auf die Zusammenarbeit mit Partnern angewiesen”, um die Leistungen und Veranstaltungen finanzieren zu können.

Zum konkreten Fall schrieb er:

Sicher ist die INSM nicht unumstritten, dies trifft jedoch auch auf andere Partner der Junge Presse zu. Aus diesem Grund regen wir zu unabhängiger Berichterstattung an und lassen natürlich auch kritische Beiträge zu unseren Partnern zu (beim VISA Nachwuchsjournalistenpreis “Eine bargeldlose Welt” haben in der Auswahl der unabhängigen Jury auch kritische Beiträge gewonnen und darauf legen wir erhöhten Wert).

Zu diesen “nicht unumstrittenen” Partnern gehört auch die GEMA, die letztes Jahr beim von der Jungen Presse veranstalteten Jugendmedienevent einige “GEMA-Scouts” unter die Teilnehmer gemischt hatte. Till Achinger, der wie ich Referent beim Jugendmedienevent war, hatte damals recht ausführlich darüber gebloggt.

Das Jugendmedienzentrum, das den Wettbewerb gemeinsam mit der INSM ausrichtet und dem ich ebenfalls die Möglichkeit einer Stellungnahme geben wollte, hat auch nach mehr als einer Woche nicht auf meine E-Mail reagiert. Genauso wenig wie das Jury-Mitglied Ralf-Dieter Brunowsky, Vorsitzender der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.

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Dear Mr. President

Bevor heute Abend das traditionsreiche Fußballspiel zwischen Deutschland und England stattfindet (also das Aufeinandertreffen zweier einst ruhmreicher Fußballnationen), möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, was das für ein Verein ist, dem Sie da heute vermutlich die Daumen drücken werden:

Nachdem DFB-Präsident Theo Zwanziger in zwei Instanzen mit seinem Versuch gescheitert war, dem freien Sportjournalisten Jens Weinreich untersagen zu lassen, ihn einen “unglaublichen Demagogen” zu nennen, hat der DFB am vergangenen Freitag eine große Verleumdungskampagne gegen Weinreich losgetreten.

Dabei kehrt der DFB nicht nur die beiden Gerichtsentscheidungen zu Ungunsten Zwanzigers unter den Teppich, er verdreht in seiner Pressemitteilung auch munter Sachverhalte und Begrifflichkeiten. So scheuen sich weder DFB noch Zwanziger, das Wort “Demagoge” mit “Volksverhetzer” zu übersetzen und ausschließlich auf den Nationalsozialismus zu beziehen.

Wer die Vita und das konsequente Engagement von Theo Zwanziger im Kampf gegen Neo-Nazis kennt, versteht selbstverständlich seine Reaktion. Denn als Demagoge wird ein Volksverhetzer bezeichnet, der sich einer strafbaren Handlung schuldig macht.

(DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch)

Wenn man eine solche Vita hat und außerdem, wie ich, in Yad Vashem war, denkt man anders über die Dinge nach. Ich bitte um Verständnis, dass meine Empfindlichkeit, was die Nazi-Zeit angeht, größer ist, als das vielleicht bei andern Leuten oder Jüngeren der Fall ist.

(Theo Zwanziger im Interview mit “Direkter Freistoß”)

Alles weitere können Sie bei Jens Weinreich selbst und bei Stefan Niggemeier nachlesen.

Jede Wette: wenn der Vorstand eines Bundesligavereins so eine Show abziehen würde, würden die Fans anschließend im Stadion mit Sprechchören und Transparenten dessen Absetzung fordern. Theo Zwanziger, der sich heute Abend mal wieder mit der Bundeskanzlerin schmücken wird, muss so etwas kaum befürchten.

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New Radicals

Wer und was dieser Tage so alles radikal ist:

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Gesellschaft

Experten

Nun, da wir uns alle einmal über den Mann mit dem albernen Bart und dem unpassenden Namen erregt haben und dieser in einem offenen Brief an den Zentralrat der Juden in Deutschland um Entschuldigung gebeten hat, können wir uns einer wichtigen Frage widmen: Wer ist dieser Hans-Werner Sinn überhaupt?

Vermutlich habe ich in den Nachrichten schon hundertfach von seinem Ifo-Institut gehört und als ich in der Wikipedia vom Ifo-Geschäftsklimaindex las, klingelte es tatsächlich. Aber davon mal ab: Wer ist dieser Mann und was sollte mich dazu bringen, seinen Ausführungen (wenn sie nicht gerade von verfolgten Managern handeln) Glauben zu schenken?

Wenn ein Medium zeigen will, was mit unserer Umwelt passiert oder wie man Energie sparen kann, werden O-Töne von Claudia Kemfert herangeschafft, wenn’s etwas seriöser sein soll Mojib Latif. Tun Jugendliche irgendwo das, was Jugendliche mindestens seit Kain und Abel tun, nämlich zuschlagen, steht das Telefon von Christian Pfeiffer nicht mehr still, und bis vor kurzem konnten Sie sicher sein, Ihre Ernährungstipps von Hademar Bankhofer zu bekommen — egal, welches Medium Sie nutzten.

Braucht ein Journalist ein Statement zum Thema Blogs oder Internet, wendet er sich an Stefan Niggemeier. Der darf auch beim Thema “Medien allgemein” ran, aber nur, solange seine Meinung nicht der Linie des Journalisten zu widersprechen droht – sonst ist Jo Groebel dran. Selbst im Fußball, zu dem nun wirklich jeder Deutsche eine Meinung hat, muss bei jeder Fernsehübertragung ein Experte bereitstehen und erklären, was wir gerade gesehen, aber nur bedingt verstanden haben. Und Henryk M. Broder darf seine Meinung sowieso zu jedem Thema verbreiten.

Der einfache Bürger weiß ja gar nicht, wer diese Menschen sind, die ihm da immer als Experten vorgesetzt werden. Woher kommen sie, was haben sie gelernt, welche eigenen Interessen verfolgen sie gegebenenfalls? (Es soll ja ganze Talkshow-Runden geben, die nur mit Mitgliedern der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” besetzt sind, einer Lobby-Vereinigung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.) Selbst von möglicherweise honorigen Professoren kennt man nur ihre Drei-Satz-Erklärungen aus dem Boulevardfernsehen (“Explosiv”, “Brisant”, “Anne Will”) und wenn man sie nur oft genug gesehen hat, kann man sie sowieso nicht mehr ertragen.

Dabei wäre es ja eigentlich nur wünschenswert, wenn sich tatsächlich die verdientesten und klügsten Leute zu Themen äußern und nicht etwa Ronald Pofalla. Es gibt eher zu wenige Denker in der Öffentlichkeit als zu viele. Die Zeiten, in denen sich der Weimarer Hof mit den weisesten Herren der damaligen Welt schmückte, sind lange vorbei. Fachleute werden von der Politik zwar noch herangekarrt, aber sofort wieder fallen gelassen, wenn ihr Fachwissen sich als unpopulär herausstellen könnte. Fragen Sie mal Paul Kirchhof, den “Professor aus Heidelberg”. (Es geht natürlich noch perfider: Hartz will heute ja nun wirklich niemand heißen.)

Der Grund, warum Medien diese Experten brauchen, ist natürlich klar: Zum einen braucht jedes Thema ein Gesicht, weswegen Hip-Hop ja auch aussieht wie Eminem und Indierock wie Pete Doherty. Zum anderen braucht man jemanden, der Ahnung von einem Thema hat, mit dem man sich gerade zum ersten Mal beschäftigt: Wer morgens in der Redaktionskonferenz die Bekanntgabe des “Vogels des Jahres” aufs Auge gedrückt bekommt, kann nicht bis zur Abgabe noch eine Ornithologie-Studium abschließen.

Vor einiger Zeit behelligte ich einen Geschichtsprofessor mit der Frage, ob er mir für eine Reportage (die immer noch zu schreiben ist) einige Einstiegsfragen beantworten könne. Er teilte mir höflich, aber bestimmt mit, dass Professoren entgegen der weitläufigen Annahme von Journalisten keine Auskunfteien seien, für solche Zwecke gebe es Fachliteratur. Der Mann hat wissenschaftlich natürlich vollkommen recht, aber kein Journalist wird im Tagesgeschäft mal eben ein, zwei, drei Fachbücher lesen können — und der Professor hat sich freilich selbst um eine Karriere als vielzitierter (weil ungelesener) Experte gebracht.

Mehr zum Thema in diesem Beitrag von “Zapp” aus dem letzten Jahr.

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Musik Rundfunk Radio

Merkt ja eh keiner (1)

Es ist ja nicht so, dass ich morgens aufstehe und denke “Was könnte ich heute mal Böses über den WDR schreiben?” Das machen die ja alles selber.

Gestern war Thees Uhlmann zu Gast im “1Live Kassettendeck”, das vom Konzept her eine Super-Radiosendung ist und deshalb um Mitternacht laufen muss: Ein Promi (meist Musiker) stellt eine Stunde lang Songs vor, die ihm sein Leben lang oder gerade jetzt im Moment wichtig sind. Gestern also der Sänger der “umstrittenen Band Tomte” (O-Ton welt.de, wo man auch nicht nach gutem Musikjournalismus suchen sollte).

Thees erzählte also und spielte Songs (Rod Stewart, Kool Savas, Escapado) und sagte nach jedem Lied, wer er ist und was wir da hören (ist ja Radio). Und dann kündigte er wortreich “Rain On The Pretty Ones” von Ed Harcourt an, zitierte noch aus dem Text (“I’m the Christian, that cannot forgive”, “I’m the hunter, who’s killed by his dog”) und sagte “Hier ist Ed Harcourt mit ‘Rain On The Pretty Ones'”.

Und was lief? Ed Harcourt mit “Late Night Partner”. Auch schön, sogar vom gleichen Album, aber ein ganz anderer Song. Auch, wenn er von Thees mit “Das war Ed Harcourt mit ‘Rain On The Pretty Ones'” abmoderiert wurde.

Nun ist es ja nicht so, dass da gestern Nacht ein übernächtiger Thees Uhlmann im 1Live-Studio gesessen und unbemerkt den falschen Track gefahren hätte: Weil man einen Promi kaum eine Stunde im Studio halten kann (dichter Promo-Zeitplan!), lässt man ihn einfach alle Moderationstexte hintereinander aufsagen, wenn er eh grad mal für ein Interview da ist. Dann gibt er einen Zettel mit der Playlist ab und irgendjemand muss die Songs zwischen die Moderationen schneiden. Und dieser Jemand hat offenbar einen Fehler gemacht.

Das ist kein großes Drama, kein Skandal und kein Eklat. Es ist nur ein Beispiel, warum es mir so schwer fällt, Medienschaffende in diesem Land ernst zu nehmen: Weil sie ihre Arbeit selbst nicht ernst nehmen.

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Give Facts A Chance

Ich weiß nicht, warum sich Journalisten dieser Tage so auffallend schwer damit tun, sich korrekt daran zu erinnern, wann und wo John Lennon erschossen wurde (8. Dezember 1980 vor dem Dakota Building in Manhattan, steht auch in der Wikipedia).

Ich weiß nur, dass es so ist:

1980 war bekanntlich John Lennon in New York vor dem Chelsea Hotel von David Chapman erschossen worden.
(“Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung”, 7. September 2008)

John Lennon ist schon seit 26 Jahren tot, aber die Friedensmission der beiden lebt im Werk Yoko Onos weiter.
(“Welt am Sonntag”, 7. September 2008)

Nach dem Attentat auf John von 1969 fotografiert sie seine blutbespritzte Brille und macht draus ein Platten-Cover.
(“Bild”, 11. September 2008)

Mit Dank u.a. an BILDblog-Hinweisgeber Wilhelm E.

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Fernsehen Digital

Trau, schau wem

Mit manchen Geschichten ist es wie mit alten Pullovern: Man zieht an einem losen Faden und am Ende hat man das ganze Teil aufgeribbelt.

Am Dienstag wurde David Harnasch das seltene Glück zuteil, als Blogger wohlwollend von “Spiegel Online” porträtiert worden zu sein. Er betreibt seit vergangenem November das Blog “Bildschirmarbeiter”, in dem er das aktuelle TV-Programm kritisiert und parodiert. Mir war das Blog bis vor wenigen Stunden gänzlich unbekannt, seine technorati authority (die freilich nichts über die Qualität aussagt) lag vor dem SpOn-Artikel bei 42.

Harnasch nimmt sich spannenden Themen an, wie in seinem aktuellsten Beitrag vom 6. August. Was “Frontal 21” da gemacht hat, ist wirklich mindestens sehr merkwürdig, Harnaschs Beitrag finde ich persönlich aber weder spannend noch lustig (falls die Verkleidung lustig sein sollte), sein anfängliches ÖR-Bashing nur peinlich. Aber das ist letztlich Geschmackssache – viele Leute werden ja auch unsere Videos nicht lustig finden.

Jan-Philipp Hein, der das große “Bildschirmarbeiter”-Porträt geschrieben hat, folgt darin einer Prämisse, die er in der Einleitung vorstellt:

Fernsehen spielt online fast keine Rolle. Wenige Blogger arbeiten sich am ehemaligen Leitmedium ab – einer aber mit viel Witz und exzessivem Aufwand. Ansonsten gilt TV online vielleicht einfach nicht mehr als kritikwürdig.

Ich sehe das anders. Da wäre ja zum Beispiel der “Fall Bankhofer”, in dem sich der WDR wegen des “Anscheins auf Schleichwerbung” von dem sympathischen “Gesundheitsexperten” trennte, nachdem zwei Blogs die Geschichte angestoßen hatten.

Zugegeben: neben dem Fernsehlexikon, Stefan Niggemeier (bei dem man aber auch ganz froh ist, wenn er nicht jedes Mal genannt wird, wenn der Begriff “Blogger” fällt), medienpiraten.tv und dem Wortvogel, der sich des Themas immer mal wieder von der Macher-Seite annimmt, fallen mir auch nicht mehr soooo viele Fernseh-Blogs ein. “Fast keine Rolle” sieht für mich aber trotzdem anders aus.

In der “SpiegelKritik” stolperte ich dann über diesen Eintrag zu Heins Artikel, den ich auch in meinen aktuellen “Klickbefehl” aufnahm: Timo Rieg schrieb da, Hein und Harnasch seien einander durch die “Achse des Guten” verbunden – Harnasch ist Autor jenes “publizistischen Netzwerks”, das sich gerne mit dem Untergang des Abendlandes und dem angeblichen “Klimaschwindel” befasst, und für das Hein schon dreimal als Gastautor gearbeitet habe. Außerdem betrieben sie gemeinsam das “Netzwerk Gegenrecherche”, schreibt Rieg.

Gefälligkeitsjournalismus unter alten Kumpels bei “Spiegel Online”? Ein ziemliches Ding, wenn dem so wäre.

Allein: So wie’s aussieht, ist dem nicht so. Jan-Philipp Hein erklärte mir gegenüber, dass er David Harnasch “vor zwei, drei Wochen” erstmalig kontaktiert habe – um eben genau jenes Porträt über ihn für “Spiegel Online” zu schreiben. Über die “Achse des Guten” hätten die beiden bisher keinerlei Kontakt gehabt und was dort an Gastbeiträgen von Hein veröffentlicht wurde, seien alle jeweils Zweitverwertungen aus anderen Medien gewesen.

Über “Bildschirmarbeiter” habe er geschrieben, weil er das Blog “originell” finde, sagt Hein, und mit dem “Netzwerk Gegenrecherche” habe der Kollege Harnasch nur insofern zu tun, als der einmal darauf verlinkt habe.

Und – hier kommen wir auf den Pullover-Satz vom Anfang zurück, der Sie dort sicherlich ziemlich verwirrt hat – statt über mögliche Mauscheleien bei “Spiegel Online” zu schreiben, saß ich plötzlich an einem Artikel, der sich mit der haarsträubenden Recherche (bzw. Nicht-Recherche) bei “SpiegelKritik” auseinandersetzen muss. Jan-Philipp Hein nannte den dortigen Artikel, in dem sich Timo Rieg auch noch als Mitglied des “Netzwerks Recherche” zu erkennen gibt, “bedenklich” und “unmöglich” und auch bei “Spiegel Online” war man darüber alles andere als glücklich.

Timo Rieg erklärte mir auf Nachfrage, er wolle seinen Artikel in der “SpiegelKritik” als “Rezension einer Rezension” verstanden wissen.

PS: Was man aber wohl ruhigen Gewissens als kontraproduktiv bewerten kann, ist die Tatsache, dass David Harnasch wenige Tage vor der Veröffentlichung seines Porträts bei “Spiegel Online” einen Blog-Eintrag mit folgenden Worten begann:

Auch wenn ich momentan guten Grundes wegen nicht über SPON lästern sollte, […]