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Der Saal wird still, die Lichter gehn aus

Sei­en wir ehr­lich: Wir Sind Hel­den sind so ziem­lich die lang­wei­ligs­te Band Deutsch­lands. Zwar wird man hier­zu­lan­de sowie­so kaum eine Band fin­den, die sich mal schlecht benimmt oder wenigs­tens mal ein paar Kol­le­gen disst, aber Wir Sind Hel­den sind immer noch eine Spur net­ter. Jetzt tou­ren sie sogar schon mit Baby! Und so eine Band will uns gera­de fünf Jah­re nach dem Durch­bruch ihre Geschich­te und ihren Tourall­tag erzäh­len? Auf 400 Sei­ten?

Wir Sind Hel­den sind aber natür­lich auch eine der sym­pa­thischs­ten Bands Deutsch­lands. Selbst als „Bri­git­te“ und „Poly­lux“, wo sie zu Hoch­zei­ten gefühlt in jeder Sen­dung por­trä­tiert wur­den, Judith Holo­fer­nes zur Klas­sen­spre­che­rin der Nati­on erklä­ren woll­ten und die Band droh­te, zum Sound­track­lie­fe­ran­ten von Attac-Demons­tra­tio­nen zu wer­den, sorg­te das Quar­tett immer mit genug Selbst­iro­nie dafür, dass man sie immer noch moch­te. Oder sie has­sen muss­te, weil sonst aus­nahms­los alle sie moch­ten. Die­se Wir Sind Hel­den haben jetzt „Infor­ma­tio­nen zu Tou­ren und ande­ren Ein­zel­tei­len“ ver­öf­fent­licht, eine Samm­lung alter Tour- und Stu­dio­ta­ge­bü­cher, ange­rei­chert mit ganz vie­len Zusatz­ge­schich­ten und lie­be­voll kom­pi­liert von den „Musikexpress“-Granden Josef Wink­ler und Albert Koch.

Wir haben die akti­ve Legen­den­bil­dung in einem frü­hen Sta­di­um ver­säumt und müs­sen nun damit leben: Drei Vier­tel der Hel­den haben sich beim, seufz, Som­mer­kurs einer Musik­hoch­schu­le ken­nen­ge­lernt.

Nun gut, wer unre­flek­tiert Dro­gen- und Sex­ge­schich­ten geschil­dert krie­gen will, kann ja „Scar Tis­sue“ von Antho­ny Kie­dis lesen, bei Wir Sind Hel­den gibt es erst mal län­ge­re Schil­de­run­gen des zag­haf­ten Ken­nen­ler­nens, die dafür jeder Mensch nach­voll­zie­hen kann, der sich mal mit ein paar Freun­den und deren Freun­den „so zum rum­zo­cken“ getrof­fen hat. Über­haupt: Das Hel­den-Buch soll­te man zur Pflicht­lek­tü­re von Nach­wuchs­mu­si­kern ernen­nen. Wenn sich die Band eupho­risch an die ers­ten (natür­lich ziem­lich schlech­ten) Auf­trit­te erin­nert, will man sofort auf die Büh­ne in egal wel­chem Jugend­zen­trum stür­men – und viel­leicht sogar in den Pro­be­raum. Wie man neben­her auch noch ohne ech­tes Manage­ment die Ange­bo­te von Plat­ten­fir­men ablehnt, die einen „top­down in GSA“ „brea­k­en“ wol­len, kann man sich bei den Hel­den zumin­dest abschau­en.

Dass das Buch aber trotz aus­führ­li­cher Schil­de­run­gen von Stu­dio­ar­beit und Live­be­trieb auch noch für Nicht-Insi­der inter­es­sant ist (sein dürf­te), ist der eigent­li­che Ver­dienst: Im Gegen­satz zum ver­gleich­ba­ren Tom­te-Tour­ta­ge­buch „Die Schön­heit der Chan­ce“ hat „Infor­ma­tio­nen zu Tou­ren und ande­ren Ein­zel­tei­len“ zwar den sper­ri­ge­ren Titel, erzählt aber sehr viel all­ge­mein­ver­ständ­li­cher und weit weni­ger puber­tär vom Tour-All­tag. Das könn­te natür­lich auch dar­an lie­gen, dass die bei­den Bands so grund­ver­schie­den sind, wie Thees Uhl­mann im Buch noch mal erklä­ren darf. Als Mehr­wert hängt dem Buch noch ein Glos­sar an, in dem von „A&R“ über „Night­li­ner“ bis zum sen­sa­tio­nell däm­li­chen Wort „Venue“ („Auf­tritts­ort“) alle Begrif­fe erklärt wer­den, die im Musik­ge­schäft so wich­tig sind. Dar­über freu­en sich sicher auch Musi­ker, Musik­jour­na­lis­ten und Musik­in­dus­tri­el­le, die zwar täg­lich mit die­sen Begrif­fen han­tie­ren müs­sen, sich aber nie trau­en wür­den, nach deren Bedeu­tung zu fra­gen.

400 Sei­ten sind recht viel, um dar­auf knapp sie­ben Jah­re Band­ge­schich­te zu erzäh­len. Den Groß­teil nimmt dabei der Weg bis zum uner­war­te­ten Erfolg des Debüt­al­bums „Die Rekla­ma­ti­on“ ein, aber das war ja auch eine span­nen­de Zeit und man merkt den klug mon­tier­ten Erzäh­lun­gen der Band­mit­glie­der an, wie unglaub­lich die­se Erfah­run­gen für sie auch heu­te noch sein müs­sen. Man hört das Zweit­werk „Von hier an blind“ mit etwas ande­ren Ohren, wenn man um den Druck weiß, der damals auf den Musi­kern las­te­te, und man glaubt es ihnen ger­ne, wie befrei­end es gewe­sen sein muss, als die Auf­merk­sam­keit im ver­gan­ge­nen Jahr etwas nach­ließ.

Am Ende hat man das Gefühl, die Band und ihre Mit­glie­der wirk­lich ken­nen­ge­lernt zu haben. Bei der Scho­nungs­lo­sig­keit, mit der eige­ne Feh­ler ein­ge­stan­den und eige­ne Lügen in der Ver­gan­gen­heit als sol­che ent­larvt wer­den, muss die­ses Buch ein­fach der Wahr­heit ent­spre­chen. Wenn etwas nervt, dann der wie­der­hol­te Hin­weis auf die eige­ne Unkom­mer­zia­li­tät: Kei­ne Fir­men­ver­an­stal­tun­gen, Wer­be­ban­ner am Kon­zert­ort bit­te abneh­men – aber dann begeis­tert anneh­men, wenn bei „Rock am Ring“, die­sem Mar­ke­ting­fes­ti­val mit inte­grier­tem Kon­zert­be­trieb, der Head­li­ner abspringt! Wenn die Band sich dann aller­dings über die Rezep­ti­on am Nür­burg­ring freut, glaubt man ihnen schon fast wie­der, dass dort tat­säch­lich mal für die Län­ge eines Kon­zerts kei­ne Hun­dert­tau­send Dosen­bier-Asis, son­dern ech­te Musik­fans auf dem Gelän­de her­um­lie­fen.

Am Ende weiß man: Wir Sind Hel­den wer­den nie Rock’n’Roll sein, sind aber grund­sym­pa­thisch. Sie machen tol­le Musik und kön­nen sogar Bücher schrei­ben. Das soll ihnen erst mal einer nach­ma­chen.

Wir Sind Hel­den – Infor­ma­tio­nen zu Tou­ren und ande­ren Ein­zel­tei­len
Fischer Ver­lag
12,95 Euro

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Musik

Bochum-Total-Tagebuch (Tag 3)

Das Ruhr­ge­biet im All­ge­mei­nen und Bochum im Spe­zi­el­len ist ein Ort, an dem sich Men­schen, die von unse­ren Eltern in den Acht­zi­gern „Gruf­ties“ genannt wur­den, ger­ne tref­fen und gemein­sam Musik hören, die von sehr teu­ren Syn­the­si­zern erzeugt wird, und zu der Män­ner (tief) und Frau­en (hoch) Tex­te sin­gen, die im All­ge­mei­nen von Schmerz, Tod und Nacht han­deln. Die ein­zi­ge Musik­rich­tung, die mich noch weni­ger inter­es­siert als Gothic/​EBM ist Reg­gae, aber wer wäre ich, das Line-Up des Bochum Total zu kri­ti­sie­ren, zumal nach die­sem Auf­takt? Es ist halt wirk­lich für jeden Geschmack etwas dabei und so kam ich am gest­ri­gen Sams­tag wie­der zwei­mal auf mei­ne Kos­ten:

Sugar­plum Fairy (Eins-Live-Büh­ne)
Vic­tor und Carl Norén, die bei­den Sän­ger von Sugar­plum Fairy sind die klei­nen Brü­der von Gus­taf Norén von Man­do Diao. Als letz­te­re vor zwei Jah­ren auf dem Hald­ern Pop spiel­ten, reg­ne­te es in Strö­men, ich saß im Pres­se­zelt und lang­weil­te mich, denn die Band war live min­des­tens so schwach wie Franz Fer­di­nand am Abend zuvor.

Ges­tern war also Bochum Total, es reg­ne­te immer mal wie­der, ich stand vor der Büh­ne und war hell­auf begeis­tert. Die klei­nen schwe­di­schen Rotz­löf­fel (hab grad extra nach­ge­guckt: wenigs­tens der Schlag­zeu­ger ist älter als ich, wenn auch nur eine Woche) haben sich natür­lich viel bei der Schwes­ter­band und vor allem bei Oasis abge­guckt, aber bei allem Gepo­se war noch der Spaß dahin­ter zu erken­nen und es klang ein­fach gut. Sie spiel­ten vie­le Songs vom aktu­el­len Album „First Round First Minu­te“, wobei sich Carl, Vic­tor und David Hebert stän­dig an Bass, Gitar­re, Orgel und Gesang abwech­sel­ten, was ich immer beson­ders schön fin­de. Die meis­te Stim­mung kam aber bei den Hits des Debüt­al­bums auf: bei „Mor­ning Miss Lisa“, „Sail Bey­ond Doubt“, „(And Plea­se) Stay Young“ und dem über­ra­gen­den „Sweet Jackie“, das Noel Gal­lag­her sicher ger­ne geschrie­ben hät­te, wenn die Noréns es nicht aus sei­nen größ­ten Hits zusam­men­ge­puz­zelt hät­ten.

Es wäre also ein rund­her­um gelun­ge­nes Rock’n’Roll-Kon­zert gewe­sen, hät­te Carl Norén nicht plötz­lich die vier­te Wand ein­ge­ris­sen und das Oasis’sche „Won­der­wall“ ange­stimmt. Da zeig­te sich näm­lich für einen Moment, dass Sugar­plum Fairy letzt­end­lich doch noch nur Ersatz­be­frie­di­gung für das laut­hals mit­grö­len­de Publi­kum waren. Ande­rer­seits haben Oasis ja auch oft genug die Beat­les geco­vert …

Toco­tro­nic (Eins-Live-Büh­ne)
Tocotronic beim Bochum Total 2007Beim bereits oben erwähn­ten Hald­ern 2005 kam mir Musik­ex­press-Redak­teur Josef Wink­ler im Pres­se­zelt ent­ge­gen­ge­rauscht, flö­te­te „Toco­trooooo­nic!“ und ent­schwand Rich­tung Büh­ne (in mei­ner Erin­ne­rung trug er ein Feen­ge­wand und Bän­der im Haar, aber ich mag mich da durch­aus irren). Der Auf­tritt damals war schlicht­weg fan­tas­tisch und das gro­ße Fina­le mit „Neu­es vom Trick­ser“ ende­te in dem Unwet­ter, was den Man­do-Diao-Auf­tritt beglei­ten soll­te.

Dies­mal nie­sel­te es nur leicht, was in Sachen Spe­zi­al­ef­fek­te ja bei­na­he lang­wei­lig ist. Trotz­dem waren Dirk „der Graf“ von Lowtzow und die Sei­nen wie all­ge­mein üblich sehr, sehr gut. Es gab eini­ges an neu­em Lied­werk vom noch unver­öf­fent­lich­ten Album „Kapi­tu­la­ti­on“ zu hören (das wie­der sehr gut wird) und eine Art Grea­test-Hits-Revue, die sich den Main­stream-Hits „This Boy Is Toco­tro­nic“ und „Let The­re Be Rock“ kon­se­quent ver­wei­ger­te. Dafür gab es bei­spiels­wei­se bei „Ich bin viel zu lan­ge mit euch mit­ge­gan­gen“ und dem fina­len „Frei­burg“ die wohl größ­ten Stu­den­ten­chö­re der Welt zu hören (Trai­nings­ja­cken inklu­si­ve) und bei „Aber hier leben, nein dan­ke“ flog kein ein­zi­ger Becher auf die Büh­ne.

Detail am Ran­de: Ein etwa sechs- bis acht­jäh­ri­ges Mäd­chen im Toco­tro­nic-Band­shirt auf den Schul­tern sei­nes Vaters, das den Refrain der aktu­el­len Sin­gle „Kapi­tu­la­ti­on“ begeis­tert und aus einem Schnei­de­zahn­lo­sen Mund mit­sang.

Das ver­wen­de­te Foto stammt von Kath­rin. Hier hat sie noch mehr vom Bochum Total.