Man sollte diese ganzen Vergleiche nicht ziehen. Man sollte sich nicht ansehen, wie Barack Obama diese Präsidentschaftswahl gewonnen hat, und dann an Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Oskar Lafontaine denken. Wir könnten depressiv werden und das wäre ein schlechter Zeitpunkt, jetzt da die ganzen New Yorker Psychiater, die vor Bush geflohen waren, bald in ihre Heimat zurückkehren.
Markus hat sich bei Netzpolitik trotzdem Gedanken darüber gemacht, was die deutsche Politik aus dem Wahlkampf lernen könnte, den Obama geführt hat. Man kann es glaube ich so zusammenfassen: die verkrusteten, jahrzehntealten Parteistrukturen dürften eine Graswurzelbewegung nahezu unmöglich machen.
Aber vielleicht könnte die deutsche Politik ja mit was Einfacherem anfangen und von John McCain lernen. Hier seine concession speech:
A little while ago, I had the honor of calling Senator Barack Obama to congratulate him on being elected the next president of the country that we both love.
[…]
I urge all Americans who supported me to join me in not just congratulating him, but offering our next president our good will and earnest effort to find ways to come together to find the necessary compromises to bridge our differences and help restore our prosperity, defend our security in a dangerous world, and leave our children and grandchildren a stronger, better country than we inherited.
McCains Rede war klar und aufrichtig. Sie war von der Annahme geprägt, dass die amerikanischen Wähler klug entschieden haben, wem sie in der Krise am meisten vertrauen, und von dem Wunsch, dass es Amerika gut geht. McCain bremste den Zorn und die Enttäuschung seiner Anhänger und schwor sie auf ein gemeinsames Amerika ein. Und als er auf Obamas am Tag zuvor verstorbene Großmutter zu sprechen kam (“Though our faith assures us she is at rest in the presence of her Creator and so very proud of the good man she helped raise.”), kamen mir wirklich fast die Tränen.
Zum direkten Vergleich hier noch mal kurz der Verlierer der letzten Bundestagswahl:
Verglichen mit dem, was wir erleben mußten in den letzten Wochen und Monaten, bin ich wirklich stolz auf meine Partei, auf die Menschen, die mich unterstützt haben, die uns gewählt haben und die uns ein Ergebnis beschert haben, das eindeutig ist. Jedenfalls so eindeutig, daß niemand außer mir in der Lage ist, eine stabile Regierung zu stellen. Niemand, außer mir!
Ich gucke seit zehn Minuten ARD und bezweifle jetzt schon, dass ich das wach überstehen werde. Was schon mal ein Fortschritt ist: vor vier Jahren saß in dieser Maischberger-Runde Henryk M. Broder.
Ich hatte die Käsewürfel schon klein geschnitten, den Prosecco aufgewärmt und kleine Länderfähnchen gekauft — und dann fiel mir auf, dass heute gar kein Schlager-Grand-Prix stattfindet.
Ich werde aber trotzdem ein Liveblog machen. Es wird sich stattdessen mit der großen Krise befassen, die morgen über den Journalismus hineinbrechen wird, und die auf den Namen “Oh mein Gott, worüber sollen wir jetzt schreiben?!” hört. Es geht also (Sie ahnten es bereits und fanden meine Versuche, Ross, Reiter und Kind nicht beim Namen zu nennen, eher so mittel) um die Präsidentschaftswahl in den USA.
Ich weiß noch nicht, ob ich die ganze Nacht durchhalte, aber Kaffee und Fernseher (Es passt! Endlich mal eine Stelle, an der es passt!) stehen bereit, um Sie und mich durch die Nacht zu bringen.
Das präsidiale Liveblog auf coffeeandtv.de
Ab Mitternacht des 5. November 2008
Links
Bei Gawker können Sie nachlesen, wann mit welchen Ergebnissen zu rechnen ist.
Bei NPR können Sie die USA-Landkarte nach Ihren Wünschen politisch einfärben.
Die “New York Times” hat den Wahlkampf bis hierher noch einmal zusammengefasst.
In Berlin findet eine Wahlparty im Salon Schmück statt.
Und Hendrik aus dem Ohrensessel wird ebenfalls live bloggen, seinen Medienkonsum aber auf das Radio beschränken.
Gut, dass ich in Deutschland geboren wurde, denn so kann ich nie als US-Präsident kandidieren. Denn selbst wenn ich Parteiinterne Grabenkämpfe und Fernsehdebatten überstünde und wider Erwarten genug Geld für meine Kampagne gesammelt bekäme, an einer Stelle würde ich furios scheitern: bei der Nennung meiner Lieblingsbücher.
Denn was sagt es über mich als Menschen aus, wenn ich in diesem Zusammenhang “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams, “High Fidelity” von Nick Hornby und “Gegen den Strich” von Joris-Karl Huysmans nenne? Eben: Dass ich ein soziopathischer Nerd bin, dem seine CD-Sammlung wichtiger ist als alles andere. Die einzigen Stimmen, die ich bekäme, kämen aus Staatsgefängnissen, Platten- und Rollenspielläden.
Ich habe von all diesen Büchern nur “Im Westen nichts Neues” gelesen und weiß so ungefähr, was bei Hemingway und Melville passiert, von daher kann ich zu den literarischen Favoriten der Präsidentschaftskandidaten wenig sagen — aber dafür gibt es ja den “San Francisco Chronicle”, der eine Reihe von Literaturwissenschaftlern, Schriftstellern und sonstigen Experten befragt hat. Sie erklären unter anderem, dass es ein wenig überrasche, dass McCain gleich zwei Anti-Kriegsromane nenne, es im Gegensatz dazu aber ziemlich naheliegend sei, dass Obama das Buch von Toni Morrison mag, in dem sich ein junger, schwarzer Mann auf die Suche nach seiner Identität begibt.
Wo sie schon mal dabei sind, geben die gleichen Leute auch noch Tipps, was der zukünftige Präsident unbedingt lesen sollte. Und da ist vielleicht auch was für Leser dabei, die nie US-Präsident werden wollten.
Mal davon ab, dass wir in Deutschland weder einen Richard Lewis, noch eine “Daily Show” haben: Können Sie sich vorstellen, was in der deutschen Boulevardpresse los wäre, wenn ein Comedian in einer Talkshow dem Gastgeber derart das Wort abschnitte, über seinen Penis spräche und sich so über einige Politiker echauffierte?
Die Zeitungen könnten eine Woche von diesem “Skandal” leben.
Generell ist es ja schön, wenn Redaktionen die modernen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen. Man sollte es dann nur richtig machen.
Meine beiden liebsten Lokalzeitungs-Internetportale twittern jetzt auch. Sowohl “RP Online” als auch “Der Westen” versorgen das Netz mit einer Mischung aus Flurfunk, Kantinenspeisenplan und Nachrichten-Feed, reagieren aber auch auf Fragen oder Kritik.
Dabei können sich schon einmal solch nette Dialoge entspinnen:
Laufen gerade Schmachtbilder von Brad und George in Venedig ein. Der weibliche Teil der Redaktion ist ganz hin und weg. rponline 12:51 PM August 27, 2008
@rponline Dürfen wir anderen schon mal wetten, wie lang die Bildergalerie wird? coffeeandtv 01:06 PM August 27, 2008
@coffeeandtv Schauen wir mal. rponline 02:14 PM August 27, 2008
Weil schon jemand wetten wollte: Die Clooney-Pitt-Fotostrecke enthält 16 Bilder: http://tinyurl.com/58p4ndrponline 08:22 PM August 27, 2008
Selbst twitter-Skeptiker und -Hasser werden zugeben müssen, dass eine oft hart geführte kritische Auseinandersetzung so wieder ein wenig an Menschlichkeit gewinnen kann.
Gestern nun ernannte John McCain, der designierte republikanische Kandidat für das Amt des US-Präsidenten, überraschend Sarah Palin, Gouverneurin von Alaska, zu seinem running mate, also zur Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten.
“Der Westen” zimmerte aus einer dpa-Meldung ein Kurzporträt der Politikerin zusammen und verschickte den Link via twitter.
Ich klickte und las. Und sah, dass da ein Satz irgendwie ein bisschen verunglückt war:
Ein kleiner Fehler, der jederzeit mal passieren kann – in der dpa-Fassung ging der Satz noch so:
Der republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain zieht nach US-Medienberichten mit der jungen Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, in das Rennen um das Weiße Haus.
Ein kleiner Fehler, den man aber auch schnell korrigieren kann, dachte ich und twitterte nur wenige Minuten später:
@DerWesten Bitte schnell noch den ersten Satz gerade bügeln. Danke!
Und dann passierte genau … nichts.
Dass die zuständigen Leute in Essen schon ins Wochenende verschwunden waren, ist unwahrscheinlich: sie setzten bis zum Abend sieben weitere Tweets ab. Nur hat offenbar niemand mehr in die Replies geguckt.
Dabei gilt mehr denn je: Die Zeiten des einseitigen Sendens sind vorbei. Wer die Kommunikationskanäle nicht in beide Richtungen nutzt, wird kläglich untergehen.
Das Video entstand bei den MTV Video Music Awards 1997 und zeigt die Wallflowers bei der Aufführung ihres Hits “One Headlight” mit ihrem Gastsänger Bruce Springsteen. Zum einen mag ich, wie Springsteen mit seinem Gesang und seinem Gitarrensolo den ohnehin tollen Song noch mal zusätzlich veredelt, zum anderen kann man aus diesem Auftritt viel über die amerikanische Popkultur und ihren Unterschied zur deutschen ableiten.
Auch wenn man nicht immer darauf herumreiten soll: der Sänger der Wallflowers ist Jakob Dylan, Sohn von Bob Dylan, der seit mehr als vier Jahrzehnten ein Superstar ist. Er singt dort gemeinsam mit Bruce Springsteen, der seit gut drei Jahrzehnten ein Superstar ist. In Deutschland gibt es keine Söhne berühmter Musiker, die selbst Rockstars geworden wären, von daher kann man schon aus familiären Gründen keine Analogien bilden, aber auch der Versuch, ein Äquivalent für Vater Dylan ((Sagen Sie bloß nicht “Wolfgang Niedecken”!)) oder Springsteen zu finden, würde schnell scheitern.
Nun kann man natürlich sagen, dass ich am falschen Ende suche: Dylan und Springsteen haben beide einen mehr (Dylan) oder weniger (Springsteen) vom Folk geprägten Hintergrund, man müsste also in Deutschland im Volksmusik- oder Schlagerbereich suchen. Damit würde das Unternehmen aber endgültig zum Desaster, denn das, was heute als volkstümlicher Schlager immer noch erstaunlich große Zuhörer- und vor allem Zuschauerzahlen erreicht, hat mit wirklicher Folklore weit weniger zu tun als Gangsta Rap mit den Sklavengesängen auf den Baumwollfeldern von Alabama.
Die Netzeitung wollte kürzlich kettcar-Sänger Marcus Wiebusch zum deutschen Springsteen erklären, was angedenk des neuen kettcar-Albums gar nicht mal so abwegig ist, wie es sich erst anhört. Herbert Grönemeyer kann ja nicht alles sein und die Position “einer von uns, der über unsere Welt singt” kann von einem noch so verdienten Wahl-Londoner nur schwerlich besetzt werden. Was aber inhaltlich halbwegs passen mag, sieht auf der Popularitätsebene schon wieder anders aus: jemand, der für die Menschen spricht, muss auch bei den Menschen bekannt sein. Marcus Wiebusch ist weit davon entfernt, ein nationaler Star zu sein, ganz zu schweigen vom internationalen Superstar. ((Ich muss allerdings zugeben, dass die Vorstellung, Jan Fedder könnte mal als CDU-Bundeskanzler kandidieren und versuchen, seinen Wahlkampf mit “Landungsbrücken raus” aufzuhübschen, irgendwie schon was hat.))
Im Grunde genommen ist schon die Suche nach einem deutschen diesen oder einem deutschen jenen der falsche Ansatz: Marcus Wiebusch wird nie der deutsche Springsteen sein und Til Schweiger schon gar nicht der deutsche Brad Pitt. Harald Schmidt war nie der deutsche David Letterman und überhaupt wird es in Deutschland nie eine richtige Late Night Show geben, schon weil die Zuschauer mit einem ganz anderen kulturellen Hintergrund aufgewachsen und auch gar nicht in vergleichbaren Größenordnungen vorhanden sind.
Es gibt aber auch genauso wenig einen amerikanischen Goethe, Schiller, Klopstock, Schlegel oder Beethoven – was unter anderem damit zusammenhängen könnte, dass das unglaubliche Schaffen dieser Herren in eine Zeit fiel, als sich die USA gerade zu einem eigenständigen Staatenverbund erklärt und wichtigeres zu tun hatten, als ein kulturelles Zeitalter zu prägen. Sie mussten zum Beispiel die Demokratie erfinden.
Womit wir direkt in der amerikanischen Politik von heute wären: allen drei verbliebenen Kandidaten für das Amt des US-Präsidenten darf man Charisma und inhaltliche Stärke auf mindestens einem Gebiet bescheinigen. Egal, ob der nächste Präsident John McCain, Barack Obama oder Hillary Clinton heißen wird, er (oder sie) wird mehr Ausstrahlung haben als das versammelte deutsche Kabinett. Das liegt natürlich nicht nur daran, dass man in den USA auf 3,75 Mal so viele Menschen zurückgreifen kann wie in Deutschland, sondern auch daran, dass diese Politiker ganz anders geschult wurden und ein ganz anderes Publikum ansprechen. Jemand wie Kurt Beck könnte es kaum zum stellvertretenden Nachbarschaftsvorsteher schaffen. ((Wobei Beck ein schlechtes Beispiel ist, weil bei ihm ja niemand so genau weiß, wie er es zum Vorsitzenden einer ehemaligen Volkspartei hat schaffen können.))
Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sind eben erhebliche und sie lassen sich auch nicht durch eine vermeintliche “Amerikanisierung” unserer Kultur überwinden: selbst wenn jeder deutsche Mann sein Junggesellendasein mit viel Alkohol und Stripperinnen beendete ((Als ob das alle Amerikaner täten …)) wäre das ja nur eine Übernahme von Form und nicht von Inhalt. Deutsche werden auf ewig ihr Frühstücksei aufschlagen und als einziges zivilisiertes Volk der Welt ihr Popcorn gesüßt verspeisen. Deutsche werden wohl nie verstehen, welche Bedeutung es für Amerikaner hat, dass (fast) jeder eine Waffe tragen darf, obwohl sie selbst fast genauso argumentieren, wenn ihnen mal wieder jemand ein Tempolimit vorschlägt. ((Ich wäre übrigens für eine Beschränkung des Waffenrechts und für ein Tempolimit und würde mir in beiden Länder wenige Freunde machen.))
Wer sich einmal “alte” Gebäude in den USA angeschaut hat, darunter einige, die vor 100 bis 120 Jahren gebaut wurden, wird feststellen, wie extrem man sich damals an architektonischen Stilen orientierte, die in Europa längst der Vergangenheit angehörten: wo es um großes Geld oder Hochkultur geht, stößt man auf Klassizismus, Romantik oder Renaissance. Die große Stunde der USA schlug erst, als ihre Popkultur in Form des vielzitierten Rock’n’Roll und Coca Cola das kulturelle Vakuum ausfüllte, das nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland vorherrschte. Seitdem bemüht man sich hier, amerikanisch zu wirken, was sicher noch dazu führt, dass eines Tages jede Dorfkneipe mit Starbucksiger Loungeigkeit aufwarten wird.
Ich mag beide Länder.
Mehr über die USA, Deutschland und die kulturellen Unterschiede steht in folgenden empfehlenswerten Blogs: USA erklärtEin Deutsch-Amerikaner in Deutschland erklärt die USA (deutsch) German JoysEin Amerikaner in Deutschland schreibt über Deutschland (englisch) Nothing For UngoodNoch ein Amerikaner in Deutschland, der über Deutschland schreibt (englisch)
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