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Acts des Jahres 2024

10. Pet Shop Boys
31 Jah­re, nach­dem sie mit „Go West“ in mein Leben getre­ten waren (und damit lan­ge, bevor ich um Begrif­fe wie „que­er“ wuss­te), haben die Pet Shop Boys ihr 15. Stu­dio­al­bum ver­öf­fent­licht. „None­thel­ess“ (Par­lo­pho­ne; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) heißt es – „Nichts­des­to­trotz“, was für ein schö­nes Wort! – und es zählt im Gesamt­werk zu den eher melan­cho­li­schen Alben. Ansons­ten machen Neil Ten­n­ant und Chris Lowe ein­fach wei­ter genau ihr Ding: Es geht um Lie­be und Nacht­le­ben, aber eben­so selbst­ver­ständ­lich um die ZDF-Hit­pa­ra­de und einen von Donald Trumps Body­guards. Natür­lich. Immer wie­der erkennt man Ver­satz­stü­cke aus älte­ren Songs, aber das ist ja Teil des Gesamt­kunst­werks, wie wir spä­tes­tens seit „DJ Cul­tu­re“ (dem PSB-Song von 1991, nicht dem Buch von Ulf Pos­ch­ardt) wis­sen. Per­sön­li­cher Höhe­punkt: Ich durf­te für die „Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Sonn­tags­zei­tung“ über das Album schrei­ben, jenes Blatt, in dem ich noch als Schü­ler über die Band gele­sen hat­te.

9. Vanes­sa Peters
Bevor Mark Zucker­berg beschloss, Insta­gram zur wei­te­ren Zer­set­zung der Demo­kra­tie zu nut­zen, konn­te man dort tat­säch­lich Musik ent­de­cken: Acts haben klei­ne Clips aus ihren Musik­vi­de­os als Wer­bung geschal­tet und die glei­chen Algo­rith­men, die mich jetzt von den Vor­zü­gen des Faschis­mus über­zeu­gen sol­len (Ver­giss es, Pudel!), haben mir dann über­ra­schend prä­zi­se Songs vor­ge­spielt, die mich sofort über­zeugt haben. So bin ich jeden­falls 2021 auf die Ame­ri­ka­ne­rin Vanes­sa Peters und ihr Album „Modern Age“ auf­merk­sam gewor­den und seit­dem ver­fol­ge ich ihr Schaf­fen. Damals hat­te ich geschrie­ben: „Als hät­ten Aimee Mann, Suzan­ne Vega und Kath­le­en Edwards eine Super­group gegrün­det.“ Das gilt immer noch und ich mei­ne es als eines der höchs­ten Kom­pli­men­te, denn auch „Fly­ing On Instru­ments“ (Idol Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) ist wie­der ein Ame­ri­ca­na/­Folk-Album, das mich an die bes­ten Sei­ten der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur erin­nert. Also an das Gegen­teil von Mark Zucker­berg.

8. Maro
Maro ist immer das Bei­spiel, das ich brin­ge, wenn ich erklä­ren will, dass der Euro­vi­si­on Song Con­test längst kei­ne alber­ne Quatsch-Ver­an­stal­tung voll Euro­dance-B-Ware ist (das war er in die­ser Abso­lut­heit noch nicht mal in den 1980er bis 2000er Jah­ren), son­dern ein Musik­fes­ti­val im klas­sischs­ten Sin­ne: Natür­lich hät­te ich auch auf ande­ren Wegen (das Inter­net exis­tiert ja) von der jun­gen Musi­ke­rin mit dem bür­ger­li­chen Namen Maria­na Bri­to da Cruz For­jaz Sec­ca und der wun­der­bar ver­schla­fe­nen Stim­me erfah­ren kön­nen, aber ihr Auf­tritt in Turin 2022 war dann doch ein ganz beson­ders beein­dru­cken­der Ken­nen­lern­mo­ment. Ende Sep­tem­ber habe ich sie end­lich wie­der live gese­hen, durch­aus ange­mes­sen im Kon­zert­haus Dort­mund, und es war eines der schöns­ten, umar­mends­ten Kon­zer­te, das ich je besucht habe. Wie jun­ge Acts das so machen, hat sie wäh­rend des gan­zen Jah­res immer wie­der Songs her­aus­ge­bracht, u.a. mit Par­cels, vor allem aber mit dem Musi­ker Nasaya, der auf der fran­zö­si­schen Insel Reuni­on im indi­schen Oze­an auf­ge­wach­sen ist, wie Maro das Ber­klee Col­lege of Music besucht hat, und mit dem sie 2021 schon mal eine gan­ze EP mit vier Songs ver­öf­fent­licht hat­te. Das gemein­sa­me Album „Life­line“ (Sec­ca Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music) kam erst am 15. Janu­ar raus, aber das bedeu­tet ja nur, dass Maro auch 2025 wie­der zu mei­nen Acts des Jah­res gehö­ren kann.

7. Joy Ola­do­kun
Auf das Musik­jahr 2023 haben wir ja in einer gemein­sa­men Sen­dung zurück­ge­schaut. Des­we­gen gibt es kei­ne per­sön­li­che Bes­ten­lis­te, die ich jetzt ver­lin­ken kann, und auf der Joy Ola­do­kun mit ihrem Album „Pro­of Of Life“ mei­nen Platz 1 belegt hät­te. Das wird nicht der Haupt­grund sein, war­um sie 2024 direkt das nächs­te Album, ihr fünf­tes, ver­öf­fent­licht hat, aber auch „Obser­va­tions From A Crow­ded Room“ (Ami­go Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music) ist wie­der ver­dammt gut gewor­den. Sie macht sich Gedan­ken über den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt und Fort­schritt, sie singt über die Kraft­an­stren­gun­gen, über­haupt auf­zu­ste­hen und wei­ter­zu­ma­chen — und all das hat so viel Groo­ve, so viel schö­ne Melo­dien und so vie­le Gos­pel-Chö­re, dass einen die­se ver­meint­li­chen Wider­sprü­che ganz auf­wüh­len. Aber war das bei Mar­vin Gaye, Sam Coo­ke oder Are­tha Frank­lin anders?

6. MJ Len­der­man
Manch­mal gibt es ja so Namen und Alben, von denen man so oft in ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­gen liest, dass man sie ein­fach hören muss: Das vier­te Solo­al­bum von MJ Len­der­man war so eins und das Über­ra­schen­de war eigent­lich nur, dass es nach vie­len Jah­ren mal wie­der ein Indie­rock-Album war, über das so vie­le Leu­te spra­chen — und dass es mir dann auch noch gefiel! „Man­ning Fire­works“ (Anti; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) klingt, als wür­de ich es schon mein hal­bes Leben ken­nen. Oder, anders: So, wie wenn The Get Up Kids und The Wea­k­erthans sich vor 20, 25 Jah­ren in einer Scheu­ne in Mon­ta­na, in der zufäl­lig noch ein paar Folk-Musi­ker sit­zen, gegen­sei­tig geco­vert hät­ten.

5. Chris­ti­an Lee Hut­son
Ich kann gar nicht mehr rekon­stru­ie­ren, wie ich zum ers­ten Mal „After Hours“ von Chris­ti­an Lee Hut­son gehört habe. Ich weiß nur, dass die 3:12 Minu­ten, die der Song dau­ert, noch nicht durch waren, als ich ihn mei­nen engs­ten Freund*innen schon wärms­tens – lass alles ste­hen und lie­gen und hör es Dir JETZT an! – ans Herz gelegt hat­te. Ent­spre­chend ist es auch mein Song des Jahrs 2024 gewor­den. Wenn ich Songs so doll lie­be, habe ich manch­mal Angst vor dem Album, dem sie vor­an­gin­gen, aber „Para­di­se Pop. 10“ (Anti; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) lös­te sogar mehr Ver­spre­chen ein, als die Sin­gle auf­ge­stellt hat­te: Songs wie „Auto­pi­lot“, „Water Bal­let“ oder besag­tes „After Hours“ klin­gen, wie sich die eige­ne Bett­de­cke an einem die­si­gen, kal­ten Sonn­tag­vor­mit­tag anfühlt. Es gibt Kla­vier­bal­la­den, melan­cho­li­sche Folk­songs und etwas lär­men­de­re Folk­rock-Num­mern für Fans von Elliott Smith, The Wea­k­erthans und Bright Eyes. Jetzt machen also Men­schen, die 1990 gebo­ren sind, Musik, wie ich sie 2004 gehört habe.

4. Phi­li­ne Son­ny
Ich weiß nicht, ob man es merkt, aber ich habe einen gewis­sen Hang zum Lokal­pa­trio­tis­mus. Man müss­te mir schon sehr viel Geld bie­ten, damit ich das Ruhr­ge­biet oder auch nur Bochum-Ehren­feld ver­las­se. Wenn es um Phi­li­ne Son­ny geht, ist es des­halb, als wür­de der VfL Bay­ern Mün­chen schla­gen: Sowas ist hier mög­lich! Und wer wohnt schon in Düs­sel­dorf? Dabei hat das ja alles gar nichts mir mir zu tun und viel­leicht auch nur in Tei­len mit der Stadt. Im März, jeden­falls, hat­te die 23-jäh­ri­ge Musi­ke­rin und Song­schrei­be­rin ihre zwei­te EP „Inva­der“ (Nett­werk; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) ver­öf­fent­licht, danach noch jede Men­ge Sin­gles. Im Herbst begann sie dann ihr nächs­tes Pro­jekt, bei dem sie Songs in 15 Minu­ten schreibt, inner­halb weni­ger Tage auf­nimmt und dann so schnell wie mög­lich ver­öf­fent­licht. „So schnell wie mög­lich“ bedeu­tet bei einem Label – bei Nett­werk erschei­nen auch Angus & Julia Stone, The Paper Kites, Joshua Radin und Gre­at Lake Swim­mers – und Strea­ming­diens­ten immer noch rund zwei­ein­halb Mona­te, aber das gan­ze Kon­zept und die Daten im Song­ti­tel ver­lei­hen den Songs eine gewis­se Unmit­tel­bar­keit. Und ich tue, was ich kann, um Phi­li­ne Son­ny noch berühm­ter zu machen — zum Bei­spiel in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ über sie schrei­ben.

3. Suzan Köcher’s Supra­fon
Wenn jemand „psy­che­de­lisch“ sagt, den­ke ich an Pink Floyd, Ölpro­jek­to­ren und die Gene­ra­ti­on unse­rer Eltern, die bekifft auf einem Flo­ka­ti liegt. Okay, ich komm noch mal rein: Wenn jemand „psy­che­de­lisch“ sagt, den­ke ich an David Lynch, die mitt­le­ren Byrds und oran­ge­far­be­ne U‑Bahn-Hal­te­stel­len. Habt Ihr die Bil­der? Okay, dann kommt jetzt der Sound­track, denn Suzan Köcher’s Supra­fon machen laut eige­ner Aus­sa­ge Psy­che­de­lia (nur, damit Ihr’s schon­mal gehört habt: im Eng­li­schen ist das „P“ stumm), aber auch Dream Pop, Kraut­rock, Dis­co und Desert Ame­ri­ca­na. Tat­säch­lich ent­ste­hen in mei­nem Kopf sofort Fil­me der Coen Brot­hers, Wim Wen­ders und Paul Tho­mas Ander­son; ein Step­pen­läu­fer rollt defi­ni­tiv durch die stau­bi­ge Land­schaft und es ist ent­we­der immer gera­de Mit­tag oder die Zeit kurz nach Son­nen­un­ter­gang. Also: All­tag im Ber­gi­schen Land, denn Suzan Köcher selbst stammt aus Solin­gen, ihre Band aus dem Umkreis (und damit ein Strich mehr bei „Ruhr­ge­biet“). Ihr drit­tes Album „In The­se Dying Times“ (Uni­que Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, You­Tube Music, Band­camp) wäre, wenn es aus den USA käme, über­all in den Jah­res­bes­ten­lis­ten. So wenigs­tens bei mir.

2. kett­car
Er habe mehr durch Musik gelernt als durch Biblio­the­ken, hat Thees Uhl­mann mal gesun­gen (und dabei Bruce Springsteen refe­ren­ziert) und er hat leicht reden, denn unse­re gemein­sa­men Bud­dies von kett­car ver­öf­fent­li­chen auf Grand Hotel van Cleef, dem Label, das sie mit ihm gemein­sam betrei­ben, ja regel­mä­ßig Alben, deren Songs gan­ze Bücher erset­zen. So gese­hen ist „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ (Grand Hotel van Cleef; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) wie­der eine 45-minü­ti­ge Biblio­thek zum Hören: Die bra­chia­le Sin­gle „Mün­chen“ ist ein eige­nes, umfas­sen­des Werk über All­tags­ras­sis­mus; „Rügen“ refe­riert die Freu­de und Nach­tei­le des Eltern-Seins bes­ser als es ein Buch irgend­ei­ner Twit­ter-Berühmt­heit je könn­te; „Kanye in Bay­reuth“ ist das feuil­le­to­nis­ti­sche Essay über die Schwie­rig­keit, Werk und Autor zu tren­nen; „Ein­kau­fen in Zei­ten des Krie­ges“ die ver­ton­te Kolum­ne über gestie­ge­ne Lebens­mit­tel­prei­se und „Blaue Lagu­ne, 21:45 Uhr“ der Anti­hel­den-Roman, der in Rezen­sio­nen mit Taran­ti­no ver­gli­chen wird. Dass das alles noch so schön erhe­bend klingt und man alles mit­sin­gen kann, ist ja das eigent­li­che Kunst­stück, aber kett­car las­sen es ganz leicht aus­se­hen. Da war­tet man auch ger­ne mal fünf Jah­re drauf!

1. Japan­dro­ids
2024 war für vie­le von uns ein schwie­ri­ges Jahr, das in der zwei­ten Jah­res­hälf­te völ­lig aus der Kur­ve zu flie­gen schien: Donald Trump, AfD, Neu­wah­len, dazu immer noch Krieg in der Ukrai­ne und eine unge­lös­te Kli­ma­ka­ta­stro­phe — und das war nur die Schei­ße aus den Nach­rich­ten, die uns alle betraf. Hin­zu kamen pri­va­te Schick­sals­schlä­ge und die immer absur­der erschei­nen­de Auf­ga­ben­stel­lung, auch noch den soge­nann­ten All­tag bewäl­ti­gen zu sol­len. Am 25. Okto­ber starb mei­ne gelieb­te Tan­te Dör­te und ich war wirk­lich froh, dass ich neben mei­nem engs­ten Umfeld auch immer noch Musik hat­te. Genau eine Woche zuvor war „Fate & Alco­hol“ (schon wie­der Anti — Label des Jah­res!; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal , You­Tube Music, Band­camp) erschie­nen, das vier­te und vor­ab schon als sol­ches ange­kün­dig­te letz­te Album der Japan­dro­ids. Fragt mich nicht, wie Bri­an King und David Prow­se die­sen Sound mit nur einer Gitar­re und einem Schlag­zeug hin­be­kom­men, denn ich habe sie lei­der nie live gese­hen, aber das ist auch egal, denn für „Fate & Alco­hol“ gilt, was Faithl­ess damals in „God Is A DJ“ dekla­mier­ten: „This is my church /​ This is whe­re I heal my hurts“. Wann immer ich ver­ges­sen hat­te, dass ich am Leben bin, und wie sich das anfühlt, habe ich die­ses Album gehört. Und es leg­te mir sacht sei­ne Hand auf mei­ne Schul­ter und gemein­sam wuss­ten wir: Ja, unse­re Hän­de sind blau und geschwol­len, aber wir kön­nen dar­aus immer noch ein Herz for­men (und zwar so wie Mil­len­ni­als, also rich­tig), eine Faust machen und sie in den Him­mel stre­cken. Die Musik klingt immer noch, als wür­de sie vom ers­ten bis zum letz­ten Ton das Leben fei­ern, aber anders als auf den ers­ten Alben nicht aus jugend­li­cher Igno­ranz her­aus, son­dern aus erwach­se­nem Ver­ständ­nis und Trotz: Ja, das Leben ent­hält auch Ent­täu­schun­gen, Trau­er und ande­re Tief­schlä­ge und genau des­halb ist es so wert­voll und wun­der­schön. None­thel­ess. Wenn mei­ne Per­sön­lich­keit zu die­sem Zeit­punkt in mei­nem Leben ein Album wäre, sie wür­de so klin­gen. „For a few hours, it’ll be alright, Baby!“

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Songs des Jahres 2024

Wenn Sil­ves­ter vor­bei ist, beginnt für mich eine Zeit der inne­ren Anspan­nung: Ich will unbe­dingt mei­ne musi­ka­li­sche Rück­schau auf das ver­gan­ge­ne Jahr abschlie­ßen, muss aber auch erst­mal den All­tag wie­der reboo­ten. Ich weiß, dass Ihr nicht alle mit den Hufen scharrt und wütend wer­det, wenn ich mei­ne Lis­te spä­ter ver­öf­fent­li­che (oder gar nicht, wie in den Jah­ren, als das Kind ganz klein war und ich mit ande­rem beschäf­tigt war), aber irgend­wie gehört es für mich eben­so zum Jah­res­ab­schluss wie das Abta­keln des Tan­nen­baums (der auch noch steht).

Beim Durch­hö­ren mei­ner Vor­auswahl (ein aus­ge­spro­chen kom­pli­zier­ter Pro­zess, gegen den jede Papst­wahl wie ein Kin­der­gar­ten­aus­flug aus­sieht) dach­te ich immer wie­der: „Das war musi­ka­lisch ein sehr guter Jahr­gang!“ Gleich­zei­tig habe ich fest­ge­stellt, dass ich wirk­lich weni­ge Songs in ihrem Kon­text gehört habe — also als Teil eines Albums. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich auf zehn Alben kom­me, die ich öfter als drei Mal gehört habe.

Ein paar Trends waren zu erken­nen: Im Ver­ei­nig­ten König­reich kam Drum ’n‘ Bass sowas von zurück (und es inter­es­sier­te, wie schon in den 1990er Jah­ren, hier­zu­lan­de kaum jeman­den im Main­stream); es gab über­ra­schend vie­le jun­ge Bands, die wie The Strokes klan­gen, eine Band, die für Men­schen unter 30 eigent­lich eine Oldie-Band sein muss, und ich habe – beson­ders im Ver­gleich zu vor 15, 20 Jah­ren – ziem­lich vie­le Songs dabei, die von Frau­en gesun­gen wer­den.

Bei vie­len Songs habe ich zwar kei­ne Ahnung, wie ich über­haupt auf sie auf­merk­sam gewor­den bin, aber sie haben mich dann eben doch über Mona­te beglei­tet, bei allem, was man so tut und erlebt. Es wur­de aber auch irgend­wann belie­big: Bei vie­len Songs dach­te ich, wenn ich sie im Lau­fe des Jah­res ein paar Mal öfter gehört hät­te, hät­ten sie am Ende auch auf einem ein­stel­li­gen Rang lan­den kön­nen. Über 100 Songs in der Vor­auswahl und fast alle sind gleich gut?

Es gibt also jetzt eine Lis­te mit 100 Songs (Sor­ry!). Man kann sie auf Shuff­le hören, dann ist sicher­lich viel Schö­nes dabei, aber vor allem die ers­ten zehn, zwan­zig Songs fol­gen auch einer gewis­sen Hier­ar­chie:

10. Crow­ded House – Oh Hi
Ich ver­ra­te Euch jetzt ein Geheim­nis: An mehr als 182 Tagen im Jahr hal­te ich Neil Finn für einen bedeu­ten­de­ren Song­wri­ter als John Len­non und Paul McCart­ney. Etli­che der Songs, die er für die gera­de mal vier Alben von Crow­ded House in den 1980er und 90er Jah­ren geschrie­ben hat, sind längst Klas­si­ker; „Don’t Dream It’s Over“ ist für mich einer der schöns­ten Songs aller Zei­ten (und wenn man ein Orgels­o­lo hei­ra­ten könn­te: Hier würd ich’s tun!) und „Ever­yo­ne Is Here“, das Album, das er 2004 mit sei­nem Bru­der Tim auf­ge­nom­men hat, wäre bei mei­nen Top 10 für die ein­sa­me Insel mit dabei. Seit ein paar Jah­ren sind sei­ne Söh­ne Liam und Elroy Teil von Crow­ded House und zusam­men haben sie letz­tes Jahr das Album „Gra­vi­ty Stairs“ ver­öf­fent­licht. Nicht der ganz gro­ße Wurf, aber die Vor­ab-Sin­gle „Oh Hi“ ver­eint wie­der ein­gän­gi­ge Melo­dien mit einem schwe­re­lo­sen Pop-Arran­ge­ment, wie man es von der Band seit knapp 40 Jah­ren kennt. Ein Klang, so ver­traut wie das Wohn­zim­mer mei­ner Eltern.

9. Lam­b­ri­ni Girls – Com­pa­ny Cul­tu­re
Eine eng­li­sche all girl Punk­band, die einen wüten­den, kom­pro­miss­lo­sen und trotz­dem lus­ti­gen Song über Sexis­mus am Arbeits­platz spielt? Count me in! 

8. Bon Iver – Spey­si­de
Ich möch­te ehr­lich sein: So ganz hab ich nicht alles ver­stan­den, was Jus­tin Ver­non nach dem zwei­ten Bon-Iver-Album „Bon Iver“ gemacht hat. Die­ses Gezir­pe, die komi­schen Song­ti­tel, die 42 Gastsänger*innen — aber Ver­non war von Anfang an über so vie­le Zwei­fel erha­ben, dass ich den Feh­ler natür­lich bei mir gesucht habe. Jetzt hat er die Akus­tik­gi­tar­re wie­der­ge­fun­den und die Drei-Song-EP „SABLE,“ (nur echt in Groß­buch­sta­ben, mit Kom­ma und vier Tracks, weil der ers­te nur Geräusch ist) klingt, als sei sie der noch klei­ne­re Anbau zu der Wald­hüt­te, in der im Win­ter 2006/​07 das Debüt­al­bum „For Emma, Fore­ver Ago“ ent­stan­den ist. „Spey­si­de“ klingt ent­spre­chend, wie nach einer lan­gen Rei­se wie­der zuhau­se anzu­kom­men.

7. Manic Street Pre­a­chers – Decli­ne & Fall
Ich bin jetzt seit fast 25 Jah­ren Fan der Manic Street Pre­a­chers; sie haben mich durch die Ober­stu­fen­zeit beglei­tet und poli­ti­siert. Ihr letz­tes rich­tig gutes Album ist jetzt auch schon vier­zehn Jah­re alt — und dann bal­lern sie plötz­lich so eine Sin­gle raus: eine Pia­no-Hook wie bei ABBA, Gitar­ren wie bei Guns ‘n’ Roses und eine Gesangs­me­lo­die, die unge­fähr so ein­gän­gig ist wie ein gelun­ge­ne­rer Schla­ger. Der Text han­delt davon, im Ange­sicht einer ver­fal­len­den Welt die klei­nen Wun­der zu fei­ern — viel­leicht ein biss­chen fata­lis­tisch für eine Band, die die meis­te Zeit ihrer Kar­rie­re die kom­mu­nis­ti­sche Welt­re­vo­lu­ti­on anzet­teln woll­te, aber in Zei­ten, in denen sich so vie­le immer radi­ka­ler äußern, ist es auch auf eine Art radi­kal, das Gegen­teil zu tun. Am 31. Janu­ar erscheint dann auch end­lich das neue Manics-Album, des­sen Titel eben­falls per­fekt in unse­re Zeit passt: „Cri­ti­cal Thin­king“.

6. Ider – You Don’t Know How To Dri­ve
Wir waren bei Cof­fee And TV schon gro­ße Fans von Ider, bevor das bri­ti­sche Elek­tro­pop-Duo über­haupt 2019 sein Debüt­al­bum „Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on“ ver­öf­fent­licht hat­te. Der Bild­spen­der für den Titel die­ser Sin­gle ist die männ­li­che Unfä­hig­keit, sich im Stra­ßen­ver­kehr zu ori­en­tie­ren, aber immer gute Rat­schlä­ge zu geben — und das ist nur die ers­te Stro­phe, denn die burns wer­den danach noch viel, viel gemei­ner: „I wan­na throw your shit in the midd­le of the street /​ Real­ly make a big sce­ne and burn your red SG /​ Dele­te the files of your solo EP, yeah no one’s gon­na hear it now“, sin­gen Megan Mark­wick und Lily Somer­ville im Refrain und viel­leicht muss man ein paar Musi­ker im Bekann­ten­kreis haben, um die Tie­fe und Schär­fe die­ser Zei­len voll wür­di­gen zu kön­nen, aber lasst es mich so sagen: Das hier ist die nuklea­re Opti­on — aber sehr, sehr lus­tig! Das drit­te Ider-Album „Late To The World“ erscheint am 21. Febru­ar; Ende März spie­len sie in Ham­burg, Ber­lin und Köln.

5. MJ Len­der­man – She’s Lea­ving You
Ich hät­te ehr­lich gesagt nicht damit gerech­net, dass es noch mal einen Act wie MJ Len­der­man geben wür­de: klas­si­scher Indie­rock, den Men­schen zwi­schen 16 und 61 gut fin­den und über den eine Zeit­lang wirk­lich alle in mei­nem Umfeld reden. „You can put your clo­thes back on /​ She’s lea­ving you“ ist kein ganz schlech­ter Anfang, es wird danach aber noch bes­ser: Es fällt schwer, den Refrain „It falls apart, we all got work to do /​ It gets dark, we all got work to do“ nicht auf das all­ge­mei­ne Welt­ge­sche­hen zu bezie­hen — aber was bezieht man die­ser Tage nicht dar­auf? Dabei ist der Song doch eigent­lich das „Sie ist weg“ der Gene­ra­ti­on Z (hof­fe ich).

4. kett­car – Auch für mich 6. Stun­de
Ja, ja, natür­lich: „Mün­chen“ hat­te mehr Wucht, war poli­ti­scher und wich­ti­ger — so wie damals „Som­mer ’89“. Aber kett­car benen­nen ja nicht nur Pro­ble­me, sie haben immer auch Trost dabei: „Ein Ben­ga­lo in der Nacht“. So ist „Auch für mich 6. Stun­de“, der Ope­ner ihres sehr, sehr guten 2024er Albums „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ viel­leicht eher der Zwil­ling von „Ankunfts­hal­le“ vom Vor­gän­ger „Ich vs. Wir“: Ja, da ist ganz schön viel Schei­ße in der Welt, aber wir müs­sen da nicht allei­ne durch. Und das ist für mich dann die noch schö­ne­re Bot­schaft, getra­gen von die­sem wun­der­ba­ren Snow-Pat­rol-Arran­ge­ment.

3. Phi­li­ne Son­ny – In Deni­al
Dafür, dass sie erst seit weni­gen Jah­ren Musik ver­öf­fent­licht, gehört Phi­li­ne Son­ny schon sehr deut­lich zu unse­ren Lieb­lings-Acts. Okay: Sie wohnt ja auch in Bochum, aber das hier ist mehr als Lokal­pa­trio­tis­mus, das ist „Ich fänd’s auch geil, wenn es aus den USA käme und bei All Songs Con­side­red und Pitch­fork vor­ge­stellt wür­de“. Im März erschien ihre EP „Inva­der“, dar­auf auch „In Deni­al“, ein lang­jäh­ri­ger fan favo­ri­te bei den Kon­zer­ten. Die­ses „Some­bo­dy out the­re“ muss man mal live erlebt haben, wie das Publi­kum es mit­singt.

2. Japan­dro­ids – Posi­tively 34th Street
Kann man mit über 25 noch glaub­haf­te Lie­bes­lie­der schrei­ben? Ben Folds war 34, als er „The Luckiest“ auf­nahm; Mar­cus Wie­busch 43 bei „Ret­tung“. Also: Ja. Bri­an King ist 41, als das fina­le Album sei­ner Band Japan­dro­ids erscheint. „Posi­tively 34th Street“ ist nicht nur ein Ver­weis auf Bob Dylan, es ist auch eines der erwach­sens­ten Lie­bes­lie­der, das ich je gehört habe. Und eines der schöns­ten. Wie man auch nach Jah­ren, nach all dem Cha­os, das wir „Leben“ nen­nen, noch an eine Per­son von frü­her den­ken kann; wie man es noch mal ver­sucht, immer wie­der hadert und zwei­felt und die Geschich­te viel­leicht doch noch gut aus­geht, zumin­dest aber erst­mal über­haupt noch anfängt, das ist schon gran­dio­ses, lebens­na­hes Song­wri­ting. Und das alles in die­sem klas­si­schen Hüs­ker-Dü-tref­fen-Bruce-Springsteen-Sound, den Japan­dro­ids über ihre vier Stu­dio­al­ben gepflegt haben: Die­ser Song ist das Gegen­teil von mid­life cri­sis, von Por­sche, Gold­kett­chen und die Demo­kra­tie zer­stö­ren. So klin­gen Män­ner, die es irgend­wie doch noch geschafft haben; geschun­den zwar, aber im Ein­klang mit sich und ihren Gefüh­len.

1. Chris­ti­an Lee Hut­son – After Hours
Seit dem Release Anfang Juli lag ich mei­ner gesam­ten peer group in den Ohren, dass sie sich bit­te, unbe­dingt, kei­ne Zeit zu War­ten, die­sen Song anhö­ren sol­len. Nein: müs­sen! „After Hours“ klingt, als wür­de ich es seit 25 Jah­ren ken­nen, aber ich kann nicht genau sagen, an was mich Stim­me und Musik erin­nern: Nick Dra­ke? Nein. The Wea­k­erthans? Auch nicht. Vor allem war Chris­ti­an Lee Hut­son vor 25 Jah­ren gera­de acht und hat (hof­fent­lich, denn das Wort „fuck“ kommt auch drin vor) noch nicht sol­che Songs geschrie­ben. Refrains gibt’s kei­ne, dafür Stro­phen, die sich frei asso­zia­tiv von Spät­is im Him­mel über die Schau­spie­le­rin Cathe­ri­ne O’Hara bis zur Fest­stel­lung „The good stuff is behind a pay­wall“ erstre­cken. Es war ein wil­des Jahr für mich, vor allem in der zwei­ten Hälf­te, aber dann war die­ser Song immer für mich da, der sich anfühlt wie in der war­men Bade­wan­ne ein­zu­schla­fen (Vor­sicht bit­te!). Ein­at­men, aus­at­men. „It’s cra­zy I know, I’ve got nowhe­re to go /​ But up here, I wear my seat­belt“.

100 Songs, über 6 Stun­den:

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Songs des Jahres 2018

Die Alben hat­ten wir schon, kom­men wir nun zu den Songs des Jah­res 2018. Da ich neben mei­nen Haupt­quel­len für neue Musi­kent­de­ckun­gen, „All Songs Cosi­de­red“ und Radio­eins, auch wie­der auf die (meist sehr guter) „Das könn­te Dir gefallen“-Funktion von Spo­ti­fy und diver­se Zufalls­fun­de gesetzt habe, ist es wie­der eine eher eklek­ti­sche Lis­te, bei der ich nicht zu jedem Lied son­der­lich viel sagen könn­te.

Auch ist es eigent­lich eine absur­de Idee, die­se Songs irgend­wie gewich­ten und sor­tie­ren zu wol­len – eigent­lich ist spä­tes­tens ab Posi­ti­on 10 die Rei­hen­fol­ge ziem­lich will­kür­lich, wes­we­gen man die Lis­te auch wie­der sehr schön im Shuff­le-Modus hören kann.

Aber ich dach­te mir: Nach fünf­jäh­ri­ger Baby­pau­se ist mein Sohn inzwi­schen so alt, dass er eige­ne Rang­lis­ten erstel­len könn­te, ((Sei­ne Num­mer 1, ver­mut­lich: ent­we­der „Afri­ca“ von Weezer oder „Solo“ von Clean Ban­dit und Demi Lova­to, was übri­gens auch mein „Pein­lichs­tes Lieb­lings­lied des Jah­res“ sein dürf­te.)) und weil ich ja auch wie­der beruf­lich viel mehr über Musik schrei­be, neh­me ich mir jetzt 25 Songs und erklä­re die zu einer (wie immer nur 0,3 Mil­li­se­kun­den lang exakt gül­ti­gen) Hit­pa­ra­de.

Lukas, stop voting now!

25. Catch Fire – Petrifac­tion
Auto­ra­dio ist schwie­rig, weil es in NRW natür­lich kaum hör­ba­re Radio­sen­der mit Musik gibt. Aber in wei­ten Tei­len der Bochu­mer Innen­stadt emp­fan­ge ich halb­wegs gut CT das radio, mei­nen Hei­mat­sen­der, dem ich auf ewig ver­bun­den sein wer­de. Und da lief die­ser Song: Heu­len­de Gitar­ren­licks, häm­mern­de Drums, Geschrei und „Why does ever­y­thing that I touch turn to stone?“ – ich war sofort wie­der 19, die dun­kel getön­ten Haa­re fie­len mir in Sträh­nen ins Gesicht und ich woll­te an irgend­ei­nem Fluss ste­hen und bedeu­tungs­schwer aufs Was­ser star­ren. Es gibt ihn noch, den guten Emo!

24. The Fratel­lis – I’ve Been Blind
The Fratel­lis, waren das nicht die­se Indie-One-Hit-Won­der zu einer Zeit, als ich noch in der Musik­re­dak­ti­on von CT das radio tätig war? Was wol­len die denn 13 Jah­re spä­ter wie­der (und was haben sie in der Zwi­schen­zeit gemacht)? Nun, war­ten wir bis zum Refrain, der „Kno­wing Me, Kno­wing Me“ von ABBA in eine Mitgröhl­hym­ne für Stu­den­ten­knei­pen, Frei­tags­mor­gens um halb zwei, das letz­te Bier in die Luft gereckt, trans­fe­riert. Wo war die­ser Song, als ich jung war?

23. Hozier feat. Mavis Stap­les – Nina Cried Power
Wie wirkt die­ser Song wohl auf Men­schen, die die gan­zen Refe­ren­zen und das gan­ze name che­cking nicht ver­ste­hen? Nun: Die jun­gen Leu­te haben es mil­lio­nen­fach gestreamt und auf ihren Radio­sen­dern gehört, also wohl eben­falls gut. Aber wie soll man sich auch die­sem Groo­ve und die­ser Hym­ne über Hym­nen wider­set­zen? Extra-Respekt dafür, sich so durch die­sen Song zu croo­nen und dann das Spot­light auf Mavis Stap­les zu rich­ten, deren Stim­me natür­lich noch unge­fähr zehn mal wirk­mäch­ti­ger ist! (Übri­gens der ein­zi­ge Song, auf den Barack Oba­ma und ich uns letz­tes Jahr eini­gen konn­ten.)

22. Geor­ge Fitz­Ge­rald – Burns
Ich gebe zu, soeben zum ers­ten Mal gegoo­gelt zu haben, wer Geor­ge Fitz­Ge­rald eigent­lich ist (wobei die Infor­ma­tio­nen da auch nicht üppig sind). Aber die­ser hyp­no­tisch pum­pen­de Elek­tro-Song hat mich seit Mit­te März durch das Jahr beglei­tet. Sind das alles Stim­men? Syn­the­si­zer? Egal! Vor mei­nem geis­ti­gen Auge fah­ren U‑Bahnen durch nächt­li­che Groß­städ­te und alles ist cool und auf­re­gend.

21. Brand New Fri­end – Seat­belts For Aero­pla­nes

You’­re like a seat­belt on an air­plane with me late­ly
You’­re more for making me feel safe than for actu­al safe­ty
And for every sin­gle moment that you made me feel ama­zing
The­re were seve­ral other times that I felt kin­da hazy
But I know I was never your ever­y­thing, but
I hope I was some­thing, so come on

Das ist exakt die Musik, die ich in 2:42 Minu­ten von einer Trup­pe 19-bis-23-Jäh­ri­ger hören möch­te, die ein Demo auf­ge­nom­men hat­ten, das dann „ver­se­hent­lich“ zum offi­zi­el­len Album erklärt und für den Nor­t­hern Ire­land Music Pri­ze nomi­niert wur­de.

20. Oh Pep! – Truths
Bron­ze bei mei­nen Alben des Jah­res und ein Song, der die­ses Album wun­der­bar zusam­men­fasst: melan­cho­lisch und zer­brech­lich, aber auch druck­voll und mit hin­ter­grün­di­gem Text.

19. Aria­na Gran­de – No Tears Left To Cry
Schon für sich genom­men sind die­se drei Songs, die sich hier irgend­wie zu einem ver­ei­ni­gen, ja ein ech­tes Fest. Wenn man dann auch noch mit­denkt, dass hier eine Frau strah­len­den Opti­mis­mus ver­brei­tet, ein Jahr, nach­dem nach Abschluss ihres Kon­zerts in Man­ches­ter bei einem Bom­ben­an­schlag 22 Men­schen getö­tet und mehr als 500 ver­letzt wur­den, jagt einem das schon eine ganz schö­ne Gän­se­haut den Rücken run­ter. So muss man aus so einer Geschich­te erst mal wie­der raus­kom­men! One love!

18. Chil­dish Gam­bi­no – This Is Ame­ri­ca
„Wel­che Rol­le spielt das Musik­vi­deo noch im Jahr 2018, wo nie­mand mehr Musik­fern­se­hen guckt und auch You­Tube eher zur Hin­ter­grund­be­rie­se­lung genutzt wird?“ – „Nun, las­sen Sie mich so ant­wor­ten:

Ein poli­tisch-kul­tu­rel­les Gesamt­kunst­werk, das her­me­neu­tisch in tau­sen­de Ein­zel­tei­le zer­legt wer­den konn­te, und bei dem man sich den Song, nach­dem man das Video ein­mal gese­hen hat, nicht mehr ohne vor­stel­len kann. Offe­ne Mün­der, der Wahn­sinn!

17. MILCK – Black Sheep
MILCK, ali­as Con­nie Lim, wur­de 2017 berühmt mit „Quiet“, der inof­fi­zi­el­len Hym­ne des „Women’s March“. „Black Sheep“ könn­te man ent­spre­chend als inof­fi­zi­el­le Hym­ne der „It Gets Bet­ter“-Bewe­gung bezeich­nen: eine Lie­bes­er­klä­rung an alle, die anders sind, aus­ge­grenzt wer­den und sich allei­ne füh­len. „Don’t let anyo­ne turn your uni­que into flaws /​ Yeah, you know that I love you the way that you are“. Hach!

16. Res­to­ra­ti­ons – St.
Am Tag nach mei­ner Geburts­tags­fei­er ging ich, nach­dem ich alles so weit auf­ge­räumt und gespült hat­te, im strah­len­den Son­nen­schein die­ses unend­li­chen Som­mers spa­zie­ren und hör­te bei „All Songs Con­side­red“ die­sen Song. Ich habe dann noch ein paar Umwe­ge genom­men, um direkt das gan­ze (24-minü­ti­ge) Album zu hören. Anschlie­ßend muss­te mei­ne Musik­ko­lum­ne im „JWD“-Magazin noch mal geän­dert wer­den, denn „LP5000“ muss­te natür­lich sofort mit ins Heft!

15. Janel­le Monáe – I Like That

A litt­le cra­zy, litt­le sexy, litt­le cool
Litt­le rough around the edges, but I keep it smooth
I’m always left of cen­ter and that’s right whe­re I belong
I’m the ran­dom minor note you hear in major songs

Wer braucht noch Musik­jour­na­lis­mus bei die­ser Selbst­be­schrei­bung?

14. Toco­tro­nic – Unwie­der­bring­lich
Zwei Wochen nach der Beer­di­gung mei­nes Groß­va­ters saß ich mit mei­nem Sohn in sei­nem son­nen­durch­flu­te­ten Kin­der­zim­mer und hör­te zum ers­ten Mal das neue Toco­tro­nic-Album „Die Unend­lich­keit“. Nach einem lan­gen Kam­mer­mu­sik-Intro sang Dirk von Lowtzow „Dein Tod war ange­kün­digt /​ Das Leben ging dir aus /​ Unwie­der­bring­lich /​ Schlich es aus dir hin­aus“. Ich saß da, hör­te, biss mir auf die Unter­lip­pe und war unwie­der­bring­lich an die­ses Lied ver­lo­ren. Was da lyrisch abgeht, ist intel­lek­tu­ell kaum zu fas­sen, das knallt direkt in die Magen­gru­be!

13. Paen­da – Paper-Thin
Was haben die Öster­rei­cher eigent­lich im Trink­was­ser, dass sie uns jetzt – obwohl nur ein Zehn­tel der Ein­woh­ner­zahl Deutsch­lands – seit Jah­ren vor­ma­chen, wie Pop­mu­sik noch mal geht? Und damit mei­ne ich nicht nur Wan­da und Bil­der­buch (und Fal­co, hoho­ho), son­dern auch weit­ge­hend unbe­kann­te Juwe­le wie die Wie­ne­rin Gabrie­la Horn ali­as Paen­da, die sich mit ihrem viel­schich­ti­gen Elek­tro­pop hier irgend­wo zwi­schen Shura, Robyn und Sia ein­reiht.

12. Mit­ski – Nobo­dy
Bei man­chen Lie­dern kann ich exakt erklä­ren, war­um ich sie lie­be, bei ande­ren eher gar nicht. Aber ver­mut­lich passt hier ein­fach alles exakt rich­tig zusam­men: vom Text über die Instru­men­tie­rung und den Beat bis zur all­ge­mei­nen Anmu­tung, die dann im ent­schei­den­den Moment mehr als nur einen Hauch an „Love­fool“ von den Car­di­gans erin­nert.

11. Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – House In The Trees
Es brauch­te knapp 13 Sekun­den. Andrew McMa­hon hat­te noch gar nicht ange­fan­gen zu sin­gen, da wuss­te ich schon, dass ich die­sen Song lie­ben wür­de: Das Intro, das ein biss­chen an „Sky High“ von Ben Folds Five erin­nert, die The-War-On-Drugs-Gitar­ren – und dann die­ser Text von Freund­schaf­ten, die irgend­wann ein­fach nicht mehr die sel­ben sind. Andrew McMa­hon hat­te ein­mal mehr einen Song geschrie­ben, der direkt zu mir sprach – ja, mehr noch: der sich anfühl­te, als hät­te ich ihn schrei­ben kön­nen, wenn ich nur mehr Talent hät­te und mir ein biss­chen Mühe geben wür­de.

10. Mar­te­ria & Cas­per – Cham­pi­on Sound
Deutsch­spra­chi­ger Hip­hop ist für mich wirk­lich schwie­rig: ent­we­der so stumpf, men­schen- und frau­en­ver­ach­tend dumm und von allen guten Geis­tern ver­las­sen wie die Rap­per-Kari­ka­tu­ren Kol­le­gah und Cil­lit Bang, oder so egal geal­tert wie die Über­le­ben­den der ers­ten Wel­le in den 1990er Jah­ren (Fan­ta Vier, Fet­tes Brot, Beg­in­ner). Aber es gibt ja noch Cas­per und Mar­te­ria: Als die „Cham­pi­on Sound“ vor­leg­ten, die­ses feis­te Brett, das den „Wir sind die Coolsten“-Gestus mit so viel Witz, Lie­be zum Detail und dickem Blä­ser­satz erträg­lich mach­te, dach­te ich, dass sie mit ihrem gemein­sa­men Album alles in den Schat­ten stel­len wür­den. Ganz so über­mä­ßig gut war „1982“ dann lei­der doch nicht, aber die­ser Song: mei­ne deutsch­spra­chi­ge Nr. 1, wie ich schon jetzt ver­ra­ten möch­te.

9. Metric – Now Or Never Now
Erin­nert sich noch jemand an Bris­ke­by, die­ses nor­we­gi­sche Mini-One-Hit-Won­der, das vor … puh: 18 Jah­ren mal kurz­zei­tig als nächs­tes gro­ßes Ding gehan­delt wur­de? Nun, Metric klin­gen auf „Now Or Never Now“, als hät­ten sie der Band ein Denk­mal set­zen wol­len – was ja nun echt absurd wäre, weil Metric ja nun wirk­lich genug eige­nes Renom­mee mit­brin­gen. Aber weil ich das Bris­ke­by-Debüt damals moch­te, hat mich die­ser Song irgend­wie schwer abge­holt. Und dass der Song in der Album­ver­si­on vol­le fünf Minu­ten braucht, bis er sei­ne Hook (und Titel­zei­le) erreicht, macht ihn auch noch mal ein biss­chen tol­ler!

8. The Go! Team – Semicir­cle Song
Blä­ser und Drum­li­ne, die noch fet­ter sind als bei Mar­te­ria & Cas­per, Gesang, bei dem man drei­mal nach­gu­cken muss, ob man da nicht gera­de die Jack­son 5 hört, und Men­schen, die ihre Stern­zei­chen auf­zäh­len – völ­lig nor­ma­le Zuta­ten für einen Song, den man eigent­lich nur lie­ben kann. Und da: ein Glo­cken­spiel!

7. Leo­ni­den – Kids
„Again“, ist, wie gesagt, ein sehr, sehr Album. Und „Kids“ ist der bes­te unter einer gan­zen Rei­he sehr guter Songs. Fuck it all, we kil­led it tonight!

6. DJ Koze – See­ing Ali­ens
Die „Exten­ded Breakth­rough Listen“-Version dau­ert 8:17 Minu­ten und wird dabei an kei­ner Stel­le lang­wei­lig. Irgend­wo zwi­schen Buri­al und Under­world sta­peln sich hier irgend­wel­che Sounds über einem trei­ben­den Beat, der immer mal wie­der ein- und aus­gef­a­det wird, wes­we­gen der gan­ze Track mehr nach einer Zug- oder Auto­fahrt klingt, bis sich dann der eigent­li­che Song her­vor­schält, der es schafft, gleich­zei­tig völ­lig frisch zu klin­gen und so, als wür­de man ihn bereits seit 25 Jah­ren ken­nen.

5. Chris­ti­ne And The Queens – 5 Dol­lars
Defi­ni­tiv Rosé­wa­ve, defi­ni­tiv que­er, also defi­ni­tiv ein Song nach mei­nem Geschmack!

4. Meg Myers – Numb
Wenn man in einem Semi­nar erklä­ren müss­te, wie man einen Song auf­baut, emp­feh­le ich „Numb“: vor­sich­tig rein­groo­ven, lang­sam stei­gern, dann alle Tore öff­nen und alles in einer fina­len Refrain-Zei­le kul­mi­nie­ren las­sen, die das Fes­ti­val-Publi­kum im Zwei­fels­fall auch bei 2 Pro­mil­le noch mit­brül­len kann. Ach, für die­sen Song müss­te man das Bizar­re-Fes­ti­val wie­der auf­er­ste­hen las­sen!

3. Hay­ley Kiyo­ko – Curious
Sie wol­le nur wis­sen, ob es was Erns­tes sei, singt Hay­ley Kiyo­ko und ihr „If you let him touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya /​ The way I used to, used to, used to, used to, used to, used to“ lässt fer­ne Erin­ne­run­gen an eine der dra­ma­tischs­ten Fra­gen der Pop­ge­schich­te wach wer­den: „Does it feel the same /​ When she calls your name?“ („The Win­ner Takes It All“, natür­lich). Dass da eine Frau singt, der neue Part­ner der/​des Besun­ge­nen aber ein Mann ist, ver­wirrt höchs­tens altern­de Englischlehrer*innen, die bei die­sem Musik­vi­deo einen roten Kopf bekom­men: It’s 20GAYTEEN, remem­ber?

2. Big Red Machi­ne – Hym­no­stic
Wir unter­bre­chen die­se Gale­rie jun­ger Frau­en kurz für zwei nicht mehr gaaa­anz so jun­ge Män­ner (37 und 42, oh, ver­dammt!): Jus­tin Ver­non (Bon Iver, Vol­ca­no Choir, The Shou­ting Matches, usw. usf.) und Aaron Dess­ner (The Natio­nal) haben gemein­sam ein Album auf­ge­nom­men, das die Zeit bis zu den neu­en Alben von Bon Iver und The Natio­nal wun­der­bar über­brückt. Und das mit „Hym­no­stic“ eine lang­sam vor sich hin gos­peln­de Sin­gle hat, die die Son­ne in jeder noch so tie­fen Nacht auf­ge­hen lässt.

1. Rae Mor­ris – Do It
Was zu erwar­ten war: Im März hat­te ich mich in „Do It“ ver­liebt und seit­dem nichts unver­sucht gelas­sen, den Song zum Som­mer­hit des Jah­res 2018 zu pushen. Das hat auf offi­zi­el­ler Ebe­ne nicht geklappt, aber mein Sohn singt begeis­tert den Refrain mit und was will man da noch mehr ver­lan­gen? Ein Song, ein Video, ein Album, wo nahe­zu alles stimmt und des­halb – die Sta­tis­ti­ker unter Ihnen hat­ten schon auf­ge­regt in ihren Unter­la­gen gewühlt – gehen die Aus­zeich­nun­gen für „Album des Jah­res“ und „Song des Jah­res“ erst­mals seit zwölf Jah­ren („Buch­sta­ben über der Stadt“ und „New York“ von Tom­te – und wer mich ein biss­chen kennt, weiß, wel­che Fuß­stap­fen das sind!) wie­der an ein und den­sel­ben Act. Herz­li­chen Glück­wunsch, Rae Mor­ris!

(Wei­te­rer sta­tis­ti­scher fun fact: Rae Mor­ris ist damit der ers­te Act über­haupt in der 18-jäh­ri­gen Geschich­te mei­ner per­sön­li­chen Bes­ten­lis­ten, der zum zwei­ten Mal den Titel „Song des Jah­res“ ein­fah­ren konn­te. Wow!)

Und hier sind alle 60 Songs in einer prak­ti­schen Spo­ti­fy-Play­list, die sehr, sehr gut ist:

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Alben des Jahres 2018

In Groß­bri­tan­ni­en ist der Absatz von CDs im ver­gan­ge­nen Jahr um 23% ein­ge­bro­chen. Wenn das in Deutsch­land ähn­lich aus­se­hen – und die Zah­len des ers­ten Halb­jah­res deu­ten dar­auf hin – trifft mich sicher­lich eine Mit­schuld, denn so weni­ge CDs gekauft wie im letz­ten Jahr habe ich bestimmt seit 20 Jah­ren nicht mehr.

Dafür habe ich (auch weil ich end­lich mal wie­der rich­tig musik­jour­na­lis­tisch tätig bin) so viel Musik gehört wie seit vie­len Jah­ren nicht mehr – und zwar über Spo­ti­fy, was sich für mich immer noch so anfühlt, wie an die­sen Hör­sta­tio­nen, die es frü­her im Saturn gab, kurz in die CD rein­zu­hö­ren, die man in der Hand hält, ohne die Hül­le öff­nen zu müs­sen.

Ich bin, wie schon mal ange­deu­tet, medi­al kon­ser­va­tiv: Ich mag linea­res Fern­se­hen, weil ich mich dort nur zwi­schen knapp 80 Sen­dern (rea­lis­ti­scher­wei­se für mich: zwölf) ent­schei­den muss und nicht zwi­schen zehn­tau­sen­den Strea­ming-Ange­bo­ten. ((Ich nut­ze gera­de einen Monat lang Net­flix, weil ich „Springsteen on Broad­way“ sehen woll­te, und ich fin­de die­se gan­ze Platt­form so schlimm, dass ich fast schon Angst vor gro­ßen, roten „N„s habe, wenn ich sie irgend­wo sehe.)) Ich lese Tex­te am Liebs­ten auf Papier, weil ich dann hin­ter­her wenigs­tens noch unge­fähr weiß, was drin stand. Und ich habe mei­ne Musik und Fil­me ger­ne auf klei­nen sil­ber­nen Schei­ben, die kaputt gehen kön­nen, wenn sie in die Hän­de von Klein­kin­dern gera­ten oder 30 Jah­re rum­ste­hen.

Und selbst, wenn im letz­ten Jahr nur weni­ge CDs zu mei­ner Samm­lung hin­zu­ge­kom­men sind, glau­be ich immer noch an die Idee des Albums, also eines in sich geschlos­se­nen Werks, bei dem die ein­zel­nen Stü­cke in einer Rei­hen­fol­ge ste­hen, die die Künstler*innnen kurz vor der Ver­öf­fent­li­chung als defi­ni­tiv erach­tet haben – wes­we­gen es mich auch wahn­sin­nig macht, wenn auf „Spe­cial Edi­ti­ons“ zum x. Jubi­lä­um eines Albums plötz­lich die Rei­hen­fol­ge oder gar die Aus­wahl der Songs geän­dert wer­den.

Lan­ge Rede, kur­zer Sinn: Hier sind mei­ne 10 Alben des Jah­res 2018!

10. Hay­ley Kiyo­ko – Expec­ta­ti­ons (Spo­ti­fy, Apple Music)
Am 1. Janu­ar 2018 rief Hay­ley Kiyo­ko via Twit­ter das Jahr „20GAYTEEN“ aus – und tat danach alles, damit sich ihre Vor­her­sa­ge bewahr­hei­tet. Ihr Debüt­al­bum „Expec­ta­ti­ons“ ist zu wei­ten Tei­len Rosé­wa­ve in Rein­form und damit genau das, was ich in die­sem unend­li­chen Som­mer hören woll­te!

9. Toco­tro­nic – Die Unend­lich­keit (Spo­ti­fy, Apple Music)
Viel, viel, viel zu sel­ten gehört: Ange­kün­digt als „Kon­zept­al­bum“ und „Auto­bio­gra­phie in 12 Kapi­teln“ (das Album ent­hält 16 Titel) durf­te man vor­ab ein biss­chen besorgt, aber auch gespannt sein. Toco­tro­nic haben alle Erwar­tun­gen pul­ve­ri­siert und ein Werk (ja: ein Werk!) vor­ge­legt, das in so vie­le Rich­tun­gen geht, in so vie­len Far­ben schil­lert und doch genau die Essenz die­ser Band wie­der­gibt.

8. Res­to­ra­ti­ons – LP5000 (Spo­ti­fy, Apple Music)
24 Minu­ten, sie­ben Songs – mehr braucht es nicht für ein beein­dru­cken­des Album, das Geschich­ten aus einem Ame­ri­ka erzählt, das ver­wirrt und gespal­ten ist. Mit heu­len­den Gitar­ren, Rock’n’Roll-Ges­ten und Pathos, mit Bruce Springsteen im Tank und The Gas­light Anthem, The Hold Ste­ady und Japan­dro­ids im Rück­spie­gel (wo die Din­ge ja immer fer­ner erschei­nen, als sie in Wirk­lich­keit sind).

7. Clue­so – Hand­ge­päck I (Spo­ti­fy, Apple Music)
Da hät­te ich jetzt auch nicht unbe­dingt mit gerech­net: Dass Clue­so ein Album raus­bringt, das mich so abholt und mit­nimmt. Dar­über, wie es ist, unter­wegs zu sein und an zuhau­se zu den­ken, über die Welt und die eige­ne Rol­le dar­in – sehr redu­ziert und sehr anrüh­rend. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re schwärm­te von „Clue­sos ‚Sea Chan­ge‘ “, mich hat es in sei­ner Wirk­mäch­tig­keit an Tom Liwas „St. Amour“ erin­nert. (Fun fact: Clue­so ist inzwi­schen ziem­lich genau so alt wie Tom Liwa, als der „St. Amour“ auf­ge­nom­men hat. Uff!)

6. Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – Upsi­de Down Flowers (Spo­ti­fy, Apple Music)
Okay, okay: Andrew McMa­hon ist mir so nahe wie sonst nur Ben Folds, kett­car und R.E.M. (und viel­leicht noch ein, zwei Dut­zend ande­re Acts), aber nach dem letz­ten Album „Zom­bies On Broad­way“ hat­te ich ehr­lich gesagt nicht mehr mit viel gerech­net. Umso erfreu­ter war ich, dass sich „Upsi­de Down Flowers“ als Rück­kehr zu alten Höhen ent­pupp­te. Viel­leicht habe ich das Album nach sei­nem Erschei­nen im Novem­ber ein biss­chen über­do­siert, aber: Es ist auch wirk­lich gut!

5. Meg Myers – Take Me To The Dis­co (Spo­ti­fy, Apple Music)
Sie moch­ten Gar­ba­ge, Hole, Fio­na Apple, Gar­ba­ge, Tori Amos und Skunk Anan­sie und sind trau­rig, dass die 1990er Jah­re vor­bei sind? Ver­zwei­feln Sie nicht: Zie­hen Sie sich Ihr Holz­fäl­ler­hemd an, legen Meg Myers‘ zwei­tes Album auf und dre­hen die Laut­stär­ke hoch! So viel Druck, so viel Inti­mi­tät und so ver­dammt klu­ge Tex­te! (Letzt­lich also auch irgend­wie für Leu­te, denen Tay­lor Swifts „Repu­ta­ti­on“ nicht kon­se­quent genug war.)

4. Leo­ni­den – Again (Spo­ti­fy, Apple Music)
Da hät­te ich jetzt auch nicht mit gerech­net: Dass aus Deutsch­land noch mal ein rich­tig gutes Indie­rock-Album kommt – auf Eng­lisch! 32 Minu­ten, zehn Songs, aber Ideen für knapp 50: Auf „Again“ pas­siert so viel, dass man eigent­lich Buch füh­ren müss­te – was lei­der nicht geht, weil das Album so sehr groovt. Ich scheue mich nicht, Leo­ni­den in der Tra­di­ti­on der ganz gro­ßen deut­schen Indiero­cker wie Pale und Miles zu sehen. Viel­leicht klappt’s ja dies­mal mit dem gro­ßen Erfolg!

3. Oh Pep! – I Wasn’t Only Thin­king About You… (Spo­ti­fy, Apple Music)
Irgend­wo zwi­schen Folk und Indie­rock ruht das zwei­te Album des aus­tra­li­schen Frau­en­du­os Oh Pep! (Fun Fact: Pepi­ta Emme­richs [Vio­li­ne, Man­do­li­ne] hat in der Ver­fil­mung von „Wo die wil­den Ker­le woh­nen“ die gro­ße Schwes­ter von Max gespielt – und man muss ja alle Men­schen, die irgend­et­was mit die­sem abso­lut wun­der­vol­len Film zu tun hat­ten, eigent­lich schon des­halb toll fin­den!) Ich höre Melan­cho­lie, Trost, Anflü­ge von Sar­kas­mus und Wut und zehn gran­dio­se Songs.

2. DJ Koze – Knock Knock (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wäh­rend die meis­ten Alben hier auf mei­ner Lis­te die Halb­stun­den-Mar­ke nicht signi­fi­kant über­schrei­ten, ist „Knock Knock“ eher unkna­cki­ge 78 Minu­ten lang. So viel Zeit brau­chen die Tracks aber auch, um sich auf­zu­bau­en, aus­zu­brei­ten und die Hörer*innen ein­zu­wi­ckeln wie in eine war­me Decke. Mit illus­tren Gäs­ten wie Rói­sín Mur­phy, José Gon­za­les und Kurt Wag­ner hat DJ Koze ein abwechs­lungs­rei­ches Album zusam­men­ge­baut, das auch schon 20 Jah­ren alt sein könn­te – was hier aus­drück­lich als Kom­pli­ment gemeint ist.

1. Rae Mor­ris – Someone Out The­re (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn ich im März begeis­tert bin, kann sich das auch mal bis in den Dezem­ber hal­ten: Rae Mor­ris hat mit ihrem zwei­ten Album ein­fach mein Album des Jah­res auf­ge­nom­men – leicht, ver­spielt, melan­cho­lisch, humor­voll, warm­her­zig und sexy. Kurz­um: Wäre die­ses Album ein Mensch, wäre es der per­fect crush.

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Songs des Jahres 2017

Fro­hes Neu­es Jahr!

Ja, ich weiß, das ist jetzt alles ein biss­chen her, aber ich war zwi­schen­durch zum Bei­spiel zwei Wochen off­line und auch sonst immer mal wie­der ver­hin­dert.

Seit unge­fähr Mit­te Dezem­ber woll­te ich end­lich mal wie­der eine Jah­res­bes­ten­lis­te ver­öf­fent­li­chen, aber das war gar nicht so ein­fach.

Anders als frü­her war die Sache näm­lich viel schwie­ri­ger, weil ich die Lis­te anders als frü­her bei Spo­ti­fy ange­legt habe – und damit natür­lich viel mehr Aus­wahl hat­te als in iTu­nes. Außer­dem ist die­se „Dein Mix der Woche“-Funktion sehr gut und hat mir tat­säch­lich fast jede Woche meh­re­re Songs vor­ge­schla­gen, von denen ich sonst ver­mut­lich nie gehört hät­te.

Ehr­lich gesagt weiß ich des­halb über vie­le der Songs auch gar nicht so viel: Manch­mal habe ich mir die dazu­ge­hö­ri­gen Alben ange­hört (manch­mal auch öfter), aber nicht immer.

JEDENFALLS: Ich woll­te die 93 Songs, die ich an Sil­ves­ter bei­sam­men hat­te, eigent­lich auf 50 ein­damp­fen, aber das hät­te jetzt noch mal fünf Wochen dau­ern kön­nen.

Des­we­gen jetzt hier: Ohne gro­ße Erklä­run­gen, auch ohne ech­te Rei­hen­fol­ge (na ja: die zehn ers­ten Songs sind schon unge­fähr die zehn bes­ten, aber man kann das auch super im Shuff­le-Modus hören) – 60 Songs, die mir 2017 gut gefal­len haben!

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#2013

Vor zwei Wochen habe ich mir ange­schaut, wie die Sen­dung „30 Jah­re RTL“ pro­du­ziert wird. Die Auf­zeich­nung dau­er­te nicht ganz so lan­ge, wie der Titel ver­sprach (aber fast), und wird am 3. Janu­ar aus­ge­strahlt.

Deut­lich schnel­ler ging die Pro­duk­ti­on eines eher namen­lo­sen Pod­casts von­stat­ten, zu der ich mich ges­tern mit Fried­rich Küp­pers­busch getrof­fen habe: 99 Tage nach der Bun­des­tags­wahl und 101 Tage nach dem letz­ten Tages­schaum haben wir über das Jahr 2013 medi­tiert – und das Ergeb­nis kön­nen Sie sich schon jetzt anhö­ren!

Mit dabei: Ange­la Mer­kel, Edward Snow­den, Hash­tags und Omma & Oppa.

Kom­men Sie gut ins Neue Jahr!

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Musik

Alben des Jahres 2011

Schnell auf „Pau­se“ gedrückt, noch ein­mal kurz zurück­ge­guckt und dann beschlos­sen, dass ich jetzt die defi­ni­ti­ve Lis­te mei­ner Lieb­lings­al­ben 2011 (Stand: 23. Dezem­ber, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plät­ze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könn­ten auch eine ganz ande­re Rei­hen­fol­ge haben, die Plät­ze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gera­de als der Ein­druck ent­stand, dass Wal­ter Schrei­fels end­gül­tig den Über­blick ver­lie­ren könn­te über all sei­ne Bands und Pro­jek­te, besann sich das Hard­core-Urge­stein auf sei­ne Band Rival Schools, mit der er vor immer­hin zehn Jah­ren mal ein Album auf­ge­nom­men hat­te. „Pedals“ reicht nicht an „United By Fate“ her­an, ist aber ein erfri­schend leben­di­ges Rock­al­bum für Men­schen, die sich unter „Rock“ dann doch noch etwas ande­res vor­stel­len als Nickel­back oder Sun­ri­se Ave­nue.

24. Foo Figh­ters – Was­ting Light
Leu­te, irgend­was stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Wal­ter Schrei­fels auch) 42 Jah­re alt, was im Rock­busi­ness frü­her mal 90 Jah­ren im Schla­ger­ge­schäft ent­sprach. Und doch müs­sen die­se ver­dien­ten „alten“ Her­ren der Jugend zei­gen, wie man ordent­li­che Rock­mu­sik macht? Den Foo Figh­ters kann man jeden­falls nichts vor­wer­fen, außer, dass sie sich ein biss­chen aufs busi­ness as usu­al ver­legt haben. Aber dann hau­en die so Din­ger wie „Rope“, „White Limo“ und ganz am Ende „Walk“ raus und der Nach­wuchs steht irgend­wo in der Gegend rum und guckt betre­ten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ers­ten eige­nen Woh­nung von den Eltern die Ikea-Rega­le auf­bau­en las­sen muss!

23. Oh, Napo­le­on – Year­book
Was habe ich auf die­ses Album gewar­tet! Vor zwei Jah­ren. Doch bis Uni­ver­sal das Debüt end­lich auf den Markt gebracht hat­te, war der Span­nungs­bo­gen in sich zusam­men­ge­fal­len, und dann waren die bes­ten Songs aus­ge­rech­net die, die schon vor zwei Jah­ren auf der selbst­be­ti­tel­ten EP ent­hal­ten waren. Doch von die­sen (klei­nen) Ent­täu­schun­gen ab ist „Year­book“ ein wun­der­ba­res Pop­al­bum gewor­den. „To Have /​ To Lose“ und „A Book Ending“ haben nichts von ihrer erha­be­nen Schön­heit ein­ge­büßt und mit „Save Me“, „I Don’t Mind“ oder „Pick Some Roses“ sind auch genug Per­len unter den „neu­en“ Songs (die die Band seit Jah­ren live spielt). Deutsch­lands bes­te Nach­wuchs­bands kom­men halt nach wie vor vom Nie­der­rhein, aber eine Fra­ge hät­te ich noch: War­um läuft so schö­ne Musik nicht im Radio?

22. The Wom­bats – This Modern Glitch
„Tokyo (Vam­pi­res & Wol­ves)“, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweit­werk der Wom­bats, war eine ver­dammt gro­ße Ansa­ge und mein Song des Jah­res 2010. „This Modern Glitch“ löst das Ver­spre­chen der Sin­gle weit­ge­hend ein: Cle­ve­rer Indie­rock mit viel Gele­gen­heit zum Mit­sin­gen und ‑tan­zen, der sich dank aus­ufern­dem Syn­thie-Ein­satz vom schlich­ten Jungs-mit-wil­den-Haa­ren-schau­keln-ihre-Gitar­ren-im-Ach­tel­takt-Gedöns abhebt.

21. The Decem­be­rists – The King Is Dead
Autos, die auf end­lo­sen stau­bi­gen ame­ri­ka­ni­schen High­ways Rich­tung Son­nen­un­ter­gang brau­sen. Jetzt haben Sie zumin­dest ein Bild von den Bil­dern, die „The King Is Dead“ in mir beim Hören aus­löst. Recht coun­try­las­tig ist es gewor­den, das sechs­te Album der Band um Colin Meloy, aber fern­ab des schreck­li­chen Kom­merz-Radio-Coun­try und fern­ab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt ent­schul­di­gen, ich geh grad mei­nen LKW-Füh­rer­schein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neun­zi­ger sind zurück und mit ihnen die Shoe­ga­ze-Bands mit unschein­ba­ren Front­män­nern und Jeans­hem­den. „Yuck“ ent­hält zwölf char­man­te Pop­songs, die sich ein biss­chen hin­ter ver­zerr­ten Gitar­ren ver­ste­cken, und sich des­halb viel­leicht nicht immer sofort ent­fal­ten.

19. Fink – Per­fect Dark­ness
Ich habe nie eine Lis­te im Kopf gehabt, was wohl die bes­ten Kon­zer­te gewe­sen sein könn­ten, die ich in mei­nem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Okto­ber in der Bochu­mer Zeche gese­hen und war mir sicher, dass er es gera­de min­des­tens in die bis­her nicht vor­han­de­ne Top 5 geschafft hat­te. Was für ein kla­rer Sound, was für gran­dio­se Songs, wie per­fekt dar­ge­bo­ten von Fin Green­all und sei­ner Band. Ich habe „Per­fect Dark­ness“ viel zu sel­ten gehört, weil es mir von der Stim­mung her meis­tens nicht pass­te, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Man­ne­quin – Peo­p­le And Things
„The Glass Pas­sen­ger“, das zwei­te Album von Jack’s Man­ne­quin, war für mich per­sön­lich das wich­tigs­te Album der letz­ten fünf Jah­re, viel­leicht habe ich in mei­nem gan­zen Leben kein Album so oft gehört wie die­ses. Der Nach­fol­ger muss­te also gegen schier über­mensch­li­che Erwar­tun­gen ankämp­fen und konn­te nur ver­lie­ren. Tat­säch­lich waren die ers­ten fünf, sechs Durch­gän­ge eine Ent­täu­schung, ich war schon kurz davor, „Peo­p­le And Things“ ein­fach im Regal ver­schwin­den zu las­sen. Aber so lang­sam habe ich mich dann doch in die Songs rein­ge­hört. Sie sind zwar ins­ge­samt schon arg glatt gera­ten, aber ich kann Andrew McMa­hon ein­fach nicht wider­ste­hen, wenn er von den Her­aus­for­de­run­gen und Rück­schlä­gen des Lebens singt, die es zu meis­tern und zu über­win­den gilt. Das kann man alles ganz, ganz schreck­lich fin­den, aber ich fin­de es wun­der­bar.

17. Delay Trees – Delay Trees
„Kun­den, denen Band Of Hor­ses gefiel, kauf­ten auch Delay Trees“. Steht da merk­wür­di­ger­wei­se nicht, wür­de aber stim­men. Ich ken­ne das Debüt der fin­ni­schen Indie­band erst seit weni­gen Wochen, des­we­gen bin ich womög­lich ein biss­chen zu vor­sich­tig mit mei­nem Lob, aber allein der Ope­ner „Gold“ ist mit sei­ner ste­ti­gen Stei­ge­rung ein wah­res Meis­ter­werk. Die­se Mischung aus Melan­cho­lie und Eupho­rie hält an und lässt das gan­ze Album klin­gen wie den Sound­track zu dem Moment, in dem man sich nach einer durch­fei­er­ten Nacht und nach Son­nen­auf­gang ins Bett fal­len lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manch­mal ist die Musik­welt schon rät­sel­haft: Wäh­rend die Kings Of Leon inzwi­schen rie­si­ge Are­nen fül­len, tre­ten die Cold War Kids nach wie vor in klei­nen Clubs auf. Dafür haben sie kei­nen Song über sexu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten, der dank Dau­er­pe­ne­tra­ti­on in Clubs, Radi­os und Fuß­ball­sta­di­en inzwi­schen unhör­bar gewor­den ist, son­dern leicht ange­schmutz­te Rock­hym­nen wie den Titel­song oder „Lou­der Than Ever“.

15. R.E.M. – Col­lap­se Into Now
Das war es dann also, das letz­te Album die­ser leben­den Legen­den aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vor­bei, um ihre Auf­war­tung zu machen: Pat­ti Smith und Len­ny Kaye, Eddie Ved­der, Pea­ches und Joel Gibb von den Hid­den Came­ras. Es war ein wür­de­vol­ler Abschied, der nur einen Nach­teil hat­te: „Col­lap­se Into Now“ war bereits das fünf­zehn­te Album einer Band, die so vie­le Klas­si­ker geschaf­fen hat­te, dass jeder neue Song ein biss­chen sinn­los und unnö­tig wirk­te. Aber, mein Gott: Das ist Jam­mern auf aller­höchs­tem Niveau.

14. Jupi­ter Jones – Jupi­ter Jones
Kei­ner Band der Welt hab ich ihren spä­ten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupi­ter Jones: Jah­re­lang hat sich die Trup­pe den Arsch abge­spielt, jetzt dür­fen sie end­lich den Lohn der Arbeit ein­fah­ren. Dass nach „Still“, im Früh­jahr die meist­ge­spiel­te deutsch­spra­chi­ge Sin­gle im Radio, jetzt auch Revol­ver­held-Hörer zu Hun­der­ten in die Kon­zer­te strö­men, ist völ­lig okay: Ers­tens ist das ein­fach ein groß­ar­ti­ger Song und zwei­tens ent­schä­digt die Fas­sungs­lo­sig­keit, die sich ein­stellt, wenn Jupi­ter Jones Songs aus ihrem Punk-Früh­werk aus­pa­cken, für alles. Den höhe­ren Preis eines erfolg­rei­chen Major-Acts muss die Band im Janu­ar zah­len, wenn „Jupi­ter Jones“ als „Delu­xe Edi­ti­on“ erneut auf den Markt geschmis­sen wird.

13. Dra­ke – Take Care
Es ist ein biss­chen trau­rig, dass in Rezen­sio­nen immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den muss, dass es auch intel­li­gen­ten Hip-Hop gibt – zumal das dann gleich an den lang­wei­li­gen deut­schen „Stu­den­ten­rap“ erin­nert. Las­sen Sie es mich also so sagen: „Take Care“ ist ein sehr lan­ges, sehr zurück­ge­lehn­tes Album, das so unge­fähr das Gegen­teil von all dem Protz- und Blingbling-Rap dar­stellt, den man sonst (mut­maß­lich) im Musik­fern­se­hen sieht. Wenn Dra­ke über „bit­ches“ und sex („four times this week“) rappt, dann selbst­re­fle­xiv und ‑kri­tisch. Das Album ist ein acht­zig­mi­nü­ti­ger Emo-Kater, nach dem man alles wer­den möch­te, nur nicht erfolg­rei­cher Rap­per. Ande­rer­seits: Wenn dabei so gran­dio­se Musik her­um­kommt …

12. The Low Anthem – Smart Fle­sh
Beim Hald­ern 2010 stand ich mit offe­nem Mund im Spie­gel­zelt und konn­te mich nicht ent­schei­den, ob ich jetzt Gän­se­haut krie­gen, los­heu­len oder vor lau­ter Schön­heit ein­fach tot umfal­len soll­te. 2011 spiel­ten The Low Anthem dann auf der gro­ßen Büh­ne, aber das Publi­kum war fast stil­ler als im letz­ten Jahr. Was für ein berüh­ren­des, groß­ar­ti­ges Folk-Album!

11. The Moun­tain Goats – All Eter­nals Deck
Über Jah­re waren die Moun­tain Goats immer nur via Rock­ma­ga­zin-Sam­pler am Ran­de mei­ner Wahr­neh­mung auf­ge­taucht, bis mir eine Freun­din die­ses Jahr (genau genom­men: vor zwei Wochen) „Never Quite Free“ vor­spiel­te. Nach­dem ich den Song etwa zwei Dut­zend Mal auf You­Tube gehört hat­te, woll­te ich mehr und „All Eter­nals Deck“ hält viel davon bereit: Vom hin­ge­rotz­ten „Estate Sale Sign“ bis zu dunk­len Bal­la­den wie „The Age Of Kings“. Und natür­lich immer wie­der „Never Quite Free“.

10. Ade­le – 21
Über Wochen hat­te ich „Rol­ling In The Deep“ im Radio gehört und für „ganz gut“ befun­den, dann stand ich wäh­rend der Pro­ben zur Echo-Ver­lei­hung irgend­wo hin­ter der Büh­ne, guck­te auf einen der Kon­troll­mo­ni­to­re und dach­te „Wow!“ Trotz­dem brauch­te es noch acht Mona­te und gefühl­te zwan­zig Sin­gle­aus­kopp­lun­gen, bis ich mir „21“ end­lich gekauft habe. Was für ein tol­les Album das ist und wie unka­putt­bar die Songs selbst bei maxi­ma­ler Radio­ro­ta­ti­on sind! Mit Unter­stüt­zung von unter ande­rem Rick Rubin und Dan Wil­son (Semiso­nic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaf­fen, das sicher in eini­gen Jah­ren als Klas­si­ker gel­ten wird. Und wer „Someone Like You“ unge­rührt über­steht, soll­te viel­leicht mal beim Arzt fest­stel­len las­sen, ob er nicht viel­leicht einen Eis­klotz im Brust­korb spa­zie­ren trägt.

9. Noah And The Wha­le – Last Night On Earth
Noah And The Wha­le waren für mich so eine typi­sche Hald­ern-Band: Hun­dert­mal auf Pla­ka­ten und im Pro­gramm­heft gele­sen, aber nie bewusst gese­hen. Dann habe ich „L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.“ gehört, die­ses eben­so dreis­te wie gelun­ge­ne Bei­na­he-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makel­lo­ser Indiepop mit schö­nen Melo­dien und durch­dach­ten Arran­ge­ments, der irgend­wie direkt in die Eupho­rie­steue­rung mei­nes Gehirns ein­greift.

8. Exam­p­le – Play­ing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dub­step, Indie – alles, was heut­zu­ta­ge mehr oder weni­ger ange­sagt ist, ist in der Musik von Elli­ot Glea­ve ali­as Exam­p­le ent­hal­ten. Vom stamp­fen­den „Chan­ged The Way You Kissed Me“, das jedem Auto­scoo­ter gut zu Gesicht stün­de, über das fast brit­pop­pi­ge „Micro­pho­ne“ bis hin zum dra­ma­ti­schen „Lying To Yours­elf“: Exam­p­le rappt und singt sich durch die ver­schie­dens­ten Sti­le und schafft damit ein abwechs­lungs­rei­ches, aber in sich völ­lig schlüs­si­ges Album, das irgend­wie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möch­te.

7. Cold­play – Mylo Xylo­to
Es scheint unter Jour­na­lis­ten und ande­ren Indi­en­a­zis inzwi­schen zum guten Ton zu gehö­ren, Cold­play schei­ße zu fin­den. „Iiiih, sie sind erfolg­reich, ihre Kon­zer­te machen Band und Publi­kum Spaß und über­haupt: Ist das nicht U2?“, lau­tet der Tenor und tat­säch­lich kann ich vie­le Kri­tik­punk­te ver­ste­hen, aber nicht nach­voll­zie­hen. Auf „Mylo Xylo­to“ sind Cold­play so unge­stüm unter­wegs wie noch nie, ihre Songs sind über­dreht und uplif­ting und zwi­schen­durch schlie­ßen sie mit ruhi­gen Akus­tik­num­mern den Kreis zu ihrem ers­ten Album „Parach­u­tes“ aus dem Jahr 2000. Seit „A Rush Of Blood To The Head“ hat mich kein Album von Cold­play mehr so begeis­tert und womög­lich sind die vier Eng­län­der tat­säch­lich die letz­te gro­ße Band. Kaum eine ande­re Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu ver­än­dern und sich doch immer treu zu blei­ben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Chris­ten­sen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihan­na sin­gen, dann ist das so kon­se­quent zu Ende gedach­te Pop­mu­sik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hin­be­kommt. Und wenn das jetzt alle hören, soll­te man das fei­ern – es gibt ja nun wirk­lich Schlim­me­res.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So rich­tig hohe Erwar­tun­gen hat­te wohl nie­mand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Con­nor Obersts letz­te Lebens­zei­chen gewe­sen. Und dann kommt er ein­fach und haut ein Indierock­al­bum raus, zu dem man sogar tan­zen kann. Gut: Die Pas­sa­gen mit gespro­che­nem Text und Welt­raums­ounds muss man natür­lich aus­hal­ten, aber dafür bekommt man ein merk­wür­dig opti­mis­ti­sches Gesamt­werk und mit „Shell Games“ einen fast per­fek­ten Pop­song.

5. James Bla­ke – James Bla­ke
Nie in mei­nem Leben habe ich hef­ti­ge­re Bäs­se in mei­nem Kör­per vibrie­ren spü­ren als bei James Blakes Auf­tritt auf dem Hald­ern Pop. Es reg­ne­te leicht und die­se Sin­ger/­Song­wri­ter-Post-Dub­step-Songs zogen über das Publi­kum wie sehr gefähr­li­che Gewit­ter­wol­ken. Die­se düs­te­re und anstren­gen­de Musik ist nicht für die Beschal­lung von Din­ner­par­tys geeig­net, aber sie ist ver­dammt bril­lant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neun­zi­ger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoe­ga­ze-Erfolgs­re­zept von vor zwei Jah­ren um mini­ma­le Grunge-Ein­spreng­sel erwei­tert. Das ist auf Plat­te eben­so schön wie live und beglei­tet mich jetzt seit Mai.

3. Jona­than Jere­mi­ah – A Soli­ta­ry Man
Auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val war ich so weit, dass ich dem nächs­ten Jun­gen mit Akus­tik­gi­tar­re sel­bi­ge über den Schä­del zie­hen woll­te. Dann hör­te ich „Hap­pi­ness“ von Jona­than Jere­mi­ah im Radio und war begeis­tert. Der Mann packt die See­le zurück in Soul – und alles Ande­re hab ich ja schon im August geschrie­ben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Jun­ge mit Gitar­re! Ed Sheeran war wäh­rend mei­nes Schott­land-Urlaubs im Sep­tem­ber das Hype-The­ma auf der Insel und er ist so etwas wie das feh­len­de Bin­de­glied zwi­schen Dami­en Rice und Jason Mraz, zwi­schen Get Cape. Wear Cape. Fly und Niz­lo­pi. Die ruhi­gen Songs sind erschre­ckend anrüh­rend, ohne jemals Gefahr zu lau­fen, kit­schig zu wer­den, und bei den schnel­le­ren Stü­cken kann der 21-Jäh­ri­ge (fuck it, I’m old) bewei­sen, dass er genau­so gut rap­pen wie sin­gen kann. „+“ ist ein phan­tas­ti­sches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutsch­land kommt es im neu­en Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Jun­ge mit Gitar­re. Und noch zwei Gitar­ren. Und ein Bass. Syn­the­si­zer. Eine Blä­ser­sek­ti­on. Und nicht einer, son­dern gleich zwei Schlag­zeu­ger. Jus­tin Ver­non hat gut dar­an getan, sei­ne als Ein-Mann-Pro­jekt gestar­te­te Band zur Big­band aus­zu­bau­en, und einen deut­lich opu­len­te­ren Sound zu wäh­len als bei „For Emma, Fore­ver Ago“. So las­sen sich Debüt und Zweit­werk kaum ver­glei­chen und „Bon Iver“ kann ganz für sich selbst ste­hen mit sei­nen Tracks, die teil­wei­se eher Klang­räu­me sind als Songs, und die trotz­dem ganz natür­lich und kein Stück kal­ku­liert wir­ken. Vom anfäng­li­chen Zir­pen des Ope­ners „Perth“ bis zu den letz­ten Echos des viel dis­ku­tier­ten Schluss­songs „Beth/​Rest“ ist „Bon Iver“ ein Meis­ter­werk, an dem 2011 nichts und nie­mand vor­bei­kam.

Hin­weis: Bit­te hal­ten Sie sich beim Kom­men­tie­ren an die Regeln.

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2010 – the year something broke

In Jah­res­end­zeit­stim­mung schaut man ja ger­ne zurück auf das enden­de Jahr, resü­miert und fer­tigt – wenn man der­lei Neu­ro­sen pflegt – obsku­re Lis­ten an. Auf eine Leser­wahl haben wir nach dem Muse-Deba­kel im Vor­jahr ein­fach mal ver­zich­tet und Unhei­lig per Akkla­ma­ti­on zu Ihrer Lieb­lings­band 2010 ernannt.

Doch die letz­ten Dezem­ber­ta­ge lie­ßen mich auch per­sön­lich nach­denk­lich zurück: Was hat­te ich eigent­lich gehört und gut gefun­den?

Mei­ne last.fm-Charts waren eini­ger­ma­ßen wert­los: Aus ver­schie­de­nen Grün­den tauch­ten Songs wie „Fire­f­lies“ (Owl City), „Baby“ (Jus­tin Bie­ber) oder „Catch Me I’m Fal­ling“ (Real Life, hät­ten Sie’s gewusst?) in mei­nen Jah­res-Top-25 auf, was ich in ers­ter Linie besorg­nis­er­re­gend fand. Außer­dem waren alle Songs des Albums von The Natio­nal dabei, was immer­hin schon mal einen deut­li­chen Hin­weis auf das Album des Jah­res gibt, denn so unfass­bar groß wie „High Vio­let“ war 2010 tat­säch­lich nichts mehr.

Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass ich das Bes­te wie üblich über­se­hen habe: Arca­de Fire, Get Cape. Wear Cape. Fly, Eels, Suf­jan Ste­vens – alles nicht oft genug gehört, weil mir der Sinn grad nach etwas Ande­rem stand. So habe ich ja auch „Only Revo­lu­ti­ons“ von Biffy Cly­ro erst im Okto­ber 2010 für mich ent­deckt, es ist also denk­bar, dass es auch im letz­ten Jahr wenigs­tens ein gutes Gitar­ren­rock-Album gab – wahr­schein­lich ist es aller­dings nicht, zu wenig ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Rock­seg­ment pas­siert. Die Manic Street Pre­a­chers etwa haben mit „Post­cards From A Young Man“ ein durch­aus sehr gutes Spät­werk raus­ge­bracht, aber geknallt hat das jetzt auch nicht rich­tig. Und falls es span­nen­de Neu­lin­ge gab, muss ich sie alle­samt über­se­hen haben: The Hold Ste­ady haben sou­ve­rän gerockt, Jason Lyt­le hat mit sei­ner Post-Grand­ad­dy-Band Admi­ral Rad­ley schön ver­schro­be­nen Indie­rock gemacht, The Gas­light Anthem waren okay, Ende des Jah­res kam mit „All Soul’s Day“ ein ordent­li­ches Lebens­zei­chen von The Ata­ris – aber, Ent­schul­di­gung: Wir spre­chen vom Jahr 2010! Völ­lig okay, dass Ben Folds mit lyri­scher Unter­stüt­zung von Nick Horn­by end­lich mal wie­der ein rich­tig gutes Album gemacht hat, aber der Mann ist jetzt auch schon seit 17 Jah­ren dabei.

Immer­hin haben nicht alle Bands so ent­täuscht wie Wir Sind Hel­den, Shout Out Louds, Ste­reo­pho­nics oder – rich­tig schlecht – Jim­my Eat World und Danko Jones. Weezer haben angeb­lich schon wie­der min­des­tens ein Album ver­öf­fent­licht. Die meis­ten mei­ner Lieb­lings­bands hat­ten sich eh eine Aus­zeit genom­men und ihre Sän­ger solo vor­ge­schickt: Alles über­rag­te dabei Jón­si von Sigur Rós, des­sen „Go“ zu den bes­ten Alben des Jah­res gehört. Jakob Dylan war schon zum zwei­ten Mal ohne Wall­flowers unter­wegs, hat die Band aber immer noch nicht auf­ge­löst. Dabei ist das düs­ter-fol­ki­ge „Women & Coun­try“ eigent­lich bes­ser als alles, was er vor­her gemacht hat. Fran Hea­ly (Tra­vis) und Bran­don Flowers (The Kil­lers) lie­ßen erst The­ra­pie­sit­zun­gen erwar­ten, klan­gen dann aber gar nicht mehr so anders als ihre Bands – eben gut, aber auch nicht mehr so rich­tig span­nend. Carl Barât gehört auch irgend­wie in die­se Auf­zäh­lung, obwohl er die Dir­ty Pret­ty Things ja längst auf­ge­löst hat und es die Liber­ti­nes wie­der gibt. Kele (Bloc Par­ty) und Paul Smith (Maxï­mo Park) hab ich ver­passt. Und die­ses Jahr ver­öf­fent­licht dann Thees Uhl­mann (Tom­te) sein Solo-Debüt …

In Sachen Hip-Hop ging auch nicht mehr so rich­tig viel: Kid Cudi blieb mit sei­nem Zweit­werk hin­ter den Erwar­tun­gen zurück, Kanye West hat ein irres Gesamt­kunst­werk raus­ge­bracht, das mit dem Album eines Ein­zel­in­ter­pre­ten wenig gemein hat und sich mir womög­lich erst in ein, zwei Jahr­hun­der­ten erschlie­ßen wird. Emi­nem war durch­aus kraft­voll wie­der da, krieg­te den meis­ten Air­play aber für ein Duett mit der lang­sam unver­meid­li­chen Rihan­na. Aus Groß­bri­tan­ni­en kam immer­hin Pro­fes­sor Green mit einem dre­ckig-bun­ten Grime-Strauß.

Im Pop gab es (neben Lady Gaga) vor allem zwei The­men: Das gro­ße Come­back von Take That als Quin­tett und Lena. Mit Hil­fe von Stuart Pri­ce (s.a. Scis­sor Sis­ters) nahm die eins­ti­ge Vor­zei­ge-Boy­group (Huch, aus wel­chem Par­al­lel­uni­ver­sum kam denn die­se Kli­schee-For­mu­lie­rung?) ein erstaun­lich elek­tro­ni­sches Album auf – „reif“ hat­te die Band seit ihrem Come­back 2006 ja die gan­ze Zeit geklun­gen. Die zu „Pro­gress“ gehö­ren­de Doku­men­ta­ti­on „Look Back, Don’t Sta­re“ zeigt die Fünf dann auch als wei­se älte­re Her­ren, die ihre Dämo­nen lang­sam aber sicher alle bekämpft haben und jedem Mann Mitte/​Ende Zwan­zig Mut machen, in zehn bis fünf­zehn Jah­ren so gut aus­zu­se­hen wie nie zuvor. Oder man zeugt wenigs­tens eine Toch­ter wie Lena Mey­er-Land­rut, die exakt fünf Tak­te brauch­te, bis sich erst alle Zuschau­er von „Unser Star für Oslo“ und dann 85% der deut­schen Bevöl­ke­rung in sie ver­lieb­ten. Natür­lich war der Tri­umph beim Euro­vi­si­on Song Con­test eine mit­tel­schwe­re Sen­sa­ti­on und auch für mich per­sön­lich ein Erleb­nis, aber das Album „My Cas­set­te Play­er“ war lei­der trotz­dem eine ziem­li­che Ent­täu­schung. Text­lich schwer rüh­rend, aber auch völ­lig see­len­los pro­du­ziert, ragt das von Ellie Goul­ding geschrie­be­ne „Not Fol­lo­wing“ her­vor, der Rest ist nett, aber belang­los.

Was kam sonst aus Deutsch­land? Toco­tro­nic, die mich etwas rat­los zurück­lie­ßen, Erd­mö­bel mit dem bes­ten deutsch­spra­chi­gen Album seit Jah­ren, Die Fan­tas­ti­schen Vier, die sich irgend­wo zwi­schen „Bild“-Interview (in Mor­gen­män­teln im Bett!) und Wer­be­deals voll­ends der Bedeu­tungs­lo­sig­keit hin­ga­ben, wäh­rend Fet­tes Brot ihr vor­läu­fi­ges Ende ver­kün­de­ten. Und dann halt so Leu­te, die man per­sön­lich kennt wie Tom­my Fin­ke, Enno Bun­ger oder die phan­ta­sischen Poly­a­na Fel­bel.

Auf vier bis acht groß­ar­ti­ge Alben folgt eine gan­ze Men­ge Mit­tel­maß und die Gewiss­heit, dass ich vie­les sicher noch über­hört habe. Dafür haben mich die Alben, die ich dann tat­säch­lich gehört habe, zu sehr auf­ge­hal­ten: The Natio­nal, Erd­mö­bel, Del­phic, Jón­si, Jakob Dylan und die Vor­jah­res­über­se­hun­gen Biffy Cly­ro und Mum­ford & Sons. Die Lis­te mei­ner Lieb­lings­songs wird irgend­wo hin­ter Platz 8 recht schnell belie­big, hat aber immer­hin einen rich­ti­gen Kra­cher auf der Eins: „Tokyo“ von The Wom­bats, mit denen ich ehr­lich gesagt am aller­we­nigs­ten gerech­net hät­te.

In den Charts domi­nier­ten erst die Fuß­ball­hym­nen (das vom Kom­merz zer­stör­te „Wavin‘ Flag“ von K’na­an und das nur ner­vi­ge „Waka Waka“ von Shaki­ra), ehe sich das Land zum Jah­res­en­de zwei wahn­sin­nig unwahr­schein­li­che Num­mer-Eins-Hits gönn­te: Eine 17 Jah­re alte Kreu­zung zwei­er Ever­greens auf der Uku­le­le, gesun­gen vom schwer­ge­wich­ti­gen und zwi­schen­zeit­lich ver­stor­be­nen Isra­el Kama­ka­wi­wo’o­le und ein aus dem Wer­be­fern­se­hen bekann­ter, ursprüng­lich nicht als Sin­gle ange­dach­ter Song von Empire Of The Sun, die andert­halb Jah­re zuvor erfolg­los ver­sucht hat­ten, mit einem sehr viel ein­gän­gi­ge­ren Song über das Wer­be­fern­se­hen erfolg­reich zu sein. In den Album­charts durf­te sowie­so jeder mal ran und wenn gera­de kein gro­ßer Name (Peter Maf­fay, AC/​DC, Iron Mai­den, Joe Cocker, Depe­che Mode, Bruce Springsteen) sein neu­es Album raus­ge­hau­en hat­te, schos­sen wie selbst­ver­ständ­lich Unhei­lig wie­der an die Spit­ze der Hit­pa­ra­de.

Na ja: Neu­es Jahr, neu­es Glück.

Songs & Alben 2010 – Die Lis­ten

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2010 — Der Jahresrückblick (Teil 2)

In der zwei­ten Fol­ge unse­res Jah­res­rück­blicks spre­chen Herr Fin­ke, Herr Rede­lings und ich über Musik, Fuß­ball und Poli­tik, sowie über ande­re Kata­stro­phen:

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2010 — Der Jahresrückblick (Teil 1)

Das Jahr 2010 ist zwar gera­de erst zu elf Zwölf­teln vor­bei, aber die Jah­res­rück­bli­cke gehö­ren zur Advents­zeit wie Spe­ku­la­ti­us und Leb­ku­chen. Da wol­len auch wir nicht län­ger war­ten und gehen – als Ers­te – in die Vol­len:

Tom­my Fin­ke, Ben Rede­lings und ich bli­cken zurück auf die Fuß­ball-WM, den Sieg Lena Mey­er-Land­ruts beim Euro­vi­si­on Song Con­test, das Kul­tur­haupt­stadt-Jahr und vie­les mehr. Nur hier, im Inter­net!

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Allerletztes.fm 2008

Wer­fen wir einen letz­ten Blick zurück auf die Musik des ver­gan­ge­nen Jah­res!

last.fm wur­de ja pri­mär für Sta­tis­tik- und Lis­ten­ge­eks wie mich ent­wi­ckelt, die Social-Net­work-Kom­po­nen­te ist da eher ein Neben­ef­fekt. Ich habe mei­nen neu­en iPod auch nur, damit auch die unter­wegs gehör­ten Musik­stü­cke in mei­ne Sta­tis­ti­ken mit ein­flie­ßen. Für 2009 wer­den die Zah­len also (von Radio- und Kon­zert­be­schal­lung viel­leicht mal ab) noch exak­ter sein – für 2008 tun’s aber auch fast exak­te Sta­tis­ti­ken.

Etwas erstaun­lich fin­de ich, dass unter den 25 meist­ge­hör­ten Künst­lern des Jah­res gleich acht sind, die 2008 kei­ne neu­en Alben ver­öf­fent­licht haben – dar­un­ter der unan­ge­foch­te­ne Spit­zen­rei­ter:

Meist­ge­hör­te Künst­ler
1. Hem (353 Songs)
2. R.E.M. (253)
3. Tra­vis (223)
4. Tom­te (203)
5. Cold­play (200)
6. The Kil­lers (195)
7. Goldf­rapp (178)
8. Hotel Lights (175)
9. Oasis (169)
10. Kett­car (161)
11. Slut (153)
12. The Clash (140)
13. Ste­reo­pho­nics (138)
14. The Beat­les (128)
15. Danko Jones (127)
16. Ben Folds (124)
17. The Smas­hing Pump­kins (117)
18. Manic Street Pre­a­chers (116)
19. Jim­my Eat World (114)
20. Nada Surf (110)
21. Ben Folds Five (106)
22. Gre­gor Meyle (105)
23. Niz­lo­pi (103)
24. Star­sail­or (93)
24. Death Cab For Cutie (93)

Meist­ge­hör­te Songs
1. Goldf­rapp – A&E (50 Mal)
2. The Kil­lers – Human (47)
3. The Gas­light Anthem – Old White Lin­coln (27)
4. Gre­gor Meyle – Nie­mand (25)
4. R.E.M. – Super­na­tu­ral Super­se­rious (25)
6. Hem – Not Cali­for­nia (23)
7. Cold­play – Viva La Vida (22)
7. Cold­play – Vio­let Hill (22)
9. Ste­fa­nie Heinz­mann – My Man Is A Mean Man (20)
9. Black Lab – Lonely Boy (20)
11. Hotel Lights – Ame­lia Bright (19)
11. Hem – Hotel Fire (19)
11. Tom­te – Der letz­te gro­ße Wal (19)
14. Tra­vis – Song To Self (18)
14. Gre­gor Meyle – Irgend­wann (18)
14. Tra­vis – J. Smith (18)
17. Hem – The Burnt-Over Dis­trict (17)
17. Tra­vis – Get Up (17)
17. Tra­vis – Befo­re You Were Young (17)
20. Stef­fi List – Break The Silence (16)
20. Goldf­rapp – Some Peo­p­le (16)
20. R.E.M. – Living Well Is the Best Reven­ge (16)
23. Slut – If I Had A Heart (15)
23. Sigur Rós – Inní Mér Syn­gur Vitley­sin­gur (15)
23. Gre­at Lake Swim­mers – Your Rocky Spi­ne (15)
23. Goldf­rapp – Mons­ter Love (15)

[und hier die Hits des Vor­jah­res]

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Listenpanik: Alben 2008

Die Alben­lis­ten sind immer die schlimms­ten. Wäh­rend einem iTu­nes und last.fm bei der Fra­ge nach den Songs des Jah­res schon einen gro­ßen Teil der Arbeit abneh­men, muss man bei den Alben abwä­gen: Wie oft habe ich das Album gehört? Wie lan­ge habe ich das Album gehört und wann zuletzt? Müss­te ich die­ses Album viel­leicht höher anset­zen als jenes, weil es bei einer gewis­sen Objek­ti­vi­tät ein­fach bes­ser oder anspruchs­vol­ler ist (ich es aber gar nicht so ger­ne höre)?

Wenn man dann noch den Feh­ler macht, mal in die alten Jah­res­bes­ten­lis­ten rein­zu­schau­en und fest­stellt, dass man das Album des Jah­res 2007 (Bloc Par­ty) im Jahr 2008 gar nicht mehr gehört hat und auch sonst alles an die­sen Lis­ten falsch wirkt, dann will man es eigent­lich gleich ganz blei­ben las­sen.

Oder man zwingt sich und fängt an:

25. Ben Folds – Way To Nor­mal
Es hät­te schlim­mer kom­men kön­nen: Bloc Par­ty (Album des Jah­res 2005 und 2007) haben es gar nicht in die Bes­ten­lis­te geschafft. Ben Folds hat also irgend­wie noch Glück gehabt – und wirk­lich schlecht ist „Way To Nor­mal“ ja auch nicht gera­ten, nur irgend­wie erschüt­ternd … egal. Wäh­rend die Ben-Folds-Five-Alben bei mir immer noch rauf und run­ter lau­fen, wird die Halb­wert­zeit von Folds‘ Solo­al­ben immer gerin­ger. Dass ande­re Künst­ler mit der Bür­de „Lieb­lings­band“ sehr viel bes­ser klar kom­men, wer­den wir noch sehr viel wei­ter vor­ne sehen. Für Folds springt immer­hin noch ein Platz auf der Lis­te raus.
Anspiel­tipp: Effing­ton

24. Ingrid Micha­el­son – Girls And Boys
Ein ein­zi­ger Song bei „Grey’s Ana­to­my“ hat schon Snow Pat­rol den Weg zur Welt­kar­rie­re geeb­net, war­um soll es Ingrid Micha­el­son da anders gehen? (War­um geht es Hotel Lights da eigent­lich anders?) Die­se ent­spann­te Indiepop-Plat­te ist zwar eigent­lich schon von 2007, kam aber in Deutsch­land genau zum rich­ti­gen Zeit­punkt (grau, kalt, unge­müt­lich) raus und bekam mit der Sin­gle „The Way I Am“ auch noch ordent­lich Air­play. Kei­ne gro­ße Kunst, aber für mit­tel­gro­ße erstaun­lich gut. Und natür­lich sowie­so tau­send Mal bes­ser als Amy Mac­Do­nald.
Anspiel­tipp: Maso­chist

23. kett­car – Sylt
Das glei­che Dilem­ma wie bei Ben Folds: das Album war nicht schlecht, aber frü­he­re Alben waren bes­ser, ich habe es zu sel­ten gehört und es kam irgend­wie nicht im pas­sen­den Moment raus. Davon ab trau­en sich kett­car musi­ka­lisch plötz­lich mehr, wer­den text­lich einer­seits unkon­kre­ter, haben aber ande­rer­seits wie­der eine kla­re Hal­tung.
Anspiel­tipp: Kein Aus­sen Mehr

22. R.E.M. – Acce­le­ra­te
Ich wie­der­ho­le mich da ger­ne, aber irgend­wie wer­den R.E.M. halt nie irgend­was falsch machen (außer viel­leicht, sie spie­len noch ein­mal „Shi­ny Hap­py Peo­p­le“). Ihr Back-to-the-roots-Album rum­pel­te dann auch schön durch den Früh­ling, ehe es ers­te Abnut­zungs­er­schei­nun­gen zeig­te. Jetzt, mit etwas Abstand, ist es aber immer noch gut genug für die­se Lis­te.
Anspiel­tipp: Living Well Is The Best Reven­ge

21. Oasis – Dig Out Your Soul
Wirk­lich schlecht war außer „Stan­ding On The Should­er Of Giants“ noch kein Oasis-Album – dass sie aller­dings mal wie­der ein wirk­lich gutes Album machen wür­den, hät­te ich auch nicht gedacht. Dann war „Dig Out Your Soul“ da, tat­säch­lich gut, und mir war es irgend­wie egal. Die Band und ich, wir sind bei­de älter gewor­den, und mit ihrem neu­en Album ver­hält es sich wie mit dem zufäl­li­gen Tref­fen mit einem alten Schul­freund: das Wie­der­se­hen ist herz­lich, man denkt an alte Zei­ten, trinkt zwei Bier und geht wie­der getrenn­ter Wege. Ein biss­chen „Sgt. Pep­per“, ein biss­chen „Revol­ver“, ein biss­chen wei­ßes Album – und letzt­lich doch total Oasis.
Anspiel­tipp: Fal­ling Down

20. Fet­tes Brot – Strom Und Drang
Mein ers­tes deutsch­spra­chi­ges Hip-Hop-Album, ich sag’s gern immer wie­der. Und es ist laut, heiß, wit­zig, eupho­risch, trau­rig, klug, kurz­um: gut. In den Neun­zi­gern hät­te man mit der Hälf­te der Songs eine Rie­sen­kar­rie­re begrün­den kön­nen, heut­zu­ta­ge wird sowas von Sido, Bushi­do und Schlim­me­rem in den Schat­ten gestellt. Aber das kann mir ja egal sein. Und den Bro­ten hof­fent­lich auch.
Anspiel­tipp: Das Trau­rigs­te Mäd­chen Der Stadt

19. She & Him – Volu­me One
In dem Moment, wo Zooey Descha­nel zu sin­gen beginnt, sind alle Vor­ur­tei­le über sin­gen­de Schau­spie­le­rin­nen ver­ges­sen – und in dem Moment, wo man ihr in die Augen blickt, auch alles ande­re. Gemein­sam mit M. Ward hat sie ein som­mer­lich-leich­tes Album mit Folk- und Six­ties-Anlei­hen auf­ge­nom­men, des­sen Beschwingt­heit manch­mal haar­scharf an dem Punkt vor­bei­schrammt, wo es ner­vig wer­den könn­te. Aber dann kommt ein so tod­trau­ri­ges Lied wie „Chan­ge Is Hard“ und man möch­te Zooey Descha­nel unbe­dingt trös­ten.
Anspiel­tipp: Chan­ge Is Hard

18. Gre­gor Meyle – So Soll Es Sein
Irgend­wo zwi­schen Her­bert Grö­ne­mey­er und Tom­te, Tom Liwa und Clue­so war noch Platz und genau dort pass­te Gre­gor Meyle wun­der­bar rein mit sei­nen klu­gen und pathe­ti­schen Tex­ten und sei­ner ent­spann­ten Musik. Damit bewegt man viel­leicht kei­ne Mas­sen, aber die­je­ni­gen, die zuhö­ren.
Anspiel­tipp: Nie­mand

17. Jakob Dylan – See­ing Things
Bei den Wall­flowers wirk­te er mit­un­ter ver­un­si­chert durch den Sta­tus des One Hit Won­ders, das stän­di­ge Inter­es­se an sei­ner Per­son, die eige­nen Ansprü­che und die der Plat­ten­fir­men. Und dann setz­te sich Jakob Dylan hin und nahm ein Solo­al­bum auf, bei dem er abso­lut sicher und fokus­siert wirkt, und das trotz­dem fein und zer­brech­lich klingt („Pro­du­ced by Rick Rubin“ halt). Dass er einer der bes­ten Tex­ter sei­ner Gene­ra­ti­on ist, hat sich lei­der immer noch nicht rum­ge­spro­chen, aber auf die­sem Album kann man sich davon über­zeu­gen.
Anspiel­tipp: Some­thing Good This Way Comes

16. Slut – StillNo1
Manch­mal kann man echt Pech haben mit sei­nem Ver­öf­fent­li­chungs­da­tum: „StillNo1“ kam im Febru­ar raus, lief ein paar Wochen bei mir rauf und run­ter und ver­schwand dann im Regal (aus der Rei­he: „sprach­li­che Bil­der, die Dank MP3 vom Aus­ster­ben bedroht sind“). Für die­se Lis­te habe ich es noch mal her­vor­ge­kramt und erneut fest­ge­stellt, dass es sich um ein sehr gutes, anspruchs­vol­les Album han­delt. Eini­ges erin­nert an das, was Cold­play Dank ihrer Popu­la­ri­tät ein paar Mona­te spä­ter mit „Viva La Vida“ einem inter­na­tio­na­len Mil­lio­nen­pu­bli­kum unter­ju­beln konn­ten, aber Slut hat­ten die­ses Glück natür­lich nicht.
Anspiel­tipp: If I Had A Heart

15. Cold­play – Viva La Vida
Gera­de noch von ihnen gespro­chen, sind Cold­play auch schon da! So klan­gen seit den Acht­zi­gern kei­ne Num­mer-Eins-Alben mehr: Songs, die inein­an­der über­ge­hen; Moti­ve, die nicht nur auf der CD, son­der auch auf der Nach­fol­ge-EP immer wie­der auf­ge­nom­men wer­den; pom­pö­ses­te Pop-Ari­en mit viel Rhyth­mus und noch mehr Melo­die, und Sin­gle-Hits, auf die kein Schwein tan­zen kann. Cold­play ver­kau­fen (rela­ti­ve, wir wol­len ja auch nicht über­trei­ben) Hoch­kul­tur als Pop und sind damit das Gegen­teil von Paul Potts – aber ähn­lich erfolg­reich.
Anspiel­tipp: 42

14. The Kil­lers – Day & Age
Ich wür­de nie von mir behaup­ten, Bran­don Flowers ver­stan­den zu haben. Aber ich habe dann doch genug Durch­blick um zu bemer­ken, dass er und sei­ne Band zumeist kolos­sal miss­ver­stan­den wer­den. Viel­leicht mei­nen sie das mit den Steel­drums, den Saxo­fo­nen und dem Dis­co­fox ernst – na und, wenn es hin­ter­her doch so viel Spaß macht, es zu hören? „Day & Age“ erschien zeit­gleich mit „Chi­ne­se Demo­cra­cy“ und alles, was bei Guns N‘ Roses knapp jen­seits der Gren­ze des Zumut­ba­ren aus­ge­kom­men ist, funk­tio­niert bei den Kil­lers noch. Bei den ers­ten zwei Durch­läu­fen habe ich die­ses Album gehasst, danach geliebt.
Anspiel­tipp: This Is Your Life

13. Jason Mraz – We Dance. We Sing. We Ste­al Things.
Wenn Sie mich vor acht Jah­ren gefragt hät­ten, wie Pop­mu­sik im Jahr 2008 klingt, hät­te ich eher auf das getippt, was Rob­bie Wil­liams vor ein paar Jah­ren auf „Inten­si­ve Care“ ver­sucht hat. Ich hät­te eher nicht damit gerech­net, dass man mit Akus­tik­gi­tar­ren und Tie­fen­ent­span­nung in die Charts kommt, aber dann kam Jason Mraz und zeig­te mir ein­mal mehr, dass ich von der Zukunft kei­ne Ahnung habe. Man will das ja nicht immer wie­der schrei­ben, aber: so wie die­ses Album (von dem es aktu­ell eine Spe­cial Edi­ti­on mit in Deutsch­land bis­her unver­öf­fent­lich­ten Songs und einer Live-DVD gibt), so klingt der Som­mer.
Anspiel­tipp: Details In The Fabric

12. Tra­vis – Ode To J. Smith
Irgend­wie ist das ja gemein: Wäh­rend ich an Ben Folds immer fast über­ir­di­sche Ansprü­che stel­le, dür­fen Tra­vis machen, was sie wol­len, und ich fin­de es eigent­lich immer gut. Aber „Ode To J. Smith“ ist ein­fach ein gutes Album. Hat­ten Tra­vis auf „The Boy With No Name“ schon alle Pha­sen ihrer bis­he­ri­gen Kar­rie­re ver­eint, tun sie es auf „Ode To J. Smith“ erneut, aber mit einem Schwer­punkt auf der lau­te­ren Sei­te. Ja, Tra­vis kön­nen rocken (sie tun es außer auf „The Invi­si­ble Band“ eigent­lich auf jedem Album), und das bezwei­felt hof­fent­lich auch nie­mand mehr. Dass Fran Hea­ly im Aus­se­hen immer mehr an Micha­el Sti­pe von R.E.M. erin­nert, kann kein Zufall sein, denn die dür­fen ja auch machen, was sie wol­len.
Anspiel­tipp: Song To Self

11. Death Cab For Cutie – Nar­row Stairs
Bestimmt gibt es Schlim­me­res, als „die Band aus ‚O.C., Cali­for­nia‘ “ zu sein – und die­ser klei­ne Hype von vor drei, vier Jah­ren kann auch nicht dafür ver­ant­wort­lich sein, dass Death Cab (wie wir alle seit Seth Cohen sagen) immer noch so popu­lär sind. Es ist natür­lich auch die Musik. Und da zeigt sich ein­mal mehr der Trend des letz­ten Jah­res: eta­blier­te Bands, deren letz­te Alben viel­leicht ein biss­chen zu gefäl­lig aus­ge­fal­len waren, dre­hen ein biss­chen an der Anspruchs­schrau­be und es funk­tio­niert immer noch. Okay, die Acht­ein­halb-Minu­ten-Sin­gle „I Will Pos­sess Your Heart“ wur­de fürs Radio gekürzt und beschleu­nigt, aber in dem Fall zählt schon die Idee. Dass gute Tex­te viel zu sel­ten gewür­digt wer­den, ist gene­rell scha­de, im Fal­le von Ben Gib­bard ist es aller­dings fast ein Skan­dal.
Anspiel­tipp: Cath…

10. Lightspeed Cham­pi­on – Fal­ling Off The Laven­der Bridge
Nach­dem sich die Test Ici­c­les, eine der außer­ge­wöhn­li­che­ren Bands unse­rer Zeit, zer­legt hat­ten, fuhr Devon­te Hynes nach Oma­ha, NE, um dort mit der Sadd­le-Creek-Pos­se eine Art Coun­try-Album auf­zu­neh­men, des­sen Songs man sogar im For­mat­ra­dio spie­len könn­te. Lässt man die­se musik­his­to­ri­schen Anek­do­ten außen vor, ist „Fal­ling Off The Laven­der Bridge“ ein­fach eine gute, run­de Plat­te.
Anspiel­tipp: Tell Me What It’s Worth

9. Hotel Lights – Fire­cra­cker Peo­p­le
Eines von zwei Alben in die­ser Lis­te (und in den Top 10), das in Deutsch­land gar nicht „regu­lär“ erschie­nen ist. Aber wen inter­es­siert sowas? „Fire­cra­cker Peo­p­le“ ist ein herbst­li­ches Album mit vie­len Folk-Anlei­hen, das eine gewis­se schwe­re Melan­cho­lie aus­strömt und doch immer wie­der feder­leicht klingt (und auch mal rockt). Dar­ren Jes­see und sei­ne Mit­mu­si­ker hät­ten mehr Auf­merk­sam­keit ver­dient – hier, in ihrer ame­ri­ka­ni­schen Hei­mat und in jedem Land der Erde. Und sagen Sie nicht, die Import-CD sei Ihnen zu teu­er: das Album gibt es für 9,99 Euro im iTu­nes Music Store.
Anspiel­tipp: Blue Always Finds Me

8. Bon Iver – For Emma, Fore­ver Ago
Das gab’s auch noch nie: Nach­dem Bob Boi­len von „All Songs Con­side­red“ über Wochen und Mona­te von Bon Iver (das spricht sich unge­fähr „Boney Wer?“) geschwärmt hat­te und die Kol­le­gin Anni­ka dann auch noch damit anfing, habe ich mich nach Sil­ves­ter erst­ma­lig mit dem Mann, der eigent­lich Jus­tin Ver­non heißt, beschäf­tigt. Nun ist es natür­lich etwas ris­kant, ein Album, das man erst weni­ge Tage kennt, direkt so weit vor­ne in die Lis­te zu ste­cken, aber ande­rer­seits gab es in ganz 2008 kaum ein Album, das ich so oft hin­ter­ein­an­der hät­te hören kön­nen. Die Songs, die Ver­non in einer abge­le­ge­nen Holz­hüt­te geschrie­ben hat, sind mit „ent­rückt“ mög­li­cher­wei­se am Bes­ten zu beschrei­ben. Man muss sich auf die Stim­me und die spär­li­che, teils sphä­ri­sche Musik ein­las­sen, und wenn einem Bei­des nicht gefällt, kann ich das sogar ein wenig ver­ste­hen. Aber ich bin sicher: Sie ver­pas­sen was, so wie es mir fast pas­siert wäre.
Anspiel­tipp: Re: Stacks

7. Niz­lo­pi – Make It Hap­pen
Es kommt ja inzwi­schen lei­der eher sel­ten vor, dass mich ein Kon­zert rund­her­um flasht, aber im Dezem­ber in Köln war es mal wie­der soweit: Wie die­se zwei Män­ner da mit Gitar­re, Kon­tra­bass und ihren Stim­men einen Sound auf die Büh­ne brach­ten, der sat­ter war als so man­che Band und gleich­zei­tig völ­lig orga­nisch, das hat mich nach­hal­tig beein­druckt. Fand ich „Make It Hap­pen“ vor­her schon ziem­lich gut, höre ich es seit­dem noch mal mit ganz ande­ren Ohren. Ein anrüh­ren­des, klu­ges und bewe­gen­des Album, das nur dar­auf hof­fen lässt, dass die Bei­den nach ihrer Aus­zeit wei­ter­ma­chen.
Anspiel­tipp: Drop Your Guard

6. Goldf­rapp – Seventh Tree
Goldf­rapp waren eine Band, die ich bis­her immer eher so am Rand wahr­ge­nom­men hat­te. Das hat sich mit „Seventh Tree“ (und mei­nem Song des Jah­res „A&E“) deut­lich geän­dert. Ein Früh­lings­tag, kom­pri­miert auf 41:35 Minu­ten, ein vor­sich­ti­ges Neben­ein­an­der von Akus­tik­gi­tar­ren und Elek­tro­nik-Spie­le­rei­en, und über allem schwebt die Stim­me von Ali­son Goldf­rapp. Für die Sta­tis­tik­freun­de: dass die bes­te bri­ti­sche Plat­te auf Platz 6 lan­det, hat es bei mir auch noch nie gege­ben (2 ers­te Plät­ze und ein zwei­ter seit 2005).
Anspiel­tipp: Road To Some­whe­re

5. Tom­te – Heu­re­ka
„Hin­ter All Die­sen Fens­tern“ und „Buch­sta­ben Über Der Stadt“ waren bei mir jeweils das Album des Jah­res (2003 und 2006), dafür hat es dies­mal nicht ganz gereicht. Das liegt aber nicht am Album, son­dern an mir: es kam ein­fach irgend­wie nicht ganz im rich­ti­gen Moment raus. Thees Uhl­mann hält es für das bes­te Tom­te-Album über­haupt, und zumin­dest musi­ka­lisch könn­te er da durch­aus recht haben. Bei eini­gen Songs brauch­te ich ein biss­chen Zeit, um mit ihnen warm zu wer­den, ande­re habe ich auf Anhieb geliebt. Tom­te kann man nur has­sen oder lie­ben, aber wer ihnen auf­merk­sam zuhört, der wird sich geliebt füh­len.
Anspiel­tipp: Küss Mich Wach Glo­ria

4. Sigur Rós – Með Suð Í Eyrum Við Spilum End­al­aust
Seit vier Alben ver­fol­ge ich jetzt die Kar­rie­re von Sigur Rós und jedes Mal habe ich gedacht: „Ja, das ist sehr gut, aber irgend­wie ist es mir zu künst­le­risch, zu weit weg, zu wenig all­tags­taug­lich.“ Die Islän­der sind immer noch weit vom Pop ent­fernt, aber auf ihrem fünf­ten Album machen sie Musik, die man auch ohne Räu­cher­stäb­chen und Duft­ker­zen hören kann. Als hät­ten die Elfen und Kobol­de „Sgt. Pep­per“ gehört.
Anspiel­tipp: Við Spilum End­al­aust

3. Sir Simon – Batt­le
Simon Front­zek ist der ein­zi­ge Mensch, der zwei Mal in die­ser Lis­te auf­taucht – und bei­de Male in den Top 5. Zum einen ist er der neue Key­boar­der bei Tom­te, zum ande­ren Sän­ger, Gitar­rist und Song­schrei­ber bei Sir Simon (Batt­le), deren Debüt­al­bum so groß­ar­tig ist, dass es einen Trepp­chen­platz ver­dient hat. Klei­ne unauf­ge­reg­te Pop-Per­len zwi­schen Wil­co, Mari­ti­me und den Wea­k­erthans. Ver­träumt und ein­fach schön.
Anspiel­tipp: The Last Year

2. The Hold Ste­ady – Stay Posi­ti­ve
Auch wenn die ganz gro­ße ver­spä­te­te Band-Neu­ent­de­ckung des Jah­res für mich Hem waren (die aber 2008 kein Album ver­öf­fent­licht haben): The Hold Ste­ady sind sicher im engs­ten Kreis. Die Kom­bi­na­ti­on von roher Ener­gie und Pop-Appeal, von jugend­li­chem Über­schwung und erwach­se­ner Resi­gna­ti­on, von Musik und Text machen „Stay Posi­ti­ve“ zu einem wahr­haft außer­ge­wöhn­li­chen Album. Und dazu die­se gan­zen Pop­kul­tur-Ver­wei­se!
Anspiel­tipp: Maga­zi­nes

1. Fleet Foxes – Fleet Foxes
Car­rie Brown­stein mein­te im Jah­res­rück­blick von „All Songs Con­side­red“, das Jahr 2008 sei ziem­lich „emo“ (die Ame­ri­ka­ner mei­nen damit etwas ande­res als wir) und „bear­dy“ gewe­sen. Das trifft natür­lich bei­des auf Fleet Foxes zu, aber die Band macht viel zu gute Musik, um sich län­ger mit der Gesichts­be­haa­rung ihrer Mit­glie­der auf­zu­hal­ten. Dass es sich die Män­ner aus Seat­tle, WA erlau­ben konn­ten, Per­len wie „Sun Giant“ oder „Myko­nos“ gar nicht erst aufs Album zu packen (son­dern auf der „Sun Giant“-EP zu ver­öf­fent­li­chen), deu­tet an, dass ihnen die Songs nur so zuflie­gen. Und tat­säch­lich: das zwei­te Album der Fleet Foxes soll bereits in die­sem Jahr erschei­nen. Aus­nahms­wei­se habe ich mal gar kei­ne Befürch­tun­gen, dass es schwä­cher wer­den könn­te als das Debüt.
Anspiel­tipp: Quiet Hou­ses