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Digital Gesellschaft

3,2,1 – ein zuversichtliches Blog-Stöckchen

Zuge­ge­ben: Es gab schon mal Zei­ten, in denen es ein­fa­cher erschien, opti­mis­tisch in die Zukunft zu bli­cken.

Selbst jene Social-Media-Platt­for­men, die ursprüng­lich mal dazu gedacht waren, Urlau­be, Son­nen­un­ter­gän­ge und fan­cy Geträn­ke zu pos­ten, um das gute Leben zu fei­ern, sind voll mit irgend­wel­chen Unge­heu­er­lich­kei­ten, die irgend­wel­che Drit­ten irgend­wo anders ins Inter­net geschrie­ben haben. Mal davon ab, dass die Betrei­ber die­ser Platt­for­men unge­fähr so sym­pa­thisch und zukunfts­wei­send sind wie Mine­ral­öl­kon­zer­ne.

Bochumer Brandmauer: Nie wieder Faschismus

Also: Raus aus den soge­nann­ten Sozia­len Netz­wer­ken, zurück in die Blogs und ein paar Leucht­feu­er anzün­den!

Der Kol­le­ge Dirk von Geh­len, des­sen unge­bro­che­nen Glau­ben an das Inter­net als Werk­zeug der Auf­klä­rung ich vor­sich­tig skep­tisch bewun­de­re, hat etwas gemacht, was man frü­her „ein Blog-Stöck­chen wer­fen“ nann­te: sowas ähn­li­ches wie in der Schu­le in ein Freund­schafts­buch ein­zu­tra­gen. Ich hab noch nie bei so etwas mit­ge­macht, aber extre­me Zei­ten erfor­dern extre­me Maß­nah­men!

Drei Din­ge, für die ich mich enga­gie­re:

Umwelt­schutz. Ich war zehn Wochen alt, als mei­ne Eltern mich zu einem der ers­ten Grü­nen-Par­tei­ta­ge mit­ge­nom­men haben, und war in den Jah­ren danach auf zahl­rei­chen Demos gegen Atom­kraft, FCKW und Stein­koh­le­ver­stro­mung. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 40 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist die nächs­te „Fri­days For Future“-Demo in Bochum.

Eine offe­ne, freie Gesell­schaft. Ich war noch kei­ne sechs Jah­re alt, als mei­ne Eltern mich zu einer Gedenk­ver­an­stal­tung mit­nah­men: 50 Jah­re Aus­bruch des 2. Welt­kriegs. Es war noch vor Ros­tock-Lich­ten­ha­gen, aber weni­ge Mona­te, nach­dem die Repu­bli­ka­ner bei der Euro­pa­wahl in Deutsch­land 7,1 % erreicht haben. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 35 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist auch die nächs­te Demo gegen rechts in Bochum.

Gutes Ver­stär­ken. Es ist mei­ne tiefs­te Über­zeu­gung, Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, mit ande­ren Men­schen tei­len zu wol­len. Des­we­gen mache ich sowas wie „5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet“, des­we­gen betrei­be ich immer noch die­ses Blog, des­we­gen schrei­be ich für Zei­tun­gen und mei­nen News­let­ter. Es macht mich immer ein biss­chen fer­tig, wenn ich z.B. Musik auf Social Media tei­le und die Künstler*innen, ob sie mei­ne Freund*innen sind oder wir uns gar nicht ken­nen, sich dann über­schwäng­lich bedan­ken. Ich mei­ne: Lieb, dass sie das tun, aber es soll­te doch ver­dammt noch mal selbst­ver­ständ­lich sein, Din­ge, die man gut fin­det, tei­len und ver­brei­ten zu wol­len!

Zwei Phä­no­me­ne, die mich posi­tiv stim­men:

Künstler*innen, die wei­ter für Fort­schritt kämp­fen: Lady Gaga hat ihren Gewinn bei den gest­ri­gen Gram­mys genutzt, um sich für Trans­rech­te stark zu machen; Bey­on­cé ist die ers­te Schwar­ze Frau, die den Gram­my für das bes­te Coun­try-Album gewon­nen hat.

Son­ne. In Bochum ist seit Tagen strah­lend blau­er Him­mel und das ändert doch mei­ne Per­spek­ti­ve auf die Welt schon merk­lich.

Ein Zitat, das mir hilft:

„And so now I’d like to say – peo­p­le can chan­ge any­thing they want to. And that means ever­y­thing in the world. Peo­p­le are run­ning about fol­lo­wing their litt­le tracks – I am one of them. But we’­ve all got to stop just fol­lo­wing our own litt­le mou­se trail. Peo­p­le can do any­thing – this is some­thing that I’m begin­ning to learn. Peo­p­le are out the­re doing bad things to each other. That’s becau­se they’ve been dehu­ma­nis­ed. It’s time to take the huma­ni­ty back into the cen­ter of the ring and fol­low that for a time. Greed, it ain’t going any­whe­re. They should have that in a big bill­board across Times Squa­re. Wit­hout peo­p­le you’­re not­hing. That’s my spiel.“ (Joe Strum­mer)

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Musik Literatur

And through it all

Frü­her waren Leu­te berühmt, weil sie etwas (z.B. malen, sin­gen, schrei­ben, Krie­ge gewin­nen) beson­ders gut konn­ten. Heu­te sind sie berühmt, weil sie das Eine gut konn­ten und jetzt etwas ganz ande­res machen (z.B. Fern­seh­kö­che, Lena Mey­er-Land­rut, Donald Trump – wobei: was kann der schon?). Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war vor fast 20 Jah­ren der gefei­er­te Jung- bzw. Pop­li­te­rat („Pop­jungli­te­rat“ ging wohl irgend­wie nicht), vor zwei Jah­ren der geläu­ter­te Held sei­ner Auto­bio­gra­phie und ist jetzt bin­nen weni­ger Mona­te zum König von Insta­gram gewor­den. Gut: Über 18.000 Fol­lower lachen ech­te Influen­cer natür­lich, aber was er da in kur­zer Zeit für eine (uh, ah) Com­mu­ni­ty auf­ge­baut hat, ist schon beein­dru­ckend. Erwach­se­ne Leu­te, die sich wei­gern wür­den, einer Par­tei oder auch nur einem Sport­ver­ein bei­zu­tre­ten, fil­men sich dabei, wie sie den (wirk­lich extrem cat­c­hy­gen) Titel sei­nes neu­en Buchs in die Kame­ra sagen: „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgend­wo hin­le­gen – Remix 3“.

Und so ist die­ser Abend hier in der Bochu­mer Zeche ein biss­chen wie die „Glow“ im Klei­nen. Für Leu­te, die mehr Bücher als Make­up zuhau­se haben. Erst­mal den Back­drop (auf dem dann doch nur Platz für „Remix 3“ war) bei Ins­ta pos­ten! In der Rei­he hin­ter mir sagen Män­ner den Satz, den Män­ner im Jahr 2018 so sagen, wenn sie das mit der Rock­star-Kar­rie­re wirk­lich auf­ge­ge­ben haben und die E‑Gitarren als Deko im Pin­te­rest-Wohn­zim­mer ver­stau­ben: „Lass mal ’nen Pod­cast zusam­men machen!“

Um kurz nach Acht geht das Saal­licht aus, ein pop­kul­tu­rel­les Maxi­mal-Mas­hup erklingt und dann, als Auf­marsch­mu­sik: „The Hea­vy Enter­tain­ment Show“ von Rob­bie Wil­liams. Das lief aber beim letz­ten Mal vor zwei Jah­ren auch schon! Der Pop­li­te­rat ist von Anfang an voll da und muss erst­mal umständ­lich eine Noel-Gal­lag­her-Fah­ne am Tisch befes­ti­gen („Es ist halt schon ein­fa­cher, wenn man Joko und Klaas ist!“). Die hat er beim Kon­zert in Ham­burg gekauft, von dem er aus­führ­lich via Insta­gram-Sto­ry berich­tet hat­te – und ich lag im Bett, sah das auf mei­nem iPho­ne und fühl­te mich ein biss­chen, als wäre ich selbst dabei gewe­sen.

Das Wort „Lesung“ hat es bei Stuck­rad-Bar­re noch nie so rich­tig getrof­fen, fast wich­ti­ger als die Tex­te ist das Drum­her­um, das Rum­hib­beln und das Abschwei­fen. Als er dann trotz­dem liest, steigt er direkt mit dem stärks­ten Text des Buches ein, einem Por­trät über Jür­gen Flie­ge, das ich schon bei Erst­ver­öf­fent­li­chung in der „Welt“ gele­sen und gefei­ert, danach aber für sechs­ein­halb Jah­re ver­ges­sen hat­te. Es ist ein Text der Sor­te „Unsag­bar gut, muss ich jetzt täg­lich drei Mal lesen, um mir zu mer­ken, wie man eigent­lich schreibt!“

Über­haupt: „Remix“ (das eine wil­de Samm­lung von zuvor ver­öf­fent­lich­ten Tex­ten ent­hielt und damals gegen den aus­drück­li­chen Wunsch des Autors nicht „Remix 1“ hieß) war im Som­mer vor 18 Jah­ren das Buch, bei dem es bei mir „Klick“ gemacht hat, und nach dem ich ange­fan­gen habe, eige­ne, sehr mei­nungs­freu­di­ge Tex­te zu schrei­ben und ins Inter­net zu stel­len (wo sie hof­fent­lich weni­ger Leser*innen hat­ten als ich heu­te Fol­lower auf Insta­gram). An „Fest­wert­spei­cher der Kon­troll­ge­sell­schaft: Remix 2“ kann ich mich kaum erin­nern (und dem Autor geht es da ver­mut­lich genau­so), die Bril­lanz kam dann erst wie­der mit „Auch Deut­sche unter den Opfern“ zum Vor­schein.

All die­sen Büchern ist gemein, dass es sich um Text­samm­lun­gen han­delt, die The­men und vor allem die Qua­li­tät also etwas schwan­ken. Nach dem gran­dio­sen Besuch beim TV-Pfar­rer folgt also in der Live-Dar­bie­tung ein Text dar­über, wie sich Stuck­rad und sei­ne Freun­din Part­ner­tat­toos ste­chen las­sen, weil sie so ver­liebt sind. Das ist im Buch schon einer der schwächs­ten Tex­te (die Faust­re­gel, wonach glück­li­che Künst­ler kei­ne gute Kunst erschaf­fen kön­nen, hat lei­der wei­ter­hin Bestand), wird in der Gegen­wart aber auch nur bedingt dadurch auf­ge­wer­tet, dass Bezie­hung und Tat­toos inzwi­schen schon wie­der Geschich­te sind.

Zur Auf­lo­cke­rung sol­len danach alle, die auch bei Insta­gram sind, auf die Büh­ne, damit er uns foto­gra­fie­ren und hin­ter­her tag­gen kann. Wir kom­men der Auf­for­de­rung brav nach, in die­sem Moment ist völ­lig unklar, ob das hier die Grün­dungs­ver­an­stal­tung einer neu­en Sek­te ist und wie viel das noch (wenn über­haupt) mit Iro­nie zu tun hat. Wir stel­len uns also zum ers­ten Klas­sen­fo­to seit 15, 20 Jah­ren auf und nach­dem wir end­lich rich­tig ste­hen und Stuck­rad-Bar­re sein Foto gemacht hat, bedankt er sich so über­schwäng­lich, dass lang­sam klar wird: der meint das ernst. Er macht sich stän­dig über die­sen Insta­gram-Kram und sei­ne Rol­le dar­in lus­tig, aber er genießt es wirk­lich, die­se Stim­mung in die ech­te Welt zu holen: „Auf Insta­gram gibt’s kei­ne Nazis, da gibt’s nur Her­zen!“ Hach.

Die Idee, im Früh­jahr 2018 einen Text über die Fuß­ball-WM 2010 zu lesen, ist dann gera­de­zu absurd, aber drum­her­um kom­men wie­der so vie­le Aus­schwei­fun­gen, dass Jogi Löws baby­blau­er Baby­kash­mir-Pull­ove­ra jetzt wirk­lich kaum noch was zur Sache tut. Dafür gibt es Geschich­ten aus dem Cha­teau Mar­mont, „in dem ich aus Image-Grün­den lebe – zumin­dest so lan­ge, bis die gan­ze Koh­le auf­ge­braucht ist und ich wie­der auf Lese­rei­se gehen muss“, und eine Dis­kus­si­on mit einer Zuschaue­rin über Toco­tro­nic (inkl. Hör­pro­be und Aus­füh­run­gen dar­über, dass man als Fan die Schuld für das Nicht-mehr-Ver­ste­hen eines Idols bei sich selbst suchen soll­te). Als Zuga­be, für die er aber gar nicht erst von der Büh­ne geht, dann den wie­der­um sehr guten Text über ein Madon­na-Kon­zert, bei dem das mit dem stän­di­gen „Remix“ jetzt end­lich mal Sinn ergibt (oder so ähn­lich), weil Stuck­rad den Namen „Madon­na“ (bei­na­he) kon­se­quent durch „Bet­ti­na Böt­tin­ger“ ersetzt.

Ein Lied habe er noch für uns, sagt er schließ­lich und aus der augen­zwin­kern­den Pop­kul­tur­re­fe­renz wird plötz­lich Ernst, denn vom Band (sagt man noch „Band“?) läuft jetzt plötz­lich eine Live-Ver­si­on von Rob­bie Wil­liams‘ „Angels“ und der Pop­li­te­rat wird zum Sän­ger (und das nicht mal schlecht):

Das ist nun plötz­lich no sur­face, all fee­ling: Anders als nie­de­re Unter­hal­tungs­künst­ler wie Jan Böh­mer­mann es viel­leicht machen wür­den, ist das hier kei­ne Pose mit Flucht­mög­lich­keit auf die Iro­nie-Ebe­ne. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re meint das hier alles völ­lig ernst: Er singt ein Lied, das er liebt, und ist umge­ben von Men­schen, die sich freu­en, hier zu sein. Um das jetzt doof zu fin­den, muss man ent­we­der sehr kalt­her­zig sein oder mit Pop­kul­tur so gar nichts anfan­gen kön­nen (was aufs Sel­be raus­kommt).

Am Bücher­stand dür­fen wir uns alle sel­ber auf dem Grup­pen­fo­to mar­kie­ren, der Autor signiert und posiert lan­ge für Fotos, die natür­lich alle auf Insta­gram lan­den. Falls es so etwas gibt, fühlt es sich an wie die denk­bar posi­tivs­te Ver­si­on eines Klas­sen­tref­fens. Auch wenn wir da alle natür­lich eigent­lich nie hin­ge­hen wür­den.

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Shut Down Volume 2

Ich habe Men­schen, die beruf­lich so etwas wie „Social-Media-Opti­mie­rung“ betrei­ben, schon immer für die Wun­der­hei­ler des 21. Jahr­hun­derts gehal­ten: Da sit­zen sie, in ihren Loft-Büros mit Kicker­tisch und Fixie an der Wand, spre­chen (oder noch schlim­mer: schrei­ben in Slack) über „orga­ni­sche Reich­wei­ten“ wie ande­re Schar­la­ta­ne über „hei­len­de Stei­ne“, und erklä­ren auf Face­book unge­fragt jedem, wie Face­book funk­tio­nie­re und wie nicht.

Seit die­ser Woche wis­sen wir: Wenn sie sich nur genug Mühe geben und ein biss­chen kri­mi­nel­le Ener­gie mit­brin­gen, kann ihr Hokus­po­kus funk­tio­nie­ren. Und plötz­lich wol­len alle ande­ren ihre Face­book-Accounts löschen.

Facebook (Symbolbild).

Face­book und Mark Zucker­berg eig­nen sich dabei natür­lich wun­der­bar als James-Bond-Schur­ken, weil wir alle unse­re Ängs­te auf das Unter­neh­men pro­ji­zie­ren kön­nen. Nie­mand ver­steht so recht, wie das eigent­lich funk­tio­niert, was man da täg­lich nutzt. Das gilt auch für Flug­zeu­ge und Kern­kraft­wer­ke, aber da gibt es Men­schen, die was Ordent­li­ches stu­diert haben und wis­sen, was sie da tun – und meis­tens geht ja auch alles gut. Bei Face­book bin ich mir inzwi­schen sehr unsi­cher, ob Mark Zucker­berg selbst weiß, was da eigent­lich pas­siert. Und wenn dann wei­te­re Schur­ken­ro­man-Moti­ve wie rus­si­sche Hacker, noch dubio­se­re Unter­neh­men mit so geil seri­ös-unse­riö­sen Namen wie „Cam­bridge Ana­ly­ti­ca“ und die Wahl von Donald Trump ins Spiel kom­men, ist die Sci­ence-Fic­tion-Dys­to­pie kom­plett.

Dabei geht es bei Face­book eigent­lich immer um zwei Fra­gen: die daten­schutz­recht­li­chen Beden­ken, die es immer schon gab, bis­her aber ger­ne von den Anwender*innen igno­riert wur­den, und „Was bringt mir das noch außer schlech­ter Lau­ne und täg­li­cher Volks­ver­het­zung?“ Jetzt kommt aber bei­des auf unheil­vol­le Wei­se zusam­men.

In mei­nem Face­book-Feed sind eigent­lich fast nur noch Kolleg*innen, die „was mit Medi­en“ machen und ihre aktu­ells­ten Arbei­ten anprei­sen, und ent­fern­te Ver­wand­te oder frü­he­re Mitschüler*innen, die fröh­lich die Per­sön­lich­keits­rech­te ihrer Klein­kin­der ver­letz­ten, indem sie Fotos von denen online stel­len. Freund*innen und Ver­wand­te, die seriö­se Beru­fe ergrif­fen haben, gucken da immer noch rein, was man an deren Reak­tio­nen auf eige­ne Posts sehen kann, pos­ten aber selbst nichts mehr. Das war mal anders.

Wenn man Face­book jetzt mit dem gro­ßen, roten Knopf abschal­ten wür­de, den ich mir manch­mal wün­sche, wür­den die Leu­te, die mit den Früh­for­men des Inter­nets auf­ge­wach­sen sind, wie­der in ihre IRC-Chan­nels und zu jetzt.de zurück­keh­ren. Die gan­zen Extre­mis­ten ver­schie­dens­ter Coleur, die sich dort rum­trei­ben, wür­den sicher­lich auch schnell eine neue Platt­form fin­den. Aber die­se gan­zen Leu­te zwi­schen 45 und 60, die sich dort ange­mel­det haben, um mit ihren groß gewor­de­nen Kin­dern in Kon­takt zu blei­ben, die Pro­fil­fo­tos vol­ler Rosen oder Motor­rä­der und deut­lich zu viel Tages­frei­zeit haben und des­halb unter jedem Zei­tungs­ar­ti­kel oder Fern­seh­bei­trag kom­men­tie­ren und die Schuld für alles Elend die­ser Welt bei Ange­la Mer­kel und ihrer Flücht­lings­po­li­tik suchen und fin­den, die wür­den dann viel­leicht ein­fach nur noch „Can­dy Crush“ auf ihren Smart­phones spie­len.

Nun ist es sicher­lich so, dass man in man­chen Beru­fen, vor allem in den Medi­en, auf Face­book sein muss – auch, wenn man kein Scha­ma­ne mit Breit­band-Anschluss in der Agen­tur ist. Weil man den Face­book-Auf­tritt des Unter­neh­mens oder der Behör­de befüllt, weil man mit Kun­den oder Bür­gern in Kon­takt tre­ten soll, oder mal schau­en kön­nen muss, „was das Netz so sagt“. Eigent­lich müss­te der Arbeit­ge­ber da zusätz­li­ches Schmer­zens­geld zah­len.

Aber auch pri­vat kann man dem Elend gar nicht so leicht ent­kom­men: Ver­su­chen Sie mal, ohne Face­book und/​oder Whats­App mit einer grö­ße­ren Grup­pe Men­schen (Eltern­rat in der Kita, Ein­la­dung zum Oster­früh­stück, Orga­ni­sa­ti­on von Geburts­tags­ge­schen­ken oder – ger­ne nicht – Jung­ge­sel­len­ab­schie­den) zu kom­mu­ni­zie­ren! Das geht viel­leicht, wenn alle ein iPho­ne haben und iMes­sa­ge nut­zen kön­nen, oder wenn man aus­schließ­lich Nerd-Freun­de hat, die Diens­te wie Three­ma oder Tele­gram nut­zen.

Und Whats­App gehört ja genau­so zu Face­book wie Insta­gram und Face­book selbst. Wenn man da ein­mal einen Haken falsch gesetzt hat, hat man der Fir­ma die Daten all sei­ner Kon­tak­te über­mit­telt. Whats­App funk­tio­niert sowie­so nur noch, nach­dem man das getan hat – und sich damit nach Ansicht vie­ler Daten­schüt­zer und Juris­ten straf­bar gemacht hat, weil man die­se Daten nie­mals hät­te wei­ter­ge­ben dür­fen.

Wel­cher Flucht­punkt bleibt uns noch? Vor drei Wochen war Vero – iro­nisch gebro­chen – das gro­ße Ding. Dahin­ter ste­cken ein liba­ne­si­scher Mil­li­ar­där, der vor­her als Bau­un­ter­neh­mer erfolg­reich wur­de, indem er sei­ne Arbei­ter nicht bezahl­te, und jede Men­ge rus­si­sche Ent­wick­ler, was für vie­le gleich ein Alarm­si­gnal war wegen der rus­si­schen Umtrie­be bei Face­book und Twit­ter. Ande­rer­seits könn­te man sagen: Bei Vero steht wenigs­tens schon „schön dubi­os“ dran.

Wenn Leu­te (ger­ne natür­lich: Journalist*innen) jetzt auf Face­book schrei­ben, man kön­ne Face­book doch nicht ein­fach so hin­ter sich las­sen – die vie­len Lese-Emp­feh­lun­gen, die net­ten Kon­tak­te -, schei­nen sie ver­ges­sen zu haben, dass es mal eine Zeit gab im Inter­net, als wir alle noch nicht bei Face­book unter­wegs waren. Son­dern z.B. in Blogs.

Die­ser Text besteht aus Gedan­ken, die ich mir gemacht habe, bevor ich mit Bre­men Zwei über Face­book gespro­chen habe, die aber nicht alle im Gespräch Platz fan­den.

Außer­dem habe ich heu­te (hof­fent­lich) sämt­li­che Face­book-Inter­ak­ti­ons-Tools aus dem Blog gewor­fen.

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Straßenbahn des Todes

Dies ist kein Abschied, denn ich war nie will­kom­men
Will auf und davon und nie wie­der­kom­men
Kein Lebe­wohl, will euch nicht ken­nen
Die Stadt muss bren­nen

(Cas­per – Im Asche­re­gen)

Ich hab in die­sem Jahr schon mehr­fach Social-Media-Pau­sen gemacht, die „digi­tal detox“ zu nen­nen ich mich scheue: Als mein Sohn Kita-Feri­en hat­te, wenn wir mal übers Wochen­en­de oder etwas län­ger weg­ge­fah­ren sind, hab ich Face­book und Twit­ter ein­fach aus­ge­las­sen. Zum einen, weil die iPho­nes-Apps im Ver­gleich zur rich­ti­gen Nut­zung (ich bin ver­mut­lich der ein­zi­ge Mensch Mit­te Drei­ßig, für den ein Com­pu­ter mit Bild­schirm, Tas­ta­tur und Brow­ser die „rich­ti­ge“ Anwen­dung ist und ein Smart­phone maxi­mal eine hilf­rei­che Krü­cke für unter­wegs, aber das ist mir – wie so vie­les – egal) ein­fach noch unprak­ti­scher sind (und das will schon was hei­ßen), zum ande­ren, weil ich gemerkt habe, dass Social Media mir schlecht Lau­ne macht.

Jetzt war ich übers Wochen­en­de am Meer, hab gera­de wie­der den Lap­top auf­ge­klappt, kurz in Face­book rein­ge­guckt und schon wäre die gan­ze wun­der­ba­re Erho­lung (Strah­lend blau­er Him­mel, knal­len­de Son­ne und 24 Grad Mit­te Okto­ber! 17 Grad Was­ser­tem­pe­ra­tur! In der Nord­see!) fast wie­der weg gewe­sen.

Und dann traf mich die Erkennt­nis und ich hat­te end­lich einen Ver­gleich bzw. eine Meta­pher für das gefun­den, was mich an Social Media so sehr nervt, dass ich gera­de­zu von „krank machen“ spre­chen wür­de: Es ist, als säße man in der Stra­ßen­bahn und könn­te die Gedan­ken jedes ein­zel­nen Men­schen mit­hö­ren. Da sitzt ein Mann, der gera­de sei­nen Job ver­lo­ren hat und nicht weiß, wie es wei­ter­ge­hen soll. Dort ist eine Frau, die gera­de auf dem Weg in die Kli­nik ist: Ihre Mut­ter hat Krebs im End­sta­di­um. Hier sitzt ein 16-jäh­ri­ges Mäd­chen, des­sen Freund, ihre ers­te gro­ße Lie­be, gera­de Schluss gemacht hat und schon mit einer ande­ren zusam­men ist. Und da drü­ben ein klei­ner Jun­ge, des­sen Hams­ter ges­tern gestor­ben ist.

Natür­lich sit­zen da auch wel­che, denen es gut geht: Eine Fami­lie auf dem Weg in den Zoo. Ein alter Mann, der gera­de sei­nen neu­ge­bo­re­nen Uren­kel besucht hat und sich gleich eine Dose Lin­sen­sup­pe warm­ma­chen wird, sein Leib­ge­richt. Eine jun­ge Frau auf dem Weg zum ers­ten Date – sie weiß es noch nicht, aber sie wird den Mann spä­ter hei­ra­ten und eine glück­li­che Fami­lie mit ihm grün­den. Doch ihre Gedan­ken sind nicht so laut, weil sie nicht immer nur um das eine schlech­te Ding krei­sen, son­dern sie ent­spannt und glück­lich in sich ruhen. Eher das Schnur­ren einer zufrie­de­nen Kat­ze – und damit unhör­bar im Ver­gleich zu dem Geschrei einer Metall­stan­ge, die sich in einem sehr gro­ßen Getrie­be ver­kan­tet hat.

Aber mehr noch: Nicht nur ich kann all die­se Gedan­ken hören – alle kön­nen ein­an­der hören. Und die, die selbst schon völ­lig durch sind, schrei­en dann die ande­ren an: „Sie sind eh unfä­hig, völ­lig klar, dass Sie ent­las­sen wur­den!“, „Inter­es­siert mich nicht mit Dei­ner Mut­ter, jeder muss mal ster­ben!“, „Dum­me Schlam­pe! Was lässt Du Dich auch mit so einem Typen ein? Schlech­ter Män­ner­ge­schmack und kei­ner­lei Men­schen­kennt­nis!“, „Hams­ter sind eh häss­lich und dumm!“

Das ist kein Ort, an dem ich ger­ne wäre. Da möch­te ich nicht mal feh­len.

Und doch set­ze ich mich dem regel­mä­ßig frei­wil­lig aus – oder glau­be, es tun zu müs­sen. Weil ich beruf­lich wis­sen muss, „was das Netz so sagt“. Bei Face­book sieht die Wahr­heit eher so aus: Jour­na­lis­ten­kol­le­gen berich­ten Jour­na­lis­ten­kol­le­gen, was in der Welt so Schlech­tes los ist. „Nor­ma­le“ Men­schen aus mei­nem Umfeld pos­ten schon kaum noch bei Face­book. Und, klar: Es ist die Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten, zu berich­ten – auch und vor allem über Schlech­tes. Aber dann doch viel­leicht in einem Medi­um? Face­book war mal als digi­ta­les Wohn­zim­mer gestar­tet, inzwi­schen weiß nie­mand mehr, was es genau sein soll/​will, nur, dass es so gefähr­lich ist, dass es mut­maß­lich durch exter­ne Mani­pu­la­ti­on die US-Wahl mit ent­schie­den haben könn­te. Die wenigs­ten Din­ge star­ten als leicht schram­me­li­ge Wohn­zim­mer-Couch und lan­den als Atom­bom­be.

Und natür­lich: Es sind extre­me Zei­ten. Der Brexit, die US-Wahl, der Auf­stieg der AfD, jetzt die Wahl in Öster­reich – wenn die Offen­ba­rung von der Redak­ti­on des „Eco­no­mist“ geschrie­ben wor­den wäre, kämen dar­in ver­mut­lich weni­ger Scha­fe und Sie­gel vor und mehr von sol­chen Schlag­zei­len. Die letz­ten Tage waren geprägt von immer neu­en Ent­hül­lun­gen über den ehe­ma­li­gen Film­pro­du­zen­ten und hof­fent­lich ange­hen­den Straf­ge­fan­ge­nen Har­vey Wein­stein, des­sen Umgangs­for­men gegen­über Frau­en allen­falls mit denen des amtie­ren­den US-Prä­si­den­ten zu ver­glei­chen sind. Nach zahl­rei­chen Frau­en, die von Wein­stein beläs­tigt oder gar ver­ge­wal­tigt wur­den, mel­den sich jetzt auch vie­le zu Wort, die in ande­ren Situa­tio­nen Opfer von beschis­se­nem Ver­hal­ten wider­li­cher Män­ner gewor­den sind. Und, Spoi­ler-Alert: Es sind vie­le. Ver­dammt vie­le. Mut­maß­lich ein­fach alle.

Auf­tritt wei­te­re Arsch­lö­cher: „PR-Akti­on!“, „Dich wür­de doch eh nie­mand anpa­cken!“, „Habt Ihr doch vor vier Jah­ren schon gepos­tet, #auf­schrei!“ Und wäh­rend man sich mit der Hoff­nung ret­ten kann, dass sich dies­mal viel­leicht wirk­lich etwas ändern könn­te (eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass Har­vey Wein­stein tat­säch­lich von jener Hol­ly­wood-Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen wer­den könn­te, die sich all­zu­lang in sei­nem Licht gesonnt hat­te), kom­men die nächs­ten Kom­men­ta­re rein und man zwei­felt dar­an, ob da über­haupt noch irgend­wo irgend­was zu ret­ten ist.

Nimm einen ganz nor­ma­len Typen, so wie er im Buche steht
Gib die­sem Typen Anony­mi­tät
Gib ihm Publi­kum, das nicht weiß, wer er ist
Du kriegst das dümms­te Arsch­loch, das man nicht ver­gisst

(Mar­cus Wie­busch – Haters Gon­na Hate)

Es gibt ver­dien­te Kol­le­gen wie Sebas­ti­an Dal­kow­ski, die sich wirk­lich die Mühe machen, denen, die sich nicht für Fak­ten inter­es­sie­ren, wei­ter­hin Fak­ten ent­ge­gen­zu­set­zen. Die all den klei­nen und gro­ßen Scheiß, den die so apo­stro­phier­ten Besorg­ten Bür­ger und ihre media­len Für­spre­cher so von sich geben, gegen­che­cken – und dafür wie­der nur Hass und Spott ern­ten. Für Men­schen wie ihn haben kett­car „Den Revol­ver ent­si­chern“ geschrie­ben, den klu­gen Schluss­song des gran­dio­sen neu­en Albums „Ich vs. Wir“, in dem sie auch die viel­leicht zen­trals­te Fra­ge unse­rer Zeit stel­len: „What’s so fun­ny about peace, love, and under­stan­ding?“

Aber selbst, wenn Sebas­ti­an ein oder zwei Men­schen über­zeu­gen soll­te (was ich, so viel Opti­mis­mus ist durch­aus noch da, ein­fach mal hof­fe), muss ich jeden Mor­gen bei ihm lesen, wel­che Sau jene Leu­te, die Voka­beln wie „Gut­men­schen“ und „Ban­hofs­klat­scher“ ver­wen­den, um damit Men­schen zu bezeich­nen, die noch nicht ganz so viel Welt­hass, Pes­si­mis­mus und Mis­an­thro­pen­tum in ihren Her­zen tra­gen wie sie selbst, jetzt wie­der durchs Dorf getrie­ben haben. Und ich weiß, dass man es als „igno­rant“ und „unpro­fes­sio­nell“ abtun kann, wenn ich all das nicht mehr hören und lesen will, aber: krank und ver­bit­tert nüt­ze ich der Welt noch weni­ger. Ich hab sechs Jah­re BILD­blog gemacht – wenn ich heu­te wis­sen will, was in Juli­an Rei­chelts Kopf wie­der schief gelau­fen ist, kann ich das bei den Kol­le­gen nach­le­sen, die unse­re Arbeit dan­kens­wer­ter­wei­se immer noch wei­ter­füh­ren. Ich muss das nicht zwi­schen den ver­ein­zel­ten Kin­der­fo­tos ent­fern­ter Bekann­ter in mei­nem Face­book-Feed haben. Das gute Leben fin­det inzwi­schen eh bei Insta­gram statt.

Ich woll­te nie gro­ße Ansa­gen machen wie „Ich hab mich jetzt bei Twit­ter abge­mel­det“ – muss ja jeder selbst wis­sen, kann ja jeder hal­ten, wie er/​sie will, wirkt auch immer ein biss­chen eitel. Nur: Face­book und Twit­ter haben mitt­ler­wei­le eine Macht, die ihren Erfin­dern kaum klar ist. Sie kom­men nicht mehr klar mit dem Irr­sinn, der dort abgeht. Und dazu kommt noch der gan­ze Quatsch, dass rich­ti­ge Medi­en ihre Inhal­te dort abkip­pen, um wenigs­tens ein paar Krü­mel abzu­be­kom­men. Natür­lich inter­es­siert es Face­book und Twit­ter kein biss­chen, wenn ihnen ein unbe­deu­ten­der Blog­ger aus Bochum alle ver­füg­ba­ren Mit­tel­fin­ger zeigt, aber: Hey, immer­hin bin ich Blog­ger! Immer­hin hab ich hier ein Zuhau­se im Inter­net. Und wenn mir einer auf den Tep­pich pisst, kann ich ihn acht­kan­tig raus­wer­fen.

Ich weiß, dass Tei­le der Welt immer schlecht waren, sind und sein wer­den – ich brau­che nicht die täg­li­che Bestä­ti­gung. Wie kön­nen es uns hier so gemüt­lich machen, wie es in die­ser Welt (die übri­gens auch ganz vie­le wun­der­vol­le Tei­le hat) eben geht. Und dann hab ich ja auch noch mei­nen News­let­ter.

Ich hab ein Kind zu erzieh’n,
Dir einen Brief zu schrei­ben
Und ein Fuß­ball Team zu sup­port­en.

(Thees Uhl­mann – 17 Wor­te)

PS: Am Meer war es übri­gens wirk­lich wun­der­schön, das kriegt kein Social Media die­ser Welt kaputt!

Gestern am Strand von Scheveningen

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Digital Leben

Feedbackschleife

Ich mag Whats­App nicht – ich kann noch nicht mal genau sagen, war­um. Viel­leicht ist es das Design, viel­leicht der Hin­weis­ton, viel­leicht auch der Umstand, dass es jah­re­lang kei­ne Mög­lich­keit gab, die Funk­tio­nen der App auf einem rich­ti­gen Com­pu­ter zu nut­zen. Jeden­falls fand ich Whats­App schon doof, bevor die App ((Nach­dem ich jetzt vier Mal „App“ geschrie­ben habe, hal­te ich es auch für mög­lich, dass ich Whats­App des­halb doof fin­de, weil ich den Begriff „App“ so super-doof fin­de.)) neue AGBs ver­öf­fent­licht hat, die for­dern, dass man nicht nur die Daten aller Kon­tak­te auf sei­nem Tele­fon mit der Whats­App-Mut­ter Face­book teilt, son­dern man auch noch erklä­ren soll, dass man die Geneh­mi­gung hat, die­se Daten wei­ter­zu­ge­ben – was eine lus­ti­ge, gro­ße Abmahn­wel­le aus­lö­sen könn­te.

Mal davon ab, dass ich E‑Mail immer noch für das sinn­volls­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um hal­te (so man denn rudi­men­tär in der Lage ist, die­ses ver­nünf­tig zu nut­zen), war ich aber auch immer ein gro­ßer Fan von ICQ. In den Blü­te­zei­ten von BILD­blog, Oslog und co haben Ste­fan Nig­ge­mei­er und ich ver­mut­lich Tau­sen­de von Stun­den über ICQ kom­mu­ni­ziert und dabei zahl­rei­che Stern­stun­den des Humors pro­du­ziert.

Ich kann mich aber seit län­ge­rem nicht mehr bei ICQ ein­log­gen, weil alle poten­ti­el­len Pass­wör­ter, die ich jemals ver­wen­det habe, nicht funk­tio­nie­ren und auch die „Pass­wort zurücksetzen“-Funktion auf der ICQ-Web­site für mei­nen Account aus irgend­wel­chen Grün­den nicht zur Ver­fü­gung steht.

Ich schrieb also im April die­ses Jah­res eine E‑Mail an den ICQ-Sup­port mit der Bit­te um Hil­fe:

Hal­lo, lie­be Men­schen,

ich habe seit ca. 1998 ein ICQ-Kon­to (Nr. XXX), das ich in den letz­ten Jah­ren nicht benutzt habe. Weil Face­book, Whats­App und co alle schreck­lich sind, woll­te ich mein Kon­to reak­ti­vie­ren, aber alle Pass­wör­ter, die ich womög­lich mal ver­wen­det habe, pas­sen nicht mehr. Auch ein Zurück­set­zen des Pass­worts klappt aus irgend­wel­chen obsku­ren Grün­den nicht. Könnt Ihr mir viel­leicht hel­fen?

Vie­len Dank und bes­te Grü­ße,
Lukas Hein­ser

Die Ant­wort aus dem Hau­se mail.ru, zu dem ICQ seit 2010 gehört, kam erstaun­lich schnell – und war erstaun­lich umfang­reich:

Hal­lo,
Vie­len Dank, dass Du uns kon­tak­tiert hast!
Wir benö­ti­gen so viel wie mög­lich Infor­ma­tio­nen, um sicher­zu­stel­len, dass das Kon­to auch dir gehört:
1. Geschätz­tes Datum der Regis­trie­rung
2. Die dem Kon­to ver­knüpf­te E‑Mail-Adres­se
3. Die mit dem Kon­to ver­knüpf­te Tele­fon­num­mer
4. Falls Du eine Sicher­heits­fra­ge hat­test, wel­che und wie lau­tet die Ant­wort?
5. Geschätz­tes Datum, an dem Du das Pro­blem her­aus­ge­fun­den hast
6. Bit­te geben Sie die ICQ-Num­mern Kon­tak­te in Ihrer Kon­takt­lis­te waren
7. IP-Adres­sen, von denen Sie Zugriff auf das Netz­werk in den letz­ten Jah­ren.
8. Han­dy-Modell und das Betriebs­sys­tem , auf dem Sie die Anwen­dung instal­lie­ren.
Die kom­plet­ten Infor­ma­tio­nen erlau­ben uns, den Zugriff auf Dein Kon­to wie­der­her­zu­stel­len.
Mit freund­li­chen Grü­ßen,
Dein ICQ-Sup­port-Team
Bit­te zitie­re bei einer Ant­wort die gesam­te Unter­hal­tung.

Ich tat mein Mög­lichs­tes, um wenigs­tens einen Teil die­ser Fra­gen zu beant­wor­ten. Da ich mich mit der ICQ-App, die auf mei­nem anti­quier­ten iPod Touch instal­liert ist, sogar noch ein­log­gen kann (Pass­wort her­aus­fin­den oder ändern geht lei­der nicht), war es mir sogar mög­lich, die ICQ-Num­mern von Men­schen her­aus­zu­fin­den, mit denen ich vor vie­len Jah­ren via ICQ kom­mu­ni­ziert hat­te.

Ich bekam eine Ant­wort, die mich in nicht mehr ganz so ver­ständ­li­chem Deutsch dar­um bat, Kon­takt mit den Inha­bern die­ser ICQ-Num­mern auf­zu­neh­men, damit die­se unter Anga­be einer Berichts­num­mer Kon­takt mit ICQ/mail.ru auf­neh­men, um zu bestä­ti­gen, dass ich ich bin. Mit zwei die­ser Men­schen war ich zum Glück immer noch befreun­det und konn­te sie so bit­ten, sich an ICQ zu wen­den, was sie auch taten.

Die nächs­ten vier Mona­te hör­te ich: nichts. Als dann die Nach­richt von den neu­en Whats­App-AGBs kam, fiel mir wie­der ein, dass ich ja mei­nen ICQ-Account reak­ti­vie­ren woll­te, und hak­te noch mal nach:

Guten Tag!

Im April hat­te ich ver­sucht, mei­nen ICQ-Account zu reak­ti­vie­ren. Ist dies inzwi­schen irgend­wie mög­lich?

Bes­te Grü­ße,
Lukas Hein­ser

Ich bekam die­se Ant­wort:

Hal­lo,

Bit­te geben Sie Ihre gül­ti­ge Han­dy-Num­mer, die nicht an ICQ-Account ver­bun­den ist.
Die­se Zahl wer­den wir auf Ihr Kon­to legen.

Da ich ver­mu­te­te, dass die Nach­fra­ge mei­ner Han­dy­num­mer galt, schick­te ich die­se als Ant­wort.

Dar­auf­hin schrieb mir ICQ:

Hal­lo,

Über­prü­fen Sie die Rich­tig­keit Tele­fon­num­mer ein­zu­ge­ben.

Ich inter­pre­tier­te das als Auf­for­de­rung, mich auf der ICQ-Web­site mit mei­ner Han­dy­num­mer ein­zu­log­gen, schei­ter­te bei dem Ver­such aber kläg­lich:

Hel­lo,

I just tried to log­in with my pho­ne num­ber (+49 XXX) but I got log­ged into the account num­ber XXX and not mine (XXX).

Als Ant­wort bekam ich:

Hal­lo,

Die­se Tele­fon­num­mer +49 XXX ist ungül­tig. Es bleibt noch eine Zif­fer ein­zu­ge­ben.

Das war … merk­wür­dig, denn mein Han­dy­num­mer besteht seit lan­ger, lan­ger Zeit aus einer vier­stel­li­gen Vor­wahl und einer sie­ben­stel­li­gen Durch­wahl. Noch glaub­te ich des­halb an eine lös­ba­re Auf­ga­be:

Hal­lo,

die­se Num­mer ist seit 15 Jah­ren mei­ne Tele­fon­num­mer, Sie kön­nen ger­ne anru­fen.

Ich weiß nicht, ob sie die Num­mer mit oder ohne 0 nach der Län­der­ken­nung (+49) brau­chen, also ist es ent­we­der

0XXX

oder +49XXX.

Vie­len Dank!

Das sah der Cus­to­mer Sup­port bei ICQ aber anders:

Hal­lo,

Wir kön­nen die­se Tele­fon­num­mer nicht anhän­gen, es fehlt eine Zif­fer.

Mit freund­li­chen Grü­ßen,
Dein ICQ-Sup­port-Team
Bit­te zitie­re bei einer Ant­wort die gesam­te Unter­hal­tung.

Ich gebe zu, dass ich lang­sam genervt war, als ich am Frei­tag ant­wor­te­te:

Hal­lo,

ich ver­ste­he nicht, wo das Pro­blem liegt: 0XX-XXX ist mei­ne Tele­fon­num­mer. Mehr Zif­fern gibt es nicht. Wenn Ihr Sys­tem die­se gül­ti­ge Tele­fon­num­mer nicht aner­kennt, stimmt etwas mit Ihrem Sys­tem nicht.

Vie­le Grü­ße,
Lukas Hein­ser

Nun kam gera­de eine E‑Mail aus Russ­land, die uns über­ra­schend vier Mona­te zurück­warf:

Hal­lo,
Lei­der ohne Bestä­ti­gung Ihrer Kon­tak­te, kön­nen wir Ihnen nicht hel­fen.

Ich wer­de es aber wei­ter ver­su­chen. Viel­leicht schaf­fen die es ja, mei­nen Account zu reak­ti­vie­ren, solan­ge ICQ noch min­des­tens einen wei­te­ren Nut­zer hat!

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Digital Gesellschaft

Schwarm, wir müssen reden!

Vor ziem­lich genau zehn Jah­ren habe ich mit dem Blog­gen ange­fan­gen. Erst drü­ben in unse­rem dama­li­gen Aus­lands­se­mes­ter-Blog und spä­ter dann hier. Mit einer klei­nen Trup­pe von AutorIn­nen woll­ten wir „die Zei­tung machen, die wir sel­ber ger­ne lesen wür­den“ – was bei Licht bese­hen auch damals schon etwas ver­mes­sen war, aber wir woll­ten ein­fach mal gucken, was so pas­siert.

Es wur­de sehr schnell ein Blog, in dem ich mich vor allem über Medi­en und Jour­na­lis­ten aus­ließ – was dar­an lag, dass ich damals vor allem das Blog von Ste­fan Nig­ge­mei­er und das BILD­blog gele­sen habe. Es wäre aber falsch, Ste­fan und Chris­toph Schult­heis die Schuld an mei­nem alt­klu­gen, übel­lau­ni­gen Geblog­ge zu geben – ich dach­te, glau­be ich, wirk­lich, dass sie bei „RP Online“ irgend­wann mit ihren Klick­stre­cken auf­hö­ren wür­den, wenn ich mich nur oft genug dar­über auf­re­ge. Inzwi­schen gibt es BuzzFeed und Social Media und ich sehe ein, dass „RP Online“ allen­falls einen vor­läu­fi­gen Tief­punkt dar­ge­stellt hat.

Blogs waren damals noch etwas ande­res, näm­lich die mut­maß­li­che Zukunft. Wir lasen gegen­sei­tig unse­re Blogs, ver­link­ten unse­re Ein­trä­ge unter­ein­an­der, führ­ten Debat­ten wei­ter und mach­ten uns gegen­sei­tig auf ner­vi­ge, aber auch auf tol­le Din­ge auf­merk­sam. Dann kamen Face­book und Twit­ter und inzwi­schen redet unge­fähr nie­mand mehr über Blogs, wenn es um die Zukunft des Jour­na­lis­mus geht. ((Okay: So rich­tig redet nie­mand mehr über die Zukunft des Jour­na­lis­mus.)) You­Tube ist der neue hei­ße Scheiß und die glei­chen Medi­en, die ein Leis­tungs­schutz­recht ein­füh­ren woll­ten, weil Goog­le News Tei­le ihrer Tex­te zitiert, ent­sor­gen ihren Con­tent heu­te direkt bei Face­book, in der Hoff­nung, wenigs­tens noch ein paar Krü­mel abzu­be­kom­men.

Wäh­rend Face­book frü­her noch das digi­ta­le Wohn­zim­mer war, wo man Freun­de und Bekann­te um sich sam­mel­te und lus­ti­ge Vide­os mit ihnen teil­te, sind inzwi­schen alle Sei­ten­wän­de abge­baut wor­den wie wei­land im „Torn“-Video und wir kön­nen sehen, dass neben­an der Stamm­tisch tobt, den man frü­her nie wahr- oder gar ernst­ge­nom­men hät­te, und ein merk­wür­di­ger Mob jede Nach­richt kom­men­tiert, so dass man anschlie­ßend glaubt, die Welt sei vol­ler recht­schreib­schwa­cher Men­schen­has­ser, die wie­der­um glau­ben, die Welt sei vol­ler Ter­ro­ris­ten und „links­grün-ver­siff­ter Gut­men­schen“. Men­schen mit aus­ge­dach­ten Berufs­be­zeich­nun­gen sind der­weil damit beschäf­tigt, jede Woche eine neue App zu fin­den, die angeb­lich „das neue Face­book“ sei.

Kurz­um: Ich bekom­me rich­tig schlech­te Lau­ne, wor­auf­hin ich rich­tig übel­lau­ni­ge Sachen bei Face­book und Twit­ter pos­te, wo es dar­auf­hin aus­sieht, als sei ich ein rich­tig übel­lau­ni­ger Mensch. Zum Blog­gen kom­me ich nicht, weil ich die gan­ze Zeit mit Social Media beschäf­tigt bin und des­halb lei­der nicht mehr auf­schrei­ben kann, was mir eigent­lich gute Lau­ne macht und was ich gera­de toll fin­de.

Die­ses Dilem­ma hat­te ich vor zwei Jah­ren schon ein­mal zu behe­ben ver­sucht, indem ich jeden Tag einen „Song des Tages“ pos­ten woll­te. Klei­ner Haken: Durch die Fest­le­gung auf die­ses For­mat wur­de die schö­ne Idee bald zur läs­ti­gen Auf­ga­be, die mir – kor­rekt! – schlech­te Lau­ne mach­te.

Sue Reind­ke, deren Blog ich frü­her sehr ger­ne gele­sen habe und die ich heu­te (s.o.) eigent­lich nur noch über Social Media mit­be­kom­me, hat letz­te Woche ein Expe­ri­ment gestar­tet: Sie will unge­fähr jede Woche einen News­let­ter ver­schi­cken mit Din­gen, die sie beschäf­ti­gen. Ich hat­te frü­her schon öfter über das Medi­um News­let­ter nach­ge­dacht und fin­de die Idee rich­tig gut: Statt die Inhal­te alle bei Face­book zu ver­bal­lern, wo Face­book damit auch noch Geld macht und wo sie – vor allem außer­halb eines Web­brow­sers – auf tech­nisch grau­en­haf­tes­te und unbrauch­bars­te Art irgend­wo ins Nir­wa­na dif­fun­die­ren, kann man sie auch per E‑Mail schi­cken, dem unge­fähr ein­zig brauch­ba­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­weg, den das Inter­net jemals her­vor­ge­bracht hat. Die Pro­duk­ti­on geht nicht so schnell und impul­siv von­stat­ten wie die eines Tweets und man kann die E‑Mail in Ruhe lesen, wenn man mal Zeit hat. Das will ich direkt auch mal pro­bie­ren!

Ich wer­de mein Pri­vat­le­ben wei­ter weit­ge­hend aus dem Inter­net raus­hal­ten, aber statt wei­ter bun­te Papier­schmet­ter­lin­ge in Pin­kel­rin­nen zu wer­fen, will ich ver­su­chen, posi­ti­ve oder zumin­dest inter­es­san­te Din­ge an einem Ort zu ver­sam­meln: Musik, Trai­ler, emp­feh­lens­wer­te Tex­te, Pod­casts oder Vide­os und ein paar eige­ne Gedan­ken. Gleich­zei­tig will ich ver­su­chen, wie­der mehr in die­sem Blog zu machen (immer­hin fei­ert das im Febru­ar sei­nen zehn­ten Geburts­tag), aber das alles ohne Zwang.

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Old man yells at cloud

Seit mei­ne Fami­lie ihre Som­mer­ur­lau­be in den Nie­der­lan­den ver­bringt (also seit kurz nach Ende des Wie­ner Kon­gress), ist es lieb gewon­ne­ne Tra­di­ti­on, bei Aus­flü­gen ins Nach­bar­land die dor­ti­gen Super­märk­te auf­zu­su­chen und all jene klei­nen Köst­lich­kei­ten in gera­de noch haus­halts­üb­li­chen Men­gen raus­zu­schlep­pen, die in Deutsch­land rät­sel­haf­ter­wei­se nicht zu haben sind: Pinda­kaas, Pas­ta Cho­ca, Kren­ten­bol­len, Vla und Hagels­lag. Erst letz­ten Monat nutz­te ich eine Fami­li­en­fei­er im Grenz­ge­biet, um anschlie­ßend noch mal ordent­lich was fürs hol­län­di­sche Brut­to­in­lands­pro­dukt zu tun. ((Wie das unge­fähr aus­sieht, hat­te ich vor sie­ben Jah­ren hier im Blog schon­mal gezeigt.)) In Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung sind die­se gro­cery shop­ping sprees aller­dings zuneh­mend sym­bo­li­scher gewor­den: Scho­ko­la­denstreu­sel bekommt man hier schon lan­ge, seit eini­ger Zeit auch Vla und seit kur­zem bekommt man bei jedem Dis­coun­ter abge­pack­te Rosi­nen­bröt­chen, die den nie­der­län­di­schen Ori­gi­na­len zumin­dest in Kon­sins­tenz und Optik zum Ver­wech­seln ähneln. Das nimmt den Pro­duk­ten den Reiz der begrenz­ten Ver­füg­bar­keit und sorgt neben­her für so ernüch­tern­de Erkennt­nis­se wie die, dass ich eigent­lich gar kei­nen Pud­ding mag.

Holländische Spezialitäten.

Ich habe Pro­ble­me, mich zu ent­schei­den. Des­we­gen mei­de ich Restau­rants mit gro­ßen Kar­ten, ((Ich ver­fü­ge näm­lich auch nicht über eine die­ser Lebens­mit­tel­un­ver­träg­lich­kei­ten, die einem die Aus­wahl mas­siv ein­grenzt – solan­ge kei­ne Wal­nüs­se im Essen sind oder es sich um gefüll­te Nudeln han­delt, kann und mag ich alles essen.)) Kauf­häu­ser und die­se Bars mit 246 Sor­ten Gin. Noch schlim­mer sind Früh­stücks­büf­fets und „All you can eat“-Läden, weil ich da immer das Gefühl habe, ich müss­te jetzt wirk­lich alles pro­bie­ren und ver­zeh­ren – ich hab ja schließ­lich dafür gezahlt und das Zeugs steht da jetzt rum und darf eh nicht zurück in die Küche. Und wäh­rend ich beim Betre­ten von Buch­hand­lun­gen seit jeher leicht depres­si­ve Schü­be bekom­me, weil ich den­ke: „Das wer­de ich bis zum Ende mei­nes Lebens nie­mals alles lesen kön­nen“, sind Leih­bü­che­rei­en noch schlim­mer, denn da kann ich ja nicht mal mehr auf eine Inter­ven­ti­on mei­nes Kon­to­stands hof­fen. Lau­ter offe­ne Türen, also Zeit, klaus­tro­pho­bisch zu wer­den.

Und so kom­me ich dann auch mit dem Kon­zept „Strea­ming“ über­haupt nicht klar: Seit ich Kun­de bei Musik­strea­ming­diens­ten bin (erst Spo­ti­fy, dann Apple Music) habe ich weni­ger Musik gehört als je zuvor in mei­nem Leben. Jede Woche wer­den mir dut­zen­de neue Songs und Alben ange­zeigt, von denen ein Algo­rith­mus glaubt, dass sie mir gefal­len könn­ten – also höre ich lie­ber das, was ich ken­ne, und kau­fe die neu­es­ten Wer­ke der Künst­ler, von denen ich sonst schon alles habe. ((Tol­le neue Alben von Weezer und den Pet Shop Boys, übri­gens!)) Natür­lich auf CD, denn das ist ja mein ande­res Dilem­ma: Ich will den gan­zen Kram natür­lich auch besit­zen. Ins Regal stel­len. Anfas­sen kön­nen. Haben. MP3s waren irgend­wie auch noch okay, denn da „habe“ ich ja die Datei auf der Fest­plat­te. Strea­ming ist da wie Auto lea­sen: zah­len, aber am Ende nichts besit­zen.

Glei­ches Dilem­ma bei Fern­seh­se­ri­en: Weil ich es mag, wenn mei­ne Ama­zon-Bestel­lun­gen noch am sel­ben Tag ver­schickt wer­den, damit ich sie am über­nächs­ten Werk­tag im Post­amt abho­len kann, bin ich „Prime“-Kunde – und bekom­me unge­fragt die Opti­on, hun­der­te Fern­seh­se­ri­en jeder­zeit kos­ten­los anschau­en zu kön­nen. So könn­te ich die Stun­den, in denen Pro­Sie­ben kei­ne Wie­der­ho­lun­gen von „The Big Bang Theo­ry“ zeigt, mit Wie­der­ho­lun­gen von „The Big Bang Theo­ry“ über­brü­cken. Wenn ich denn „The Big Bang Theo­ry“ gucken wol­len wür­de – oder irgend­ei­ne ande­re Fern­seh­se­rie.

Fern­se­hen ist für mich wie für ande­re Leu­te Sport: Wenn jemand mit­kommt und mich dazu zwingt, ist es meist ganz okay. Allei­ne fal­len mir meist hun­dert Sachen ein, die ich drin­gen­der erle­di­gen müss­te. ((Sport, zum Bei­spiel.)) Dann möch­te ich aber ger­ne auch, dass die Pro­gramm­pla­ner mir gna­den­los vor­ge­ben, was ich wann zu gucken habe. So wie frü­her, als ich jeden Mon­tag­abend zu mei­nen Groß­el­tern gegan­gen bin, um „Akte X“ zu gucken, weil mei­ne Eltern kei­ne Satel­li­ten­schüs­sel hat­ten. Der 50 Meter lan­ge Rück­weg durch einen nächt­li­chen Gar­ten gewinnt für einen 12-Jäh­ri­gen deut­lich an Span­nung, wenn er sich vor­her mit Ali­ens, Zom­bies oder Ver­schwö­run­gen beschäf­tigt hat. Wenn ich Fern­se­hen nicht line­ar (oder, wie ich es nen­ne: „nor­mal“) gucken kann, will ich es gar nicht sehen. Und dann die­se Men­gen! „Guck Dir ‚Brea­king Bad‘ an!“ – alles klar: 62 Fol­gen, ((Und damit noch für ame­ri­ka­ni­sche Seri­en noch ver­gleichs­wei­se wenig.)) sehe ich aus, als hät­te ich so viel Zeit?! Ich habe bei mei­nen Eltern noch einen lau­fen­den Meter VHS-Kas­set­ten mit über hun­dert Fol­gen „Nash Bridges“ ste­hen, die ich Ende der 1990er Jah­re auf Vox mit­ge­schnit­ten habe!

Die­se moder­nen Fern­seh­se­ri­en sind aber eh nichts für mich: Hand­lungs­strän­ge, die sich über Wochen und Mona­te ent­fal­ten, „hori­zon­ta­les Erzäh­len“, Chro­no­lo­gie­sprün­ge – urgs! Genau­so schlimm wie die­se unend­li­chen Kino­fil­me von Chris­to­pher Nolan und Zack Sny­der! Ich lese auch am liebs­ten Bücher mit weni­ger als 300 Sei­ten, dann kann ich mehr ver­schie­de­ne lesen. Wie dem älte­ren Herrn im War­te­zim­mer beim Arzt, der sehr detail­liert, aber völ­lig poin­ten­frei erzählt, was er neu­lich im War­te­zim­mer beim Bür­ger­bü­ro erlebt hat, möch­te ich sonst immer rufen: „Komm zum Punkt!“ Aber ich schwei­fe ab.

Neu­lich woll­te ich „Sols­bu­ry Hill“ von Peter Gabri­el hören. Zu Schul­zei­ten hät­te ich dazu erst mei­nen Vater befragt und wäre dann in die Stadt­bi­blio­thek gefah­ren. ((Musik aus der Stadt­bi­blio­thek ging übri­gens immer total in Ord­nung, die konn­te man ja erst auf Kas­set­te und spä­ter dann auf die Fest­plat­te kopie­ren, also „haben“ – ver­su­chen Sie das mal mit einem Buch!)) Wenn das ent­spre­chen­de Album dort auch nicht ver­füg­bar gewe­sen wäre, hät­te ich nach­ein­an­der die – mitt­ler­wei­le natür­lich alle geschlos­se­nen – Plat­ten­lä­den mei­ner Hei­mat­stadt abklap­pern müs­sen. Ich erin­ne­re mich, wie ich Anfang 2000 bei bit­te­rer Käl­te mit mei­nem Fahr­rad jeden Ort in Dins­la­ken ansteu­er­te, an dem ich Ton­trä­ger hät­te käuf­lich erwer­ben kön­nen – sogar den Kar­stadt und die drei Video­the­ken. ((Video­the­ken! „Wie Net­flix, nur mit Kos­ten für Mie­te und Per­so­nal.“)) Nir­gend­wo gab es den Sound­track zu „Fight Club“. Andert­halb Wochen spä­ter fuhr ich mit mei­nen Freun­den mit dem Zug nach Essen, um die CD dort, in der gro­ßen Stadt, end­lich zu erwer­ben. Das glei­che ein paar Mona­te spä­ter mit dem Album „St. Amour“ von Tom Liwa. Was mei­nen Sie, wie eupho­risch ich jeweils war, als ich die CDs end­lich nach hau­se schlep­pen und dort hören konn­te? Heu­te: drei Klicks – Mega-Span­nungs­bo­gen! Und so habe ich dann neu­lich auch blitz­schnell das (wirk­lich phan­tas­ti­sche) ers­te selbst­be­ti­tel­te Album von Peter Gabri­el ((Oder „Car“, wie wir Nerds sagen.)) hören kön­nen. Und seit­dem nie wie­der, denn es wäre ja theo­re­tisch jeder­zeit ver­füg­bar, genau­so wie fast jedes ande­re Album der Musik­ge­schich­te. Kein „Ich hab das jetzt gekauft, da muss ich es auch jeden Tag hören“-Rechtfertigungszwang mehr, kein „Ich hab doch nur sound­so vie­le CDs“-Ressourcenmangel. Kein Wun­der, dass Kon­zep­te wie Poly­amo­rie und Offe­ne Bezie­hung plötz­lich näher lie­gen als auf dem Dorf.

Musiksammlung.

Dou­glas Adams hat über das Ver­hält­nis von Men­schen und Tech­no­lo­gie geschrie­ben:

I’ve come up with a set of rules that descri­be our reac­tions to tech­no­lo­gies:

1. Any­thing that is in the world when you’­re born is nor­mal and ordi­na­ry and is just a natu­ral part of the way the world works.

2. Any­thing that’s inven­ted bet­ween when you’­re fif­teen and thir­ty-five is new and exci­ting and revo­lu­tio­na­ry and you can pro­ba­b­ly get a care­er in it.

3. Any­thing inven­ted after you’­re thir­ty-five is against the natu­ral order of things.

Die Zahl „thir­ty-five“ kann man bei mir bequem durch „twen­ty-five“ erset­zen. Mit 13 war ich online, ((Wenn auch anfangs nur sehr wenig, sehr lang­sam, dafür aber sehr teu­er.)) es ist für mich so nor­mal wie elek­tri­scher Strom oder ana­lo­ges Anten­nen­fern­se­hen. Mit 15 habe ich mei­ne ers­ten Tex­te ins Inter­net geschrie­ben und das war so, wie eine eige­ne Zei­tung her­aus­zu­ge­ben: toll. Des­we­gen habe ich dann mit 23 einen Blog auf­ge­macht. Und obwohl ich hier in den nach unten offe­nen Kom­men­tar­spal­ten ((Die Älte­ren erin­nern sich viel­leicht noch an die­ses Bon­mot aus der guten, alten Zeit.)) eini­ge Freun­de gefun­den habe, muss ich zuge­ben, dass ich die­sen Rück­ka­nal gar nicht zwin­gend gebraucht hät­te. Und hier sind ja zumeist total ver­nünf­ti­ge Leu­te unter­wegs! Stel­len Sie sich mal vor, Sie arbei­ten für die „Tages­schau“, hal­ten Ihre Zuschau­er für eini­ger­ma­ßen auf­ge­klärt und müs­sen dann erle­ben, was die auf Ihrer Sei­te oder gar bei Face­book kom­men­tie­ren. Da wird der Betreu­ungs­schlüs­sel nahe­ge­le­ge­ner The­ra­pie­ein­rich­tun­gen schnell über­reizt!

Ich hät­te des­halb ger­ne mein Inter­net von 2010 zurück: Blogs statt Face­book, ICQ statt Whats­App und E‑Mail statt Slack. Auch die Com­pu­ter waren damals noch bes­ser: Mac­Books hat­ten ver­schie­de­ne Anschlüs­se für ver­schie­de­ne Gerä­te und ein CD/DVD-Lauf­werk, Mobil­te­le­fo­ne pass­ten noch in Hosen­ta­schen und auch die Betriebs­sys­te­me waren noch bedeu­tend bes­ser als nach dem 17. Upgrade. „Online gehen“ setz­te, wenn schon nicht mehr die leicht umständ­li­che Ein­wahl per Modem, so doch zumin­dest einen Com­pu­ter vor­aus, der zumeist auch noch an einen Platz gebun­den war. Heu­te „geht“ man ja nicht mehr online, man ist es. Immer, über­all. Kein drin­nen und drau­ßen mehr. ((Vie­le Leu­te wis­sen dabei nicht mal, dass sie das Inter­net nut­zen, die nut­zen nur Face­book.)) Das Foto, gera­de gemacht, ist jetzt schon auf allen Gerä­ten, die mit dem Kon­to ver­bun­den sind – oder, wenn Sie pro­mi­nent sind, beim Hacker.

Neu­es­ter Trend: Live-Vide­os. Jour­na­lis­ten, glei­cher­ma­ßen geblen­det vom Moment des Dabei­seins und den neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, strea­men wie besof­fen von Par­tei­ta­gen, Kon­fe­ren­zen und Fes­ti­vals, ((Wenn’s gut läuft. Wenn’s schlecht läuft, strea­men sie live aus Poli­zei­ope­ra­tio­nen.)) die sie eigent­lich besu­chen, um zu beob­ach­ten, zu ana­ly­sie­ren und ein­zu­ord­nen. Posi­ti­ver Neben­aspekt von so viel Live-Leben aller­dings: Der frü­her oft so gefürch­te­te Dia- oder Video­abend nach einer gro­ßen (oder auch klei­nen) Rei­se ist zurecht fast kom­plett aus­ge­stor­ben.

Mag sein, dass ande­re Men­schen mit die­ser per­ma­nen­ten Ver­füg­bar­keit von allem, inkl. ihrer selbst, bes­ser klar­kom­men als ich. Gesprä­che mit Psy­cho­lo­gen und Sozio­lo­gen legen aller­dings nahe, dass dem nicht so ist. Aber man kann sich ja jeder­zeit sein Ent­schleu­ni­gungs-Maga­zin mit Land­haus­flair und Laven­del­duft auf dem iPad angu­cken oder die Medi­ta­ti­ons-App star­ten. Oder halt ein­fach durch­dre­hen, die Möbel aus dem Fens­ter schmei­ßen und den Kopf gegen die Wand schla­gen.

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Dieser Text soll wütend machen

Ich habe ange­fan­gen, einen Text zu ver­fas­sen. Unglaub­lich, was dann pas­sier­te.

Man weiß ja eigent­lich, dass eine Sache pop­kul­tu­rell durch ist, wenn die Par­odien dar­auf anfan­gen, einem mas­siv auf den Sack zu gehen. ((Das ist in der Regel der Moment, in dem Radio­sen­der anfan­gen, die betref­fen­de Sache in ihr „Comedy“-Repertoire auf­zu­neh­men.)) Die Num­mer mit dem „Hef­tig­style“ ist also eigent­lich durch.

Der „Hef­tig­style“ ist benannt nach dem „sti­lis­ti­schen“ Vor­bild heftig.co, einer Inter­net­sei­te, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bun­te Mel­dun­gen von ande­ren, inter­na­tio­na­len Trash-Por­ta­len zusam­men­zu­klau­ben, die­se grob ins Deut­sche zu über­set­zen und mit plum­pen Anrei­ßer­tex­ten in Sozia­len Netz­wer­ken zu streu­en. Unge­fähr alles, was man über die­se Web­site wis­sen muss, die vom guten Anstand über die Prin­zi­pi­en des Kapi­ta­lis­mus bis hin zum gerings­ten sprach­li­chen Emp­fin­den ein­fach alles belei­digt, hat der Herm schon vor drei Mona­ten auf­ge­schrie­ben. In mei­nen eige­nen Social-Net­work-Feeds tau­chen Mel­dun­gen von „Hef­tig“ auf­fal­lend sel­ten auf, was ich sehr gut fin­de, aber die Seu­che greift um sich – immer mehr (meist eben­falls unse­riö­se) Inter­net­por­ta­le beteasern ihre Arti­kel in „Heftig“-Manier. Einen gro­ben Über­blick über die­se Höl­le lie­fert der inzwi­schen schon wie­der etwas ver­waist erschei­nen­de tumb­lr „hef­tig­style“.

For­mu­lie­run­gen wie „Die­ser Elf­me­ter­schüt­ze möch­te beson­ders ange­ben. Doch was dann folgt, ist ein­fach zum Lachen.“ machen mich so unfass­bar aggres­siv wie sonst nur trop­fen­de Was­ser­häh­ne über Edel­stahl­spü­len. Ich brauch­te ein paar Wochen mit mir und mei­nen Gefüh­len um zu begrei­fen, war­um das so ist. Dann wur­de mir klar: Es ist die völ­li­ge Bevor­mun­dung des Lesers. Er soll schon vor der Lek­tü­re des gan­zen (meist lächer­lich kur­zen) Arti­kels wis­sen, wie er zu reagie­ren hat – im kon­kre­ten Fall Lachen. Mal davon ab, dass die wenigs­ten als beson­ders lus­tig ange­prie­se­nen Geschich­ten die ent­stan­de­ne Erwar­tungs­hal­tung erfül­len kön­nen, ist das für mich auf eine Art aus­ge­präg­te Men­schen­ver­ach­tung. Es ist irgend­wie noch schlim­mer als Fast-Food-Ver­pa­ckung, auf die groß „Lecker!“ gedruckt ist, es ist die maxi­ma­le Unter­for­de­rung des Rezi­pi­en­ten.

Das Law-and-Order-For­mat „Ach­tung Kon­trol­le“ auf Kabel Eins arbei­tet mit den glei­chen rhe­to­ri­schen Mit­teln, wenn die lai­en­schau­spie­lern­den Poli­zis­ten oder Steu­er­fahn­der eben­so leb- wie lieb­los Satz­kon­struk­tio­nen able­sen, die unge­fähr so gehen: „Ich habe den Mann dann noch mal auf­ge­sucht und was ich dann sah, hat mich wirk­lich über­rascht.“ Dar­auf folgt die nach­ge­stell­te Sze­ne, in der der Ord­nungs­hü­ter den Mann noch ein­mal auf­sucht und dann etwas sieht, was ihn wirk­lich über­rascht. Nor­mal ent­wi­ckel­te Fünf­jäh­ri­ge wür­den die­sen Ablauf kor­rekt ver­ste­hen und ein­ord­nen, aber für die angeb­lich erwach­se­nen Zuschau­er, die die Macher die­ser Sen­dung offen­bar für lern­be­hin­der­te Matsch­kar­tof­feln auf dem hei­mi­schen Sofa hal­ten, wird das schön erklärt – und nach der Wer­be­pau­se noch mal vom Off-Spre­cher wie­der­holt.

Klar, wir Aka­de­mi­ker könn­ten uns jetzt schön zurück­leh­nen und sagen: „Das ist halt Trash-TV fürs Trash-Volk. Bil­dungs­fer­ne Schich­ten, Hartz IV, Dosen­bier – die sind halt doof.“ Also genau das, was sich die Pro­du­zen­ten sol­cher TV-Sen­dun­gen in all ihrer Über­heb­lich­keit – und der dar­aus fol­gen­den Men­schen­ver­ach­tung – auch den­ken. Aber ich wei­ge­re mich, das zu glau­ben. Bil­ly Wil­der hat mal gesagt, ((Sinn­ge­mäß, ich fin­de das Zitat lei­der auf die Schnel­le nicht mehr wie­der, es ist aber irgend­wo im Wil­der-Buch von Hell­muth Kara­sek zu fin­den.)) man dür­fe den Zuschau­er nicht unter­schät­zen bzw. unter­for­dern, er sei schlau genug, eins und eins selb­stän­dig zusam­men­zu­zäh­len.

Bei „Tages­schaum“ hat­ten wir spa­ßes­hal­ber mal das Mis­si­on State­ment „Wir wol­len den Zuschau­er auf meh­re­ren Ebe­nen über­for­dern“ for­mu­liert – und die­ses Ver­spre­chen sicher­lich auch oft genug ein­ge­löst. ((Und, klar: Unse­re Quo­ten konn­ten nicht mit denen von „Ach­tung Kon­trol­le“ mit­hal­ten.)) Ich habe erst mit der Zeit begrif­fen, dass es beim Fern­se­hen wirk­lich außer­ge­wöhn­lich ist, gewis­se Fak­ten als bekannt vor­aus­zu­set­zen und den Zuschau­er vor allem mal eige­ne Schlüs­se zie­hen zu las­sen. Man kann ja heu­te kaum noch eine Nach­rich­ten­sen­dung schau­en, in denen Auf­nah­men von hun­gern­den Kin­dern, ver­trie­be­nen Men­schen oder den Aus­wir­kun­gen von Natur­ka­ta­stro­phen nicht als „schlim­me Bil­der“ anmo­de­riert wer­den – ganz so, als wäre das Publi­kum nicht selbst in der Lage, das Gezeig­te als schlimm ein­zu­ord­nen.

Womög­lich bin ich da allei­ne, aber ich füh­le mich von sol­chen Erklä­run­gen immer bevor­mun­det – genau­so übri­gens wie von den meis­ten Auf­lö­sun­gen in Kri­mis. Da haben die Autoren im ers­ten und zwei­ten Akt schön ihre Fähr­ten gelegt und Hin­wei­se gege­ben, ((Inzwi­schen muss man ja schon froh sein, wenn das noch halb­wegs natür­lich geschieht und nicht irgend­wel­che Ein­blen­dun­gen auf­pop­pen, auf denen „Ach­tung! Die­se Infor­ma­ti­on wird gleich noch wich­tig!“ steht.)) und dann wird im drit­ten Akt noch mal eine Rück­blen­de abge­feu­ert, damit auch der größ­te Depp (aus Sicht der Macher: der Zuschau­er an sich) begreift, was ambach ist.

Ich möch­te hier noch mal in Betracht zie­hen, dass ich der ein­zi­ge Mensch auf der Welt bin, dem es so geht, aber ich den­ke bei Fil­men oder Roma­nen lie­ber „Das habe ich jetzt nicht ver­stan­den, da hät­te ich bes­ser auf­pas­sen müs­sen, mein Feh­ler!“ als „Ja-haaa! Ich hab’s ver­stan­den!“. Ich weiß noch, wie wütend ich beim Sehen von Quen­tin Taran­ti­nos „Ing­lou­rious Bas­ter­ds“ an einer Stel­le wur­de: In einer Gast­stät­te hat­te sich ein Bri­te als Deut­scher aus­ge­ge­ben, tadel­lo­ses Deutsch gespro­chen und war doch auf­ge­flo­gen. Er hat­te beim Bestel­len von drei Glä­sern Scotch den Zeige‑, Mit­tel- und Ring­fin­ger hoch­ge­hal­ten – ein ech­ter Deut­scher wür­de die Zahl Drei aber mit Dau­men, Zei­ge- und Mit­tel­fin­ger anzei­gen. Man sieht in der Sze­ne, wie August Diehl Micha­el Fass­ben­ders Fin­ger anstarrt und sein Gehirn rat­tert. Selbst wenn man nicht mit den kul­tu­rel­len Unter­schie­den des fin­ger-coun­tings ver­traut ist, gehen an die­ser Stel­le qua­si alle Sire­nen an und der Satz „Hier stimmt etwas nicht, Ihr seid auf­ge­flo­gen!“ läuft in Lauf­schrift über Diehls Stirn. ((Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: August Diehl macht in die­sem Film einen phan­tas­ti­schen Job. Ich fand ihn fast noch bes­ser als Chris­toph Waltz.)) Und trotz­dem hielt Taran­ti­no (womög­lich: hiel­ten die Pro­du­zen­ten) es für not­wen­dig, die Sache mit den Fin­gern spä­ter noch ein­mal im Dia­log auf­zu­lö­sen. Damit auch der Letz­te begreift, war­um die Tar­nung auf­ge­flo­gen ist.

Man hört ja immer wie­der davon, dass vie­le Men­schen, allen vor­an natür­lich Schul­kin­der, nicht mehr in der Lage sei­en, ein­fa­che Tex­te sinn­ent­neh­mend zu lesen. Klar: Wenn ich dar­an gewöhnt bin bzw. wer­de, dass eine über­ra­schen­de Wen­dung als sol­che gekenn­zeich­net wird oder dass trau­ri­ge Musik anschwillt, wenn etwas trau­ri­ges pas­siert, dann wird es schwie­rig, wenn sich plötz­lich der Asphalt vor mir auf­tut und der Tage­bruch nicht „Über­ra­schung!“ schreit und die Musik aus­bleibt, wenn der Hams­ter stirbt. Da bedarf es schon ein biss­chen Vor­wis­sen und Trans­fer­leis­tung, um das von sel­ber auf die Ket­te zu krie­gen.

Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker wür­den jetzt erklä­ren, dass es Wunsch und Auf­trag von Regie­rung und/​oder Wer­be­kun­den sei, das Volk dumm zu hal­ten, aber ich fürch­te, die Erklä­rung ist wie so oft viel ein­fa­cher, also schlim­mer: Irgend­wel­che Con­trol­ler haben in irgend­wel­chen Umfra­gen her­aus­ge­fun­den, wie man mit noch weni­ger eige­nem Auf­wand noch mehr Leu­te errei­chen kann, die sich schon so sehr dar­an gewöhnt haben, für Toast­brot gehal­ten zu wer­den, dass es sie gar nicht mehr auf­regt.

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#2013

Vor zwei Wochen habe ich mir ange­schaut, wie die Sen­dung „30 Jah­re RTL“ pro­du­ziert wird. Die Auf­zeich­nung dau­er­te nicht ganz so lan­ge, wie der Titel ver­sprach (aber fast), und wird am 3. Janu­ar aus­ge­strahlt.

Deut­lich schnel­ler ging die Pro­duk­ti­on eines eher namen­lo­sen Pod­casts von­stat­ten, zu der ich mich ges­tern mit Fried­rich Küp­pers­busch getrof­fen habe: 99 Tage nach der Bun­des­tags­wahl und 101 Tage nach dem letz­ten Tages­schaum haben wir über das Jahr 2013 medi­tiert – und das Ergeb­nis kön­nen Sie sich schon jetzt anhö­ren!

Mit dabei: Ange­la Mer­kel, Edward Snow­den, Hash­tags und Omma & Oppa.

Kom­men Sie gut ins Neue Jahr!

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Internetmäander

Ich habe ein wich­ti­ges Jubi­lä­um ver­passt: Irgend­wann Ende Novem­ber, Anfang Dezem­ber muss es sich zum 15. Mal gejährt haben, dass der ers­te von mir geschrie­be­ne Text im World Wide Web ver­öf­fent­licht wur­de. ((Die lächer­li­chen „Home­pages“, die mei­ne Freun­de und ich in den Mona­ten zuvor bei AOL bzw. Tri­pod (Kin­der, fragt Eure Groß­el­tern, was das war) hoch­ge­la­den hat­ten, zäh­len nicht als Text.)) Es han­del­te sich um eine Kri­tik zum Film „Jackie Chan ist Nobo­dy“, an den ich mich heu­te kein biss­chen erin­nern kann, und sie erschien auf „Schrö­ders klei­ne Film­sei­ten“. Weil das Inter­net damals noch ver­ges­sen konn­te, müss­te ich die NSA um eine Siche­rungs­ko­pie des Tex­tes bit­ten, wenn ich ein ent­fern­tes Inter­es­se dar­an hät­te, mei­ne Rezen­si­on noch ein­mal nach­zu­le­sen.

Das heißt auch: In ein paar Mona­ten wer­de ich mein hal­bes Leben ins Inter­net schrei­ben.

Ich glau­be nicht, dass ich das Inter­net damals als Offen­ba­rung, Chan­ce oder Sen­sa­ti­on begrif­fen habe. Mir war damals klar, dass die Zahl mei­ner Leser nicht signi­fi­kant stei­gen wür­de, ver­gli­chen mit den Tex­ten, die ich in den sie­ben, acht Jah­ren zuvor in mei­ne Schreib­ma­schi­ne gehackt habe. Und mei­ne Ver­wand­ten in den USA hät­ten mei­ne Tex­te ja auch lesen kön­nen, wenn ich sie ihnen gefaxt hät­te. Das Inter­net wur­de erst rich­tig cool, als ich begriff, dass ich dort Fotos von mei­nen Lieb­lings­schau­spie­le­rin­nen und obsku­re B‑Seiten mei­ner Lieb­lings­bands her­un­ter­la­den konn­te. Ich fand den Ein­gangs­ka­nal immer beein­dru­cken­der als den Aus­gangs­ka­nal.

Dar­an hat sich auch in den vie­len Jah­ren, die ich auf ver­schie­dens­ten Platt­for­men im Inter­net publi­ziert habe und in denen ich damit teil­wei­se mei­nen Lebens­un­ter­halt bestrit­ten habe, nicht groß geän­dert. Natür­lich weiß ich theo­re­tisch, dass die mehr als 70.000 Zugrif­fe, die etwa unse­re Oslog-Fol­ge mit Lena Mey­er-Land­rut und Hape Ker­ke­ling hat­te, deut­lich mehr sind als die maxi­mal 50, 60 Zuschau­er, die mei­ne Freun­de und ich im Jahr 1999 mit unse­ren selbst gedreh­ten Action­fil­men errei­chen konn­ten. Und 2.000 Zuhö­rer hät­te ich mit mei­nen Bands auch nie erreicht. Aber ich hab die­se Sachen ehr­lich gesagt immer in ers­ter Linie für mich gemacht – ob sie hin­ter­her auch Rezi­pi­en­ten fin­den, war min­des­tens zweit­ran­gig.

Ich habe ins Inter­net geschrie­ben, bevor ich je das Wort „Blog“ gehört hat­te. Mei­ne Schul­freun­de und ich hat­ten eine Sei­te, auf der wir uns über unse­re Erleb­nis­se aus­ge­tauscht haben, lan­ge bevor wir wuss­ten, was ein „Social Net­work“ ist, und bevor Face­book – oder auch nur MySpace ((Kin­der, bit­te wie­der die Groß­el­tern fra­gen.)) – gegrün­det wur­de. Für mich ist das Inter­net so selbst­ver­ständ­lich wie flie­ßend Warm­was­ser und elek­tri­scher Strom und ich habe nie ver­stan­den, war­um man­che ein gro­ßes Gewe­se dar­um machen, das Inter­net zu kri­ti­sie­ren oder zu ver­tei­di­gen. Man kann mit Was­ser sei­ne Hän­de waschen oder sein Kind in der Bade­wan­ne erträn­ken und man kann mit elek­tri­schem Strom Kar­tof­fel­sup­pe nach altem Fami­li­en­re­zept kochen oder „Taff“ auf Pro­Sie­ben gucken – und so ist das Inter­net auch genau das, was man draus macht.

Viel­leicht ist das auch der Grund, war­um ich nie so ein Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl ent­wi­ckelt habe, wie es auf Bar­camps und Tref­fen wie der re:publica ((Allein die Schreib­wei­se schon!)) zele­briert wird. Ich habe das Inter­net immer für ein sehr prak­ti­sches Werk­zeug gehal­ten und ich fin­de es schön, dass ich dort Din­ge machen und kon­su­mie­ren kann, die nie im Fern­se­hen oder Radio lau­fen und nie von einem Ver­lag gedruckt wer­den wür­den, aber ich hal­te auch mein Schwei­zer Taschen­mes­ser, ((Seit Weih­nach­ten 1994 in mei­nem Besitz.)) mei­nen Staub­sauger und mei­nen Dosen­öff­ner für sehr prak­ti­sche Werk­zeu­ge und wür­de den­noch nie zu einem Tref­fen von Taschenmesser‑, Staub­sauger- oder Dosen­öff­ner­fans gehen. ((Das mag frei­lich auch damit zusam­men­hän­gen, dass ich ein grund­sätz­li­ches Pro­blem damit habe, Teil einer Grup­pe zu sein.))

Ich will das hier jetzt gar nicht im Ein­zel­nen auf­drö­seln, aber wenn ich sehe, was Geheim­diens­te, Regie­run­gen und Anwalts­kanz­lei­en mit dem Inter­net ver­an­stal­ten, macht mich das betrof­fen und wütend. Der Gene­ral­ver­dacht gegen­über der Bevöl­ke­rung, der sich in der Samm­lung qua­si aller Kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten mani­fes­tiert, ist uner­träg­lich und auch irgend­wie unlo­gisch: Schon seit Jahr­zehn­ten wer­den Häm­mer ver­kauft, mit denen man wahl­wei­se Rega­le zusam­men­bau­en oder jeman­den erschla­gen kann, ((In eini­gen Haus­hal­ten soll es zu Situa­tio­nen gekom­men sein, wo bei­des mehr oder weni­ger zeit­gleich statt­ge­fun­den hat.)) von der viel­sei­ti­gen Ein­satz­mög­lich­keit von Mes­sern und Autos ganz zu schwei­gen. Ich bin nicht der Mei­nung, dass man alles über­wa­chen muss, weil Ter­ro­ris­ten „Tech­nik nut­zen“, und ich hän­ge auf der staats­theo­re­ti­schen Ebe­ne der huma­nis­ti­schen Idee an, die Tim Ber­ners-Lee kürz­lich for­mu­liert hat:

Any demo­cra­tic coun­try has to take the high road; it has to live by its prin­ci­ples. I’m very sym­pa­the­tic to attempts to increase secu­ri­ty against orga­nis­ed crime, but you have to distin­gu­ish yours­elf from the cri­mi­nal.

Und weil Tim Ber­ners-Lee der Mann ist, der das World Wide Web erfun­den hat, nut­ze ich die­sen Zir­kel­schluss, um zum Schluss zu kom­men:

Ich mag das Inter­net, macht es nicht kaputt!

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Musik Unterwegs

Luki Waits

Ich hab das Gefühl, ich hab das alles schon tau­send­mal erzählt:

Wie ich 1999, als ich Ben Folds Five gera­de für mich ent­deckt hat­te, nicht zur „Rol­ling Stone Road­show“ gefah­ren bin, weil ich dach­te, die Band wür­de schon dem­nächst mal wie­der nach Deutsch­land kom­men. Und wie sich die Band dann ein Jahr spä­ter auf­ge­löst hat­te.

Wie im Jahr 2001 das ers­te (offi­zi­el­le) Solo­al­bum von Ben Folds erschien und ich das Release­da­te schon Mona­te vor­her groß im Kalen­der mar­kiert hat­te: den 11. Sep­tem­ber.

Wie ich an einer Online-Peti­ti­on teil­nahm, die Ben Folds mit sei­nen dama­li­gen Begleit­mu­si­kern im Jahr 2005 end­lich wie­der nach Deutsch­land brach­te.

Wie Ben Folds Five im Sep­tem­ber 2008 tat­säch­lich ein ein­zel­nes Reuni­on-Kon­zert spiel­ten, das blö­der­wei­se in Cha­pel Hill, NC statt­fand. Und wie sie dann im ver­gan­ge­nen Jahr doch noch ankün­dig­ten, wie­der zusam­men ein Album auf­zu­neh­men und auf Tour zu gehen.

„The Sound Of The Life Of The Mind“ ist tat­säch­lich ein sehr gutes Album gewor­den, nicht nur gemes­sen an mei­nen (zuge­ge­be­ner­ma­ßen sehr nied­ri­gen) Erwar­tun­gen und mei­nem Fan­dom, son­dern ein­fach ein sehr gutes Album. Im Som­mer waren die ers­ten Fes­ti­val-Auf­trit­te der wie­der­ver­ein­ten Band auf You­Tube zu sehen, dann kamen die Tour-Ter­mi­ne raus – auf denen Deutsch­land fehl­te. Aber nach 13 Jah­ren War­ten haben Län­der­gren­zen, Kos­ten und abwe­gi­ge Ideen völ­lig ihre Bedeu­tung ver­lo­ren, so dass ich mir nur noch Beglei­tung suchen muss­te und dann Flug nach, Hos­tel in und Kon­zert­ti­ckets für Man­ches­ter gebucht habe.

Ben Folds Five im O2 Apollo Manchester

Man­ches­ter ist kei­ne Stadt, die einen mit Schön­heit über­wäl­tigt. Mit Häss­lich­keit aller­dings auch nicht. Je mehr ich in Deutsch­land und der Welt rum­kom­me, des­to mehr ver­schwim­men all die­ses Städ­te sowie­so vor mei­nem geis­ti­gen Auge zu einer bzw. zwei­en – einer deut­schen und einer inter­na­tio­na­len. In der inter­na­tio­na­len gibt es dann Läden wie HMV und Waterstone’s und in ihren Super­märk­ten kann man HP Sau­ce und Scho­ko­la­de von Cad­bu­ry kau­fen und was braucht der Mensch eigent­lich mehr?

Außer­dem waren wir ja eh pri­mär aus einem Grun­de in der Stadt. Ich war in den Tagen vor dem Kon­zert nicht auf­ge­regt, es war nicht so wie als Teen­ager, als ich Tage vor­her nur noch die CDs der auf­tre­ten­den Bands gehört habe und mit Herz­klop­fen in den Zug gestie­gen bin, selbst wenn es zum Kon­zert von Slut nach Dort­mund ging. Aber in der Nacht vor dem Kon­zert habe ich dann doch von zwei Ben-Folds-Five-Songs geträumt. So was war mir noch nie pas­siert.

Viel zu früh stan­den wir letzt­lich vor den noch ver­schlos­se­nen Toren des O2 Apol­lo, das sich gro­ße Mühe gege­ben hat­te, die tat­säch­li­chen Zeit­punk­te für Ein­lass und Kon­zert­be­ginn geheim zu hal­ten. Eine wei­te­re Stun­de fiel der Vor­band und Umbau­pau­se zum Opfer: Ich habe vor Ben Folds‘ Solo­kon­zer­ten bis­her immer nur Acts gese­hen, die bes­ten­falls okay waren, häu­fig auch sehr spe­zi­ell. Aber so anstren­gend wie Bit­ter Ruin war tat­säch­lich noch kei­ner von ihnen gewe­sen. Aber was sind 25 Minu­ten Gekrei­sche gegen 13 Jah­re?

Gut. Die­se ver­damm­ten 13 Jah­re bedeu­te­ten natür­lich auch, dass ich mir vor­her schon sicher sein konn­te, dass das Kon­zert mei­ne Erwar­tun­gen nicht wür­de erfül­len kön­nen. Also: Mei­ne Erwar­tun­gen von damals. Heu­te hat­te ich ja irgend­wie kei­ne mehr. Als Ben Folds, Robert Sledge und Dar­ren Jes­see die Büh­ne betra­ten, war das dann auch kein „Endlich!“-Moment mehr. Es war ein­fach der Beginn eines Kon­zer­tes. Aber eines guten.

Ben Folds Five im O2 Apollo Manchester

Die Set­list war klug zusam­men­ge­stellt, die Band defi­ni­tiv in Spiel­lau­ne. In ein­zel­nen Momen­ten droh­ten Songs rhyth­misch aus dem Leim zu gehen, obwohl die drei eigent­lich Top-Musi­ker sind, aber die Har­mo­nie­ge­sän­ge waren in jedem Moment gran­di­os und zähl­ten sicher zu Bes­ten, was es in dem Bereich seit Ende der Sech­zi­ger gege­ben hat. ((Ver­ges­sen Sie Mum­ford & Sons, ver­ges­sen Sie Fleet Foxes!)) Neue Songs (gleich sie­ben) wech­sel­ten sich mit alten Hits ab, aus Folds‘ Solo­pha­se gab es nur „Lan­ded“ zu hören, bei dem sich Bas­sist Robert Sledge und Schlag­zeu­ger Dar­ren Jes­see etwas zurück­hal­tend zeig­ten.

Als ich dann „Brick“ zum ers­ten Mal in mei­nem Leben live hör­te, stell­te sich tat­säch­lich ein klei­ner Gän­se­haut­mo­ment ein. So ein gestri­che­ner Kon­tra­bass wirkt qua­si direkt auf die klei­nen Här­chen auf den Armen und im Nacken und das ver­mut­lich schöns­te Lied, das je über eine Abtrei­bung geschrie­ben wur­de, tut natür­lich sein Übri­ges. Bei­na­he erwart­bar impro­vi­sier­ten die Drei spon­tan den Song „Rock This Bitch In Man­ches­ter“, des­sen Text so bescheu­ert war, dass sogar Folds beim Sin­gen lachen muss­te. Und die Blä­ser-Pas­sa­ge aus „Army“ kön­nen auf­merk­sa­me Kon­zert­be­su­cher inzwi­schen natür­lich im Schlaf mit­sin­gen.

Nach 113.976 Stun­den des War­tens und ziem­lich exakt zwei Stun­den Kon­zert war dann Schluss – für Ben-Folds-Ver­hält­nis­se etwas früh, aber – hey! – auch das ist Eng­land. Dann eben kein „Magic“, kein „Phi­lo­so­phy“, „Don’t Chan­ge Your Plans“, „Eddie Wal­ker“, „Lul­la­bye“ oder „Away When You Were Here“, der bes­te Song des neu­en Albums. Es war ein wirk­lich tol­les Kon­zert, aber wirk­lich beson­ders hat es sich für mich dann lei­der doch nicht ange­fühlt. So ist das also, wenn man sich die Spiel­zeug­ei­sen­bahn zum 50. Geburts­tag end­lich selbst kauft.

Am nächs­ten Tag zeig­te sich dann wie­der ein­mal, wie nutz­los das Inter­net sein kann: Wäh­rend wir in Man­ches­ter via Face­book-Time­line aus­führ­lich dar­über infor­miert wur­den, dass die Zeit­schrift „Bri­git­te“ irgend­et­was über Skate­boards geschrie­ben hat­te, ((Leu­te, jetzt mal im Ernst: Get. A. Fuck­ing. Life.)) war irgend­wie völ­lig an uns vor­bei­ge­gan­gen, dass Ben Folds am Mitt­woch sei­ne ein­zi­ge Foto­aus­stel­lung wäh­rend der gesam­ten Tour eröff­net hat­te. In Man­ches­ter. Mit Band. In einer Gale­rie, zwei Blocks vom Hos­tel ent­fernt.

Sto­ry of my life.

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Papier ist geduldig

Ges­tern gab es gleich zwei schlech­te Nach­rich­ten im Medi­en­sek­tor: Das Stadt­ma­ga­zin „Prinz“ wird im Dezem­ber zum letz­ten Mal als gedruck­te Aus­ga­be erschei­nen und die „Frank­fur­ter Rund­schau“ mel­de­te Insol­venz an.

Sofort ging das Gerau­ne wie­der los, Print sei tot. Wahr­schein­lich konn­te man auch wie­der das Idio­ten­wort „Tot­holz­me­di­en“ lesen. Ger­ne wür­de ich die­sen Leu­ten ins Gesicht schrei­en, dass sie Unrecht haben. Das Pro­blem ist: Ich wür­de mir selbst nicht glau­ben. Das Pro­blem bin ich selbst.

Das letz­te Mal, dass ich ein Prin­ter­zeug­nis gekauft habe, war die Sep­tem­ber/Ok­to­ber-Aus­ga­be der „Spex“. Davor hat­te ich in die­sem Jahr viel­leicht fünf, sechs ande­re Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten gekauft. Nicht, weil ich die Pro­duk­te schei­ße fän­de, im Gegen­teil, aber: Wann soll ich die denn lesen?

Viel­leicht liegt es dar­an, dass ich von zuhau­se aus arbei­te – mein Weg vom Früh­stücks- zum Schreib­tisch beträgt sie­ben Meter, der Gang zur Tages­zei­tung im Brief­kas­ten wäre ein Umweg. Als ich im ers­ten Semes­ter mei­nes Stu­di­ums noch täg­lich von Dins­la­ken nach Bochum gepen­delt bin, habe ich in die­ser Zeit jeden Monat „Musik­ex­press“, „Rol­ling Stone“, „Visi­ons“ und „Galo­re“ gele­sen, dazu zahl­rei­che Bücher und an man­chen Tagen gar Zei­tun­gen. Tat­säch­lich habe ich alle Zeit­schrif­ten, die ich 2012 gekauft habe, in Bahn­hofs­ki­os­ken erwor­ben. Aber auf Zug­fahr­ten kann ich auch end­lich mal in Ruhe Pod­casts hören oder ein Buch lesen – oder halt die gan­ze Zeit auf den Bild­schirm mei­nes iPho­nes star­ren.

Es ist bescheu­ert, Tex­te auf einer Flä­che lesen zu wol­len, die klei­ner ist als mein Hand­tel­ler, und wir wer­den ver­mut­lich eines Tages alle dafür bezah­len. Aber es ist auch so herr­lich prak­tisch, in der S‑Bahn, im Café oder mor­gens noch vor dem Auf­ste­hen im Bett zu lesen, was gera­de in der Welt pas­siert. Ein Buch wür­de ich so nie lesen wol­len, aber Nach­rich­ten? War­um nicht!

Gemes­sen dar­an ist die Tages­zei­tung, die ich auf dem Weg zum Bäcker kau­fen könn­te, natür­lich alt. Dass sie des­halb über­flüs­sig sei, ist natür­lich auch so ein Quatsch-Argu­ment der Inter­net-Apo­lo­ge­ten: Schon vor 30 Jah­ren konn­te es einem pas­sie­ren, dass die „Tages­schau“ um 20 Uhr berich­te­te, was man schon im „Mor­gen­ma­ga­zin“ auf WDR 2 gehört hat­te. Es geht ja nicht nur um die rei­ne Nach­richt, son­dern auch um deren Auf­be­rei­tung. Und selbst wer den gan­zen Tag am Inter­net hängt, wird nicht alles mit­be­kom­men haben, was sich an die­sem Tag ereig­net hat. Ande­rer­seits ist der Nutz­wert einer Zei­tung, die fast aus­schließ­lich die glei­chen Agen­tur­mel­dun­gen bringt, die am Vor­tag schon auf zwei­tau­send Inter­net­sei­ten zu lesen waren, tat­säch­lich gering. Das gilt lei­der auch für eine Lokal­zei­tung, die ihre schö­nen Ent­hül­lun­gen schon vor­ab im eige­nen Web­por­tal ver­öf­fent­licht hat.

Natür­lich liest man Zei­tun­gen ganz anders als Web­sei­ten: Das Auge streift Mel­dun­gen, Über­schrif­ten und Fotos, nach denen man nie gesucht hät­te, die einen aber den­noch anspre­chen kön­nen – nicht sel­ten zur eige­nen Über­ra­schung. Ich lie­be gut gemach­te Zei­tun­gen, trotz­dem lese ich sie nicht. Ich weiß auch, was gutes Essen ist, trotz­dem geht nichts in der Welt über Bur­ger, Cur­ry­wurst und Piz­za. Aber war­um bin ich, war­um sind wir Men­schen so?

Es kann mir nie­mand erzäh­len, dass die Lek­tü­re eines Tex­tes auf einem Bild­schirm (egal ob Smart­phone, Tablet oder Moni­tor) mit der eines Buchs ver­gleich­bar ist. Der Text ist der­sel­be, aber „Lek­tü­re“ ist dann offen­bar doch etwas ande­res als schlich­tes Lesen. Schon ein Taschen­buch fühlt sich nicht so wer­tig an wie eine gebun­de­ne Aus­ga­be mit Lese­bänd­chen, die digi­ta­le Text­an­zei­ge ist dage­gen ein Witz. ((Ander­seits kann eine Voll­text­su­che schon sehr, sehr prak­tisch sein.)) Aber offen­sicht­lich gibt es Men­schen, denen das an die­ser Stel­le dann viel­be­schwo­re­ne sinn­li­che Lese­er­leb­nis nicht so wich­tig ist. Ich wür­de ja auch kei­ne 20 Euro für eine Fla­sche Wein bezah­len.

Mein Ver­hält­nis zu Vinyl-Schall­plat­ten ist eher theo­re­ti­scher Natur: Ich habe nur ein paar, das meis­te sind Sin­gles, die ich aus einer Mischung von Schnäpp­chen­jagd, Witz und Sam­mel­lei­den­schaft erwor­ben habe. ((Eine spa­ni­sche Pres­sung von „Sep­tem­ber“ von Earth, Wind And Fire? Klar! Die Ori­gi­nal­auf­la­ge von San­die Shaws „Pup­pet On A String“? Brauch ich als ESC-Fan natür­lich drin­gend!)) Ich besit­ze nicht mal eine ordent­li­che Ste­reo­an­la­ge, auf der ich die Din­ger abspie­len könn­te, weiß aber natür­lich um den legen­dä­ren Ruf von Vinyl. Mei­ne Sozia­li­sa­ti­on fand mit CDs statt und ehr­lich gesagt fra­ge ich mich manch­mal schon, war­um anfäl­li­ge Schall­plat­ten bes­ser sein sol­len als die dann doch recht robus­ten Sil­ber­schei­ben. Und natür­lich sind CDs für mich viel wer­ti­ger als MP3s, auch wenn ich vie­le CDs nur ein­mal aus der Hül­le neh­me, um sie in MP3s zu ver­wan­deln. Aber MP3s sind für mich immer noch bes­ser als Strea­ming-Diens­te wie Spo­ti­fy: Da „habe“ ich ja wenigs­tens noch die Datei. Bei einem Strea­ming-Dienst habe ich Zugang zu fast allen Ton­trä­gern der letz­ten 50 Jah­re, wodurch jedes Album qua­si völ­lig wert­los wird, auch wenn ich im Monat zehn Euro dafür bezah­le, alles hören zu kön­nen. Den­noch nut­ze ich Spo­ti­fy, wenn auch eher für Klas­si­sche Musik und zum Vor­hö­ren von Alben, die ich mir dann spä­ter kau­fe. Ich gucke auch DVDs auf einem Lap­top, des­sen Bild­schirm unge­fähr Din-A-4-Grö­ße hat und des­sen Auf­lö­sung höher ist als die der DVD selbst.

Scha­det es also dem Pro­dukt, wenn das Medi­um als weni­ger wer­tig emp­fun­den wird? Ich fin­de ja. Ich habe im Inter­net gran­dio­se Tex­te gele­sen, die ich glaub ich noch bes­ser gefun­den hät­te, wenn ich sie auf Papier gele­sen hät­te. Nur, dass ich sie auf Papier nie gele­sen hät­te, weil ich sie dort nie gesucht und gefun­den hät­te. Und weil ich zu wenig Zeit habe, noch bedruck­tes Papier zu lesen, weil ich fast den gan­zen Tag vor dem Inter­net sit­ze. Es ist bekloppt!

Die meis­ten Men­schen, die ich ken­ne, haben kein beson­de­res Ver­hält­nis zu Pfer­den oder Autos, sie wol­len nur mög­lichst schnell an irgend­ei­nem Ziel ankom­men. Das Auto ist schnel­ler als das Pferd – bas­ta! Das war vor hun­dert Jah­ren schlecht für die Pfer­de­züch­ter und Huf­schmie­de, aber so ist das. Der Auto­mo­bil­in­dus­trie gin­ge es auch noch bedeu­tend schlech­ter, wenn wir end­lich alle Rake­ten­ruck­sä­cke hät­ten oder uns bea­men könn­ten.

Die meis­ten Men­schen wol­len auch ein­fach nur Musik hören. Von den Arsch­lö­chern mal ab, denen es egal ist, ob die Musi­ker dafür auch ent­spre­chend ent­lohnt wer­den, ist das völ­lig legi­tim, sie brau­chen kei­ne sie­ben CD-Rega­le in der Woh­nung und Delu­xe-Box­sets. Ihre Umzü­ge sind mut­maß­lich auch weni­ger anstren­gend.

Es gibt offen­sicht­lich Men­schen, die Bücher lesen, die kei­ne Bücher mehr sind. Auch das ist legi­tim und beim Umzug von Vor­teil. Ich kann das nicht ver­ste­hen, aber ich kann schon nicht ver­ste­hen, wie man sich Roma­ne aus der Büche­rei aus­lei­hen kann: Wenn mir ein Buch gefällt, will ich Stel­len unter­strei­chen und es anschlie­ßend, als Tro­phäe und zum Wie­der­her­vor­ho­len, im Regal ste­hen haben.

Die meis­ten Men­schen brau­chen aber offen­bar auch kei­ne gedruck­ten Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten mehr – außer, sie zie­hen gera­de um. Ich wür­de das gern eben­falls merk­wür­dig fin­den. Aber ich bin ja offen­bar genau­so.