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What Difference Does It Make?

Ich zeig Euch Individualität!

Als ich 16 Jah­re alt war, stand ich vor einem mora­li­schen Dilem­ma: WDR 2 hat­te ange­kün­digt, ein Kon­zert mei­ner Lieb­lings­band Ben Folds Five aus­zu­strah­len. Einer­seits freu­te ich mich dar­über, die Band mal „live“ zu hören, ((Ja, lie­be Kin­der, damals hat­ten wir noch kein You­Tube und Live-Mit­schnit­te von Kon­zer­ten waren sel­te­ne Samm­ler­stü­cke.)) ande­rer­seits dach­te ich, damit sei die Band end­gül­tig im Main­stream ange­kom­men. ((Ich saß damals der sel­ben Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on des Begriffs „Main­stream“ auf, die heu­te im Bezug auf die Ver­brei­tung von twit­ter die Run­de macht.)) Ich las „Solo­al­bum“ und „Tris­tesse Roya­le“, die vol­ler Arro­ganz und Distik­ti­ons­wut waren, und freu­te mich, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ die „Drawn From Memo­ry“ von Embrace schlecht bewer­te­te, weil ich dach­te, dann wür­den weni­ger Leu­te die­se CD hören. Das alles ist lan­ge her und mein dama­li­ges Ver­hal­ten bezeich­net man ana­log zur dama­li­gen Lebens­pha­se als puber­tär.

Heu­te freue ich mich, wenn Bands, die ich schät­ze, in die Charts ein­stei­gen, weil das die Chan­ce erhöht, dass die Musi­ker von ihrer Musik auch leben kön­nen. Natür­lich ist es scha­de, Bands wie Cold­play oder die Kil­lers nicht mehr in klei­nen Clubs sehen zu kön­nen, ((Als ob ich das je hät­te.)) aber es kom­men ja fast täg­lich neue Bands für die Clubs dazu und unter einem kul­tu­rel­len Aspekt ist es doch alle­mal bes­ser, wenn die Fri­seu­rin­nen und Kin­der­gärt­ne­rin­nen, die man bei Cold­play-Kon­zer­ten arg­wöh­nisch mus­tert, eben sol­che Musik hören und nicht Sil­ber­mond.

Natür­lich gibt es auch heu­te noch Men­schen, die Bands auto­ma­tisch schei­ße fin­den, wenn sie mehr als 300 Hörer haben, ((Wer sich eine Band durch äuße­re Umstän­de ver­lei­den lässt, hat sie mei­nes Erach­tens nie wirk­lich gemocht.)) aber die nennt man dann eben „Indi­en­a­zis“ und sie müs­sen zur Stra­fe Tex­te von Jan Wig­ger, Died­rich Diede­rich­sen und Plat­ten­tests online lesen.

Das alles kam mir in den Sinn, als ich durch Zufall einen Ein­trag im Blog von Ste­fan Win­ter­bau­er auf meedia.de las:

Pro­blem: Das iPho­ne ist gewöhn­lich gewor­den.

Mitt­ler­wei­le ist das Gerät der­art weit ver­brei­tet (selbst unter Stu­den­ten!), dass es beim bes­ten Wil­len nicht mehr als Sta­tus­sym­bol her­hal­ten kann. Manch­mal muss man sich gera­de­zu schä­men. Zum Bei­spiel, wenn ein Ver­triebs-Och­se in Kurz­arm-Hemd und schril­ler Kra­wat­te im Zug ein iPho­ne zückt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ernst der Text gemeint ist, ((Mein Iro­nie-Detek­tor ist gera­de zur Jah­res-Inspek­ti­on.)) glau­be aber, dass sich im Zwei­fels­fall genug Men­schen fän­den, die Win­ter­bau­er auch dann zustim­men wür­den, wenn er das eigent­lich irgend­wie augen­zwin­kernd gemeint hät­te.

Jetzt denkt jeder Schlips­trä­ger aus Ver­trieb und Mit­tel-Manage­ment, ein biss­chen was von Glanz und Sexy­ness des iPho­ne abha­ben zu kön­nen. No way. Das Gegen­teil ist der Fall. Dadurch, dass die­se Schnauz­bart­trä­ger, Kurz­arm­hem­den und blon­de Damen auf hohen Hocken jetzt alle ein iPho­ne haben, machen sie den Mythos kaputt.

Win­ter­bau­er sitzt da zunächst ein­mal einem weit ver­brei­te­ten Miss­ver­ständ­nis auf: Unter­wegs zu tele­fo­nie­ren – oder brei­ter gefasst: zu kom­mu­ni­zie­ren – hat nichts mit Gla­mour und Sexy­ness zu tun, son­dern mit Abhän­gig­keit oder man­geln­der Orga­ni­sa­ti­on. Wer noch auf dem Nach­hau­se­weg in der S‑Bahn mit dienst­li­chen Pro­ble­men behel­ligt wird, wäre selbst dann noch ein armes Schwein, wenn er mit einem Pla­tin­bar­ren tele­fo­nier­te, und wer aus dem Zug sei­ne Ankunfts­zeit mit­teilt, war in den meis­ten Fäl­len nur zu faul, sich vor­her eine Ver­bin­dung her­aus­zu­su­chen und dann recht­zei­tig am Bahn­hof zu sein. ((Ich weiß, wovon ich spre­che.))

Als in der letz­ten Woche das Mobil­funk­netz von T‑Mobile zusam­men­brach war ich auf­rich­tig über­rascht über die Aus­wir­kun­gen, die das auf das Leben vie­ler Men­schen zu haben schien. Mein ME 45 mit Pre­paid-Kar­te dient mir in ers­ter Linie als Uhr und Wecker, mit dem ich hin und wie­der SMSen schrei­ben kann. Und als ich fest­stell­te, dass ich nach wie vor über T‑Mobile tele­fo­nie­ren konn­te, muss­te ich 20 Minu­ten über­le­gen, wen ich eigent­lich anru­fen könn­te, um ihm die­se (völ­lig irrele­van­te) Sen­sa­ti­on mit­zu­tei­len.

Das heißt nicht, dass ich das iPho­ne an sich schlecht fän­de – ich bin ja auch von mei­nem iPod touch ziem­lich begeis­tert. Aber den mag ich, weil es ein gut durch­dach­tes und funk­tio­nie­ren­des tech­ni­sches Gerät ist, nicht wegen des ange­bis­se­nen Apfels auf der Rück­sei­te. ((Die Rück­sei­te ist übri­gens sowie­so ein Desas­ter. Der Idi­ot, der auf die Idee gekom­men ist, einen Gebrauchs­ge­gen­stand zur Hälf­te mit einer hoch­glän­zen­den Metal­lic-Ober­flä­che zu ver­se­hen, soll­te eigent­lich öffent­lich aus­ge­peitscht wer­den, bis er genau­so vie­le Strie­men auf dem Hin­tern hat wie mein iPod Krat­zer.)) Auch mein Mac­Book nut­ze ich, weil ich App­les Betriebs­sys­tem gelun­ge­ner fin­de als Win­dows, weil der Akku län­ger hält und auch – das gebe ich ger­ne zu – weil das Gerät ein­fach bes­ser aus­sieht als so ziem­li­che jeder ande­re Lap­top – aber doch nicht aus Pres­ti­ge­grün­den.

Wer glaubt, sich über sein Mobil­te­le­fon pro­fi­lie­ren und von ande­ren abgren­zen zu müs­sen, hat mög­li­cher­wei­se zu wenig Geld für den Por­sche, der von den zu klei­nen Geni­ta­li­en ablen­ken soll. Es ist mir ein Rät­sel, war­um aus­ge­rech­net ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug Aus­druck von Indi­vi­dua­li­tät sein soll­te. ((Wobei ein iPho­ne ja in der Regel sehr indi­vi­du­ell ist: Man kann einen Sinn­spruch ein­gra­vie­ren las­sen und Pro­gram­me und Musik nach eige­nem Wunsch dar­auf über­spie­len.)) Wer anders sein will, muss sich schon ein biss­chen mehr Mühe geben – zum Bei­spiel indem er die bei H&M gekauf­ten Motiv-T-Shirts erst mal ein Jahr in den Schrank packt, ehe er sie trägt. Sogar die Punks sahen irgend­wann alle gleich aus mit ihren Iro­ke­sen­schnit­ten und Sicher­heits­na­deln.

Und wer Men­schen bewun­dert, nur weil sie ein teu­res Spiel­zeug mit sich füh­ren, ist mög­li­cher­wei­se noch ober­fläch­li­cher als der Tech­nik-Besit­zer selbst, der einen gera­de für Schnauz­bart und Kurz­arm­hemd ver­ach­tet.

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Das Stillleben von dpa

Man muss sich das bei der Deut­schen Pres­se-Agen­tur (dpa) ver­mut­lich so vor­stel­len: Da kommt eine Poli­zei­mel­dung rein, die von einer neu­en rie­si­gen Ope­ra­ti­on (man kennt das) gegen Kin­der­por­no­gra­phie berich­tet.

Dar­in:

Die auf­ge­fun­de­nen Beweis­mit­tel – Spei­cher des Han­dy und schrift­li­che Auf­zeich-nun­gen – wie­sen aus, dass der Mann kin­der­por­no­gra­phi­sche Schrif­ten in Form von Bil­dern und Video­se­quen­zen nicht nur emp­fan­gen hat und besitzt, son­dern sol­che auch umfang­reich ver­brei­tet hat. In sei­ner Beschul­dig­ten­ver­neh­mung war der 33jährige gestän­dig. Als Tat­mit­tel benutz­te der Mann aus­schließ­lich ein Han­dy. Die Datei­en wur­den per „MMS“ (mul­ti­me­dia mes­sa­ging ser­vice) ver-sandt.

In die­sem Moment ruft der CvD: „Wir brau­chen drin­gend ein Sym­bol­fo­to, wenn die Mel­dung raus­geht! Mach, mach, mach!“

Und so nimmt irgend­je­mand (der Bild­chef, ein Prak­ti­kant, die Putz­frau) eine Digi­tal­ka­me­ra zur Hand und sucht sich auf den Schreib­ti­schen der Kol­le­gen zusam­men, was er braucht: ein Han­dy, einen Lap­top, einen CD-Roh­ling und einen Foli­en­stift.

Zwei Minu­ten spä­ter geht ein Bild über die Ticker, das nur wenig spä­ter in den Online-Auf­trit­ten der Zei­tun­gen auf­taucht:

Stillleben mit Laptop, Handy und CD-Rohling (Künstler unbekannt)

(gefun­den bei taz.de, aber auch beim „Naum­bur­ger Tage­blatt“)

Für alle Mit­ar­bei­ter in der dpa-Zen­tra­le bleibt zu hof­fen, dass der Roh­ling mit der Auf­schrift „Kin­der­por­no­gra­phie“ ordent­lich geschred­dert wur­de, bevor er ent­sorgt wur­de.

Das gewähl­te Tele­fon, das Sie­mens S56, kann übri­gens offen­bar MMS anzei­gen, auch wenn es nicht so aus­sieht.

„Spie­gel Online“ und „RP Online“ war das Bild trotz­dem zu doof und so ent­schied man sich dort für fol­gen­de Alter­na­ti­ven:

Stillleben mit Blackberry (Künstler unbekannt)

Mann mit Samsung-Handy (Künstler unbekannt)

Inter­es­sant ist der aktu­el­le Fall mit dem MMS-Ver­sand vor allem vor dem Hin­ter­grund, dass Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Ley­en gera­de eine Sper­re kin­der­por­no­gra­phi­scher Web­sei­ten durch­ge­boxt hat. Denn hier zeigt sich, dass ihr völ­lig ahnungs­lo­ses Vor­ge­hen in etwa so viel bringt wie ein Kor­ken, wenn das Klo über­läuft.

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Ohne Telefon geht’s schon

Ges­tern stand ich in einer voll­be­setz­ten U‑Bahn (ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich in einer lee­ren U‑Bahn stün­de) und war dort gezwun­gen, in einem Maße am Pri­vat­le­ben eines mir völ­lig unbe­kann­ten Men­schen teil­zu­neh­men, dass es mir unan­ge­nehm war. Er sei kürz­lich umge­zo­gen, erfuhr ich, aber die gan­zen Kla­mot­ten stün­den noch im Wohn­zim­mer, das auch noch nicht tape­ziert sei, aber das kom­me noch alles. Er wis­se noch nicht, was er an Sil­ves­ter mache, Mei­ke und Kai hät­ten vor­ge­schla­gen, ein Feri­en­haus irgend­wo an der Ost­see zu mie­ten und da „mit alle Mann“ hin­zu­fah­ren, aber er sei sich noch nicht sicher, ob die bei­den das wirk­lich orga­ni­sie­ren wür­den und ob er wirk­lich mit­wol­le. Jetzt müs­se er aber eh erst mal die Zuta­ten für ein ordent­li­ches Pilz­ri­sot­to kau­fen, denn gleich bekä­me er noch Besuch.

Der jun­ge Mann erzähl­te die­se Sachen nicht mir, er erzähl­te sie sei­nem Mobil­te­le­fon – und damit dem gesam­ten Zug. Wer der­art öffent­lich lebt, macht sich natür­lich kei­ne Gedan­ken, wenn der Staat sei­ne Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten pro­to­kol­lie­ren las­sen und sei­nen Com­pu­ter durch­su­chen will, dach­te ich. Und dann: Tele­fo­nie­ren ist das neue Rau­chen.

Die­se stei­le The­se liegt weni­ger dar­in begrün­det, dass wohl bei­des ziem­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit haben kann, son­dern ist his­to­risch beleg­bar: Ziga­ret­ten waren einst ein Sta­tus­sym­bol, eine Requi­si­te von Luxus und Deka­denz. Irgend­wann rauch­te dann jeder Müll­mann und obwohl Rau­chen noch lan­ge gesell­schaft­lich geach­tet war, war der Anschein des luxu­riö­sen schnell ver­schwun­den. Viel­leicht erin­nern Sie sich noch an die ers­ten Ärz­te und Rechts­an­wäl­te, die C‑Netz-Auto­te­le­fo­ne in ihren S‑Klassen spa­zie­ren fuh­ren. Mir sind Men­schen bekannt, die sich auf dem Park­platz ihres Golf­clubs zu ihren Freun­den, die sol­che Auto­te­le­fo­ne besa­ßen, ins Auto setz­ten und ihren eige­nen Anruf­be­ant­wor­ter anrie­fen und bespra­chen, nur damit sie mal mit so einem „ver­rück­ten neu­en Gerät“ tele­fo­niert hat­ten. (Ähn­li­ches ist viel­leicht heu­te wie­der bei die­sen unsäg­li­chen iPho­nes zu beob­ach­ten.) Irgend­wann aber hat­te fast jeder so ein „Han­dy“, gera­de von sozi­al schwä­che­ren Per­so­nen heißt es häu­fi­ger, dass sie im Besitz gleich meh­re­rer Mobil­te­le­fo­ne sei­en. Im ver­gan­ge­nen Jahr war erst­mals der Punkt erreicht, wo jeder Mensch in mei­nem Bekann­ten­kreis inklu­si­ve mei­ner Groß­el­tern über ein Mobil­te­le­fon ver­füg­te. Inzwi­schen habe ich tat­säch­lich wie­der Men­schen ohne ein sol­ches Gerät ken­nen­ge­lernt und die ers­ten Freun­de haben (noch Tele­fon­lo­se) Kin­der bekom­men, so dass die Quo­te wie­der leicht unter hun­dert Pro­zent gesun­ken ist.

Ana­log zu den Nicht­rau­cher­ab­tei­len in Zügen und ‑zonen in Restau­rants gibt es bereits „Ruhe­wa­gen“ in den ICEs der Deut­schen Bahn, in denen das Tele­fo­nie­ren uner­wünscht ist, und man hat bereits von „han­dy­frei­en“ Gast­stät­ten gehört. An vie­len Schu­len wur­den Ziga­ret­ten und Mobil­te­le­fo­ne gar gleich­zei­tig ver­bo­ten.

Ich erken­ne dar­in eine ein­deu­ti­ge Ten­denz, die über kurz oder lang dazu füh­ren wird, dass dem mobi­len Tele­fo­nie­ren über­all und zu jeder Zeit eines Tages eine ähn­li­che Oppo­si­ti­on gegen­über­ste­hen wird, wie es sie heu­te bereits bei den mili­tan­ten Nicht­rau­chern gibt. Noch wird ledig­lich getu­schelt, wenn in einem Kunst­mu­se­um ein pein­li­cher poly­pho­ner Klin­gel­ton die Stil­le durch­bricht und sich eine Mitt­fünf­zi­ge­rin hek­tisch mit den Wor­ten „Ja, wir sind schon oben. Kommt Ihr nach?“ mel­det. Aber noch wer­den auch Rau­cher noch nicht über­all gesell­schaft­lich aus­ge­grenzt. Ich bin zuver­sicht­lich, noch den Tag zu erle­ben, an dem die Staats- und Regie­rungs­chefs die­ser Welt den „Ver­trag zur Äch­tung von Mobil­te­le­fo­nen im öffent­li­chen Raum“ unter­zeich­nen.

Ich bin übri­gens seit drei­ein­halb Jah­ren im Besitz eines Sie­mens ME45, das frü­her einem Freund gehör­te, und habe die Pre­paid-Num­mer eines Ver­wand­ten über­nom­men. Mal davon ab, dass die Akku-Leis­tung lang­sam nach­lässt, bin ich mit die­ser Lösung recht zufrie­den.