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Leben

Freudlos glücklich

Für den Fall, dass Sie immer schon mal einen Einblick in mein Unterbewusstsein haben wollten:

Kurz bevor ich heute erwachte, stand ich auf der Besucheretage des Berliner Reichstags, wollte aber dringend nach unten zum Eingang. Also drängelte ich mich in einen der großen gläsernen Fahrstühle, in dem plötzlich Frank-Walter Steinmeier neben mir erschien und in Jeans und Pullover einer offenbar befreundeten Reisegruppe etwas erklärte.

Der Fahrstuhl fuhr hinab und hielt an und Steinmeier musste seine Ausführungen unterbrechen, weil gerade das neueste Kunstwerk im Reichstagsgebäude eingeweiht wurde: ein riesiges hölzernes Treppenhaus. Im Fahrstuhl! Es sprach eine Stimme, die sich darüber freute, mit einem Hauskauf die ganze Republik gefoppt zu haben, und die erstaunlich an den österreichischen Gesundheitsonkel Hademar Bankhofer erinnerte. Angesprochen wurde sie vom Moderator des Events aber mit “Herr Fritzl, der größte Künstler unserer Zeit.”

Bitte entschuldigen Sie, falls ich heute noch ein bisschen verwirrter sein sollte als sonst schon.

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Gesellschaft

Experten

Nun, da wir uns alle einmal über den Mann mit dem albernen Bart und dem unpassenden Namen erregt haben und dieser in einem offenen Brief an den Zentralrat der Juden in Deutschland um Entschuldigung gebeten hat, können wir uns einer wichtigen Frage widmen: Wer ist dieser Hans-Werner Sinn überhaupt?

Vermutlich habe ich in den Nachrichten schon hundertfach von seinem Ifo-Institut gehört und als ich in der Wikipedia vom Ifo-Geschäftsklimaindex las, klingelte es tatsächlich. Aber davon mal ab: Wer ist dieser Mann und was sollte mich dazu bringen, seinen Ausführungen (wenn sie nicht gerade von verfolgten Managern handeln) Glauben zu schenken?

Wenn ein Medium zeigen will, was mit unserer Umwelt passiert oder wie man Energie sparen kann, werden O-Töne von Claudia Kemfert herangeschafft, wenn’s etwas seriöser sein soll Mojib Latif. Tun Jugendliche irgendwo das, was Jugendliche mindestens seit Kain und Abel tun, nämlich zuschlagen, steht das Telefon von Christian Pfeiffer nicht mehr still, und bis vor kurzem konnten Sie sicher sein, Ihre Ernährungstipps von Hademar Bankhofer zu bekommen — egal, welches Medium Sie nutzten.

Braucht ein Journalist ein Statement zum Thema Blogs oder Internet, wendet er sich an Stefan Niggemeier. Der darf auch beim Thema “Medien allgemein” ran, aber nur, solange seine Meinung nicht der Linie des Journalisten zu widersprechen droht – sonst ist Jo Groebel dran. Selbst im Fußball, zu dem nun wirklich jeder Deutsche eine Meinung hat, muss bei jeder Fernsehübertragung ein Experte bereitstehen und erklären, was wir gerade gesehen, aber nur bedingt verstanden haben. Und Henryk M. Broder darf seine Meinung sowieso zu jedem Thema verbreiten.

Der einfache Bürger weiß ja gar nicht, wer diese Menschen sind, die ihm da immer als Experten vorgesetzt werden. Woher kommen sie, was haben sie gelernt, welche eigenen Interessen verfolgen sie gegebenenfalls? (Es soll ja ganze Talkshow-Runden geben, die nur mit Mitgliedern der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” besetzt sind, einer Lobby-Vereinigung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.) Selbst von möglicherweise honorigen Professoren kennt man nur ihre Drei-Satz-Erklärungen aus dem Boulevardfernsehen (“Explosiv”, “Brisant”, “Anne Will”) und wenn man sie nur oft genug gesehen hat, kann man sie sowieso nicht mehr ertragen.

Dabei wäre es ja eigentlich nur wünschenswert, wenn sich tatsächlich die verdientesten und klügsten Leute zu Themen äußern und nicht etwa Ronald Pofalla. Es gibt eher zu wenige Denker in der Öffentlichkeit als zu viele. Die Zeiten, in denen sich der Weimarer Hof mit den weisesten Herren der damaligen Welt schmückte, sind lange vorbei. Fachleute werden von der Politik zwar noch herangekarrt, aber sofort wieder fallen gelassen, wenn ihr Fachwissen sich als unpopulär herausstellen könnte. Fragen Sie mal Paul Kirchhof, den “Professor aus Heidelberg”. (Es geht natürlich noch perfider: Hartz will heute ja nun wirklich niemand heißen.)

Der Grund, warum Medien diese Experten brauchen, ist natürlich klar: Zum einen braucht jedes Thema ein Gesicht, weswegen Hip-Hop ja auch aussieht wie Eminem und Indierock wie Pete Doherty. Zum anderen braucht man jemanden, der Ahnung von einem Thema hat, mit dem man sich gerade zum ersten Mal beschäftigt: Wer morgens in der Redaktionskonferenz die Bekanntgabe des “Vogels des Jahres” aufs Auge gedrückt bekommt, kann nicht bis zur Abgabe noch eine Ornithologie-Studium abschließen.

Vor einiger Zeit behelligte ich einen Geschichtsprofessor mit der Frage, ob er mir für eine Reportage (die immer noch zu schreiben ist) einige Einstiegsfragen beantworten könne. Er teilte mir höflich, aber bestimmt mit, dass Professoren entgegen der weitläufigen Annahme von Journalisten keine Auskunfteien seien, für solche Zwecke gebe es Fachliteratur. Der Mann hat wissenschaftlich natürlich vollkommen recht, aber kein Journalist wird im Tagesgeschäft mal eben ein, zwei, drei Fachbücher lesen können — und der Professor hat sich freilich selbst um eine Karriere als vielzitierter (weil ungelesener) Experte gebracht.

Mehr zum Thema in diesem Beitrag von “Zapp” aus dem letzten Jahr.

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Digital Fernsehen

Trau, schau wem

Mit manchen Geschichten ist es wie mit alten Pullovern: Man zieht an einem losen Faden und am Ende hat man das ganze Teil aufgeribbelt.

Am Dienstag wurde David Harnasch das seltene Glück zuteil, als Blogger wohlwollend von “Spiegel Online” porträtiert worden zu sein. Er betreibt seit vergangenem November das Blog “Bildschirmarbeiter”, in dem er das aktuelle TV-Programm kritisiert und parodiert. Mir war das Blog bis vor wenigen Stunden gänzlich unbekannt, seine technorati authority (die freilich nichts über die Qualität aussagt) lag vor dem SpOn-Artikel bei 42.

Harnasch nimmt sich spannenden Themen an, wie in seinem aktuellsten Beitrag vom 6. August. Was “Frontal 21” da gemacht hat, ist wirklich mindestens sehr merkwürdig, Harnaschs Beitrag finde ich persönlich aber weder spannend noch lustig (falls die Verkleidung lustig sein sollte), sein anfängliches ÖR-Bashing nur peinlich. Aber das ist letztlich Geschmackssache – viele Leute werden ja auch unsere Videos nicht lustig finden.

Jan-Philipp Hein, der das große “Bildschirmarbeiter”-Porträt geschrieben hat, folgt darin einer Prämisse, die er in der Einleitung vorstellt:

Fernsehen spielt online fast keine Rolle. Wenige Blogger arbeiten sich am ehemaligen Leitmedium ab – einer aber mit viel Witz und exzessivem Aufwand. Ansonsten gilt TV online vielleicht einfach nicht mehr als kritikwürdig.

Ich sehe das anders. Da wäre ja zum Beispiel der “Fall Bankhofer”, in dem sich der WDR wegen des “Anscheins auf Schleichwerbung” von dem sympathischen “Gesundheitsexperten” trennte, nachdem zwei Blogs die Geschichte angestoßen hatten.

Zugegeben: neben dem Fernsehlexikon, Stefan Niggemeier (bei dem man aber auch ganz froh ist, wenn er nicht jedes Mal genannt wird, wenn der Begriff “Blogger” fällt), medienpiraten.tv und dem Wortvogel, der sich des Themas immer mal wieder von der Macher-Seite annimmt, fallen mir auch nicht mehr soooo viele Fernseh-Blogs ein. “Fast keine Rolle” sieht für mich aber trotzdem anders aus.

In der “SpiegelKritik” stolperte ich dann über diesen Eintrag zu Heins Artikel, den ich auch in meinen aktuellen “Klickbefehl” aufnahm: Timo Rieg schrieb da, Hein und Harnasch seien einander durch die “Achse des Guten” verbunden – Harnasch ist Autor jenes “publizistischen Netzwerks”, das sich gerne mit dem Untergang des Abendlandes und dem angeblichen “Klimaschwindel” befasst, und für das Hein schon dreimal als Gastautor gearbeitet habe. Außerdem betrieben sie gemeinsam das “Netzwerk Gegenrecherche”, schreibt Rieg.

Gefälligkeitsjournalismus unter alten Kumpels bei “Spiegel Online”? Ein ziemliches Ding, wenn dem so wäre.

Allein: So wie’s aussieht, ist dem nicht so. Jan-Philipp Hein erklärte mir gegenüber, dass er David Harnasch “vor zwei, drei Wochen” erstmalig kontaktiert habe – um eben genau jenes Porträt über ihn für “Spiegel Online” zu schreiben. Über die “Achse des Guten” hätten die beiden bisher keinerlei Kontakt gehabt und was dort an Gastbeiträgen von Hein veröffentlicht wurde, seien alle jeweils Zweitverwertungen aus anderen Medien gewesen.

Über “Bildschirmarbeiter” habe er geschrieben, weil er das Blog “originell” finde, sagt Hein, und mit dem “Netzwerk Gegenrecherche” habe der Kollege Harnasch nur insofern zu tun, als der einmal darauf verlinkt habe.

Und – hier kommen wir auf den Pullover-Satz vom Anfang zurück, der Sie dort sicherlich ziemlich verwirrt hat – statt über mögliche Mauscheleien bei “Spiegel Online” zu schreiben, saß ich plötzlich an einem Artikel, der sich mit der haarsträubenden Recherche (bzw. Nicht-Recherche) bei “SpiegelKritik” auseinandersetzen muss. Jan-Philipp Hein nannte den dortigen Artikel, in dem sich Timo Rieg auch noch als Mitglied des “Netzwerks Recherche” zu erkennen gibt, “bedenklich” und “unmöglich” und auch bei “Spiegel Online” war man darüber alles andere als glücklich.

Timo Rieg erklärte mir auf Nachfrage, er wolle seinen Artikel in der “SpiegelKritik” als “Rezension einer Rezension” verstanden wissen.

PS: Was man aber wohl ruhigen Gewissens als kontraproduktiv bewerten kann, ist die Tatsache, dass David Harnasch wenige Tage vor der Veröffentlichung seines Porträts bei “Spiegel Online” einen Blog-Eintrag mit folgenden Worten begann:

Auch wenn ich momentan guten Grundes wegen nicht über SPON lästern sollte, […]