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Musik

Listenpanik 08/09

Bevor morgen (hoffentlich) der Paketbote klingelt und ich die nächsten zwei Monate mit meinem Beatles-Box-Set verbringe, schreibe ich mal lieber noch schnell auf, was ich in den letzten Wochen so gehört habe. Dieses Mal wird es noch etwas konfuser als sonst, weil z.B. das Imogen-Heap-Album in den USA zwar schon erschienen, aber noch nicht bei mir angekommen ist. Dafür gibt es mal wieder Nachträge, bei denen Sie sich sicherlich fragen werden, auf welchem Planeten ich eigentlich die letzten Monate verbracht haben. Aber sowas wird es bestimmt bei der nächsten Listenpanik auch wieder geben.

Doch genug der Theorie! Das blieb hängen vom Monat August:

Alben
La Roux – La Roux (Nachtrag)
Das heißeste neue Frau-singt-über-Elektrobeats-Dingen seit “Anniemal” von Annie vor vier Jahren. Daran erinnern La Roux auch ein bisschen, sind aber ein ganzes Stück düsterer. Namedropping-Spezialisten setzen eh lieber auf Yazoo, Human League, Visage und ähnlich gelagerte Künstler der 1980er Jahre. Wenn das von Musik- und Modepostillen seit Jahren postulierte Achtziger-Revival jetzt also nicht langsam mal einkickt (s.a. Empire Of The Sun, Lady Gaga, sowie die Tode von Michael Jackson und John Hughes), dann sollten wir uns langsam damit abfinden, dass es in diesem Jahrzehnt nicht mehr kommen wird. Unabhängig davon ist es natürlich eines der über-coolsten Alben für Dinnerparty und Club seit langem. Und in dem Moment, wo ich es mir auch gekauft habe, wahrscheinlich schon wieder so durch wie die “DJ Kicks!” von Kruder & Dorfmeister. (Next stop: Neunziger-Revival.)

The Low Anthem – Oh My God, Charlie Darwin
Hier hätten wir dann das Folk-Hypethema der laufenden Saison, mindestens Fleet Foxes und Bon Iver in einem. (Und Great Lake Swimmers, Neutral Milk Hotel, Neil Young und Tom Waits.) Zwischen schwelgenden Balladen (“Charlie Darwin”, “To Ohio”) und scheppernden Schunkel-Nummern (“The Horizon Is A Beltway”, “Home I’ll Never Be” von Jack Kerouac und Tom Waits) ist so ziemlich alles dabei, was man mit dem Überbegriff “Folk” verbinden würde. Der Herbst kann kommen, denn mit dieser Musik im Ohr kann man den Blättern sicherlich entspannt beim Verfärben zusehen.

Jay Reatard – Watch Me Fall
“Kinder”, fragte der Opa, “wann genau ist Punkrock so poppig geworden?”
“Ach”, antworteten die Kinder, “das war doch eigentlich immer schon so. Hör Dir mal die Ramones an oder die Undertones!”
“Stimmt auch wieder”, sagte der Opa und gab sich den sympathisch-schlichten Songs von Jay Reatard hin, die auch in irgendeinem anderen der vergangenen 34 Jahre hätten erscheinen können.

Franz Nicolay – Major General
Wenn die Position “Lieblingsband” im Leben eines Mannes nicht ähnlich früh festbetoniert würde wie “bester Freund” und “Fußballverein” (sowie – aus chronologischen Gründen – “erste Liebe”), wären The Hold Steady inzwischen meine Lieblingsband. Klar, dass man da auch Nebenprojekten wie dem Solodebüt des Keyboarders seine Aufmerksamkeit schenken muss. “Major General” schwankt musikalisch zwischen Extremen wie Punkrock und Folk, Chanson und Powerpop, was nicht nur die Bewertung, sondern auch das Durchhören des Albums etwas schwierig gestaltet. Technisch ist Nicolay sicherlich der bessere Sänger als sein Chef Craig Finn, aber dem fallen die besseren Texte ein. Wenn man die 15 Songs auf zehn zusammengestrichen hätte, wäre “Major General” vielleicht nicht nur ein Fall für Komplettisten, so ist es doch ein bisschen speziell. Schade, denn Songs wie “Jeff Penalty” oder “I’m Done Singing” hätten ein größeres Publikum verdient — oder, so unterschiedlich wie sie sind: gleich zwei Publika.

Mew – No More Stories
Wenn ich ein Album anstrengend finde, gibt es generell zwei Möglichkeiten: Entweder es liegt an mir (falsche Stimmung, generelle Vorbehalte, schlichte Ignoranz) oder an den Künstlern. Schwer zu sagen, wer diesmal Schuld ist, denn “No More Stories / Are Told Today / I’m Sorry / They Washed Away / No More Stories / The World Is Grey / I’m Tired / Let’s Wash Away” (so der vollständige Name des Albums) ist eigentlich schon ein schmuckes Album, mit dem man auch Pink-Floyd-Fans noch aus dem Schaukelstuhl schütteln könnte. Ich mach’s jetzt wie so oft und denke mir: “Das muss ich noch mal in Ruhe hören, wenn ich die Muße dazu habe”, und werde es dann vermutlich wieder vergessen. Und das wird mutmaßlich großer Frevel sein, weil ich im richtigen Moment wahrscheinlich erkennen würde, dass die Dänen von Mew damit ganz große Kunst geschaffen haben. Im Moment kann ich das leider nur annehmen.

Songs
La Roux – Bulletproof (Nachtrag)
Wenn ich behauptete, ich würde meine Eltern nur noch besuchen, um GoTV gucken zu können, wäre das sehr unfreundlich. Aber dieser kleine, feine, österreichische Musikvideosender macht einfach alles richtig. Ausbeute des letzten Besuchs: eine Handvoll Tracks, die noch vor dem Fernseher sitzend direkt bei iTunes gekauft wurden. Allen voran diese hier jugendsprachliches Adjektiv einsetzen Club-Hymne: Genau in dem Moment, wo der schlichte und ergreifende Refrain fast ein bisschen langweilig werden könnte, kommt der Breakdown mit Hilfe eines Vocoders (“It’s 2009, motherfucker!”, sagt der Breakdown, auch wenn es weiterhin wie “This time I’ll be bulletproof” klingt) und jeder Mensch mit ein bisschen Resthirn im Tanzbein merkt: “Argh, geil, Track des Jahres!” Nur ich hab natürlich wieder vier Monate und österreichisches Fernsehen gebraucht, um davon was mitzukriegen.

Gossip – Heavy Cross (Nachtrag)
Talkin’ bout Track des Jahres: Da hätten wir natürlich gleich die schärfste Konkurrenz. Dass der Song auch auf WDR2 läuft, zeigt nur, in was für einer Post-alles-Ära wir hier überhaupt leben. Jedenfalls: Auch eine Mörder-Nummer, die man auch als “fett” bezeichnen könnte, wenn das nicht irgendwie sehr unwitzig wäre.

Jay Reatard – It Ain’t Gonna Save Me
Ich habe vergessen, wer derzeit den Rekord für die häufigste Wiederholung des Songtitels hält (mutmaßlich irgendwas mit “Yeah” aus den 1960er Jahren), aber der Opener von Jay Reatards zweitem regulärem Soloalbum (und dem mutmaßlich 42., auf dem er irgendwie zu hören ist) hätte gute Chancen, diesen Rekord zu brechen. Und dann dieses Kindergeburtstags-Video!

The Low Anthem – Charlie Darwin
Nach dem ganzen Gezappel und Gepoge möchten Sie vielleicht kurz etwas runterkommen. Schließen Sie die Augen, lauschen Sie den Klängen und wenn Sie vor Ihrem geistigen Auge nicht den Rauch aus dem Schornstein eines verschneiten Häuschens in den unendlichen nordamerikanischen Weiten aufsteigen sehen, dann … äh: dann haben Sie offensichtlich eine andere Phantasie als ich. Aber trotzdem schön, nech?

[Listenpanik, die Serie]