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The Geek (Must Be Destroyed)

Uni-Seminare über Massenkultur haben den Vorteil, dass man sich “im Auftrag der Wissenschaft” Fernsehserien anschauen kann, deren Kenntnis man ansonsten vehement abstreiten würde. Ich habe also die erste Folge von “Das Model und der Freak” gesehen und geriet darüber in eine schwere Grübelei.

Das Konzept der Serie lautet: Zwei mir völlig unbekannte Models (Gottseidank, es ist ProSieben, da können es keine “Topmodels” sein, denn das sind die Sieger von Heidi Klums Casting Show) sollen zwei “Freaks” in “Topmänner” verwandeln. “Freaks”, das sind in der Welt von ProSieben Leute, die Tennissocken, alte Sweatshirts und unmodische Frisuren tragen, an Computern herumschrauben und vielleicht auch noch bei ihrer Mutti wohnen. Vor wenigen Jahren, vor dem Siegeszug der Metrosexualität, hätte man sie schlicht “Männer” genannt.

Diese Männer, die der Off-Sprecher mit ekelerregender Penetranz als “Freaks” bezeichnet, werden zunächst ein bisschen öffentlich vorgeführt, dann machen die Models mit ihnen ein “Selbstbewusstseinstraining”, das jeder Heizungsmonteur glaubwürdiger hinbekommen hätte, und schließlich werden sie “umgestylt”.

Zugegeben: Nach ihren Friseurbesuchen sahen die beiden Kandidaten wirklich deutlich ansprechender aus und wirkten auch gleich ganz anders – eine Szene, die mich doch darüber nachdenken ließ, mein Gestrubbel auch mal wieder von denen richten zu lassen, die das können, was nur Friseure können. Möglicherweise war das, was man bei Tobias (21) und Thomas (27) sah, sogar echte Selbstsicherheit, die da plötzlich aufkeimte. Ich würde es ihnen wünschen, denn die beiden wirkten sehr sympathisch (und auch am Ende noch recht natürlich).

Zuvor hatten die beiden aber mehrfach meinen Beschützerinstinkt geweckt und in mir das Bedürfnis aufkommen lassen, den Zynismus dieser bunten Fernsehwelt zu geißeln. Was für eine “Moral” soll das denn bitteschön sein, wenn junge Fernsehzuschauer, die gesellschaftlich aus was für Gründen auch immer außen stehen und die wir “Nerds”, “Geeks” oder “Informatiker” nennen wollen (ProSieben nennt sie bekanntlich “Freaks”), vermittelt bekommen, man müsse sich nur auf Kosten eines Fernsehsenders ein bisschen herausputzen lassen und schon lernt man die Frau fürs Leben kennen oder kann endlich von Mutti wegziehen?

Da mache ich gerne mal einen auf Evangelische Landeskirche, oder wie hauptberufliche Bedenkenträger sonst heißen, und stelle ein paar Vokabeln zur Selbstmontage einer lautstarken Empörung zur Verfügung: “zynisch”, “menschenverachtend”, “oberflächlich”, “innere Werte”, “materialistische Gesellschaft”, “geschmacklos”, “Gleichschaltung”, “öffentliche Zurschaustellung”, …

Im Ernst: Ich weiß nicht, was ich von dieser Sendung halten soll. Wenn sich die Kandidaten am Ende wirklich wohl in ihrer Haut und den fremden Klamotten fühlen, war es für sie vielleicht ein Erfolg. Andererseits besteht die Gefahr, dass man auch auf die optisch gerelaunchten Männer zeigen wird, wenn man sie in der Stadt erblickt, und sagen wird: “Mutti, sieh mal: Da ist der Freak aus dem Fernsehen!” Die Aufmachung der Sendung ist mit “grenzwertig” ganz gut charakterisiert und das (nicht mal neue) Konzept dahinter viel zu schwarz/weiß.

Ich bin jetzt Wir-Sind-Helden-Hören: “The geek shall inherit the earth”.

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Musik

Sie haben uns ein Denkmal gebaut

Am vergangenen Freitag erschien “Soundso”, das dritte Album von Wir Sind Helden. Hier meine patentierte Track-by-track-Analyse:

(Ode) An die Arbeit
Es bedarf schon einiges Mutes, sein Album mit einem funkigen Sprechgesang zu beginnen. Die Helden haben Mut und plaudern sich durch einen Track, der die elende Gesellschaftskritik bandtypisch mit zwei zwinkernden Augen auf den Punkt bringt: “Du bist Preußen!”

Die Konkurrenz
Noch mehr Arbeitswelt-Metaphorik für “Neon”-Leser und “Polylux”-Zuschauer. “Sag’s mir, Hippiekind!” sollte dringend als geflügeltes Wort in die deutsche Sprache eingehen. Musikalisch (mit Bläsern aufgehübscht) ganz nett, aber einer der schwächeren Songs des Albums.

Soundso
Aus einem Heavy-Metal-Gitarrensolo entspinnt sich eine melancholische Midtempo-Nummer, die im Refrain zu “Du erkennst mich nicht wieder”-mäßigen Höhen erwächst. Ein Lied über Anderssein und Schubladendenken, ein Lied, das aber auch zeigt, dass Wir Sind Helden nicht nur Text, sondern auch Musik sind.

Für nichts garantieren
Wenn man schon Tele-Sänger Francesco Wilking als Gastsänger verpflichten kann (der Gegenbesuch für Judith Holofernes’ Gesang auf “Wovon sollen wir leben”), muss man auch ein bisschen nach Tele klingen. Und das klappt bestens, denn musikalisch ist das genau die richtige Kragenweite mit leichtem Schunkelbeat und entspannten Bläsern. Textlich ist das dann wohl das Eltern-Lied der Platte, denn Frau Holofernes und Schlagzeuger Pola Roy sind ja jüngst Eltern eines kleinen Jungen geworden.

Kaputt
Noch ein Lied übers Anderssein, über kaputte Familien und das Gefühl, aufgeben zu wollen: “Es ist okay – jeder soll fliehen der kann / Wenn du den Fluchtwagen fährst / Schnall dich an”. Das ist ja überhaupt etwas, was die Band seit ihrem Debüt perfekt beherrscht: Sie vermitteln dem Hörer das Gefühl, verstanden zu werden, und fassen das in Worte, was er selbst nicht beschreiben kann.

Labyrinth
Okay, spätestens hier ist der textliche Schwerpunkt des Albums (eigentlich aller Helden-Alben) klar: Orientierungslosigkeit und Suche. Welche Metapher wäre da besser geeignet als “Labyrinth”. Wieder Midtempo, wieder Keyboards, wieder Nachts auf dem Fahrrad hören und die Arme ausbreiten.

The Geek (Shall Inherit)
Wenn die Serie aufrechterhalten wird, wird das die vierte Single des Albums. Bisher wurden meine Helden-Favoriten (“Denkmal”, “Wenn es passiert”) nämlich immer als letztes ausgekoppelt. Und das hier ist sowas von mein Favorit: Anderssein, natürlich. “Die Verletzten sollen die Ärzte sein / Die Letzten sollen die Ersten sein / Die Ersten sehen als Letzte ein: / The Geek shall inherit the earth” wird bitte jetzt sofort vor jeder Schule in Marmor gemeißelt. Wer sein Leben lang nicht dazu gehörte, hat jetzt endlich – von denn Weezer-Alben mal ab – seine ganz persönliche Nationalhymne. Ich muss dringend Krafttraining machen, um mir den kompletten Text auf den Oberarm tätowieren lassen zu können.
Ist übrigens auch musikalisch ein toller Song und das kettcar-mäßigste, was die Helden bisher hatten.

Endlich ein Grund zur Panik
Die Vorabsingle. Wie schon “Gekommen um zu bleiben” ein Lied, das man nicht erwartet hätte: Die Helden wieder laut, wieder wild, Frau Holofernes schreit wieder. Der Song hätte auch aufs Debütalbum gepasst und ist textlich eigentlich die einzig notwendige Antwort auf Wolfgang Schäubles Generalpanikmachung. Ach verdammt, jetzt hab ich die Helden schon wieder als “Sprachrohr einer Generation” misshandelt …

Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst
Supertitel, was? Für ein Kind der Achtziger, das ich bin, ist die heutige Zeit natürlich regelrecht erholsam, verglichen mit dem atomaren Weltkrieg, der uns damals angeblich jeden Tag von neuem drohte. Trotzdem: Wie schnell Regierungen (auch die eigene) tatsächlich in den Krieg ziehen, haben wir in den letzten achteinhalb Jahren deutlich genug gesehen. Um viel mehr geht’s in dem Lied dann auch nicht, dafür noch die Super-Anspielung “Was ist so lustig an Liebe und Frieden?”

Hände hoch
“Es ist vorbei du bist umstellt / Um dich herum überall Welt” – Ja, fantastisch, was soll man denn nach einem solchen Liedanfang noch schreiben? Ein Lied übers Aufgeben, übers Akzeptieren, das seltsamerweise viel optimistischer klingt, als man es vermuten würde.

Stiller
“Ich bin nicht Stiller” – Was? Deutsch-LK mit Max-Frisch-Abi?! Nee, “stiller” als Komparativ zu “still”. Na, dann ist ja gut. Eine Ballade über … Ja, Herrgott: über Orientierungslosigkeit, übers Akzeptieren, übers Abkapseln: “Ich bin nicht stiller / Nur die Worte fehlen”.

Lass uns verschwinden
Im Wesentlichen gibt es bei Wir Sind Helden zwei Sorten von Liedern, die immer wieder neu und toll durchdekliniert werden: Den lauten, gesellschaftskritischen Stampfer (“Guten Tag”) und die melancholische, persönliche Ballade (“Du erkennst mich nicht wieder”). Der letzte Song ist immer die melancholische, persönliche Ballade und auch in ihrer x-ten Manifestation ist diese immer noch anrührend und wunderschön. Was ja bei aller Gesellschaftskritik und dem Sprachrohr-Geschwurbel immer wieder übersehen wird: Die persönlichen Helden-Songs waren fast immer noch ein bisschen besser als die gesellschaftskritischen. So auch hier.

Fazit
Nach dem dritten Album kann man sich meistens sicher sein, ob eine Band so gut ist, wie man das am Anfang vermutet hatte. Mehr als vier Jahre, nachdem ich Wir Sind Helden für mich entdeckt und sie vor damals noch zweihundert laut mitsingenden (vor der Veröffentlichung des Debüts!) Fans live gesehen habe, kann ich nun also beruhigt sagen: Ja, die sind so gut. Sie sprechen einem aus dem Herzen und der Seele, sie packen das in Worte, was man immer schon gedacht hat. Konzeptalben sind eine doofe Erfindung und natürlich ist “Soundso” keines, aber die immer wiederkehrenden Themen (ja ja: Anderssein, Orientierungslosigkeit, Schubladendenken, …) sind schon deutlich erkennbar. Und wer kennst sich mit Schubladen besser aus als das “Sprachrohr der Generation Praktikum”?

Wir Sind Helden - Soundso (Cover)
Wir Sind Helden – Soundso

VÖ: 25.05.2007
Label: Reklamation Records/Labels
Vertrieb: EMI