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Rollenspiel

Stellen Sie sich bitte für einen Moment mal vor, Sie wären Angela Merkel. Das mit dem Gesicht und der Frisur überlassen wir schön den Kollegen vom Privatfernsehen, dort macht man ja auch noch Namenswitze.

Sie wären vielmehr die erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik und beliebt wie nur sonst was. Sie hätten in diesem Jahr als weibliches Gegenstück zu Al Gore den Klimawandel gestoppt und sogar die “New York Times” hätte gerade groß über Sie und Ihren Rückhalt im Volke berichtet. Natürlich wären Sie auch so beliebt, weil Sie in fast zwei Jahren Regierung nichts getan hätten und die ganzen unbequemen Reformen, die jetzt zu wirken begönnen, alle noch auf das Konto der Vorgängerregierung gingen, aber das könnte Ihnen ja im Prinzip egal sein. Die einzigen Sorgen, mit denen Sie sich bis jetzt hätten rumschlagen müssen, wären eine missglückte Gesundheitsreform, leichte Widerstände gegen das “Elterngeld” Ihrer Familienministerin und das ganze Theater um die Sicherheit beim G8-Gipfel gewesen.

Und dann hätte irgendjemand ein paar Türen in ein paar Ministerien nicht ordnungsgemäß verschlossen und zwei Minister würden plötzlich mit dem Bollerwagen durch die deutsche Medienlandschaft ziehen um dem letzten Bundesbürger klar zu machen, dass Sie Ihr Kabinett überhaupt nicht unter Kontrolle hätten.

Dass Wolfgang Schäuble seit Monaten immer tiefere Einschnitte in die Grundrechte der Bürger, Ihrer Wähler, fordert, wäre den meisten Betroffenen noch total egal gewesen. Doch plötzlich würde der Mann alle noch mal überraschen und munter herumerzählen, er hielte es ja nur noch für eine Frage der Zeit, bis mal ein Terrorist daherkomme und eine Atombombe zünde.1

Fast zeitgleich würde sich Ihr Verteidigungsminister hinstellen und einen Vorschlag der Vorgängerregierung, den das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hätte, wieder hervorholen und öffentlich ankündigen, im Zweifelsfalle auf Verfassung und Gericht zu scheißen und auf entführte Flugzeuge zu schießen. In den “Tagesthemen” würde er auf die Frage, ob sein Vorstoß überhaupt mit Ihnen abgesprochen sei, antworten, er und der Bundesinnenminister seien die besten Buddies überhaupt und die Frage ansonsten unbeantwortet lassen. Politiker diverser anderer Parteien und die Bundesluftwaffe würden sich gegen seinen Vorschlag wehren und in Deutschland herrschte eine Aufruhr, als habe gerade jemand Hitlers Familienpolitik gelobt oder Kunst als “entartet” bezeichnet.

Was würden Sie, der Sie ja Angela Merkel wären, jetzt tun?

1 Dass Schäuble meint, wir sollten uns “die verbleibende Zeit” nicht auch noch “verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen”, anstatt endlich mal das zu tun, was er die ganze Zeit vorgibt zu wollen, nämlich die Sicherheit der Bürger zu schützen, ist eigentlich einen eigenen Wutanfall wert.

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Die Trennung von Staat und Irrsinn

Es gibt Situationen, in denen gibt es kein “richtig” und kein “falsch”. Man steht als Unbeteiligter davor, guckt sie sich an und ist froh, dass man nicht gezwungen ist, eine Position einzunehmen. Aber man kann sich so seine Gedanken machen.

Hier ist so ein Situation: Tom Cruise will/soll/wird in “Valkyrie”, dem neuen Film von Bryan Singer, Claus Schenk Graf von Stauffenberg spielen, einen der Drahtzieher des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Cruise ist aber Mitglied bei Scientology und deshalb sind verschiedenste Personen dagegen, dass Cruise an Originalschauplätzen drehen darf bzw. Stauffenberg überhaupt spielen soll.

Uff! Da muss man sich schon eine ganze Menge Gedanken machen, um diese Situation einigermaßen zu entwirren. Gehen wir also der Reihe nach vor:

Scientology ist eine höchst umstrittene Organisation, die je nach Sichtweise als “Kirche”, “Sekte” oder “Wirtschaftsunternehmen” bezeichnet wird. Als Einführung in die Lehren von L. Ron Hubbard sei jedem dieser erhellende Ausschnitt aus der “South Park”-Folge “Trapped In The Closet” empfohlen (“This is what Scientologists actually believe”) – wobei Religionskritiker sicherlich sagen würden, die dort vorgestellte Geschichte sei auch nicht bedeutend alberner als die Erschaffung der Welt in sechs Tagen und die Entstehung der Frau aus einer Rippe des Mannes. Scientologys Methoden sind sicherlich höchst beunruhigend und eigentlich kann man die Institution nur als Gehirnwäscheverein bezeichnen. Andererseits ist nach Artikel 4 des Grundgesetzes die “ungestörte Religionsausübung” gewährleistet – und wie sollte bei einer Trennung von Staat und Kirche der Staat bestimmen können, was eine “echte” Religion ist und was nicht?

Das führt unweigerlich auch zu der Frage, ob es eine Trennung zwischen dem Schauspieler und Produzenten Tom Cruise und dem Scientologen Tom Cruise gibt. Schon 1996 rief die Junge Union zu einem Boykott von “Mission: Impossible” auf, was insofern schon eine gelungene Aktion war, als dadurch erstmalig die Methoden und Lehren von Scientology in den Focus einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland gelangten. Allein: “Mission: Impossible” hatte natürlich außer seinem Hauptdarsteller und Produzenten nicht viel mit Scientology zu tun – im Gegensatz zu “Battlefield Earth”, das auf einem Roman von L. Ron Hubbard basierte, den ebenfalls berühmten Scientologen John Travolta in der Hauptrolle hatte und als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten gilt. Für “Valkyrie” steht unter Regisseur Bryan Singer (“X-Men”, “Die üblichen Verdächtigen”, …) indes wenig bis gar keine Verzerrung des Stoffs zu befürchten (und mal ehrlich: Wie sollte man Hubbards Science-Fiction-Welten in eine Deutschland-Anno-’44-Geschichte packen?).

Die Sektenexpertin der CDU/CSU-Fraktion, Antje Blumenthal, teilte mit, dass das Bundesverteidgungsministerium, das heute im Berliner Bendlerblock residiert, in dem Stauffenberg sein Attentat plante und wo er auch hingerichtet wurde, einen Dreh am Originalschauplatz mit der Begründung ablehne, eine Drehgenehmigung für “einen ranghohen Scientologen in einem Bundesgebäude” käme einer bundespolitischen Anerkennung gleich – und das, bevor auch nur der Antrag auf eine Drehgenehmigung vorlag. Allein dieser “Dienstweg” sollte mindestens für skeptische Blicke und Stirnrunzeln sorgen.

In der “Süddeutschen Zeitung” gab es gestern einen sehr interessanten Kommentar von Andrian Kreye und die “FAZ” druckte einen länglichen Text des deutschen Oscar-Preisträgers Florian Henckel von Donnersmarck, in dem dieser über Stauffenberg, Cruise und die “deutsche Verbotsgeilheit” philosophiert. Mitunter schießt er dabei ein wenig übers Ziel hinaus, beweist damit aber auch, dass er mit seinem Pathos und Liberalismus (sowie natürlich mit seinem beachtlichen Ehrgeiz) in den USA wirklich besser aufgehoben zu sein scheint als in Deutschland. Donnersmarck argumentiert, dass man die größten und wichtigsten Geschichten nur dann einem großen Publikum erzählen könne (und wer sollte etwas dagegen haben, Stauffenbergs Geschichte in die Welt zu tragen?), wenn man sie mit großen Stars verfilme – ein Standpunkt, für den er postwendend von Peter Steinbach, dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, eine drübergebraten bekam.

Im Kern hat der streitbare Donnersmarck aber sicher nicht unrecht: Mit dem ihr eigenen Fingerspitzengefühl hat es die deutsche Politik geschafft, das Thema Widerstand an den Rand zu drängen und durch das Thema Scientology zu ersetzen. Es sind sicher beides wichtige Themen, aber die Wichtigtuer aller Parteien hätten sich kaum einen ungeeigneteren Hintergrund aussuchen können, um das staatliche Verhältnis zu Religion und Kunst zu diskutieren.

Auch ich halte Scientology für gefährlich und wünsche mir (gerade angesichts der aktuellen Deutschland-Offensive) Aufklärung über deren Machenschaften und meinetwegen auch Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ich sehe mir aber trotzdem Filme an, in denen Tom Cruise mitspielt (es gibt da ja hin und wieder auch mal gute mit ihm) – wohlwissend, dass ein Teil des Geldes, das er als Produzent damit verdient, an Scientology gehen wird. Ich kann Cruise als Person (spätestens seit seinem Auftritt bei Oprah Winfrey) kein bisschen ernst nehmen, ich halte ihn aber für einen ziemlich guten Schauspieler und er ist zweifellos einer der größten Stars unserer Zeit. Pete Doherty ist ja auch nur die Parodie eines Rock’n’Rollers und trotzdem ein guter Musiker.

Was können wir also aus der ganzen Chose lernen? Deutschen Politikern ist es egal, vor welchem Hintergrund sie sich profilieren können, solange sie dadurch in die Presse kommen. Auch die größten Filmstars der Welt können sich nicht darauf verlassen, überall reinzukommen. Schauspieler können noch so gut spielen, sie bleiben auch immer sie selbst. Florian Henckel von Donnersmarck wollte sich als Zehnjähriger im Garten von Marion Yorcks Dahlemer Villa das Hemd ausziehen. Und: Es gibt Situationen, in denen es weder “richtig” noch “falsch” gibt, und bei denen man froh sein kann, dass man nicht gezwungen ist, eine klare Position einzunehmen.