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Leben

Pimp my Feiertagskalender

Weihnachtsbaum (Symbolbild)

Weihnachtsgebäck gibt es ja bekanntlich schon seit mehr als zwei Monaten zu kaufen. Heute habe ich den ersten Weihnachtsschmuck in einem Einkaufszentrum hängen sehen. Damit gilt jetzt wohl die Faustregel, dass nach St. Martin Plastiktannengrün und Lichterketten zum Einsatz kommen – früher wartete man damit bis nach dem Volkstrauertag.

Ich kann Ihnen aber sagen, warum man schon im frühen November mit derlei Tand belästigt wird: Den Deutschen fehlt einfach ein ordentlicher Feiertag im Spätherbst. Die Amerikaner haben Thanksgiving, ein ganz wunderbares Fest, weil es beinahe nur aus Essen besteht und ohne enervierende Geschenkzeremonien auskommt. Thanksgiving wird am vierten Donnerstag im November begangen, der darauffolgende Freitag ist der offiziöse Beginn des Weihnachtsgeschäfts.

Natürlich werden die Häuser und Einkaufszentren so geschmückt, dass sie bereits zu Thanksgiving in vollem Glanz erstrahlen – aber es denkt eben noch niemand an Weihnachten, weil ja noch ein weiterer Feiertag vor der Tür steht. Die gefühlte Weihnachtszeit reduziert sich damit auf die vier bis fünf Wochen bis zum 25. Dezember, fast so wie früher, als man noch die Adventszeit feierte.

Ich würde also gerne für einen Thanksgiving-ähnlichen Feiertag im späten November plädieren, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass die Deutschen es in ihrer unnachahmlichen Art wieder völlig vermasseln würden, angelsächsische Feste zu lokalisieren. Denn auch wenn viele Deutsche davon überzeugt sind, völlig “amerikanisiert” zu sein (den Exkurs in die amerikanische Geschichte spare ich mir; schlagen Sie Mayflower, Pilgerväter oder Halloween einfach mal nach oder lesen Sie am besten gleich “USA Erklärt” und dieses Buch): amerikanische Bräuche funktionieren in Deutschland ebenso wenig wie amerikanische Ladenketten. Schlagen Sie mal Walmart, Gap oder Blockbuster Video nach!

Wo wir gerade bei Amerikanisierung sind: Es kann doch nicht sein, dass mittlerweile jede zweite Imbissbude in Deutschland Snapple führt und es das Zeug immer noch nicht im Handel zu kaufen gibt, oder?

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Digital

Filmen gegen die Todesstrafe

Mein Video “Charlotte Roche liest BILDblog” ist auch bei Sevenload zu sehen, was soweit nicht ungewöhnlich ist, da ich es selbst dort hochgeladen habe.

Etwas irritiert bin ich aber über die letzte Zeile der Statistik “Websites, die auf dieses Video verweisen”:

1 mal angesehen auf tagesschau.de
Screenshot: Sevenload.com

Nun finde ich auf http://www.tagesschau.de/ausland/todesstrafe6.html eine ganze Menge, aber nichts, was auch nur ansatzweise auf einen Zusammenhang mit meinem Video hindeuten könnte.

Hat irgendjemand, der sich mit diesem Internetz besser auskennt als ich, vielleicht eine Idee?

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Digital

Leser fragen, Lukas antwortet

Leser Stefan N. aus B. an der S. fragt:

Lieber Lukas,

im Internet stoße ich immer wieder auf Kolonnen von Ausrufezeichen, die mit einer Eins abgeschlossen werden, also etwa “!!!!!1”. Vorhin ist mir dieses Bild aufgefallen. Was soll sowas überhaupt?

Ich bin sehr froh, dass Sie diese Frage stellen, denn in der Tat habe ja auch ich bereits das eine oder andere Mal die multiplen Ausrufezeichen gebraucht.

Der Ursprung liegt wohl (wie so vieles andere auch) im Usenet. Viele Newbies, also Neulinge (besonders die, die im ewigen September ins Usenet vorstießen), waren offenbar der Meinung, dass ihre Äußerungen (“Me too!!!!!!!1”, “Send pix!!!!!!!1”, “Arschloch!!!!!!!!!1”) eher gelesen würden, wenn sie diese mit zahlreichen Ausrufezeichen garnieren.

Das Ausrufezeichen ! liegt auf der Computertastatur auf der gleichen Taste wie die Ziffer 1. Um ein Ausrufezeichen schreiben zu können, muss man die Shift- oder auch Hochstelltaste drücken. Lässt man diese beim Schreiben (bzw. anhaltenden Drücken der 1/!-Taste) frühzeitig los, schreibt man am Ende der Ausrufezeichenkolonne eine oder mehrere Einsen (bei Fragezeichen ß: “Warum??????????ß”).

Diese eigentlich ja missglückte Zeichensetzung wurde schnell persifliert und erweitert (s.a. einklich.net zum Thema). So finden sich statt “!!!!!!1” oder “!!!!!!!1111” auch Schreibweisen wie “!!!!!!!!1eins” bzw. “!!!!!!!!!!!!1one”, “!!!!!!!!!11einself”, “!!!!!!!!!!!!123” oder beliebige Variationen des Themas. Zum Beispiel auch solche wie die von Ihnen angesprochene bei Jojo Beetlebum.

Echte Usenet-Nerds werden übrigens nie umhinkommen, in diesem Zusammenhang Terry Pratchett zu zitieren:

“Multiple exclamation marks are a sure sign for a diseased mind!”

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Musik

“Spalter!”

Ja, ja, das neue Radiohead-Album. Jetzt ist es also bald eine Woche draußen und fast alle haben darüber geschrieben: der “NME”, der “Rolling Stone”, “Pitchfork Media”, aber auch bei laut.de, alternativenation.de war man schnell mit den Besprechungen, intro.de hatte immerhin ein Forum zum Sammeln der ersten Höreindrücke eingerichtet.

Die Rezension bei “Spiegel Online” vereint mal wieder alles, was ich am Musikjournalismus nicht ausstehen kann:

Dabei ist “In Rainbows” kein Enigma, kein Vexierbild und keine Kippfigur, sondern die zugänglichste Platte, die Radiohead seit “OK Computer” veröffentlicht haben. Wer hier noch ernsthaft von “sperrig” spricht, verdient 48 Stunden Dauerbeschallung mit Muse und Placebo, angekettet.

Und bei “Plattentests Online” erklärt man via Newsletter, warum es auch fünf Tage nach der Veröffentlichung des Albums im Internet noch keine Rezension in diesem Internet-Medium gibt:

Einen halben Tag, teils sogar nur wenige Stunden nach dem Download-Start veröffentlichten einige Online-Magazine stolz ihre Rezensionen und fühlten sich als Sieger, nur weil sie die ersten waren. Sie hatten das Album zwei-, vielleicht dreimal unter Zeitdruck gehört. Und sie sehen das als Grundlage, den Wert eines Albums zu beurteilen, das jeden Hörer über Monate herausfordern, beschäftigen und in neue Zweifel stürzen wird.

Wir möchten jetzt niemanden dissen oder über Kollegen herziehen, aber unter Seriosität verstehen wir was anderes. Und unterwerfen uns mit http://www.plattentests.de/ nicht diesem von falschen Geltungsdrang getriebenen Wettbewerb. Wenn wir gewollt hätten, hätten wir Euch locker nach fünf Stunden – oder wenigstens jetzt, nach fünf Tagen – eine Rezension raushauen können. Und natürlich ist auch unsere Vergangenheit nicht frei von überstürzten, zu voreiligen Rezensionen. Doch gerade ein Radiohead-Album braucht mehr Zeit, um sich zu entfalten, weswegen wir Euch aufs nächste Update vertrösten müssen

Und was sag ich?

Ich finde nach wie vor, dass das Album gut ist, aber es ist wie mit so manchem “guten” Buch oder so manchem “guten” Wein: Ich erkenne, dass das Werk von einer hohen Qualität sein muss, aber es sagt mir persönlich nichts. Wie alle anderen Radiohead-Alben nach “Kid A” auch, lässt mich “In Rainbows” weitgehend kalt. Ich habe nicht das Gefühl, dass es meinem Leben oder dem Gesamtwerk der Band irgendetwas hinzufügt, und ob ich es höre oder nicht, macht für mich keinen Unterschied. Mit “15 Step” kann ich ebenso wenig anfangen wie mit Thom Yorkes Soloalbum und von den zehn Songs ist “Videotape” der einzige, der mich persönlich anspricht.

Und damit stehe ich vor einem Dilemma, denn es scheint fast, als müsse man “In Rainbows” unbedingt in den Himmel loben. Schreiben, es sei das zugänglichste Album seit “OK Computer” (“In Rainbows” ist zugänglich, aber “OK Computer” ist für mich zum Beispiel so zugänglich wie Haruki-Murakami-Bücher, also: gar nicht). Erzählen, dass man Frau und Kinder verlassen habe, um sich ganz der Rezeption dieses Albums zu widmen.

Radiohead stehen – wie sonst eigentlich nur R.E.M., Bob Dylan, Johnny Cash und Joni Mitchell – eh schon über allem, mit der Veröffentlichungstaktik ihres neuen Albums scheinen sie sich völlig unangreifbar gemacht zu haben. Oder zumindest scheinen die Leute zu denken, dass Radiohead jetzt unangreifbar sind. Ich wüsste gerne, wie viele Musikjournalisten verzweifelt vor ihrem Computer saßen und dachten: “Aha. Und?”. Und dann schrieben sie, es sei ein Meilenstein, ein Meisterwerk, die Musikwerdung des Herrn.

Ich habe so viele CDs im Regal, so viele MP3s auf dem Computer, da höre ich lieber Musik, die mich anspricht, die mir persönlich etwas “gibt”. Und überlasse “In Rainbows” denen, die auch sonst zu Architektur tanzen.

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Musik Rundfunk Sport Radio

Die Schönheit des Scheiterns

Bei manchen Musikern sind die Interviews, die sie zur Veröffentlichung eines neuen Albums geben, spannender als die Musik selbst. Bei anderen Musikern ist die Musik so toll und einzigartig, dass sie gar nichts mehr zu sagen bräuchten – und manchmal auch gar nichts zu sagen haben.

Diese Erfahrung musste auch Luke Burbank von NPR machen, der Sigur Rós im Studio hatte. Zugegeben: Seine Fragen waren nicht unbedingt die besten (man lernt doch am ersten Tag, dass man keine Fragen stellen soll, auf die man mit “Ja” oder “Nein” antworten könnte), aber das, was sich aus diesem “Gespräch” entwickelt, ist schon ziemlich desaströs und somit unterhaltsam.

Anyway, last Friday the band showed up promptly at 11am (EDT) and commenced to give what is possibly the worst interview in the history of electronic media.

Seriously.

It was that bad.

Zwar bin ich mir nicht sicher, ob Burbanks Einschätzung richtig ist, aber “nicht sonderlich gut” war das Interview auf alle Fälle.

Und weil NPR so multimedial und zukunftsweisend ist, kann man sich das Radio-Interview nicht nur anhören, sondern auch ansehen. Und das alles hier.

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Musik

Heulen und Zähneklappern

Stellen Sie sich vor, Sie würden von der amerikanischen Musikindustrieorganisation RIAA für die Benutzung von Internet-Tauschbörsen auf Schadenersatz verklagt.

Was wäre schlimmer: die Aussicht auf kostspielige Zahlungen und einen möglichen Gefängnisaufenthalt oder die Pressemeldung, dass Sie unter anderem “My Favorite Mistake” von Sheryl Crow und “Didn’t We Almost Have It All” von Whitney Houston heruntergeladen hätten?

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Musik Digital

Don’t Let The Sun Go Down On Me

Das Geständnis vorweg: Ich mag Elton John. Es muss am Klavier liegen, diesem Instrument, das mich sogar kurzzeitig glauben lässt, Songs von Orange Blue gut zu finden. Elton John hat aber auch einige großartige Songs geschrieben und spätestens seit “Almost Famous” (oder allerspätestens seit Ben Folds’ Interpretation) wissen wir, dass “Tiny Dancer” ein ganz, ganz großer Song ist.

Elton John hat auch einige schlimme Dinge getan: Drogen genommen, die erfolgreichste Single aller Zeiten veröffentlicht und Zeichentrick-Filme besungen. Letzteres ist aber (s. Phil Collins) verzeihlich, ersteres unter Umständen auch.

Jetzt hat Elton John dem britischen Boulevardblatt “Sun” einen kleinen Gesinnungsaufsatz in die letzte Mittwochsausgabe diktiert, in dem er fordert, das Internet zu schließen.

We’re talking about things that are going to change the world and change the way people listen to music and that’s not going to happen with people blogging on the internet.

Dieser seltsam konservative Satz dürfte in diesem Moment widerlegt sein, denn Ihre Art, Elton Johns Musik zu hören, hat sich doch sicher mit der Lektüre seines kleinen Textes geändert, oder etwa nicht?

I do think it would be an incredible experiment to shut down the whole internet for five years and see what sort of art is produced over that span.

Ob Mr John weiß, wie viele Bands mittlerweile ihre Songs und Arrangements via E-Mail erarbeiten, weil ihre Mitglieder beispielsweise ein paar Tausend Kilometer entfernt leben wie bei Maritime?

Dieser kleine Text ist aber auch geeignet, eine Frage auf den Tisch zu bringen, die ich mir am Samstag im Vorfeld des dann geknickten Jan-Delay-Auftritts gestellt habe: Welche Auswirkung hat eigentlich das, was man als Persönlichkeit eines Musikers wahrnimmt, auf die Rezeption der Musik?

Nun: Idealerweise gar keine. Hip-Hop-Künstler wirken fast durch die Bank irre, und auch mit Liam Gallagher oder Billy Corgan würde ich eher ungern zu Abend essen. Trotzdem gibt es nichts Idiotischeres, als seine private Plattensammlung zu dezimieren, wenn ein Künstler mal wieder irgendwie negativ aufgefallen ist. Das Geld ist eh schon futsch, da kann man die Platte auch ruhig im Regal lassen und wieder reinhören, wenn man nicht mehr weiß, warum man den Musiker zwischendurch mal so doof fand.

Sie werden deshalb auch nie erraten, wessen Musik ich gerade lausche …

[via Popkulturjunkie]

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Digital

Null-Blog-Generation (2)

Man kann ja ein durchaus gespaltenes Verhältnis zu Web 9 3/4 und der Blogosphäre haben. Irgendwie sind wir hier ja auch ein Teil davon, aber trotzdem kann ich nicht alles nachvollziehen und verstehen, was da vor sich geht. Muss und will ich aber auch gar nicht.

So verstehe ich zum Beispiel nicht so ganz, warum man sich als Vertreter eines digitalen Mediums mit all dessen Vor- und Nachteilen ausgerechnet im Real Life treffen muss, um in einem Raum zu sitzen und dann doch wieder hauptsächlich den Laptop auf dem Schoß zu haben. Aber wie man allerorten lesen kann, scheinen die Menschen auf der re:publica durchaus ihren Spaß gehabt und sich erfolgreich ausgetauscht zu haben. Und das wiederum finde ich gut, so wie ich Blogs an sich auch gut finde.

Die Macher von tagesschau.de findet Blogs auch gut, sonst hätten sie sich wohl kaum ein eigenes angelegt. Deshalb berichten sie auch groß über die re:publica und lassen den Text sogar von jemandem schreiben, der Ahnung von der Materie hat.

Nur: Wenn man im Internet einen Artikel über Blogs schreibt, der für nicht wenige Menschen ein Einstieg ins Thema Blogs sein könnte, und in dem Johnny Haeusler, Markus Beckedahl, Sascha Lobo und Udo Vetter namentlich und in ihrer Eigenschaft als Blogger erwähnt werden, warum in Dreiteufelsnamen ist dann auch hier KEIN EINZIGES Blog verlinkt? Nirgendwo..

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Musik Digital

Null-Blog-Generation

Wenn ich zu Spiegel Online gehe, erwarte ich natürlich nicht primär kompetente Betrachtungen zum Thema Musik. Dass die dortigen Plattenkritiken unter anderem von Jan Wigger geschrieben werden, sorgt aber immerhin für ein bisschen Indie Credibility und ein paar kurzweilige Rezensionen.

Nun hat man Ende letzen Jahres bei SpOn festgestellt, dass es ja seit ein paar Jahren das sog. Internet und somit auch diese hypermodernen, völlig flippigen “Blogs” gibt, von denen sich nicht wenige mit Musikern befassen, die noch nicht so bekannt sind. Auf der Suche nach hippem und preisgünstigem content muss man also nur noch ein paar einschlägige Blogs durchlesen oder sich auf der ein oder anderen Website herumtreiben und *schwups* hat man ein Bündel Neuentdeckungen unterm Arm, über die noch niemand sonst geschrieben hat man sich auslassen kann.

Und in der Tat: Was Heiko Behr (Redaktionsmitglied beim intro) bisher zusammengetragen hat, reicht von heimischen Geheimtipps (Ich Jetzt Täglich, Gisbert zu Knyphausen, Polarkreis 18) über Soon-To-Be-Superstars (Amy Winehouse und Mika), bis hin zu Künstlern, die zwar schon länger bis lange dabei sind, aber zumindest in Deutschland noch auf den großen Durchbruch warte(te)n (Joseph Arthur, The Shins). Drumherum finden sich noch jede Menge andere Künstler und Bands, die ein mehr oder weniger genaues Hinhören Wert sind.

Nur: Wenn man bei SpOn die Kategorie “Top of the Blogs” nennt und Zeilen wie

gleich mehrere Blogs beginnen ihre Lobeshymnen über das Quintett mit identischen Zeilen

einfließen lässt, wenn man in jedem zweiten Satz die Vorzüge der weltweiten Verknüpfung von Inhalten untereinander anpreist, warum in Dreiteufelsnamen ist dann KEIN EINZIGES Blog verlinkt? Nirgendwo.

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Musik Digital

“Die Kunst ist dazu da, beim Zuhörer Jammern und Schaudern zu erwecken.”

Manchmal ist es schrecklich, Musikjournalist zu sein und Musiker zu interviewen: Sie sind aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt, antworten nur sehr knapp oder gar nicht und am Ende hat man vielleicht drei, vier Sätze, mit denen man etwas anfangen kann.

Manchmal ist es schrecklich, Musiker zu sein und von Musikjournalisten interviewt zu werden: Sie haben sich kulturtheoretisch komplexe Frageblöcke ausgedacht, stellen völlig verquere Fragen oder schweigen plötzlich einfach.

Sven Regener von Element Of Crime, der sehr gute Sachen sagt, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, beweist in einem Interview mit der Netzeitung, dass er fast noch bessere Sachen sagt, wenn man ihm die falschen Fragen stellt:

Warum heißt es in einem Song, «Wo Deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt»?

Ja, warum denn nicht. Weil es richtig ist und weil es zu demjenigen gehört, dessen Rolle er einnimmt.

Stephanie Weiß, die sich sicher irre viele Gedanken gemacht hat, was sie den von ihr hochverehrten Musiker so fragen könnte, fragt sich um Kopf und Kragen – bis sie schließlich gar nichts mehr sagt:

(Langes Schweigen)

Ja, ich meine, INTERVIEW, Frau Weiss! Haben Sie noch Fragen?

Das erstaunliche an diesem Interview ist zum Einen, dass es offenbar nicht “glattgebügelt” wurde, d.h. die Interviewerin ihre Fragen im fertigen Text nicht frecher oder intellektueller (bzw. in diesem Fall: weniger intellektuell) formuliert oder für sie unvorteilhafte Stellen und Antworten entfernt hat. Ein solches Dokument des eigenen Scheiterns öffentlich zu machen, erfordert Mut und verdient Respekt. Zum Anderen funktioniert das Interview aber trotz solcher Szenen und diverser Wiederholungen immer noch erstaunlich gut. Es gibt Künstler, die wären irgendwann einfach gegangen und hätten das Gespräch damit wohl automatisch einer medialen Verwertung entrissen. Sven Regener aber blieb und formulierte zum dritten, vierten, fünften Mal (als Antwort auf die dritte, vierte, fünfte Frage zum Thema) sein Anliegen, den Hörern keine Interpretation seiner Texte vorschreiben zu wollen:

Kunst kennt keine Beipackzettel. Wenn man ein Kunstwerk schafft, dann kann man den Leuten nicht sagen, so oder so habt ihr es zu verstehen.

Nach der Lektüre glaubt man zu wissen, warum Sven Regener so großartige Texte und auch so fantastische Bücher (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) schreibt: Er hat einfach ein Gespür für Sprache und denkt einen Moment länger als andere darüber nach, wie er etwas formuliert.

Netzeitung.de: Ein weiterer Erklärungsversuch: Sie schaffen es, mit einer schweren Leichtigkeit oder leichten Schwere aktuelle Befindlichkeiten zu treffen.

Regener: Das Wort Befindlichkeit finde ich gar nicht gut.

Netzeitung.de: Ist Zeitgeist besser?

Regener: Nein.

Netzeitung.de: Hm (Schweigen)