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Musik Leben

25 Jahre „There Is Nothing Left To Lose“

Dieser Eintrag ist Teil 10 von bisher 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschienen jede Menge Alben, die für unsere Autor*innen prägend waren. Zu ihrem 25. Jubiläum wollen wir sie der Reihe nach vorstellen.

Foo Fighters - There Is Nothing Left To Lose (abfotografiert von Lukas Heinser)

Natürlich hatte ich Dave Grohl als den „Schlagzeuger von Nirvana“ kennengelernt. Natürlich kannte ich die sensationell lustigen Videos zu „Big Me“ und „Learn To Fly“ seiner neuen Band Foo Fighters, auf die mich mein bester Freund aufmerksam gemacht hatte. Natürlich waren – neben The Wallflowers, Jamiroquai, Rage Against The Machine, Michael Penn, Green Day und Ben Folds Five – auch Foo Fighters 1998 auf dem Soundtrack zu Roland Emmerichs „Godzilla“ gewesen und zwei Jahre später – neben Ben Folds Five, Hootie & The Blowfish, Smash Mouth, Third Eye Blind und The Offspring – auf dem Soundtrack zum heute fast vergessenen Jim-Carrey-Film „Me, Myself & Irene“, der mich mit Wilco, Pete Yorn, Ellis Paul und Marvelous 3, vor allem aber mit den Songs von Steely Dan bekannt machte. Das Video zu „Breakout“, das im Sommerurlaub 2000 ständig auf MTV Europe lief, war ja sogar auf den Film abgestimmt.

Ich weiß wirklich nicht, warum es bis in den April 2002 gedauert hat, bis ich wusste, dass ich Foo-Fighters-Fan bin. Ich weiß aber noch sehr genau, wie ich zu dieser Zeit das Video zu „Next Year“ im Musikfernsehen gesehen habe (und das auch nicht zum ersten Mal) und plötzlich so angefixt war, dass ich den Song sofort als illegale MP3 herunterladen und tagelang auf Repeat hören musste. Ich habe sogar die Geburtstagskaffeetafel meiner Schwester verlassen, um zu R&K zu fahren und endlich das dazugehörige Album zu kaufen.

Zwei Tage später war unser letzter Schultag, in der Woche darauf die schriftlichen Abiturprüfungen und danach kam eine Zeit der großen Leere. Was sich anfangs noch wie Sommerferien und verdiente Freizeit nach so vielen Jahren Schule (and don’t get me started about Theodor-Heuss-Gymnasium Dinslaken again!) anfühlte und einer durchgängigen Party glich, füllte sich ganz schleichend mit der zunächst geleugneten Gewissheit, dass sich bald alles ändern würde: Die Mädchen würden zum Studium in andere Städte ziehen, die Jungs ihren Zivildienst beginnen und danach vermutlich auch die Stadt verlassen. Kinderzimmer würden verstauben und umgeräumt werden, Großeltern und Eltern sterben, Leben jetzt erst richtig beginnen. So jung kommen wir nicht mehr zusammen.

„There Is Nothing Left To Lose“ (der Titel schon!) war der perfekte Soundtrack zu dieser Zeit. Dave Grohl wusste, wie sich Abschiede und Umbrüche im Leben anfühlen, er konnte Melancholie in Wut verwandeln und umgekehrt. Es schien, als habe sich das Album extra zweieinhalb Jahre in meinem Blickfeld versteckt, um jetzt ganz und gar für mich da zu sein. Es war das dritte Album unter dem bescheuerten Projektnamen Foo Fighters, aber eigentlich das erste dieser Band als Band: Auf dem Debüt hatte Dave Grohl noch alle Instrumente selbst gespielt, die von ihm für das zweite Album zusammengestellte Band war schnell wieder zerbrochen (es hatte womöglich nicht geholfen, dass Grohl nahezu alle Spuren von Schlagzeuger William Goldsmith neu eingespielt hatte) und jetzt hatte er den Keller seines Hauses in Alexandria, Virginia zum Studio ausgebaut und mit seinem verbliebenen Bassisten Nate Mendel und Taylor Hawkins, dem Schlagzeuger aus der Band von Alanis Morissette, noch einmal ganz neu angefangen.

Wenn Du Schlagzeug lernen willst, hör Dir an, was Taylor Hawkins bei „Generator“, „Aurora“ oder „Next Year“ macht; wie seine Hände wirbeln und gleichzeitig überall zu sein scheinen; wie er Songs voran peitscht, ihnen, den anderen Instrumenten und vor allem Dave Grohls Stimme aber auch immer genug Raum zum Atmen lässt; wie er, nachdem er zwölf Takte einfach nur gerade einen tighten Beat geklopft hat, plötzlich für einen Sekundenbruchteil eine drum roll einflicht, die klingt wie ein auf der Stelle tänzelnder Boxer — und wie der nächste Schlag dann tatsächlich wie ein upper cut kommt, der Dich Sterne sehen lässt.

In Interviews und in seinem phantastischen Memoir „The Storyteller“ erzählt Dave Grohl immer wieder, dass „There Is Nothing Left To Lose“ sein persönliches Lieblingsalbum der Band ist; das, auf das er am stolzesten ist. Es ist eines der wenigen Alben, die ich mir zum Hundertsten Mal anhören kann und die ersten Takte sind immer noch so aufregend wie beim allerersten Hören: Der Opener „Stacked Actors“, der mit trocken knarzenden Gitarren und einem treibenden Schlagzeug beginnt, in den Strophen aber eher wie ein eleganter Steely-Dan-Song vor sich hin wippt. Das schwelgende „Aurora“, nach Ansicht der Band einer der besten Songs, den sie je aufgenommen haben. Das traurig schunkelnde „Ain’t It The Life“, der sich langsam aufrichtende Abschlusssong „M.I.A.“ und natürlich „Learn To Fly“, „Break Out“ und immer wieder „Next Year“.

Der Song ist so untypisch für die Foo Fighters, dass er auf dem ersten „Best Of“ nicht enthalten ist, obwohl er als Single veröffentlicht wurde. Musikjournalisten haben ihn mal als den einen Britpop-Song im Gesamtwerk der Band beschrieben und tatsächlich hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit „Whatever“ von Oasis. Noch heute hüpft mein Herz jedes Mal, wenn der Song auf dem Album bei 3:48 Minuten eigentlich schon zu Ende ist, aber mit dem zweitgrößten Drum-Break nach „In The Air Tonight“ zur Ehrenrunde ansetzt.

Als in den Morgenstunden des 26. März 2022 die Nachricht kam, dass Taylor Hawkins im Alter von nur 50 Jahren gestorben war, fühlte es sich an, als wäre jemand aus meinem Umfeld gestorben — nicht unbedingt ein Freund, aber jemand, den ich vom Sehen kannte, den ich von Anfang an mochte und mit dem ich immer mal ein Bier hätte trinken wollen. Natürlich ging ich als erstes ins Wohnzimmer und drehte die Anlage laut auf. Und natürlich war das Album, das ich hörte, „There Is Nothing Left To Lose“.

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Foo Fighters – There Is Nothing Left To Lose
(Roswell Records/RCA, 2. November 1999)
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Musik

Neue Alben von Foo Fighters, Ben Folds, Noel Gallagher’s High Flying Birds, neue Songs von Victoria Canal, Demi Lovato

So viele tolle neue Alben von persönlich bedeutsamen Acts hat man selten an einem Tag: Am 2. Juni erschienen „But Here We Are“ von den Foo Fighters, „What Matters Most“ von Ben Folds und „Council Skies“ von Noel Gallagher’s High Flying Birds. Und dann war da auch noch „Lucky For You“ von Bully.

Dazu kommen weitere neue Songs von Victoria Canal, Annie Taylor und das ca. fünftausendste Cover von Neil Youngs „Heart Of Gold“ — hier mit Bon Iver.

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Alle Songs:

  • Foo Fighters – Beyond Me
  • Ben Folds – Kristine From The 7th Grade
  • Noel Gallagher’s High Flying Birds – We’re Gonna Get There In The End
  • Bully – All I Do
  • Victoria Canal – Shape
  • Annie Taylor – Ride High
  • Demi Lovato – Cool For The Summer (Rock Version)
  • Ilsey feat. Bon Iver – Heart Of Gold

Shownotes:

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Musik

Neue Musik von Foo Fighters, Everything But The Girl, Pet Shop Boys, MUNA und Amilli

Lukas ist zurück aus den Osterferien und muss sich erstmal durch einen Stapel neuer Releases arbeiten: Die Foo Fighters haben die erste neue Musik nach dem Tod ihres Schlagzeugers Taylor Hawkins veröffentlicht, Everything But The Girl das erste Album seit 24 Jahren und die Pet Shop Boys eine neue EP. Hinzu kommen Tracks von Sofia Kourtesis, Grandbrothers und Amilli — und Lukas’ ganz persönliche Geschichte zur allerletzten R.E.M.-Single.

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Alle Songs:

  • Foo Fighters – Rescued
  • Everything But The Girl – Caution To The Wind
  • Pet Shop Boys – The Lost Room
  • Sofia Kourtesis – Madres
  • Grandbrothers – Infinite
  • Amilli – SOAMI
  • MUNA – One That Got Away
  • R.E.M. – We All Go Back To Where We Belong

Shownotes:

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Musik

Podcast: Episode 6

Am 25. März ist der erste Todestag von Taylor Hawkins, dem Schlagzeuger der Foo Fighters. Ich bin kein Experte oder Biograph für Taylor Hawkins, aber ich mochte ihn immer und ich mag Schlagzeug spielen und deshalb schaue ich heute in einer sehr persönlichen und etwas emotionalen Folge zurück auf das Leben dieses begnadeten Rockstars:

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Alle Songs:

  • Foo Fighters – Stacked Actors
  • Alanis Morissette – You Oughta Know (Live)
  • Foo Fighters – Next Year
  • Foo Fighters – Cold Day In The Sun
  • Dennis Wilson – Holy Man (Taylor Hawkins Version)
  • Taylor Hawkins & The Coattail Riders – Not Bad Luck
  • King Princess – Let Us Die
  • Foo Fighters – My Hero (Live Acoustic)

Shownotes:

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Musik

In Memoriam Taylor Hawkins

In ein paar Wochen hätte ich Euch die Geschichte erzählt, wie ich vor 20 Jahren, ganz kurz vor dem allerletzten Schultag, mit meinem Fahrrad zu R&K gefahren bin, um mir die „There Is Nothing Left To Lose“ von den Foo Fighters zu kaufen. Das Album war damals schon fast drei Jahre alt, aber ich hatte ein paar Wochen vorher zum wiederholten Male das Video zu „Next Year“ im Musikfernsehen gesehen und eine solche Obsession für diesen Song entwickelt (illegaler MP3-Download und so), dass ich das Album dringend haben musste und sogar die Geburtstagskaffeetafel meiner Schwester dafür verließ. Das Album und die Single (die so untypisch für die Foo Fighters ist, dass sie auf dem Best Of fehlte) wurden der Soundtrack der völlig unbeschwerten Zeit zwischen Abi-Prüfungen und Zivildienst. Noch heute hüpft mein Herz jedes Mal, wenn der Song bei 3:48 eigentlich schon zu Ende ist, aber mit dem zweitgrößten Drum-Break nach „In The Air Tonight“ zur Ehrenrunde ansetzt.

Ich hab Euch die Geschichte jetzt schon erzählt, weil Taylor Hawkins von den Foo Fighters gestern im Alter von nur 50 Jahren gestorben ist. Als gelernter Schlagzeuger hatte ich immer ein Herz für die Drummer — und ganz besonders für ihn, der in einer Band trommelte, deren Frontmann eigentlich der vielleicht profilierteste Drummer seiner Generation war. Mein tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie, der Band und allen, die ihm nahe standen.

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Musik

Nevermind Gonna Give You Up

Wir hatten Rick Astley letztes Jahr im “ARD Morgenmagazin” zu Gast — am Morgen nach dem schrecklichen Anschlag in Nizza. Wir dachten “Achtziger-Schnulzensänger”, “Internet-Punchingbag”, aber überraschenderweise war 1. sein neuer Song super und 2. er genau der richtige Gast, um so eine doofe, traurige Dreieinhalb-Stunden-Sendung zu überstehen.

Hier ist er also am Wochenende in Japan mit den Foo Fighters, wie er – natürlich – “Never Gonna Give You Up” singt, das erstaunlicherweise wie ein Nirvana-Song klingt:

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[via Spin]

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Musik Rundfunk

Von Stimmen und Tassen

Wenn Sie eine Dreiviertelstunde Zeit und ein bisschen was für Musik übrig haben, sollten Sie sich diese Keynote ansehen, die Dave Grohl, “the unofficial Mayor of Rock ‘n’ Roll” (Stephen Thompson), vergangene Woche beim South By Southwest Music Festival in Austin, TX gehalten hat:

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Ich mag ja diese amerikanische Art, diese Mischung aus Lakonie und Pathos, und ich musste schon stark an mich halten, nicht sofort die E-Gitarre einzustöpseln und meinen Nachbarn meine immer noch kläglichen Versuche, das “Monkey Wrench”-Riff nachzuspielen, um die Ohren zu hauen.

Und wenn Sie dann noch etwas Zeit haben und noch ein wenig mehr Inspirierendes über Musik zu sich nehmen wollen, dann lesen Sie bitte diesen Blogeintrag, den Anke Gröner vergangene Woche darüber geschrieben hat, was es für sie bedeutet, “Tosca” ((Für alle, deren Musikzeitstrahl auch erst mit den Beatles beginnt: “Tosca” ist laut Wikipedia eine Oper von Giacomo Puccini aus dem Jahr 1900.)) zu singen:

Ich habe einen ungeheuren Respekt vor dem Mann bzw. vor seinen Werken, und deswegen dauert es jede blöde Woche immer ein bisschen, bis ich mich wirklich traue, den ersten Ton von mir zu geben. Das ist so, als ob du als Riesen-Bieberista das erste Mal vor ihm stehst und nur “Hallo” sagen willst, aber dich irgendwie nicht traust, denn man kann ja nicht einfach so als kleiner Fan dem Superstar “Hallo” sagen. Im Kopf glaube ich immer, dass so ziemlich alle Töne, die ich singe, total schief sind und krächzig und schlimm und dass noch kein Fenster zersprungen ist, wenn ich das b” singe, ist eh ein Wunder. Aber da ist plötzlich das “Hallo”: Ich kann das b” nämlich singen. Und es strengt nicht mal an. Jedenfalls brauche ich keine Kraft dafür.

Ich werfe beide Texte, Dave Grohls Keynote und Anke Gröners Blogeintrag, jetzt einfach mal zusammen, was vielleicht ein bisschen unzulässig ist, aber letztlich geht es beide Male darum, seine Stimme und damit den eigenen Platz in der Welt zu finden. Und wenn Dave Grohl sagt, dass es nur darauf ankomme, wie man selbst seine Stimme finde, dann hat er verdammt recht. Es sollte Philipp Poisel, Max Herre oder Ben Howard sehr, sehr egal sein, dass ich mit ihren Stimmen so rein gar nichts anfangen kann. Selbst, dass ich ihre Songs nicht hören mag, sollte für sie völlig unerheblich sein. Ich habe da diese etwas hippiemäßige Einstellung, dass Musik ihre Berechtigung hat, wenn sie nur einer Person etwas bedeutet — einzige Ausnahme: Nazi-Rock.

Und natürlich hat Grohl des weiteren recht, wenn er sagt, man könne den “Wert” von Musik nicht einfach so bestimmen — und als knackige Beispiele einfach mal “Gangnam Style” und Atoms For Peace aufführt. Ich hatte auf meiner Liste der besten Songs 2012 ja an relativ prominenter Stelle “Call Me Maybe” von Carly Rae Jepsen aufgeführt, wofür ich mir von manchen Freunden Fragen nach meinem Geisteszustand gefallen lassen musste. ((Dabei müssten die doch am Besten wissen, wie ich so drauf bin.)) Dabei liebe ich den Song noch heute und er bereitet mir deutlich mehr Freude, als irgendsoeine angesagte neue Indieband aus England. Und nur darum sollte es gehen: Welche Musik einem Freude bereitet, nicht, welche Musik man hören “sollte”, um irgendwo dazu zu gehören.

Ich möchte, weil ich einmal in Fahrt bin, nun völlig unzulässigerweise auch noch einen Text von Alexander Gorkow aus der heutigen “Süddeutschen Zeitung” ((Online nicht verfügbar.)) hinzuziehen, der vordergründig von dem gescheiterten Interviewversuch von Hinnerk Baumgarten an Katja Riemann handelt. Es geht aber dann relativ schnell und auch relativ furios um sehr viel mehr, kurz um Clint Eastwood (auch “schwierig”) und dann um ungefähr alles:

Im Umgang vieler Medien mit unseren Künstlern nun aber offenbart sich eine überaus deutsche Betrachtung des Künstlertums an sich – und so eben auch des Künstlers oder der Künstlerin: Es regiert bei uns en gros eine mittelalterliche, mindestens kleinstaatliche, mitnichten renaissancehafte, geschweige denn aufklärerische Sehnsucht, wenn es um die Publikumskunst geht.

Es regiert stattdessen, gespeist durch alle Arten von Medien, vor allem aber durch die Unterhaltungsblätter und eben die TV-Sender, die urdeutsche Vorstellung vom Künstler als fahrendem Scharlatan, der mit Schnabelschuhen und Schellenmütze dafür zu sorgen hat, einer furchtbaren Ansammlung trüber, verblödeter Tassen – der sogenannten Bevölkerung – die Zeit bis zum Exitus zu vertreiben.

Es ist, gerade im darstellenden Gewerbe und befeuert von den großen auch öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, der allerdümmste Eskapismus, der der Maxime zu folgen hat, dass jene Bevölkerung nicht zu überfordern sei. Die vielen sensationellen deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler haben deshalb nicht etwa in erster Linie gut zu sein. Ginge es danach, wäre Veronica Ferres kein Star, sie würden auf einer Brettlbühne herumknödeln. Deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler haben, zumal ihnen fast immer zu Unrecht unermesslicher materieller Reichtum angedichtet wird (“die Reichen und die Schönen”), zu parieren.

Die Haltung dahinter lautet: Bring mir Freude, oder ich bring dich um.

Wie konnte es jetzt passieren, dass ich von den durchweg positiven Texten von Dave Grohl und Anke Gröner so schnell bei diesem kulturpessimistischen Wutanfall von Alexander Gorkow gelandet bin? Es sind wohl irgendwie zwei Seiten einer Medaille, der Spaß an der Kunst und deren mitunter unerfreuliche Rezeption auf der anderen Seite.

Da ich positiv enden möchte, hier einfach noch schnell ein Song einer meiner absoluten Lieblingsbands, dessen Botschaft meine linke Wade ziert!

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Musik

The best of whom?

Ich hatte ja schon mal von der Idee berichtet, einen Internationalen Strafgerichtshof für Coverversionen (Sitz: Tötensen) ins Leben zu rufen. Dieser Gedanke wurde gerade wieder akut, als ich auf Bild.de über diese Schlagzeile stolperte:

Videopremiere von "Best Of You": Anastacia covert "Foo-Fighters"-Hit

Ja, fürwahr: Anastacia, die Anfang des Jahrhunderts einige Hits hatte, die mir auch nach dem Nachschlagen in der Wikipedia nicht mehr ins Ohr zurückgekommen sind, hat sich einen der besten Foo-Fighters-Songs vorgenommen.

Bild.de erklärt:

Für “It’s A Man’s World” hat die US-Sängerin klassische Rocksongs von männlichen Mega-Stars neu interpretiert, darunter den “Foo-Fighters-Hit “Best Of You”.

Anastacia wird mit den Worten zitiert:

“Ich würde ein Coveralbum mit klassischen Männer-Rocksongs machen. Wie ich selbst!! Das ‘Chick’, das einige eine B**ch mit Eiern nennen!”

Und so klingt es, wenn das Hühnchen, das auch eine Hündin mit Eiern ist, los … äh: rockt:

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Anastacia — Best of you – MyVideo

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz Sean Connery in der Rolle des John Patrick Mason in “The Rock” zitieren:

Your “best”?! Losers always whine about their best. Winners go home and fuck the prom queen.

Ich habe wirklich nichts gegen Coverversionen, solange ich das Gefühl habe, dass da irgendetwas Eigenes vom Interpreten in die neue Version mit einfließt. Das hier ist vielleicht noch schlimmer als das “Ring Of Fire”-Massaker von den H-Blockx, weil dahinter keine einzige eigene Idee zu erkennen ist, nur ein halbwegs bekanntes Original, das mit zu viel Weichspüler zu heiß gewaschen wurde.

Zu den anderen Songs auf Anastacias Coveralbum zählen unter anderem “Sweet Child O’ Mine” von Guns N’ Roses, “Back In Black” von AC/DC, “Use Somebody” von den Kings Of Leon, “You Give Love A Bad Name” von Bon Jovi, “Wonderwall” von Oasis und “Black Hole Sun” von Soundgarden.

Anders gesagt: Ein ganz normaler Abend in der Karaokebar.

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Musik

Alben des Jahres 2011

Schnell auf “Pause” gedrückt, noch einmal kurz zurückgeguckt und dann beschlossen, dass ich jetzt die definitive Liste meiner Lieblingsalben 2011 (Stand: 23. Dezember, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plätze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könnten auch eine ganz andere Reihenfolge haben, die Plätze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gerade als der Eindruck entstand, dass Walter Schreifels endgültig den Überblick verlieren könnte über all seine Bands und Projekte, besann sich das Hardcore-Urgestein auf seine Band Rival Schools, mit der er vor immerhin zehn Jahren mal ein Album aufgenommen hatte. “Pedals” reicht nicht an “United By Fate” heran, ist aber ein erfrischend lebendiges Rockalbum für Menschen, die sich unter “Rock” dann doch noch etwas anderes vorstellen als Nickelback oder Sunrise Avenue.

24. Foo Fighters – Wasting Light
Leute, irgendwas stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Walter Schreifels auch) 42 Jahre alt, was im Rockbusiness früher mal 90 Jahren im Schlagergeschäft entsprach. Und doch müssen diese verdienten “alten” Herren der Jugend zeigen, wie man ordentliche Rockmusik macht? Den Foo Fighters kann man jedenfalls nichts vorwerfen, außer, dass sie sich ein bisschen aufs business as usual verlegt haben. Aber dann hauen die so Dinger wie “Rope”, “White Limo” und ganz am Ende “Walk” raus und der Nachwuchs steht irgendwo in der Gegend rum und guckt betreten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ersten eigenen Wohnung von den Eltern die Ikea-Regale aufbauen lassen muss!

23. Oh, Napoleon – Yearbook
Was habe ich auf dieses Album gewartet! Vor zwei Jahren. Doch bis Universal das Debüt endlich auf den Markt gebracht hatte, war der Spannungsbogen in sich zusammengefallen, und dann waren die besten Songs ausgerechnet die, die schon vor zwei Jahren auf der selbstbetitelten EP enthalten waren. Doch von diesen (kleinen) Enttäuschungen ab ist “Yearbook” ein wunderbares Popalbum geworden. “To Have / To Lose” und “A Book Ending” haben nichts von ihrer erhabenen Schönheit eingebüßt und mit “Save Me”, “I Don’t Mind” oder “Pick Some Roses” sind auch genug Perlen unter den “neuen” Songs (die die Band seit Jahren live spielt). Deutschlands beste Nachwuchsbands kommen halt nach wie vor vom Niederrhein, aber eine Frage hätte ich noch: Warum läuft so schöne Musik nicht im Radio?

22. The Wombats – This Modern Glitch
“Tokyo (Vampires & Wolves)”, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweitwerk der Wombats, war eine verdammt große Ansage und mein Song des Jahres 2010. “This Modern Glitch” löst das Versprechen der Single weitgehend ein: Cleverer Indierock mit viel Gelegenheit zum Mitsingen und -tanzen, der sich dank ausuferndem Synthie-Einsatz vom schlichten Jungs-mit-wilden-Haaren-schaukeln-ihre-Gitarren-im-Achteltakt-Gedöns abhebt.

21. The Decemberists – The King Is Dead
Autos, die auf endlosen staubigen amerikanischen Highways Richtung Sonnenuntergang brausen. Jetzt haben Sie zumindest ein Bild von den Bildern, die “The King Is Dead” in mir beim Hören auslöst. Recht countrylastig ist es geworden, das sechste Album der Band um Colin Meloy, aber fernab des schrecklichen Kommerz-Radio-Country und fernab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich geh grad meinen LKW-Führerschein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neunziger sind zurück und mit ihnen die Shoegaze-Bands mit unscheinbaren Frontmännern und Jeanshemden. “Yuck” enthält zwölf charmante Popsongs, die sich ein bisschen hinter verzerrten Gitarren verstecken, und sich deshalb vielleicht nicht immer sofort entfalten.

19. Fink – Perfect Darkness
Ich habe nie eine Liste im Kopf gehabt, was wohl die besten Konzerte gewesen sein könnten, die ich in meinem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Oktober in der Bochumer Zeche gesehen und war mir sicher, dass er es gerade mindestens in die bisher nicht vorhandene Top 5 geschafft hatte. Was für ein klarer Sound, was für grandiose Songs, wie perfekt dargeboten von Fin Greenall und seiner Band. Ich habe “Perfect Darkness” viel zu selten gehört, weil es mir von der Stimmung her meistens nicht passte, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Mannequin – People And Things
“The Glass Passenger”, das zweite Album von Jack’s Mannequin, war für mich persönlich das wichtigste Album der letzten fünf Jahre, vielleicht habe ich in meinem ganzen Leben kein Album so oft gehört wie dieses. Der Nachfolger musste also gegen schier übermenschliche Erwartungen ankämpfen und konnte nur verlieren. Tatsächlich waren die ersten fünf, sechs Durchgänge eine Enttäuschung, ich war schon kurz davor, “People And Things” einfach im Regal verschwinden zu lassen. Aber so langsam habe ich mich dann doch in die Songs reingehört. Sie sind zwar insgesamt schon arg glatt geraten, aber ich kann Andrew McMahon einfach nicht widerstehen, wenn er von den Herausforderungen und Rückschlägen des Lebens singt, die es zu meistern und zu überwinden gilt. Das kann man alles ganz, ganz schrecklich finden, aber ich finde es wunderbar.

17. Delay Trees – Delay Trees
“Kunden, denen Band Of Horses gefiel, kauften auch Delay Trees”. Steht da merkwürdigerweise nicht, würde aber stimmen. Ich kenne das Debüt der finnischen Indieband erst seit wenigen Wochen, deswegen bin ich womöglich ein bisschen zu vorsichtig mit meinem Lob, aber allein der Opener “Gold” ist mit seiner stetigen Steigerung ein wahres Meisterwerk. Diese Mischung aus Melancholie und Euphorie hält an und lässt das ganze Album klingen wie den Soundtrack zu dem Moment, in dem man sich nach einer durchfeierten Nacht und nach Sonnenaufgang ins Bett fallen lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manchmal ist die Musikwelt schon rätselhaft: Während die Kings Of Leon inzwischen riesige Arenen füllen, treten die Cold War Kids nach wie vor in kleinen Clubs auf. Dafür haben sie keinen Song über sexuell übertragbare Krankheiten, der dank Dauerpenetration in Clubs, Radios und Fußballstadien inzwischen unhörbar geworden ist, sondern leicht angeschmutzte Rockhymnen wie den Titelsong oder “Louder Than Ever”.

15. R.E.M. – Collapse Into Now
Das war es dann also, das letzte Album dieser lebenden Legenden aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vorbei, um ihre Aufwartung zu machen: Patti Smith und Lenny Kaye, Eddie Vedder, Peaches und Joel Gibb von den Hidden Cameras. Es war ein würdevoller Abschied, der nur einen Nachteil hatte: “Collapse Into Now” war bereits das fünfzehnte Album einer Band, die so viele Klassiker geschaffen hatte, dass jeder neue Song ein bisschen sinnlos und unnötig wirkte. Aber, mein Gott: Das ist Jammern auf allerhöchstem Niveau.

14. Jupiter Jones – Jupiter Jones
Keiner Band der Welt hab ich ihren späten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupiter Jones: Jahrelang hat sich die Truppe den Arsch abgespielt, jetzt dürfen sie endlich den Lohn der Arbeit einfahren. Dass nach “Still”, im Frühjahr die meistgespielte deutschsprachige Single im Radio, jetzt auch Revolverheld-Hörer zu Hunderten in die Konzerte strömen, ist völlig okay: Erstens ist das einfach ein großartiger Song und zweitens entschädigt die Fassungslosigkeit, die sich einstellt, wenn Jupiter Jones Songs aus ihrem Punk-Frühwerk auspacken, für alles. Den höheren Preis eines erfolgreichen Major-Acts muss die Band im Januar zahlen, wenn “Jupiter Jones” als “Deluxe Edition” erneut auf den Markt geschmissen wird.

13. Drake – Take Care
Es ist ein bisschen traurig, dass in Rezensionen immer wieder darauf hingewiesen werden muss, dass es auch intelligenten Hip-Hop gibt — zumal das dann gleich an den langweiligen deutschen “Studentenrap” erinnert. Lassen Sie es mich also so sagen: “Take Care” ist ein sehr langes, sehr zurückgelehntes Album, das so ungefähr das Gegenteil von all dem Protz- und Blingbling-Rap darstellt, den man sonst (mutmaßlich) im Musikfernsehen sieht. Wenn Drake über “bitches” und sex (“four times this week”) rappt, dann selbstreflexiv und -kritisch. Das Album ist ein achtzigminütiger Emo-Kater, nach dem man alles werden möchte, nur nicht erfolgreicher Rapper. Andererseits: Wenn dabei so grandiose Musik herumkommt …

12. The Low Anthem – Smart Flesh
Beim Haldern 2010 stand ich mit offenem Mund im Spiegelzelt und konnte mich nicht entscheiden, ob ich jetzt Gänsehaut kriegen, losheulen oder vor lauter Schönheit einfach tot umfallen sollte. 2011 spielten The Low Anthem dann auf der großen Bühne, aber das Publikum war fast stiller als im letzten Jahr. Was für ein berührendes, großartiges Folk-Album!

11. The Mountain Goats – All Eternals Deck
Über Jahre waren die Mountain Goats immer nur via Rockmagazin-Sampler am Rande meiner Wahrnehmung aufgetaucht, bis mir eine Freundin dieses Jahr (genau genommen: vor zwei Wochen) “Never Quite Free” vorspielte. Nachdem ich den Song etwa zwei Dutzend Mal auf YouTube gehört hatte, wollte ich mehr und “All Eternals Deck” hält viel davon bereit: Vom hingerotzten “Estate Sale Sign” bis zu dunklen Balladen wie “The Age Of Kings”. Und natürlich immer wieder “Never Quite Free”.

10. Adele – 21
Über Wochen hatte ich “Rolling In The Deep” im Radio gehört und für “ganz gut” befunden, dann stand ich während der Proben zur Echo-Verleihung irgendwo hinter der Bühne, guckte auf einen der Kontrollmonitore und dachte “Wow!” Trotzdem brauchte es noch acht Monate und gefühlte zwanzig Singleauskopplungen, bis ich mir “21” endlich gekauft habe. Was für ein tolles Album das ist und wie unkaputtbar die Songs selbst bei maximaler Radiorotation sind! Mit Unterstützung von unter anderem Rick Rubin und Dan Wilson (Semisonic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaffen, das sicher in einigen Jahren als Klassiker gelten wird. Und wer “Someone Like You” ungerührt übersteht, sollte vielleicht mal beim Arzt feststellen lassen, ob er nicht vielleicht einen Eisklotz im Brustkorb spazieren trägt.

9. Noah And The Whale – Last Night On Earth
Noah And The Whale waren für mich so eine typische Haldern-Band: Hundertmal auf Plakaten und im Programmheft gelesen, aber nie bewusst gesehen. Dann habe ich “L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.” gehört, dieses ebenso dreiste wie gelungene Beinahe-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makelloser Indiepop mit schönen Melodien und durchdachten Arrangements, der irgendwie direkt in die Euphoriesteuerung meines Gehirns eingreift.

8. Example – Playing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dubstep, Indie — alles, was heutzutage mehr oder weniger angesagt ist, ist in der Musik von Elliot Gleave alias Example enthalten. Vom stampfenden “Changed The Way You Kissed Me”, das jedem Autoscooter gut zu Gesicht stünde, über das fast britpoppige “Microphone” bis hin zum dramatischen “Lying To Yourself”: Example rappt und singt sich durch die verschiedensten Stile und schafft damit ein abwechslungsreiches, aber in sich völlig schlüssiges Album, das irgendwie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möchte.

7. Coldplay – Mylo Xyloto
Es scheint unter Journalisten und anderen Indienazis inzwischen zum guten Ton zu gehören, Coldplay scheiße zu finden. “Iiiih, sie sind erfolgreich, ihre Konzerte machen Band und Publikum Spaß und überhaupt: Ist das nicht U2?”, lautet der Tenor und tatsächlich kann ich viele Kritikpunkte verstehen, aber nicht nachvollziehen. Auf “Mylo Xyloto” sind Coldplay so ungestüm unterwegs wie noch nie, ihre Songs sind überdreht und uplifting und zwischendurch schließen sie mit ruhigen Akustiknummern den Kreis zu ihrem ersten Album “Parachutes” aus dem Jahr 2000. Seit “A Rush Of Blood To The Head” hat mich kein Album von Coldplay mehr so begeistert und womöglich sind die vier Engländer tatsächlich die letzte große Band. Kaum eine andere Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu verändern und sich doch immer treu zu bleiben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Christensen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihanna singen, dann ist das so konsequent zu Ende gedachte Popmusik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hinbekommt. Und wenn das jetzt alle hören, sollte man das feiern — es gibt ja nun wirklich Schlimmeres.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So richtig hohe Erwartungen hatte wohl niemand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Connor Obersts letzte Lebenszeichen gewesen. Und dann kommt er einfach und haut ein Indierockalbum raus, zu dem man sogar tanzen kann. Gut: Die Passagen mit gesprochenem Text und Weltraumsounds muss man natürlich aushalten, aber dafür bekommt man ein merkwürdig optimistisches Gesamtwerk und mit “Shell Games” einen fast perfekten Popsong.

5. James Blake – James Blake
Nie in meinem Leben habe ich heftigere Bässe in meinem Körper vibrieren spüren als bei James Blakes Auftritt auf dem Haldern Pop. Es regnete leicht und diese Singer/Songwriter-Post-Dubstep-Songs zogen über das Publikum wie sehr gefährliche Gewitterwolken. Diese düstere und anstrengende Musik ist nicht für die Beschallung von Dinnerpartys geeignet, aber sie ist verdammt brillant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neunziger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoegaze-Erfolgsrezept von vor zwei Jahren um minimale Grunge-Einsprengsel erweitert. Das ist auf Platte ebenso schön wie live und begleitet mich jetzt seit Mai.

3. Jonathan Jeremiah – A Solitary Man
Auf dem Haldern Pop Festival war ich so weit, dass ich dem nächsten Jungen mit Akustikgitarre selbige über den Schädel ziehen wollte. Dann hörte ich “Happiness” von Jonathan Jeremiah im Radio und war begeistert. Der Mann packt die Seele zurück in Soul — und alles Andere hab ich ja schon im August geschrieben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Junge mit Gitarre! Ed Sheeran war während meines Schottland-Urlaubs im September das Hype-Thema auf der Insel und er ist so etwas wie das fehlende Bindeglied zwischen Damien Rice und Jason Mraz, zwischen Get Cape. Wear Cape. Fly und Nizlopi. Die ruhigen Songs sind erschreckend anrührend, ohne jemals Gefahr zu laufen, kitschig zu werden, und bei den schnelleren Stücken kann der 21-Jährige (fuck it, I’m old) beweisen, dass er genauso gut rappen wie singen kann. “+” ist ein phantastisches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutschland kommt es im neuen Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Junge mit Gitarre. Und noch zwei Gitarren. Und ein Bass. Synthesizer. Eine Bläsersektion. Und nicht einer, sondern gleich zwei Schlagzeuger. Justin Vernon hat gut daran getan, seine als Ein-Mann-Projekt gestartete Band zur Bigband auszubauen, und einen deutlich opulenteren Sound zu wählen als bei “For Emma, Forever Ago”. So lassen sich Debüt und Zweitwerk kaum vergleichen und “Bon Iver” kann ganz für sich selbst stehen mit seinen Tracks, die teilweise eher Klangräume sind als Songs, und die trotzdem ganz natürlich und kein Stück kalkuliert wirken. Vom anfänglichen Zirpen des Openers “Perth” bis zu den letzten Echos des viel diskutierten Schlusssongs “Beth/Rest” ist “Bon Iver” ein Meisterwerk, an dem 2011 nichts und niemand vorbeikam.

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Musik

The Second Great Depression

Warum eigentlich Semisonic?

Ich habe keine Ahnung, ob es tatsächlich irgendwelche wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema gibt, aber die Verweildauer eines durchschnittlichen Popalbums im Leben eines Musikrezipienten dürfte eher in Monaten, als in Jahren zu messen sein. Zwar ermöglichen es uns die immer größer werdenden Speicher der MP3-Player-Telefone, quasi unsere gesamte musikalische Biographie in der Hosentasche herumzutragen, aber wie weit gehen wir da schon zurück?

Alben, die mir einst viel bedeutet haben und von denen die meisten eine Zeit lang bei mir als “Lieblingsalbum” oder gleich “Bestes Album aller Zeiten” firmierten, höre ich noch ein, zwei Mal im Jahr. Und dank iTunes weiß ich sogar, wann zuletzt: “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” von Ben Folds Five im Dezember, “Automatic For The People” von R.E.M. im November und “The Man Who” von Travis im September — den Uhrzeiten nach zu urteilen jeweils beim Einschlafen. Und das sind die Alben, die mir immer noch irgendwie wichtig sind und die auch einen recht tadellosen Ruf in der Musikgeschichte genießen.

Doch was ist mit den okayen Alben, die man mal intensiv gehört hat, mit denen man womöglich wichtige Ereignisse der Adoleszenz verbindet, die dann aber einfach in Vergessenheit geraten sind wie frühere Mitschüler, die eben immer so mit dabei waren, wenn man gemeinschaftlich unterwegs war? “Feeling Strangely Fine” von Semisonic, “Onka’s Big Moka” von Toploader oder das “MTV Unplugged” von den Fantastischen Vier. Wenn man zufällig irgendwo über die Hits stolpert, wirft es einen um Jahre zurück (wie mein Vater stets über musikinduzierte Flashbacks sagt), aber welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde die CD aus dem Regal hervorkramen, um “Closing Time” aufzulegen?

Der Teenager oder junge Twen (Sagt man das noch? “Twen”?) an sich hört überdurchschnittlich viel emotionale Musik. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem man “So I look in your direction / But you pay me no attention, do you?” oder “The killer in me is the killer in you” nicht mal mehr für Statusupdates bei Facebook verwenden möchte. Zahlreiche Lieder und Alben sind durch zahlreiche Herzensbrüche verbrannt. Die ganz großen Liedzitate und -titel lässt man sich dann gleich tätowieren. Die Sorgen und Probleme sind eigentlich noch die gleichen wie zu Schulzeiten, aber alles ist viel komplexer geworden. Bei Berufstätigkeit, Familiengründung und Bausparvertrag wird der Soundtrack zum eigenen Leben für viele zunehmend unwichtiger. Es ist das Alter, in dem viele Menschen ihren Musikgeschmack plötzlich mit “was halt so im Radio läuft” umreißen und die Songs, die ihnen gefallen, schnell bei iTunes kaufen. Diese Kapitulation ist womöglich die richtige Entscheidung, denn auf der anderen Seite sieht es noch schlimmer aus.

Wer aus verschiedensten Gründen weiterhin auf dem Laufenden bleiben will, verliert viel Geld und langsam auch den Verstand: Jede Woche erscheinen Dutzende neue Alben, die sich in “Neuer heißer Scheiß” und “Von denen kaufe ich jede Platte” gliedern. Bei ersterem ist man Dank Internet bestens informiert, so dass es das Einfachste der Welt ist, wöchentlich 200 neue Hype-Themen zu entdecken und womöglich auch zu kaufen. Hören kann das alles kein Mensch mehr, aber große CD-Sammlungen beeindrucken potentielle Sexualpartner immer noch mehr als eine MP3-Sammlung von mehreren hundert Gigabyte. Und die alten Helden? Natürlich ist es schön, wenn R.E.M., die Foo Fighters oder Moby neue Alben veröffentlichen, die auch noch gut sind. Aber muss man die noch hören? Und wenn ja: Wie oft? Selbst wenn da tolle Songs drauf sind (was zweifelsohne der Fall ist), hat man ja immer noch die alten Alben mit den alten tollen Songs im Regal, mit denen man eine gemeinsame Geschichte hat. Der Unterschied ist ein bisschen wie der zwischen den Arbeitskollegen, mit denen man mal ein Feierabendbier trinken geht, und den alten Freunden von früher.

Dann wollen wieder die neuen besten Freunde (Jack’s Mannequin, The Hold Steady, The Low Anthem) Aufmerksamkeit. Und die heißen Affären aus den Jahren dazwischen. Die Arctic Monkeys haben ein neues Album veröffentlicht? Entschuldigung, interessiert mich nicht. Die ganze Indie-Chause der mittleren Nuller Jahre ist mir inzwischen völlig egal, von Franz Ferdinand und Mando Diao will ich weder alte noch neue Alben hören. An deren Musik werden wir noch jahrelang tragen, weil immer noch in jedem Dorf gelockte 15-Jährige mit karierten Hemden, die eine Band gründen wollen, ihre Songs aus Achtelbeats, Schrammelgitarren und Partylyrik zusammenbauen. Alles okay, vieles gut, aber es kann doch nicht sein, dass Gitarrenmusik hier enden soll?!

Ungefähr an jedem zweiten Tag der vergangenen Wochen habe ich mir die Frage “Was hör ich denn jetzt mal?” mit “Belong” beantwortet, dem phantastischen zweiten Album von The Pains Of Being Pure At Heart. Daneben höre ich das weg, was sich eben so angesammelt hat im bisherigen Kalenderjahr, oder greife zu ausgewählten Lieblingen der vergangenen zwei Jahre, derer ich noch nicht überdrüssig bin. Ich käme ehrlich gesagt nie auf die Idee, “(What’s The Story?) Morning Glory?” von Oasis aufzulegen — ich weiß ja, dass das ein gutes Album ist, auch wenn bei mir langsam die Zweifel einsetzen, ob Oasis tatsächlich so gut und wichtig waren.

Jahreszeitlich bedingt laufen gerade wieder zwei Alben bei mir rauf und runter, die schon neun bzw. 13 Jahre alt sind: “Hi-Fi Serious” von A, eines meiner absoluten Lieblingsalben, bei dem ich bei jedem Hören erwäge, mir auf meine alten Tage doch noch ein Skateboard zu kaufen, und “Moon Safari” von Air, das womöglich beste Sommer-Entspannungsalben aller Zeiten. Beide Alben sind so gut und für ihre Funktion als Sommer-Soundtrack so perfekt, dass ich mich kaum bemühe, Nachfolger zu finden.

Und das wird immer mehr. Während ich noch damit beschäftigt bin, mich in das Frühwerk von Bruce Springsteen reinzuhören, mir Led Zeppelin zu erschließen und die wichtigsten Grand-Prix-Songs der letzten 55 Jahre drauf zu schaffen, werden Menschen erwachsen, die Nirvana nie als zeitgenössische Musik kennengelernt haben, sondern offiziell als Oldies. Menschen, denen das Konzept “Album” unbekannt ist, das die Popkultur von den 1960er Jahren bis hinein in die späten Nuller so geprägt hat.

Und dann stellt man wieder fest, dass Popkultur alt macht. Also: die intensive Beschäftigung damit. Eltern sehen ihre Kinder aufwachsen, Gärtner bekommen den Gang der Jahreszeiten zu spüren, aber als Popkulturfan entscheidet man sich bewusst dafür, Zeit anhand von Veröffentlichungsdaten von Musik, Filmen und TV-Serien wahrzunehmen. Die Summe des eigenen Lebens sammelt sich schön anschaulich in Regalen und sorgt bei jedem Umzug für größere Verstimmung. Und der Gedanke an eine Popband, die vor mehr als einer Dekade mal einen Mini-Hit hatte, löst Gedankengänge aus, denen man selbst nicht mehr folgen kann.

Deswegen Semisonic.

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I’ll be coming home next year

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Und für alle, die immer noch nicht genug haben: Echt – 2010

Guten Rutsch und alles Gute!

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Musik

The Class of ’99

New Radicals hören im ICE (Szene nachgestellt)

Heute vor zehn Jahren saß ich in einem Zug nach Berlin, hörte “You Get What You Give” von den New Radicals und damit begann dann meine Musikbegeisterung (nachzulesen hier). ((Mir fiel gerade erst auf, dass ich den Song vermutlich nur deshalb im Bordradio gehört habe, weil ich den ursprünglichen ICE verpasst hatte. Nach all diesen Jahren stelle ich fest, dass ausgerechnet eine Regionalbahn-Verspätung mein Leben verändert hat!))

In der Folgezeit fing ich an, Gitarre zu lernen, in Bands zu spielen, Festivals zu besuchen, über Musik zu schreiben und irgendwann sogar Radiosendungen darüber zu moderieren. Am Jahr 1999 führt auch heute noch kein Weg dran vorbei: Ein großer Teil meiner Lieblingsalben und -songs erschien in eben diesem Jahr.

Mit ein wenig kulturwissenschaftlichem Übermut könnte man vielleicht sogar das Fin de siècle bemühen um zu erklären, warum ausgerechnet kurz vor dem Jahrhundertende plötzlich reihenweise große Kunst entstand. Denn selbst wenn man zugute hält, dass 15, 16 immer ein besonders prägendes Alter ist und Menschen, die heute in diesem Alter sind, vermutlich in zehn Jahren das Gleiche über 2009 sagen werden: Vor zehn Jahren war eine ganze Reihe von Bands und Künstlern auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.

Da waren längst nicht nur die New Radicals mit ihrem einzigen Album: Ben Folds Five verausgabten sich mit ihrem Meisterwerk “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” derart, dass sie sich ein Jahr später auflösten; Travis haben viele gute Alben aufgenommen, aber so dicht wie “The Man Who” klang keines mehr; Moby errichtete sich mit “Play” sein eigenes Denkmal, von dessen Lizensierungen für Spielfilme und Werbespots er sich einen kleinen Staat kaufen könnte. Und selbst, wenn ich einige der ’99er Alben erst Jahre entdeckte: Das war schon ein ganz besonderer Jahrgang.

Und damit Sie wissen, wovon zum Henker ich eigentlich rede, hier eine unsortierte Liste von Alben aus besagtem Jahr:

Travis – The Man Who
Anspieltipp: Driftwood
Ben Folds Five – The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner
Anspieltipp: Your Redneck Past
New Radicals – Maybe You’ve Been Brainwashed Too ((Dass das Album bereits im Oktober 1998 auf den Markt kam, ist ein Detail, durch das ich mir nicht meine Geschichte kaputt machen lasse.))
Anspieltipp: Flowers
Foo Fighters – There Is Nothing Left To Lose
Anspieltipp: Next Year
Jimmy Eat World – Clarity
Anspieltipp: Blister
Stereophonics – Performance And Cocktails
Anspieltipp: Just Looking
Moby – Play
Anspieltipp: Porcelain
Red Hot Chili Peppers – Californication
Anspieltipp: Scar Tissue
Tocotronic – K.O.O.K.
Anspieltipp: Jackpot
The Get Up Kids – Something To Write Home About
Anspieltipp: I’ll Catch You
Sigur Rós – Ágætis Byrjun
Anspieltipp: Svefn-G-Englar
Wilco – Summerteeth
Anspieltipp: Nothing’severgonnastandinmyway(again)
3 Colours Red – Revolt
Anspieltipp: Beautiful Day
Blink-182 – Enema Of The State
Anspieltipp: What’s My Age Again?
Blur – 13
Anspieltipp: Coffee And TV

Natürlich erschienen danach noch viele großartige Alben (ein Jahr später beispielsweise “Kid A” von Radiohead und das Coldplay-Debüt “Parachutes”), aber ein Jahr wie 1999 habe ich seitdem nicht mehr erlebt.