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Digital Literatur

Die Arroganz der Jungen, die Ignoranz der Alten

Wir müs­sen dann lei­der noch mal auf „Axolotl Road­kill“ zurück­kom­men, das lite­ra­ri­sche Hype-The­ma der Stun­de. Nicht, dass ich das Buch inzwi­schen gele­sen hät­te, aber: Das von der Lite­ra­tur­kri­tik auf Laut­stär­ke 11 gefei­er­te Werk von Hele­ne Hege­mann (17) weist in etli­chen Pas­sa­gen erstaun­li­che Ähn­lich­keit mit einem ande­ren Buch auf.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Blog Die Gefühls­kon­ser­ve eine Gegen­über­stel­lung von Text­stel­len aus „Axolotl Road­kill“ und aus dem Buch „Stro­bo“ des Ber­li­ner Blog­gers Airen ver­öf­fent­licht, das im ver­gan­ge­nen Jahr erschie­nen war. Um es vor­sich­tig aus­zu­drü­cken: Da kommt schon Eini­ges an Auf­fäl­lig- und Ähn­lich­kei­ten zusam­men.

Als gelern­ter Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler ste­he ich die­sen Ent­hül­lun­gen etwas schul­ter­zu­ckend gegen­über: Mon­ta­gen und Inter­tex­tua­li­tät gibt es seit kurz nach Erfin­dung der Schrift­spra­che – Georg Büch­ners Novel­le „Lenz“ ist knapp zur Hälf­te aus Auf­zeich­nun­gen des Pfar­rers Johann Fried­rich Ober­lin über­nom­men, Johann Wolf­gang von Goe­the hat sich mehr als ein­mal mas­siv von ande­ren Tex­ten inspi­rie­ren las­sen. Auf den Platz in der Lite­ra­tur­ge­schich­te hat­te das für die bei­den Her­ren kei­ne Aus­wir­kun­gen, aber über den ent­schei­det nahe­lie­gen­der­wei­se die Nach­welt und nicht der Zeit­ge­nos­se. Über­haupt gilt ja, was Oscar Wil­de zuge­schrie­ben wird, der gemei­ne Pop-Kon­su­ment (also ich) aber erst seit Toco­tro­nic weiß: „Talent bor­rows, geni­us ste­als“.

Als jemand, der mit dem Schrei­ben von Tex­ten sei­nen Lebens­un­ter­halt zu erwirt­schaf­ten ver­sucht, sehe ich es natur­ge­mäß kri­ti­scher, wenn jemand (mut­maß­lich) gutes Geld mit Inhal­ten ver­dient, die zumin­dest zu einem nicht ganz uner­heb­li­chen Teil aus dem Werk eines Ande­ren stam­men.

Die Gren­zen zwi­schen Zitat und Dieb­stahl geis­ti­gen Eigen­tums sind flie­ßend – der Unter­schied zwi­schen den Groß-Zitie­rern Quen­tin Taran­ti­no und Die­ter Wedel besteht letzt­lich auch nur dar­in, dass Taran­ti­nos Fil­me cool sind und Wedels spie­ßig. Und dass die Über­nah­me bestimm­ter Wor­te oder gan­zer Text­pas­sa­gen noch mal ein biss­chen was ande­res ist als das zufäl­li­ge Wie­der-Erstel­len einer bereits kom­po­nier­ten Melo­die (man erin­ne­re sich nur an die rund tau­send Songs, von denen Cold­play ihr „Viva La Vida“ samt und son­ders abge­pinnt haben sol­len), lässt sich einer­seits mit den unter­schied­li­chen Mate­ri­al­la­gen (zehn­tau­sen­de Wör­ter vs. zwölf Töne) erklä­ren, ist aber ande­rer­seits auch nur Geschmacks- und Defi­ni­ti­ons­sa­che.

Man könn­te also Hele­ne Hege­mann und Die­ter Wedel zu Peter Slo­ter­di­jk und Rüdi­ger Safran­ski ins „Phi­lo­so­phi­sche Quar­tett“ set­zen und eine Stun­de lang über Blues-Moti­ve und Bas­tard­pop, Wil­liams Shake­speare und Hei­ner Mül­ler dis­ku­tie­ren las­sen und hät­te am Ende viel­leicht ein biss­chen Erkennt­nis­ge­winn oder wenigs­tens was zum drü­ber auf­re­gen. Man wür­de sich womög­lich dar­auf eini­gen, dass Zita­te, Remi­xe und Mas­hups Teil unse­rer (Pop-)Kultur sind, es aber nur höf­lich wäre, wenigs­tens sei­ne Quel­len zu benen­nen und nicht Ander­erleuts Gedan­ken als eige­ne aus­zu­ge­ben.

Aber das sind phi­lo­so­phi­sche und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Gedan­ken all­ge­mei­ner Art. Der „Fall Hege­mann“ dage­gen ist lei­der der Super-GAU der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung, weil er sich genau an der (lei­der immer noch von vie­len Men­schen auf bei­den Sei­ten ima­gi­nier­ten) Ver­wer­fung zwi­schen ana­lo­ger und digi­ta­ler Welt ereig­net hat: Da hat also so eine Ber­li­ner Künst­ler­toch­ter abge­schrie­ben – und zwar bei einem Blog­ger! Hur­ra, der Klas­sen­kampf beginnt erneut, auf die Bar­ri­ka­den!

Jetzt krie­gen die Lite­ra­tur­kri­ti­ker, denen man sicher vie­les vor­wer­fen kann, ernst­haft um die Ohren gehau­en, sie hät­ten ja mal Goo­geln kön­nen.

Goo­geln. Einen Roman! Dabei erzählt Deef Pir­ma­sens, dem die gan­zen text­li­chen Par­al­le­len als Ers­tem auf­ge­fal­len waren, im Inter­view mit sueddeutsche.de, dass ihm bei der Lek­tü­re von „Axolotl Road­kill“ bestimm­te Wor­te bekannt vor­ge­kom­men sei­en – weil er „Stro­bo“ gele­sen hat­te. Beim Erken­nen von unge­nann­ten Quer­ver­wei­sen hilft es also offen­bar immer noch, das Ori­gi­nal zu ken­nen. Dass lan­ge Zeit nie­man­dem auf­ge­fal­len ist, dass eine ande­re Text­stel­le aus dem Song „Fuck U“ von Archi­ve über­nom­men wur­de, spricht dann eben lei­der nicht für die Popu­la­ri­tät der Band.

Der Kampf der Wel­ten endet in Sät­zen wie die­sen:

In Wirk­lich­keit scheint sich als Abwehr­hal­tung des Feuil­le­tons her­aus­zu­kris­tal­li­sie­ren: Es ist nicht so schlimm, von einem weit­ge­hend unbe­kann­ten Medi­um aus dem Web geklaut zu haben – Hege­mann kann zur Not noch als Tran­skri­bis­tin vom Inter­net ins Buch gefei­ert wer­den.

Es ist jener pas­siv-aggres­si­ve Ton, gepaart mit dem Hin­weis, dass das Inter­net immer noch etwas ande­res sein soll als der Rest der Welt, der den genau­so ver­bohr­ten Men­schen im Kul­tur­be­trieb dann wie­der als Vor­la­ge dient, wenn es dar­um geht, über die Mecke­rei­en und das merk­wür­di­ge Selbst­be­wusst­sein (bzw. offen­sicht­lich des­sen Feh­len) der Blog­ger zu läs­tern. Ich fra­ge mich, ob die Geschich­te in der deutsch­spra­chi­gen Netz­welt genau­so hohe Wel­len geschla­gen hät­te, wenn der „beraub­te“ Autor nicht gleich­zei­tig Blog­ger wäre, und lie­fe­re mir die Ant­wort gleich selbst: „Ver­mut­lich nicht“. Statt sich also auf den kon­kre­ten Vor­gang zu kon­zen­trie­ren, wird mal wie­der das übel rie­chen­de Fass „wir Blog­ger gegen die Nichts­bli­cker bei den Tot­holz­me­di­en“ auf­ge­macht und es grenzt an ein Wun­der, dass sich die „#fail„s bei Twit­ter bis­her in Gren­zen hal­ten.

Der Ver­le­ger von „Stro­bo“ klingt da im Gespräch mit Spree­blick wesent­lich ent­spann­ter. Der glei­che Ver­le­ger übri­gens, der mun­ter erzählt, wann Vater Hege­mann das Buch für sei­ne Toch­ter gekauft hat:

Wäh­rend Hege­mann sagt, dass sie das Buch nicht ken­ne, kann der Ver­lag SuKuL­Tur einen Beleg vor­wei­sen, aus dem her­vor­geht, dass Carl Hege­mann den Roman Airens am 28. August 2009 über Ama­zon Mar­ket­place bestellt und an sei­ne Toch­ter Hele­ne hat lie­fern las­sen.

[via otterstedt.de]

Wenn’s um die gute eige­ne Sache geht, ist das mit dem Daten­schutz – sonst die Domä­ne der Netz­ge­mein­de – offen­bar auch nicht mehr ganz so wich­tig.

Die Über­schrift die­ses Ein­trags, übri­gens, die stammt von Vir­gi­nia Jetzt!